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Charli Hukopf

 

 

Deutsche Erstausgabe

 

2019

 

© Mystic Verlag

 

Text: Carli Hukopf

Umschlagskonzept: Charli Hukopf

Titelillustration: Helga Sadowski

 

Umschlaggestaltung:

 

Satz: Helga Sadowski

Lektorat: Eileen Leistner/Christine Jurasek

Korrektur: Anke Tholl

 

ISBN: 978-3-947721-28-0

 

Interessierte Leser und Autoren finden weitere

Informationen auf unserer Website.

 

www.mysticverlag.de

 

Geschäftsführer: Timo Arnold

Adolf-Ludwig-Ring 69

66955 Pirmasens


Inhaltsverzeichnis
Kam 'ne Brotbox geflogen
Willkommen in meinem Reich
Por favor?
Die Zusatzklausel
Klappe, die zweite
Prominenter Gast
Eine tolle halbe Stunde
Vergebung
Der Gang zur Toilette
Eine Erkenntnis
Hasenzähnchen
Wie man eine Seele rettet
Hände hoch!
Die Entscheidung
Etwas Verwirrung
Ich folge meinem Herzen
Ich folge meinem Verstand
Die letzte Reise
Danksagung

Kam 'ne Brotbox geflogen

 

Jakob rannte auf das große Bürogebäude in der Humbertus-Allee zu. Er war spät dran.

Am Eingang quetschte er sich an zwei Bauarbeitern vorbei, die irgendwelche Stangen von A nach B transportierten. Er nickte dem Portier in der Eingangshalle zu, doch der bemerkte ihn nicht einmal. Die Zeitung in seiner Hand war ihm wichtiger.

In einem hüpfenden Sprint eilte Jakob weiter zu den Fahrstühlen. Er drückte viermal ganz schnell hintereinander auf den Knopf, der den Aufzug anwies, nach unten zu fahren. Es war schrecklich für ihn, jetzt warten zu müssen. Ob er doch lieber die Treppen nehmen sollte? Vier Stockwerke hoch sprinten, sollte doch drin sein, oder? Eine vage Erinnerung an seine letzte sportliche Aktivität kam ihm in den Sinn. Sie hatte etwas mit zwei dicken Schulrowdys zu tun, vor denen er in der elften Klasse weggelaufen war. Die zwei brauchten bei Wandertagen alle hundert Meter eine Verschnaufpause, aber Jakob holten sie damals innerhalb weniger Sekunden ein. Sport war keine Lösung, hatte er damals gelernt.

Er verwarf den Gedanken mit der dämonischen Treppe, stattdessen kündigte ein heller Klang die Ankunft des Fahrstuhls an. Jakob sprang hinein und drückte sofort viermal ganz schnell auf die Taste mit der Vier.

Als die Türen im gewünschten Stockwerk aufglitten, klang das für ihn wie der Startschuss für einen Athleten. Allerdings in der Disziplin ‚Schnelles Gehen'. Es sollten ja nicht unbedingt alle Mitarbeiter seine Verspätung mitbekommen.

Jeder Platz im Großraumbüro war von Schallschutzwänden eingekesselt. Nur zu den Gängen, also im Rücken der Mitarbeiter, standen keine, sodass man, wenn man sich umdrehte, den Hinterkopf einer anderen Person bestaunen konnte.

Als Jakob endlich an seinem Schreibtisch ankam, drückte er eilig den Power-Knopf seines PCs, schmiss die Jacke über die Stuhllehne und setzte sich hin.

»Das ist ganz schön gefährlich, was die da draußen machen«, sagte jemand hinter seinem Rücken. Jakob drehte sich um und sah in das rundliche Gesicht von Ludwig. Eine riesige Brille mit glänzendem braunem Rahmen stach genauso schnell ins Auge, wie seine von Fett ebenso glänzenden schwarzen Haare.

»Ludwig, war Herr Schwarz schon hier?«

Ludwig starrte nach vorne gebeugt den Gang hinunter zu den Fenstern. Dort konnte man außen am Gebäude einen Mann schweben sehen, der mit einem Schraubenzieher am Rahmen hantierte.

»Sie haben das Gerüst nicht richtig eingekleidet. Das verstößt gegen jede deutsche Norm«, beschwerte sich Ludwig mit zusammengekniffenen Augen. »Ich hab’ bei gutefrage.net nachgeschaut. Die müssen Sicherheitsnetze außen anbringen, damit ihr Werkzeug nicht aus Versehen auf Passanten fallen kann.«

»Ludwig, ich habe gefragt, ob Herr Schwarz schon hier war?«

»Ich verklag die, sag ich dir. Ich sehe schon, wie ein Hammer auf mich fällt, wenn ich nach Hause gehen will. Und das alles nur, um unser dummes Firmenlogo an die Wand draußen zu klatschen.«

»Ludwig«, wiederholte Jakob wieder, jetzt aber lauter, »Herr Schwarz, war er schon hier?«

Langsam drehte sich Ludwigs Kopf zu ihm. »Herr Schwarz? Ja, der war hier. Hat kurz auf deinen Platz geguckt und ist dann weitergegangen. Wieso?«

Jakob klatschte sich seine Hände ins Gesicht. »So ein Mist. Ich hätte ihm gestern Abend noch einen Bericht bringen müssen. Ich wollte es heute Morgen erledigen, bevor er da ist, doch mein dummer Wecker klingelte nicht.«

»Interessanter Fun Fact«, antwortete Ludwig, »meistens glaubt man nur, dass der Wecker nicht geklingelt hat. In Wahrheit wurde man davon wach und hat ihn instinktiv wieder ausgemacht. Wenn man dann innerhalb von drei Minuten einschläft, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man den Vorfall komplett vergisst.«

Ludwig besaß die seltene Gabe, auf Partys das Epizentrum jeder Unterhaltung zu werden. Ein Erdbeben des Gähnens ging in der Regel von ihm aus. Nun war endlich der Computer hochgefahren. Jakob schrieb die letzten beiden Absätze seines Berichts hastig zu Ende und druckte die Datei sofort aus.

»Herr Peters?«, sprach abermals jemand hinter seinem Rücken.

Jakob drehte sich um. Diesmal traf sein Blick nicht auf ein schwarzes glänzendes Brillengestell, sondern auf die üppige Oberweite einer jungen Dame. Eilig huschten seine Augen eine Etage höher zu dem Gesicht der Frau, in der Hoffnung, dass diese davon nichts mitbekommen hatte.

»Herr Peters, Herr Schwarz möchte Sie sprechen. Kommen Sie doch bitte gleich in sein Büro.«

Jakob schluckte schwer. Er nickte, woraufhin die junge Dame wieder verschwand. Ludwig beugte sich aus seiner kleinen Schallschutzbox heraus, um ihr nachschauen zu können.

»Frau Schöntag … die ist so heiß! So heiß wie … wie …« Ludwig war noch nie besonders kreativ, was Vergleiche anging, »wie etwas, das heißer als die meisten Sachen ist.«,Jakobs vollschlanker Freund log nicht. Frau Schöntag war wunderschön. Ein blonder Engel, der immer mit sanfter Stimme sprach und viel lachte, auch bei schlechten Witzen. Als sie den Gang zum Büro des Chefs hinunterging, lugten so einige männliche Köpfe hinter den Schallschutzwänden hervor. Doch selbst ihr Anblick vermochte Jakob jetzt nicht zu trösten. Er nahm den ausgedruckten Bericht und stand auf.

»Frag sie, ob sie mit dir ausgeht«, meinte Ludwig.

»Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt.«

»Und ob. Wenn dich Herr Schwarz gleich mächtig anschreit und du danach erhobenen Hauptes in das Vorzimmer gehst und sie dann direkt nach einem Date fragst, ist sie bestimmt beeindruckt. Nichts kann diesen Mann erschüttern, wird sie denken.«

»Unsinn«, sagte Jakob kleinlaut. »Ich bin bestimmt nicht ihr Typ.«

»Nur weil du abgemagert und unsportlich bist und deine Nase etwas zu groß ist? Wenn du Angst vor einer Zurückweisung hast, denk daran, was Eddard Stark einst sagte. Auf die Frage, ob ein Mann mutig sein könne, wenn er Angst habe, hat er geantwortet, dass dies der einzige Moment ist, in dem ein Mann mutig sein kann

»Eddard Stark wurde kurz darauf geköpft.«

Auf Ludwigs Stirn bildeten sich Denkfalten. »Mmh ja, stimmt.«

»Wir sehen uns dann in der Hölle«, verabschiedete sich Jakob.

Der Weg durch das Großraumbüro bis zu dem Büro von Herrn Schwarz war eigentlich lang, doch empfand ihn Jakob als viel zu kurz. Im Nu stand er vor der gläsernen Tür, die zum Vorzimmer führte. Diese zu öffnen, fiel nicht schwer. Das Vorzimmer war der Garten Eden, ein Hort der Hoffnung und Träume, das Schlafzimmer der Aphrodite und der Heimathafen für alle Seefahrer, die einen Sturm überwunden hatten, um endlich heil nach Hause zu kommen. Kurzum, hier saß Frau Schöntag.

Sie lächelte ihn an und meinte, dass Herr Schwarz schon warte. Der Anblick der jungen Dame kam einem Galgenschmaus gleich. Denn nun öffnete Jakob die Pforte des Verderbens. Als er die Tür zum Büro hinter sich schloss, war es, als wäre er in einer anderen Klimazone. Herr Schwarz saß in seinem Bürostuhl und starrte seitlich auf einen Monitor. Er tat so, als hätte er Jakob gar nicht bemerkt. Sein grauer Schnauzbart sah wie eine Sichel über den hängenden Mundwinkeln aus.

»Ähm, Herr Schwarz«, machte sich Jakob zaghaft bemerkbar. Sein Boss schloss augenblicklich die Augen und begann laut zu zählen: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn.« Danach öffnete er langsam seine Augenlider und sah Jakob an. »Herr Peters, ich vermisse einen Bericht von Ihnen.«

»Ja, nun ja, den habe ich hier.« Er legte den Bericht auf den Schreibtisch.

»Herr Peters, können Sie mir sagen, wie spät es ist?«

Von der Frage etwas verwirrt schaute Jakob auf seine Armbanduhr: »Ja, na klar, es ist zehn nach acht.«

»Hervorragend, Sie besitzen eine Uhr. Wie ich sehe, ist das auch noch eine Digitaluhr. Da steht doch auch sicher das Datum drauf, oder?«

Allmählich ahnend worauf das hinauslief, meinte Jakob: »Ja, das tut es.«

»Gut, dann wissen Sie ja vielleicht auch, dass Sie sich ein klein wenig im Abgabetermin vertan haben.«

»Ja, Herr Schwarz, das tut mir außerordentlich leid. Das kommt nicht wieder vor.« Der Mund seines Chefs lächelte, doch die Augen schrien nach Blut. »Das kann ja mal passieren. Aber sicher haben Sie daran gedacht, den Krizki-Vorfall zu erwähnen, oder?«

Natürlich hatte er das nicht. Jakobs Augen wurden riesengroß vor Schreck. »Vielleicht bedarf der Bericht noch einer klitzekleinen Überarbeitung.«

Herr Schwarz schloss wieder die Augen: »Eins, zwei, drei …« Den kommenden Zahlen fügte er etwas Schärfe hinzu: »vier, fünf, sechs, sieben …« Nun wurde er dezent lauter: »… acht, neun, verdammte ZEEHHHN. Peters, wenn Sie mir nicht in einer Stunde diesen Bericht fertig auf den Schreibtisch legen, können Sie gleich nach Hause gehen. Haben Sie mich verstanden?«

Jakob schluckte und nickte. Mit rasendem Herzen trat er aus dem Büro und schloss die Tür hinter sich.

Frau Schöntag sah ihn mitleidig an. »Hat er wieder gezählt?« Jakob musste sich erst räuspern, um den Frosch im Hals loszuwerden, bevor er antworten konnte: »Ja, hat er.«

»Tja, das macht er neuerdings immer, um sich selbst zu beruhigen. Hat ihm sein Therapeut angeordnet. Er macht zwar viel Sport zum Ausgleich, doch reicht das wohl nicht.«

Sie lächelte ihn noch mal abschließend an und sah dann wieder auf ihren Bildschirm. Jakob erinnerte sich an die Worte Eddard Starks. Er trat an den Schreibtisch der Sekretärin heran und fragte leise und vor Aufregung nuschelnd: »Wollen Sie vielleicht mal mit mir ausgehen?«

Frau Schöntag sah auf: »Verzeihung, wie bitte?«

»Ich fragte, ob …«, Jakob stockte. Verglichen mit dieser Situation wirkte der brüllende Chef gar nicht mehr so angsteinflößend. »Ich fragte, ob sie mit mir eine rauchen wollen. Frische Luft schnappen, draußen.«

Frau Schöntag lächelte wieder. »Nein danke, ich rauche nicht.«

Genau wie ich, dachte Jakob, als er das Vorzimmer verließ. Ihm war bewusst, wie dumm seine Worte waren. Geknickt kam er zu seinem Platz im Großraumbüro zurück. Ludwig empfing ihn mit der Frage: »Und? Hast du ein Date?«

»Nein, sie raucht nicht.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Das verstehe ich auch nicht.«

»Na egal, ich habe zwei Karten für die Klassikvorstellung von The Dark Knight bekommen. Nimm dir also Freitagabend nichts vor.«

»Als wenn ich jemals Freitagabend etwas vorhätte.«

Die nächste halbe Stunde verbrachte Jakob damit, den Bericht zu Ende zu schreiben. Er kam schneller voran als gedacht, doch als er ihn endlich ausdrucken wollte, streikte die Technik.

»Ludwig, der Computer sagt, dass der Drucker nicht erreicht werden kann.«

»Der Computer spricht zu dir? In welcher Sprache redet er denn?«

»Witzig. Ist er kaputt?« Tatsächlich war er defekt. Der zweite Drucker hatte keine Farbe mehr und der dritte war schon seit drei Wochen außer Betrieb. So blieb nur noch der Kopierladen, der sich glücklicherweise direkt auf der anderen Straßenseite befand. Jakob schwang sich seine Jacke um die Schultern und flitzte los. Ludwig brüllte ihm noch: »Kannst du mir ‘n Eis mitbringen?«, hinterher.

Der Portier war in der Eingangshalle immer noch in seine Zeitung vertieft und so rannte Jakob einfach an ihm vorbei. Er öffnete fix die Glastür und tat gerade mal zwei Schritte nach draußen, als er ein melodisches »Aaaachtung« aus der Höhe vernahm. Jakob sah nach oben und konnte noch knapp den quadratischen Umriss eines stählernen Kastens bestaunen, bevor er zu Boden fiel.

Alles drehte sich. Leute schrien. Der Mann, der eben von oben »Achtung« gebrüllt hatte, schrie nun: »Verzeeeiiihung.«

Jakob öffnete ein letztes Mal die Augen und sah eine silberne Brotbüchse, auf der das Batmanlogo schwarz schimmerte. Der Rand war rot vom Blut. Dann verlor er das Bewusstsein.

 

Willkommen in meinem Reich

 

Langsam öffnete Jakob die Augen. Er saß aufrecht auf einer Couch. Sie war schon derart durchgesessen, dass er mehrere Federn spürte, die sich in sein Gesäß bohrten. Er befand sich in einem klassischen Vorzimmer, wie man es aus Detektivfilmen der 60er Jahre kannte. Durch die abgedunkelten Fenster, den grauen Teppich und die ausschließlich aus dunklem Holz bestehenden Möbel bekam der Raum eine düstere Atmosphäre. Neben der Tür, die offensichtlich zum Büro führte, stand ein Schreibtisch, an dem eine griesgrämig dreinschauende Sekretärin handschriftlich etwas notierte. Es stand kein Monitor auf dem Schreibtisch. Hinter ihr bäumte sich bloß ein riesiger Aktenschrank auf.

Nachdem Jakob mehrere Minuten still dasaß, sich mit der Umgebung vertraut machte und versuchte, sich irgendwie einen Reim daraus zu machen, fragte er die Sekretärin: »Ähm, Verzeihung? Könnten Sie mir bitte sagen, wo ich bin?«

Die ältere Dame sah über ihren Brillenrand zu ihm auf. Ob nur die tiefen Falten und das spärliche Licht sie so grimmig wirken ließen oder sie es tatsächlich war, konnte Jakob nicht einschätzen.

»Gedulden Sie sich noch etwas«, sagte sie mit einer Stimme, die nun keinen Zweifel mehr an ihrer schlechten Laune ließ. »Herr Zebub ist gleich für Sie da.«

Jakob hatte keinen blassen Schimmer, wer Herr Zebub sein mochte. Aber er würde sich ja wohl gleich selbst vorstellen. Es war Zeit, das Vorzimmer weiter zu erkunden.

Es lag stickiger Rauch in der Luft, auch wenn es nur sehr schwach nach Tabak roch. In den einzelnen Lichtstrahlen, die durch die winzigen Lücken in den Jalousien drangen, sah man Partikel in der Luft auf und ab tanzen. Irgendwie wirkten alle Einrichtungsgegenstände alt und schwer. Das Wort Ikea war in diesen Räumlichkeiten gewiss nie benutzt worden. Erst jetzt fiel Jakob auf, dass sich in dem Zimmer nur eine einzige Tür befand. Diese besaß ein milchiges Fenster, durch welches man lediglich brennendes Licht auf der anderen Seite erkennen konnte. Unter dem Fenster hing ein Namensschild, aber aus der Entfernung konnte Jakob die kleinen Buchstaben nicht lesen. Doch wie sollte er hier reingekommen sein, wenn diese Tür offensichtlich in das Büro dieses Herrn Zebub führte?

Und noch etwas irritierte ihn. Direkt neben der Couch, auf der er saß, befand sich ein stattlicher Kamin. Dessen bloße Anwesenheit erschien keineswegs seltsam, er passte in diese ohnehin rustikale Einrichtung gut hinein. Doch warum musste er so überdimensional groß sein? Er war bestimmt zwei Meter hoch und anderthalb Meter breit. Jakob hätte sich zweimal in ihn hineinstellen können. Das Innenleben dieses Monstrums schien groß genug, um eine Hexenverbrennung zu zelebrieren. Jakob fühlte sich an Harry Potter erinnert. Dort konnten sich die Zauberer doch in solchen riesigen Dingern teleportieren. Doch warum so abstrakt denken? Wahrscheinlich befand sich in dem Kamin einfach nur eine versteckte Tür. Das würde die Größe und den fehlenden Eingang erklären.

»Herr Peters«, machte sich die Sekretärin bemerkbar. »Herr Zebub erwartet Sie jetzt.«

Unsicher stand Jakob auf. Sein Puls fing zu rasen an, als wäre er gerade zu einer mündlichen Prüfung aufgerufen worden. Er hatte keine Ahnung, was ihn jetzt erwarten würde.

»Sie müssen schon reingehen«, drängte ihn die Sekretärin, was von einem Handwedeln untermalt wurde, als er sich längere Zeit nicht von der Stelle rührte.

»Ähm, ja, genau.«

Holzdielen knarzten unter seinen schwarzen Turnschuhen. Mit der Hand bereits am Knauf der Tür hielt er noch mal inne. B. Zebub stand auf dem kleinen Schild. Durch das milchige Fenster glaubte Jakob ein großes Feuer lodern zu sehen. Dieser Ort mutete seltsam an. Er musste sich mit viel Kraft gegen dieses schwere Mistding von Tür stemmen, bis sie ächzend nachgab.

Das Büro war sehr schlicht eingerichtet. Ein Schreibtisch, jeweils ein Stuhl vor und hinter diesem und das ganze umzingelt von einem Heer aus Sideboards, auf dem Lampen, Papierstapel, ein Aschenbecher und viele weitere Kleinigkeiten verstreut herumstanden. Auf dem Schrank hinter dem Schreibtisch befand sich sogar ein kleiner Röhrenfernseher, auf dem ein alter Schwarz-Weiß-Schinken lief. Ein Mann, der wohl Herr Zebub sein musste, sah dem Treiben in der alten Kiste zu.

Jakob konnte nur dessen lichten schwarzen Schopf von hinten betrachten. Eine kleine Speckfalte entblößte sich zwischen Haaransatz und Hals, als der Mann vor Lachen den Kopf in den Nacken schlug.

»Immer wieder herrlich«, sagte eine rauchige Stimme.

»Herr … Herr Zebub?«, versuchte Jakob auf sich aufmerksam zu machen. Ihm war bewusst, dass er wie ein kleines Mäuschen klang.

Das Lachen des Mannes erstarb. Langsam drehte er sich auf dem Bürostuhl Richtung Eingang.

Das größte Grinsen, das Jakob je gesehen hatte, offenbarte sich. Massive Augenbrauen ruhten weit unten in seinem Gesicht, als wollten sie den Platz der Augen übernehmen. Diese wiederum starrten Jakob begierig an. Es kam ihm vor, als würde ihn eine Elster voller Vorfreude begaffen und er selbst war ein silberglänzender Löffel, der beim Picknick im Gras vergessen worden war.

»Herr Peters, willkommen in meinem Reich. Setzen Sie sich doch.«

Herr Zebub wies auf einen Stuhl direkt vor dem Schreibtisch. Jakob setzte sich. Scheinbar lagen die Möbelstücke hier in einem Wettstreit, welches das unbequemste von ihnen war. Der Stuhl erwies sich als so hart und rau wie diese steinernen Tischtennisplatten, die Jakob aus Ferienlagern in seiner Kindheit kannte.

»Herr Zebub, Verzeihung, aber ich weiß gar nicht, was ich hier eigentlich mache. Ich meine, ich war noch gerade eben ...«

»Nananaaa«, unterbrach ihn Herr Zebub kopfschüttelnd. Das Grinsen blieb fest in seinem Kopf verankert, während er sprach. »Sie können mich Bill nennen. Ist es in Ordnung für Sie, wenn wir uns duzen?«

Jakob nickte.

»Ich weiß, du bist verwirrt. Wäre ich … einen Moment bitte.« Bill drehte sich um und machte das Röhrengerät aus, da die Filmmusik gerade etwas lauter geworden war. Als er sich zurückdrehte, meinte er: »Tanz der Teufel, ein Wahnsinnsfilm. Kennst du den?«

Wieder nickte Jakob. »Aber nur das Remake. Ich habe Szenen aus dem Original gesehen und leider ist er schlecht gealtert. Ich weiß nicht, was sie alles verändert haben.«

»Das eben war das Remake. Das Original ist nicht schlecht, aber diese neuen Effekte sind verrückt. Das Blut ist viel echter und die Wunden sehen so gut aus. Ich liebe es. Aber genug davon. Kommen wir zum Geschäft.«

»Geschäft?«

»Ja, zum Geschäft. Ich weiß, das muss alles sehr verwirrend für dich sein, aber in ein paar Augenblicken wird alles verständlicher. Am besten ist es, wenn ich dir die Gelegenheit gebe, selbst daraufzukommen. Was ist das Letzte, woran du dich erinnern kannst?«

Jakob fasste sich instinktiv an seinen Kopf. Er untersuchte mit beiden Händen jeden Zentimeter Kopfhaut. Eine Batman-Brotbüchse schimmerte durch einen blassen Gedankenschleier, bis sie sich vor seinem geistigen Auge verfestigte. Er hatte Blut gesehen, fand jedoch nirgends eine Wunde.

»Ich bin aus dem Büro gekommen und eine Brotbüchse ist auf mich gefallen. Dann habe ich das Bewusstsein verloren.«

»So weit, so gut«, meinte Bill, dessen Dauergrinsen bei anderen schon längst Krämpfe ausgelöst hätte. »Was passiert denn normalerweise mit Leuten, die sich schwer verletzen?«

»Nun ja, sie kommen ins Krankenhaus. An einen Krankenwagen kann ich mich aber nicht erinnern.«

»Gut, gut, weiter so. Im Krankenhaus, was passiert dann da?«

»Na, man wird gesund gepflegt.«

»Oder?«

»Oder … oder was?«

»Was passiert denn mit den Leuten, die nicht gesund gepflegt werden?«

Jakob hatte keine Ahnung, worauf der Typ hinauswollte. Er hielt sich augenscheinlich nicht in einem Krankenhaus auf, also war er auch kein Dauerpatient.

»Keine Ahnung. Irgendwann werden doch alle gesund oder …« Jakob blieben die Worte im Hals stecken. Konnte es sein, konnte es tatsächlich sein? Er schluckte schwer, bevor er weitersprach.

»… oder man stirbt.«

Bill beugte sich über den Schreibtisch, um Jakob auf die Schulter klopfen zu können.

»Du hast es erfasst, man stirbt. Und dann, wie geht es danach weiter?«

Von dem Gedanken eingeschüchtert, was nach dem Tod tatsächlich kommen mochte, sah er sich erneut um. Kein Anzeichen für etwas Surreales. Keine herumliegenden Heiligenscheine, keine Höllenzepter. Er saß in einem ganz normalen Büro. Ja, normal, abgesehen von dem Rauch, der nicht nach Tabak roch.

»Nach dem Tod kommt nichts, zumindest habe ich das immer geglaubt.«

»Geglaubt, aha, das ist doch schon mal das richtige Stichwort. Glaube. Was fällt dir dazu ein?«

Jakob lachte verlegen: »Ja, haha, ihr habt mich erwischt. Sehr witzig, Leute.« Er sprach lauter, sodass ihn auch jeder im Nachbarraum hätte hören können. »Ich bin tot und im Himmel, witzig. Ihr könnt jetzt rauskommen. War das deine Idee, Ludwig?«

Vorher zeugte Bills Grinsen von Belustigung, jetzt strahlte es eine Eiseskälte aus. Seine Augen waren viel zu gruselig für einen Schauspieler aus einer Sendung mit versteckter Kamera. Nun fühlte sich Jakob nicht mehr wie ein Silberlöffel, sondern wie ein Rehkitz mit vier gebrochenen Beinen. Der Wolf konnte sein Mahl kaum erwarten.

»Sehr gut, du realisierst langsam deine Lage. Weiter, nur weiter. Wo bist du?«

»Bin ich tot? Bin ich tatsächlich tot?« Wenn das stimmte, dann hatte Jakob die Sequenz verpasst, bei der einem das gesamte Leben vor den Augen vorbeizog.

»Dazu kommen wir gleich. Verrate mir doch erst, wer ich bin?« Tja, wer war das da vor ihm? Auch wenn Bill einen höllischen Blick präsentieren konnte, den Satan stellte sich Jakob anders vor. Und Gott ... würde Gott solche Ratespielchen veranstalten? Wohl eher nicht. Aber wer war er dann?

»Bist du vielleicht der Fährmann?«

Das erste Mal erstarb Bills Lächeln. Das Wort Verachtung kam an das, was sein Gesicht nun ausdrückte, nicht auch nur annähernd heran. »Falsche Religion, Kumpel. Hast du überhaupt mal eine Kirche von innen gesehen?«

Also doch Christentum. Wenn er schon tot war, dann hatte Jakob auf eine nicht ganz so rabiate Religion gehofft. Buddhismus wäre nett gewesen oder irgendetwas anderes, wo man nicht beim kleinsten Vergehen für die Ewigkeit in der Hölle schmorte.

»Dann bist du vielleicht Petrus, der Kerl, der vor den Himmelstoren den Empfang spielt?«

Bill schüttelte den Kopf.

Gab es irgendwelche Hinweise, die er übersah? Er ging noch mal alles Stück für Stück durch. Was hatte der Typ gesagt, als Jakob hereingekommen war?

»Oh Mist«, entfuhr es ihm. »Du hast ‚Willkommen in meinem Reich’ oder so was Ähnliches gesagt. Und dann die fehlende Tür im Wartezimmer und der riesige Kamin, der stattdessen dasteht. Und … ojemine, dein Name. Zebub klang echt komisch, aber jetzt begreife ich. Bill Zebub, das kommt von Beelzebub. Du bist der Teufel.«

Bill war erstaunlich. Er konnte mit ein und derselben Gesichtsimpression verschiedenste Gefühlsregungen ausdrücken. Sein jetziges Grinsen versprühte Stolz.

»Ich finde es sehr aufmerksam, dass du alles laut aussprichst, was du denkst. So machen es die Figuren in Fernsehserien auch immer, damit der Zuschauer Bescheid weiß.«

Der Stuhl unter Jakob schien noch unbequemer geworden zu sein, seitdem feststand, dass der Teufel vor ihm saß. Irgendwie … heißer.

»Deswegen hast du auch ‚Tanz der Teufel' erwähnt, oder? Das war ein Hinweis.«

»Ach, das hatte damit nichts zu tun. Ich mag nur einfach den Film. Aber jetzt, wo du weißt, wer ich bin, können wir zum Geschäftlichen übergehen.«

Bill schaltete den alten Fernseher wieder ein. Ein flimmerndes Schwarz-Weiß-Bild ploppte auf, in dem ein Krankenhauszimmer zu sehen war. In einem Bett lag ein junger Mann mit Kopfbandage.

»Das … das bin ja ich«, erkannte Jakob. »Aber ich bin doch hier.«

»Deine Seele ist hier. Dein Körper befindet sich noch in diesem Bett.«

»Aber das heißt doch, dass ich noch lebe, oder nicht? Die lassen doch keine Leichen einfach so im Bett verwesen.«

Bill drehte sich vom Fernseher zurück zu Jakob. Er stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und faltete seine Hände ineinander.

»Du hast recht, du lebst ... noch. Um genau zu sein, du liegst im Koma und dein Leben liegt auf Messers Schneide. Aus diesem Grund bist du hier bei mir. Kennst du Schrödingers Katze?«

»Ja klar, wegen Big Bang Theorie kennt das jeder.«

»Gut, dann muss ich ja nicht so viel erklären. Du befindest dich gerade in einem Zustand, der nicht ganz klar bei uns geregelt ist. Du bist noch am Leben oder, wie die Ärzte zumindest sagen würden, deine Vitalfunktionen sind noch intakt. Aber aus theologischer Sicht bist du nur noch eine leere Hülle. Du bist in einem Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Das heißt aber auch, dass nicht ganz geregelt ist, was jetzt mit dir passiert. Ganz klar, klassischerweise verhungerst du einfach und gut ist‘s. Aber ihr Menschen könnt das gottgegebene Schicksal ja nicht akzeptieren und deshalb wird daraus erst einmal nichts. Deswegen bist du hier! Du und ich müssen eine Lösung finden. Hast du das so weit verstanden?«

Jakob nickte und sagte: »Aber ich könnte doch jederzeit wieder aufwachen, oder nicht? Ist das nicht so mit Koma-Patienten?«

»In Seifenopern, ja, aber nicht in der Realität. Es könnte Jahre dauern, bis du ein selbstständiges Lebenszeichen von dir gibst. So einfach kommst du nicht aus der Sache raus. Aber das ist ja alles gar kein Problem, ich hab‘ da mal was vorbereitet.«

Bill griff in eine Schublade seines Schreibtischs. Er holte einen Stapel Papier heraus, der groß genug war, um das Manuskript für eine Enzyklopädie zu sein, und ließ ihn geräuschvoll auf die Tischplatte fallen.

»Das ist der Vertrag. Ich fasse mein Angebot kurz zusammen. Du übernimmst meinen Job. Ich schicke dich zurück zur Erde und du wirst Menschen, die bald das Zeitliche segnet, danach beurteilen, ob sie Kandidaten für meine Grillparty sind.«

»Grillparty?«

»Ist ein Euphemismus für das ewige Höllenfeuer.«

»Oh, na klar.«

»Fünf Personen, exakt fünf Personen wirst du begutachten. Nur eine einzige dieser fünf Personen ist berechtigt, in den Himmel zu kommen. Doch dein Urteil zählt, egal, ob du richtig liegst oder nicht. Die Namen der vier Leute, die du mir nicht nennst, werden meine Gäste, ob unschuldig oder nicht.«

»Moment, wenn schon feststeht, wer von ihnen unschuldig ist, wofür brauchst du mich dann überhaupt?«

»Wer hat denn etwas von brauchen gesagt? Nein, ich brauche dich überhaupt nicht. Wie ich anfangs erläutert habe, müssen wir uns eine Lösung für deinen Zustand überlegen, und das ist sie. Denn jetzt kommen wir zum springenden Punkt: Für den Fall, dass du die richtige Person in den Himmel schickst, wirst du sofort wieder aufwachen. Das alles hier wird dir wie ein böser Traum vorkommen und du kannst zurück in die Arme deiner Geliebten. Liegst du jedoch falsch, stirbst du.«

Jakob musste schlucken und fragte schrill: »Und komme … in die Hölle?«

»Das bleibt abzuwarten. Du stirbst, mehr beinhaltet der Vertrag nicht. Wohin dann deine Seele wandert, hängt von deinen Sünden ab.«

»Mmh, verstehe«, meinte Jakob, während er innerlich über seine Sünden sinnierte. Gemordet hatte er noch nie, sofern er wusste, geklaut auch nicht. Oder zählte der Kugelschreiber, den er sich von Betty »ausleihen« wollte?

»Die Regeln sind mir noch nicht ganz klar. Woher weiß ich, ob eine Person zu Recht in den Himmel kommt? Wie ist da das Verfahren? Muss man dafür gut in Mathe sein?« Die Falten, die sich in Bills Augenlidern bildeten, vermittelten den Eindruck, dass sein jetziges Grinsen tatsächlich ernst gemeint sein könnte. »Du bist ein Spaßvogel. Die Sorte hab‘ ich gern. Mussolini war auch einer. Die Folterknechte haben sich immer prächtig mit ihm amüsiert. Ich würde mich freuen, wenn du nach dieser ganzen Sache hier mein Gast wärst.«

»Äh, danke«, gab Jakob unsicher zurück.

»Die Sache mit den Regeln war mal relativ unkompliziert. Mord, Ehebruch und Glaubensabfall waren einst die einzigen Gründe, um eine Eintrittskarte in mein Abenteuerland zu bekommen. Doch so wie eure Gesetzeslage entwickelte sich auch unser Regelwerk weiter. Der große Chef ließ sich davon überzeugen, dass ihm Egozentrik nicht sonderlich steht, also strich er den Glaubensabfall. Das mit dem Ehebruch ließ er sich aber nicht ausreden. Ich meinte: ‚Hey, komm schon', hab‘ ich gesagt. ‚Du gabst den Menschen den Sexualtrieb, jetzt sei nicht so knauserig und lass sie ihn mal richtig ausleben.' Ich meine, ich habe ja auch keinen Bock auf die Abermillionen älterer Männer, die nur mal gucken wollten, ob sie es noch können. Die nehmen meinen Ehrengästen die wertvolle Aufmerksamkeit weg. Aber nein, der Chef bleibt hart. Dafür fügte er den Diebstahl hinzu. Hauptsächlich wegen zu eifriger Bänker und Börsenheinis. Also keine Sorge, wenn du mal einen Kugelschreiber mitgehen hast lassen, zählt das nicht.«

Jakob atmete innerlich auf. Jedoch wurde er auch neugierig: »Das ist aber sehr schwammig. Wo ist da die Grenze? Was wäre, wenn ich eine Million Kugelschreiber klaue?«

Bill musterte ihn belustigt.

»Na, aus 'ner Kugelschreiberfabrik oder so, was weiß ich? Der Punkt ist, dass auch durch kleine Sachen großer Schaden entstehen kann.«

»Du hast recht. Ein Satz, den ich nicht häufig sage. Liegt aber nicht daran, dass so selten Leute recht haben, ich mag es nur nicht, ihnen das zu bestätigen. Es geht nicht darum, was du gestohlen hast, oder wie viel Schaden der Diebstahl angerichtet hat. Es hängt davon ab, ob du als Dieb diese Tat als schwerwiegend einschätzt oder nicht. Wenn du glaubst, dass niemand den Kugelschreiber vermisst und dass dadurch niemandem ein großer Schaden entsteht, ist alles in Ordnung. Wenn aber der böse Makler genau weiß, dass er mit seinen Geschäften Existenzen bedroht, dann aloha Grillparty.«

»Das ist aber nicht sehr gerecht«, bemängelte Jakob. »Demnach kommt es nur auf das Gewissen des Täters an, nicht auf die Schwere der Tat.« Bill zuckte mit den Schultern.

»Es hat nie jemand behauptet, dass das System gerecht wäre.«

»Also Diebstahl, Mord und Ehebruch. Sonst noch etwas?«

»Gut, dass du fragst. Fast hätte ich den Zusatzartikel von 82 vergessen. Gewalt ist auch verboten. Darunter zählen physische als auch psychische Gewalt. Man darf niemanden zwingen, etwas zu tun, und anderen Menschen keinen körperlichen Schaden zufügen. Und bevor du wieder fragst: Nein, es zählt nicht, wenn du aus Versehen jemandem auf den Fuß trittst. Die Tat muss im vollen Bewusstsein des Täters geschehen.«

»Soldaten gibt's wohl keine im Himmel, was?«

Bill kratzte sich am Hinterkopf. »Schwieriges Thema. Dafür gibt es ein paar extra Paragrafen, die uns nicht weiter interessieren sollen. Ich kann dir sagen, dass keine der fünf Personen ein Soldat ist oder war.«

»Gut, also Mord, Ehebruch, Diebstahl, physische oder psychische Gewalt gegen andere«, zählte Jakob nochmals auf. »Wenn ich ein Anzeichen dafür sehe, dass die Person, die ich gerade begutachte, eine dieser Sünden begangen hat, kommt sie in die Hölle, richtig?«

»So ist es«, grinste Bill stolz. »Bleibt nur noch deine Unterschrift.«

Er legte einen knallroten Kugelschreiber, auf dem »Dance with the devil« stand, auf den Stapel Papier, der den Vertrag formte.

Jakob machte große Augen. Ein Vertrag mit dem Teufel. Wie sicher konnte er eigentlich sein, dass das nicht alles ein Traum war? So, dass Bill es nicht bemerkte, kniff er mit der einen Hand den Handrücken der anderen. Ein schwacher, aber nicht zu verkennender Schmerzimpuls breitete sich langsam in seinem Gehirn aus. Doch wenn er nun schlief und sich unbewusst im Schlaf kniff? Ging das überhaupt?

»Du musst nur unterzeichnen und der Spaß kann anfangen«, drängte Bill. Jakob räusperte sich. Da ihm immer noch nicht einfiel, wie er es formulieren sollte, sah er Bill kurz panisch an, bevor er sich erneut räusperte.

»Was ist denn los, Kleiner? Du warst doch eben noch so geschwätzig.«

»Nun ja …«

»Scheu dich nicht. Teil mir deine Bedenken mit. Ich werde dir schon nicht den Kopf abbeißen.«

»Versprochen?«, fragte Jakob ein wenig zu ernst.

Bill lachte herzhaft. »Ja, versprochen. Ich habe Untergebene, die solche Dinge für mich machen.«

Nachdem Jakobs Augen panisch sein Gegenüber fixierten, fügte der alte Mann noch hinzu: »Ein Scherz, bloß ein Scherz. Keine Sorge, hier wird erst einmal niemandem der Kopf abgebissen.«

»Nun gut«, war die wenig überzeugte Antwort. »Also, ich habe Filme gesehen und … nun … ein Vertrag mit dem Teufel war nie eine gute Idee. Bestimmt hast du irgendeine Klausel eingebaut, die mir den Triumph unmöglich macht.«

»Ich kann dich natürlich zu nichts zwingen, aber lass uns doch spaßeshalber deine Alternativen betrachten.«

Bill drehte sich wieder in seinem Bürostuhl Richtung Fernseher und schlug beherzt auf den alten Kasten. Die Szenerie des Krankenhauses wurde verzerrt. Nach einem Gewitter aus Kratzen, Krauseln und Blitzen flimmerte ein neues Schwarz-Weiß-Bild auf. Ein Mann Mitte vierzig war nun in einem winzigen Raum zu sehen. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden und starrte ausdruckslos ins Leere. Die Wände um ihn herum waren ihm dabei so nahe, dass er sie aus der sitzenden Position heraus alle hätte anfassen können. Nicht mal eine Tür war zu sehen.

»Darf ich vorstellen? Das ist Markus, oder Mark, oder … ach nennen wir ihn einfach Martin. Martin saß früher einmal genau an der Stelle, an der du dich jetzt befindest. Martin hielt sich für genauso clever wie du und meinte, dass man einen Vertrag mit dem Teufel keinesfalls unterzeichnen sollte. Seitdem sitzt Martin nun in diesem recht spartanisch eingerichteten Raum und wartet darauf, dass er endlich aus dem Koma erwacht. Die ersten Jahre mochte es vielleicht noch erträglich gewesen sein, doch seit 2011 ist er in diesem kokonähnlichen Zustand. Seit letztem Juni steht sein Mund so dämlich offen. Sehr unappetitlich, wenn du mich fragst. Sei klug und unterzeichne den Vertrag. Sei nicht wie Martin.«

Voller Entsetzen fragte Jakob: »Du sperrst also die komatösen Patienten einfach so in einen winzigen Raum ein, wenn sie nicht unterschreiben?«

Bill zuckte unschuldig mit den Schultern. »Was erwartest du denn?«

»Das ist Erpressung«, murmelte Jakob. Dann fragte er laut: »Gibt es denn Leute, die einen Vertrag mit dir geschlossen haben und danach wieder aufgewacht sind?«

»In der Tat, die gibt es. Doch aus Datenschutzgründen darf ich dir leider keine Bilder von ihnen zeigen.«