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Nr. 2706

 

Sternengrab

 

Die Schlacht bei Tephaya – eine Ära geht zu Ende

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben. Dort herrschen die Onryonen, die im Namen des Atopischen Tribunals die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern.

Als die JULES VERNE unter Reginald Bulls Kommando in die Auseinandersetzung eingreift, wird sie von den Onryonen erbarmungslos gejagt, während Bull andererseits versucht, einen der Atopischen Richter zu fassen. Zum Showdown kommt es am STERNENGRAB ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Reginald Bull – Der Unsterbliche versucht einen Marshall des Atopischen Tribunals zu überlisten.

Ghiyas Khosrau – Der TLD-Agent versucht zu verstehen, was mit ihm geschah.

Caileec Maltynouc – Ein Marshall des Atopischen Tribunals versucht, die JULES VERNE in seine Gewalt zu bekommen.

Jawna Togoya – Die Kommandantin der JULES VERNE erweist sich einmal mehr als treue Freundin.

NEMO – Die Positronik der JULES VERNE sieht sich einem Angriff aus den eigenen Reihen ausgesetzt.

1.

 

Es gab keine Ruhe. Weder im Schiff noch im freien Raum, der die JULES VERNE umgab.

In dem Hantelraumschiff, einst gebaut für eine Expedition in die ferne Vergangenheit und in der Gegenwart eines der mächtigsten Raumschiffe Terras, herrschten nach den Vorkommnissen der letzten Tage Unruhe und Angespanntheit. Was außerhalb der schützenden Metallhülle und den Schutzschirmen geschah, war mit dem Wort »Chaos« nur unzureichend beschrieben.

Ein Blitz, ein roter Schemen, raste auf die JULES VERNE zu. Er hatte optische Ähnlichkeit mit einem Kreissägeblatt und bewegte sich mit fast fünfzig Prozent Lichtgeschwindigkeit. Ein Schutzschirm flackerte auf.

Reginald Bull schloss kurz die Augen, und als er sie wieder öffnete, war von dem Phänomen nichts mehr zu sehen.

Es war eines von vielen, dem sie an diesem Ort begegneten. NEMO und die Führungsspitze an Bord hatten die Gefahr als unbedeutend eingestuft und sich in diesem Fall auf den Standardschutz verlassen. Der mit dem Blitz einhergehende Strahlenschauer war im Vorfeld analysiert worden. Es handelte sich um kosmische Strahlung geringer Teilchenflussdichte, die eine fünfdimensionale Komponente in sich trug. Vielleicht war es die Abart eines Jetstrahls, die auf dichte interstellare Materie getroffen war und nun eine hyperenergetische Stoßfront bildete, die bald wieder vergehen würde wie eine Welle, die am Strand sanft auslief.

Der Unsterbliche war sicher, dass in den Wissenschaftsabteilungen des Schiffs in diesen Augenblicken große Aufregung herrschte. Er war bereit, darauf zu wetten, dass bereits in den nächsten Minuten eine Forderung an Kommandantin Jawna Togoya gestellt werden würde: Diesem Phänomen sei nachzufliegen, schließlich ginge es um einen Eintrag in die Geschichtsbücher, um neue Erkenntnisse in der Erforschung hyperenergetischer Phänomene und natürlich wie so oft um eine bessere Dotierung des Forschungsbudgets sowie eine Besserstellung einzelner Abteilungen ...

Bull seufzte. Er kannte diese Spielchen nur zu gut. Die Forschung an Bord sah sich stets im Nachteil gegenüber dem militärischen Personal. Joska Oter, der als verantwortlicher Chefwissenschaftler beides unter einen Hut zu bringen hatte, verbrachte mehr Zeit als Mittler zwischen den beiden Gruppen denn mit seiner eigentlichen Aufgabe, die an Bord erzielten hoch spezialisierten Forschungsergebnisse allgemeinverständlich aufzubereiten.

Bulls Blicke richteten sich auf den zentralen Hologlobus und dort auf ein Abbild von Schwärze, die abgrundtief böse wirkte: Er hatte das Ziel ihrer Reise vor Augen.

Tephaya.

Ein Schwarzes Loch von etwa tausenddreihundert Sonnenmassen, mit einem Ereignishorizont von knapp 7700 Kilometern Durchmesser. Es war gewissermaßen der kleine, schlecht erzogene Bruder des Dengejaa Uveso, des zentralen Schwarzen Lochs der Milchstraße, das etwa zweiundzwanzig Lichtjahre entfernt lag. Tephaya galt als Sternengrab. Als Räuber, der schamlos unter den Sonnen in seiner Umgebung wilderte und unberechenbar war.

»Mir gefällt das ganz und gar nicht«, sagte Jawna Togoya.

»Ich hätte mir von einer Kommandantin mit Bioplasma-Komponente eine etwas genauere Zustandsbeschreibung ihres ... ähm ... Seelenlebens erwartet.« Bull runzelte die Stirn.

»Passe ich mich deiner Flapsigkeit an, ist es dir nicht recht. Bleibe ich analytisch und kühl, wie es mein positronischer Rechnerkern bevorzugt, erst recht nicht. Du machst es einem nicht leicht, Terraner.«

Bull schmunzelte und konzentrierte sich weiter auf das Abbild Tephayas.

Fünfhundert Lichtjahre noch. Dann war das Schwarze Loch erreicht und womöglich das Versteck eines Richters mit dem Namen Chuv, der dem Atopischen Tribunal angehörte – jener Gemeinschaft, die die Auslieferung Perry Rhodans und Bostichs verlangte, um die beiden Unsterblichen für Verbrechen anzuklagen, von denen eines erst in Zukunft verübt werden würde.

»Wie lange noch?«, fragte Bull den diensttuenden Piloten, Bert Cenda.

»Etwa drei Stunden«, antwortete der Marsianer. »Wir bleiben auf Schleichfahrt in Absprache mit NEMO. Der Flug verläuft, höflich ausgedrückt, nicht ganz nach unserem Wunsch.«

Bull nickte. Von den eigentlichen Schwierigkeiten während ihrer Anreise bekamen die meisten Besatzungsmitglieder nichts mit. Auch er als Befehlshaber konnte bloß mutmaßen, welche Schwerstarbeit der Dritte Emotionaut Wilhelm Steinic im Verbund mit der Schiffspositronik zu verrichten hatte. Der Mann war ein analytisches Genie, aber aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nur noch die »Drittbesetzung« auf diesem für das Schiff so eminent wichtigen Posten. Die Leistungsunterschiede im Verhältnis zu Rookal Zawatt und Suzie Quentin waren marginal. Doch in Kampfsituationen mochten sie entscheidend sein.

Bull schaute auf die Uhr. Die beiden ranghöheren Emotionauten hatten nach den Anstrengungen der letzten Tage eine zusätzliche Freischicht erhalten. Zawatt würde in vier Stunden seinen Dienst antreten, seine Stellvertreterin auf Bereitschaft abrufbar sein.

»Keine Sorge«, sagte Jawna Togoya, als hätte sie seine Gedanken erraten. »Wir haben alles unter Kontrolle.«

»Und die Hyperstürme?« Bull deutete auf einige rot markierte Epizentren hyperdimensionaler Verwerfungen. Dort verloren sich Grenzen zwischen Raum und Zeit. Dort geschahen Dinge, die selbst die größten Geister kaum zu erfassen und zu erklären vermochten.

»Sie sind derzeit relativ stabil und berechenbar«, antwortete die Posbi. »Nur dieser eine mit der Bezeichnung Asgarjoth macht mir Sorgen.«

»Warum?«

»Selbst Hyperstürme dieser Größenordnung unterliegen gewissen Gesetzmäßigkeiten. Anhand der Meganon-Skala bestimmen wir, welche Schäden sie verursachen könnten. Es gibt normierte Parameter, die uns darüber Auskunft geben. Doch Asgarjoth entzieht sich jeglicher Beurteilung.«

»Wie das?« Bull nahm den Sturm näher in Augenschein. NEMO stellte ihn auf seinen Wunsch hin in einem Holo als fein verästeltes Gebilde dar, als eine Art Kugelblitz, dessen Emissionsarme vom Zentrum ausgehend nach allen Richtungen griffen. Die Aufrisse, die eine zerstörerische Wirkung auf die Raumzeit ausübten, änderten ständig ihre Form und Größe.

Der Sturm wurde bislang mit einer Stärke von fündundfünfzig Meg angegeben. Manche Anzeichen sprachen jedoch dafür, dass mehr als zweihundert Meg möglich waren.

»Ich sehe da kein Problem.« Bull analysierte die Flugvektoren der JULES VERNE und die Lage Asgarjoths. »Es gibt keinerlei Berührungspunkte mit dem Sturm.«

»Derzeit nicht; aber das verdammte Ding wandert«, mischte sich Joska Oter in die Unterhaltung ein. »Es hat sich während der letzten Stunde etwa zwei Lichtjahre voranbewegt.«

»Bewegung wäre nichts Ungewöhnliches für ein derartiges Phänomen.«

»Aber nicht über zwei Lichtjahre hinweg.« Oter runzelte die Stirn und bewies einmal mehr, dass er den Spitznahmen Dackel zu Recht trug. »Wir haben bei der Wahl der Flugroute leider keine große Wahl. Die Gegebenheiten in der Nähe von Tephaya zwingen uns in ein recht starres Korsett. Irgendwann könnten wir mit Asgarjoth in Berührung kommen.«

Bull nahm es achselzuckend zur Kenntnis. Das Universum, so schien es, ließ sich nicht in Gesetzmäßigkeiten und Formeln pressen. Je mehr sie über Raum und Zeit in Erfahrung brachten, desto mehr Geheimnisse eröffneten sich ihnen.

»Ich verlasse mich auf euch. Achtet wie gehabt auf Fremdimpulse!«, schärfte er der Kommandantin und dem Piloten ein. »Wer immer in diesem Gebiet unterwegs ist, hat hier nichts zu suchen. Es wird von der zivilen Raumfahrt gemieden.«

»Das hast du uns bereits dreimal gesagt«, sagte Jawna Togoya. Sie lächelte.

»Wenn unsere Informationen richtig sind«, fuhr Bull unbeirrt fort, »müssen wir mit Wachmannschaften der Onryonen rechnen. Und wir wissen, was sie zu leisten imstande sind.« Er stand auf. Er war unruhig, noch unruhiger als sonst. Er meinte zu spüren, dass der Zellaktivator heftig zu arbeiten hatte. Es lag etwas in der Luft.

Ghiyas Khosrau, der Agent des Terranischen Liga-Dienstes, wurde nach wie vor in künstlichem Koma gehalten. Mediker kümmerten sich um seine schweren Verletzungen. Bull wurde stündlich über die Fortschritte bei der Gesundung informiert. Man hoffte, ihn in einigen Stunden aufwecken zu können.

Wenn wir das Ziel unserer Reise erreicht haben ...

Ihr zweiter Gast, Caileec Maltynouc, Onryone und ein Marshall des Richters Chuv, befand sich mittlerweile in Isolationshaft nahe der Medostation. Ihn wollte Bull aufsuchen. Ein erstes Gespräch war belanglos geblieben, doch dieses Mal wollte ihm Bull intensiv auf den Zahn fühlen.

 

*

 

»Bist du mit deiner Unterbringung zufrieden? Geht es dir gut?«, fragte Reginald Bull.

»Es geht mir den Umständen entsprechend. Meine Verletzungen heilen ausgezeichnet.«

Der Onryone hielt die Hände verschränkt vor der Brust. Er saß am Tisch, Bull gegenüber. Leicht zur Seite gedreht, die Beine ein wenig gespreizt. Sein Verhalten entsprach dem eines Menschen – und war zugleich vollkommen anders. Es war wie so oft, wenn der Unsterbliche mit einem fremden Wesen verhandelte: Das Gehabe schien um winzigste Nuancen verschoben. Es waren ungewohnte Gesten, eine andere Körperhaltung oder Bewegungen, die ein Terraner nicht ohne Weiteres einzuschätzen vermochte.

»Wie sieht es mit Nahrungsaufnahme aus?«

»Ich wurde gründlich untersucht. Man servierte mir eine geschmacklose, aber recht nahrhafte Brühe, die auf meine Bedürfnisse abgestimmt wurde.«

»Sehr gut. Dann lass mich zum Grund meines Besuchs kommen.« Bull hatte keine Zeit zu verschwenden. »Wir kennen deinen Namen, deinen Rang und deine Bedeutung in der Hierarchie des Atopischen Tribunals, Caileec Maltynouc.«

»Ich wage zu bezweifeln, dass du allzu viel über mich weißt. Aber rede ruhig weiter, Reginald Bull.« Der Marshall verzog die Mundöffnung ein wenig. Er brachte eine Art Lächeln zustande, das dem eines Terraners ähnelte.

»Du weißt, wer und was ich bin?«

»Selbstverständlich. Wir haben uns lange genug mit den in der Milchstraße etablierten politischen Systemen, den Machtverhältnissen und auch mit dem Personal auseinandergesetzt. Ein – relativ – Unsterblicher sticht einigermaßen aus der Masse der Entscheidungsträger hervor.«

Bull betrachtete sein Gegenüber eingehend. Der Onryone gab sich selbstbewusst. Die seltsame Stirnwucherung öffnete sich. Die faltigen Ränder warfen Wellen, klebten bald mal aneinander, liefen dunkel an oder stülpten Teile des Inneren geringfügig hervor, rosarotes Fleisch, das feucht wirkte.

Er roch. Nach ... nach Salbei. Oder nach Distelwurz von Plophos. Sobald Caileec Maltynouc die Arme geringfügig bewegte oder Atem ausstieß, war sein Eigengeruch deutlich wahrzunehmen.

»Dann weißt du auch, welche Rolle ich innehabe?«

»Derzeit bist du Befehlshaber an Bord der JULES VERNE, und ich bin mir sicher, dass du einen ungemein bedeutend klingenden Titel führst. Aber lassen wir all das einmal beiseite und reduzieren dich auf das Wesentliche: Du bist Perry Rhodans Wasserträger, Steigbügelhalter, die unausgesprochene Nummer zwei der terranischen Nomenklatura. Du spielst immer noch dieselbe Rolle wie damals, als du mit deinem Freund an Bord dieses Raketenschiffs namens STARDUST auf dem Mond landetest, der nun uns gehört.«

»Du verfügst über einen beeindruckenden Wortschatz, Marshall. Er ist groß genug, damit du dich in Zynismus üben kannst.«

»Ich würde es Sarkasmus nennen. Aber es stimmt: Ich beherrsche Interkosmo recht gut.«

»Wo und wann hast du es gelernt?«

»Ich wurde selbstverständlich auf meine Arbeit in der Milchstraße vorbereitet«, wich Maltynouc einer direkten Antwort aus.

»Wenn du mich so gut kennst, wie du vorgibst, Marshall, weißt du sicherlich auch, dass ich bereit bin, auch unorthodoxe Methoden anzuwenden, wenn sich jemand unkooperativ zeigt.«

Der Onryone kniff die Augen zusammen. Sein Körper wirkte zunehmend verkrampft.

»Du giltst als Hitzkopf, Reginald Bull, aber du bist kein zweiter Iratio Hondro. Folter ist ein Mittel, das du nur unter ganz gewissen Voraussetzungen in Erwägung ziehst. Diese Angelegenheit mit Imperator Bostich zum Beispiel ... Du hast sie niemals zur Gänze überwunden.«

Dieser Schweinehund ist gut informiert, zumindest will er mich das glauben machen! Bull bemühte sich, keine Regung zu zeigen. Sie tasteten einander ab, fochten mit Worten. Was der Marshall zu wissen glaubte oder andeutete, war in jeder besseren Biografie zu finden – und deren gab es genügend.

Aber er besaß auch eine Schwachstelle, wie Bull mittlerweile festgestellt hatte.

Er lachte laut. Übertrieben laut. »Du bist dir deiner Sache sehr sicher, Marshall.«

Maltynouc zeigte erstmals so etwas wie Unsicherheit. Er zog die Arme eng an den Körper, als wollte er sich kleiner machen. »Ich habe mich wie gesagt auf die Verhältnisse in der Milchstraße, so gut es ging, vorbereitet.«

»Und dennoch gingst du uns in die Falle.« Er klopfte mit den Fingernägeln gegen die Tischplatte, laut und unrhythmisch.

»Das ist bloß eine winzige Irritation in unseren Plänen. Wir werden Recht sprechen und diese Sterneninsel erlösen.«

Maltynouc machte eine Pause, als suchte er nach Worten. Seine Blicke richteten sich auf Bulls Hände. Verfolgten jede ihrer Bewegungen.

»Ich bin als Marshall des Atopischen Tribunals keineswegs unersetzbar. Solltest du wider Erwarten auf die Idee kommen, mir etwas anzutun, wird ein anderer an meine Stelle treten.«

»Natürlich, natürlich.« Bull registrierte den veränderten Geruch im Raum. Der Schwefelgestank gewann an Intensität, je nervöser sein Gesprächspartner wurde. Auch das »dritte Auge« – worum auch immer es sich in Wirklichkeit handelte – wirkte nun aktiver als zuvor. »Kehren wir zum eigentlichen Grund dieses gemütlichen Plauschs zurück: Wir haben vor, dem Richter Chuv in seinem Versteck namens Tephaya einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Was hältst du von dieser Idee?«

»Sie ist lächerlich. Niemand besucht einfach so ein Mitglied des Atopischen Tribunals.«

»Wir müssen also damit rechnen, dass man uns daran hindern möchte?«

»Du kannst davon ausgehen.«

»Ist Richter Chuv ein einsichtiger Mann? Würde er sich Argumenten beugen, die ich zugunsten Perry Rhodans und Bostichs vorbringen könnte? Wäre ich in der Lage, diesen Konflikt zu beenden, bevor er sich weiter ausbreitet?«

»Das Tribunal hat bereits eine Entscheidung gefällt, und ich bin mir sicher, dass es alle Für und Wider abgewogen hat. Da es der Meinung ist, dass die beiden Unsterblichen als Angeklagte erscheinen müssen, ist es so. Die Mitglieder der Liga Freier Terraner täten gut daran, die Integrität des Atopen nicht länger anzuzweifeln.«

»Was geschähe andernfalls?«

»Es ist aus der Rechtsprechung der LFT und der terranischen Geschichte hinlänglich bekannt, wie Helfershelfer eines Verurteilten zu behandeln sind. Sie machen sich mitschuldig.« Maltynouc hob seinen Stuhl vorsichtig an und glitt ein Stück zurück, weg vom Tisch zwischen ihnen.

»Mache ich dich etwa nervös, Marshall?«

»Nein, es ist ...« Maltynouc brach ab, so als wollte er nicht zu viel über sich und mögliche Schwächen verraten.

»Es ist dir zu laut, nicht wahr?«

Wieder entstand eine Pause. Der Schwefelgestank verzog sich, es roch nun scharf und stechend, ein wenig nach Eukalyptus.

»Du hast recht, Reginald Bull. Du verfügst über eine ungewöhnlich feine Beobachtungsgabe für einen Terraner. Und eine etwas weniger feine Art, dir die Bestätigung für deinen Verdacht zu holen. Das wieder scheint mir ein typisch terranisches Verhaltensmuster zu sein.« Maltynouc deutete auf Bulls Hände.

Bull hörte auf zu klopfen, augenblicklich entspannte sich das Wesen ihm gegenüber. »Ich wollte dich ein wenig kennenlernen. Ich wollte wissen, was du bereit bist zu sagen, wie weit ich dir vertrauen kann, was du für ein Wesen bist.«

»Du bildest dir also ein, etwas von onryonischer Verhaltenspsychologie zu verstehen? – Was für eine Anmaßung!«

»Ich denke, dass ich während der letzten Jahrtausende einige Erfahrungen sammeln konnte.«

»Dann solltest du wissen, dass jedes Fremdwesen anders ist. Dass es keine verbindlichen Regeln gibt. Dass es ein ganzes Leben brauchen würde, um den anderen wirklich zu verstehen.«

»Selbstverständlich. Aber womöglich hast du das Konzept einer Langlebigkeit nicht verinnerlicht, Marshall. Es hilft mir in dieser Beziehung sehr.« Bull lächelte. »Und wie sieht es mit den Mitarbeitern des Atopischen Tribunals aus? Interessieren sie sich für die fremdartigen Lebens- und Verhaltensweisen? Mein Eindruck ist, dass sie sich nicht darum scheren.«

»Das Tribunal urteilt. Nach bekannten und standardisierten Richtlinien, die einer ethischen Prüfung standhalten.«

»Wessen Ethos? Auch dem eines Terraners?«

»Vor allem dem eines Terraners.«

»Beweise es mir!«

»Das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin bloß ein Marshall. Der Erfüllungsgehilfe eines Richters.«

»Aber ein sehr hochgestellter Erfüllungsgehilfe, nicht wahr?«

»Über meine eigentliche Funktion darf ich dir leider keine Auskunft geben, Reginald Bull.« Caileec Maltynouc überkreuzte die Hände vor der Brust, wohl zum Zeichen dafür, dass er sich nicht weiter über dieses Thema unterhalten wollte.

Bull wechselte das Thema. »Dieses Organ über deiner Nase – es verdeutlicht deine Gefühlslage, nicht wahr?«

»Das war nun wirklich nicht schwer zu erraten.« Maltynouc nickte.

»Würdest du uns zur Verfügung stehen, um eine Art Bestandsaufnahme zu machen? Sodass wir wissen, was diese oder jene Bewegung bedeutet und warum sich das Organ auch mal dunkel verfärbt?«

»Ich denke darüber nach. Aber ich vermute, dass deine Ärzte ohnedies bereits mit Analysen meines Emot beschäftigt sind.«

»Selbstverständlich. Dennoch würde ich deine Mithilfe begrüßen. Auch hier geht es um mehr Verständnis füreinander.«

Maltynouc gab ein Geräusch von sich, das wohl Belustigung ausdrücken sollte. »Wie hast du es bloß geschafft, dir über all die langen Jahre deine Naivität zu bewahren? Versuchst du, mein Vertrauen zu erlangen? Glaubst du oder hoffst du, dass wir uns eines Tages als ... Freunde begegnen werden? – Ich bin Marshall des Atopischen Tribunals. Meine Arbeit schließt Freundschaften mit Leuten wie dir aus. Ihr habt euch Befehlen widersetzt, habt Mitarbeiter des Tribunals getötet, sorgt für Unruhe. Du wirst die Konsequenzen zu tragen haben. So wie alle, die sich gegen das Tribunal stellen.«

»Das werden wir sehen. Vorerst einmal bist du unser Gast. Ich würde es sehr begrüßen, wenn du mit uns kooperiertest. Ich mag von Folter nichts halten. Aber es gibt Leute an Bord der JULES VERNE, die nicht so zartbesaitet sind.« Bulls Gedanken wanderten zu Ghiyas Khosrau.

»Soll das eine Drohung sein?«

»Es ist lediglich ein Hinweis. Und die Bitte um Zusammenarbeit.«