Buchcover

Effes

Virginia

SAGA Egmont



Ich bin ihr nah, und war ich noch so fern

Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;

Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,

Wenn ihre Lippen ihn indes berühren!

Goethe, Faust I

Zwei Männer kamen wiegenden Schritts die Falmouth-Street entlang; sie schienen keine Eile zu haben. Ihre Augen unter den schmierigen Mützenschirmen linsten in die Gegend. Einer der beiden blieb stehen und lauschte. In der Ferne, jenseits der nebelfeuchten Dächer, schlug eine Uhr. „Jetzt ist es soweit“, sagte der Mann. Er spähte die düstere, von rußgeschwärzten Hauswänden gesäumte Straße hinunter, dorthin, wo sie eine Biegung machte, und die Dächer über ihr aneinanderzustoßen schienen. Schmutzige Nebelschwaden zogen über die Rauchfänge.

Der kleinere Mann nickte und drückte sich an eine Ziegelmauer. Er drehte sich um und beobachtete nervös eine Kutsche mit blauem Dach, die ihnen, von einem glattgestriegelten braunen Pferd gezogen, langsam nachgefahren kam. Der Kutscher hockte in seinem Mantel regungslos auf dem Bock und ließ die beiden Männer nicht aus den Augen.

Ein Passant torkelte vorbei, musterte die zwei Kumpane neugierig und verschwand in einem Haus. Ein paar Kinder, die sich vor Kälte in ihre Kragen duckten, liefen eilig vorüber. Irgendwo in einem der Häuser hustete ein Mann.

„Da ist sie!“ sagte der eine plötzlich.

Sein Begleiter warf einen kurzen Blick auf das schlanke Mädchen, das vor ihnen aufgetaucht war, und wandte sich gleich wieder ab. Das Mädchen, das ein kleines in Zeitungspapier gehülltes Paket trug, kam ihnen flotten Schritts entgegen.

Der Große machte eine fast unmerkliche Kopfbewegung und zwinkerte dem Kutscher zu. Der zog kurz an den Zügeln. Das Pferd spitzte die Ohren und verfiel in eine schnellere Gangart.

„He, Fräulein!“ sagte der Große. Er steckte einen Zigarrenstummel in den Mund und wandte ihr sein grinsendes Gesicht zu. Er hatte schütteres schwarzes Haar und buschig gesträubte Augenbrauen. „Haben Sie Feuer?“

Das Mädchen blieb nicht stehen. Sie sah die beiden nur an und wäre rasch an ihnen vorbeigegangen, hätten sie sich nicht, flink wie Buschklepper, auf sie gestürzt Der eine hielt ihr mit seiner schmutzigen Hand den Mund zu. Der andere umklammerte ihre Schenkel, und so schleppten sie sie zu der Kutsche. Der Kutscher bleckte grinsend die Zähne und langte seitlich hinunter zum Türgriff; die Tür flog auf. Im nächsten Augenblick war sie drinnen, die beiden Männer warfen sich auf sie, die Tür knallte zu, und schon rasselte die Kutsche davon.

Das Mädchen hatte nicht einmal Zeit gehabt, einen Hilfeschrei auszustoßen, so schnell war alles vor sich gegangen. Niemand schien den Vorfall bemerkt zu haben, niemand verfolgte sie.

Keuchend machten sie es sich in der engen Kutsche bequem. Einer der Männer hatte das Mädchen auf seinen Schoß gezerrt. Ihre verzweifelten Versuche, sich zu befreien, waren vergeblich. Rücksichtslos hielt er sie in seinem Griff. Währenddessen lugte der andere mit einem Ausdruck grimmigen Triumphes aus dem kleinen, ovalen Rückfenster.

„Wir haben die Sache goldrichtig aufgezogen, Runt“, sagte er. „Und dazu auch noch was Properes erwischt.“ Er bilckte dabei mit schmierigem Grinsen auf das verängstigte Mädchen; sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von dem ihren entfernt.

„Stellen Sie sich nicht so an, Fräuleinchen, weh tun werden wir Ihnen schon nicht.“

„Himmel!“ stieß Runt hervor. „Er steht mir! Halt ihre Beine, Mack!“

„Du wirst ihn da nicht reinstecken“, knurrte Mack ihn an. „Spider hat sich das ausdrücklich verbeten.“

„Ach, zum Teufel mit Spider. Der ist doch nicht hier, Mack.“

„Nein, habe ich gesagt“, zischte Mack, während er das Mädchen musterte. „Nein! Es hat keinen Sinn, das Risiko auf sich zu nehmen. Du kannst genug andere Puppen haben. Außerdem sieht die hier so aus, als ob sie noch eine Jungfrau wäre.“

Er grinste Virginia niederträchtig an und ließ seine Hände über ihre samtweichen Schenkel gleiten. Die Kutsche stieß und schaukelte. Das Getrappel der Pferdehufe dröhnte schmerzhaft in Virginias Ohren. Die schmalen Räder knirschten, als Kies und Dreck unter ihnen wegspritzten. Sie versuchte von Mack abzurücken, was ihr aber schon wegen der Enge des Raumes nicht gelang.

Um sie am Schreien zu hindern, hielt Runt mit den Händen ihren Mund so fest umklammert, daß ihre Wangen schmerzten. Sie versuchte vergeblich, ihn in die Hand zu beißen. Es gelang ihr auch nicht, einen der beiden Ganoven zu treten. Sie hatte nur soviel Spielraum, daß sie sich etwas hin und herwinden konnte. Gott, was mochten diese beiden Halunken bloß von ihr wollen.

Plötzlich begriff sie, was dieser Runt gemeint hatte, als er sagte: „Er steht mir.“

Sie konnte es unter sich fühlen. Etwas Hartes stieß gegen sie. Sie wußte, daß es sein Penis war, und sie fürchtete sich noch mehr. Ihr fielen die Gerüchte ein, die seit einiger Zeit über Mädchenhändler in Umlauf waren und überall das Lieblingsthema bildeten. Weiße Mädchenhändler sollten in diesem Teil Londons ihr Unwesen treiben. Solchen war sie nun in die Hände gefallen, sie war jetzt ganz sicher.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals bei diesem Gedanken. Sie fühlte sich schwach und hilflos. Erst allmählich beruhigte sie sich und langsam gewann sie wieder etwas Zuversicht.

Runt hielt sie zwar fest im Griff, aber er machte wenigstens nicht mehr den Versuch, sie zu vergewaltigen. Vielleicht war alles gar nicht so schlimm, wie sie glaubte. Was würde ihre Mutter wohl dazu sagen? Virginias Eltern waren alte und sehr arme Leute.

Sie hörte auf, sich zu wehren und versuchte jetzt, herauszufinden, wohin die Fahrt ging. Doch da die Fenster der Kutsche verhängt waren, konnte sie nichts erkennen. Nur einige Zentimeter über ihrem Kopf, zwischen den Füßen des Kutschers, sah sie einen schwachen Streifen Tageslicht.

Nach einer Weile öffnete sich an dieser Stelle eine kleine Klappe und der Kutscher rief zu ihnen herunter:

„Alles in Ordnung bei euch?“

„Alles klar, Jocko.“

Runts Penis attackierte sie noch immer. Er hatte sich mittlerweile vorgearbeitet und war jetzt zwischen ihre Hinterbacken geraten. Sie hatte es nicht verhindern können. Nur die Röcke trennten sie noch von dem Angreifer.

„Wirklich Mack, sie ist schon eine Wucht!“

Mack knurrte: „Klar ist sie das. Genau deshalb haben wir sie uns ja auch geschnappt. Mein Gott, Runt, dein ganzer Verstand steckt in deinem Schwanz!“

Virginia errötete. Sie wußte, was mit „Schwanz“ gemeint war. Unflätige Ausdrücke waren ihr nicht fremd. Aber selbst die übelsten Kerle der Falmouth-Street gaben auf ihre Worte acht, wenn Mädchen dabei waren, es sei denn, sie kannten sie sehr gut – so gut, wie sie Godfrey kannte, den Jungen, mit dem sie sich regelmäßig traf. Godfreys Schwanz hatte sie schon berührt, ja, sie hatte ihn sogar schon in der Hand gehalten.

Aber mit dem von Runt wollte sie nichts zu tun haben. Vorsichtig nahm Runt die Hand von ihrem Mund. „Sie werden doch nicht schreien, Fräuleinchen?“

Virginia schnappte nach Luft. Ihre Kieferknochen schmerzten von dem Druck seiner Finger. Sie schüttelte den Kopf. Seine Hand blieb nahe bei ihrem Mund, und sie wußte, daß er sofort zuschlagen würde, wenn sie schrie.

Mack grinste sie boshaft an. „Der kleinste Schrei, Mädchen, und wir stecken dir einen Schwanz in den Mund, verstanden?“

Sie schauderte. „Ja.“

„Wie heißt du?“

„Virginia.“

„Virginia heißt du?“ Mack schien interessiert. „Was für’n Zufall! Das süßeste Häschen in Bainbridge Wells hieß auch Virginia, Virginia Parker. Fickte wie ‘ne besoffene Ziege.“

In der schaukelnden Kutsche kam sein Gesicht ganz nahe an das des Mädchens heran. „Schon mal gefickt worden, Fräuleinchen?“

Virginia senkte errötend den Kopf.

„Besorgen wir es ihr doch, Mack“, drängte Runt. „Himmel, ich hab’ schon ganz das Gefühl, als ob ich ihn drin hätte.“ Mit Schwung rammte er seinen Penis in ihr Hinterteil, so daß sie in die Höhe fuhr. Seine Hände griffen nach ihren Brüsten.

„Mach nur so weiter!“ sagte Mack unwillig. „Spider wird’s dir schon zeigen. Wenn er dich feuert, soll’s mir egal sein.“ Runt ließ ein mißvergnügtes Grollen hören. Aber seine Hände kneteten weiter ihre Brüste. Ihr Jammern und ihre Versuche, ihn durch Kratzen und Beißen daran zu hindern, konnten ihn nicht davon abbringen.

Inzwischen ging die Fahrt durch unzählige Straßen und Gäßchen. Die Häuserwände warfen das Echo der Pferdehufe vielfach zurück. Virginia, die an sich diesen Teil der Stadt gut kannte, hatte bald keine Ahnung mehr, wo sie sich befand. Da die Sicht nach draußen versperrt war, war es ihr unmöglich, die Fahrtrichtung festzustellen. Gerade rumpelte die Kutsche über eine Brücke. Dann ging es über Kopfsteinpflaster weiter. Mehr konnte sie nicht herausfinden. Sie gab es daher auf, sich weiter darauf zu konzentrieren.

Die Fahrt dauerte ungefähr eine Stunde. Runt hatte inzwischen aufgehört, mit seinem Penis auf sie einzustoßen. Er begnügte sich nun damit, ihn an ihren Schenkeln zu reiben und mit ihren Brüsten zu spielen. Virginia blieb nichts anderes übrig, als ihn gewähren zu lassen.

Mack grinste von Zeit zu Zeit zu ihr hinüber. Auf ihr Jammern und Fragen antwortete er nur: „Du wirst schon noch früh genug merken, was los ist, Mädchen.“

Sie bogen in einen Hof mit Stallungen ein. Jocko sprang sofort vom Kutschbock und öffnete ein großes Tor. Virginia nahm das jedenfalls an, denn sie hörte Türangeln quietschen. Dann fuhr die Kutsche in das Innere eines Gebäudes.

„In Ordnung“, rief Jocko mit gedämpfter Stimme. Dann hörte sie, wie das Tor zugeschlagen und verriegelt wurde. Virginia schauderte. Sie waren offensichtlich am Ziel angelangt. Was mochte sie wohl jetzt erwarten?

Sie wurde aus der Kutsche gezerrt und befand sich in einem übelriechenden, stallähnlichen Raum, der stockfinster war. Vor ihnen stand ein riesiger Wagen, neben dem die Kutsche winzig klein wirkte.

„Komm weiter“, sagte Mack und packte sie am Arm.

In dem Raum roch es muffig, als ob seit längerer Zeit niemand mehr darin gewohnt hätte. Virginia bemerkte an den Fenstern schmutzige Vorhänge und eine helle Staubschicht auf dem Fußboden. In dem Staub hatten Fußspuren schmale Abdrücke hinterlassen, die vor einer Tür endeten, die anscheinend in den Keller führte. Vor der Tür blieben sie stehen und Mack zündete eine Kerze an, die er aus einer Nische geholt hatte. Dann gingen Mack und das Mädchen die Treppe hinunter. Runt und Jocko blieben zurück.

Wieder schlug ihr das Herz bis zum Halse. Mack hielt sie mit eisernem Griff am Handgelenk fest und sie wußte, daß sie ihm niemals entkommen konnte.

Auf den Stufen der rohgezimmerten Treppe hallten die Schritte dumpf und furchterregend. Bevor sie die unterste Stufe erreicht hatten, öffnete sich eine Tür und ein Mann starrte zu ihnen herauf. In der einen Hand hielt er eine Laterne, in der anderen eine Pistole.

„Ich bin es“, sagte Mack leise. „Ich hab’ das Mädchen erwischt.“

„Irgendwelche Schwierigkeiten?“

„Nein, nichts.“

Virginia biß sich auf die Lippen. Das mußte der Mann sein, den sie Spider – die Spinne – genannt hatten. Und wie eine Spinne sah er auch aus. Seine Arme waren lang und dünn, seine Beine spindeldürr. Er betrachtete sie aus den Augenwinkeln.

„Ja. Das ist sie. Das ist das Finch-Mädchen.“

Er steckte die Pistole ein und winkte sie in einen Raum. Virginia hörte, wie die Männer miteinander flüsterten. Dann stieg Mack wieder die Treppe hinauf. Sie war mit Spider allein. Der Raum war klein und schmutzig, nur ein Tisch und zwei Stühle standen darin. Die gekalkten Wände waren mit Bleistiftkritzeleien übersät Virginia wandte sich um und sah Spider mit großen, erschrockenen Augen an.

„Was werden Sie mit mir machen?“

Ein Lachen verzog die Hälfte seines bleichen, maskenhaften Gesichts zur Grimasse.

„Ficken werde ich dich, Mädchen“, sagte er freundlich.

Virginias Herzschlag setzte aus. Also doch Mädchenhändler! Sie wurde fast ohnmächtig. Der ganze Raum drehte sich vor ihren Augen und wurde farblos und verschwommen. Sie biß die Zähne zusammen und kämpfte gegen ihre Angst an. Spider stand hinter dem Tisch und beobachtete sie mit boshaftem Lächeln.

„Setzen! Setz dich!“

Willenlos ließ sie sich auf den staubigen Stuhl fallen. Sie preßte beide Hände vor die Brust und rang nach Luft. Ihr Herz klopfte wie rasend. Ohne Zweifel war sie in die Hände von Kidnappern und Räubern geraten. Man hatte sie gestohlen wie einen Sack Kohlen. Sie hatten es auf ihren Körper abgesehen.

„Reg dich nicht auf“, sagte Spider, „wir werden dich schon nicht umbringen. Die Behandlung wird dir eher gut bekommen. Wie wäre es mit einem ordentlichen Tropfen?“ Er griff nach einer braunen Flasche, entkorkte sie, roch daran und hielt sie einladend in die Höhe.

Sie holte tief Luft. Ein Schluck würde ihr jetzt vielleicht guttun. Sie nickte.

Er lächelte und füllte ein schmutziges Glas, das er ihr hinschob. „Trink aus! Ist gut für die Nerven. Wird dich in Schwung bringen!“

Sie leerte das Glas mit einem Zug, wie sie es bei Männern gesehen hatte. Dann stieß sie einen Schrei aus, sprang auf und klammerte sich an den Tisch. Das Zeug brannte in ihrer Kehle wie Feuer und nahm ihr die Luft.

„Heiliges Kanonenrohr!“ lachte Spider überrascht. „Das ist kein Wässerchen, das man so einfach in sich reinkippt. Das hättest du langsam trinken sollen, Mädchen!“

Virginia sank wieder auf den Stuhl, den Mund weit geöffnet, die Hände an der Kehle. Sie glaubte zu verbrennen. „Wasser!“ krächzte sie.

Spider nickte mit hinterhältigem Lächeln. Er holte von draußen eine Tasse Wasser und hielt sie ihr hin. Gierig nahm sie einen großen Schluck. Das Wasser kühlte Zunge und Kehle. Es schmeckte seltsamerweise stark nach Milch. Als sie zu ihm aufsah, bemerkte sie, daß er eine Zigarre zwischen den dünnen Fingern rollte und sie dabei erwartungsvoll anstarrte.

Das Brennen ließ allmählich nach. Spider zündete sich die Zigarre an und beobachtete Virginia. Sie fühlte sich beschwingt und leicht schwindelig.

„Darauf wirst du gut schlafen, Mädchen“, sagte Spider und kam um den Tisch herum.

Virginia versuchte, vom Stuhl hochzukommen, aber sie fiel benommen zur Seite. Spider fing sie mit seinen langen Armen auf. Ein böses Lächeln lag auf seinem Gesicht. Das Mädchen gehörte zu der appetitlich-runden Sorte – genau sein Geschmack!

Er hob sie auf und trug sie aus dem Zimmer zu einer Treppe, die weiter hinunterführte. Unterwegs hielt er an und warf sich das Mädchen wie einen Mehlsack über die Schulter. Unten angekommen, zündete er eine Kerze an und stieß die Tür auf. Der Raum war eng wie eine Zelle. Er enthielt eine Pritsche, eine Holzkiste und einen Nachttopf.

Er stellte die Kerze auf die Kiste und ließ Virginia auf die Pritsche herabgleiten. Zufrieden lächelnd sah er auf das betäubte Mädchen. Sie würden eine ganze Menge für sie bekommen. Isham Sykes würde die Arbeit dieses Vormittags zu schätzen wissen.

Spider bückte sich, warf ihre Röcke hoch und zog ihr den Schlüpfer aus. Himmel! Sie war gebaut wie eine Venus. Was für Beine und Schenkel! Sein Gesicht wurde heiß. Unwillkürlich fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Mack hatte recht. Nachdem er die ganze Gegend ausgekundschaftet hatte, hatte er geschworen, daß Virginia Finch das schönste Mädchen weit und breit sei. Mack kannte sich da aus. Er hatte sich wirklich eine Sonderprämie verdient. Die sollte er haben, gleich morgen.

Seine Finger fuhren durch ihre flaumigen Schamhaare. Er brachte die Kerze näher heran und betrachtete eingehend den delikaten Gegenstand männlicher Wünsche und Träume. Grinsend drückte er ihre Schenkel auseinander und seine Finger fuhren zwischen ihre Schamlippen. Weit kam er jedoch nicht, sie war trocken und eng. Seufzend hielt er inne und bedeckte ihre Nacktheit wieder.

Ihren Schlüpfer nahm er an sich und ging wieder die Treppe hinauf. Das Mädchen ließ er im Dunkeln zurück. In fünf oder sechs Stunden würde sie ausgeschlafen haben. Dann wollten sie zur Sache kommen. Inzwischen schickte er nach Willie.

*


Isham Sykes war neunundvierzig Jahre alt; er hatte eine Frau und zwei Kinder und besaß ein Haus in einer angesehenen Gegend. Er war ein fast kahler, bartloser kleiner Mann, der mit Erfolg versuchte, wie ein normaler Geschäftsmann zu wirken.

Sykes war Freudenhausbesitzer. Er besaß in London fünf solcher Etablissements. Außerdem hatte er einige Verbindungen zum Kontinent. Catherine, seine Frau, zeigte für die Geschäfte ihres Mannes kein Interesse. Sie lebte in dem Glauben, daß er sein Geld in irgendeiner Sparte des Großhandels verdiene. Kam das Gespräch auf dieses Thema, so pflegte sie ihn jedenfalls immer als Großhändler zu bezeichnen. In jenen Tagen war es für eine Ehefrau weder schicklich, noch erwartete man es von ihr, daß sie den Geschäften ihres Mannes besondere Aufmerksamkeit schenkte. Für sie war allein wichtig, daß er Kinder zeugte und für den Unterhalt der Familie aufkam.

Sie wäre niemals auf den Gedanken gekommen, daß ihr Mann sie und die Kinder hauptsächlich deshalb brauchte, um sich den Anschein eines ehrbaren Familienvaters und Geschaftsmannes zu geben. Niemand sollte hinter dem äußerst respektablen Herrn Isham Sykes einen Mädchenhändler und Freudenhausbesitzer vermuten.

Sykes hatte sich eine schlagkräftige Organisation aufgebaut. Seine rechte Hand war Spider Huffstot, ein Mann, der sich auf die kriminellen Elemente verstand, mit denen sie es oft zu tun hatten. Spider und nur ein paar andere Männer kannten ihn persönlich als Boß des Unternehmens. Sykes hielt sich nach Möglichkeit im Hintergrund und begnügte sich damit, die Fäden in der Hand zu halten und das Geld zu kassieren. Die Polizei war zwar nicht besonders aufdringlich, aber Sykes war der Meinung, je weniger Leute ihn kannten, desto weniger könnten ihn verraten.

Jeden Morgen um acht Uhr verließ er das Haus in Hampden Lane in seiner Kutsche, die sein schwarzer Diener Nathan lenkte. Nathan war nicht mehr der Jüngste. Er hatte seinem Herrn jetzt beinahe zweiundzwanzig Jahre treu gedient. Sykes konnte sich ganz auf ihn verlassen. Nathan fuhr ihn die fünf Meilen bis zu dem schäbigen Büro in der Gerrard-Street. Nachdem Sykes hinaufgegangen war, brachte Nathan Pferd und Wagen in einen Stall und bezog im Gang vor dem Büro Posten, um seinen Herrn zu bewachen. Sykes hatte eine Alarmanlage aus Glocken anbringen lassen, mit der ihn sein Diener vor Besuchern oder vor der Polizei warnen konnte.

Jeden Morgen kamen Spider und seine Puffmütter, um über den Fortgang der Geschäfte zu berichten und, was am wichtigsten war, die in der vergangenen Nacht eingenommenen Gelder abzuliefern. Außerdem waren gewisse Spesen und Ausgaben zu begleichen. Sykes hatte für diesen Zweck und für sonstige Notfälle eine eigene Kasse, die auch dauernd in Anspruch genommen werden mußte.

Sykes preßte das äußerste aus diesem Geschäft heraus. Er war nicht der Mann, der einen Fehler verzieh oder vergaß, sondern er war raffgierig und selbstsüchtig und bestand darauf, daß auch der letzte Pfennig an ihn abgeliefert wurde. Häufig machte er Uberraschungsbesuche in seinen verschiedenen Häusern. Auf diese Weise hoffte er, Unregelmäßigkeiten oder einen Verstoß gegen die von ihm aufgestellten Regeln zu entdecken. Sykes war ein Mensch, der gerne Fehler fand – und der noch lieber bestrafte.

Nachdem der finanzielle Teil abgewickelt war, kam Spider auf das Mädchen zu sprechen.

„Mack brachte sie an. Sie heißt Virginia Finch. Ist jung und sieht gut aus.“

Sykes nickte und leckte sich mit seiner roten Zunge affektiert die Mundwinkel.

„Klasse-Mädchen?“ fragte er interessiert.

„Man könnte was aus ihr machen.“

„Rosa braucht dringend ein Klasse-Mädchen. Kommt sie dafür in Frage?“

Spider nickte und zeigte sein schiefes Lächeln. „Ich glaube, die Kleine hat mächtig Feuer. Letzte Nacht mußten wir sie anbinden, so hat sie geschrien und sich gewehrt. Direkt schade, daß Sie sie kleinkriegen werden.“

Sykes zuckte die Schultern. Er wußte, daß Spider festgestellt hatte, ob das Mädchen nicht etwa einflußreiche Freunde oder Verwandte besaß, bevor er es hatte fangen lassen. Es durfte keine Komplikationen geben. Wenn ein Mädchen seinem Unternehmen einverleibt wurde, gab es kein Zurück mehr. Sie wurde so lange eingesetzt, bis sie für dieses Geschäft unbrauchbar geworden war. Je nach Lage der Dinge entschied man dann über ihr weiteres Shicksal.

„Willie wird sie schon zähmen“, sagte Sykes, „paß auf, daß er sie dabei nicht ruiniert. Wenn sie soweit ist, laß sie zu Rosa bringen.“

Spider nickte wieder. Seine ausdruckslosen Augen hafteten an den Geldkassetten, die hinter Sykes standen. Als Sykes ihn jedoch ansah, war sein Gesicht starr wie eine Maske.

„Es wird ihre Hochzeitsnacht. Wollen Sie dabei sein und zuschauen?“ Sykes lächelte schmierig.

„Geh schon voraus. Ich will noch das Geld in den Safe packen.“

„Fahren wir zu Rosa?“

„Ja, laß den Wagen Vorfahren.“

Spider verließ das Zimmer. Gedankenverloren ging er die Treppe hinunter und schlug sich dabei auf die Schenkel. Isham Sykes war ein ganzes Stück kleiner als er und älter war er auch. Warum ging er nicht einfach um den verdammten Schreibtisch herum, legte seine langen Finger um Sykes’ Hals und drückte zu? Er war sicher, daß er Sykes kräftemäßig überlegen war. Zähneknirschend überlegte er: was ihn davon abhielt, war nur seine Angst vor Sykes; so einfach war das! Sykes würde ihn ohne zu zögern töten. Dann würde er die Leiche verschwinden lassen – seine Leiche. Er wußte, daß Sykes ihm trotz ihrer langen Partnerschaft nie ganz traute. Er wußte auch, daß Sykes ein langes, dünnes Messer bei sich trug. Er hatte es gesehen. Aber nicht das Messer fürchtete er, sondern Sykes selbst. Der Mann war durch und durch bösartig. Darüber konnte auch seine gespielte Gelassenheit nicht hinwegtäuschen. Sykes hatte überhaupt kein Gewissen.

Spider beauftragte Nathan, die Kutsche aus dem Stall zu holen und wartete geduldig auf seinen Meister. Er war in unauffälliges Dunkelbraun gekleidet. Zu seiner Ausrüstung gehörten zwei Messer. Das eine trug er über der Brust im Kragen verborgen, das andere steckte im Schaft seines Stiefels. Sykes erlaubte seinen Männern niemals, in der Öffentlichkeit Feuerwaffen zu tragen. Ein Messer oder ein Totschläger reichten normalerweise vollkommen aus. „Wir fahren zu Rosa“, sagte er zu Nathan. Der nickte gravitätisch und bestieg den Kutschbock.

Im Wagen zündete sich Sykes eine Zigarre an und sah versonnen aus dem Fenster. „Rosa hat zwei Mädchen, die sich eine Pause verdient haben. Sie will sie loswerden.“

Spider brummte vor sich hin. Das hieß, daß man wieder einmal zwei Mädchen verschwinden lassen mußte – eine Arbeit, die ihm nicht besonders lag. Das Risiko war zu groß. Die Sache konnte anders verlaufen als geplant. Auch Erpressungsversuchen war man ausgesetzt. Er kannte sich auf diesem Gebiet sehr gut aus und wußte auch, daß Sykes nicht mehr als eine ganz vage Vorstellung von diesen Dingen hatte. Sykes befahl einfach und erwartete von ihm, daß er die schmutzige Arbeit tat, und zwar ohne lange zu fackeln. „An welche Art von Pause haben Sie gedacht?“

„An eine ewige sozusagen“, sagte Sykes hämisch und schaute ihn an wie eine Eidechse. „Die beiden haben Feuer – oder besser gesagt – sie hatten es. Aber man kann nie wissen, ob sie sich nicht daran erinnern. Wir wollen es nicht darauf ankommen lassen.“

„Können wir sie nicht verkaufen?“

„Nein, ich sagte doch gerade, daß wir es nicht darauf ankommen lassen wollen!“

Spider nickte und kratzte sich am Kinn. Also wieder mal die Sümpfe! Sie mußten die beiden nach Mitternacht dort hinausbringen und im Morast versinken lassen. Er seufzte. Frauen umzubringen war zum Kotzen, selbst dann, wenn es Huren waren. Sein Gesicht nahm wieder die gewohnten maskenhaften Züge an. Er wollte Sykes nicht merken lassen, daß ihm solche Dinge Kopfzerbrechen machten oder ihn gar beunruhigten. Dafür wurde er zu gut bezahlt. Auch war es jetzt immerhin schon einige Zeit her, daß er das Gefängnis von innen gesehen hatte.


Madame Rosa war ein dürres Frauenzimmer mit grauem Gesicht und kleinen Luchsaugen. Sie trug ein einfaches dunkles Kleid und ihre Haare waren so kunstvoll frisiert wie die einer Fürstin. Sie begrüßte Sykes mit einem routinemäßigen Lächeln und blinzelte über Sykes Kopf hinweg zu Spider hinüber. Sie führte die beiden in einen kleinen Raum. Dann läutete sie und ließ Tee kommen. Sie war eine Frau, die einiges von den Annehmlichkeiten des Lebens hielt.

Spider war von dem Tee-Zeremoniell ausgeschlossen. Er begab sich in den hinteren Teil des Hauses, wo er Peg, Madame Rosas Assistentin, traf. Peg war klein und trug ihr Haar kürzer als die meisten Frauen, und streng nach hinten gekämmt. Auch ihre Kleider ließen einiges an weiblichem Raffinement vermissen. Ihre Erscheinung und ihre ganze Art übten nur einen sehr kläglichen Reiz auf das andere Geschlecht aus. Sie hatte kein Make-up aufgelegt, selbst auf Puder verzichtete sie und ihre Stimme war tief.

„Ich nehme an, du kommst wegen Miriam und Reba?“ fragte sie Spider.

Der zuckte die Schultern. „Wie sie heißen, weiß ich nicht.“ Peg lag ihm nicht besonders, aber er wußte, daß sie äußerst tüchtig war.

„Rosa sagt, daß sie nach Frankreich gebracht werden sollen …“

„Ja.“ Spider nickte ernst, so wie Nathan es gewöhnlich tat. Was Peg und Rosa nicht wußten, konnte ihnen und auch ihm nicht schaden.

„Ja, ein paar Pfund werden wir für sie sicher noch bekommen. Wahrscheinlich werden sie in Nordafrika in einem Soldatenpuff landen.“

Peg schüttelte seufzend den Kopf. „Ist das nicht scheußlich?“

„Ja, scheußlich. Wo sind die Mädchen?“

Peg wandte sich um und ging vor ihm eine Hintertreppe hinauf.

„Die meisten werden noch im Bett sein. Gestern nacht war hier einiges los. Geschlossene Vorstellung, verstehst du?“

„Ja, versteh’ schon.“

Sie gingen in den zweiten Stock, einen tapezierten Gang entlang. Nichts rührte sich im Haus. Peg blieb vor einer Tür stehen.

„Das hier ist Rebas Zimmer.“

Spider sah die Frau an. „Ich werde mit ihr reden.“

Peg öffnete die Tür und schob ihn in das Zimmer. Es war eine kleine Kammer mit einer Rosenknospentapete – Rosas Markenzeichen. Unter einer Gaslampe stand ein Waschtisch mit Schüssel und Krug. An den Wänden hingen zwei billige Radierungen, ein paar bunte Bänder und Bilder aus Magazinen. Auf dem Doppelbett lag ein Mädchen und schnarchte.

„Weck sie nicht auf!“ Spider ging auf das Bett zu und betrachtete das schlafende Mädchen. „Das ist Reba?“

Peg beugte sich prüfend vor. „Ja, das ist sie.“

Spider nickte und verzog den Mund. Das arme Ding war blond, zumindest gab sie sich Mühe, blond zu sein. Man sah aber, wie das Haar dunkel nachwuchs. Ihr einstmals hübsches Gesicht war faltig, die Haut schlaff. Peg hatte die Vorhänge zurückgezogen. In dem grellen Tageslicht sah Reba mitleiderregend aus. Sie hatte eine lange Nase und ihre Zähne fingen an, gelb zu werden.

Spider wandte sich ab. Er würde sie jetzt wiedererkennen. Sein Gesicht war starr, als er zu Peg hinübersah. Sie schlossen die Vorhänge und verließen das Zimmer.

„Miriams Zimmer ist im nächsten Stock.“

Sie gingen die Treppe hinauf und betraten das erste Zimmer. Es sah ähnlich aus wie das von Reba: Rosenknospentapete und die gleiche Einrichtung. Nur die Bilder waren anders und die Tapete schmutzig und verschlissen. Spider dachte bei sich, daß Miriam nicht gerade das beste Zimmer bekommen hatte.

Miriam saß auf dem Bett, ihre Füße waren nackt. Sie trug einen verknitterten, rosaroten Morgenrock, der vorne weit auseinanderfiel, so daß Spider ihre nackten, schlaffen Brüste sehen konnte. Miriam machte keine Anstalten, den Morgenrock zuzubinden. Sie sah die beiden nur an und gähnte.

Spider kannte viele Mädchen, hatte sich aber nie die Mühe gemacht, sich ihre Namen zu merken. Auch Miriam kannte ihn offensichtlich.

„Morgen“, sagte er und sah zu, wie sich das Mädchen ausgiebig kratzte. Er wußte, daß Peg sie normalerweise deswegen zurechtgewiesen hätte.

„Gott“, sagte Miriam seufzend und räkelte sich, „was für eine Nacht! Ich bin kaum zum Trinken gekommen.“

„Zieh dich um“, sagte Spider, „und pack deine Sachen zusammen. Ich schicke heute nacht jemand vorbei, der dich abholt.“

Miriam zog die Brauen hoch. „Wohin?“

„In ein anderes Haus, meine Liebe“, sagte Peg.

Spider brachte Peg mit einem leichten Rippenstoß zum Schweigen.

„Du kommst nach Whitefield. Das ist ein Städtchen auf dem Land.“

„Auf dem Land?“

„Wird ‘ne erholsame Zeit werden“, meinte Spider. „Wir brauchen dort ein paar Mädchen. Hast du keine Lust, aufs Land zu gehen?“

„Doch!“ Miriam lächelte und fuhr sich mit der Hand über die Lippen. Sie setzte sich auf und strich ihr strähniges Haar zurück. Sie war dunkel und untersetzt. In ihrem Gesicht begannen sich die Adern abzuzeichnen wie bläuliche Würmer.

„Na schön. Sieh zu, daß du rechtzeitig fertig wirst.“ Spider ging zur Tür und schob Peg vor sich her. Als er die Tür zugemacht hatte, sagte er zu Peg: „Ihr Typ wird da ganz gut ankommen.“

Er wußte, daß Miriam ihn noch hören konnte. Warum sollte er dem Mädchen nicht eine Freude machen?

Peg fragte: „Warum hast du ihr diese Geschichte aufgetischt? Ich denke, sie soll nach Frankreich verkauft werden?“

„Klar, soll sie ja auch. Aber wir übergeben sie den Franzosen schon in Whitefield – das ist ein kleiner Ort an der Küste.“

Er sah, daß Peg sich damit zufriedengab und folgte ihr die Stufen hinunter. Einen Ort, der Whitefield hieß, gab es an der ganzen Küste nicht.