Fußnoten

 

1 Eingebildete Frau

2 Mit Hahnrei wird ein Ehemann bezeichnet, dessen Ehefrau fremdgegangen ist.

3 Kleines Kind

 

 

Pforte zur Hölle

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Band 58

 

Pforte zur Hölle

 

von Michael Marcus Thurner und Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2019

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die eBook-Manufaktur

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind.

Michael Zamis, seine Frau Thekla und Coco reisen nach Rumänien. Dort, auf der Temeschburg, findet die Testamentseröffnung der Fürstin Bredica statt, einer Großtante Michaels. Hier trifft er seine ehemalige Geliebte Florentina wieder – und seine uneheliche Tochter Juna, die er bisher verschwiegen hat. Juna hat eine grausame Vergangenheit hinter sich – die sie auf der Temeschburg einzuholen droht.

Das in Aussicht gestellte Erbe der Fürstin erweist sich als Lockvogel, damit diese ihre Jugend wiedererlangen kann. Michael, Thekla und Coco Zamis sowie Juna und auch Skarabäus Toth entkommen der tödlichen Intrige nur knapp. Der Rückweg nach Wien führt durch den sagenumwobenen, dämonenverseuchten Hoia-Baciu-Wald. Dort werden sie von einem unsichtbaren Gegner attackiert. Jeder Einzelne muss fortan um sein Leben kämpfen: Coco Zamis gelangt in ein Dorf, das von der Außenwelt abgeschnitten scheint. Bei dem verzweifelten Versuch, daraus zu fliehen, wird sie von Schwärmen von Fliegen attackiert. Ihr Vater, Michael Zamis, hat unterdessen in demselben Dorf eine Unterredung mit einem Dämon namens Beelzebub, der über die Ansiedlung herrscht. Der Dämon versucht Michael dazu zu gewinnen, mit ihm gegen Asmodi vorzugehen, doch Michael lehnt ab …

Unterdessen wird klar, dass Skarabäus Toth, der Schiedsrichter der Schwarzen Familie, einmal mehr ein doppeltes Spiel betreibt: Er bereitet für Beelzebub dessen Herrschaft in Wien vor.

Die verbliebenen Zamis-Sprösslinge Adalmar, Lydia und vor allem Georg, der das Erbe seines für tot erklärten Vaters Michael anzutreten anstrebt, halten dagegen.

Georg hat jedoch keinen leichten Stand. Er wird von den Wiener Dämonen nicht akzeptiert. Da tauchen Coco und ihre Eltern unverhofft wieder auf. Michael Zamis nimmt das Zepter wieder in die Hand, und es gelingt der vereinten Familie, Baalthasar Zebub zu schlagen …

Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter. Dabei erfährt Coco Zamis einen ganz besonderen Exorzismus: Ihre böse Seite gewinnt die Oberhand. Mit wessen Hilfe Michael Zamis das geschafft hat, bleibt erstmal sein Geheimnis.

Coco wird unterdessen aufgewiegelt, dass ihre Halbschwester Juna ihr das Café streitig machen wolle. Kurzerhand versetzt Coco sie mithilfe des Zwerges Ficzkó in die Vergangenheit – in die Dienste der berüchtigten Blutgräfin.

Doch Juna taucht in der Gegenwart wieder auf – als Puppe. Georg Zamis, der inzwischen seine Gefühle für Juna entdeckt hat, entführt sie kurzerhand und versteckt sich mit ihr im Haus der Callas. Coco findet es heraus und zwingt Ficzkó, Juna erneut auf magische Weise in die Vergangenheit zu entführen. In letzter Sekunde springt Georg hinzu. Alle drei werden von dem Sog erfasst und gelten seitdem als verschollen.

 

 

Erstes Buch: Pforte zur Hölle

 

 

Pforte zur Hölle

 

von Michael Marcus Thurner

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

1.

 

Tatkammer verließ mit leisen Schritten das Haus und trat ins Freie. Er sah sich um in dieser widerlich schönen Welt. Die Luft war von Blumengestank erfüllt, irgendein Nachtvogel gab einen Balzruf von sich.

Nahrung! Er brauchte dringend etwas zu essen. Tatkammer musste sich neu orientieren und erfahren, welche Art von Geschöpfen hier lebte. Aber er war guter Dinge. Ringsum roch es nach Unschuld, nach Frieden, nach Unverdorbenem.

Ja. Das war genau sein Terrain. Er würde sich dieses Land untertan machen. Er würde seine schwarzen Gedanken überall verbreiten wie kleine Seifenblasen, die langsam zueinanderfanden, miteinander verwuchsen und die Welt mit dem Odem der Sünde vergifteten.

Er benötigte, um wieder zu Kräften zu kommen, willfährige und naive Opfer. Solche, deren Ideen er leicht infiltrieren konnte.

Er machte sich auf den Weg. Die Nacht würde er irgendwo in der Dunkelheit der Natur verbringen, morgen würde er zuschlagen. Normalerweise hätte Tatkammer gleich hier im Haus damit begonnen, seine Arbeit zu verrichten. Aber da waren noch andere, die den Übergang versuchten. Sie drängten nach, sie schoben und drückten durch das Tor.

Monsignore Tatkammer war immer schon vorsichtig gewesen. Er mochte nicht in Auseinandersetzungen zwischen anderen dämonischen Geschöpfen hineingezogen werden. Er wollte in aller Ruhe und unbeobachtet wirken.

Hunger. Er hatte Hunger.

 

Idylle.

Ja, das war das erste Wort, das Hannah einfiel, wenn sie an ihr neues Zuhause in Tausendgrün dachte.

Kein städtisches Getriebe. Keine nervösen Menschen, keine Hektik, kein Gestank, keine Unfreundlichkeiten.

Ringsum blickte Hannah auf Natur. Da waren im Norden Bäume und Sträucher, über hügeliges Land verteilt, und ein breiter Streifen Mischwald im Süden, in dem die Kinder gerne spielten und den sie aus unerfindlichen Gründen Deutelwald nannten. Unverfälschte Natur, kaum 35 Kilometer von Wien entfernt. Eine andere Welt, in der jeder jeden kannte und in der man in der Gemeinschaft zusammenhielt.

Und dann sind da noch die besoffenen Bauern, die dir blöde Sprüche hinterherrufen und dich mit ihren Blicken ausziehen …

Hannah strich sich irritiert über die Stirn. Hatte sie das eben gedacht? War sie eingenickt und hatte einen dummen Traum gehabt?

Was waren das bloß für Gedanken, die sie seit einigen Tagen plagten?

Hannahs Rechte tat mit einem Mal weh. Sie starrte auf ihren Zeichenblock. Sie umkrampfte einen Bleistift, einen 6B. Einen Stift mit ihrer Lieblingshärte. Bestens geeignet, um Skizzen mit Leben zu erfüllen und mit passenden Schattierungsstärken Tiefenwirkungen zu erzielen.

Sie hatte die Mine abgebrochen, die Spitze hatte sich durch das Zeichenpapier gebohrt.

Hannah unterdrückte einen Fluch. Fluchen war eine Sünde. Sie verbat sich selbst den Gedanken daran. Schließlich wollte sie ein gutes Beispiel für ihre Kinder, Leo und Karin, sein.

Sie legte den Stift beiseite. Es war spät geworden, sie musste sich auf den Weg machen und die Kinder von der Schule in Neulangbach abholen. Die Zeichnung eines Stars, der in einem Wasserbad stand und fröhlich vor sich hin tschilpte, konnte sie ohnedies nicht mehr retten. Sie würde am Abend von Neuem beginnen müssen und vermutlich die halbe Nacht durcharbeiten müssen.

Sie hatte ihren Abgabetermin bereits um einige Tage überzogen. Irgendwann einmal würde Herr Habeck die Geduld verlieren und sie am Telefon zusammenscheißen, wenn sie …

Hannah erschrak und schlug sich die Hände vor den Mund, als hätte sie laut gesprochen. Zusammenscheißen?! Wie komme ich bloß auf so ein Wort?

Hastig stand sie auf, streifte ihren Rock glatt, richtete mit einem kurzen Blick in den Vorzimmerspiegel die Haare und verließ das Haus. Ihr Wangen brannten vor Scham.

 

Lukas kam pünktlich nach Hause, wie immer. Sein Ruf: »Ich bin da, Schatz!« gellte durch die Wohnung, wie immer. Er drückte ihr einen Schmatz auf die Wange, wie immer, und berührte sie sachte an intimen Stellen, wie immer.

»Lass das doch« sagte sie kichernd, wie immer. »Wir können doch später …«

Hannah hielt inne und sah ihren Mann an. Er hatte Mund und Augen weit aufgerissen.

»Was ist los?«, fragte sie ihn.

»Was du eben, nun ja, gesagt hast …«, stotterte er, »das habe ich noch nie von dir gehört.«

»Das sage ich doch jeden Tag«, meinte sie irritiert.

»Du meintest, ich solle dich hier und jetzt gleich … durchficken«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ich solle dich über den Küchentisch legen und …«

»Das habe ich niemals gesagt!«, fuhr Hannah ihren Mann an. »Was denkst du von mir!«

Lukas zögerte, als wolle er etwas erwidern, ließ es dann aber bleiben. Er lächelte. »Na schön«, sagte er. »Wo sind die Kinder?«

»Sie sind noch im Deutelwald. Holst du sie bitte rein? Das Essen ist in wenigen Minuten fertig. Sie sollen sich gründlich waschen, bevor wir uns zum Abendtisch setzen.«

Lukas nickte, wandte sich ab und ging bei der Hintertür raus, um nach den Kindern zu sehen.

Er sieht so unglaublich dämlich aus, wenn er sich seiner Sache unsicher ist, dachte Hannah. Warum habe ich diesen Waschlappen bloß geheiratet?

 

Leo und Karin stopften wie immer Unmengen an Essen in sich rein, während sie von ihren Fantasieabenteuern erzählten, die sie auch heute wieder im Deutelwald erlebt hatten.

Hannah betrachtete sie lächelnd und liebevoll. Die Entscheidung, sich ein neues Leben fern der Stadt aufzubauen, war richtig gewesen. Leo und Karin hatten sich nach anfänglichem Gejammer gut auf die neuen Lebensumstände eingestellt. Sie hatten Freunde auf den Gehöften der unmittelbaren Umgebung gefunden, sie genossen die frische Luft und den Auslauf, den sie jeden Tag hatten. Die unverfälschte Natur ließ sie frisch und erholt aussehen und jeden Morgen mit viel Energie aus den Betten springen.

»… war da dieser Monsignore Tatkammer«, hörte sie Leo sagen. »Er ist plötzlich aufgetaucht, hat sich zu uns gesetzt und mit uns gespielt.«

»Monsignore Tatkammer?«, fragte Hannah alarmiert. Sie hatte nie von einem Priester dieses Namens gehört. »Was hat er mit euch denn gespielt?«

»Ach, er hat mit uns Tierfiguren aus Erde und Lehm gebaut«, plapperte Karin unbekümmert drauflos. Sie lud sich einen weiteren Schöpflöffel mit Tofu-Lasagne auf ihren Teller. »Er hat uns gezeigt, wie man die Figuren trocknet und wie man sie mit ein paar Ästen und Blättern aufpeppen kann, ganz echt! Sie haben beinahe wie richtige Tiere ausgesehen. Wie Kühe und Schweine, ganz echt!«

Ganz echt waren Karins neue Lieblingsworte, und sie nervten Hannah gehörig. Doch diese Angewohnheit spielte hier und jetzt keine Rolle. »Hat dieser Monsignore etwas von euch verlangt, das ihr nicht mögt?«, hakte sie nach.

»Nein, gar nicht! Er war einfach nur lustig und hat uns geholfen, ganz echt!«

»Er war sehr geschickt«, ergänzte Leo. »Er hat uns ein paar Tricks gezeigt, wie wir die Figuren auch ohne seine Hilfe basteln können.«

»Ihr wisst genau, dass ihr bei fremden Leuten misstrauisch sein müsst«, mischte sich Lukas erstmals in die Unterhaltung ein. »Es gibt böse Menschen, die böse Dinge tun.«

»Auch hier in Tausendgrün?«, fragte Leo.

»Auch hier in Tausendgrün«, bestätigte Hannah. Sie blickte Lukas an. Er fühlte dieselbe Besorgnis wie sie. So ruhig wie möglich sagte sie: »Wenn Monsignore Tatkammer nochmals auftaucht, möchte ich, dass ihr ihn zu uns ins Haus bittet. Er soll sich bei Papa oder bei mir vorstellen. Wenn er das nicht will, kommt ihr augenblicklich nach Hause gerannt. Habt ihr mich verstanden, ihr beiden?«

»Mach dir keine Sorgen, Mama«, meinte Leo altklug. »Der Monsignore geht auf eine längere Wanderschaft und wird nicht wiederkommen.«

»Er ist verschwunden, nachdem wir mit den Figuren fertig waren, ganz echt.«

»Und das war’s?«, fragte Hannah erleichtert.

»Ja«, antwortete Leo für seine kleine Schwester. »Er sagte noch irgendwas Komisches …«

»Und zwar?«, unterbrach ihn Lukas.

»Irgendwas mit zerstörter, mörderischer Unschuld, Papa. Ich hab’s nicht genau verstanden.«

»Anschließend hat er euch in Ruhe gelassen?«

»Richtig. Wir sind alle drei auf den Figuren herumgesprungen, bis sie nur noch Matsch waren, und dann …«

»Ihr habt sie zerstört?«

»Ja. Das hat richtig Spaß gemacht.«

»Ich … verstehe«, sagte Hannah und atmete tief durch. »Wenn ihr mit dem Essen fertig seid, könnt ihr noch ein wenig im Garten spielen. Aber ihr bleibt in der Nähe, sodass wir euch jederzeit durch das Wohnzimmerfenster sehen können. Verstanden?«

»Ja!«, riefen die beiden im Duett, schlangen die letzten Bissen der Tofu-Lasagne in sich hinein, brachten das Geschirr in die Küche und huschten in den Vorgarten.

Hannah starrte ihren Mann an, er starrte zurück.

»Wegen solcher Dinge sind wir aus Wien weggezogen«, sagte sie leise.

»Ich bin mir sicher, dass die Kinder übertreiben«, sagte Lukas schwach. »Vielleicht haben sie die Geschichte sogar erfunden. Du kennst doch Karins überbordende Fantasie.«

Hannah schwieg. Ihr Mann wollte sie beruhigen. Doch er spürte selbst die Veränderungen, die mit ihnen und rings um sie vor sich gingen.

Noch war nichts geschehen. Hannah atmete tief durch. Sie würde bei der nächsten Gemeindeversammlung über diesen sonderbaren Monsignore reden müssen. Oder noch besser: Sie würde gleich morgen aufs Amt gehen und die Frau Simmerl warnen. Frau Simmerl, die Gemeindesekretärin. Sie kannte jeden, sie wusste alles. Wenn der vermeintliche Priester schon mal in der Gegend aufgetaucht war und andere Kinder belästigt hatte, würde sie es gehört haben.

Hannah räumte den Rest des Geschirrs beiseite und erledigte gemeinsam mit ihrem Mann den Abwasch. Beide redeten sie nicht viel. Bald danach zog sich Lukas in sein kleines Büro unter dem Dachstuhl zurück. Er hatte zu tun, Hannah ebenfalls.

Sie musste voll schlechten Gewissens an Herrn Habeck denken, der auf weitere Zeichnungen von ihr wartete. Aber sie konnte heute nichts mehr tun. Die Ängste und Sorgen ließen sich nicht einfach so verdrängen. Irrwitzige Szenarien spielten sich in ihrem Kopf ab. Filmschnipsel der schrecklichsten Art. Sie wiederholten sich in einer Endlosschleife.

Es gab bloß eines, das sie beruhigen würde: Im Hobbyraum wartete der schöne Schrank, wie Lukas und sie ihn nannten. Das eigentlich unscheinbare Ding, etwa mannshoch, das sie vor einigen Tagen auf einem Trödelmarkt gesehen und in den sie sich beide augenblicklich verliebt hatten.

Hannah hatte immer schon ein Händchen für Antiquitäten gehabt. Sie konnte die Qualitäten alten Handwerks erkennen. Beim schönen Schrank brauchte es bloß das geeignete Werkzeug und ein wenig Geduld, um das sonderbare Gekritzel auf der Vorderfront zu entfernen und jene naiven Bauernmalereien zum Vorschein zu bringen, die sich unter einer abblätternden Lackschicht verbargen.

Auch die Scharniere gehörten erneuert und einige Holzflächen sorgfältig abgeschliffen sowie mit Kitt ausgebessert. Zwei der Beine musste sie neu leimen …

Die Arbeit würde sie beruhigen und von Monsignore Tatkammer ablenken.

 

 

Zwei Tage zuvor

Mirka hatte das Wochenende frei. Drei ganze Tage! Weit weg vom Dienst, weit weg von dummen Kollegen, bornierten Vorgesetzten und der Dämonenwelt, von der sie vor einem Jahr noch gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab.

Geraldine saß neben ihr am Rand des Swimmingpools und plätscherte mit den Zehen im Wasser. Sie waren ganz alleine in einer Gartenidylle, von der Mirka niemals geglaubt hätte, dass sie in Wien existieren könnte.

Das Haus stand nahe des Gänsehäufels, einem bekannten und beliebten Freibad für die Bewohner der österreichischen Bundeshauptstadt. Wasser und Wiesen des Geländes zogen in der warmen Jahreszeit unzählige Wiener an. Öfter mal waren Gelächter und Geplantsche von der Insel des Gänsehäufels zu hören, ab und zu der Ruf eines energischen Bademeisters. Dies waren die einzigen Geräusche, die zu Geraldines Haus vordrangen.

Mirka sah sich um. Das Grundstück wurde von blickdichten Thujen eingerahmt, zwei Silbertannen warfen breite Schatten über die Liegefläche hinter dem Pool. Solange sie nicht über das Draußen nachdachte, konnte sie glauben, irgendwo weit weg von Wien zu sein.

»Ich hab dich selten so entspannt und zufrieden gesehen«, sagte Geraldine und schenkte ihr aus dem Glaskrug mit der Zitronenlimonade nach. »Ist die Arbeit denn wirklich so anstrengend?«

»Es geht«, antwortete Mirka ausweichend und trank einen Schluck.

»Was bin ich froh, dass ich die Ausbildung abgebrochen habe! Es war die beste Entscheidung meines Lebens.«

»Du hast doch bloß so lange gewartet, bis du einen reichen Kerl gefunden hast, der dich heiraten wollte.«

»Reichtum war nicht das einzige Kriterium«, sagte Geraldine mit ernster Miene. »Er musste auch noch ein bisschen dumm sein und nicht kapieren, dass ich ihn bloß ausnehmen will.«

Beide kicherten sie. Mirkas Freundin war in Wirklichkeit der treueste, netteste und fürsorglichste Mensch, den man sich nur vorstellen konnte. Sie war auf der Polizeiakademie völlig fehl am Platz gewesen. Mirka hatte sie ein wenig unter ihre Fittiche genommen und dafür gesorgt, dass sie von den meist groben Ausbildern in Ruhe gelassen worden war.

Zu ihrem Glück hatte Geraldine Max kennengelernt. Ihren Traumprinzen. Schön, klug, erfolgreich und liebevoll war er.

»Manchmal beneide ich dich um deinen Max«, sprach Mirka ihre Gedanken offen aus.

»Er ist ganz in Ordnung.« Geraldine lächelte. »Ich bin mir sicher, dass du auch bald den Richtigen finden wirst.

Oder die Richtige, dachte Mirka. Wenn ich an dieses schwarzhaarige Biest denke, wird mir immer gleich ganz anders …

»Oha!«, sagte Geraldine. »Offenbar gibt’s da schon jemanden in deinem Leben. Anders kann man diesen verträumten Gesichtsausdruck nicht deuten.« Sie setzte sich auf ihrer Liege auf. »Erzähl schon! Wer ist es, wo hast du ihn kennengelernt?«

Verdammt! Geraldine war das intuitivste Geschöpf, das man sich nur vorstellen konnte. Natürlich hatte sie sie augenblicklich durchschaut.

»Oder ist es eine Frau?«

»Geraldine! Wie kommst du auf die Idee?«

»Geh, hör auf! Ich kenne dich jetzt schon lange genug, um zu wissen, wie du tickst. Für dich spielt es keine Rolle, ob’s ein Männlein oder ein Weiblein ist. Hauptsache, ihr seid auf einer Wellenlänge.«

»Vielleicht hättest du die Ausbildung doch beenden sollen. So eine wie dich hätte ich gerne im Verhörzimmer mit dabei, wenn’s um besonders harte Fälle geht. Du hättest selbst dem schlüpfrigsten Geschäftsmann ein Geständnis aus der Nase gezogen.«

»Also habe ich recht! Du kleines Luder!« Geraldine grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich behaupte, dass sie dunkelhaarig und rassig ist. Eine wilde, unzähmbare Bestie. Das wäre genau dein Geschmack. Ein rätselhaftes Wesen, an dem du dich messen kannst.«

»Jetzt hör endlich auf damit!« Mirka hob abwehrend beide Hände und musste lachen. »Ich gestehe alles, Frau Kommissar!«

Sie erzählte Geraldine einige Dinge über ihr Leben, das sich während des letzten Jahres geändert hatte. Über neue Blickwinkel und neue Freunde. Über das unzähmbare Biest namens Coco Zamis, das ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Aber sie ging nicht weiter ins Detail. Geraldine brauchte nichts über Coco wissen, die sich während der letzten Wochen zu ihren Ungunsten entwickelt hatte – und schon gar nicht über die unsichtbaren Gefahren, die die Menschenwelt bedrohten.

»Pass auf dich auf«, schloss Mirka. »Melde dich bei mir, sobald du etwas Ungewöhnliches bemerkst oder hörst. Ich kann dir helfen. In meiner Abteilung sind wir auf derartige Dinge spezialisiert.«

»Von welcher Abteilung sprichst du eigentlich?«

»Uns gibt’s noch nicht allzu lange«, wich Mirka einer direkten Antwort aus. »Wir arbeiten Verbrechen auf, die teilweise schon länger zurückliegen und rätselhaft erscheinen. Versprich mir einfach, dass du an mich denkst.«

»Natürlich, Mirka, natürlich.« Geraldine wirkte mit einem Mal gedankenverloren. »Sonderbar«, sagte sie. »Vor einigen Tagen hat mich ein alter Freund kontaktiert.«

»Du wirst doch nicht etwa fremdgehen?!«

»Natürlich nicht. Ich bin rundum glücklich mit Max. Deswegen war Lukas’ Anruf so irritierend für mich. Er wollte über … alte Zeiten plaudern. Ich habe ihm sofort gesagt, was Sache ist, und damit wäre die Angelegenheit eigentlich gegessen gewesen. Aber Lukas hat wie aus heiterem Himmel damit begonnen, von seiner Frau zu reden.«

»Für Eheprobleme bin ich nicht zuständig, Geraldine.«

»Hör doch mal zu! Lukas erzählte, dass seine Frau Hannah in jeglicher Hinsicht anständig und korrekt sei. Fast zu anständig für seinen Geschmack. Seit einigen Tagen allerdings überfalle sie ihn mit den sonderbarsten Ideen, fluche hemmungslos und überrasche ihn mit den perversesten Vorschlägen. Es wäre so, als hätte sich ihr Charakter binnen kürzester Zeit völlig verändert.«

Mirka überlegte. »Das ist sonderbar, kann aber mit dem Charakter der Ehe zu tun haben. Es ist noch längst nicht das, wovor ich dich warnen möchte.«

»Wovor möchtest du mich denn warnen, Liebes?«

»Vor dem absolut Bösen, Geraldine. Und ich meine es so, wie ich es sage. – Kann ich bitte noch eine Zitronenlimonade haben?

 

Der neue Tag begann mit strahlendem Sonnenschein und mit angenehmen Spätfrühlings-Temperaturen. Die Kinder waren munter und aufgeweckt, wie immer. Die Begegnung mit dem vermeintlichen Priester schien sie nicht weiter irritiert zu haben.

Hannah ließ sie am schmiedeeisernen Tor des Schulgebäudes aus dem Auto steigen. Karin winkte ihr vom Eingang nochmals zu, dann waren die Kinder verschwunden, bereits in Unterhaltungen mit Schulfreunden versunken.

Hannah erledigte einen Teil ihrer Einkäufe im Supermarkt. Immer noch wurde sie von einem Teil der Neulangbacher und Tausendgrüner scheel angeblickt, weil sie ein bloß leise vor sich hin summendes Elektroauto fuhr.

Anschließend sprach sie mit Frau Simmerl. Die resolute und rotwangige Sekretärin hörte sich ihre Erzählung an und nickte ernsthaft: »Bist dir sicher, dass die Kinder die Wahrheit gesagt haben, Hannerl? Du weißt ja, wie sie in dem Alter sind …«

Sie hasste es, Hannerl genannt zu werden. Aber das wollte in diesem Kuhnest niemand verstehen. Waren diese Scheiß-Bauern denn wirklich so dumm …?!

Hannah erschrak und schlug die Hände vor den Mund. Hatte sie die Worte eh nicht laut gesagt? Bitte bitte nicht … Hatte sie schon wieder einen … einen Aussetzer gehabt?

Frau Simmerl presste die Lippen fest aufeinander. Ihre Wangen färbten sich noch röter, als sie ohnedies schon waren. »Ich werde mit der Gemeindepolizei über diesen angeblichen Monsignore Tatkammer sprechen, Frau Huchzermeyer«, sagte sie spröde. »Danke für Ihre Informationen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.« Sie wandte sich ab und versteckte sich hinter einem Computerbildschirm.

»Frau Simmerl, ich … ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, ich …«

»Guten Tag, Frau Huchzermeyer. Es ist alles gesagt. Sie wissen, wo die Tür ist.«

 

Es waren bloß zwei Kilometer vom Gemeindeamt bis zu Hannahs Wohnhaus. Wie immer hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie die morgendlichen Erledigungen mit dem Auto und nicht zu Fuß erledigte.

Aber sie brauchte die Zeit. Nur in den Vormittagsstunden konnte sie in Ruhe arbeiten. Ihre Honorare als freiberufliche Illustratorin trugen einen wichtigen Teil zur gemeinsamen Haushaltskasse bei …

Hannah stieg mit aller Kraft auf die Bremse. Der Renault hielt mit jener ungewohnten Stille an, die Elektroautos eigen war, sie wurde tief in die Gurte gedrückt.

»Du Scheißkerl!«, rief Hannah und trommelte erbost gegen das Lenkrad. »Taumelst einfach besoffen über die Straße, am helllichten Tag!«

Sie öffnete den Gurt und stieg aus. In ihrem Kopf war so viel Wut, so viel unterdrückter Hass auf den verfickten Kerl, der unmittelbar vor ihr auf die Straße gesprungen war und immer noch bloß dort stand, mit blassem Gesicht und weit aufgerissenen Augen, als wüsste er gar nicht, wo er sich befand.

Ihr Zorn verflog rasch. Sie erkannte den Mann. »Aber Huber!«, sagte Hannah. »Was machen Sie denn für einen Unsinn? Ich hätte Sie beinahe umgefahren!«

Der Mann reagierte nicht. Matthias Huber, von seinen Freunden bloß Roter Hiasl gerufen. Mit seinen roten Haaren und seiner politischen Einstellung war er in mehrfacher Hinsicht ein Außenseiter in Tausendgrün – und dennoch, wegen seines vorbildhaft geführten landwirtschaftlichen Betriebs, ein geschätzter Mann.

»Tot«, sagte der Rote Hiasl leise, ohne Hannah anzublicken. »Alle tot.«

»Wer ist tot?« Sie fühlte Panik hochsteigen. Sie musste augenblicklich an Monsignore Tatkammer denken, ohne sich die Zusammenhänge erklären zu können. »Geht es Ihrer Frau und den Kindern eh gut?«

»Alle tot«, fuhr der grobschlächtige Mann fort. Er umrundete Hannahs Wagen und setzte seinen Weg auf der Gemeindestraße fort, noch immer in einem unerklärlichen Schock verhangen.

Hannah hängte sich an den Arm des Roten Hiasl und brachte ihn zum Stehen. »Sagen Sie mir endlich, wer gestorben ist!«, forderte sie den Mann auf. »Wir müssen die Polizei rufen. Und die Rettung.«

Immer noch starrte der Huber blicklos an ihr vorbei.

Hannah schloss die Augen. Sie versuchte, die tief liegende Wut zu packen, die sie während der letzten Stunden und Tage nur mühsam hatte bezähmen können. Nun war es an der Zeit, einen Teil davon hervorzuholen und für ihre Zwecke zu nutzen.

Hannah holte aus und hieb dem Roten Hiasl so kräftig wie möglich ins Gesicht. Noch während sie zuschlug, kam ihr ein kleiner, bösartiger Gedanke, und sie zog die Finger ein wenig an. So, dass ihre Nägel Spuren auf der Wange ihres Gegenübers hinterließen.

Endlich, endlich schienen sich die Gedanken des Huber-Bauern ein wenig zu klären. Verblüfft strich er sich mit der Rechten über die Wange und streifte Blut ab. »Das war ein kräftiger Schlag für so eine kleine Person, Hannerl.«

»Jetzt sagen Sie mir endlich, was geschehen ist! Wer ist gestorben?«

»Meine Tiere. Alle. Vierzig Rinder, dreißig Schweine. In beiden Gehöften liegen nur noch Kadaver herum.«

»Um Gottes willen!« Hannah wusste nicht, ob sie entsetzt oder froh darüber sein sollte, dass keinem von Hubers Familienmitgliedern etwas geschehen war. »Ist etwa eine Seuche ausgebrochen? Wir müssen unbedingt den Veterinär rufen, die Gehöfte isolieren und Blutproben nehmen lassen.« Hannahs Gedanken rasten. Ging es um eine Art Rinderwahn, die auch auf andere Tiere übergesprungen war?

»Nix ist mit Seuche, Hannerl.« Schwere Tränen kullerten über das faltenzerfurchte Gesicht des Bauern, ohne dass er sich die Mühe machte, sie wegzuwischen. »Sie sind allesamt plattgedrückt. Es ist, als wäre jemand auf ihnen herumgetanzt und hätte die Tiere unter seinen riesigen Füßen zerquetscht.«

 

Gerüchte flogen schnell, rascher als der Wind. Als Lukas nach Hause kam, wusste er bereits vom Verlust, den der Rote Hiasl erlitten hatte.

Hannah wich den Fragen ihres Mannes so gut es ging aus. Sie wusste nicht, wie sie mit den Vorfällen umgehen sollte. Zumal sie es kaum mehr wagte, den Mund aufzumachen. Sie verlor allmählich die Kontrolle über ihr Sagen, vielleicht sogar über ihren Körper.

In der Nacht fiel sie wie ein Tier über Lukas her. Sie begrub ihn unter sich und stellte Dinge mit ihm an, die sie sich bislang nicht einmal vorzustellen gewagt hatte.

Irgendwann einmal entließ sie ihren Mann aus ihrer Gewalt, löste seine Fesseln und reichte ihm wortlos ein Stück Tuch, sodass er sich die Blutspuren vom Körper wischen konnte. Er nahm es mit zittrigen Fingern und trocknete sich ab.

»Das war … war schrecklich«, stotterte er.

»Richtig. Es war so schrecklich, dass du dabei gekommen bist. Und zwar so heftig wie niemals zuvor, wenn ich mich nicht irre.«

Hannah schloss die Augen. Sie wollte über diese Dinge nicht reden. Irgendetwas zwang sie dazu.

Oder irgendjemand?

»Es wird die Landluft sein«, brachte sie müde hervor. »Sie verändert uns. Fühlst du es denn nicht auch?«

»Ja. Das wird es sein.« Lukas erhob sich und stolperte mit wackligen Knien in die Dusche.

Du hast es ihm ganz schön besorgt, dachte Hannah voll Häme. Dieser Verlierer weiß allerdings noch nicht, dass dies erst der Anfang seiner Tortur ist. In drei, vier Tagen werde ich ihn … ihn …

Hannah brach ab. Sie schüttelte heftig den Kopf. Wollte all das Böse aus ihm beuteln. Doch es wollte ihr nicht gelingen, ganz im Gegenteil. Der Teufel in ihr nahm eine immer deutlichere, mächtigere Gestalt an.

Als Lukas ins Bett zurückkehrte, hatte sie das blutverschmierte Laken längst durch ein sauberes ersetzt. Sie lag an ihrem Platz, von ihrem Mann abgewandt, und atmete regelmäßig. Sie wollte sich seinen Fragen nicht stellen, nicht jetzt. Also stellte sie sich schlafend und ignorierte das Wehklagen, mit dem er sich neben sie unter die Decke schob.

Morgen gehe ich zum Arzt, sagte sich Hannah. Und wenn der nichts findet, wende ich mich an den Pfarrer.

 

Die aufgehende Sonne kitzelte Hannahs Nase. Sie nieste unterdrückt, streckte sich und reckte die Arme in die Höhe.

Sie fühlte sich, als könnte sie Bäume ausreißen. All die bösen Gedanken von gestern, sie waren wie weggeblasen. Das morgendliche Zwitschern der Vögel und das strahlende Gestirn brachten ihre gute Laune zurück.

Sie weckte Lukas, entschuldigte sich wortreich bei ihm und versorgte seine kleinen und großen Wunden. Hannah schaffte es sogar, ihm ein kleines Lachen zu entlocken. Anschließend verwöhnte sie ihn mit einem üppigen Frühstück, küsste ihn mit aller Intensität und sagte ernsthaft: »Ich schwöre, dass du mich niemals mehr wieder so erleben wirst. Es muss mit den Umständen zu tun haben. Ich mache mir so viele Sorgen. Um die Kinder, um uns und unsere finanzielle Lage, um meine Arbeit, um die Tiere des Roten Hiasl …«

»Scht.« Lukas legte ihr den Zeigefinger an die Lippen. »Ist schon gut. Es ist wirklich sehr viel auf einmal. Wir glaubten vielleicht, den Umzug gut weggesteckt zu haben. Aber tief drin in uns steckt vermutlich noch die Angst vor dem Scheitern. Meinst du nicht auch?«

»Ja«, bestätigte Hannah, was ihr Mann hören wollte.

»Wir kriegen das alles hin«, sagte er und küsste sie zärtlich. Leise fügte er hinzu: »Was du gestern getan hast, war vielleicht etwas grob. Aber Teile davon haben mir recht gut gefallen.«

Siehst du?, hörte sie jene Stimme in ihrem Kopf, von der sie gehofft hatte, sie niemals mehr wieder zu hören. Ich hab’s dir ja gesagt! Er steht auf die harte Nummer. Du weißt also, was du heute am Abend zu tun hast. Zeig ihm, was wirklich in dir steckt!

 

Hannah überstand den Tag zu ihrer Erleichterung gut. Es gelang ihr sogar, zwei Illustrationen fertigzustellen und per Eilboten an die Wiener Verlagsredaktion zu schicken.

Herr Habeck war altmodisch. Er legte Wert darauf, dass die Bücher seines Verlags mit handgezeichneten Bildern geschmückt wurden. Er mochte den modernen Computerkrimskrams nicht, wie er stets sagte.

Hannah fand sogar Zeit, sich um den schönen Schrank zu kümmern. Sie wollte eines der alten Scharniere lösen und seine Maße bestimmen, um einen neuen Satz zu bestellen.

So sehr sie sich auch bemühte – es gelang ihr nicht, einen einzigen der alten Nägel zu lösen. Ob sie nun mit einem Schraubendreher oder einer Kneifzange arbeitete – der gut sichtbare Kopf ließ sich nicht fassen.

»Dann eben nicht!«, sagte Hannah wütend, schleuderte das Werkzeug beiseite und machte sich rasch fertig, um die Kinder von der Schule abzuholen.

Sie erschrak. Sie hatte die Zeit völlig vergessen! Sie war zehn Minuten zu spät dran.

Sie raste die Gemeindestraße entlang, überholte auf der Bundesstraße Richtung Neulangbach in einem waghalsigen Manöver zwei hintereinander fahrende Traktoren, hupte einen trödelnden Lieferwagen zur Seite und fuhr, um so viel Zeit wie möglich zu sparen, rückwärts durch jene kleine Einbahnstraße, die weg von der Schule führte.

Karin und Leo saßen beim Tor und beschäftigten sich mit Hölzchen, die sie immer wieder gegen einige Moosflächen schlugen, die aus Nähten im brüchigen Asphalt quollen. Unweit von ihnen stand Karins Klassenlehrerin.

»Es tut mir schrecklich leid, Miriam«, sagte Hannah, sobald sie aus dem Wagen gestiegen war und noch bevor die Lehrerin etwas sagen konnte. »Ich musste unbedingt einen Auftrag beenden und habe darüber die Uhrzeit vergessen.«

»Es gibt Telefone«, erwiderte Miriam spitz. »Ein Anruf hätte gereicht, und ich hätte die beiden in eine Nebenklasse gesteckt, die später aus hat.«

»Ich mache es wieder gut, Miriam. Versprochen.«

»Das ist bereits das dritte Mal in diesem Monat, Hannah. Ich …«

»Halt dein beschissenes Maul, du Fotze!«, fuhr Hannah sie an. »Kümmere dich lieber um deine Ehe. Oder um deinen Liebhaber. Ja, da schaust du! Natürlich weiß ich es. So wie jeder Neulangbacher es wissen sollte, der Augen im Kopf hat. Dein netter, freundlicher Kollege aus der 3A legt dich jeden Freitag nach Schulschluss flach. Auf einem der Schülertische in seiner Klasse. Ihr beiden seid dabei nicht sonderlich leise.«

»Aber … aber …«

liebe