Geleitwort

Die steuerliche Nachfolgeplanung ist ein komplexes Tätigkeitsgebiet, dessen Bedeutung in der umfassenden steuerlichen Beratung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Dies gilt umso mehr nach der jüngsten Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes im Jahr 2016. Für Übertragungen betrieblichen Vermögens an die nächste Generation wurden mit der Erbschaftsteuerreform zahlreiche neue Regelungen eingeführt und bestehende Vorschriften teilweise stark modifiziert. In der steuerlichen Anwendungspraxis sind mit den umfangreichen Änderungen Zweifelsfragen verbunden, für die eine Klärung von Seiten der Finanzverwaltung noch aussteht. Da die steuertechnisch komplizierten und anspruchsvollen Vorschriften des reformierten Erbschaftsteuergesetzes mitunter ein hohes Risiko für unterschiedliche Auslegungen bergen, erschweren sie die sorgfältige steuerliche Beratung und Planung, die bei Anwendung des neuen Gesetzes unerlässlich ist.

Das neue Erbschaftsteuerrecht ist das Ergebnis einer zähen politischen Reform, die mehr als fünf Monate nach dem durch das BVerfG gesetzten Fristablauf im November 2016 ihren Abschluss fand und rückwirkend zum 1. Juli 2016 in Kraft trat. Erwartungsgemäß blieb ein grundlegender Systemwechsel bei der erbschaftsteuerlichen Belastung betrieblichen Vermögens aus. Das neue Gesetz stellt vielmehr einen politisch hart errungenen Kompromiss im bestehenden System dar: Neben den „Innovationen“, die das Erbschaftsteuergesetz mit der Verschonungsbedarfsprüfung und dem Abschmelzungsmodell für Großerwerbe vorsieht, zeigt sich dies insbesondere in zahlreichen Detailänderungen – man denke nur an den besonderen Wertabschlag für Familienunternehmen oder die Investitionsklausel.

Für Familienunternehmen und ihre steuerlichen Berater stellt die Nachfolgeplanung und -gestaltung vor dem Hintergrund der neuen Regelungen zur erbschaftsteuerlichen Begünstigung von Unternehmensvermögen eine Herausforderung dar. Im Hinblick auf die Vermögensermittlung und -bewertung gilt es hohe Anforderungen zu erfüllen. Die neue Rechtslage kann aber auch Chancen bieten, wenn Unternehmer ihre Nachfolge zusammen mit ihren Familien und Beratern umfassend und langfristig planen. Mit dem vorliegenden Handbuch möchte EY einen Beitrag zum Verständnis der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen leisten und wertvolle Hinweise für die Rechtsanwendung in der Praxis geben.

Stuttgart, im März 2017

Ute Benzel

Geschäftsführerin

Ernst & Young GmbH

Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Bearbeiterverzeichnis

Hermann Gauß

Kapitel 3

Rechtsanwalt

Stefan Gratzki

Kapitel 9

Rechtsanwalt, Steuerberater

Stefanie Guerra

Kapitel 2

Rechtsanwältin

Dr. Michael Haug

Kapitel 4

Steuerberater

Carl-Josef Husken

Kapitel 1

Steuerberater

Dr. Cornelia Kindler

Kapitel 3

Steuerberaterin

Jörgchristian Klette

Kapitel 6

Rechtsanwalt, Steuerberater

Dr. Stefan Königer

Kapitel 5

Steuerberater

Sabrina Kummer

Kapitel 3

Dr. Gunter Mühlhaus

Kapitel 2 und 8

Rechtsanwalt

Sven Oberle

Kapitel 6

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Susanne von Petrikowsky

Kapitel 7

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Dr. Christian Reiter

Kapitel 7

Rechtsanwalt, Steuerberater

Helmut Rundshagen

Kapitel 10

Rechtsanwalt, Steuerberater

Annegret Scheuthle

Kapitel 9

Rechtsanwältin

Dr. Olaf Siegmund

Kapitel 8

Steuerberater

Dr. Christian Ph. Steger

Kapitel 4 und 5

Rechtsanwalt, Steuerberater

Laura Wegener

Kapitel 1

Steuerberaterin

Redaktionelle Gesamtverantwortung: Dr. Christian Ph. Steger (Rechtsanwalt, Steuerberater) und Dr. Cornelia Kindler (Steuerberaterin).

Abkürzungsverzeichnis

a.A./A.A.

andere(r) Ansicht

a.E.

am Ende

a.F.

alte(r) Fassung

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

abzgl.

abzüglich

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AG

Aktiengesellschaft /Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift)

AGB

Allgemeine Geschäftsbedingungen

AGBG

Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (außer Kraft)

AGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

AktG

Aktiengesetz

allg. M.

allgemeine Meinung

AmtshilfeRLUmsG

Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG)

AnfG

Gesetz über die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens (Anfechtungsgesetz)

Anh.

Anhang

AO

Abgabenordnung

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ArbZG

Arbeitszeitgesetz

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

AuslG

Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz)

BaFin

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (amtliche Sammlung)

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

Bd.

Band

BDI

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

BeckOK

Beck’scher Onlinekommentar

BeckRS

Beck-Rechtsprechung

Begr.

Begründung

Beschl.

Beschluss

BetrAVG

Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz)

BewG

Bewertungsgesetz

BFH

Bundesfinanzhof

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (amtliche Sammlung)

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (amtliche Sammlung)

BKartA

Bundeskartellamt

BMF

Bundesministerium der Finanzen

BR-Drs.

Bundesrat-Drucksache

BSG

Bundessozialgericht

bspw.

beispielsweise

BT-Drs.

Bundestag-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

bzw.

beziehungsweise

CDU

Christlich Demokratische Union

CSU

Christlich-Soziale Union

CTA

Contractual Trust Arrangement

d.h.

das heißt

ders.

derselbe

DAV

Deutscher Anwaltverein e.V.

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

DCGK

Deutscher Corporate Governance Kodex

DIHK

Deutscher Industrie- und Handelskammertag

DrittelbetG

Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (Drittelbeteiligungsgesetz)

DRS

Deutscher Rechnungslegungs Standard

Drs.

Drucksache

DStR

Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

e.V.

eingetragener Verein

EFZG

Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz)

EL

Ergänzungslieferung

ErbStAnpG

Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

ErbStG

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz

ErbStR

Erbschaftsteuer-Richtlinien

EStDV

Einkommensteuer-Durchführungsverordnung

EStG

Einkommensteuergesetz

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Europäischer Gerichtshof)

EUR

Euro

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

f./ff.

folgende/fortfolgende

FamFG

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

FGG

Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

FMStFG

Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz

FMStV

Verordnung zur Durchführung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes

Fn.

Fußnote(n)

FS

Festschrift

GbR

Gesellschaft bürgerlichen Rechts

GenG

Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz)

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung

GmbHR

GmbH-Rundschau (Zeitschrift)

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GWR

Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

HGB

Handelsgesetzbuch

HRV

Handelsregisterverordnung

Hs.

Halbsatz

HypBG

Hypothekenbankgesetz

i.a.R.

in aller Regel

i.d.R.

in der Regel

i.H.v.

in Höhe von

i.S.

im Sinne

i.V.

in Verbindung

IDW

Institut der Wirtschaftsprüfer

IFRS

International Financial Reporting Standards

InsO

Insolvenzordnung

IRZ

Zeitschrift für Internationale Rechnungslegung

KG

Kommanditgesellschaft

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

KOM

Europäische Kommission

KontraG

Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich

KSchG

ndigungsschutzgesetz

KStG

rperschaftsteuergesetz

KSzW

Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

KWG

Gesetz über das Kreditwesen (Kreditwesengesetz)

LG

Landgericht

LS

Leitsatz/Leitsätze

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

Mio.

Million(en)

MitbestG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz)

Mrd.

Milliarde(n)

Nachw.

Nachweis(e)

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NJW-RR

NJW-Rechtsprechungsreport

Nr.

Nummer(n)

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

NZI

Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung

OHG

Offene Handelsgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

p.a.

per anno

PartGG

Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger freier Berufe (Partnerschaftsgesellschaftsgesetz)

PublG

Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen (Publizitätsgesetz)

RegE

Regierungsentwurf

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer(n)

S.

Seite(n)

SCE

Societas Cooperativa Europaea

SE

Societas Europaea (Europäische Gesellschaft)

SGB

Sozialgesetzbuch

SGG

Sozialgerichtsgesetz

Slg.

Sammlung

sog.

sogenannte(r)

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

StBerG

Steuerberatungsgesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

Str.

streitig

TEUR

Tausend Euro

T/Tsd.

Tausend

TranspRLDV

Transparenzrichtlinie-Durchführungsverordnung

TUG

Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz

Tz.

Textzahl(en)

u.a.

unter anderem

UG

Unternehmergesellschaft

UMAG

Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts

UmwG

Umwandlungsgesetz

Urt.

Urteil

v.

von/vom

VAG

Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz)

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

VorstAG

Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung

VV

Verwaltungsvermögen

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwZG

Verwaltungszustellungsgesetz

WM

Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

WpAIV

Wertpapierhandelsanzeige- und Insiderverzeichnisverordnung

WPg

Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift)

WpHG

Gesetz über den Wertpapierhandel

WPO

Gesetz über die Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung)

WpÜG

Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz

z.B.

zum Beispiel

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht

Ziff.

Ziffer

ZInsO

Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZPO

Zivilprozessordnung

ZVG

Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung

zzgl.

zuzüglich

Kapitel 1
Überblick über die Neuregelungen

Schrifttum: Drüen, Wegfall oder Fortgeltung des verfassungswidrigen Erbschaftsteuergesetzes nach dem 30.6.2016?, DStR 2016, 643; Erkis, Die Neuregelung des Verschonungssystems für Betriebsvermögen im ErbStG – Vorgaben des BVerfG-Urteils v. 17.12.2014 umgesetzt?, DStR 2016, 1441; Reich, Gestaltungen im neuen Unternehmenserbschaftsteuerrecht, DStR 2016, 2447; Riegel/Heynen, Erbschaftsteuerreform 2016 – das vorläufige Ende einer Hängepartie, BB 2017, 23.

Übersicht

I. Einführung

II. Die Reform im Überblick

III. Neuregelungen

1. Begünstigtes Vermögen

2. Konzernstrukturen

3. Sonderregelungen für Familienunternehmen

4. Verschonungssystem und abschmelzende Verschonung

5. Verschonungsbedarfsprüfung

6. Sonstige Neuregelungen

IV. Verfassungsrechtlicher Rahmen

V. Zusammenfassung und Ausblick

I. Einführung

1

Das „Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ (Erbschaftsteueranpassungsgesetz, ErbStAnpG) wurde am 14.10.2016 durch den Bundesrat verabschiedet und am 9.11.2016 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.1

2

Hintergrund des Gesetzes ist ein Urteil des BVerfG vom 17.12.20142, mit dem das Gericht die bisherigen Verschonungsregelungen für Unternehmensvermögen (§§ 13a und 13b ErbStG) in Verbindung mit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 ErbStG für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber zu einer gesetzlichen Neuregelung bis zum 30.6.2016 aufgefordert hat.3 Dabei wurde seitens des Gerichts ausdrücklich festgestellt, dass Verschonungsregelungen für kleinere und mittlere Unternehmen grundsätzlich erforderlich und geeignet sind, um diese Unternehmen in ihrer Existenz zu sichern und vorhandene Arbeitsplätze zu erhalten. Jedoch sei die konkrete Ausgestaltung der bisherigen Verschonungsregelungen unverhältnismäßig, soweit sie kleinere und mittlere Unternehmen, Großbetriebe und Konzernverbünde gleichermaßen erfasst. Ein weiterer zentraler Kritikpunkt des Gerichts war die bisherige Ausgestaltung der Lohnsummenregelung, von deren Anwendung eine Mehrheit der Unternehmen faktisch ausgenommen war. Folglich liegt der Schwerpunkt der Änderungen durch das nun verabschiedete Gesetz mit der Neufassung der §§ 13a, 13b und 13c ErbStG sowie der Einführung des § 28a ErbStG einerseits auf Änderungen der Lohnsummenregelung für kleinere Betriebe und andererseits auf der Neugestaltung der Verschonung bei Erwerb großer Betriebsvermögen. Darüber hinaus wurde seitens des BVerfG auch die Gestaltungsanfälligkeit der bestehenden Verschonungsregelungen kritisiert. Während eine wesentliche Gestaltungsmöglichkeit, die sog. Cash-GmbH, durch den Gesetzgeber bereits vor dem oben genannten Urteil mit Einführung des Finanzmitteltests nach § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4a ErbStG a.F. beseitigt wurde, ist der Wechsel von der isolierten Betrachtung der Gesellschaften einer Unternehmensgruppe hinsichtlich ihres Verwaltungsvermögens hin zu einer Verbundvermögensbetrachtung als Reaktion auf die Möglichkeit zu sehen, eben jenen Finanzmitteltest durch die Vergabe konzerninterner Darlehen zu bestehen.

3

Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die aktuelle Erbschaftsteuerreform und stellt die wesentlichen Neuregelungen kurz vor. Dabei wird auf eine detaillierte Darstellung einzelner Aspekte zugunsten des Verweises auf die Folgekapitel verzichtet.

II. Die Reform im Überblick

4

Mit der Verabschiedung des ErbStAnpG verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, erbschaft- bzw. schenkungsteuerlich begünstigte Übertragungen von Betriebsvermögen4 zu ermöglichen und diese zugleich verfassungskonform auszugestalten. Zur Erreichung dieses Ziels wollte sich der Gesetzgeber ersten Ankündigungen zufolge an den Vorgaben des BVerfG orientieren und nur minimalinvasive Änderungen an der bestehenden Rechtslage vornehmen. Entsprechend findet sich in dem Regierungsentwurf vom 8.7.2015 eine eng gefasste Verschonungsregelung, die sicherlich auch dem Zweck dienen sollte, das Steueraufkommen zu erhöhen. Dem standen diverse Stimmen aus Wirtschaft und Politik entgegen, wonach mittelständische und inhabergeführte Unternehmen durch möglichst weitreichende Verschonungsregelungen gesichert werden sollten.5 Wie die Bundestagsdebatte am 29.9.20166 zeigte, verliefen die Konfliktlinien nicht nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch über Parteigrenzen hinweg und führten dazu, dass sich die in Bundestag und Bundesrat vertretenen Parteien nicht innerhalb der vom BVerfG vorgegebenen Frist auf ein Gesetz einigen konnten. Das jetzt verabschiedete Gesetz stellt folglich einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen dar, dessen Verfassungskonformität abzuwarten bleibt. Selbst Mitglieder der Fraktionen, die derzeit die Regierung bilden, schließen eine erneute Vorlage an das BVerfG nicht aus.7 In jedem Fall lässt sich feststellen, dass sich die Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen – insbesondere hinsichtlich der Ermittlung des begünstigten Vermögens in Abgrenzung vom Verwaltungsvermögen – mit dem ErbStAnpG noch einmal verkompliziert haben.

5

Ausgangspunkt der Verschonungsregelungen bildet das begünstigungsfähige Vermögen. Wie bisher umfasst das begünstigungsfähige Vermögen land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen (inklusive Beteiligungen an gewerblich und freiberuflich tätigen Personengesellschaften) sowie Anteile an Kapitalgesellschaften, an deren Nennkapital der Erblasser oder Schenker unmittelbar zu mehr als 25 % beteiligt war.8 Eine zwischenzeitlich vorgesehene Einschränkung für gewerblich geprägte Personengesellschaften und reine Beteiligungskapitalgesellschaften wurde nicht umgesetzt.9

6

Die Regelverschonung (steuerfreie Übertragung von 85 % des begünstigten Vermögens) und die Optionsverschonung (vollständig steuerfreie Übertragung des begünstigten Vermögens) werden beibehalten. Abweichend von der bisherigen Regelung greifen die vorgenannten Verschonungsregelungen jedoch nur bei Erwerben von bis zu 26 Mio. EUR. Übersteigt ein Erwerb diesen Betrag, kommt es grundsätzlich zur vollen Versteuerung. Es besteht dann jedoch die Möglichkeit, den Verschonungsabschlag10 oder die Verschonungsbedarfsprüfung11 zu beantragen.

7

Wie bisher hängt die Gewährung der Steuerbegünstigung von der Einhaltung von Mindestlohnsummen und Behaltensfristen ab. Bei der Regelverschonung darf die Mindestlohnsumme, deren Höhe künftig an die Anzahl der Beschäftigten geknüpft ist, innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb nicht unterschritten werden.12 Zudem darf keine Veräußerung oder ein dieser gleichgestellter Tatbestand verwirklicht und keine Überentnahme getätigt werden. Im Fall der Optionsverschonung erhöht sich die Mindestlohnsumme, und die Behaltensfrist verlängert sich auf sieben Jahre.

8

Eine wesentliche Änderung besteht darin, dass die Erfüllung des Verwaltungsvermögenstests anders als bisher nicht mehr zu einer Verschonung des gesamten übertragenen Betriebsvermögens führt. Stattdessen soll künftig nur noch das begünstigte Betriebsvermögen von der Verschonung erfasst werden. Das verbleibende Verwaltungsvermögen ist hingegen grundsätzlich nicht mehr begünstigt. Diese und weitere Neuregelungen, die rückwirkend zum 1.7.2016 in Kraft treten, werden im folgenden Abschnitt überblicksartig erläutert.

III. Neuregelungen

1. Begünstigtes Vermögen 13

9

Jegliches Betriebsvermögen stellt grundsätzlich begünstigungsfähiges Vermögen dar. Es handelt sich jedoch nur insoweit um begünstigtes Vermögen, als sein Wert den Wert des Verwaltungsvermögens übersteigt.

10

Der Begriff und die Definition des Verwaltungsvermögens werden im Prinzip beibehalten, es erfolgen lediglich Modifikationen im Detail. Nach wie vor gehören zum Verwaltungsvermögen Dritten zur Nutzung überlassene Immobilien, Anteile an Kapitalgesellschaften mit einer Beteiligung am Nennkapital von nicht mehr als 25 %, Kunstgegenstände, Wertpapiere und verbriefte Forderungen sowie Finanzmittel, soweit ihr gemeiner Wert nach Abzug von Schulden, unter Beachtung weiterer Voraussetzungen, 15 % des begünstigten Betriebsvermögens übersteigt.14

11

Ausgenommen bleibt Vermögen, welches zwar seiner Art nach grundsätzlich als Verwaltungsvermögen zu qualifizieren wäre, jedoch ausschließlich und dauerhaft der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen dient und dem Zugriff anderer Gläubiger als der unmittelbar berechtigten Gläubiger entzogen ist.15

12

Zu den Finanzmitteln zählen Zahlungsmittel, Geschäftsguthaben, Geldforderungen und andere Forderungen, die nicht verbrieft sind (z.B. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen).16 Der gemeine Wert von Schulden wird vorrangig mit den vorhandenen Finanzmitteln verrechnet.17 Verbleibende Schulden werden anteilig von dem gemeinen Wert des Verwaltungsvermögens abgezogen.18 Die anteiligen Schulden bestimmen sich dabei nach dem Verhältnis des sonstigen Verwaltungsvermögens zum gemeinen Wert des Betriebsvermögens zuzüglich der verbleibenden Schulden.19

13

Soweit nach Abzug von Schulden ein Finanzmittelüberhang verbleibt, reduziert sich dieser um maximal 15 % des begünstigten Betriebsvermögens.20 Der Abzug des sog. 15 %-Sockelbetrags erfolgt aber nur, wenn das „begünstigungsfähige Vermögen des Betriebs oder der nachgeordneten Gesellschaften nach seinem Hauptzweck einer [originär gewerblichen] Tätigkeit dient“.21 Dabei ist unklar, „ob nur eine oder sämtliche nachgeordneten Gesellschaften eine entsprechende Tätigkeit entfalten müssen“.22 In Fällen, in denen der Finanzmittelüberhang höher ist als der 15 %-Sockelbetrag, besteht grundsätzlich ein Potenzial zur Schaffung weiterer unschädlicher Finanzmittel. Ob eine Umschichtung – bspw. von Wertpapieren – in Finanzmittel sinnvoll ist, muss sorgfältig abgewogen werden.

14

Zwar entstehen durch eine solche Umschichtung, soweit die Höhe des Verwaltungsvermögens insgesamt unverändert bleibt, keine erbschaftsteuerlichen Nachteile. Ein Vorteil ergibt sich jedoch nur dann, wenn der Abzug des 15 %-Sockelbetrags tatsächlich möglich ist. Dies ist zumindest in den Fällen unsicher, in denen Unternehmen – bspw. nach der Veräußerung eines Unternehmensteils – ohnehin über einen hohen Bestand an liquiden Mitteln, Wertpapieren oder Forderungen verfügen und aufgrund des Verhältnisses von Verwaltungsvermögen zu begünstigtem Vermögen nicht als originär gewerblich, sondern als vermögensverwaltend tätig qualifiziert werden könnten. Nicht zuletzt ist die Beeinflussung betriebswirtschaftlicher Entscheidungen durch erbschaftsteuerliche Regelungen kritisch zu sehen.

15

Die wesentliche Änderung zum bisherigen Recht besteht darin, dass das nach anteiligem Schuldenabzug verbleibende Verwaltungsvermögen bis auf einen geringfügigen Teil von 10 % (unschädliches Verwaltungsvermögen23, sog. „Schmutzzuschlag“) grundsätzlich nicht mehr begünstigt und damit vollständig der Besteuerung zu unterwerfen ist. Je nach Verwandtschaftsgrad zwischen Schenker (bzw. Erblasser) und Erwerber kommt dabei ein Steuersatz von bis zu 30 %, 43 % bzw. 50 % zur Anwendung.

16

Gleiches gilt für junges Verwaltungsvermögen, das dem Betrieb im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer weniger als zwei Jahre zuzurechnen war.24 Junge Finanzmittel und junges (sonstiges) Verwaltungsvermögen können weder als unschädliches Verwaltungsvermögen behandelt noch in die oben erläuterte Schuldenverrechnung einbezogen werden. Sie sind damit vollständig nicht begünstigt und der Besteuerung zu unterwerfen.

17

Neben den dargestellten Änderungen enthält das ErbStAnpG eine neue „Stolperfalle“, die sog. 90 %-Grenze oder Brutto-Verwaltungsvermögensquote. Demnach darf das Bruttoverwaltungsvermögen (ohne Abzug von Schulden) nicht mehr als 90 % des „gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens“25 betragen, d.h. des Unternehmenswerts (nach Abzug von Schulden). Bei einer Überschreitung dieser 90 %-Grenze wird insgesamt keine Begünstigung mehr gewährt!

18

Im Rahmen einer risikoorientierten Betrachtung muss der 90 %-Grenze besondere Beachtung geschenkt werden. Wenn der Unternehmenswert sinkt oder das Verwaltungsvermögen steigt, führt dies automatisch zu einem Anstieg der Brutto-Verwaltungsvermögensquote. Das folgende Beispiel zeigt, dass hiervon insbesondere hochverschuldete Unternehmen betroffen sein können:

Verbundvermögensaufstellung 26

Maschinen 20 Mio. EUR

Eigenkapital 4,5 Mio. EUR

(Unternehmenswert 10 Mio. EUR)

Finanzmittel 9,5 Mio. EUR

Schulden 25 Mio. EUR

29,5 Mio. EUR

29,5 Mio. EUR

19

Nach dem Wortlaut des ErbStAnpG könnte dieses Unternehmen keine erbschaftsteuerliche Begünstigung mehr erhalten, da die Finanzmittel vor Abzug von Schulden mehr als 90 % des Nettounternehmenswerts in Höhe von 10 Mio. EUR betragen. Ob der Gesetzgeber dies bezweckt hat, darf bezweifelt werden.

20

Beim Erwerb von Todes wegen – nicht bei Schenkungen! – entfällt die Zurechnung von Vermögensgegenständen zum Verwaltungsvermögen rückwirkend zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer, wenn der Erwerber diese Vermögensgegenstände innerhalb von zwei Jahren in begünstigungsfähiges Vermögen investiert.27 Diese sog. Investitionsklausel setzt jedoch voraus, dass die Investition aufgrund eines „vorgefassten Plans des Erblassers“28 erfolgt. Die praktische Anwendbarkeit der Investitionsklausel ist damit fraglich, da ein Plan zur Durchführung einer Investition eigentlich Sache der Geschäftsführung ist. Nur die 100 %-Beteiligung eines Gesellschafters ermöglicht grundsätzlich die volle Kontrolle, weshalb die Investitionsklausel in diesen Fällen wohl anwendbar sein dürfte. Insgesamt ist die Praktikabilität der Investitionsklausel unseres Erachtens zweifelhaft, weshalb spätere Verlautbarungen der Finanzverwaltung mit Spannung erwartet werden dürfen.

2. Konzernstrukturen 29

21

Während bei mehrstufigen Unternehmensstrukturen bisher eine stufenweise Betrachtung „von unten nach oben“ erfolgte, ist künftig eine zusammenfassende Betrachtung im Wege einer Verbundvermögensaufstellung30 erforderlich. Dies führt bspw. dazu, dass ein „Vergraben“ von Liquidität auf unteren Konzernebenen – unter Einhaltung der relevanten Verwaltungsvermögensquote auf der obersten Konzernebene – nicht mehr möglich ist.

22

Die Verbundvermögensaufstellung darf nicht mit einer Konzernbilanz verwechselt werden. Entsprechend der Gesetzessystematik werden in der Verbundvermögensaufstellung neben den Schulden nur die Vermögensgegenstände erfasst, die zum Verwaltungsvermögen zählen.31 Im Rahmen einer konsolidierten Betrachtung wird dabei das Verwaltungsvermögen einer jeden Konzerngesellschaft ermittelt und auf der obersten Konzernebene in der Verbundvermögensaufstellung „gesammelt“. Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen verschiedenen Konzerngesellschaften (sog. Intercompany-Darlehen) werden in der Verbundvermögensaufstellung – ggf. anteilig entsprechend der bestehenden Beteiligungsquote – nicht berücksichtigt.32

23

Bei Personengesellschaften gehören Verrechnungsforderungen von Gesellschaftern – also Guthaben auf einem Gesellschafter-Darlehenskonto, das als Fremdkapital qualifiziert, – ebenfalls zu den Finanzmitteln. Solche Verrechnungsforderungen eines Gesellschafters, der seine Anteile vererbt oder verschenkt, werden – ebenso wie personengebundene Rücklagen – in voller Höhe in der Verbundvermögensaufstellung erfasst, während die Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens und Schulden der Personengesellschaft (gemäß Gesamthandelsbilanz) nur in Höhe der Beteiligungsquote des betroffenen Gesellschafters angesetzt werden.

3. Sonderregelungen für Familienunternehmen 33

24

Familienunternehmen zeichnen sich häufig durch eine restriktive Ausgestaltung ihrer Gesellschaftsverträge bzw.34bzw.35bzw.