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W. A. Hary

TEUFELSJÄGER 079-080: Der Zorn Afrikas

...und "Mit den Waffen des Bösen"


Nähere Angaben zum Herausgeber und Autor siehe WIKIPEDIA unter Wilfried A. Hary: http://de.wikipedia.org/wiki/Wilfried_A._Hary


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Wichtiger Hinweis

Diese Serie erschien bei Kelter im Jahr 2002 in 20 Bänden und dreht sich rund um Teufelsjäger Mark Tate. Seit Band 21 wird sie hier nahtlos fortgesetzt! Jeder Band (siehe Druckausgaben zum Beispiel hier: http://www.hary.li ) ist jederzeit nachbestellbar.

 

 

 

TEUFELSJÄGER 079-080


W. A. Hary

Der Zorn Afrikas


…und:


W. A. Hary

Mit den Waffen des Bösen

Impressum

Alleinige Urheberrechte an der Serie: Wilfried A. Hary

Copyright Realisierung und Folgekonzept aller Erscheinungsformen (einschließlich eBook, Print und Hörbuch) by www.hary-production.de

ISSN 1614-3329

Copyright dieser Fassung 2018 by www.HARY-PRODUCTION.de

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eMail: wah@HaryPro.de

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Darstellung Schavall: Helmut Bone

Titelbild: Michael Mittelbach

Coverhintergrund: Anistasius


TEUFELSJÄGER 079:


W. A. Hary

Der Zorn Afrikas

Das typische Brausen der Großstadt war allgegenwärtig. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass dabei jede Großstadt ihre eigene Melodie hatte, und ich war fest überzeugt davon, die Melodie der Megametropole London aus tausend anderen haargenau heraushören zu können.

Das wurde mir wieder bewusst, als ich an diesem Abend hinaustrat auf die Terrasse hinter Mays Villa. Da ahnte ich ja noch nicht…


1


Ich sog die kühle Abendluft in meine Lungen. Heutzutage konnte man das ja unbeschadet, nachdem sich die politische Führung seit Jahrzehnten emsig bemühte, zur Sauberkeit von Londons Luft beizutragen. Mit dem Ergebnis, dass meines Wissens nach London als die Stadt mit der saubersten Luft von allen Großstädten dieser Welt galt.

Eine Behauptung, die ich nur allzu gern glaubte, weil London als meine Heimatstadt eben gleichzeitig auch meine Lieblingsstadt war.

Ich schaute zum niemals wirklich dunkel werdenden Nachthimmel hinauf. Abermillionen Lichter beleuchteten ihn wie jede Nacht. Aber irgendwie war es diesmal anders als sonst. Ich spürte es mehr als dass ich es sehen konnte.

Ich lauschte überrascht der Melodie des stetigen Rauschens.

Auch da fiel mir eine winzige Änderung auf, die ich in keiner Weise einordnen konnte.

Bis ich die dunkle Wolke sah.

Es war keine Gewitterwolke, aber mindestens ebenso schwarz. Aber es konnte gar keine Gewitterwolke sein, denn seit wann war eine solche... durchsichtig? Es war eher ein diffuser Schatten denn eine Wolke, wenn auch mit uneinheitlichen Konturen. Es gab keine wirkliche Form, die man damit vergleichen konnte.

Meine Stirn runzelte sich. Ich kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als könnte ich dadurch besser sehen.

Der Eindruck blieb. Und die Wolke blieb auch - eher vage mit ihrer Durchsichtigkeit.

Erneut lauschte ich auf die Melodie der Großstadt.

Ja, eine winzige, kaum wahrnehmbare Veränderung, aber ich bildete mir ein, diese Melodie so genau zu kennen, dass es mir einfach auffallen musste.

Ob ich der einzige an diesem späten Abend war?

Als wäre dies das Stichwort, trat May neben mich.

„Ein herrlicher Abend. Zwar ein wenig zu kühl für meine Begriffe, aber für ein paar Minuten ist das auszuhalten, um den Abend richtig genießen zu können.“

Es bewies mir, dass sie nichts bemerkte.

Ich deutete mit ausgestrecktem Arm in Richtung dessen, was ich immer noch als Wolke bezeichnete.

„Siehst du das?“

„Was denn?“, kam ihre Gegenfrage.

„Die Wolke“, führte ich aus.

„Welche Wolke?“

Ich schaute sie irritiert an. Konnte es wirklich sein, dass sie nichts sah oder wollte sie mich nur auf den Arm nehmen?

Sie erwiderte meinen Blick und erschien mir genauso irritiert zu sein, wenn auch aus anderen Gründen.

„Da schwebt eine seltsame, dunkle Wolke, irgendwie durchsichtig, eher wie ein Schatten denn eine echte Wolke“, versuchte ich, ihr auf die Sprünge zu helfen.

Sie schaute erneut hin und schüttelte dann den Kopf.

„Tut mir leid, Mark, ich sehe gar nichts. Der Himmel ist ungewöhnlich klar heute Abend. Die Sterne kommen gut zur Geltung, sofern sie hell genug sind, um den Widerschein der Großstadt zu überstrahlen.“

Ich blies die Wangen auf und schaute wieder selber hin.

Zwar fand ich ihre Aussage bestätigt, was die Sterne betraf, die sogar durch jene Wolke hindurchschimmerten. Aber dass ich eben genau diese Wolke scheinbar als Einziger sehen konnte, gab mir dennoch zu denken.

Fing ich an, Gespenster zu sehen – und das im wahrsten Sinne des Wortes?

Unwillkürlich tastete ich nach meinem Amulett, dem Schavall, an meiner Brust. Es fühlte sich kalt an. Also blieb der Schavall neutral, was bedeutete, dass keinerlei schwarzmagische Kräfte auf mich einzuwirken versuchten.

Der Eindruck jener Wolke blieb dennoch.

Und May konnte sie immer noch nicht sehen, sonst hätte sie etwas diesbezüglich gesagt.

Ich kniff mal wieder die Augen zusammen und dachte: Wenn das kein schlechtes Omen ist, dann weiß ich auch nicht mehr… Nennt man mich nicht den Teufelsjäger? Bin ich nicht das, was man als einen Experten bezeichnet, in Dingen, die jenseits des normalen Begriffsvermögens angesiedelt sind?

Aber seit wann sah ich dunkle, durchsichtige Wolken, ich, Mark Tate, die wie Schatten über London lauern - und blieb dabei der einzige?

Schließlich war May Harris ja auch nicht irgendwer, sondern eine äußerst fähige Weiße Hexe. Es war schier unmöglich, dass ich etwas sehen konnte, was ihr verborgen blieb. Denn sie hatte dafür besonders ausgeprägte Sinne, die eigentlich bei mir überhaupt nicht vorhanden waren.

Ich war und blieb ein durchaus normaler Mensch und unterschied mich von anderen normalen Menschen lediglich durch meinen immensen Erfahrungsschatz.

Aber auch in diesem Erfahrungsschatz fand ich nichts, was mit dieser durchsichtigen schwarzen Wolke in Zusammenhang gebracht werden konnte.

Und in der Zwischenzeit hatte sich die Großstadtmelodie weiter verändert. Nur um Nuancen, doch ich glaubte, bereits die ersten Dissonanzen heraushören zu können.

Aber auch, was das betraf, war und blieb ich der einzige. May an meiner Seite konnte nichts dergleichen feststellen.

Was, um alles in Welt, geschah hier?


*


„Mir ist es auf die Dauer echt zu kühl“, meinte May, wandte sich ab und betrat hinter mir das Haus.

Als Weiße Hexe hätte sie verhindern können, die Kälte überhaupt zu spüren. Aber May hasste es, ihre Hexenkräfte im Alltag einzusetzen. Sie tat das nur dann, wenn es nötig erschien. In der übrigen Zeit war sie lieber wie eine normale Frau.

Was ihr hervorragend gelang.

Ich schaute ihr nachdenklich nach und blieb. Sonderlich kälteempfindlich war ich nie gewesen. Auch ohne Magie.

Entweder, May nahm meine Beschreibungen betreffend den Schatten über London nicht ernst oder sie wollte erst einmal abwarten, bis sich das Rätsel deutlicher offenbarte.

Mein Blick ging wieder hinauf.

Die Dissonanz der Großstadtmelodie war unüberhörbar. Selbst wenn ich kein besonderes Ohr dafür gehabt hätte, wäre sie mir jetzt aufgefallen. Und die Wolke war endgültig zu einem bedrohlichen Schatten geworden.

Moment mal, was war eigentlich dort, wo sie schwebte?

Es war nur sehr schlecht abzuschätzen, weil ich keine Ahnung hatte, wie hoch sie hing. Da konnte man sich durchaus um einige Kilometer verschätzen. Deshalb gab ich es wieder auf.

Und dann war das Phänomen verschwunden, von einer Sekunde zur anderen. Und auch die Großstadtmelodie brauste vor sich hin wie gewohnt.

Ich blinzelte überrascht, starrte noch eine Weile dorthin und wandte mich dann ebenfalls ab, um May in das Innere ihrer Villa zu folgen.

Sie saß auf dem Sofa und wirkte ein wenig verloren. Offensichtlich wartete sie auf mich. Ihre Ungeduld zügelte sie mühsam.

„Und?“

Mehr sagte sie nicht.

Ich zuckte die Achseln.

„Es ist weg. Nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu hören.“

„Bleibt die Frage, was das sollte“, sinnierte May laut. „Nicht nur, wieso nur du es hast wahrnehmen können.“

Abermals zuckte ich die Achseln und griff nach der Fernbedienung des Fernsehers, um mich abzulenken.

Es war sowieso fruchtlos, sich über das Erlebte Gedanken zu machen. Dabei kam man auf keinen grünen Zweig.

Endlich tauchte das Bild auf. Unwillkürlich zappte ich zum nächsten Nachrichtensender. Dauernachrichten.

Und die Sondermeldung: Katastrophe in London!

„In der Londoner Innenstadt detonierte ein Tanklastzug aus noch ungeklärten Gründen. Sofort griff das Feuer auf alle sich in Reichweite befindlichen Autos über und auch auf die Häuser. Auch alle in Brand geratenen Autos detonierten. Die Feuerwehr ist soeben dabei, am Unglücksort einzutreffen. Die Katastrophe ereignete sich erst vor wenigen Minuten. Zufällig war eines unserer Teams vor Ort, wegen einer völlig anderen Recherche. Hier die Aufnahmen, die uns direkt ins Studio überspielt wurden.“

Es war grauenhaft, im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Meer von Feuer, Schreie von tödlich Verletzten... Soeben brach eine Hausfassade in sich zusammen. In dem Haus befanden sich noch Menschen, die teilweise mit in den Tod gerissen wurden…

Ich musste zugeben, ich hatte selten in meinem Leben solch schreckliche Bilder gesehen!

Aber Moment mal! Mir fiel etwas ein: Ein Tanklastzug mitten in der Stadt?

Der größte Teil der Innenstadt war verkehrsfrei. Man konnte nur hinein mit Sondergenehmigung. Ansonsten war London nicht nur die angeblich sauberste Stadt der Welt, sondern auch die Stadt mit den meisten Elektrofahrzeugen – zumindest zu diesem Zeitpunkt. Eben weil man sonst in der Innenstadt kaum irgendwohin kam, ohne die öffentlichen Verkehrsmittel wie U-Bahn und dergleichen.

Das schoss mir blitzschnell durch den Kopf.

Das Ganze ergab doch eigentlich gar keinen Sinn!

Nicht nur wegen dem Tanklastzug, sondern auch wegen den vielen Autos, die unmittelbar als erste von der Katastrophe mit betroffen waren.

Das war noch nicht einmal die einzige Ungereimtheit: Ein komplettes Fernsehteam, rechtzeitig vor Ort, um die schrecklichen Bilder in alle Welt zu übermitteln?

Ich schaute May an und sah ihre geweiteten Augen.

„Das – das ist doch nicht normal!“, entfuhr es ihr. Mit diesen wenigen Worten hatte sie genau umrissen, was ich insgeheim ebenfalls dachte.

Wenn ich dann noch berücksichtigte, was ich draußen gesehen hatte: Die seltsame Wolke, die wie ein drohender schwarzer Schatten möglicherweise genau über dem betreffenden Gebiet geschwebt war…!

Sie war verschunden - just in dem Moment, als die Katastrophe begonnen hatte!

Wäre ich länger draußen geblieben, hätte ich vielleicht noch etwas davon mitbekommen. Vielleicht.

Doch genauer betrachtet: Ich hätte die Explosionen sowieso hören müssen! Aber mir war nur aufgefallen, dass sich die Melodie der Großstadt wieder normalisiert hatte.

Stand das nicht im direkten Widerspruch zu meinen Beobachtungen? Immerhin hatte ich ja den Eindruck gewonnen, mit dem Verschwinden des Schattens habe sich die Großstadtmelodie wieder normalisiert.

Vielleicht waren die Explosionen weit genug entfernt gewesen, um sie nicht unmittelbar hören zu können, aber ich hätte es sozusagen als Abweichung in der Melodie feststellen müssen!

Ich fasste mir an die Stirn, als würde mir das helfen, meine Gedanken zu ordnen.

„Verdammt noch eins“, fluchte ich, was eigentlich ganz und gar nicht meine Art war. „Mir scheint, da hat mich jemand oder etwas absichtlich auf die Ereignisse aufmerksam gemacht. Aber wieso?“

„Und wer?“, fügte May hinzu.

Ich wusste keine Antwort. Auf nichts! Weil es halt keinen rechten Sinn ergab.

Es sei denn eben, man vermutete, irgendeine unbekannte Macht wollte mich genau auf die Katastrophe aufmerksam machen und mir dabei erklären, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen war.

Gewiss würden die Polizei und später auch die Medien plausible Erklärungen für die Vorgänge finden, soweit sie eruiert werden konnten. Aber ich war auf einmal felsenfest davon überzeugt, dass es die falschen Erklärungen sein würden.

Irgendeine mir noch völlig unbekannte Macht steckte dahinter. Doch was wollte sie damit bezwecken? Reiner Terrorismus von irgendwelchen gehirnamputierten Fanatikern, in der irrigen Annahme, damit die Welt verändern zu können?

Wenn ja, passte jener Schatten nicht dazu.

Eine fremde, noch unbekannte Macht, doch sie musste eingeordnet werden dort, wo sich die Hauptfeinde der Menschheit befanden: Bei den Schergen des Teufels! Jene benötigten kein extra Motiv für Untaten. Sie labten sich am Elend und am Leid der Menschen. Ja, es war für sie das reine Labsal. Dafür ließen sie schon einmal Selbstmordattentäter auf die Menschheit los, wobei sich Polizei und Medien Gedanken über die Motive machten. Ohne auch nur zu ahnen, dass eben das wahrhaftig Böse kein Motiv benötigte, um das zu sein, was seiner Natur entspricht: Nämlich böse!

„Es ergibt trotzdem keinen Sinn!“, sagte ich laut und schüttelte den Kopf.

„Genau!“, bestätigte May und bewies mir damit, dass sie heimlich meine Gedanken belauschte. Normalerweise konnte ich das nicht ausstehen. Logisch! Aber diesmal war es mir egal. Es gab schließlich Schlimmeres.

Und es gab außerdem keinerlei Hinweise auf die wahren Täter.

Außer vielleicht: Irgendwie hatte ich bereits damit zu tun, obwohl ich nicht einmal wusste, worum genau es überhaupt ging!


2


Ich versuchte es einfach, obwohl es schon reichlich spät war: Ich rief in New Scotland Yard an. Die Nummer, die mich direkt mit dem Büro von Chefinspektor Tab Furlong verband. Wenn jetzt jemand Rat wusste, dann ausschließlich er.

Ich hätte auch bei ihm daheim anrufen können. Aber das konnte ich immer noch tun, wenn sich herausstellen sollte, dass er um diese Zeit nicht mehr im Büro verweilte.

Er hob persönlich ab!

„Noch im Dienst?“, fragte ich überflüssigerweise.

Er erkannte sofort meine Stimme und murrte: „Überstunden, wie in letzter Zeit viel zu oft. Die arme Kathryn, sitzt daheim und wartet auf mich. Vergeblich. Gerade wollte ich endlich Feierabend machen, da kam diese Katastrophe. Du hast was davon mitbekommen?“

„Deshalb rufe ich an“, bestätigte ich ihm. Und dann erzählte ich, was ich erlebt hatte.

„Schatten über London – und anschließend das…“, sinnierte Tab Furlong. Er war im Yard so etwas wie der Experte für Fälle, die sonst niemand lösen konnte. Wann immer es um Übersinnliches ging oder um etwas, das danach aussah, war er zuständig. Und in letzter Zeit gab es für ihn besonders viel zu tun?

Ich persönlich hatte nichts davon mitbekommen. Ich hatte ganz andere Sorgen gehabt. Also hatte auch Tab Furlong kämpfen müssen. Wenn auch an anderer Front.

„Ob diese Katastrophe mit den Fällen zu tun hat, die du in letzter Zeit hattest?“, fragte ich aufs geratewohl.

„Darüber möchte ich lieber nicht spekulieren. Es waren alles kleine Ereignisse, die kaum erklärbar sind. Ganz normale Bürger, die plötzlich die grausigsten Dinge anstellen. Solches geschieht immer wieder. Siehe allein die Amokläufer, die von Fall zu Fall für Schlagzeilen sorgen. Aber gerade in letzter Zeit häuft sich das. Und es ist keinerlei Motiv erkennbar. Egal, wie tief man auch bohrt.“

„Aha, hat dich der Yard deshalb darauf angesetzt?“

„So wird es sein. Aber auch ich kann nichts feststellen. Also, es scheint nicht mit magischen Dingen zu tun zu haben.“

„Es sei denn, es gibt eine Macht, die aus dem Hintergrund die Fäden zieht und die genannten Leute manipuliert hat. Dann sind die Täter in Wirklichkeit die eigentlichen Opfer“, überlegte ich laut.

„Nicht auszuschließen!“, räumte Tab Furlong ein. „Und jetzt diese Katastrophe. Das könnte vielleicht so etwas wie der Gipfel der bisherigen Ereignisse sein. Wir haben zum Beispiel nicht die geringste Ahnung, was dieser Tanklastzug überhaupt in der Innenstadt zu suchen hatte. Es sieht ganz danach aus, als habe ihn der Fahrer absichtlich dorthin gelenkt, um ihn in die Luft zu jagen. Da er dabei selber ums Leben kam, kann man ihn leider nicht mehr fragen.“

„Ein Selbstmordattentäter? Terrorismus?“

„Ja, das ist nicht auszuschließen, gewiss, aber ich kann nicht so recht daran glauben. Denn es gibt weder ein Bekennerschreiben noch den sonst üblichen Hinweis. Selbst bei der Katastrophe in New York damals hat man ziemlich schnell gewusst, welche Art von Terroristen dahinter steckten. In diesem Fall jedoch: Fehlanzeige! Zumal es sich höchstwahrscheinlich um einen ganz normalen Tanklastzug handelte. Wenn unsere ersten Recherchen richtig sind – beziehungsweise die Recherchen der Kollegen vor Ort -, handelte es sich bei dem Fahrer um einen ganz normalen Familienvater. Daheim hat er Ehefrau und drei kleine Kinder sitzen. Wie kommt ein solcher Mann plötzlich auf die Idee, so spektakulär sich selber in die Luft zu sprengen?“

„Mir ist noch etwas durch den Kopf gegangen: Da herrschte zur gleichen Zeit ganz schön dichter Verkehr, den Bildern nach zu urteilen. Wohlgemerkt: Um diese Zeit und im unmittelbaren Bereich der Explosion.“

„Richtig! Auch das ist den Kollegen aufgefallen.“

„Als hätte eine unsichtbare Macht all diese Menschen dahingehend manipuliert und sie somit in den Tod geschickt!“, sagte ich. Es war mehr als nur reine Spekulation, denn eigentlich wies alles darauf hin.

„Fragt sich letztlich, wie diese dunkle Wolke, dieser Schatten, zu allem passt!“, wunderte sich Tab Furlong.

„Tust du mir den Gefallen und hältst du mich auf dem Laufenden?“, bat ich.

„Wie wäre es denn damit, dass du her kommst? Dich kennt man ja im Yard. Es dürfte kein Problem sein, dich bis zu mir zu lassen. Ich kann zwar nicht versprechen, dass ich hier auf dich warten kann, aber mir wäre schon lieb, wenn du mit dabei wärst.“

„Danke, Tab!“, sagte ich und legte auf.

Mein Blick kreuzte sich mit dem von May. Da ich den Lautsprecher eingeschaltet hatte, war ihr kein Wort unseres Dialoges entgangen.

Wir liefen gemeinsam zur Garderobe, schnappten unsere Jacken und rannten zu ihrem Auto, das in der großen Garage stand. Ein schwerer Bentley. Ich selber fuhr ja einen kleinen Minicooper. Eines der wenigen Exemplare dieses Baujahrs, die sich noch aus eigener Kraft bewegen konnten. May weigerte sich regelmäßig, mit einzusteigen. Ihre Vorträge, von wegen, ich sollte mir endlich ein Auto anschaffen, das zuverlässig sei, wenn ich schon nur deshalb ein Auto besaß, um im Notfall schnell genug vor Ort sein zu können, kannte ich zur Genüge. Aber ich konnte mir nun einmal kein anderes leisten. Und eins schenken lassen wollte ich mir auch nicht. Obwohl es der millionenschweren Erbin von Harris-Industries sicher nicht weh getan hätte. Aber mein Stolz hatte etwas dagegen…


*


„Tut mir leid“, sagte Chefinspektor Tab Furlong wenig später per Handy. „Ich muss vor Ort, bin dann also nicht mehr da.“

„Vielleicht sollten wir halt umdisponieren und uns am Ort der Geschehnisse treffen?“, schlug ich vor und nickte May gleichzeitig zu, die mich fragend von der Seite anschaute.

Es genügte, um sie wissen zu lassen, dass es sich um Tab Furlong handelte, der angerufen hatte.

„Noch besser!“, meinte Tab Furlong. „Ich sage dem Superintendent Bescheid, der vor Ort das Kommando hat. Ich werde da nur so eine Art Berater spielen. Obwohl ich nicht das Gefühl habe, dabei eine sonderlich große Hilfe zu sein, aber vielleicht hast du ja mehr Glück als ich?“

„Meinst du, May kann mit ihrem Bentley bis zum Katastrophenort fahren?“

„Ich weiß es nicht sicher, aber alles wurde weiträumig abgeriegelt. Es dürfte schwierig werden. Ich fürchte, ihr müsst den Rest der Strecke zu Fuß laufen. Oder ihr kommt gleich mit Mays Elektroauto.“

„Das steht leider in der Garage – und bis wir wieder zurückgekehrt sind, um umzusteigen… Nein, da riskieren wir lieber einen Fußmarsch.“

„Wie ihr wollt“, sagte Tab und legte wieder auf.

Ich nickte May abermals zu: „Du hast es mitbekommen: Wir treffen Tab vor Ort. Er startet gleich. Allerdings hat er mich gewarnt. Wir werden wohl den Rest zu Fuß laufen müssen.“

Es dauerte nicht lange, da wurde der Verkehr dichter. Klar, die Fernsehberichte lockten Unmengen von Neugierigen an, und es wurden immer mehr. Ich hasste das, aber was sollte ich dagegen machen?

Es wurde immer schwieriger, voran zu kommen, denn die Neugierigen wollten selbstverständlich möglichst nahe an das Geschehen herankommen, ohne sich zu Fuß bemühen zu müssen.

Ehe wir noch einen Blechschaden riskierten, stellte May einfach den Bentley ab. Wir stiegen aus.

Es stellte sich als großer Fehler heraus, dass wir nicht das Elektroauto geholt hatten. Selbst wenn wir mit meinem alten Minicooper unterwegs gewesen wären, hätte es mich ruhiger gestimmt.

Unterwegs griff ich unwillkürlich nach dem Schavall, der vor meiner Brust pendelte. Nicht nur, um ihn festzuhalten, sondern ich wollte überprüfen, ob er in irgendeiner Weise reagierte.

Das hieß aber noch lange nicht, dass es vor Ort keine magischen Ausstrahlungen gab.

Die Masse der Neugierigen wurde dichter – und auch zu Fuß gestaltete sich das Vorankommen immer schwieriger. Bis wir zur ersten Absperrung kamen.

Er hatte absolut kein Interesse daran und wies mich barsch zurück.

Ich ließ mich nicht so leicht abwimmeln.

„Ein Privatdetektiv als Gutachter?“, schnarrte er abweisend. „Das glauben Sie doch wohl selber nicht!“

„Nun lassen Sie mich endlich weiter, ehe es zu spät ist. Es zählt jede Sekunde, auch wenn Sie das nicht glauben wollen. Kontrollieren Sie es einfach und halten sie mich nicht länger auf!“

„Wenn ich einen durchlasse, wollen alle durch“, argumentierte dieser jetzt. „No go!“

War er so aggressiv, weil die Leute hinter mir drängelten?

Mein Kopf fuhr herum.

Wäre sie keine so fähige Hexe gewesen, wäre sie längst untergegangen. Die Menge hätte sie zu Tode geprügelt.

Schaumflocken stoben von seinen Lippen. Er hob den Gummiknüppel, um ihn auf meinen Schädel niedersausen zu lassen.

Ich hatte den Schavall immer noch in der Hand. Er war glühendheiß geworden.

Ich sah aus den Augenwinkeln, dass die Kollegen von dem vor mir bereits herbei sprangen, ebenfalls mit drohend erhobenem Gummiknüppel, und ich war das Zentrum ihres tödlichen Zorns…