Joachim H. Peters (Hrsg.)


Bier mit Schuss










Kriminelle Biergeschichten von Joachim H. Peters und den üblichen Verdächtigen













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Handlung und Figuren dieser Anthologie entspringen der Phantasie der Autorinnen und Autoren. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt.
Thomas Breuer – Unterhopft

Man nehme Malz und Wasser, vermische und erhitze es kontrolliert, sodass eine Maische entsteht, überprüfe mit dem Jodtest Enzyme und Stärke, läutere das Gemisch über ein Siebsystem, messe mit der Spindel die Stammwürze, koche alles erneut auf und füge in Etappen den Hopfen hinzu. Erst der gibt dem Bier seinen Geschmack und macht es haltbar. Später wird noch Hefe hinzugegeben für die Gärung.
Das ist traditionelle Braukunst. Eigentlich ganz einfach. Und darüber, dass das Werk gelinge, wacht das Reinheitsgebot.
»Hopfen und Malz, Gott erhalt’s«, heißt es, und es ist kein Zufall, dass der Volksmund den Hopfen an die erste Stelle setzt. Ich weiß das natürlich seit Langem, aber die volle Tragweite habe ich doch erst an jenem verhängnisvollen Abend erfasst.

***

»Verdammt trockene Luft hier«, krächzte Weber theatralisch und strich sich zur Untermalung mit dem Handrücken über die Kehle.
Wir saßen in unserer Eckkneipe, der Hopfenstube, am Stammtisch und hatten freie Sicht auf die leeren Tische und auf Rudi hinter der Theke, der unbenutzte Gläser wienerte, anstatt sich um seine beiden Gäste zu kümmern.
»Ich bin auch schon völlig unterhopft«, bestätigte ich und winkte Rudi ungeduldig zu. »Gibt’s in diesem Laden eigentlich nichts mehr zu trinken?«, rief ich so entrüstet, wie es mein ausgedörrter Zustand zuließ. »Hast du deine Brauereirechnung nicht bezahlt, oder was?«
»Kommt sofort«, brummte Rudi und begann in aller Gemütsruhe damit, zwei Gläser Bier zu zapfen.
Der Kerl hatte vollkommen seinen Beruf verfehlt und kam für durstige Gäste wie uns in der Bedrohungsskala direkt nach der Wüste Gobi. Ungeduldig warteten wir auf das kühle Blonde, das unseren Hopfen- und Malzhaushalt wieder in Ordnung bringen sollte.
»Ich hab da was absolut Neues für euch«, verkündete Rudi, als er endlich zwei Gläser auf unseren Tisch bugsierte. »Ganz frisch im Anstich. Ihr habt doch feine Zungen und da brauche ich mal eure Expertise.«
»Was ist das?«, fragte ich skeptisch und bohrte meine zu Schlitzen verengten Augen in die verdächtig rotbraune Plörre in dem Glas vor mir. Zu allem Übel ersetzte eine schlierige Oberfläche die so beliebte wie unverzichtbare Schaumkrone.
Selbst Weber zog zweifelnd die Stirn kraus und der hatte von Bier nun wirklich keine Ahnung. Wenn nichts anderes da war, soff der sogar das Plastikflaschenzeug vom Discounter. Diese höchste Form der Abstumpfung war wohl seinem Beruf als Kriminalbeamter geschuldet, der dem Elend der Welt nicht ausweichen konnte und konsequent resigniert hatte.
»Probiert das mal«, motivierte Rudi uns. »Ist zwar etwas teurer als mein altes Pils, soll aber der Renner sein. Und da dachte ich …« Was er gedacht hatte, ließ er armwedelnd in der Luft hängen.
»Lass das Denken«, entgegnete ich und hielt mein Glas prüfend gegen die schummerige Deckenbeleuchtung, was die Sache nicht besser machte. »Davon verstehst du nichts.«
Weber hob sein Glas unter die krause Nase und wagte schließlich einen vorsichtigen Schluck. »Gar nicht schlecht«, urteilte er und kippte das Zeug nun in einem Zug runter. Er hatte so eine Art zu schlucken, ohne dass sich der Adamsapfel bewegte. Es sah aus, als ließe er sich das Bier einfach durch die weit geöffnete Kehle direkt in den Magen laufen. Das war allerdings schon die einzige Fähigkeit, für die ich ihn bewunderte. Was seine geistigen und kombinatorischen Talente als Bulle anging, hielt ich ihn eher für unterbelichtet.
Ich trank nur einen kleinen Schluck, aber selbst den nahmen mir meine Geschmacksknospen postwendend übel. Es war dieses Gemisch aus verflüssigtem Rauch und so etwas wie Kirscharoma mit einer leichten Vanillenote im Abgang, das mir sofort die Kehle zuschnürte. Die Plörre war offenbar nicht einmal in Sichtweite von Bitterhopfen gebraut worden.
Angewidert donnerte ich das Glas mit dem wild schwappenden Gebräu auf den Tisch und funkelte Rudi an. »Was ist das denn für ein Scheiß?«
»Edel-Cherry-de-luxe«, antwortete er mit leuchtenden Augen. »Das kommt aus der neuen Craftbier-Bude drüben im Gewerbegebiet. Die setzen voll auf fruchtige Biere, am liebsten mit ganz wenig Hopfen. Wenn ich das ins Programm nehme, kriege ich vielleicht wieder jüngeres Publikum in meinen Laden.« Dass er dabei für meinen Geschmack etwas zu abschätzig auf uns hinabblickte, machte meine Laune nicht besser.
»Sag mal, hast du sie noch alle?«, fuhr ich ihn an. »Nimm die Plörre wieder mit und bring uns ein anständiges Pils – mit einer Extra-Hopfen-Dosis, aber dalli! Sonst bist du auch deine letzten zwei Gäste los.«
Zugegeben, die Drohung war etwas gewagt, weil ich ja genau genommen nicht für Weber sprechen konnte. Der behielt wie zur Bestätigung meines Zweifels seine gierigen Augen auf mein Bierglas geheftet. Kameradenschwein!, dachte ich.
»Pils wird heute nicht ausgeschenkt.« Rudi zog die Schultern hoch und ließ sie in Zeitlupe wieder sinken. »Erst muss ich das Cherry-Fass leerzapfen.«
»Kein Pils? Nicht mal aus der Flasche?«, machte ich einen verzweifelten Rettungsversuch.
»Ich bin doch kein Kiosk«, entrüstete sich Rudi. »Bei mir gibt’s nur Gezapftes!«
Ich nickte grimmig und schoss ihm Augenpfeile nach, als er langsam wieder von dannen zog.
Weber grinste breit. Er kannte meine Kompromisslosigkeit, wenn es um Bier ging. »Bei den jungen Leuten ist Craftbier der Renner«, warf er in einem Tonfall ein, der mir unbarmherzig attestierte, dass ich nicht up to date war. »Bei den Weibern sowieso, die stehen auf Kirschgeschmack und so’n Zeug. Angeblich fehlen der neuen Craft-Bude, die das hier kreiert hat, nur 250.000 Euro für eine zweite Anlage, dann können die in Serie gehen und die Gastronomie in der ganzen Gegend beliefern. Sollst mal sehen, am Ende trinken nur noch Dinosaurier wie du ein stinknormales Pils.«
»Hast du eine Ahnung, wie viele Arbeitsplätze wir jeden Abend mit unserem wohlverdienten Feierabendbier sichern?«, entgegnete ich. »Unsere gute Traditionsbrauerei ist der größte Arbeitgeber in der Region! Da muss so eine Klitsche erst einmal hinkommen.«
»Apropos Arbeitsplätze.« Weber hob den rechten Zeigefinger und untermalte ihn mit hochgezogenen Brauen. »Hast du schon gehört, dass bei denen die Stelle des Sicherheitschefs vakant ist? Der alte Rennekamp geht demnächst in Rente. Ich denke darüber nach, mich auf den Posten zu bewerben.«
»Wieso das?«, wunderte ich mich. »Du bist doch Beamter. Oder gefällt’s dir bei den Bullen nicht mehr?«
Weber wackelte zweideutig mit dem Kopf. »Die freie Wirtschaft zahlt besser.«
»Geld ist nicht alles.« Ich winkte ab, merkte aber selbst, wie albern der Satz klang, wenn er von einem Privatdetektiv ausgesprochen wurde, von dem jeder wusste, dass er sich und seinen Laden nur mühsam über Wasser halten konnte.
Gleichzeitig keimte der Gedanke in mir auf, dass es für den Posten eines Sicherheitschefs in einer großen Brauerei keinen besseren Kandidaten als mich gab. Schließlich bin ich in einer Brauereistadt im Ruhrgebiet aufgewachsen. Bier ist für mich nicht nur Nahrungs-, es ist Lebensmittel. In meinen Adern zirkuliert Bier. Meine Freunde behaupten sogar, dass schon die Brust meiner Mutter einen Zapfhahn gehabt haben müsse.
Zugegeben, das ist leicht übertrieben. Fakt allerdings ist, dass ich eine spezifische Sozialisation genossen habe. Ich bin in meiner Jugend im Ruhrgebiet auf dem Schulweg täglich Zeuge eines geradezu hypnotisierenden Schauspiels an der Außenwand des gewaltigen Sudhauses unserer Brauerei geworden: Ein aus Neonröhren geformtes Bierglas füllte sich von unten her langsam mit goldgelber Flüssigkeit und lief schließlich weiß schäumend über. Links davon befand sich das andere Monument, das man ebenfalls beinahe als Wahrzeichen meiner Heimatstadt bezeichnen konnte: der Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg mit der aufgesprühten weißen Taube und dem Spruch »Petting statt Pershing!«
Schöne Jugendzeit. Lang ist’s her!
Heute wohne ich nicht mehr im Ruhrgebiet. Mit dem Niedergang der Zechen schlossen zunächst die Kneipen, dann die Brauereien. Mein Biotop trocknete aus. Was blieb mir übrig, als mein Büro in einer anderen Brauereistadt zu eröffnen?
Das Bier meiner Jugend wird nun in Kamerun gebraut. Dort ist es zum Verkaufsschlager geworden. Die armen Schweine da unten haben zuvor nur französisches gekannt. Durch das deutsche Pils haben sie sich quasi vom Kolonialismus geradewegs in die Entwicklungshilfe gerettet. Zumindest vom Saufen haben sie nun keine Kopfschmerzen mehr.
Während ich in Jugenderinnerungen schwelgte, starrte Weber sinnierend gegen die Decke. »Weißt du, Kaczynski, je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass das ein Traumjob für mich wäre«, verkündete er. »Da sitzt man jeden Tag direkt an der Quelle. Und was kann man als Sicherheitschef in einer Brauerei schon groß zu tun haben?«
Da hatte er Recht. Auch ich stellte mir so eine Aufgabe wie einen Ruheposten vor: gesunder Büroschlaf am Tag, sichere Kohle und für die langen Abende ein Deputat an frisch gebrautem Bier. Deshalb genau das Richtige für mich. Ich musste mir also etwas einfallen lassen, um die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen.
Bestimmt war es meine völlige Unterhopfung, die mir in diesem Moment zu einem selbst für mich ungewohnten Ausmaß an geistiger Größe verhalf, jedenfalls reifte in mir ein geradezu genialer Plan. Als ich bemerkte, dass Weber mich misstrauisch beobachtete, weil ich offenbar auffallend nachdenklich geworden war, wuchtete ich mich von meinem Stuhl hoch.
»Zeit für’s Bett«, behauptete ich. »War ein langer Tag. Und mit dem, was Rudi neuerdings Bier nennt, will ich mich gar nicht erst anfreunden.« Ich schob Weber mein noch fast volles Glas hinüber. »Sieh zu, dass das Fass leer wird, sonst tauch ich hier so bald nicht mehr auf.«
Als ich an der Theke vorbeikam, klopfte ich mit den Fingerknöcheln vor Rudi auf die Holzplatte und verkündete: »Sag Bescheid, wenn es bei dir wieder eine anständige Gerstenkaltschale gibt – aber mit Hopfen! Mit ganz viel Hopfen!«
Damit verließ ich die Hopfenstube, um meinen Plan zu Hause unter dem Einfluss von drei oder vier Flaschen Pils in Ruhe reifen zu lassen.

***

Der Mond lugte genau in dem Moment aus den Wolken hervor, als Nachtwächter Leineweber mit seiner Promenadenmischung um die Ecke bog. Der rotbraune Köter nahm sofort Witterung auf und kläffte in meine Richtung. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich hinter den Kistenstapel ducken, da streifte der Lichtkegel von Leinewebers Taschenlampe auch schon den Zaun, über den ich eben geklettert war. Zum Glück hatte ich meinen ersten Plan, den Draht mit dem Bolzenschneider zu durchtrennen, verworfen und auf meine sportlichen Fähigkeiten vertraut, sonst wäre ich jetzt am Arsch gewesen.
Leineweber war alt und kurzsichtig. Sein Job als Nachtwächter in der Brauerei besserte seine karge Rente auf und war mehr als gerechter Ausgleich für das harte Dachdeckerleben zu sehen, das er hinter sich hatte. Stress konnte der gute Alte nicht gebrauchen. Übermäßiges Engagement war also nicht zu befürchten.
Entsprechend genervt reagierte er auch auf seine Töle: »Halt die Schnauze, Brutus, und komm ins Warme. Da habbich ne Bockwurst für dich.«
Brutus – Leineweber hatte offenbar ein feines Gespür für Ironie.
Der Köter war einsichtig und folgte dem Alten, warf aber immer wieder misstrauische Blicke zurück. Zum Glück für mich war die Vorfreude auf den Leckerbissen stärker als sein Verantwortungsgefühl als Wachhund, womit meine Theorie erneut bestätigt wurde, dass Hunde im Laufe der Zeit mehr und mehr ihren Herrchen ähneln.
Ich wartete noch, bis die beiden Sicherheitsexperten hinter der nächsten Ecke verschwunden waren, rechnete fünf Minuten für den Weg zum Pförtnerhäuschen hinzu und linste zum Sudhaus hinüber.
Unter meiner Skihaube rann mir der Schweiß juckend über das Gesicht. Dabei hätte ich mir die Maskierung sparen können, wie ich mit Blick auf die Fassade des Gebäudes grimmig feststellte.
Nach dem dritten Pfandkastendiebstahl vor fünf Jahren, bei dem eine ganze Lastwagenladung geklaut worden war, hatte mich der Brauereidirektorhinzugezogen, und ich hatte ihm dringend nahegelegt, in eine Videoüberwachung und Flutlicht zu investieren. Mein Rat war offensichtlich im Nirwana der Kalkulation verhallt. Das würde meine erste Baustelle sein, wenn ich den Posten des Sicherheitschefs bekäme.
Und dass ich ihn bekäme, stand für mich schlicht außer Zweifel. Nun würde sich auszahlen, dass ich die Bierkastendiebe schon nach wenigen Tagen auf frischer Tat ertappt hatte. Sie waren so blöd gewesen, ihr Diebesgut in Zehnerpaketen bei den Getränkemärkten der umliegenden Städte anzubieten. Dabei waren sie an einen meiner Kumpels geraten, der Verdacht geschöpft und mich kontaktiert hatte. Dumm gelaufen für die Diebe, erstklassig für mein Renommee bei der Brauerei und hoffentlich bald hilfreich im Nachgang meiner nächtlichen Mission. Seit dem Bierkastenfall galt ich in Brauereikreisen als bestens vernetzt und bekam so ziemlich jeden Fall, der sich auch nur im Entferntesten um Bier drehte.
Ich griff nach dem Kanister neben mir und machte mich auf die Socken in Richtung Sudhaus. Die Hintertür war nicht verschlossen. Hier vertraute man voll und ganz auf Leineweber und Brutus, sodass ich mein Dietrichbesteck nicht auspacken musste. Auch etwas, das ich nach meinem Amtsantritt ändern würde.
Leise knarrend öffnete sich die Stahltür, vorsichtig schob ich mich durch einen schmalen Spalt in die riesige Halle und schnaufte erst einmal tief ein und aus. Der Mond draußen vor den Fenstern sorgte für eine schaurige Beleuchtung und gute Übersicht. Das edle Kupfer der Sudkessel glänzte und erinnerte mich derart an das Getränk, das darin bereitet wurde, dass mir der pawlowsche Reflex nun auch noch, zusätzlich zum Schweiß, den Speichel über die Lefzen sabbern ließ.
Reiß dich zusammen, Kaczynski, ermahnte ich mich. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Ich huschte zu dem erstbesten Sudkessel hinüber, stellte den Kanister unter dem Zapfhahn ab, zog einen Zettel aus der Jackentasche, faltete ihn auseinander, entfernte die Schutzfolie von dem doppelseitigen Klebeband auf der Rückseite und pappte meine Botschaft mitten auf den Kessel. Mission erfüllt, Zeit für den Rückzug.
Vorsichtig lugte ich durch die Tür. Die Luft war rein, Leineweber und Brutus lagen offenbar im Bockwurstkoma. Beschwingt von meinem Erfolg machte ich mich auf den Weg zum Zaun, kletterte in einer dem Adrenalin zu verdankenden Geschwindigkeit hinüber, wuchtete meinen vom Trinksport gestählten Körper in meine alte Klapperkiste, riss mir die Haube vom Kopf und schoss mit einem Kavalierstart in Richtung Feierabendbier.

***

Der erwartete Anruf erreichte mich am nächsten Morgen noch vor der ersten Tasse Kaffee in meinem Büro. Brauereidirektor Häußler klang fast panisch. Kein Wunder, denn immerhin handelte es sich um das größte Sakrileg, das man sich als Bierliebhaber und Verfechter des Reinheitsgebotes vorstellen kann. Das Zittern in seiner Stimme übertrug sich geradezu auf den Telefonhörer – und zauberte mir ein so breites Grinsen ins Gesicht, dass meine Ohren von den Mundwinkeln Besuch bekamen. Bingo, mein Plan ging auf!
»Herr Kaczynski, wir brauchen Ihre Hilfe. Die Brauerei wird erpresst.«
Ich zögerte nicht eine Sekunde, reagierte professionell abgeklärt und beruhigte ihn: »Machen Sie sich keine Sorgen, da sind Sie bei mir an der richtigen Adresse.« Doppeldeutige Aussagen sind meine Stärke und bereiten mir besonders dann wahnsinniges Vergnügen, wenn mein Gesprächspartner sie nicht versteht. »Gibt es konkrete Forderungen?«, schob ich nach.
»Noch nicht. Nur, dass wir keine Polizei einschalten sollen.«
»Natürlich, der Klassiker«, murmelte ich so nachdenklich wie möglich und legte nun ein mahnendes Tremolo in meine Stimme: »Halten Sie sich bitte daran, bis ich mir einen Überblick verschafft habe. Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.«

***

Als ich auf den Parkplatz der Brauerei einbog, lief der Pförtner schon auf mich zu. »Der Herr Direktor erwartet Sie«, rief er mir ungeduldig entgegen und drehte auch gleich in Richtung Verwaltungsgebäude ab.
Kein Zweifel, die Lage war ernst. Hier herrschte regelrecht Panik. Hinter der Scheibe des Pförtnerhäuschens stand Leineweber und linste betreten zu mir hinüber. Brutus schien sich schamgebeutelt verkrochen zu haben.
Ich folgte dem Pförtner in den Glaspalast und über helle Marmortreppen mit einem pilsgelben Geländer hinauf zum Büro des Brauereidirektors. Der tigerte mit auf dem Rücken verschränkten Armen vor riesigen Fenstern auf und ab, und ich ahnte, dass er im Moment keinen Sinn für den großartigen Ausblick hatte, der sich von hier aus bot. Ich hingegen vermaß den Raum mit den Augen, fühlte, wie mir die ganze Stadt zu Füßen lag, und atmete tief ein, als ich mich mit hochgelegten Beinen und hinter dem Kopf gefalteten Händen an meinem zukünftigen Arbeitsplatz liegen sah.
Häußler deutete fahrig auf die Ledercouch in der Sitzecke. Kaum hatte ich mich in die weichen Polster gekuschelt, angelte er auch schon einen Zettel von seinem Schreibtisch und ließ ihn zu mir hinübersegeln.
»Das hat an einem der Sudkessel gehangen«, erklärte er kurzatmig. »Eine Katastrophe! Ausgerechnet jetzt, wo uns die vielen neuen Craftbier-Panscher das Leben ohnehin schwer machen.«
Ich fischte das Stück Papier aus der Luft, schlug lässig die Beine übereinander und lehnte mich zurück. Das habe ich mir zum Prinzip gemacht: Je aufgeregter meine Auftraggeber sind, desto mehr bemühe ich mich darum, eine überlegene Ruhe auszustrahlen. Ängstliche Menschen in Not neigen dazu, an allem und jedem zu zweifeln, und wenn man sich in meinem Metier etwas nicht leisten kann, dann ist das mangelndes Vertrauen in meine detektivischen Fähigkeiten. Zudem hatte ich den Lauf der Dinge ja eindeutig unter Kontrolle.
»EINMALIGE WARNUNG«, stand in fett gedruckten Majuskeln auf dem Zettel und »KEINE POLIZEI!«
»Ich verstehe nicht«, heuchelte ich mit unschuldigem Blick und schob den Zettel zurück zu Häußler, der sich inzwischen schwer atmend im Sessel mir gegenüber niedergelassen hatte.
»Was gibt es da nicht zu verstehen?«, fauchte der Brauereidirektor und wuchtete in fahriger Verzweiflung einen roten Kanister auf den Tisch. »Der stand neben dem Kessel.«
LUPOMAX FUNGUSKILLER las ich auf dem Etikett, von dem mich eine grimmige Wolfsfratze anfunkelte.
»Billigste Baumarktware«, urteilte ich. »Allerdings absolut tödlich, wenn man ein Pilz ist.« Ich blickte den Brauereidirektor verständnislos an.
»Das ist hochkonzentrierte Lauge«, erklärte Häußler ungehalten. »Die Warnung ist doch wohl klar: Erfüllen wir die Forderungen des Erpressers nicht, kippt er uns das ins Bier.«
»Also erstens gibt es noch gar keine Forderungen«, erinnerte ich ihn, »und zweitens muss der Kanister ja gar nicht im Zusammenhang mit dem Zettel stehen. Er kann einfach dort stehen gelassen worden sein. Benutzen Sie diese Lauge in Ihrem Betrieb? Um Kessel zu reinigen, zum Beispiel? Oder zum Wischen?«
»Nein, wir verwenden eine andere Marke. Ich habe das sofort überprüfen lassen. Der Kanister ist eindeutig von dem Erpresser in der Halle platziert worden.«
»Wie ist er denn in das Gebäude gekommen?«, fragte ich scheinheilig. »Wird das Gelände nicht überwacht?«
Häußler wand sich ein wenig, presste aber schließlich »Vermutlich über den Zaun« zwischen den Zähnen durch und schob widerwillig nach: »Hinten beim Kistenlager.«
»Sie haben doch einen Security-Chef«, stellte ich fest. »Hat der die Überwachungstechnik, die ich Ihnen empfohlen habe, vielleicht nicht im Blick?« Ich weidete mich noch einem Moment an Häußlers Verlegenheit und fuhr dann gnädig fort: »Also gut, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Was erwarten Sie nun von mir?«
»Finden Sie das Schwein!«
»Was ist mit Ihrer eigenen Security?«, wandte ich erneut ein.
»Herr Rennekamp ist alt. Der hat schon die Sicherheitslücke, auf die Sie seinerzeit hingewiesen haben, nicht ernst genommen, sonst wäre ja niemand auf das Gelände gekommen. Herr Kaczynski, ich brauche Ihre Hilfe!«
Das klang nun so flehend, dass ich ihn nicht länger zappeln lassen konnte. »Gut, ich kümmere mich um die Angelegenheit. Sie geben mir Bescheid, wenn sich der Erpresser wieder meldet.«
»Sollten wir nicht doch die Polizei …?«, warf Häußler vorsichtig ein. »Kriminalhauptkommissar Weber ist ein Sangesbruder von mir. Der würde bestimmt …«
»Auf gar keinen Fall!«, fuhr ich ihn an. »Derartige Drohungen muss man ernst nehmen. Wer Bier vergiften will, ist zu allem fähig. Also: keine Polizei!«
Häußler nickte resigniert.
Ich wuchtete mich aus dem Sofa, griff nach dem Kanister und dem Brief und ließ einen verzweifelten Brauereidirektor in seinem Büro zurück.
Bingo, dachte ich, ein generalstabsmäßiger Plan ist der halbe Weg zum Erfolg.

***

Wieder im Büro stellte ich den Funguskiller in die Ecke und legte das Erpresserschreiben auf meinen Schreibtisch. Phase eins war damit abgeschlossen: Brauereidirektor Häußler war aufgeschreckt, Security-Chef Rennekamp ausgebootet, Webers Einsatz verhindert und ich war ganz alleine im Rennen. Wenn ich diesen Fall löste, konnte Häußler gar nicht anders, als mir den Posten des Sicherheitschefs anzubieten.
Zeit für Phase zwei!
Ich wählte Häußlers Nummer und hielt sofort, als er sich meldete, meinen vorbereiteten Voicerekorder an die Sprechmuschel. »250.000 Euro in Fünfzigern und Hundertern«, schnarrte die aufgezeichnete verzerrte Computerstimme. »Weitere Anweisungen zur Übergabe heute um Mitternacht. Und ich warne Sie: Wenn Sie die Polizei benachrichtigen, stirbt ein nicht unerheblicher Teil ihrer Kunden!«
Kaum hatte ich das Gespräch beendet, klingelte mein Telefon. Ich wartete bis kurz vor dem Einschalten des Anrufbeantworters, um Häußlers Anspannung zu steigern, dann drückte ich die grüne Hörertaste und bemühte mich um eine gehetzte Stimme: »Kaczynski. Private Ermittlungen aller Art.«
»Ich bin’s!« Der Brauereidirektor stand offenbar unmittelbar vor einem Herzinfarkt. »Der Erpresser hat sich gemeldet.« Keuchend berichtete er mir von den Forderungen. »Der meint es ernst! Was machen wir jetzt?«
»Ganz einfach«, antwortete ich. »Sie besorgen das Geld. Um kurz vor Mitternacht bin ich bei Ihnen im Büro und wir warten zusammen auf Anweisungen. Ich übernehme die Übergabe. Anschließend folge ich dem Erpresser und schnappe ihn mir.«
»Wenn das bloß gutgeht«, stöhnte Häußler.
»Ich mache so etwas nicht zum ersten Mal«, log ich. »Vertrauen Sie mir.«

***

Gegen 23 Uhr 30 hievte ich mich aus meinem Fernsehsessel und fragte mich in einem Anflug von Schwäche, ob die Sache so viel Selbstaufopferung überhaupt wert war. Ich hatte mir ja sogar mein Feierabendbier versagt, da ich durch die nächtliche Aktion, die vor mir lag, genau genommen noch nicht Feierabend hatte. In letzter Zeit war ich für meinen Geschmack zu häufig unterhopft. Aber das würde ja demnächst nicht mehr vorkommen. Wenn dieser Plan jetzt aufging, brauchte ich mir über die Zukunft meiner Detektei keine Gedanken zu machen und auch nicht um den Hopfen-und-Malz-Nachschub.
Ich verließ meine Wohnung, holte den zweiten Kanister LUPOMAX FUNGUSKILLER aus meiner Garage und hievte ihn in den Kofferraum meiner Klapperkiste. Auf dem Parkplatz vor der Brauerei blieb ich einen Moment in meinem Wagen sitzen und beobachtete das erleuchtete Fenster im Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes, hinter dem ein schwarzer Schatten hektisch hin und her tigerte.
Ich zog mein Handy aus der Tasche und wählte Häußlers Nummer. Die Stimme aus dem Voicerekorder schnarrte: »Bringen Sie das Geld um null Uhr dreißig zum Stadtpark. Nordeingang. Die dritte Mülltonne auf dem Hauptweg rechts. Wenn ich einen Bullen sehe, können Sie Ihre Produktion einstellen.«
Ich drückte den roten Hörer und beobachtete, wie Leineweber und Brutus von ihrem nächtlichen Kontrollgang zurückkamen. Bestimmt hatten sie diesmal besonders den Zaun am Kistenlager kontrolliert. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich nun aus dem Auto stieg und am Pförtnerhäuschen vorbei in Richtung Verwaltung stiefelte.
Häußler saß zusammengesunken am Schreibtisch, als ich sein Büro betrat. »Da sind Sie ja endlich!«, schnauzte er. »Der Erpresser hat schon angerufen!«
»Nur die Ruhe«, entgegnete ich. »Jetzt bin ich ja da.«
Während der Brauereidirektor mit flatternder Stimme berichtete, nickte ich abgebrüht, als sei das für mich reine Routine. »Haben Sie das Geld?«
»Natürlich!« Häußler legte den Aktenkoffer, den er neben dem Schreibtisch abgestellt hatte, vor mir auf die Tischplatte. »250.000. Wie gefordert in kleinen Scheinen. Nur Fünfziger und Hunderter.«
»Gut.« Ich griff nach dem Koffer. »Ab jetzt überlassen Sie alles mir. Ich melde mich bei Ihnen, wenn die Übergabe gelaufen ist und ich den Täter habe.« Selbstbewusst verließ ich das Büro, lief die Treppe hinunter, nickte Leineweber mit ernster Miene zu, stieg in mein Auto und brauste vom Parkplatz.
Phase drei war erfolgreich abgeschlossen: Das Geld lag neben mir auf dem Beifahrersitz, im Kofferraum wartete der Laugenkanister auf seinen Einsatz, Häußler saß an seinem Schreibtisch und wähnte mich auf dem Weg zum Stadtpark.
Phase vier konnte in aller Ruhe anlaufen.

***

Die Hintertür der Craftbier-Bude war ein Klacks für einen Fachmann wie mich. Ich musste mich auch nicht besonders vorsehen, denn hier gab es weder eine Videoüberwachung, noch war aus der Nachbarschaft etwas zu befürchten, das neue Gewerbegebiet lag um diese Uhrzeit wie ausgestorben da.
In den vergleichsweise kleinen Räumlichkeiten blinkte kein edles Kupfer. Stattdessen blendete in dieser Brauanlage greller chinesischer Edelstahl. Billigplunder, dachte ich, was soll da schon Geschmackvolles rauskommen? Die Putzkammer war schnell gefunden. Bingo. Ich musste nur ein paar weiße Kanister beiseiteräumen und meinen roten dahinter verstecken. Der Wolf auf dem Etikett bleckte verschwörerisch die Zähne.
Mit schnellen Schritten durchquerte ich nun die Brauanlage, stieg in dem schmalen Durchgang zum Verkaufsraum die Treppe hinauf in die Büroetage, betrat gleich den ersten Raum, orientierte mich kurz in der spärlichen Einrichtung und platzierte den Geldkoffer zwischen zwei Aktenschränken. Nun konnte ich den Rückzug antreten.
Wieder im Auto rief ich den Inhaber der Craftbierbude an und hielt meinen Voicerekorder an das Mikrofon: »Kommen Sie sofort in Ihre Brauerei. Hier wird gerade eingebrochen!«
»Wer ist denn da?«, kam es aufgeschreckt zurück.
Statt einer Antwort drückte ich das Gespräch weg und lehnte mich tief in meinen Sitz.
Zehn Minuten später tauchten vor mir Scheinwerfer auf. Die Lichtkegel schwenkten hektisch auf das Betriebsgelände. Wieder griff ich zu meinem Handy, wählte die Nummer der Polizei und informierte den diensthabenden Beamten über die Erpressung der Brauerei und meine erfolgreiche Ganovenjagd.
Während ich mir grinsend vorstellte, wie der junge Braumeister auf Einbrechersuche vorsichtig von Raum zu Raum schlich, näherten sich erneut Scheinwerfer, diesmal in meinem Rückspiegel, und schwenkten auf den Hof der Brauerei ein. Erstaunt beobachtete ich, dass Weber aus dem Auto sprang und auf den Eingang zulief. Wo kam der denn so schnell her? Und ganz ohne sein Einsatzkommando!
Einige Minuten später tauchten endlich drei Einsatzfahrzeuge die gesamte Umgebung in hektisches Flackerlicht. Etwa ein Dutzend Uniformierter stürmte in das Gebäude.
Den Rest der Aktion ersparte ich mir. Für mich gab es hier nun nichts mehr zu tun, der Einsatz würde seinen Lauf nehmen. Ich musste nur noch Häußler über mein erfolgreiches Wirken informieren und einen Termin für den morgigen Vormittag vereinbaren, dann hatte ich mir mein Feierabendbier redlich verdient.

***

Der Brauereidirektor war aufgekratzt wie ein Rübenacker direkt nach dem Pflügen. Das hatte ich angesichts meines Ermittlungserfolges nicht anders erwartet. Stutzig machte mich allerdings, dass wir nicht alleine in seinem Büro waren. Was, zum Teufel, hatte Weber so früh am Morgen hier zu suchen? Der musste sofort nach dem nächtlichen Einsatz hierhergekommen sein. So viel Diensteifer hatte ich ihm gar nicht zugetraut.
Mein Saufkumpan von der Kripo saß auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch und unterzeichnete irgendwelche Papiere. Er blinzelte mir verschwörerisch zu, während Häußler mich in die Sitzecke manövrierte und mir überschwänglich eine Reihe Getränke anbot. Ich lehnte irritiert ab und harrte der Dinge, die da kommen würden.
Erst jetzt registrierte ich, dass der Geldkoffer, den ich gestern noch durch die Gegend gekarrt hatte, aufgeklappt auf dem Besuchertisch stand. Häußler entnahm ihm zwei dicke Bündel Fünfziger und reichte sie mir.
»Ihr Erfolgshonorar«, verkündete er großmütig und ergänzte mit einer beruhigenden Handbewegung: »Natürlich zusätzlich zu ihrem üblichen Satz. Gute Arbeit, Herr Kaczynski, wirklich hervorragende Arbeit.«
»Ich habe dir ja gleich gesagt, dass du dich auf Kaczynski verlassen kannst«, sagte Weber zu dem Brauereidirektor und zwinkerte mir zu.
Dir? Du? Mein Magen krampfte sich zusammen. Verdammt noch mal, was lief hier eigentlich gerade?
»Ohne dich hätte ich das auch nicht gemacht.« Häußler klopfte Weber dumpf pochend auf die Schulter. Dann wandte er sich wieder an mich: »Sie werden verstehen, dass ich Herrn Kriminalhauptkommissar Weber gegen Ihren Rat von Anfang an hinzugezogen habe. Wir sind, wie gesagt, Sangesbrüder und ich vertraue voll und ganz auf seine Expertise. Es war sein Vorschlag, offiziell Ihnen den Auftrag zu geben und selbst unauffällig im Hintergrund zu bleiben.«
Weber hob abwehrend die Hand, als sei so viel Lob nun wirklich nicht nötig.
»Der Erfolg gibt dir Recht«, ließ Häußler keinen Widerspruch gelten und fuhr dann an mich gewandt fort: »Wir werden auch in Zukunft nicht auf Ihre Unterstützung verzichten und Sie hin und wieder als externen Berater hinzuziehen. Auf Honorarbasis, versteht sich.«
Wir? Wer ist wir? Versteht sich? Nichts verstand sich! Ich jedenfalls verstand nur Bahnhof. Und was, bitte schön, wurde aus meinem Job als Sicherheitschef? Auf Honorarbasis würde der ja wohl nicht ablaufen.
Weber, der grinsend verfolgte, was sich offenbar in meinem Gesicht abspielte, erklärte herablassend: »Ich werde ab dem nächsten Ersten den Werkschutz der Brauerei übernehmen und bei Bedarf auf Sie zukommen, Herr Kaczynski.«
»Sicherheitschef?«, stammelte ich. »Du?«
»Ich hatte da ja zuerst an Sie gedacht«, warf Häußler entschuldigend ein, »aber Herr Weber hat mich davon überzeugt, dass diese Doppelstrategie besser ist. Seine Verbindungen zur Polizei und Ihre unkonventionelle Art ergänzen sich ganz hervorragend. Herr Weber war auch dankenswerterweise sofort bereit, seine derzeitige Tätigkeit aufzugeben und der Brauerei aus der Klemme zu helfen.«
»Das ist doch selbstverständlich«, tönte Weber großmütig und legte Häußler seine Hand auf den Arm. »Wenn ich gebraucht werde, bin ich da.«
Einen Moment verschlug mir diese Unverfrorenheit die Sprache, dann stemmte ich mich entschlossen aus der Sitzecke hoch. »Hin und wieder hinzuziehen, ja? Bei Bedarf auf mich zukommen, wie? Na, vielen Dank auch«, ätzte ich, nickte Häußler und Weber zu und verließ ohne ein weiteres Wort das Büro.
Kaum war ich an der Treppe angelangt, tauchte Weber mit großen Schritten hinter mir auf, schlingerte an mir vorbei und verstellte mir den Weg. »Wirklich starke Leistung, Kaczynski, das muss dir der Neid lassen.« Dabei grinste er so dreckig, dass ich ihm eine hätte reinhauen können.
»Sag mal, Weber, was für eine Scheiße hast du da eigentlich abgezogen?«, fuhr ich ihn an.
Weber lachte laut auf. »Na, was wohl? Ich habe meine Chance genutzt. Mir war natürlich gleich klar, dass du etwas planst, als du neulich die Hopfenstube so ungewohnt nachdenklich verlassen hast. Und das ausgerechnet, nachdem ich dir von dem Job hier erzählt habe. Also habe ich mich an deine Fersen geheftet. Ehrlich, Kaczynski, du bist ein Straßenköter, und ich habe dir schon immer viel zugetraut, aber dass du so kaltschnäuzig bist …«
»Das musst du gerade sagen«, entgegnete ich wütend. »Schleimst dich bei Häußler ein und zockst mir den Posten vor der Nase weg. Kameradenschwein nennt man so was wie dich! Ohne meinen Plan hättest du doch gar nicht gewusst, wie du dich an den Job ranwanzen kannst. Und wenn du glaubst, dass ich in Zukunft für ein Almosen deine Arbeit machen werde, hast du dich geschnitten.«
Weber winkte gelassen ab. »Ich glaube das nicht nur, ich weiß, dass du mir mit Freuden zuarbeiten wirst.« Dabei zückte er sein Smartphone, wischte ein paarmal über das Display und hielt es mir genüsslich grinsend vor die Nase.
Der Film, der sich nun vor mir entfaltete, war zwar ausgesprochen dunkel, aber auch so konnte ich sehen, dass ich der Hauptdarsteller war, der gerade den Zaun der Brauerei überwand und sich mit einem Kanister in der Hand auf den Weg zum Sudhaus machte.
»An der Craftbier-Bude war das Set besser ausgeleuchtet«, setzte Weber noch einen drauf. »Willst du es anschauen?«
Ich schüttelte resigniert den Kopf.
»Schade eigentlich«, fuhr Weber in bedauerndem Tonfall fort, »dass dieses künstlerische Werk niemand zu sehen bekommen wird. – Vorausgesetzt, wir arbeiten in Zukunft gut zusammen, versteht sich.«
Ich seufzte und nickte mit hängendem Kopf. Man muss wissen, wann man verloren hat.
»Ach so«, ergänzte Weber, »bevor ich es vergesse: Das Honorar, das ich dir hin und wieder über den Zaun werfe«, er fischte flink eines der beiden Geldbündel aus meiner Hand, »das teilen wir natürlich fifty-fifty.«
Dann legte er zum Gruß zwei Finger an die Stirn und sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, pfeifend vor mir die Treppe hinab.

***

Auf dem Rückweg fühlte ich mich wie gerädert. Wie hatte ausgerechnet Weber mich so austricksen können? Es gab nur eine Erklärung dafür: Ich war an jenem verhängnisvollen Abend in der Kneipe dramatisch unterhopft gewesen. Und wenn ich aus der Sache etwas lernen würde, dann, dass man in dem Zustand einfach keine Pläne schmieden durfte.
Mit dieser Erkenntnis hatte ich mein Schicksal schlagartig wieder selbst in der Hand. Und so machte ich auf dem Weg ins Büro einen Abstecher zum Getränkemarkt meines Vertrauens, um einen nicht unerheblichen Teil meiner Prämie in die Vorbereitung einer hopfen- und somit erfolgsträchtigen Zukunft zu investieren.


Thomas Breuer 
geboren 1962 in Hamm/Westf., hat in Münster Germanistik und Sozialwissenschaften studiert und arbeitet seit 1993 als Lehrer für Deutsch, Sozialwissenschaften, Informationstechnologische Grundbildung und Zeitgeschichte am Mauritius-Gymnasium in Büren (Kreis Paderborn). Seit 1994 lebt er mit seiner Frau Susanne, seinen Kindern Patrick und Sina, Katze Lisa und zahlreichen Sittichen und Zwergpapageien im ostwestfälischen Büren. Er liebt die Fotografie, die Nordseeinseln und den Darß genauso wie die Berge. Seine zweite Heimat ist Föhr, wo er regelmäßig im Auftrag seiner Hauptfigur Henning Leander neue Kriminalfälle recherchiert, in denen dieser dann ermitteln darf. Thomas Breuer ist Mitglied im »Syndikat«, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur.