cover.jpg

 

Cover

Vorwort von Clark Darlton

Vorwort von Klaus N. Frick

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

Glossar

Reiseführer Terrania

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img1.jpg

Liebe LeserInnen und PERRY RHODAN-Fans,

 

wir alle haben den 11. August 1999 (gemeint ist die totale Sonnenfinsternis) heil überstanden, und schon steht uns ein neuer, mehr digitaler oder virtueller Weltuntergang bevor, denn niemand scheint zu wissen, ob am kommenden 1. Januar 2000 das dritte Jahrtausend beginnt oder das zweite tatsächlich zu Ende geht.

Nachdem wir in der Perry Rhodan-Serie eine »Neue Galaktische Zeitrechnung« einführten und das bislang gültige Jahr A. D. 3588 zum Jahr 1 der nun gültigen NGZ machten und nicht zum Jahr 0 der NGZ, besteht in der Tat die unvorstellbare Möglichkeit, dass wir alle, Autoren, LeserInnen und der Rest der Welt, irgendwann in den künftigen Jahrtausenden (oder auch in den vergangenen) spurlos verschwinden.

Zur Handlung des Bandes 2000 finden Sie an anderer Stelle mehr. Ich selbst habe bis heute weder den Roman noch das Exposé gelesen, denn um ganz sicherzugehen, bei dem vorliegenden Pracht-Jubiläums-Exemplar dabei zu sein, erhielt der Verlag meinen Beitrag bereits kurz nach der August-Sonnenfinsternis. (Die Bindestriche verdeutlichen die neue deutsche Rechtschreibung).

Können Sie sich eigentlich vorstellen, dass seit dem Erscheinen von Perry Rhodan Heft Nummer 1 am 8. September 1961 bis heute so etwa eine Milliarde und 210 Millionen Sekunden vergangen sind? Hört sich ziemlich wenig an, aber vergessen Sie nicht, dass ein Tag nur 86.400 Sekunden hat. Das Jahr 31 Millionen und 536 tausend und vielleicht ein paar kaputte … So was läppert sich zusammen – wie bei der Steuererklärung.

Ich habe Ihnen das nur mal sagen wollen, damit Sie sich klarmachen, wie lange Sie ZUKUNFT gelesen haben. Oder doch recht viele von Ihnen.

Weder K. H. Scheer noch ich oder jemand sonst hätte sich im Jahre null des PERRY RHODAN-Universums einen solchen Erfolg vorstellen können.

Lesen Sie bitte weiterhin Zukunft, Freunde, und Sie sind immer Ihrer Zeit ein schönes Stück voraus.

 

Mit herzlichem Gruß – und AD ASTRA!

Ihr Clark Darlton (Walter Ernsting)

Salzburg, im August 1999

(anno 38 P.R.U., wenn ich mich nicht irre)

Liebe LeserInnen und PERRY RHODAN-Fans,

 

es ist fast ein Gefühl von Ehrfurcht, das mich packt, wenn ich dieses Vorwort schreiben kann: 2000 Bände PERRY RHODAN – das sind 38 »reale« Jahre des größten Science-Fiction-Universums der Welt, zugleich des größten literarischen Experimentes, das es bislang gegeben hat.

»Reale« Jahre deshalb, weil Sie und ich ja wissen, dass in Wirklichkeit in der PERRY RHODAN-Serie ganz andere Dimensionen herrschen: Die Autoren haben seit Erscheinen des ersten Bandes im September 1961 die Zukunft bis ans Ende des fünften Jahrhunderts beschrieben und zugleich zig Millionen Jahre in die fiktive Vergangenheit unseres Universums geblickt.

Doch den Blick zurück will ich Ihnen diesmal nicht öffnen: Diese Aufgabe übernahm mit gewohnter Bravour Walter Ernsting, unser »Altmeister«, dessen einleitende Worte Sie auf der vorherigen Seite bereits gelesen haben. Und wenn ich mir vorstelle, dass er und Karl-Herbert Scheer in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren die Grundlagen für PERRY RHODAN erarbeiteten, zu einer Zeit also, in der weder ich noch der eine oder andere der heutigen PERRY RHODAN-Autoren überhaupt geboren waren, überfällt mich erneut ein Gefühl von Ehrfurcht.

Mindestens genauso interessant ist der Blick in die Zukunft, den Ihnen im vorliegenden Roman – dem zweitausendsten einer Serie, das muss man sich einfach noch einmal vorstellen! – die zwei Autoren Ernst Vlcek und Robert Feldhoff eröffnen. Der Blick in eine Zukunft also, in der viele Probleme, die wir heute kennen, nach wie vor existieren. Zwar benutzen die Menschen am Ende des fünften Jahrtausends hochmoderne Syntroniken, Raumschiffe und Transmitter mit einer Selbstverständlichkeit, mit der unsereins Computer, Autos oder Telefon bedient; die Probleme des menschlichen Zusammenlebens gibt es aber weiterhin, wenngleich unter anderen Namen und in anderem Gewand.

Zu spüren bekommt das im vorliegenden Band vor allem Perry Rhodan selbst. Seit der amerikanische Astronaut auf dem Mond das gestrandete Raumschiff der Arkoniden entdeckte (nachzulesen im legendären ersten PERRY RHODAN-Roman), hat er sich stets für die Belange der Menschheit eingesetzt. Stets versuchte er, die Terraner als Wesen mit kosmischem Bewusstsein zu sehen, denen eine große Zukunft winkt. Gerade deshalb ist es für Perry Rhodan von besonders großer Bedeutung, der Menschheit auch eine weitere Zukunft zu ermöglichen – auch wenn es außerirdische Mächte gibt, die ihm Steine in den Weg legen.

Mehr will ich Ihnen über den vorliegenden Roman gar nicht verraten. Wenn Sie schon länger bei PERRY RHODAN dabei sind, werden Sie ohnehin viele vertraute Begriffe finden und deshalb sehr schnell erkennen, welche Themen aus der Vergangenheit der Serie wir hier aufgreifen und mit neuen Themen verbinden.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre und freue mich schon auf Ihre Leserbriefe!

 

Klaus N. Frick

PERRY RHODAN-Redaktion

img2.jpg

 

Nr. 2000

 

Die ES-Chroniken

 

Eine neue Zukunft für die Erde – die Solare Residenz entsteht

 

von Robert Feldhoff und Ernst Vlcek

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

img3.jpg

 

Das Konstituierende Jahr ist vorüber, Thoregon konnte entstehen. Im Kessel, jener nach wie vor mysteriösen Zone zwischen den Galaxien DaGlausch und Salmenghest, haben sechs Superintelligenzen eine neue Heimat gefunden. Die Koalition Thoregon soll künftig für Frieden und Unabhängigkeit in diesem Bereich des Kosmos stehen.

Eine von diesen sechs Superintelligenzen ist ES. Der uralte Mentor der Menschheit, von dem Perry Rhodan die relative Unsterblichkeit verliehen bekommen hat, begleitete die Terraner durch alle Epochen ihrer Geschichte, durch Höhen und Tiefen, bis hin zur aktuellen Lage in der Milchstraße.

Diese Lage ist alles andere als erfreulich. Die militärischen Spannungen zwischen den Machtblöcken haben nicht abgenommen, seit Perry Rhodan als der Sechste Bote von Thoregon wirkt. Ganz im Gegenteil: Das aggressiv hochgerüstete Kristallimperium scheint seine Macht immer weiter ausdehnen zu wollen.

Was Perry Rhodan auch macht, seine Taten werden Folgen für Milliarden von Wesen nach sich ziehen. Und während sich in der Milchstraße die Situation stark ändert, erfährt der Terraner eine Geschichte, die Millionen von Jahren in die Vergangenheit reicht.

Es ist die Geschichte der Superintelligenz namens ES …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Sechste Bote von Thoregon will Terra in eine neue Zukunft führen.

Ahn-Visperon – Der Vojaride besucht die Insel der Schmetterlinge.

Bostich – Der Herrscher des Kristallimperiums dehnt seine Macht immer weiter aus.

Monkey – Der Oxtorner ist nicht mit allen Plänen Rhodans einverstanden.

Lotho Keraete – Der Mann aus Metall erzählt die Geschichte einer Superintelligenz.

I.

Das blaue Blond

 

Er schleppte sich träge durch die verwüstete Landschaft der Feindwelt Jovinhar. Es war die letzte Bastion der Blauen.

Jovinhar lag in Trümmern. Über die Ruinenfelder spannte sich ein rötliches Glühen, das intensiver wurde, als die letzten Sonnenstrahlen erloschen. Über den Horizont zuckten Lichtblitze wie von Wetterleuchten. Tatsächlich handelte es sich jedoch um Explosionsherde, die sich in Kettenreaktion über die Planetenoberfläche fraßen.

Rezzaga nahm es gelassen, es war bald vorbei. Hinter ihm lagen viele Tage des Tötens, in denen er und seine Mitkrieger unzählige der Blauen ausgelöscht hatten. In Hunderten von Sonnensystemen, auf Tausenden Welten.

Sie waren förmlich durch blaues Blut gewatet. Nun war er vom Töten müde, doch das Ende war in Sicht.

Die Ausrüstung lastete schwer auf seinem Körper. Der kompakte Kampfanzug wies Spuren unzähliger Gefechte auf. Strahlennarben und Risse verunzierten ihn, auch etliche dunkle Spritzer und Flecken, getrocknetes blaues Blut. Die Ortungsgeräte waren ausgefallen, das Schutzschirmaggregat auch. Und wennschon, überlegte der Mun-Krieger vierter Klasse dumpf, der Krieg gegen die Blauen war so gut wie vorbei.

Den Nuklearbrenner hatte er links geschultert, das Multipack baumelte von seiner Rechten. Es war federleicht, fast leer, denn der Proviant und die Stimulanzien waren praktisch aufgebraucht. Der Impulsstrahler steckte verwegen in seinem Gürtel, und das Vibratorschwert schabte an seiner Seite, weil er das verkohlte Futteral weggeworfen hatte.

Irgendwo vor ihm flackerte es noch einmal auf. Er konnte das blaue Blond förmlich riechen.

Da er über keine Ortung mehr verfügte, musste er sich auf seine Sinne verlassen. Die süßliche, betäubende Duftspur war unverkennbar. Er empfand den Geruch als ekelerregend.

Rezzaga hielt darauf zu, ohne seinen Schritt zu beschleunigen, ohne besondere Vorsicht walten zu lassen. Das Multipack ließ er im Gehen einfach fallen; er hob den Nuklearbrenner von den Schultern und brachte ihn beidhändig in Anschlag. So schritt er fest, aber dennoch ohne Eile aus.

Sein fleischiges Gesicht wirkte angespannt. Muskelstränge zeichneten sich über den ausladenden Kiefern ab, die Augen zogen sich zusammen und bildeten tief in den Höhlen kleine, wachsame Punkte.

Er kam der Quelle des verhassten Geruchs rasch näher. Nur dass der Blaue seine Position nicht änderte, schien ihm bemerkenswert.

Der Gestank wehte von ein und derselben Stelle zu ihm herüber. Er wurde intensiver, je näher er dem Urheber kam. Das machte ihn misstrauisch, und er wurde vorsichtiger, durchforschte mit den Blicken das Terrain.

Rezzaga konnte nichts Verdächtiges entdecken. Und als er um einen Mauerrest bog, da stand er vor dem blauen Blond.

Es war völlig nackt und kauerte zitternd an der Mauer.

Was für ein zierliches, zerbrechliches Geschöpf das blaue Blond doch ist, dachte Rezzaga. Ein schmächtiger Humanoider mit dünnen Armen und schmalen, feinnervigen Händen. Die Handflächen waren übereinandergefaltet und an die Brust gepresst, so als wollten sie einen Schatz behüten. Die großen, wasserhellen Augen in dem glatten Kindergesicht blickten ängstlich, wie um Erbarmen flehend, zu Rezzaga empor. Das goldene Haar, das das Gesicht wie ein Bild der Unschuld umrahmte, bildete einen ästhetischen Kontrast zum Blau der Haut.

Bei den meisten anderen Wesen, das wusste Rezzaga aus Erfahrung, erweckte der Anblick des unschuldsvollen Blauen Anteilnahme und Barmherzigkeit. In Wesen, die zur Mildtätigkeit neigten, löste der Anblick eines Blauen Beschützerinstinkte aus.

Nicht so bei Rezzaga.

Feindbild!

Der Anblick schickte einen Aggressionsschub durch seine Adern. In seinem Körper liefen Prozesse an, die einem motorischen Reflex gleichkamen.

Der Krieger bäumte sich mit einem Kriegsschrei auf. Er ließ den Nuklearbrenner achtlos zu Boden fallen, zog mit einer brachialen Bewegung das Vibratorschwert aus dem Gürtel und fuhr die Klinge zu voller Armeslänge aus. Hob sie hoch über den Kopf, der eine halbe Drehung beschrieb, so dass die dunkle Mähne nach vorne gerichtet war. Die Haare stellten sich ihm auf, knisternd wie unter elektrischer Spannung. Sie bildeten einen Haarkranz wie einen Heiligenschein. Und der Hinterkopf wurde zum Kampfgesicht, mit einer Schnauze aus langen geifernden Reißzähnen, mit bebenden Nüstern und rot glühenden Augen, die aus den Höhlen zu treten schienen, als Rezzaga das Maul brüllend aufriss. Unter dem Kriegsschrei Rezzagas krümmte sich das blaue Blond noch mehr zusammen.

Es nahm gewissermaßen seine Geburtsstellung ein. So starb der Blaue, als Rezzaga mit dem Vibratorschwert voller Wucht den verhassten Feind traf. Er machte mit einem einzigen Hieb zwei Hälften aus einem Ganzen.

Es war getan, der letzte Blaue hatte sein Leben ausgehaucht.

Doch es war noch nicht vorbei. Der Schatz, den der Blaue so ängstlich behütet hatte, entschlüpfte seinen leblosen Händen. Ein bunter Schmetterling mit bestäubten Flügeln stieg in die Höhe und schraubte sich in nervösem Tanz empor. Und im Steigen wurde er immer größer.

Rezzaga staunte nicht lange über das Phänomen. Er hob den Nuklearbrenner und feuerte dem wachsenden Schmetterling hinterher.

Der Mun-Krieger vierter Klasse war ein ausgezeichneter Schütze, doch die Strahlenfinger glitten durch das wundersame Geschöpf hindurch, ohne einen Effekt zu verursachen.

Eine immaterielle Erscheinung, dachte er. Nicht zu fassen, völlig unzerstörbar.

Der Schmetterling erreichte in großer Höhe die Ausmaße eines Gefechtsbunkers. Er stieg weiter und wurde raumschiffgroß. Und er stieg höher, gerade so als strebe er dem Orbit zu, und erreichte dabei Planetoidengröße. Gleichzeitig wurde das kuriose Wesen durchscheinend, transparenter mit jeder Sekunde. Als es fast schon den ganzen Himmel im Gesichtskreis Rezzagas bedeckte, löste es sich vollends in nichts auf.

Rezzaga reckte den Kopf noch eine ganze Weile nach oben, bis er einen steifen Nacken bekam. Dann schüttelte er das alles ab; er kehrte wieder sein Alltagsgesicht hervor und stieß ein abschließendes Grunzen aus. Was immer vor seinen Augen abgelaufen war, es zählte nicht mehr. Das Werk war getan, die Gefahr abgewendet. Die mächtigen S-Zentranten konnten in diesem Sektor des Universums die Kontrolle übernehmen.

(Die Geschichte der Superintelligenz ES, vorgetragen von Lotho Keraete, im Dezember 1291 NGZ)

II.

Heimkehr auf die Erde

 

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung beurteilte Perry Rhodan die galaktopolitische Lage als unkompliziert, aber voller Konfliktpotenzial.

Die Liga Freier Terraner (LFT), bis Mitte des Jahrhunderts kulturell, ökonomisch und militärisch führende Macht der Milchstraße, büßte ihren Platz an das Kristallimperium der Arkoniden ein. Die Blues-Völker der galaktischen Eastside stagnierten, weitere Machtfaktoren erschienen als untergeordnet wichtig.

Der Beitritt der Milchstraße zur Koalition Thoregon hebelte jedoch die bestehende, historisch gewachsene Machtstruktur unversehens aus. Kosmokraten und Superintelligenzen, seit Beginn aller Geschichtsschreibung als Drahtzieher im Hintergrund aktiv, zogen sich komplett aus dem Geschehen zurück. Die Milchstraße präsentierte sich als frei von höheren Mächten, auch wenn diese der »normale« Mensch nicht wahrgenommen hatte; eine Entwicklung, welche die Völker einer ganzen Galaxis vollständig unvorbereitet traf. Das entstandene Machtvakuum wartete nur darauf, ausgefüllt zu werden.

(Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 13. Jahrhunderts NGZ; Kapitel 36.10.10. Wendepunkte)

 

»Jetzt herrscht Friede, endlich!«, sprach Perry Rhodan bitter. Er schob seine Hände tief in die Hosentaschen, um der feuchten Kälte zu entgehen, und stellte den Kragen seiner Jacke auf, weil von Süden ein scharfer Wind blies. »Vor uns liegt wieder eine Zukunft. Ich hoffe, dass es eine große Zukunft sein wird.«

Sein Begleiter wollte wissen: »Heißt das etwa … du kehrst nun auf die Erde zurück?«

Rhodan ließ die Frage stehen, obwohl er die Antwort bereits kannte.

Sein Blick schweifte über das Trümmerfeld im Herzen seiner Stadt, die Terrania hieß.

Im Schutt erblickte er die Reste einer goldenen Plastik. Raumschiff STARDUST, überlegte er. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts in den Weltraum gestartet. Perry Rhodan sah sich noch einmal in die Andruckliegen geschnallt, auf dem Weg zum Mond, dreitausend Jahre in der Vergangenheit. Das Raumschiff der Arkoniden, notgelandet, die Eroberung des Sonnensystems in einem Augenblick, schon vorüber. Dann die Schritte in die Milchstraße hinaus, in einen feindlich gesinnten Kosmos, der auf alles mögliche gewartet hatte, nicht jedoch auf die Menschheit. Aber sie hatten gewonnen, da draußen zwischen den Sternen. Die blassgesichtigen, schwächlichen Humanoiden, die ein Universum niederreißen und wieder errichten konnten, wenn sie nur zusammenhielten.

»Dieses Trümmerfeld war einmal das Zentrum der terranischen Macht«, flüsterte Rhodan. »Von hier haben wir das Solare Imperium regiert. Nervenzentrum Imperium-Alpha, später haben wir es HQ-Hanse genannt. Terra hat seine Handelsrouten bis in die Galaxien der Nachbarschaft gesponnen. Du warst nicht dabei, Cistolo, du hast diese großen Tage nicht selbst erlebt.«

Alles war in Schutt versunken, am Vorabend der Entstehung Thoregons. Die Kosmische Fabrik WAVE hatte die Erde heimgesucht, die Entstehung der Koalition Thoregon hatte sie dennoch nicht verhindert. Die Menschheit war nun Mitglied in einem Bündnis aus sechs Galaxien, das für Frieden und Freiheit im Kosmos stand.

Perry Rhodan blickte seinen Führer durch das Trümmerfeld plötzlich offen an, einen dunkelhaarigen Hünen, den LFT-Kommissar Cistolo Khan.

Khan trug die Verantwortung für das Debakel, das die Erde heimgesucht hatte. Der dunkle Hüne würde nicht mehr lange LFT-Kommissar sein. Die Menschen in dieser Stadt, auf dem Planeten, in den vielen hundert Systemen der Liga Freier Terraner, sie würden ihm niemals wieder Vertrauen schenken.

Rhodan ballte die Fäuste, ohne es zu bemerken. Er fand keine Worte für das, was ihn bewegte.

»Du bist mir noch meine Antwort schuldig …« Khans Stimme klang auf einmal rau, der LFT-Kommissar musste sich räuspern. »Heißt das, du kehrt zu uns zurück?«

»Ja«, bekannte Perry Rhodan einfach.

In dem Trümmerfeld löste sich aus großer Höhe ein schwerer Brocken Beton, das Bruchstück krachte zwanzig Meter in die Tiefe und ließ bei seinem Anprall den Boden zittern. Rhodan sah aus dem aufgewirbelten Staub einen weißen Schmetterling hervortanzen; das Tier floh und brachte sich mit ruckhaftem, unstetem Flug in Sicherheit.

Die beiden Männer schwiegen, bis der Lärm sich verzogen hatte.

»Hast du vergessen, dass die Menschen dich nicht mehr wollten, Rhodan?«, fragte Khan in das Pfeifen des Windes, der durch das Trümmerfeld fegte.

»Ich habe nicht vergessen.«

»Aber …?«

»Aber ich habe verziehen. Die terranische Regierung existiert nicht mehr. WAVE hat sie alle getötet. Es wird bald eine Neuwahl geben, ich werde mich dieser Wahl stellen.«

Rhodan presste die Lippen zusammen, und er hoffte, dass Cistolo Khan seinen Augenblick der Schwäche nicht bemerkte. Vielleicht hätte er es halten sollen wie der Schmetterling, auf und davon, doch was er brauchte, das war ein Ziel.

»Das hier ist immer noch mein Volk. Ich gehöre zu ihnen, man kann es nicht beiseite wischen.«

»Und … wenn sie dich nicht wählen?«

»Ich werde auch dann auf der Erde bleiben, wenn ich diese Wahl verliere«, sagte Rhodan mit Bestimmtheit.

Khan blieb skeptisch: »Warten wir ab, wenn es erst passiert ist. Vielleicht redest du dann anders, Rhodan. Die Cameloter werden auf dich nicht verzichten wollen. Vielleicht bist du dort besser aufgehoben.«

»Ich habe Pläne mit Camelot.«

»Pläne …?«, wiederholte Khan.

 

*

 

Ein mächtiger Kugelraumer senkte sich aus dem dunklen, von schweren Regenwolken verhangenen Himmel. Zu Anfang erblickte Rhodan nur einen schwarzen Punkt, so groß wie ein Vogel. Dann hörte der Punkt nicht wieder zu wachsen auf. Der Kugelraumer kam nach einigen Minuten noch immer näher, er wuchs über jedes menschliche Vorstellungsvermögen hinaus.

Das 800 Meter durchmessende Ungetüm aus Stahl und Plastik teilte den staubfeinen Nieselregen, bis es schwerelos wenige Meter über dem Boden verharrte, mit der erdrückenden Präsenz eines Gebirgsmassivs.

Perry Rhodan wartete seit einer halben Stunde. Seine Haare waren nass, aber es störte ihn nicht.

Terrania hatte den ehemaligen Flottenstützpunkt längst umwuchert und sich weite Teile einverleibt, dennoch blieb der Eindruck einer gewaltigen Weite, in der Menschen nicht mehr als wimmelnde Ameisen darstellten. Lange Zeit hatte Terrania als die inoffizielle Hauptstadt der Milchstraße gegolten. Heutzutage stand das ferne Arkon I im Begriff, Terrania diesen Rang abzulaufen. Aber immer noch blieb der Anblick der Raumschiffe, die majestätische Wucht terranischer Kugelriesen.

Rhodan wischte sich die Tropfen von den Augenbrauen, er blickte an der Wandung aus Ynkenit empor und entzifferte den Namen PAPERMOON.

Er wusste, dass hinter dem Schiff eine Reise von mehr als 60.000 Lichtjahren lag.

Die PAPERMOON kam aus der Eastside der Galaxis, vom Planeten Gatas, und hatte die Reise für nur einen einzigen Passagier unternommen.

In der unteren Polschleuse glomm plötzlich ein grelles Licht auf. Aus der gleißenden Helligkeit schob sich die Gestalt eines Terraners, winzig wie ein Insekt. Wie von einer unsichtbaren Riesenhand getragen schwebte der Mann abwärts, am Boden nahm eine Transportplattform den Ankömmling in Empfang und chauffierte ihn Richtung Hafenterminal.

Der Terraner trug schwarze Kleidung, von Kopf bis Fuß. Er hielt sich auffallend aufrecht, seine schmale, aber hochgewachsene Statur vermittelte einen bemerkenswerten Eindruck von Würde.

Rhodan erkannte selbst auf die Entfernung das Charisma, das der Mann verströmte.

Auf den ersten Blick hätte man ihn mit einem Arkoniden verwechseln können; mit den weißen Haaren und dem weißen Bart, den er trug. Aber der Mann war kein Albino, sondern 87 Jahre alt. Je näher er kam, desto mehr wurden die Spuren des Alters augenfällig. Seine Augenwinkel waren sehr faltig, wenngleich die wasserblauen Augen eine Energie verstrahlten, die eines jungen Mannes würdig gewesen wäre.

»Mein Name ist Maurenzi Curtiz«, stellte sich der Botschafter vor. »Du bist Perry Rhodan, nicht wahr?«

Der Mann streckte zur Begrüßung seine Hand aus.

Rhodan nahm die Hand des Botschafters und schüttelte sie. Er wartete ab, um die Reaktionen seines Gegenübers einschätzen zu lernen.

»Kein sehr gemütlicher Ort«, bekundete der Botschafter nach einer Weile.

Rhodan lächelte mit nassem Gesicht. »Würdest du ein Restaurant vorziehen?«

»Nicht unbedingt. Es regnet so gut wie nie auf Gatas. Ich vermisse den Regen. Wie wäre es mit einem Spaziergang, Rhodan?«

»Durch Terrania?«

»Das wäre mir angenehm.«

Sie verließen schweigend den Hafen, fuhren mit einer Rohrbahn ins Atlan Village und wanderten durch die Straßen, die angefüllt waren von Extraterrestriern und ruhelosen Terranern. Es wurde dunkel in der Stadt. Die Lichter des Village entzündeten sich, ein beinahe romantisches Zwielicht ergriff Besitz von den Straßen. Manchmal hielten Menschen inne, die Rhodans Gesicht erkannten. Er hatte auf der Erde keine offizielle Funktion inne, doch er war der Sechste Bote von Thoregon, ein legendärer Unsterblicher. Rhodan empfand die staunenden Blicke der Menschen als unangenehm. In diesen Blicken stand Verehrung, eine kritiklose Unterordnung, die ihn an eine viel zu hohe Stelle setzte.

Rhodan wartete ruhig ab.

»Ich möchte dir ein Angebot unterbreiten«, eröffnete Maurenzi Curtiz schließlich. »Cistolo Khan hat äußerst kurzfristig Neuwahlen für das Solare Parlament anberaumt. Ein Bündnis mehrerer Parteien wird mich als Spitzenkandidaten für das Amt des Ersten Terraners aufstellen.«

»Das ist mir bekannt«, sagte Rhodan abwartend.

»Mir wurde berichtet, dass du ebenfalls kandidieren wirst.« Curtiz sah ihn gerade an. »Ist das richtig, Perry Rhodan?«

»Ja«, antwortete der Aktivatorträger.

Rhodan konnte sehen, wie Curtiz seinen Blick über die Hochstraßen wandern ließ, die um diese Tageszeit Tausende von Nachtschwärmern transportierten. Regennacht in Terrania, überlegte Rhodan, und niemanden scheint es zu kümmern. Maurenzi Curtiz hatte jahrelang nur Blues-Tellerköpfe gesehen. Der soziale Alltag der Terra-Menschen musste ihm dagegen exotisch scheinen.

»Unsere Demoskopen behaupten, dass wir in diesem Fall ein Ergebnis von unter zehn Prozent erzielen werden. Du bist der Sechste Bote von Thoregon. Eine Art moderner Götterbote, und nun kehrst du auf die Erde zurück. Wir haben gegen dich keine Chance. Niemand hat eine. – Dies soll keineswegs weinerlich klingen, es ist eine nüchterne Analyse.«

Rhodan presste die Lippen zusammen. Die Möglichkeit, dass Curtiz recht haben konnte, erfüllte ihn mit Beklommenheit.

Er konnte nichts tun, was ein solches Zutrauen rechtfertigte. Die Koalition Thoregon war für ihn ein fernes, gestaltloses Gebilde. Er hatte die Bekanntschaft von Boten in fernen Galaxien gemacht, er hatte die Entstehung Thoregons miterlebt. Aber er verfügte nun, da alles vorbei war, nicht über Möglichkeiten, auf eine ungewöhnliche Weise zu agieren. Er war ein Mensch, und eine seltsame Ironie lag darin, dass ausgerechnet die Terraner ihm dies nicht glauben wollten.

»Ich werde dennoch zu dieser Wahl antreten«, erklärte er Curtiz.

»Das weiß ich«, antwortete der weißhaarige Mann ruhig. »Ich habe dir aus diesem Grund ein Angebot zu machen. Wir halten es für richtig, unsere Kräfte zusammenzulegen. Mein Parteienbund ist von den Grundsätzen der Thoregon-Agenda überzeugt. Wir treten ebenfalls für Frieden und Verständigung ein.«

»Was für ein Angebot soll das sein?«, erkundigte sich Rhodan, obwohl er es zu wissen glaubte.

Maurenzi Curtiz blieb ruckartig stehen.

»Ich kandidiere für das Amt des Ersten Terraners – wie vorgesehen. Voraussichtlich werde ich diese Wahl auch gewinnen. Wir werden allerdings die verfassungsmäßigen Machtbefugnisse verändern; wir sind der Meinung, dass die LFT grundlegend anders strukturiert werden soll. Der Erste Terraner wird in Zukunft in erster Linie ein Repräsentant der Liga sein. Ein Staatsmann, ein integrierender Faktor. Stattdessen werden wir das Amt des LFT-Kommissars aufwerten und umbenennen. Dieses Amt, das neu zu schaffen wäre, könnte von dir besetzt werden, Rhodan. Ich werde die Staatsgeschäfte führen, du triffst die Entscheidungen der Tagespolitik.«

Ein heftiger Windstoß fegte durch die Gasse, in der sie standen, und Rhodan registrierte, dass es im selben Augenblick aufhörte zu regnen.

Ein feines Lächeln legte sich über sein nasses Gesicht. »Ich halte dieses Angebot für vernünftig. Ich werde darüber nachdenken, Curtiz.«

Rhodan drehte sich um, er starrte sekundenlang auf den Strom der Gleiter, die sich entlang einer Hochtrasse Richtung Stadtzentrum wälzten; dorthin, wo im Trümmerfeld die alte Regierung gestorben war. Wäre alles noch in Ordnung gewesen, hätte WAVE nicht den Regierungssitz vernichtet, er hätte die Lichter des ehemaligen HQ-Hanse durch den Nieselregen glimmen sehen, wie an einem fernen, von dichter Besiedlung überdeckten Berghang.

»Nein«, stieß er plötzlich hervor, einem Impuls folgend, den er selbst nicht verstand. »Ich denke nicht mehr darüber nach, Curtiz. Das ist nicht notwendig. Ich nehme das Angebot an.«

Diesmal war er es, der die Hand ausstreckte. Maurenzi Curtiz schlug ein.

Der Botschafter winkte einen kegelförmigen, aufdringlich orange lackierten Servorob herbei, der hoch über ihren Köpfen schwebte und für Vurguzz warb. Der Rob kam herabgeschossen wie ein Pfeil, mit einer quietschenden Melodie und mit einem leiernd hervorgepressten Wortschwall.

»… der beste Vurguzz, den's im Universum gibt, die Herren …«

Mit einer Geste schnitt Curtiz der Maschine das Wort ab. »Keinen Vurguzz. – Gib uns Mineralwasser!«

Im metallenen Leib der Maschine rumorte es, und Rhodan ertappte sich bei der ironischen Vorstellung, die Maschine könnte genau in diesem Moment explodieren.

Curtiz stoppte erneut den Redefluss. Stattdessen reichte er seinen Kreditchip an den Rob. Kommentarlos brachte die Maschine zwei Flaschen zum Vorschein.

Curtiz reichte eine der Wasserflaschen Perry Rhodan. »Auf die Zukunft«, sagte er.