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    Ghada Abdelaal– Ich will heiraten!– Partnersuche auf Ägyptisch– Aus dem Ägyptisch-Arabischen von Kristina Bergmann– Lenos Verlag

Die Autorin

Ghada Abdelaal, geboren 1978 in Mahalla al-Kubra (Ägypten), studierte Pharmakologie in Tanta. Seit 2006 betreibt sie den vielbeachteten Blog Wanna b a bride. Ihr Buch Ich will heiraten! wurde als Fernsehserie verfilmt, für die sie das Drehbuch schrieb. Ghada Abdelaal arbeitet in einer Spitalapotheke. www.wanna-b-a-bride.blogspot.com.

Die Übersetzerin

Kristina Bergmann, geboren 1953 in Berlin. Studierte Arabisch in Zürich und Kairo. Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung für Ägypten, Libyen, den Sudan und den Nahen Osten. Autorin mehrerer Sachbücher und eines Romans. Lebt in Kairo.

Titel der arabischen Originalausgabe:

E-Book-Ausgabe 2013

www.lenos.ch

ISBN EPUB-E-Book 978 3 85787 509 0

Inhalt

Prolog

Warum will ich eigentlich heiraten? Fünfzehn Gründe

Der Erste

Ich bin keine Null

Der Zweite

Über Zartheit und Weiblichkeit

Der Dritte

Wohlerzogene Mädchen

Der Vierte

Zur Verteidigung der wehrhaften Ägypterin

Der Fünfte

Happy Valentine

Der Sechste

Dichterin mit Durchblick

Der Siebte

Wie man sich einen Bräutigam angelt

Los, lasst uns angeln!

Der Achte

Alte Jungfer

Der Neunte

Warum viel bezahlen, wenn es auch günstig geht?

Der Zehnte

Diese Heimlichtuerin hat sich verlobt!

Die Frau von dreissig

Epilog

Eine letzte Sache noch

Nachwort von Kristina Bergmann

Prolog

Also mal eins nach dem andern: Sind wir uns einig, dass Heirat, Bräutigam und späte Eheschliessung heikle Themen sind? Es ist nämlich ausgesprochen schwierig, in Ägypten jemanden zu finden, der offen darüber spricht – vor allem junge Frauen. Wenn es doch eine tut, gilt sie als schlecht erzogen und versessen aufs Heiraten oder aber als notorische Eheverächterin.

Deshalb gibt es eine Menge junger Frauen, die sagen: »Vergiss das Heiraten. Was haben denn die Verheirateten von der Ehe?« Oder: »Ich wohne bei meinen Eltern, und mir geht es gut. Soll ich mich etwa von einem, den ich noch nicht einmal richtig kenne, schlecht behandeln lassen?« Oder: »Ich denke erst einmal an meine berufliche Zukunft und plane jetzt keine Heirat.« Oder sie wiederholen den abgedroschenen Satz aus dem arabischen Kino: »Ich heirate erst, wenn ich mich selbst verwirklicht habe.« Keine Ahnung, was Selbstverwirklichung bedeutet und wie man die gedeichselt kriegt.

Vielleicht gibt es viele junge Frauen, die bei ihrer Ausbildung und im Beruf eine Menge Ehrgeiz entwickeln. Aber ich wette, dass trotzdem ihr eigentliches Ziel die Heirat ist. Zumindest, weil das die einzige Möglichkeit ist, Mutter zu werden.

Einigen wir uns ausserdem darauf, dass die Anzahl junger Frauen in Ägypten grösser als die junger Männer ist. Das ist ein grundlegender Punkt, und ich will nicht, dass irgend­jemand anfängt, mit mir darüber zu diskutieren. Verschont mich bloss mit den Statistiken der Regierung, laut denen es gleich viele Buben und Mädchen gibt. Das ist genau wie mit den Temperaturen, die sie in den Nachrichten nennen: Die Leute schwören bei allem, was ihnen heilig ist, dass es über 45 Grad heiss sei, doch im Wetterbericht überschreiten die Temperaturen nie 38 Grad. Ein Freund meines Vaters hat mir anvertraut, dass es verboten sei, höhere Temperaturen als 42 Grad bekanntzugeben. Der Grund dafür sei die Angst, dass die Touristen nicht mehr kämen. Genauso verhält es sich mit der Anzahl von Männern und Frauen.

Warum gibt es also mehr Mädchen? Ich sag’s euch: Eine Menge Frauen kriegen Kinder und Kinder, bis sie endlich einen Buben in die Welt setzen. Es gibt also viele Familien, die haben vier, fünf oder sechs Mädchen und einen Jungen. Eine Frau bekommt ein Mädchen nach dem andern, bis sie endlich den von ihrem Mann ersehnten Knaben gebärt … Wofür braucht der den? Keine Ahnung. Vermutlich wird er ein Nichtsnutz. Die ganze Familie verwöhnt ihn, bis er völlig verdorben ist und sie ihm das letzte Hemd gegeben haben. Na ja, das ist ein andres Thema.

Jedenfalls wird jeder, der an irgendeiner Uni in Ägypten studiert, merken, dass die Anzahl der Studentinnen die der Studenten übersteigt. An meiner Fakultät machten die jungen Frauen zwei Drittel aller Studierenden aus.

Jetzt etwas ganz andres: Die Männer sind eingebildet und fühlen sich den Frauen gegenüber überlegen. Herr im Himmel, lass sie zur Hölle fahren! Guckt euch mal einen Mann und seine Mutter an, wenn sie auf Brautsuche sind. Dann stellen sie Bedingungen: Die Braut soll weisshäutig sein, helle Haare und goldfarbene Augen haben (also ja keine schwarzen) und möglichst Nelly Karîm1 ähnlich sehen … Ihr Mistkerle! Guck doch mal in den Spiegel, mein Lieber – oder besser nicht! Man sagt ja, ein Mann kann nur einen Fehler haben, nämlich einen leeren Geldbeutel …

Okay, komm uns ruhig besuchen, und wenn es nur mit einer Schachtel Bonbons ist. Aber nein, er und seine Mutter erscheinen zur »Besichtigung« der Braut mit leeren Händen! Dabei haben die Eltern des Mädchens viel Geld in dieses Treffen gesteckt. An der jungen Frau ist absolut nichts auszusetzen, trotzdem sagen die beiden: »Ach nein, sie sieht doch nicht genau wie Nelly Karîm aus, eher wie Nagla Fathi2. Ist nicht unser Typ.« Als würde Hussain Fachmi3 um ihre Hand anhalten …

Und die Hochzeiten, ein absoluter Witz! Diese Szene kennt ihr doch aus alten ägyptischen Filmen: Eine junge, schick angezogene Frau taucht auf, Männer versammeln sich um sie und verschlingen sie mit den Augen … Also die verlässt den Saal garantiert nicht ohne Bräutigam! Solche Menschenaufläufe gibt’s übrigens heute noch, nur umgekehrt, also Frauen gruppieren sich um einzelne Männer. Mütter hocken neben ihren Töchtern und jagen den jungen Männern Angst ein. Wehe dem, dem eine Mutter zu nahe kommt! Dann klingt es etwa so: »Târik, wie geht’s dir, mein Junge? Willst du deinen Cousinen nicht guten Tag sagen? Guck mal, wie hübsch die geworden sind!«

»Ich bin nicht Târik. Und ich glaube, Sie sind nicht meine Tante«, antwortet der junge Mann.

»Ach wirklich? Ich sehe halt nicht gut. Aber wer bist du denn? Wer weiss, vielleicht hat uns das Schicksal zusammengebracht«, redet sich die Mutter raus.

Spätestens jetzt rennt der Typ weg. Oder einer seiner Freunde bemerkt den Hinterhalt, kommt ihm zu Hilfe und behauptet, jemand suche ihn – dringend.

Dann ist da noch das Tänzeln rund um die Braut. Dabei achten die jungen Frauen darauf, dass sie auch ja gut im ganzen Saal zu sehen sind. Und wenn der Tanz zu Ende ist, schubsen sie sich gegenseitig weg oder tun so, als müssten sie das Kleid oder den Schleier der Braut in Ordnung bringen. In Wahrheit wollen sie nur auf dem Hochzeitsvideo4 erscheinen! Überhaupt versuchen sie, so oft wie möglich fotografiert und gefilmt zu werden. Vielleicht gefallen sie ja jemandem, und der holt sie aus der Fräuleinhölle.

Übrigens solltet ihr über dieses Thema nicht lachen. Bei Gott, diese Mädchen sind arme Dinger! Früher mussten junge Frauen einfach anständig sein und in ihrem Elternhaus brav auf den richtigen Mann warten. Meistens wurde der von ihrer Familie ausgesucht.

Heute müssen die jungen Frauen das Spiel eröffnen. Also sollten sie ausgehen, arbeiten, ihre Freundinnen besuchen und auf vielen Hochzeiten »tanzen«. Die Aufgabe, einen Bräutigam zu finden, schultern sie ganz allein. Ich kenne eine Menge Fälle, wo sich Eltern mit ihren Töchtern erbittert streiten. Mutter und Vater wollen die Mädchen nämlich zum Ausgehen und zum Arbeiten überreden. Sonst würden sie nie einen Bräutigam finden, sagen sie.

Aber ausserhalb von Kairo und Alexandria akzeptiert die Gesellschaft überhaupt nicht, dass ein junges Mädchen mit einem Mann ausgeht, um ihn kennenzulernen und später vielleicht zu heiraten. Die meisten Ägypter lehnen solche Frauen ab und wollen eine völlig Unerfahrene, die noch nie ausgegangen ist und vorher nie mit einem fremden Mann gesprochen hat.

Was sollen die jungen Frauen also tun? Zumal die Uhr tickt, sobald sie ihr Studium beendet haben. Wenn das Mädchen zwei, drei Jahre lang nach dem Uniabschluss unverlobt bleibt, gilt sie schon als alte Jungfer! Ich persönlich hatte mit dreiundzwanzig Jahren bereits das Gefühl, zum Ladenhüter zu werden.

Ehrlich gesagt, ist das eine Mistgesellschaft, in der wir leben. Sie bewertet die junge Frau nur danach, ob sie schon verheiratet ist. Wer früh heiratet, gilt als tüchtig, und wer spät heiratet, muss irgendeinen Fehler haben … Der Mann darf hingegen auswählen und Bedingungen stellen. Und wenn er viele Frauen kennengelernt hat, gilt er als offen und clever. Auch wenn er über vierzig ist, darf er jederzeit heiraten, sogar ein Mädchen von achtzehn Jahren.

Diese Gesellschaft ist ungerecht und brutal.

Und deshalb bin ich Bride (das heisst Braut auf Englisch – ich bin nämlich gebildet). Ich habe beschlossen, über dieses Thema zu schreiben und es von allen Seiten auszuleuchten, damit es auch der Letzte kapiert. Kapiert, dass die Mädchen arm dran sind und der Druck auf sie wächst. Kapiert, dass die Leute die ledigen Frauen für etwas verantwortlich machen, wofür diese gar nichts können.

Passt auf, und hört mir einfach zu. Ich werde euch von ein paar schlimmen Heiratskandidaten erzählen, die um meine Hand angehalten haben, damit ihr erfahrt, was wir alles ertragen müssen …

Warum will ich eigentlich heiraten?
Fünfzehn Gründe

Manchmal, wenn ich allein bin, denke ich darüber nach, warum ich überhaupt heiraten möchte. Es geht mir doch auch unverheiratet glänzend, ich bin ausgebildete Apothekerin, werde respektiert und verdiene Geld – ist das etwa nichts? Ich bin am Leben, esse, trinke, schlafe, gehe aus, sehe mir Filme im Kino an, gucke Rotana5, kurz: Alles ist bestens.

Aber manchmal habe ich plötzlich den dringenden Wunsch zu heiraten. Vermutlich wollen das alle Mädchen, und egal aus welcher Schicht sie stammen und ob sie hochgebildet oder Analphabetinnen sind, beschleicht sie das genau gleiche Gefühl. Eine wird dann sagen: »Ich will heiraten, um Kinder zu kriegen.« Eine andre: »Ich will heiraten, um nicht als alte Jungfer zu enden.« Und eine Dritte: »Ich will heiraten, um von meiner Familie loszukommen und mein Leben zu geniessen.« Das ist natürlich Unsinn, aber was soll sie sonst tun? Eine Vierte sagt: »Ich will einen Sohn bekommen, der so toll wie Saladin6 wird.«

Ich habe ganz andre Gründe. Ich denke auch nicht, dass es mein gutes Recht ist, zu heiraten. Mir sind die kleinen Dinge des Lebens wichtig, wie es schon Mervet Amîn7 im Film Der Zug ist weg, mein Sohn gesagt hat. Am liebsten würde ich zwar zurückgeben: »Nimm doch den nächsten«, aber sonst ist das ein super Film.

Wie auch immer, hier sind fünfzehn Situationen, in denen ich einen Ehemann brauchen könnte:

Eins: Wenn die Gasflasche leer ist und jemand sie wechseln muss. Das gehört übrigens zu den hauptsächlichen Pflichten des Ehemanns.

Zwei: Wenn eine Kakerlake im Haus ist und ich zittere und sie nicht töten kann. Allerdings wäre es eine Tragödie, wenn auch er Angst vor ihr hätte.

Drei: Wenn wir zu Mittag essen, Papa und Mama sich die Hühnerbeine geschnappt haben und für mich nur die Brust übrig bleibt. Er sollte mich beim Kampf um einen Schenkel unterstützen. Aber was ist, wenn auch er keine Brust mag?

Vier: Wenn ich die Matratzen aufs Dach an die Sonne schaffen will und Hilfe brauche.

Fünf: Wenn ich in Begleitung ins Kino gehen will.

Sechs: Wenn ich im Minibus gestossen, bedrängt und belästigt werde. Aber nur wenn er nicht damit beschäftigt ist, das Mädchen neben sich anzumachen.

Sieben: Wenn ich nach einem Krach mit meiner Chefin nach Hause komme und meine Wut an jemandem auslassen möchte. Meine Eltern darf ich nicht beschimpfen, denn dann komme ich in die Hölle – ihn aber schon, oder?

Acht: Wenn eine Freundin bei mir ist und ihr Mann sie anruft und ihr sagt, sie habe den Herd angelassen und nun sei die Wohnung abgebrannt.

Neun: Wenn ich nachts allein im Bett liege (an die »unanständigen« Dinge will ich lieber nicht denken …). Mindestens wird er mich mit seinem Körper davor bewahren, aus dem Bett zu fallen.

Zehn: Wenn meine Mutter etwas kocht, das ich nicht mag. Ich könnte dann nämlich selbst nach meinem Gusto kochen.

Elf: Wenn meine Mutter mir verbietet, auf dem Balkon aussortierte Gegenstände zu stapeln und in der Küche leere Marmeladengläser zu sammeln.

Zwölf: Wenn ich Lust auf Aprikosen habe und mir keiner welche kaufen will. Wäre ich verheiratet, würden alle losrennen, weil ich ja eventuell Schwangerschaftsgelüste8 hätte.

Dreizehn: Wenn im Fernsehen Nancy Agram oder Haifa Wahbi9 singen, mich nervös machen und ich jemanden brauche, an dem ich mich abreagieren kann.

Vierzehn: Wenn ich so was wie das jetzt schreibe und übersehe, dass die Nummer sechs fehlt … hahaha, hab euch reingelegt!

Fünfzehn: Denkt doch selbst über die Nummer fünfzehn nach! Ich bin jetzt total erschöpft.

Hier habt ihr also fünfzehn Gründe, warum ich – manchmal – heiraten möchte. Es gibt aber auch Zeiten, zu denen ich das überhaupt nicht will. Und sogar bereit bin, unverheiratet zu bleiben.

Der Erste

Wie sagte Anwar Wagdi10 im Film Der Prinz der Rache so schön? »Zum Glück ist das nur ein ›arabischer Film‹11.« Meine erste Begegnung mit einem Heiratskandidaten war auch ein »arabischer Film«, ausserdem eine Komödie und obendrein ein »indischer Film«12.

Ich war mit einer jungen Frau befreundet, die gerade geheiratet hatte – ich war bei ihrer Hochzeit gewesen. Zwei Wochen danach rief sie mich an. Ich erzählte ihr, dass eine gemeinsame Bekannte einem Mädchen einen Bräutigam besorgt habe. Ich fände das grossen Mist, meinte ich. Damit säe man nur Zwietracht, denn jede Heiratswillige frage sich anschliessend: Warum hat der die und nicht mich genommen? Und danach seien alle sauer und redeten nicht mehr mit der Vermittlerin.

»Da kannst du mal sehen, was unsre Bekannten so treiben«, ereiferte ich mich. »Aber vielleicht bist du ja auch so. Warum hat dein Mann eigentlich gerade dich geheiratet? Bestimmt, damit du für seine Verwandten und Bekannten eine Braut suchst, oder?«

Meine Freundin versuchte, mich zu unterbrechen, aber ich war voll in Fahrt und fuhr ungebremst mit meinen Verdächtigungen fort. Bis sie sagte: »Nun sei endlich still! Mein Mann hört vom andern Telefon aus mit. Er will nämlich sicher sein, dass du eine ›Liebe‹ bist, weil er eventuell einen Bräutigam für dich hat.«

Nun wurde ich ganz sanft – schliesslich will auch ich heiraten. »Ich hab nur Spass gemacht, du kennst mich ja. Klar bin ich lieb – die Liebste weit und breit.« Ich hörte ein Brummen ihres Mannes.

»Ich weiss, ich weiss«, sagte sie. »Also was meinst du?«

Wir machten einen Termin zwischen meiner und der Familie des Anwärters aus. Das hört sich einfacher an, als es ist. Für den Heiratskandidaten ist so ein Besuch keine grosse Sache. Er badet, seine Mutter wäscht für ihn ein Hemd und eine Hose, und seine Schwester bügelt beides. Der Mann soll gut aussehen, aber mehr muss nicht getan werden … Das Haus der Braut dagegen – also meins – wird komplett auf den Kopf gestellt. Da werden Böden gewischt, Treppen gefegt, Wände geschrubbt, Teppiche gesaugt, Fenster geputzt, Gardinen gewaschen und Gläser poliert. Und nach all der Mühe muss die Braut – also ich – sich auch noch herausputzen …

Nun gut. Der Heiratskandidat kam mit seiner Mutter und seiner Schwester. Er ist übrigens ein Doktor. Aber wie der angezogen war, du meine Güte! Und seine Mutter und seine Schwester, haben die keine Spiegel zu Hause?, fragte ich mich. Vor allem die Farben – unsäglich! Der Typ trug ein knallgelbes Hemd, eine blaue Hose, einen grünen Pullover und eine bunte Krawatte – eine unbeschreibliche Kombination. Als er seine Beine übereinanderschlug, sah ich, dass er violette Socken anhatte! O Gott, o Gott! Trotzdem sagte ich mir: Er ist zwar ein papageifarbener Anwärter, aber vielleicht sonst in Ordnung. In Wirklichkeit hatte er abstehende Ohren, eine Glatze und schiefe Zähne. Aber das Entscheidende sind ja der Verstand und die Persönlichkeit!

Als mein Vater in den Salon kam, stand der Heiratskandidat auf. Das gefiel mir, und ich dachte: Mindestens ist er höflich.

Dann stellte seine Mutter ihn vor: »Dr. Sâmi, Physiotherapeut.«

Und er sagte, wohl um ihre Einführung zu präzisieren: »Ich imitiere auch Künstler.«

Das darf doch nicht wahr sein. Ich versuchte mir das Lachen zu verkneifen. Da sassen wir also bei einer Brautschau und redeten über die Kunst der Parodie! Er erzählte über seine Erfolge als Stimmenimitator, und seine Mutter schien begeistert.

Plötzlich schaute Dr. Sâmi auf seine Uhr und dann rüber zu meinem Vater. Ob der junge Mann nun einen Heiratsantrag machen wollte? Er sagte zu meinem Vater: »Darf ich Ihnen eine Frage stellen? Und auf eine ehrliche Antwort hoffen?«

Mein Vater bekam es offensichtlich mit der Angst zu tun (er hatte schliesslich zum ersten Mal derartigen Besuch), sagte aber: »Klar, nur zu.«

»Funktioniert Ihr Fernseher?«

Mein Vater erschrak und sagte: »Ja, mein Junge, der geht.«

Da stand der Beau auf und schaltete den Fernsehapparat an. Dann drehte er am Knopf, bis er den Kanal hatte, der gerade ein Spiel des Fussballklubs Samâlik13 übertrug. Wir sassen wie angewurzelt da, völlig verblüfft von der Unverfrorenheit des Heiratswilligen. Nur seine Mutter war vom Tun ihres Sprösslings weiterhin angetan.

Der glotzte auf die Mattscheibe und brüllte: »Schiess, schiess! Ja, so ist’s richtig. Mist, der Schiedsrichter ist ein Esel.«

Meine Mutter beschloss, den jungen Mann auf sein schlechtes Benehmen aufmerksam zu machen. »Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, warum Sie gerade jetzt Fussball gucken müssen. Ausserdem ist Samâlik nicht mehr auf der Höhe.«

Dr. Sâmi drehte sich ganz langsam zu meiner Mutter um. Seine Augen waren blutunterlaufen, und sie zuckte zusammen, als sie das sah. Dann schrie er: »Nein, nein! Hören Sie mal gut zu! Reden Sie, worüber Sie wollen, aber nicht über Samâlik! Komm, Mama, wir gehen. Ich kann nicht in eine Familie einheiraten, die schlecht über Samâlik spricht.«

Ich dachte daran, was wir alles getan hatten, um diesen Leuten zu gefallen.

Als sie gegangen waren, schwiegen wir. Mein Vater schaute meine Mutter an, und keiner von beiden wagte aufzustehen. Ich fasste mich als Erste. Vor lauter Lachen fiel ich auf den Boden. War es wirklich vor Lachen oder nicht vielmehr vor Weinen?

Am nächsten Tag rief meine Freundin an und fragte, wie es gelaufen sei.

»Schlecht natürlich, machst du Witze?«

Dann erzählte ich ihr, was passiert war, und sie meinte: »Na und, da ist doch nichts dabei. Sag ihm bloss nicht, dass du Achli-Fan bist!«

Diesen Anwärter wollte ich nicht. Alles Zureden nützte nichts. Daraufhin schnitt mich meine Freundin. Sie rief auch nie mehr an.

Tja, wie konnte ich nur so einen tollen Heiratskandidaten ablehnen? Wie nur?

Ich bin keine Null

Unsre tolle, schöne Gesellschaft hat zwei Gesichter …

Es ist eine altbekannte Geschichte: Habt ihr mal erlebt, was passiert, wenn sich Familien mit Kindern versammeln? Die Buben fragen die Erwachsenen: »Was willst du werden, wenn du mal gross bist, mein Schatz?« Mutige Buben antworten: »Offizier.«14 Und wer schon etwas politisches Bewusstsein besitzt, sagt: »Präsident der Republik Ägypten.«

Und was fragen die Erwachsenen die kleinen Mädchen? »Sollen wir dich mit Muhammad verheiraten, wenn du gross bist, meine Süsse? Oder lieber mit Châlid?« Die Göre wird sie blöd angucken und sagen: »Ich heirate Papa!« Dann lachen alle, und damit ist die Fragerei beendet.

Das Mädchen wird grösser, kriegt eine Puppe, kämmt sie und verkleidet sie als – Braut. Das Lieblingsspiel aller Mädchen ist nämlich Heiraten. Allerdings auf absolut kindlichem Niveau.

Dann kommt das Mädchen in die Schule, und jedes Mal, wenn sie ein gutes Zeugnis kriegt, sagen die Leute: »Gratuliere, Herzchen, auf dass wir später deine Hochzeit feiern!«

Und wenn das junge Mädchen jemanden fragt, was sie studieren solle, sagt der: »Mach dir mal keine Sorgen, Kleines, schliesslich bist du ein Mädchen und wirst irgendwann sowieso heiraten!«

Das Mädchen wird mit bestimmten Werten wie eine Batterie aufgeladen, bis sie begreift, dass ihr Leben nur einen Sinn hat, wenn sie heiratet und Kinder bekommt.

Aber was, wenn das nicht passiert?

Lest mal folgenden Dialog:

A: »Wie läuft’s bei dir?«15

B: »Ich habe mir gerade zwei Goldreife und eine Halskette gekauft.«

A: »Nein, ich meine: Hast du Kinder?«

B: »Nein, ich bin noch nicht verheiratet.«

A: »Du Arme!«

Er könnte auch so lauten:

C: »Wie läuft’s bei dir?«

D: »Ich studiere. Und ausserdem schreibe ich gerade meine Doktorarbeit.«

C: »Nein, ich meine: Hast du Kinder?«

D: »Nein, ich habe noch nicht geheiratet.«16

C: »Ach so, du Arme!«

Oder auch so:

E: »Wie läuft’s bei dir?«

F: »Ich habe mir gerade einen Geländewagen zugelegt.«

E: »Nein, ich will wissen, ob du Kids hast.«

F: »Nein, ich bin nicht verheiratet.«

E: »O Gott, du Arme!«

Genauso spielt es sich ab, egal in welcher Gesellschaftsschicht. Es gibt also nichts, in welchem Gebiet auch immer, das für ein orientalisches Mädchen die Ehe ersetzen könnte. Aber was ist mit derjenigen, die keinen Mann findet oder für die es zu spät und für die der Zug abgefahren ist? Also für die, die in den Augen der Leute längst eine alte Jungfer ist? Ist die überflüssig und unnütz geworden? Soll sie sich etwa umbringen?

Der Moment, in dem sie erkennt, dass die gesamte Gesellschaft sie ablehnt, wird der schwerste in ihrem Leben sein. Sie ist weder psychisch noch physisch, noch finanziell auf ihn vorbereitet. Alle Leute sagen der jungen Frau ständig: »Du musst heiraten, du musst heiraten – es bleibt dir gar nichts andres übrig.« Und wenn das nicht passiert, wird ihr keiner zur Seite stehen, und sie wird völlig allein sein.

Aber die Zahl der unverheirateten Frauen ist gestiegen, und es sind heute mehrere Millionen, die noch auf einen Bräutigam warten. Diese Frauen müssen lernen, sich selbst zu achten, nach Erfolg auf einem andern Gebiet zu suchen und ihr Leben zu geniessen. Vor allem dürfen die Unverheirateten nicht denken, dass das Leben noch nicht begonnen hat!

Und die Gesellschaft muss aufhören, in der jungen Frau nur die Braut zu sehen. Wenn es ernst wird und sie keinen Ehemann findet, kann ihr die Gesellschaft sowieso nicht helfen. Im Gegenteil: Die Leute erklären der jungen Frau ständig, dass die Heirat für sie der einzige Weg durchs Leben bleibe. Die Unverheiratete kriegt dann das Gefühl, sie sei absolut entbehrlich. Sie wird wie ich enden und euch etwas vorjammern …

Ab jetzt sage ich: Wenn es nicht passieren sollte, ihr also keinen Mann abkriegt, keine Kinder bekommt und das Plansoll der Gesellschaft nicht erfüllt, dann seid versichert: Ihr seid trotzdem wichtig, habt eine Persönlichkeit, ein Leben und seid ganz bestimmt keine Nullen.

Der Zweite

Wir haben doch gesagt, dass wir es wie Anwar Wagdi halten wollen, oder?

Passt auf, die folgende Geschichte ist witzig und tragisch zugleich. Vermutlich werdet ihr über mich lachen. Ich bin ein liebes Mädchen, aber meine Flügel sind gebrochen, um es vornehm auszudrücken. Aber bitte macht euch nicht über mich lustig!

Diese Geschichte kennen nur meine Mutter und ich. Meinen Freundinnen habe ich sie nicht erzählt. Ihr könnt also froh sein, ja euch geradezu was drauf einbilden, dass ich diese exklusiven News überhaupt rauslasse. Ich meine die Sache mit dem zweiten Heiratskandidaten. Lest bitte weiter!

Zur Einstimmung: Wir Frauen kennen alle das gute Gefühl, wenn einer hingerissen ist und einem hinterherläuft. Ich meine nicht die übliche Anmache. Es geht darum, dass die Chemie stimmt, wie die Ausländer sagen. Übrigens fangen viele Ehen so an. Also: Einer sieht eine Frau auf der Strasse, geht ihr hinterher, erfährt so, wo sie wohnt, macht sich über sie und ihre Familie schlau und verlobt sich schliesslich mit ihr.

Mein Cousin hat es genauso gemacht. Das Mädchen, dem er nachlief, gab ihm erst einmal eine gehörige Backpfeife. Die spürte er noch drei Tage später! Das gefiel ihm aber, und er sagte: »Dieses Mädchen ist richtig gut erzogen.« Und deshalb stellte er sich ihrer Familie als Heiratskandidat vor.17 Als sie dann verheiratet waren, verprügelte sie ihn bei jeder Gelegenheit. Trotzdem liebt er sie über alles und preist bis heute den Tag, an dem er sie zum ersten Mal sah.18

Zu mir. Ich war auf dem Weg zur Arbeit. Plötzlich spürte ich diese »Chemie«, die ich erwähnt habe. Ich fühlte Blicke, die meinen Nacken durchbohrten. Rasch drehte ich mich um, um die Person hinter mir zu erschrecken, und sah einen Mann – aber was für einen! Gross, muskulös, in der Hand einen schwarzen Aktenkoffer, in Anzug und Krawatte und mit einer Sonnenbrille. Also er wirkte wie jemand aus der Werbung für die »Stiftung Jugend der Zukunft« von Gamâl Mubârak.19

Der Typ sah klasse aus, und ich bekam Herzklopfen. Ich blieb bei der Haltestelle stehen und wartete. Als der Mini­bus kam, stieg ich ein, er auch und platzierte sich dann genau hinter mich. Ich überlegte: Warum nimmt ein solch schicker Yuppie den Minibus? Das muss etwas bedeuten.

Dann setzte er sich neben mich. Klasse! Ich hatte furchtbare Angst, dass er mich anmachen würde, denn in dem Moment würde ich mich vergessen, und weder die Jugend der Zukunft noch Gamâl Mubârak würden mir irgend­etwas bedeuten, ich würde ihn in seinem tollen Anzug ganz einfach zusammenschlagen.

Aber er machte mich nicht an. Stattdessen lehnte er sich ganz leicht zu mir herüber und sagte: »Entschuldigen Sie, darf ich Sie etwas fragen?«

Ich fragte betont gleichgültig zurück: »Was ist, was wollen Sie?«

»Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie verlobt sind. Mir scheint, dass Sie weder verlobt noch verheiratet sind, denn Sie tragen keinen Ring.20 Aber ich muss mich dessen versichern.«

»Also über so was spricht man nicht in der Öffentlichkeit. Ausserdem kenne ich Sie doch gar nicht und spreche mit niemandem, den ich noch nie gesehen habe.«

»Sie haben recht. Aber wenn Sie mir gefallen und ich um Ihre Hand anhalten möchte, was muss ich dann tun? Ich beobachte Sie schon eine Weile, aber das ist das erste Mal, dass ich den Mut finde, Sie anzusprechen.«