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Band 231

 

Angriff der Druuwen

 

Susan Schwartz

 

 

 

PERRY RHODAN KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. Gekapert

2. Der Reisende

3. Gehorcht!

4. Widerstand!

5. ... zerschlagen

6. Über die Druuwen

7. Aufbruch

8. Widerstand ist nicht zwecklos

9. Vorbereitungen

10. Aufbruch

11. Das, was man Oase nennt

12. Sukar Masir

13. CREST II

14. Sukar Masir

15. Der geheimnisvolle Bingdu

16. Zurück

17. Plan B

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Gut fünfzig Jahre nachdem die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr.

Kaum hat Perry Rhodan eine Invasion der Erde durch die Arkoniden abwenden können, macht sich eine weitaus unheimlichere Bedrohung wieder bemerkbar – das Dunkelleben. Es scheint seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben.

Deshalb bricht Rhodan mit der CREST II und seiner bewährten Mannschaft zu einer Erkundungsmission in den Sagittarius-Sektor auf. Diese Reise wird jedoch jäh unterbrochen, das irdische Raumschiff muss notlanden.

Noch während die Menschen die Schäden an Bord reparieren, werden sie von einer Piratenflotte überfallen. Weil ein Großteil der Bordsysteme auf der CREST II ausgefallen ist, bleibt eine Gegenwehr zunächst unmöglich. Perry Rhodan hat keine Wahl – er kapituliert vor dem ANGRIFF DER DRUUWEN ...

1.

Gekapert

 

»Nein!« Thoras Schrei gellte zum dritten Mal durch die Zentrale der CREST II.

Sie sprang vor – aber nicht zu dem reglos am Boden liegenden Perry Rhodan, sondern zu dem rot gerüsteten Invasor, der ihren Mann kaltblütig niedergeschossen hatte.

Ihre Reflexe waren so schnell, dass der Anführer der Druuwen keine Chance zur Gegenwehr hatte. Thora Rhodan da Zoltral schlug ihm noch im Sprung mit einem mächtigen Fußtritt die Waffe aus der Hand. Bevor sie auf dem Boden landete, ließ sie einen Hagel von Schlägen und Tritten auf Zakhaan Breel niederprasseln, stieß sich dann sofort wieder ab und setzte den Angriff fort. Thora war Dagormeisterin, sie flog geradezu, jeder Hieb saß und wäre unter normalen Umständen tödlich gewesen.

Seine schwere Kampfrüstung indes schützte den Druuwen. Zunächst wurde er in die Defensive gedrängt und wich zurück, offensichtlich völlig verblüfft von dem unerwartet massiven Ansturm.

Dann war das Überraschungsmoment vergangen, es hatte kaum mehr als drei oder vier Sekunden gewährt. Seinen Energiestrahler hatte Breel durch den ersten Tritt verloren, wehrlos war er aber keineswegs.

Während Thora ihn weiter mit rasend schnellen Schlägen attackierte und versuchte, eine Schwachstelle an ihm zu treffen, verharrte Breel, ging mit dem Oberkörper nach vorn, krümmte sich leicht und zog die Arme vor der Brust zusammen.

Es sah nach Defensive aus, doch daraus wurde Offensive. Thoras Schläge prallten an dem vorgehaltenen Arm ab – und mit dem anderen zog der Druuwe durch, von unten nach oben, hebelte die Arkonidin aus, dann schmetterte er seinen Unterarm gegen ihren Bauch. Während sie ächzend etwas zusammensackte, holte er erneut mit dem Unterarm zu einem weiteren, seitlichen Schlag gegen dieselbe Stelle aus und schleuderte sie wie ein lästiges Insekt von sich.

Die Wucht war so gewaltig, dass Thora quer durch die Zentrale flog. Sie versuchte, sich zu drehen und abzufangen, prallte aber gegen eine Steuerkonsole, was ihr hörbar die Luft aus den Lungen presste. Haltlos rutschte sie an dem Arbeitspult zu Boden, blieb keuchend und benommen liegen.

Entsetzte Rufe schallten durcheinander, einige Offiziere wollten aufspringen und eingreifen. Aber die Diskusroboter, die den Druuwen begleitet hatten, hinderten sie daran, indem sie die Waffen bedrohlich auf die Menschen richteten oder sogar damit zuschlugen.

»Bitte!«, rief Gabrielle Montoya, die wie gelähmt die Szene beobachtet hatte. Noch nicht mal zwei Minuten waren vergangen, seit Perry Rhodan, von einem roten Strahl in die Brust getroffen, zusammengebrochen war. Früher hätte Montoya Thora sofort unterstützt. Aber dazu war die Erste Offizierin der CREST II aufgrund ihres Alters körperlich nicht mehr in der Lage. Also musste sie ihre Fähigkeiten auf andere Weise einsetzen.

»Bitte, wir sind waffenlos! Wir hatten uns bereits ergeben!« Sie hob die Hände, die leeren Handflächen nach außen gerichtet. Eine universell verständliche Geste.

Breel ging zu seiner Waffe, hob sie auf und steckte sie ein. »Unnötige Aufregung.« Trotz seines geschlossenen Helms war die Verachtung in seiner Stimme klar herauszuhören. »Eure Aktion war völlig überzogen und sinnlos.«

»Sie bedrohen unsere Leute auf überflüssige Weise, Zakhaan Breel!«, rief Montoya erbost und wies auf die in Schach gehaltenen Offiziere. »Trotz unserer Kapitulation erschießen Sie ...«

»... Ihren Anführer. Tja, das ist nun mal so Sitte, damit jedem klar wird, dass wir nicht mit uns spaßen lassen. Irgendwelche Einwände?«

»Jede Menge!« Montoya wollte zu Thora eilen.

Breel streckte jedoch den Arm vor, versperrte ihr in den Weg. »Lassen Sie das. Ich sage es kein weiteres Mal.«

In diesem Moment kam wieder Bewegung in Thora. Sie schüttelte ihre Benommenheit ab, stemmte sich an der Konsole hoch und kam taumelnd auf die Beine. Montoya vermutete, dass Thoras gesamter Körper mit grünen und blauen Prellungen übersät war. Doch als Dagormeisterin konnte die Arkonidin nicht nur austeilen, sondern auch einstecken. Und das auf eine beachtliche Weise.

Wo Montoya sich vermutlich eine Menge Knochen angeknackst oder gebrochen hätte und erst mal auf der Krankenstation gelandet wäre, hatte Thora sofort umgeschwenkt in die Defensive. Sie hatte dem Schlag nachgegeben, der sie fortgeschleudert hatte, alle weiteren Widerstände abgefangen und abgefedert. Und schon stand sie wieder.

Montoya war nicht die Einzige, die die Kommandantin der CREST II dafür bewunderte, wie sie so mancher Miene der Offiziere entnehmen konnte. Manchen stand sogar der Mund leicht offen.

Thora strich sich das lange, weiße Haar zurück, dem Ausdruck ihrer goldroten Augen nach zu urteilen, war ihr Stolz erheblich angeknackst. Dabei bestand dazu keinerlei Grund, sie war waffenlos gewesen und wurde nicht von einer Körperrüstung geschützt. Trotz der Bemühungen, sich zu beherrschen, verzerrte sich ihr Gesicht leicht und verriet, welche Schmerzen sie gerade hatte. Aber sie richtete die Uniform und nahm Haltung an.

»Dafür werden Sie büßen«, schwor sie voller Zorn, während sie betont gemessenen Schrittes und ohne zu humpeln an Montoyas Seite kam.

Ihr Blick glitt dabei immer wieder zu Rhodan. Montoya war klar, dass die Arkonidin heftig mit sich kämpfen musste, um nicht bei ihrem Mann niederzuknien und nachzusehen, ob wenigstens noch ein leichter Pulsschlag festzustellen war. Doch abgesehen von der Tränenflüssigkeit, die sich bei jedem Arkoniden in starker Erregung aus den Augenwinkeln presste, gab sie sich keine weitere Blöße, indem sie sich womöglich von einem Roboter zurücktreiben ließ. Die Situation war demütigend genug – für alle.

»Pah, so viel Aufregung um nichts«, erwiderte der Anführer der Druuwen leichthin. »Sind Sie alle so schrecklich theatralisch?«

»Thora!«, rief Montoya hastig.

2.

Der Reisende

 

Du wanderst.

Es ist sonderbarerweise nicht bewusst herbeigerufen, es geschieht einfach. Vielleicht waren es zu viele Gedanken, die dein Unterbewusstsein zum Anlass genommen hat, dich auf eine Reise zu entführen.

Du wartest auf das Gefühl, in einem Zug zu sitzen und die Universen an deinem Fenster vorbeiziehen zu sehen. Aber so ist es diesmal nicht.

Du wanderst auf eigenen Füßen dahin und dahin und dahin.

Du fühlst nichts, keine Kälte, keine Wärme, keinen Luftzug. Dein Körper ist nicht mit dir gekommen. Aber du weißt, du hebst deine Beine, setzt Fuß vor Fuß.

Es ist dunkel. Dir ist klar, so wird es nicht bleiben. Es scheint, als würdest du nicht von der Stelle kommen, doch das stimmt nicht. Du kannst es spüren. Immer weiter entfernst du dich von deinem Leben. Es ist wie eine Art Heimweh, das mit wachsender Distanz größer wird.

Aber das kennst du und hast zumeist keine Angst davor. Im Gegenteil. Solange du dieses Gefühl hast, wirst du dich nicht verirren. Und derzeit ist das Gefühl nur sehr schwach, allzu weit bist du also noch nicht fort.

Du verstehst, wozu du fähig bist, wenngleich du nicht erklären kannst, auf welche Weise. Du kannst willentlich in die Chronophasen des Quantenraums vorstoßen. Dies geschieht manchmal real, weil du dich verletzen kannst, und manchmal wie in einem Traum. So muss es auch derzeit sein, du träumst. Hattest du diese Wanderung beabsichtigt? Du kannst dich nicht erinnern.

Du bist irgendwo in der Schwebe zwischen Wachen und Träumen. Manche würden es Vision nennen. Doch du gehst sehr viel weiter, stößt in den Quantenraum vor, um die Zukunft zu erkennen. Eine Zukunft wie in einem Paralleluniversum, nicht mehr als potenziell, denn fortwährend ändert sich alles. Eine winzige Fluktuation – die gibt es ständig –, und alles ist neu aufgesetzt. Dieselbe Reise könntest du folglich nie zweimal unternehmen.

Übergangslos ist es hell.

Beim Parallelwandern musst du manchmal erst eine Tür öffnen, um dorthin zu gelangen. Doch diesmal ist es anders. Kein Zug, kein Bahnhof, keine Tür.

Du gehst durchs Nichts, und dann bist du da.

Und du weißt sofort, dass du das nicht sehen möchtest.

Die Welt, die du nun wahrnimmst, ist dir nicht vertraut, trotz des blauen Himmels und der gelblichen Sonne. Das ist nicht das erste Mal, du hast schon viele düstere Zukünfte durchwandert. Und doch ... Auf solche Weise hat dich das noch nie erschreckt.

 

Es ist keine trockene, verlassene Welt – im Gegenteil. Das Leben wuchert nur so auf ihr. Kaum ein Platz, der nicht besetzt ist. Dicke Stränge, die wie Muskelfasern aussehen, krümmen sich, in sich selbst verschlungen, und streben nach oben. Aus ihnen wachsen weitere Fasern heraus, nicht minder verzweigt und gebogen, und lange, schleimige Blätter in verschiedenen Grün- und Rotschattierungen sprießen daraus.

Büsche und größere Gewächse, die den Begriff »Baum« nicht verdienen, Myzelflechten, Pilzschwämme, Pilzkappen, die ihre Lamellen nach außen stülpen. Das meiste ist so sehr ineinander verschlungen, dass du nicht einschätzen kannst, wo die eine Pflanze aufhört und die andere beginnt. Aus dem schleimigen Fadengewirr ragen riesige, häufig sechsstrahlige Blüten in knalligen Farben hervor, zumeist gelb und rot, die klebrigen, eitrig-gelben Saft absondern. Andere Blüten erweisen sich als fleischfressende Pflanzen, die blitzschnell aufklappen, sich über die Beute stülpen und sie auflösen. Auf und zwischen den großen Luftwurzeln sammeln sich makabre Haufen sauberer Knochen in allen Größen, aber auch schillernde Chitinpanzer.

Die Insekten sind um ein Vielfaches größer, als du sie kennst: achtbeinige Käferartige, geflügelte Raupen, Gottesanbeterinnen und Libellen, auch räuberische Schmeißfliegen mit langen Greifarmen und Mandibeln, die jeder Soldatenameise Ehre machen würden.

Es gibt Tiere höherer Ordnung, zu Lande wie in der Luft und wahrscheinlich auch im Wasser. Aber sie sind nicht mehr als Säugetiere oder als Eierlegende erkennbar. Selbst die Vögel sind zu warzigen, verbogen wirkenden, teils mehrköpfigen Kreaturen mutiert, die kaum noch Federn besitzen, dafür aber Schnäbel mit Zähnen und enorme Fänge.

Du beobachtest, wie eine vierbeinige Kreatur mit langen Stacheln sich plötzlich aufrichtet. Ihr Bauch platzt auf, und in einem Schwall Fruchtwasser purzelt die Brut heraus, klatscht zu Boden und ergreift sofort die Flucht. Was Insekten und Blüten nicht erwischen, frisst die Mutter. Gerade mal eine Handvoll entkommt zwischen Schleimfäden und Schlingen. Herausstiebende Flugwesen und spitze Schreie zeigen an, dass die Jungtiere sich sofort erfolgreich an die Nahrungsaufnahme gemacht haben.

 

Ein Blinzeln. Es ist Nacht. Du erkennst, dass du diesmal nicht in einer Wildnis herausgekommen bist, sondern in einer ehemaligen Metropole. Du hast keine Ahnung, welche – du kannst nicht mal den Kontinent benennen, auf dem du dich befindest. An vereinzelten Stellen sind noch Überreste von Häusern erkennbar, Stahlplastik und Glassit. Und du begreifst, dass einige der sehr hohen Bäume gar keine sind, sondern vollständig überwucherte Türme, teilweise durch kilometerlange Schlingpflanzen verbunden, von denen Efeu und Mooshaare und Algenschlieren herabhängen.

Du rätselst, warum du das alles wahrnehmen kannst, obwohl über dir nur blasse Sterne blinken. Sterne, wie du begreifst, die du kennst. Es sind vertraute Konstellationen, die Namen haben, wie der Große Wagen, der Orion, und da ist ... die Venus. Es ist der nördliche Sternenhimmel, und du stehst auf der Erde.

Du bist geschockt.

Du konzentrierst dich auf die Umgebung. Welche Metropole ist es? Gibt es markante Punkte, an denen du schon einmal gewesen bist?

Es ist so hell wie in der Abenddämmerung. Denn nahezu alles ringsum, siehst du nun, leuchtet oder schimmert. Künstliche Beleuchtung gibt es nicht mehr, Flora und Fauna sorgen selbst dafür, ihren Pfad zu finden. Oder sie locken damit Beute an.

Das Leuchten ist kränklich und fahl, es ist von glühender Schwärze umrandet. Nichts daran wirkt einladend oder schön.

Wahrscheinlich wäre es gar nicht möglich, dieses Leben zu katalogisieren, denn nicht ein Tier, nicht eine Pflanze sieht wie die andere aus. Die Mutationen finden nicht in Jahrhunderten, sondern in Tagen statt. Bei jeder Reproduktion ist das Ergebnis unbekannt.

Du weißt, dies ist – war – dein Heimatplanet.

Er hat offenbar ein ähnliches Schicksal erlitten wie Xot.

Ob es überall so ist?

 

Ein Blinzeln. Du gehst schneller, als du Schreie hörst. Und da siehst du das Wesen.

Eine ... Frau?

Sie ist von demselben dunklen Leuchten umgeben wie alles andere, steckt in wucherndem Gebüsch fest, nur ihr Kopf ragt noch heraus. Als solle sie verschlungen werden!

Phosphoreszierend grünes Haar hängt herunter. Bleiche Haut mit Sprengseln darin, übergroße, aus sich heraus neongrün strahlende Augen. Aber unverkennbar menschlichen Ursprungs, auch die Stimme klingt noch so. Nur ihre Sprache verstehst du nicht. Falls es eine Sprache ist.

Du möchtest zu ihr laufen, sie retten, doch du kannst nicht materialisieren. Du bist nur ein Geist auf Wanderschaft.

Sie streckt einen Arm aus, spreizt die Finger. Der Arm wirkt extrem verdickt und ein wenig krumm, doch die Finger sind fünf und sehen vertraut aus.

Sie schreit um Hilfe, daran zweifelst du nicht. Aber was kannst du tun?

Da registrierst du auf deiner linken Seite zwei Kreaturen, die einer Mischung aus Wolf und Eber ähneln, die eine mehr Wolf, die andere mehr Eber, und die sich rasch nähern.

Sei still, Frau!, willst du rufen. Du machst es nur noch schlimmer!

Aber kein Ton dringt über deine Geisterlippen. Du bist verzweifelt. Ein Teil in dir rät dazu, wegzulaufen, um es nicht mit ansehen zu müssen. Der andere Teil überlegt fieberhaft, welche Möglichkeiten es gibt, um das Unvermeidliche zu verhindern.

Doch da sind sie schon heran, grunzend und heulend zugleich, und steuern auf die hilflose Frau zu.

Es geht so schnell, du bekommst es kaum mit.

Fassungslos beobachtest du, wie die beiden Kreaturen, in Erwartung der leichten Beute bereits sabbernd, zum Sprung abheben – und verschwunden sind.

Du brauchst ein paar Sekunden, um zu begreifen.

Der seltsam verdickte Arm der Frau entfaltet sich, die Hand klappt nach unten, als wäre sie ein nutzloser Fortsatz. Der Arm spreizt eine Vielzahl langer, beweglicher Glieder, fächert weit auf, schlägt meterlange Stacheln in die beiden Angreifer und reißt sie an sich, hinein ins Buschwerk, verschwindet mit ihnen.

Du hörst noch ein leises Kichern und ein verzweifeltes Quieken und Winseln.

Es schüttelt dich, dann fliehst du.

 

Nächstes Schlaglicht. Du hast wieder nur einmal geblinzelt, und du bist erneut woanders. Du stehst auf einer Fläche, die von Maschinen frei gehalten wird. Einstmals muss es eine sehr große Fläche gewesen sein, doch nun ist sie ständig in Gefahr, zugewuchert zu werden. Von allen Seiten kriechen Bodendecker und Schlingpflanzen heran, rollende Büsche, die Stacheln in den Boden schlagen, wo sie verharren, auf langen Wurzeln springende Bäume. Überall sprießen Pilze, sprengen den Bodenbelag, schwarz leuchtendes Myzel kriecht heraus.

Ein Raumhafen, erkennst du, denn dort ist ein Kontrollturm, der beständig von Robotern gereinigt und besprüht wird. Rings um das steil aufragende Gebäude stehen einige Kugelraumer mit aktiviertem Schutzschirm. Du erkennst es daran, dass es immer wieder blitzt und aufleuchtet, sobald ein Tier oder eine Pflanze dagegen anrennen.

Als du hochblickst, gewahrst du im Licht der Morgensonne ein riesiges Raumschiff, das so nah steht, dass es wie ein kleiner Mond wirkt.

Du willst wissen, wer in dem Turm ist, und mit diesem Gedanken bist du schon dort. Eine Besprechung findet in einem steril gehaltenen Raum statt.

Dir wird eiskalt. Du bist froh, dass sie dich nicht bemerken.

Das sind Menschen – und doch nicht mehr. Sie sind deformiert, mutiert. Einer hat schwarz leuchtende Zähne, seine Haut ist fast durchsichtig, und schwarze Schlieren bewegen sich darunter.

Du kannst kaum noch unterscheiden, ob es Männer oder Frauen sind.

Ihre Sprache verstehst du einigermaßen.

Es erschüttert dich zu hören, dass die Anwesenden zu den Letzten gehören, die die Erde für immer verlassen.

Das Dunkelleben hat sich überall verbreitet und alle Organismen befallen. Immunität ist ausgeschlossen, was an sich gar nicht möglich sein sollte. Andererseits, es ist ja nur das Äquivalent eines Virus. Du erfährst, dass diejenigen, die sich scheinbar als immun erweisen und nicht verändern, nicht mehr lange leben. Andere leben jahrelang »normal«, bis es ausbricht. Die Auswirkungen sind völlig unterschiedlich und können niemals vorhergesagt werden.

Die gesamte Zivilisation ist vollständig zusammengebrochen, es gibt nur noch sehr wenige Enklaven auf dem Planeten, in denen sich mehr oder weniger »Gesunde« dank verbliebener Technik halten. Doch sie wissen, dass sie zum Scheitern verurteilt sind. Sie können nicht mehr hinaus, aber das Dunkelleben wird irgendwann hineinkommen. Oder vielmehr, in ihnen ausbrechen.

Die meisten von ihnen sind deshalb dem Aufruf gefolgt, mit den letzten Transportschiffen in den Exodus zu gehen. Die bereits Infizierten, die nicht zu stark belastet sind, wollen sich auf die Suche nach einem Ort machen, der nicht befallen ist und wo sie vielleicht eine neue Zivilisation aufbauen können, die Generation um Generation stabiler wird.

Du ahnst, dass man sich gegenseitig etwas vormacht.

 

Du willst wissen, wie es allgemein in der Galaxis aussieht, insbesondere in den Kolonien mit den Umweltangepassten.

Du erfährst, dass die Träger der Kolonien und die Megakonzerne sich in große Raumforts zurückgezogen haben und von dort aus Politik und Wirtschaft betreiben. Sie üben Druck auf die Kolonisten aus, denn sie wollen ihre Investitionen nicht verlieren. Sie machen den Siedlern deutlich, dass sie alles den Genkonzernen zu verdanken und ihren Anweisungen zu folgen hätten.

Manche Insassen der Weltraumforts sind offenbar noch »normal«, weil ausgerechnet sie die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt und vorgesorgt hatten. Die Raumforts sind hoch technisierte, äußerst wehrfähige Gebilde, die sich nicht um Staatszugehörigkeit scheren. Sie bilden ihre eigenen Staaten.

Von diesen »Neu-Staaten« bedrängt, spalten sich die Gesellschaften in den Kolonien. Manche Planetarier fügen sich, andere leisten offen Widerstand. Der weitaus größere Teil aber ergreift die Flucht.

In Konvois verlassen sie ihre Welten und machen sich auf die Suche nach Schutz und Obdach auf Welten, die noch nicht befallen sind.

Die Galaxis ist groß, sagen sie. Es kann nicht alles befallen sein, sagen sie.

Du brauchst keinen Blick in die weitere Zukunft zu werfen, um zu wissen, dass sie sich irren. Sich an eine irrationale Hoffnung klammern. Du vermutest, dass sie das längst wissen. Aber was bleibt ihnen anderes?

Du blinzelst und begleitest einen Treck der Ertruser.

Die Evakuierungsschiffe bestehen aus vormals eigenständigen Kugelraumern, die mit bis zu zwanzig Decks hohen Verbindungssegmenten fest aneinandergekoppelt sind. Anfangs haben die Kolonisten Sorge, dass der Platz nicht für alle reicht. Aber schon nach wenigen Tagen sterben die ersten, und andere erkranken. Beiboote werden zu Quarantäneschiffen umfunktioniert und aus dem Verband verstoßen.

Du gehst nicht zu ihnen hinüber, du willst die Angst und Not nicht sehen. Sie sind zum Tode verurteilt. Wahrscheinlich werden sie einander je nach Grad der Mutation gegenseitig umbringen, und dann treiben Geisterschiffe durchs All wie Tränen im Auge der Galaxis.

 

Du ziehst mit den Ertrusern von System zu System. Manchmal wechselst du von einem Konvoi zum nächsten, doch es sieht überall gleich aus. Hydroponische Anlagen, Treibhäuser, genetische Laboratorien. Enge Kabinenfluchten, nach Sektionen getrennte Aufenthaltsbereiche, streng geregelte Lebensmittel- und Materialausgabe.

Anfangs sind alle noch sehr diszipliniert, sie wollen beweisen, dass sie Menschen mit Moral sind. Per Funk halten sie Kontakt zueinander, nicht aber mit den »Neu-Staaten«. Wenn ein Konvoi den anderen trifft, zeigt man sich solidarisch, tauscht Material und Waren, feiert, lacht, versucht ein »normales« Leben. Manchmal schließt man sich dauerhaft zusammen, das schafft mehr Stärke, mehr Zusammenhalt, mehr Mut.

Jeder Treck, egal wie groß oder klein, hat sich von allem losgesagt. Die Neu-Staaten drohen, doch sie können nichts unternehmen. Sie bräuchten eine Flotte, um auch nur einen Konvoi aufzuhalten. Und die Ertruser sind nicht die Einzigen da draußen.

 

Die meisten Welten, die einigermaßen für eine Besiedlung infrage kämen, sind verlassen. Manche sind verwaist, andere explodieren vor Dunkelleben, so wie die Erde. Letzteren nähert man sich gar nicht erst, aber bei den verwaisten, vertrockneten Welten werden Besiedelungsversuche unternommen. Ein Teil geht mit der nötigen Ausrüstung von Bord, der Konvoi zieht weiter. Man wird sich nie mehr wiedersehen.

Die Neu-Staaten sorgen dafür, dass die Flüchtlinge keine Raumstation anfliegen können, um sich mit Ersatzteilen und frischen Vorräten zu versorgen. Doch die Ertruser sind findig, und sie lassen sich nicht bevormunden, erst recht nicht erpressen.

Sie gründen ihre eigene Konvoi-Kolonie, ihren eigenen Staat mit eigener Gesetzgebung. Auch wenn sie inzwischen verstreut sind, verkünden sie diese Botschaft überall per Funk: Wir sind Ertrus.

Und sie sind bewaffnet.

Die Mehandor sind die Ersten, die mit ihnen einen Vertrag schließen. Sie lassen sich ebenfalls von niemandem einschüchtern. Infolge des Zusammenbruchs aller bisherigen Strukturen haben sich manche Mehandorsippen, die über Karawanen mit modernsten Großschiffen gebieten, zusammengeschlossen und bereisen nunmehr als ewige Nomaden mit Raumstädten und Gespinsten die Handelsrouten.

 

Ein Blinzeln. System um System muss aufgegeben werden.

Alle Versuche, die Ausbreitung des Dunkellebens aufzuhalten, schlagen fehl. Es gibt keine Kur, keine Heilung. Manche trifft es weiterhin nicht so schlimm, das sind diejenigen, die handlungsfähig bleiben. Doch auch sie wissen nicht, wann sie der Infektion erliegen und zu einer bösartigen Kreatur mutieren, die für immer in den Dschungeln verschwindet. Oder die aus der Luftschleuse des Raumschiffs flieht. Es gibt Gerüchte, dass nicht wenige das sogar überleben und weitermutieren.

Du glaubst, einmal flüchtig ein solches Weltraumwesen gesehen zu haben, als ein fahles Leuchten, das sich wellenförmig dahinbewegt.

Es ist absehbar, dass das Gefüge in naher Zukunft vollständig zusammenbrechen wird.

 

Ein Blinzeln. Den Ertrusern wird bewusst, dass sie keine weiteren Planeten mehr finden und genau wie die Mehandor nie wieder auf einem Planeten Fuß fassen werden, sondern dazu verurteilt sind, auf ewig als Nomaden durch die Galaxis zu ziehen.

Manche verlassen ihre Bündnispartner, oft war das Verhältnis schon lange vorher zerrüttet, und gründen eigene Stationen entlang der Handelsrouten.

Prospektoren sind unterwegs, um Erze zu schürfen und an Fabriken zu verkaufen. Eine richtige Währung gibt es nicht mehr, aber Edelmetalle, Schmuck- und Hyperkristalle sind ein überall begehrtes Tauschgut.

Auf kargen Planeten halten sich kleine Siedlungen und Stationen, die sich an diesem Geschäft beteiligen.

 

Ein Blinzeln. Jede Karawane, jeder Treck wird dem anderen nun zum Feind. Der Staat Ertrus existiert nicht mehr, auch die Neu-Staaten sind zerbrochen. Sie beherrschen weiterhin ihre Raumstationen, aber sind dort auch gefangen und nur noch von Feinden umgeben. Ihre Macht reicht nicht mehr über ihre Weltallfestungen hinaus.

Manche Exilanten, egal ob von einer Kolonie oder der Erde, haben sich dazu entschlossen, als Piraten ihr Dasein zu fristen und ihr Überleben durch Überfälle zu sichern. Ihr häufigstes Opfer sind einsame Raumstationen und Werften, eben alle Begegnungsorte im All. Planetare Siedlungen attackieren sie kaum, das lohnt das Risiko nicht und dort gibt es zu wenig zu holen. Um einen gesamten Konvoi anzugreifen, sind sie meist zu schwach. Aber für blitzartige Raubzüge an sensiblen Stellen entlang der Handelsrouten sind sie Profis, denn es gibt viele allein umherziehende Nomaden.

 

Ein Blinzeln. Der eine oder andere Konzern hat es durch skrupellose Piraterie geschafft, sich über alle Widrigkeiten hinwegzuretten. Er betreibt mindestens eine Raumstation und heuert Arbeitskräfte an. Vielen bleibt nichts anderes mehr übrig, aber sie sind kaum bessere Sklaven. Auch Umweltangepasste von den einstigen terranischen Kolonien gehören dazu. »Von irgendwas muss man ja leben«, heißt es.

Es gibt keine Freunde und Verbündeten mehr. Mutiert oder nicht, sie sind alle nur noch Raubtiere.

 

Dir wird schwindlig, und du weißt, du kannst diesen Weg nicht mehr lange gehen. Die Schlaglichter, die zwischen dem Blinzeln an dir vorüberrauschen, werden immer schneller.

Teuflisches, dunkles Licht breitet sich überall aus. Nicht nur die Westside, auch die Eastside der Milchstraße ist betroffen. In einem kurzen Überblick siehst du, dass die gesamte Galaxis inzwischen verseucht ist und zu etwas Neuem mutiert. Zu etwas, das in rasender Geschwindigkeit Entwicklungsprozesse durchläuft, die allesamt degenerativ sind.

Die betroffenen Intelligenzen vergessen, wer sie sind. Manchmal, ganz selten, wie bei den Quallen von Xot, haben sie einen lichten Moment und erinnern sich. Diejenigen unter ihnen, die Glück haben, versinken durch diesen Schock sofort wieder in ein Nicht-Bewusstsein. Die anderen werden wahnsinnig.

 

Du siehst eine Galaxis voller Albtraumgeschöpfe, für die es keine Evolution mehr gibt. Der Kampf ist verloren. Die Raumschiffe treiben antriebslos dahin. Es gibt nur noch wuchernde Reproduktion, wie ein unausrottbarer Tumor.

Das schwarze Leuchten ist überall.

Und in ihm sind Augen, die niemals blinzeln.

Sie richten sich auf dich.

Du begreifst: Es weiß mittlerweile, dass du da bist.

Grauen erfasst dich.

 

Dein »Heimweh« ist nicht sehr stark, und das entsetzt dich am meisten.

Du weißt, dass diese Zukunft möglich ist.

Sofern nicht ...

 

*

 

John Marshall kam zu sich, als er sich selbst schreien hörte. Er saß aufrecht im Bett, schweißüberströmt, und presste die Hände an den Kopf.

Was war geschehen?

Marshall war bodenständig, verstandesbewusst, nüchtern und klar denkend. Das Parallelwandern war ein Durchstreifen alternativer Realitäten, die auch einen Ausblick in die Zukunft gestatteten. Der Weg war keineswegs leicht und oftmals gefährlich, denn Marshall war zumeist leibhaftig in den Parallelwirklichkeiten unterwegs. Er hatte seine Kleidung dorthin mitnehmen können, auch einen Rucksack, aber nichts sonst. Nur das, was er am Körper trug. Er hatte jedes Geschehen in diesen alternativen Möglichkeitszuständen stets physisch erlebt, sich verletzen, sich verirren können.

Das gerade eben jedoch war eine völlig andere Art der Wanderung gewesen, nur sein Geist war hineingetaucht. Und es schien kein irreales Parallelreich zu sein, sondern ... das, was tatsächlich geschehen würde.

Es war extrem kräftezehrend gewesen. Er hatte sich nicht in Gefahr befunden und war auch nicht verletzt worden. Trotzdem fühlte sich Marshall ausgelaugt, und das lag nicht nur an seinem Alter.

Ja, seine Kräfte ließen nach, seit keine Verbindung zum Creaversum mehr bestand. Daran mochte es liegen.

Mühsam zwang er sich aus dem Bett, taumelte in die Hygienezelle und übergab sich mehrmals. Er zitterte am ganzen Körper und war in derart kritischem Zustand, dass die Kabinenpositronik eine Warnung aussprach und ein Fach aufklappte, in dem ein Injektionspflaster lag. Daneben stand ein Becher mit Elektrolyten. Zur Stabilisierung des Kreislaufs.

Marshall versuchte, sich zu erinnern. Die Phygen ... der Kreis aus Licht um die CREST II ... Er war vor der Aktivierung des Blendrings auf die Krankenstation gegangen, um sich ein Beruhigungsmittel geben zu lassen. Dann hatte er sich in seine Kabine zurückgezogen, um das Leid der Phygen nicht mental miterleben zu müssen.

Hatten seine Erlebnisse während des Einsatzes in der Ruinenstadt dieses Beinahe-Traum-Beinahe-Parallelwandern ausgelöst?

Der Uhrzeit nach zu urteilen, hatte er nicht mehr als zwei oder drei Stunden geschlafen. Und statt sich zu erholen, war er über alle Maßen erschöpft. Doch er musste sich zusammenreißen. Musste sofort mit Perry Rhodan sprechen über das, was er gesehen hatte.

Eine mögliche Zukunft, in der das Dunkelleben gewonnen hatte. Eine deutliche Warnung.