Illustration

Kristiane Hasselmann

Identität –
Verwandlung –
Darstellung.

Das Freimaurer-Ritual als Cultural Performance

Studien Verlag

lnnsbruck

Wien

München

Bozen

 

 

 

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

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ISBN 978-3-7065-5799-3

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Abb. 1: Historischer Tapis nach Larudan (1747)

Für Ute und Peter Hasselmann

Inhalt

Einleitung

1. Herausarbeitung einiger Spezifika der Freimaurerei

1.1 Zum Begriff der ‚Cultural Performance‘

1.1.1 Das Verhältnis von performativer Eigenrealität und gesellschaftlicher ‚Realität‘

1.2 Der symbolische Tempelbau

1.2.1 Die Idee

1.2.2 Die rituelle Praxis

1.2.2.1 Erläuterung des Erkenntnisstufen-Systems der freimaurerischen ‚Lehre‘

1.2.2.2 Darstellung des Lehrsystemsam Beispiel der GLLvD

1.3 Das hermetische Erbe

1.3.1 Verwandlung

1.3.2 ‚Identitätsideal‘

1.3.3 Verhältnis von Verwandlung und ‚Selbst‘

1.3.4 Berufung zur Kulturleistung

1.3.5 Rituelle Strukturen in den Hermetica

1.4 Das Verhältnis zum religiösen und magischen Ritual

1.5 Das rituelle Erlebnis

1.6 Paradoxien

1.6.1 Zum Problem der Authentizität

1.6.2 Zur Zeichenpraktik am Leib

1.6.3 Zum Umgang mit Bildern

2. Strukturanalyse der rituellen Kommunikation

2.1 Symbol und Ritual

Exkurs: Geschlossenheit und Offenheit

2.1.1    Das Ritual als spezifischer Zeichenprozeß

2.1.1.1 Bestimmung des freimaurerischen Rituals

2.1.1.2 Symbolische Etappen des Zeichenprozesses

2.2 Funktionelle Differenz der Zeichen

2.2.1 Zeitlicher Rahmen

Exkurs: Zur Inszenierung von Geschichte

2.2.2 Raumsemiotik

2.2.3 Demonstrativität der Präsentation

2.2.4 Actor-Spectator-Beziehung

2.2.5 Sprachliche Performanz

Exkurs: Oralität und Schriftlichkeit

2.3 Untersuchung einer spezifischen Logenarbeit

2.3.1 Das Ritual zur Erhebung in den Johannis-Meistergrad

2.3.2 Verwandlung und Körperdarstellung

3. Der freimaurerische Habitus

3.1 Prädisposition zum Freimaurer

3.2 Der interne Gruppenhabitus

3.3 Der exoterische Habitus

3.4 Verwandlungsmechanismen der Innerlichkeit

3.5 Visuelle Strategien

3.6 Habitualisierung

4. Zusammenfassung

Anhang

Abbildungsverzeichnis

Bibliographie

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Im Rahmen dieser Arbeit über den Freimaurerbund soll ein Einblick in die – der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannten – darstellerischen Aktivitäten der Freimaurerbruderschaft gewährt werden. Dabei soll Theatralität als ein gesellschaftsund identitätskonstituierendes Prinzip und das freimaurerische Ritual als Cultural Performance beschrieben werden.

Den historischen Ausgangspunkt bildet die Genese der spekulativen Maurerei, in deren Verlauf eine weitgehende Ablösung der ‚realen Aktion‘ durch die symbolische Handlung und somit eine Kommunikation stattfindet, in der darstellerische Tätigkeiten eine wesentliche Rolle spielen.1 Die freimaurerische ‚Lehre‘ von der in-neren Verwandlung des Individuums bezieht entscheidende Impulse aus dem spontanen psycho-physischen Zusammenspiel von Wahrnehmung, Bewegung und Sprache und dem gemeinschaftlichen rituellen Erlebnis.2 Die vorliegende Arbeit bemüht sich um eine Analyse des freimaurerischen Verständnisses von Identität, Individuation und Verwandlung im Verhältnis zum Körper und unter Berücksichtigung der hermetischen Tradition. Dies beinhaltet eine Betrachtung der Kommunikationsstrukturen innerhalb der Freimaurerbruderschaft sowie ihrer Rezeption durch die Öffentlichkeit. Am Ende steht der Versuch der Bestimmung eines spezifisch freimaurerischen Habitus’.

Um mich nicht in die Gefahr zu begeben, eine einheitliche Erscheinung der Freimaurerei, die es zweifellos nicht gibt, vorzutäuschen, orientiere ich mich vorrangig an einem Lehrsystem, dem der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLLvD).3

Im ersten Teil der Arbeit stelle ich nach einer kurzen Einführung in das Konzept der ‚Cultural Performance‘ die freimaurerische ‚Lehre‘ am Beispiel der GLLvD vor (1.2) und wähle dann die Hermetik als philosophischen Hintergrund für die Bestimmung des freimaurerischen Verständnisses von Identität, Verwandlung und ihrer kulturschaffenden Aufgabe ( 1.3). Ich betrachte die Freimaurer als ‚hermetisehe Praktiker‘, die den kosmischen Lebensprozeß im Ritual kontrolliert wiederholen und performativ nachempfinden.

Die implizite Verwandtschaft von hermetischer Philosophie und Freimaurerei liegt in der bildhaften Thematisierung von ‚Auflösung‘ und ‚Wiederverfestigung‘, bzw. von , Trennung‘ und , Wiedervereinigung‘ sowie in der Betrachtung von Leben und Tod als Eigenschaften mit dem Potential der Erneuerung, nicht als Endpunkte. Dieser ‚doppelte Prozeßcharakter‘ findet sich in der rituellen Praxis der Freimaurerei wieder.4 In dem freimaurerischen Ritual wird die hermetische Lehre verkörpert und Destruktion und Neustrukturierung am eigenen Leib symbolisch durchgespielt. Der Vorgang der ‚geistigen‘ Erneuerung wird in der freimaurerischen ‚Lehre‘ über symbolische, bildliehe Darstellungen und Körperinszenierungen sinnlich unterstützt. Die Verwandtschaft mit dem bildhaften Denken der Hermetica verweist auf die Notwendigkeit eines semiotischen Ansatzes bei der Beschäftigung mit der Freimaurerei.

Anschließend möchte ich vor dem Hintergrund der Hermetica, deren höhere Akzeptanz von logischen Unvereinbarkeiten sie als eine „Philosophie der Differenz“ (Liedtke) auszeichnet, die für rituelle Darstellungen in der Freimaurerei relevanten Paradoxien aufzeigen.

Der zweite größere Abschnitt dient der Analyse des freimaurerischen Rituals als einem Cultural Performance Phänomen. Zunächst soll das Wesen des Rituals als spezifischer Zeichenprozeß (2.1.1) bestimmt werden. Darauf folgt die Erläuterung der symbolischen Etappen innerhalb des Ritualkomplexes der GLLvD, um dann über die Betrachtung ausgewählter Zeichen das freimaurerische Ritual als herausgehobenen performativen Vorgang zu beschreiben (2.2). Abschließend sollen die im ersten Teil erarbeiteten Aspekte von Verwandlung und Körperdarstellung im Ablauf eines historischen Rituals zur Erhebung in den Johannis-Meistergrad dargestellt werden (2.3).

Im dritten Teil beschäftige ich mich mit der Frage nach einem spezifisch freimaurerischen Habitus. Die Arbeit an der persönlichen Individuation und ethischen Vervollkommnung ist dem Wesen des Rituals nach ein habitueller Vorgang, in dem durch sich wiederholende Tätigkeiten eine spezifische ethische Grundhaltung, neue Denk-, Verhaltens- und Wahrnehmungsschemata in die Persönlichkeit eingeschrieben werden sollen.5 Der Erfolg der praktischen Einübung von Sittlichkeit ist dabei abhängig von individuellen Voraussetzungen, die als Auswahlkriterien für die Mitgliedschaft in dem Bund formuliert sind. Die Voraussetzung für die Aufnahme ist die Prädisposition zum Freimaurer. Wie diese aussieht, soll im ersten Anschnitt nachgegangen werden (3.1). Die Arbeit bemüht sich im folgenden um eine Darstellungder innergemeinschaftlichen Umgangsformen (3.2) nach Maßgabe schriftlich fixierter Verhaltensmaßregeln sowie der Selbstdarstellung nach außen (3.3), d.h. des Ausdrucks dieser im Verborgenen eingeübten moralischen Werte in der Öffentlichkeit. Es soll hinterfragt und untersucht werden, inwiefern die freimaurerische ‚Lehre‘ in Form eines lebenspraktisch wirksamen Habitus‘ einen Ausdruck in der ‚realen‘ Welt findet. Hier ist auch die Rezeption des Bundes durch die Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Abschließend möchte ich versuchen, die Strategien des Habitualisierungsprozesses zu beleuchten.

Als Grundlage dienen vorwiegend Primärquellen,6 wie persönliche Darstellungen von Freimaurern in Literatur und persönlichem Gespräch, historische- und teilweise noch aktuelle- Rituale, Instruktionen, Katechismen, Leitfäden und Konstitutionen wie sie mir in den öffentlichen Bibliotheken Berlins zugänglich waren. Von besonderem Interesse sind außerdem die Enthüllungsschriften enttäuschter, ausgetretener Freimaurer, die intimes Wissen preisgeben, wie z.B. die freimaurerischen Erkennungsmerkmale (bestehend aus Zeichen, Griff und Wort), rituelle Vorgänge und Darstellungen von Arbeitsteppichen der verschiedenen Grade. Nicht zuletzt basiert die Analyse auf zusammengetragenem Bildmaterial, d.h. Darstellungen von Logenarbeiten, Logenrequisiten, Tempeln etc.

 

 

Anmerkungen

1   V gl. Joachim Fiebach: Theatralitätsstudien unter kulturhistorisch-komparatistischen Aspekten, in: Spektakel der Moderne, hrsg. von Joachim Fiebach und W. Mühl-Benninghaus, Berlin 1996, S. 9.

2   V gl. Helmar Schramm: Das offene Buch der Alchemie und die stumme Sprache des Theaters, in: Wahrnehmung und Geschichte, hrsg. von Bernhard J. Dotzler u. E. Müller, Berlin 1995, S. II!.

3   Zu den verschiedenen Ausprägungen der Freimaurerei siehe: Christian K.F. W. von Nettelbladt: Geschichte freimaurerischer Systeme in England, Frankreich und Deutschland, Reprint der Ausgabe Berlin 1897, Wiesbaden 1972. Der direkte Vergleich divergierender Systeme ist nicht das Ziel dieser Arbeit. Nur gelegentlich und wenn relevant, beziehe ich mich auf Differenzen und Gemeinsamkeiten mit anderen Systemen und Lehrarten. Die GLLvD ist eine reguläre, d.h. von der englischen Großloge anerkannte, christliche Loge. Sie beinhaltet neben den drei symbolischen Graden der Johannismaurerei ein zweiteiliges erweiterndes Erkenntnisstufensystem und stellt nach der humanitären Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer (AFAM) die zweitgrößte freimaurerische Vereinigung Deutschlands dar. Die Mitgliederzahlen der GLLvD bewegen sich seit Jahren konstant zwischen 3400 und 3500 und schwanken nur geringfügig.

Theodor Sand <Theo.Sand@t-online.de>. 21 .1.2000. „Re: Angaben zur MitgliederzahL“ Persönliche E-Mail (27.1.2000).

4   V gl. Ralf Liedtke: Die Hermetik. Traditionelle Philosophie der Differenz, Paderborn, München, Wien, Zürich 1996, S. 107.

5   Definition des Habitus nach Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt am Main 1987, S. 101.

6   V gl. die Definition des Begriffs ‚Primärquelle‘ im Zusammenhang mit dieser Arbeit im Exkurs zur ‚Geschlossenheit und Offenheit‘ unter 2.2.

1. Herausarbeitung einiger Spezifika der Freimaurerei

1.1 Zum Begriff der ‚Cultural Performance‘

Das Konzept der ‚Cultural Performance‘ wurde durch den amerikanischen Stadtanthropologen Milton Singer in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt und später von der Theaterwissenschaft zur Beschreibung herausgehobener performativer Ereignisse des gesellschaftlichen Lebens übernommen.

Auf der Suche nach kleinsten operablen Einheiten (,units of observation‘), aus deren Kombination und Vernetzung Singer beabsichtigte, größere kulturelle Komplexe zu erklären, prägte er für Feldstudien in Indien den Begriff der ‚Cultural Performance‘. Er bemüht sich um einen Maßstab, anhand dessen er Bedeutung und Veränderung einer Performance in Relation zu den selbstdefinierten kulturellen Traditionen und Identitäten interpretieren kann, welche über die Cultural Performance zwischen Akteuren und Zuschauern verhandelt werden.7 Er folgt damit der phänomenologischen Unterteilung ethnologischer Betrachtungen in mikroskopische und makroskopische Einheiten seines anthropologischen Mentors Robert Redfield und dessen Absicht, Kulturen über die Analyse dörflicher Gemeinschaften, ‚von unten‘, d.h. im alltäglichen zwischenmenschlichen Zusammenleben, zu beobachten.

Als soziale Funktionen symbolischer Aktionen und Cultural Performances bestimmt Singer die Einteilung, stellvertretende Ritualisierung und Reinterpretation essentieller Grund- und Lehrsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch ‚cultural specialists‘ wie Sänger, Geschichtenerzähler, Prediger und andere Performer, die als Transmitter kultureller Traditionen und,Kulturpolitiker‘ fungieren.

Unter Cultural Performances fällt nach Singer daher ein breit gefächertes Spektrum kultureller Aktivitäten – neben Schauspielen, Konzerten und Vorträgen auch Gebetsformen, rituelle Lesungen und Rezitationen, Riten, Zeremonien, Festivals und deren Mischformen.

The performances became for me the elementary constituents of the culture and the ultimate units of observation. Each one had a definitely limited time span, or at least a beginning and an end, an organized program of activity, a set of performers, an audience, and a place and occasion of performance.8

Singer definiert als Merkmale einer Cultural Performance: Jede Performance habe eine begrenzte zeitliche Erstreckung, ein spezifisches Arrangement, eine bestimmte Anzahl von Performern, eine Zuschauerschaft, einen definierten Ort sowie einen spezifischen Anlaß. Zudem betont Singer die Bedeutung der Untersuchung verschiedener kultureller Medien, d.h. der Art und Weise mit der Themen und Werte kommuniziert werden. Den Ausdruck,Medium‘ verwendet er dabei nicht als informationstechnologischen Begriff, sondern als Beschreibung der verschiedenen Ausdrucksformen von ‚cultural specialists‘, wie beispielsweise der Erzählung oder des Tanzes. Als ein zentrales ordnendes Muster kultureller Tradition nennt Singer das Übergangsritual, welches die sukzessiven Etappen des individuellen Lebenslaufes markiert und zelebriert. Er verweist damit auf die Prozessualität verschiedenartiger kultureller Handlungen.

Als Konstituentien für eine Cultural Performance lassen sich in Anlehnung an Milton Singer formulieren:

•   ein spezifischer Schauplatz als räumliche Organisationsform, der institutioneilen Charakter haben kann,

•   eine Actor-Spectator-Beziehung als Situationsrahmen, innerhalb dem die,cultural specialists‘ agieren,

•   ‚cultural media‘ als Kommunikationsmodi einer demonstrativen Handlung,

•   ein fester zeitlicher Rahmen und eine organisierte Struktur des Ablaufs.

Mit dem Ablaufschema von Cultural Performances, zu welchem Singer keine näheren Ausführungen macht, hat sich der Ethnologe Victor Turmer dezidiert auseinandergesetzt und das Konzept des,social dramas‘ entwickelt. Er hebt die Strukturiertheit performativer sozialer Prozesse hervor, welche einerseits den Charakter herausgehobener öffentlicher Ereignisse, andererseits den »einfachen‘ Charakter signifikanten gestischen und szenischen Verhaltens in der alltäglichen sozialen Wechselwirkung haben können, mit welcher Lebensformen und Verhaltensstile generiert und regeneriert werden.

Sein Konzept des sozialen Dramas beschreibt ein Grundmodell der Ablaufstruktur von Cultural Performances, welches er nach Feldforschungen bei den Ndembu in Sambia zwischen 1950 und 1954 entwickelt und in seinem 1957 erschienenen Buch ‚Schism and Continuity in an African Society‘ erstmalig vorstellt. Er erklärt in seinem Vorwort:

Through the social drama one may sometimes look beneath the surface of social regularities into the hidden contradictions and conflicts in the social system. The kinds of redressive mechanism deployed to handle conflict, the pattern of factional struggle, and the source of initiative to end crisis, which are all clearly manifest in the social drama, provide valuable clues to the character of the social system ... (when) based on numerical analysis of village census data and the critical examination of genealogies.9

Wie der Titel ‚Schism and Continuity‘ – auf deutsch ‚Spaltung und Kontinuität‘ – bereits impliziert, geht es um die Prozessualität und Ablaufspannung des Aufbrechens sozialer Konflikte (social eruptions of conflict) und deren Bewältigungsschemata.

Er gliedert den Ablauf der sozialen Konfliktbewältigung in eine 4-Phasenstruktur:

1.  der Bruch (breach) regulärer normengeleiteter sozialer Beziehungen durch eine symbolische Überschreitung (transgression) von Bräuchen oder gesetzlichen Handlungsanweisungen,

2.  die Krise (crisis) relevanter sozialer Beziehungen welchen die konfliktführenden Parteien angehören und Exposition eines Wandels innerhalb der sozialen Basisstruktur, der den Charakter eines liminalen oder Schwellenzustandes hat,

3.  die Suche nach Konfliktlösung (redressive action) in den Bahnen persönlicher Beratung, institutionalisierter ritueller oder rechtlicher Prozeduren und

4.  eine Reintegration oder Anerkennung des Bruchs als Resultat der Auseinandersetzung (re-integration or recognition of schism).

Diese strukturelle Einteilung impliziert nicht, daß alle Formen der Cultural Performance die gleiche Ablaufstruktur haben. Die verschiedenartigen Cultural Performances lassen sich vielmehr zu den einzelnen Phasen des sozialen Dramas in Beziehung setzen.10 Turner bringt die Beziehungen zwischen Cultural Performances und dem sozialen Drama auf die folgende Formel:

Social dramas may draw their rhetoric from cultural performances; cultural performances may draw on social dramas for their plots and problems. Genres of cultural performance are not simple mirrors but magical mirrors of social reality: they exaggerate, invert, re-form, magnify, minimize, discolor, re-color, even deliberately falsify chronicled events.11

Ausagierte und somit beobachtbare soziale Strukturen (social structure in action), die unter Aufrechterhaltung bestimmter Gruppenabsprachen sowie grundlegender Qualitäten des Umgangs (Affinitäten) ablaufen, werden durch ihre Externalisierung zum Reflektionspotential der Gemeinschaft und somit für die Gruppe verhandelbar.

Beide hier beschriebenen Konzepte, die von Milton Singer entwickelte Einheit der Cultural Performance sowie Victor Turners strukturelle Einteilung des sozialen Dramas sollen der Beschäftigung mit dem freimaurerischen Ritual als methodische Grundlage dienen.

Neben dem sozialen Drama hat sich Turner eingehend mit Übergangsriten beschäftigt und das Phänomen der Liminalität – des Übergangszustandes – über das Konfliktmuster des sozialen Dramas hinaus verallgemeinert. Dieses Konzept wird zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich mich mit dem Verhältnis von Verwandlung und Körperdarstellung im Ritual zur Erhebung in den Meistergrad beschäftige, relevant.

1.1.1 Das Verhältnis von performativer Eigenrealität und gesellschaftlicher,Realität‘

Die Konstitution der Freimaurer-Bruderschaft als mystischer Geheimbund mit einem rituellen Arbeitssystem ist vor dem historischen und gesellschaftlichen Hintergrund des 18. Jahrhunderts zu betrachten. Die Eigenart der historischen Umstände äußert sich in der Ausbildung spezifisch freimaurerischer Praktiken und damit unausweichlich verbundener Paradoxien, von denen ich später einige ansprechen werde.

Nach Georg Simmel ist die Freimaurerbruderschaft ein Symptom eines ‚allgemeinen Schemas kultureller Differenzierung‘: dem Prozeß der Publizität von Staatsangelegenheiten einerseits und dem der Sekretisierung von Privatangelegenheiten andererseits.12 Die Geheimhaltung dieser im 18. Jahrhundert zahlreich entstehenden Gesellschaften und Clubs verweist auf die Schutzbedürftigkeit neuer Lebensinhalte unter dem Widerstand bestehender Gewalten.13 Die Vergesellschaftung stellt ein Gegengewicht zu der isolierenden und individualisierenden Wirkung des Geheimnisses sowie einen Schutz dieses Geheimnisses dar. Daraus ergibt sich – als eine der zahlreichen Paradoxien der Gemeinschaft – der scheinbare Widerspruch eines gleichzeitigen „Individualisierungs- und Sozialisierungsbedürfnisses“.14

Die Aufnahme von Nichtfachmännern, das Aufkommen der Naturwissenschaft, das geistige Umfeld der Aufklärung und der Mystizismus (als Reaktion auf den aufklärerischen Generalanspruch) beeinflussen die Genese der spekulativen Maurerei, die den Beginn eines spezifischen symbolisierenden Umgangs mit der Steinmetztradition markiert. Die unteren Grade des freimaurerischen Erkenntnissystems dienen den Freimaurermeistern zur Vorbereitung für eine Arbeit am Reißbrett, auf dem sie als ‚kreative Akteure skizzieren, was sie für geeignetere und interessantere Lebensentwürfe halten‘.15 Im Zentrum steht die Verhaltensregulation und die Ausbildung eines spezifisch freimaurerischen Habitus‘ an sich selbst.

Die Renaissance der performativ orientierten, antiken Habitus-Ethik wird bereits bei Thomas Hobbes (1588- 1679) zum Programm. Unter dem Eindruck des englischen Bürgerkrieges ist eine ‚reformation of manners‘ – eine Reformation des Verhaltens und der Umgangsformen – in der Absage an den gesellschaftlichen Naturzustand als eines Kampfes aller gegen alle begründet, dem nur durch eine wechselseitige Disziplinierung und Kontrolle des Verhaltens zu begegnen ist.16 Er kritisiert hinsichtlich der Glaubenskämpfe Englands die Berufung auf das religiöse Gewissen ohne staatsrechtliche Kodifikation als eine ideologische Größe und räumt der Privatperson in Gewissensfragen allenfalls einen ‚geheimen Gesinnungsraum‘17 innerhalb des als wechselseitig verpflichtenden Vertragsverhältnis verfaßten Staates ein.18 Unabdingbare Bestandteile dieses moralischen Gesinnungsraumes in der selbstgesetzten staatlichen Zwangsordnung stellen die Mystifikation und die Geheimhaltung dar, um der Gefahr des ‚Belangt- Werdens‘ bei Eindringen in staatliche Zuständigkeiten vorzubeugen.19 Als ‚legale‘ Freiräume innerhalb des Staatsvertrages weist Hobbes jene auf, in welchen private, auf individueller Vernunft basierende Entscheidungen durch den Bürger zu treffen sind.20 Neben kommerziellen Freiheiten sind dies auch lebenspraktische, das Familienleben betreffende Entscheidungen.

John Locke (1632- 1704), der durch seine Forderung nach freier Verfügung über privates Eigentum die Privatssphäre überhaupt erst ökonomisch-juridisch begründet und absichert, erklärt private Gesellschaften und Clubs mit ihren Normen und Regeln zum Boden spezifischer Moralgesetze, die neben das göttliche Gesetz und die staatliche Rechtsordnung treten.21 Als ein solcher Verein will auch die Freimaurerei Orientierungsvorgaben für ethisch geregeltes Verhalten bieten und wählt den rituellen Ansatz für die Einübung von Sittlichkeit.

Die Freimaurerei schuf durch ihr Logengeheimnis einen sozial exklusiven, zwischen öffentlicher und privater Sphäre angesiedelten Freiraum, in dem egalitär, handlungsentlastet und unter Einbeziehung vorhandener Geselligkeitsbedürfnisse neue bürgerliche Tugend- und Verhaltensmuster sukzessive eingeübt und stabilisiert werden konnten.22

Die Freimaurer bemühen sich als ‚cultural specialists‘ um die vorerst gruppeninterne Verwirklichung einer neuen Ethik jenseits des Ancien Regime. Die Bruderschaft ist eine undogmatische Vereinigung von Individualisten, die sich im Zusammenschluß zu einer ‚Geheimgesellschaft‘ als aktive Agentur des persönlichen und gesellschaftlichen Wandels versteht.

1.2 Der symbolische Tempelbau

1.2.1 Die Idee

Die Freimaurerei beansprucht für mich, einen symbolischen Tempelbau an der Menschheit in die Wege zu leiten. Die eine Hierarchie von Erkenntnisstufen in sich fassende Lehre ist auf die geistige Vervollkommnung und moralische Veredelung des Menschen gerichtet. Die schöpferische Arbeit an einem idealen Menschentum wird von Toleranz-, Humanitäts- und Brüderlichkeitsgedanken geleitet und soll durch eigenes ethisches Verhalten auf das persönliche Umfeld und die Gesellschaft übertragen werden.

Die individuelle Aneignung der freimaurerischen ‚Lehre‘ vollzieht sich über ein System orientierender Zeichen, d.h. über Symbole und symbolische Handlungen im Rahmen eines Rituals, welches als ein modellhafter ‚Bauplan des Lebens‘23 fungiert. Im Zentrum der rituellen Arbeit steht die performative Interpretation der Lehrinhalte über Mythen des Weltenbaus unter der Obhut eines supranatürlichen, göttlichen Baumeisters24 sowie der symbolische Vollzug des philosophischen Initiationstodes, der eine Erneuerung des Menschen ermöglichen soll. Neben Einflüssen aus der Alchemie und hermetischen Philosophie bildet in den unteren drei Graden das Brauchtum der alten Steinmetzbruderschaften als allumfassende Metapher den Rahmen der rituellen Handlung.

1.2.2 Die rituelle Praxis

1.2.2.1 Erläuterung des Erkenntnisstufen-Systems der freimaurerischen,Lehre‘

Den ursprünglichsten Ritualkomplex der Freimaurerei stellen die Johannisgrade dar. Diese unteren drei Grade der symbolischen Maurerei (Lehrling, Geselle und Meister) enthalten bereits die gesamte freimaurerische ‚Lehre‘. Sie sind das grundsätzliche Fundament und beinhalten schon das Ziel der ‚Bauarbeit‘. Sie ähneln sich in allen freimaurerischen Lehrsystemen. Verschiedene Hochgradsysteme bemühen sich um deren Vertiefung und Weiterführung. Generell gibt es durch frühe entwicklungsgeschichtliche Divergenzen25 in der Freimaurerei kein ‚Einheitsritual‘, genauso wie es generell keine einheitliche Erscheinung der Freimaurerei gibt. Obwohl die reguläre Freimaurerei noch heute dem englischen Aufsichtsrecht unterliegt, zeigt sie sich in einer großen Erscheinungsvielfalt. So sind auch nicht alle Lehrsysteme mit Hochgradsystemen ausgestattet, wie z.B. die humanitäre Freimaurerei. Der Versuch einer elaborierten transzendenten Arbeit, wie wir sie beispielsweise in den Hochgraden der christlichen GLLvD finden, wird hier ausgespart.