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Nr. 7

 

MERLINS Todesspiel

 

Mondra Diamond denkt um ihr Leben – der Widerstand greift an

 

Christian Montillon / Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Vor dem Spiel

Der werfe den ersten Stein

Runde 1: Der geschlossene Raum

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Ein leichtes Kräuseln des Bildes

Runde 2.1: Der Pilzwald

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Wer kämpft für das Licht?

Runde 2.2: Noch immer im Pilzwald

Aus Oread Quantrills Schriften, nie veröffentlicht:

Vergib mir jeden Zweifel

Runde 3: In den Tiefen des Jupiteranischen Ozeans

Absolution

Halbzeit

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Seit 3000 Jahren reisen die Menschen zu den Sternen. In dieser Zeit haben sich die Erde und die zahlreichen Welten der Liga Freier Terraner zu einer blühenden Gemeinschaft entwickelt. Die Menschen leben weitgehend im Einklang mit den anderen Völkern der Milchstraße; die letzte kosmische Krise liegt lange zurück.

Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass eine neue Gefahr für die Menschheit heraufzieht. Sie kommt diesmal nicht aus den Tiefen des Universums, sondern aus dem Herzen der menschlichen Zivilisation. Eine mysteriöse Droge vom Riesenplaneten Jupiter wirft dunkle Schatten über Terra.

Auf der Suche nach den Hintermännern reist Perry Rhodan mit Mondra Diamond zur Jupiter-Atmosphärenstation MERLIN. Die dortigen Machthaber wollen verhindern, dass er ihre Pläne vereitelt – sie inhaftieren ihn. Auch Mondra Diamond und ihre TLD-Begleiter geraten in Bedrängnis.

Da machen die Gegner ihr ein Angebot – Mondras Team soll um ihre Freiheit kämpfen, in MERLINS TODESSPIEL ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Mondra Diamond – Rhodans Lebensgefährtin lässt sich auf einen Teufelspakt ein.

Porcius Amurri – Der TLD-Agent erweist sich als Echtzeitholo-Jumper.

Chayton Rhodan – Perry Rhodans Verwandter sucht Verbündete im Kampf gegen die Drogenbarone.

Gabriel Udon – Der Anführer des Widerstands entpuppt sich als Fanatiker.

Vor dem Spiel

 

Das perfekte Mädchengesicht lächelte, und es sah hinreißend schön aus.

DANAES sichtbare Verkörperung schwebte mehrere Meter groß von einem großen Bronzebogen wie schwerelos eingerahmt im Zentrum des Casinos. Die Augen strahlten heller als das übrige Gesicht, was dem riesigen Hologramm den Anschein von Unwirklichkeit verlieh.

Doch ihrer Umgebung gönnte Mondra Diamond kaum einen Blick. Sie sah nur die Gestalt, die sich neben Anatolie von Pranck mit kleinen, unsicher wirkenden Schritten näherte. Rundum verblasste alles und verlor jegliche Bedeutung: das Casino, MERLIN, der Jupiter, das Solsystem, das gesamte Universum.

Der Junge neben der Chefwissenschaftlerin des Syndikats der Kristallfischer war etwa zwölf Jahre alt. Dies entsprach keinesfalls seinem realen, biologischen Alter, wie immer man das auch berechnen sollte.

Aber das war nicht von Belang, denn genau so stellte sich Diamond das Kind vor, wenn sie an es dachte. Ihre Hände zitterten. Sie hatte den Jungen nie gesehen, nicht mehr, seit er ein Baby gewesen und ihr durch das Spiel der Höheren Mächte entrissen worden war. Nicht mehr, seit aus ihrem Sohn der Chronist der Superintelligenz ES geworden war.

»Delorian«, flüsterte sie, so leise, dass niemand es hören konnte. Mit dem Namen schien jegliche Kraft aus ihrem Körper zu weichen. Ihre Lippen waren kalt.

Gemeinsam mit Anatolie von Pranck blieb Delorian Rhodan stehen, ihr Sohn, geboren während der Thoregon-Krise im PULS der Galaxis DaGlausch. Ihr Kind, das sie mehr vermisste als alles andere.

Delorian lächelte. Die beiden oberen Schneidezähne standen leicht schief, genau wie bei ihr, als sie noch ein Kind gewesen war. Den Haaransatz hatte er zweifellos von seinem Vater, ebenso die Form der Nase.

Eine Träne sammelte sich in ihrem Augenwinkel. Mondra Diamond fühlte sich unendlich müde. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wie hatte sich ihr Leben, ihr privates Leben, so weit in kosmische Entwicklungen verstrickt, dass ihr sogar das Baby geraubt worden war? Mit der schalen Begründung, dass es einer höheren Bestimmung zu folgen hätte? Trug sie selbst die Schuld daran? Und wenn ja, lag es daran, dass sie an Perry Rhodans Seite stand und das Kind von ihm empfangen hatte?

Oder ging es bei alldem um sie selbst, weil sie aus irgendeinem Grund auserwählt worden war? Auserwählt, um zu leiden. Dieser Gedanke setzte sich in ihr fest, doch als sie wieder auf Delorian schaute, schmolz jede Vorstellung von Leid hinweg.

Sie rannte impulsiv los, um ihren Sohn zu umarmen.

Der jedoch streckte abwehrend die Arme aus. »Warte einen Augenblick!«

Die Stimme zerbrach die Illusion, und Mondra Diamond konnte plötzlich wieder klar denken. Sie schalt sich selbst eine Närrin. Wie hatte sie bloß jegliche Kontrolle über sich verlieren können? Sie war blind ihren Gefühlen gefolgt, hatte sich zu einer unbedarften Handlung hinreißen lassen.

Denn wieso sollte Delorian ausgerechnet in diesem Augenblick im Casino der Faktorei MERLIN auftauchen, anstelle des mysteriösen Oread Quantrill, den sie eigentlich erwartete? Es war doch offensichtlich, dass es sich um eine Täuschung handelte. Und trotzdem ... dieses Gesicht ... die Augen ... die Liebe, die ihren Verstand geradezu hinweggespült hatte ...

Es kostete die ehemalige Agentin des Terranischen Liga-Dienstes Mühe, am Rand jenes abgezirkelten Bereichs im Casino stehen zu bleiben, den energetische Zäune vom Rest der Halle abtrennten. Die Arena stand zudem auf einem Podest und thronte etwa zwei Meter über allem anderen Betrieb. Die Zäune dienten zugleich als optische Barriere, sodass die normalen Casinobesucher den Bereich nicht einsehen konnten; wer drinnen stand, konnte allerdings hinausblicken.

DANAES Casino war bis auf den letzten Platz gefüllt, an einigen Spieltischen standen lange Warteschlangen. Alles ringsum spielte sich gespenstisch lautlos ab; die Arena war perfekt schallisoliert.

Die beiden Neuankömmlinge waren vor wenigen Augenblicken aus einem kleinen Transmitter getreten, nachdem Onezime Breaux Mondra Diamond und ihre Begleiterin Gili Saradon an diesen Ort geführt hatte.

Delorian?

Seine Gestalt verschwamm mit einem Mal, zerfaserte an den Rändern. Der Kopf schob sich in die Höhe, die ganze Erscheinung wuchs. Die Augen dehnten sich, schlossen sich einmal, und als sie wieder offen standen, hatten die Iriden eine andere Farbe. Nur das Lächeln blieb wie festgewachsen in all der wimmelnden und wuchernden Veränderung.

Ein elegant gekleideter, eher kleiner Mann stand nun vor Mondra Diamond. Sein Blick drückte Selbstbewusstsein und Überlegenheit aus.

»Die Wirkung vergeht sehr rasch«, sagte er gelassen. »Jedem, der mich trifft, ergeht es zunächst wie dir. Die Folgen sind leider manchmal ... tiefgreifend.« Er breitete leicht die Arme aus, hob sie kaum merklich an, als wolle er seine eigene Genialität anbeten. »Mnemodeceptorei. Ich steuere es nicht bewusst. Mach mir also bitte keine Vorwürfe.«

»Was soll das bedeuten?«

»Beim ersten Anblick sieht jeder einen lange Verlorenen in mir. Eine alte Liebe ... etwas in der Richtung. Vor Kurzem stand ich Perry Rhodan gegenüber. Stell dir vor, er sah seinen ersten Sohn.« Quantrill kam einen Schritt näher. »Was glaubtest du, wer ich bin?«

»Das tut nichts zur Sache«, erwiderte Mondra kühl. »Dein Sicherheitschef Onezime Breaux hat mich hierhergeschleppt, weil er behauptet, du hättest einen interessanten Vorschlag für mich. Leider bleiben von der Frist, die ich meinen Begleitern gesetzt habe, nur noch knapp zehn Minuten. Danach werden sie MERLIN sabotieren, mit aller zu Gebote stehenden Radikalität. Also sollten wir keine Zeit verschwenden mit irgendwelchen Psi-Tricks oder sonstigen Gaukeleien.«

Dass die Leere in ihr trotzdem schmerzhafter war als seit Jahren, verschwieg sie. Delorians Verlust wühlte so stark in ihr wie lange nicht mehr. Kein Wunder, war sie ihm eben doch völlig unverhofft scheinbar zum Greifen nahe gewesen.

Oread Quantrill lächelte noch immer, charmant und adrett, als sei diese Gestik auf seinen Lippen eingefroren. »Ich bezweifle zwar, dass die beiden TLD-Agenten – wie heißen sie noch? –, dass sie die Faktorei derart wirkungsvoll sabotieren könnten, wie du es vollmundig ankündigst. Aber mir wäre ein gemäßigter Ablauf der Dinge lieber.«

»Porcius Amurri und Dion Matthau«, sagte sie.

»Bitte?«

»Das sind ihre Namen.« Wie du genau weißt, du Heuchler.

»Gib ihnen Entwarnung, löse den Countdown auf und bitte sie, hierherzukommen. Sie können dich und deine Begleiterin unterstützen.« Er wies linkisch auf Gili Saradon, der er zuvor keinen Blick gegönnt hatte, als sei sie nur ein zwar notwendiges, aber unerwünschtes Anhängsel – ein Insekt, das seine Wege kreuzte und zertreten werden musste.

»Da musst du erst ein sehr überzeugendes Angebot vorlegen«, entgegnete Diamond spöttisch. Seine Selbstsicherheit ging auch an ihr nicht spurlos vorüber, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Welche Teufelei hat er vor?

»Wir begehen das Spiel aller Spiele. Den Parcours. Genauer gesagt, werdet ihr den Parcours durchlaufen. Gelingt es euch, gebe ich euch eine Space-Jet, besser als der Schrotthaufen, mit dem ihr in meiner Faktorei gelandet seid. Ihr könnt gehen und tun und lassen, was immer ihr wollt; das gilt natürlich ebenso für euren Freund Perry Rhodan. Versagt ihr jedoch ... Nun, sagen wir es so: Ihr werdet mir dann nicht mehr im Weg stehen. Ich setze euch alle gefangen, bis es vorüber ist.«

»Bis was vorüber ist?«, hakte sie nach.

Quantrill lächelte nur. »Keine Angst, es wird nicht mehr lange dauern. Dein Countdown ist nicht der einzige. Also, was sagst du? Ein Spiel um alles oder nichts. Ist das nicht eine reizvolle Vorstellung?«

Nicht so reizvoll, dachte sie, wie mich auf der Stelle auf dich zu stürzen und dir das Lächeln aus dem Gesicht zu schlagen. Sie beherrschte sich mit Mühe. »Wer beweist mir, dass du dein Wort hältst, wenn wir gewinnen? Woran ich keinen Zweifel habe, es sei denn, dieser Parcours, von dem du sprichst, ist so programmiert, dass es keine Chancen gibt.«

»Es gibt die Chance, zu gewinnen. DANAE überwacht alles. Ich gebe dir außerdem eine neutrale Kamera mit auf den Weg, die alles aufzeichnen und live ins Casino übertragen wird. Es wird also eine Unzahl von Zeugen geben. Ist das Absicherung genug?« Er schnippte sich ein imaginäres Stäubchen vom Ärmel seines mattschwarzen Anzugs. »Außerdem hast du mein Wort. Das sollte genügen.«

»Erzähl mir mehr über den Parcours!«

Quantrill faltete die Hände, streckte dann die beiden zusammengelegten Zeigefinger aus und deutete so auf Diamonds Armbandfunkgerät. »Deine Freunde.«

»Es bleiben noch sieben Minuten. Also erzähl mir mehr über den Parcours.«

»Nenn die Grundidee eine klassische Odyssee. Du und deine Begleiter, ihr werdet sechs Stationen durchlaufen. Jede schwieriger als die vorherige. Jede gefährlicher. Jede Station gilt es zu bewältigen, meist mit Logik, hin und wieder auch mit ... Nun, nennen wir es Körpereinsatz.«

»Kämpfe?«

»Hervorragend. Ich sehe, du hast verstanden. Habe ich mich also doch nicht in dir getäuscht. Es ist ein Spiel, nicht mehr. Angesichts der Brisanz der Lage schlage ich jedoch vor, dass wir eine Anpassung vornehmen. Sterbt ihr im Spiel, sterbt ihr auch im realen Leben. Sprich – ich werde die Sicherheitsvorkehrungen ausschalten, die dergleichen sonst verhindern.«

»Klingt nicht gerade vertrauenerweckend«, warf Gili Saradon ein.

»Der Gewinn ist maximal«, entgegnete Quantrill jovial. »Sollte es da nicht auch das Risiko sein?«

Mondra Diamond hob die Hände, um jede Diskussion zu unterbinden. »Sonst noch irgendwelche Haken?«

»Es gibt eine Gruppe von Gegenspielern, die euch allerdings nur selten begegnen werden. Wir wollen ja fair bleiben, nicht wahr? Wenn sie zuerst den Parcours durchlaufen haben, gewinnen sie.«

»Ich gehe davon aus, dass sie ebenso wenig über die Spielrunden und ihre Rätsel wissen wie wir?«

Quantrill sah an ihr vorbei ins Leere. »Selbstverständlich.«

Nach einem kurzen Durchatmen nickte sie. »Ich akzeptiere.«

»Dann ruf deine Begleiter!«

Es kostete sie einige Überwindung, das dazu nötige kurze Funkgespräch zu führen. Mondra fragte sich, ob sie nicht einen großen Fehler beging. Aber Quantrill hatte leider recht: Es war sehr fraglich, ob Amurri und Matthau MERLIN ausreichend sabotieren konnten, dass die Führung der Faktorei mit ihnen verhandeln musste. Das Angebot von MERLINS Chef bot ihr einen unverhofften Ausweg, und diese Chance musste sie ergreifen.

Sie konnte nur hoffen, dass Quantrill tatsächlich fair blieb; ganz im Gegensatz zu seiner Behauptung war sie davon keinesfalls überzeugt. Lediglich die öffentliche Übertragung des Spiels gab ihr ein wenig Sicherheit: Das Casino war das Herzstück von MERLINS Gesellschaft. Wenn die Stationsleitung offensichtlich falschspielte, hätten Quantrill und seine Kumpane auf einmal nicht nur eine Handvoll Gegner, sondern einige Hundert oder sogar Tausend.

Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als ein gewisses Maß an Vertrauen in die Waagschale zu werfen.

Es dauerte weniger als zwanzig Minuten, bis Porcius Amurri und Dion Matthau eintrafen. Inzwischen hatte sich eine große Menge im Casino versammelt, die begeistert den Beginn des Parcours erwartete. Ein kleiner Mann in einem bunten Anzug und mit auffallend großen Ohren nahm Wetten über den Ausgang entgegen.

Oread Quantrill, Anatolie von Pranck und Onezime Breaux standen schließlich Mondra Diamond und ihren drei Begleitern gegenüber, noch immer in der abgetrennten Arena.

»Ehe wir beginnen«, rief Quantrill der Menge entgegen, »werden wir für Chancengleichheit sorgen. Also ...« Er drehte sich zu Mondra Diamond um. »Legt bitte die SERUNS ab. Wenn ihr zurückkehrt ... falls ihr zurückkehrt, werde ich sie euch wieder aushändigen.«

Für einen Augenblick zögerte sie, kam aber dann der Aufforderung nach und gab ihren Begleitern einen Wink, es ihr gleichzutun. Alle trugen nun lediglich noch einfache Uniformkombinationen; Gili behielt wie selbstverständlich ihr Handtäschchen bei sich, als handele es sich um ein einfaches Accessoire.

»Wann geht es los?«, fragte Mondra Diamond.

Oread Quantrill schnippte mit den Fingern. »Jetzt!«

Der werfe den ersten Stein

 

Chayton Rhodan saß in seinem Versteck, verborgen in einem vergessenen Lagerraum einer kaum genutzten Sektion von MERLIN. Er hielt die Augen fest geschlossen und atmete ruhig. Vor seinem geistigen Auge ließ er Schreckensbilder vorbeiziehen, Erinnerungen und Phantasien. Den Augenblick, da er vom Tod seiner Frau erfahren hatte. Seine Kinder, Opfer eines schrecklichen Unfalls.

Sein Pulsschlag veränderte sich nicht im Mindesten.

Sein eigener Körper, sterbend, zerstört durch eine Überdosis Tau-acht, in den brennenden Fluren von MERLIN.

Sein Herz begann wild zu pochen.

Verärgert brach Chayton das Experiment ab. Seine Empathiefähigkeit, sein Interesse für andere Menschen, lag immer noch bei null. Die Droge hatte ihm sein Einfühlungsvermögen vollständig geraubt. Er wusste, dass ihm etwas fehlte, und er wollte es zurück. Nur deshalb ärgerte er sich. Sogar sein Wunsch, etwas für andere zu empfinden, entsprang reinem Eigennutz.

Pao Ghyss trug die Schuld an seinem Zustand. Sie hatte ihn von der Droge abhängig gemacht. Eigentlich hatte er sie dafür töten wollen.

Doch der Mann vom Terranischen Liga-Dienst hatte ihm abgeraten. Es ist nie eine gute Sache, jemanden umzubringen, hatte Porcius Amurri gesagt.

Chayton zweifelte daran – ihm fielen genug Fälle ein, in denen es im Interesse der Allgemeinheit eigentlich richtig sein musste, einen Verbrecher nachhaltig zu beseitigen. Doch wo die Grenze ziehen? Gesetze waren oft uneindeutig, und sie wurden von Herrschenden gemacht, die selbst nicht unbedingt gut sein mussten. Überhaupt: Was, wenn die Geschädigten oder die Verfolger des Verbrechens selbst Böses taten?

Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Er hatte keine Ahnung, wo er dieses Zitat aufgeschnappt hatte und woher es stammte, aber es beschrieb sein Dilemma ziemlich gut. Gab es nicht größere Sünder als Pao Ghyss? Und wer war er, ein blutiges Strafgericht über sie zu bringen? War er ohne Sünde?

Er wusste es nicht. Seit Tau-acht konnte er diese Fragen nicht mehr beantworten.

Seufzend erhob er sich. Die Aufgabe war zu schwierig für ihn. Er brauchte Hilfe, Anleitung, bis er irgendwann selbst wieder in der Lage war, Antworten zu finden.

Der TLD-Agent Amurri hatte ihn eingeladen, gemeinsam gegen Oread Quantrill vorzugehen, den starken Mann von MERLIN. Quantrill war in das Tau-acht-Geschäft verwickelt. Der Terranische Liga-Dienst, der den Stationsleiter anscheinend stoppen wollte, vertrat im Großen und Ganzen die Sache des Guten. Dessen war Chayton sich bewusst. Wenn er überhaupt jemanden für die Ungerechtigkeit bezahlen lassen wollte, die ihm widerfahren war, sollte er sich wohl mit dem TLD-Mann und dessen Partner zusammentun.

Er setzte sich an seine Positronik. Er kannte die Namen, Porcius Amurri und Buster Matthau, und er konnte sie beschreiben. Mit gut geübter Routine hackte er sich in MERLINS Überwachungssystem und ließ einen Suchalgorithmus über die Bildaufzeichnungen der zurückliegenden Stunde laufen.

Es dauerte nur Sekundenbruchteile. Amurri und Matthau versteckten sich nicht – ganz im Gegenteil, sie waren auf fast jedem öffentlichen Bildschirm der Atmosphärenstation MERLIN zu sehen. Aus welchem Grund auch immer: Sie waren gerade in den Parcours des Casinos transmittiert, begleitet von zwei Frauen, denen Chayton bislang noch nicht begegnet war.

Er traute seinen Augen nicht, als er eine der beiden erkannte: Mondra Diamond, die Partnerin von Perry Rhodan – dem Perry Rhodan, seinem Ur-hoch-x-Großcousin. Damit verschwanden Chaytons letzte Zweifel, auf welcher Seite er sich zu engagieren hatte.

Nur – was konnte er tun? Diamond, Amurri, Matthau und die ihm noch unbekannte Vierte im Bunde steckten im Parcours, unter direkter Beobachtung der Zentralpositronik DANAE und wahrscheinlich der halben Stationsbesatzung. Sie spielten anscheinend ein Spiel auf Leben und Tod. Die Wettsummen waren schwindelerregend.

Chayton überlegte. Sollte er Diamond und die TLD-Leute herausholen? Das war gefährlich – weil die Sicherheitsschaltungen des Spiels desaktiviert waren, mochte ein Eingriffsversuch mit der automatischen Bestrafung der Spieler enden, bis hin zur Exekution.

Bei der Aufmerksamkeit, die das Spiel genoss, war es außerdem unmöglich, die vier unauffällig herauszuholen. Man würde sie sofort wieder gefangen nehmen. Diamond und ihren Begleitern würde er mit einem solchen Versuch also nicht helfen, und ihn selbst würde man dabei gleich mit fassen und aus dem Verkehr ziehen.

Er musste etwas anderes versuchen.

Und er wusste auch schon, was. Wenn Mondra Diamond auf MERLIN war, standen die Chancen gut, dass Perry Rhodan sich ebenfalls an Bord der Faktorei aufhielt. Sein Verwandter war nicht Teil des Todesspiels – aber vielleicht versteckte er sich ja irgendwo anders? Vielleicht konnte er Hilfe brauchen?

Chayton beugte sich wieder über die Positronik.

Runde 1: Der geschlossene Raum

 

Mondra Diamond öffnete die Augen. Das rechte Lid schmerzte. Es pochte wie von tiefem Schlaf verquollen. Sie lag mit dem Rücken auf dem Boden. Kälte drang durch die Uniform. Ihre Haltung war alles andere als bequem. Sie drehte sich zur Seite, kam auf die Knie und stand auf. Gili, Porcius und Dion sah sie nebeneinander aufgereiht, alle schienen ohnmächtig zu sein. Wunden oder Verletzungen konnte Mondra jedoch nicht erkennen.

Wie waren sie an diesen Ort gekommen? Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war der Anblick von Oread Quantrill, der bestätigte, dass der Parcours jetzt