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Band 152

 

Der Feind meines Feindes

 

Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Es beginnt im Jahr 2036: Der Astronaut Perry Rhodan entdeckt auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; sie machen gewaltige Fortschritte, müssen aber immer wieder Rückschläge hinnehmen.

Seit dem Jahr 2051 durchlebt die Menschheit eine besonders schwere Zeit. Die Erde ist unbewohnbar geworden, Milliarden Menschen wurden an einen unbekannten Ort umgesiedelt.

Der Schlüssel zu den aktuellen Ereignissen scheint in der Nachbargalaxis Andromeda zu liegen. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf.

Anfang 2055 erreicht die MAGELLAN stark beschädigt Andromeda. Um an Informationen zu gelangen, benötigen die Menschen erst einmal Verbündete – und diese sollten mehr sein als nur DER FEIND MEINES FEINDES ...

1.

 

Reginald Bull betrat den Konferenzraum. Automatisch wanderte sein Blick zum Holo über dem Tisch in der Mitte des Raums. Es zeigte Andromeda, die erste fremde Galaxis, die die Menschheit mit einem selbst konstruierten Raumschiff angeflogen hatte. Ein winziger roter Punkt in den äußersten Randbezirken markierte ihren Standort. Sie sind hier.

Und hier blieben sie auch. Sie kamen weder vor noch zurück. Eine zweite dreidimensionale Ansicht zeigte den Zustand der MAGELLAN. Bull erkannte mindestens ein Dutzend Warnungen höchster Stufe, dazu ein paar weitere weniger gravierende. Ihr Schiff fiel de facto auseinander – sie konnten froh sein, dass es bisher ohne gröbere Unfälle zusammenhielt.

Perry Rhodan stand beim Konferenztisch, aufrecht und mit wachem Blick. Doch sosehr Rhodan sich bemühte, Zuversicht auszustrahlen: Bull sah seinem Freund den Frust an. Es waren die Kleinigkeiten, die Rhodans Gemütslage verrieten. Die Anspannung in seinen leicht angehobenen Schultern. Die Art, wie er die Hände hinter dem Rücken verschränkt hielt, damit er sie nicht zu Fäusten ballte. Nicht zuletzt der verkniffene Ausdruck um Mund- und Augenwinkel, als Rhodan sich vom Holo ab- und den Männern und Frauen zuwandte, die sich gemeinsam mit Bull in der FERNAO eingefunden hatten.

Rhodan nickte ihnen zu. Keine freundlichen Worte zur Begrüßung, keine Floskeln. Ein weiteres Indiz, dass die aktuelle Situation dem Protektor ebenso zu schaffen machte wie dem Rest der Besatzung. Mit einer knappen Geste deutete er an den Tisch und setzte sich dort.

Bull fühlte eine Berührung im Rücken. Autum strich im Vorbeigehen mit der Hand beruhigend über seine Uniform, ehe sie auf der anderen Seite des Konferenztischs Platz nahm. Bull lächelte still. Es waren die Kleinigkeiten.

Er selbst setzte sich rechts neben Rhodan, während sich Conrad Deringhouse, der Kommandant der MAGELLAN, zur Linken des Protektors einfand. Ihm folgte Tuire Sitareh, dessen blaue Haut verriet, dass er immer noch den Anzug der Memeter trug.

Autum Legacys Gesicht zeigte keine Regung, aber Bull wusste, was seine Frau davon hielt. Niemand hatte eine genaue Vorstellung davon, was der Anzug alles bewirken konnte – man wusste nur, dass er nicht lediglich eine Schutzvorrichtung war, sondern zugleich eine mächtige Waffe. Sitareh lief somit permanent bewaffnet an Bord herum, ein Umstand, den Legacy als Sicherheitschefin nicht gutheißen konnte. Bull selbst sah die Sache pragmatischer: Im Ernstfall war Sitareh sofort einsatzfähig, und Ernstfälle traten erwiesenermaßen immer unvorhergesehen ein.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Tim Schablonski den Stuhl neben ihm zurechtrückte. Neben dem Chefingenieur nahm Cel Rainbow Platz. Als Bull die beiden kennengelernt hatte, waren sie ein unzertrennliches und überaus effektives, wenn auch widerspenstiges Team gewesen. Inzwischen hatten sie sich die Hörner abgestoßen und Verantwortung übernommen. Rainbow war zum Kommandanten der FERNAO aufgestiegen, Rhodans persönlichem Einsatzschiff. Der Lakota beugte sich zu Legacy und wechselte ein paar geflüsterte Worte mit ihr.

Rhodan räusperte sich. »Mister Leyden, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn auch Sie sich an die vereinbarte Zeit halten könnten.«

Bull sah zum Eingang. Völlig unbeeindruckt schlenderte Eric Leyden herein, platzierte sich zwischen Sitareh und Legacy und griff nach einer Flasche Wasser.

Rhodan hatte offenbar keine Antwort erwartet, denn er ging ohne weitere Umschweife über zum Tagesanliegen. »Wie weit ist Ihr Team mit der Auswertung der Daten?«, fragte er.

Der Chefwissenschaftler blinzelte. »Na ja, wie ich bereits gestern sagte, die gesamte Sichtung wird Monate in Anspruch nehmen. Wir sind immer noch dabei, uns einen Überblick zu verschaffen und die Informationen zu sortieren, die uns die Paddler von der KA-preiswert übermittelt haben.«

Rhodan zog die Augenbrauen zusammen. »Also keine Fortschritte bisher?«

»Wie kommen Sie darauf?« Leyden lehnte sich indigniert zurück. »Selbstverständlich machen wir Fortschritte! Der grobe Überblick ist kein Problem, nur die Details ...«

»Dann erläutern Sie uns den Überblick«, unterbrach Rhodan.

Leyden schürzte die Lippen, doch ausnahmsweise widersprach er nicht. »Vorwiegend haben wir uns auf die Möglichkeiten konzentriert, Material und Ersatzteile für die Reparatur der MAGELLAN zu beschaffen. Die gute Nachricht: An beidem dürfte es in Andromeda nicht mangeln. Die schlechte ist, dass die infrage kommenden Raumhäfen im Zentrum der Galaxis liegen und damit auch im unmittelbaren Einflussbereich der Thetiser.«

Und die würden die MAGELLAN nicht mit offenen Armen empfangen, nachdem der terranische Expeditionsraumer gerade erst eine ganze Flotte thetisischer Kugelraumer vernichtet hatte. In Notwehr zwar, aber was machte das schon für einen Unterschied? Das Heimatsystem der Thetiser und deren weitere Stützpunkte waren dadurch für die Menschen so lange tabu, bis sie genauer wussten, was sie dort erwartete.

Rhodan sah die Sache offensichtlich ähnlich. »Ein Flug direkt ins Machtzentrum wäre viel zu riskant, auch wenn die Chance, eine Spur von Atlan zu finden, dort sicherlich am größten wäre. Was ist mit den äußeren Planetensystemen? Gibt es keine Raumstationen im Außenbereich von Andromeda?«

»Zweifellos gibt es die, sofern wir von statistischer Wahrscheinlichkeit ausgehen«, belehrte der Hyperphysiker. »Dieselbe legt allerdings auch nahe, dass die Besiedlungsdichte und somit die Notwendigkeit eines Raumhafens abnimmt, je weiter wir außerhalb des galaktischen Zentrums bleiben.« Er zuckte mit den Schultern und schraubte seine Wasserflasche auf. »Wie gesagt, solange wir die Daten nicht ausgewertet haben ...«

»Dann tun Sie das, und zwar so schnell wie möglich!«, forderte Rhodan. »Wir müssen uns dringend Orientierung verschaffen.«

Bull seufzte. »Nicht nur in astronomischer Hinsicht. Auch in galaktopolitischer. Wir brauchen Verbündete, wenn wir tiefer nach Andromeda vorstoßen wollen.«

Warum hatten sie sich ausgerechnet mit den Thetisern anlegen müssen? In Andromeda gab es bestimmt Tausende, wenn nicht Millionen raumfahrende Völker. Und schon beim allerersten Vorstoß legten sich die Menschen ausgerechnet mit der militärischen Führungsmacht an.

Rhodan nickte. »Bisher haben wir drei Fraktionen kennengelernt, und keine davon ist uns besonders wohlgesinnt. Die Paddler haben uns ausgenutzt und betrogen, die Aachaonen haben wir selbst gegen uns aufgebracht, als wir sie angegriffen haben, um die Paddler zu unterstützen. Und die Thetiser hätten uns als Kollateralschaden betrachtet, wenn wir uns nicht verteidigt hätten.«

»Ja, weil sie auf Kalak und seine Paddler von der KA-preiswert sauer waren«, merkte Schablonski an. »Alles wäre bestens gelaufen, hätten wir uns nicht auf diesen Schwindler eingelassen.«

Bull verstand den Zorn des Technikers nur zu gut. Die Paddler hatten Tani Hanafe, Schablonskis Freundin, als Geisel genommen, um die MAGELLAN unter Kontrolle zu bringen. Dennoch warf er ein: »Aber ohne die Paddler wären wir nie an diese Daten gekommen.«

»Ich bin da eher auf Schablonskis Seite«, sagte Deringhouse. »Ohne die Paddler und ihre Intrigen hätten wir die Daten gar nicht erst gebraucht. Wir hätten problemlos ins Zentrum von Andromeda fliegen können, ohne Repressalien fürchten zu müssen.«

»Wie dem auch sei«, unterbrach Rhodan die aufkommende Diskussion, »wir können weder ändern, was schon passiert ist, noch wissen, was sonst geschehen wäre. Die Frage ist: Wie machen wir weiter?«

»Wir könnten die FERNAO nutzen«, schlug Rainbow vor. »Die Thetiser kennen zwar die MAGELLAN, aber nicht die Protektorenjacht.«

Bull nickte. Monatelang untätig zu warten, bis die Wissenschaftler alle relevanten Daten interpretiert hatten – darauf hatte er keine Lust, und der Rest der achttausend Mann starken Besatzung bestimmt ebenso wenig.

»Die FERNAO ist klein und wendig«, fuhr Rainbow fort. »Und vor allem noch voll einsatzfähig. Wir könnten uns unerkannt im Zentrum umsehen, ein paar Kontakte knüpfen und Material für die Reparatur der MAGELLAN beschaffen.«

Ein passabler Vorschlag, fand Bull. Er hatte nur einen Haken. »Wir sind die einzigen Menschen in ganz Andromeda. Die Thetiser müssen nur eins und eins zusammenzählen, und dann ist die FERNAO Geschichte.«

»Reg hat recht.« Rhodan sah zum Holo auf. »Wir sind bereits einmal planlos losgeflogen, und das hat uns bloß eine wesentlich schlechtere Ausgangslage eingehandelt. Ich verstehe Ihre Ungeduld, aber wir müssen erst so viele Informationen wie möglich sammeln. Wir haben uns auf die falschen Verbündeten eingelassen, weil wir nichts von den politischen Verhältnissen hier wissen. Wir brauchen einen Überblick. Diese Zeit müssen wir uns nehmen, sonst riskieren wir alles.«

»Du willst also herumsitzen und Däumchen drehen?«, fragte Deringhouse.

Rhodan verzog das Gesicht. Bull verstand die Not seines Freundes gut. Von Wollen konnte keine Rede sein. Aber als Protektor durfte er nicht danach gehen, wonach ihm der Sinn stand – er musste entscheiden, was für die Menschheit am besten war. Und die MAGELLAN zu verlieren, war es bestimmt nicht.

»Ein anderer Gedanke«, meldete sich Autum Legacy zu Wort. »So hilfsbereit sich die Paddler am Ende gezeigt haben, wir haben keine Garantie dafür, dass ihre Daten überhaupt korrekt sind. Wir sollten uns also unabhängig von deren Analyse ein wenig ... umhören.«

»In welcher Hinsicht?«, fragte Rhodan.

»Bisher halten wir uns noch immer in der Außenregion auf, trotzdem hatten wir bereits mehrere Begegnungen, die wir nur zum Teil verstehen. Welche Rolle spielen beispielsweise die Aachaonen in Andromeda? Über sie wissen wir am wenigsten.«

»Ein guter Einwand«, gab Rhodan ihr recht. »Die drei Kugelraumer, die Kalaks Werftplattform angegriffen haben, hatten abgeplattete Pole, also eine deutlich andere Bauform als die Thetiserkugeln. Sie stammten Kalak zufolge aus einem ›Imperium von Aajor‹. Mister Leyden, was haben Sie in den Paddlerdaten über diese Aachaonen gefunden?«

»Erstaunlich wenig, in Anbetracht der Fülle an Informationen, die uns die Paddler ansonsten übermittelt haben.«

»Vielleicht wollten sie so ihre Geschäftsverbindungen schützen«, mutmaßte Legacy trocken.

Leyden wedelte mit den Händen, als wollte er ihre Bemerkung wie eine lästige Fliege verscheuchen. »Über die zugrunde liegende Intention eines Datenkonvoluts, das ich noch nicht einmal ordnungsgemäß klassifizieren konnte, werde ich nichts aussagen«, entgegnete er. »Die spärlichen Informationen, die wir haben, behaupten jedenfalls, dass Thetiser und Aachaonen keine Freunde sind. Zudem scheinen die Aachaonen in mancherlei Hinsicht geradezu scheu zu sein. Wir fanden keinen Hinweis auf die Position ihrer Heimatwelt.«

»Vielleicht«, wiederholte Legacy.

»Wenn sie sich erfolgreich vor den Thetisern verstecken, gibt es möglicherweise auch für uns eine Chance, unentdeckt zu bleiben«, überlegte Rainbow laut.

Schablonski schnaubte. »Und was willst du machen? Sie fragen, wie das geht?«

»Zumindest wären sie uns weniger feindlich gesinnt als die Thetiser«, sagte Rhodan.

»Weil wir nicht alle von ihnen umgelegt haben, sondern nur ein paar?« Schablonski zog die Augenbrauen zusammen. »Tut mir leid, aber das bedeutet für mich nur, dass sie im Gegensatz zu den Thetisern genau wissen, wer sie abgeschossen hat.«

Als niemand etwas erwiderte, fuhr Schablonski fort. »Seien wir doch realistisch, wir haben sie angegriffen. Und zwar aus ihrer Sicht völlig grundlos. Wir haben uns in einen Disput eingemischt, der uns nichts anging. Und jetzt sollen sie uns auch noch helfen?«

Rhodan legte den Kopf schief. »Berechtigter Einwand. Andererseits: Wir haben in ihren Kampf eingegriffen, um die KA-preiswert zu verteidigen, nicht um ihnen zu schaden. Als die Aachaonen geflohen sind, haben wir sie ziehen lassen, ohne sie zu verfolgen. Das ist meiner Ansicht nach eine ausreichende Basis für eine Kontaktaufnahme – jedenfalls in dieser besonderen Situation. Sicher wäre eine andere Ausgangslage wünschenswerter, aber wir müssen nun mal mit dem arbeiten, was wir bekommen können.«

Bull verkniff sich einen Kommentar. Wie immer war sein Freund geneigt, stets das Beste in allen Intelligenzwesen zu sehen. Dieser Einschätzung stimmte Bull nur unter Vorbehalt zu. »Erfreut werden sie auf keinen Fall sein, das ist wohl klar. Aber wenn wir schon zwischen der Höhle des Löwen und einem angeschossenen Eber wählen müssen ... Die Frage ist nur, wie wollt ihr sie finden? Der Angriff auf KA-preiswert war vor sechs Tagen. Inzwischen könnten die Aachaonen wer weiß wo sein.«

»Eine Woche Vorsprung ist kein Problem«, behauptete Legacy. »Jedenfalls nicht mit dem Oxley-Orter, oder irre ich mich?« Sie wandte sich zu Leyden um.

Der wurde auffallend blass. »Ich weiß nicht ... Aber ... Woher ...«

Bull verstand kein Wort. Er wusste nicht, was ihn mehr erstaunte: Legacys Aussage – oder dass ihr Bordgenie zum ersten Mal keine Antwort parat hatte.

»Was ist ein Oxley-Orter?«, fragte Rhodan. Er klang irritiert. »Und warum weiß ich davon nichts?«

»Der Leydensche Strukturfeldspürer ist bislang vor allem ein theoretisches Konzept«, erklärte Leyden säuerlich. »Hochexperimentell und nicht im Mindesten ausgereift. Die Frage ist vielmehr, warum sie davon weiß!«

»Wenn ich nicht wüsste, was auf dem Schiff vorgeht, für dessen Sicherheit ich verantwortlich bin«, stellte Autum Legacy klar, »könnte ich meinen Job gleich an den Nagel hängen. Ich traue mich nur nicht, einen Nagel auf der MAGELLAN zusätzlich zu belasten, weil sie dann womöglich auseinanderfallen könnte.«

Bull unterdrückte ein Seufzen. Er verstand ihren Frust. Seine Frau war früher terranische Geheimdienstagentin und seine Leibwächterin gewesen – deshalb war sie in jede Gefahr mit hineingerauscht, der er sich selbst ausgesetzt hatte. Und es hatte ihr gefallen. Nun war sie Sicherheitschefin eines Fernraumschiffs, auf dem außer kleineren Reibereien und gelegentlichen Risiken durch technische Mängel keine Gefahren drohten. Sie fühlte sich unterfordert.

Aber dies war nicht der Moment, schlechte Laune durchblitzen zu lassen. Bull zog das Gespräch an sich, bevor Legacy noch mehr von ihrem Seelenleben durchblicken ließ. »Klären Sie mich auf, Mister Leyden«, forderte er. »Was hat es mit diesem Oxley-Orter auf sich?«

Der Hyperphysiker räusperte sich und holte tief Luft. »Nun, zuallererst heißt er nicht Oxley-Orter. Das entscheidet sich erst nach Abschluss unserer Testreihen, die selbstverständlich zu meinen Gunsten ausfallen werden. Also gewöhnen Sie sich lieber an den Namen Leydenscher Strukturfeldspürer.«

»Was ist es, was macht es, und inwieweit kann es uns nützlich sein?«

»Es ist eine Maschine, sie ortet, und wenn sie funktioniert, sagt sie uns spannende Dinge. Präziser ausgedrückt, ist es eine Modifikation der existierenden Ortungsgeräte an Bord der FERNAO.«

Kurz entgleisten Rhodans Gesichtszüge. In mühsam beherrschtem Tonfall fragte er: »Sie nehmen Modifikationen an den wichtigsten Instrumenten meines persönlichen Einsatzschiffs vor, ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen?«

»Keineswegs. Sie haben die Bewilligung selbst unterzeichnet. Zusammen mit einigen anderen Anträgen auf Funktions- und Situationstests, die mein Team vor Beginn der Reise vorgelegt hat.«

Diese hinterlistige Zecke, schimpfte Bull in Gedanken. Leyden wusste genau, dass Rhodan niemals alle Anliegen lesen konnte, die er in seiner Funktion als Protektor der Terranischen Union bekam, dass er dies jedoch kaum zugeben würde. Bull schielte zu Schablonski, der die Lippen aufeinanderpresste. Also hatte auch der Chefingenieur diesen Antrag überlesen, der vermutlich nicht mehr als ein Paragraf in einem zwanzigseitigen Dokument gewesen war.

»Und worin besteht besagte Modifikation?«, erkundigte sich Rhodan bemüht friedfertig.

Der Wissenschaftler bemerkte die mitschwingende Warnung nicht. Im Gegenteil, er blühte geradezu auf, wie immer, wenn er auf seinem Fachgebiet – oder irgendeinem anderen – glänzen konnte. »Wie Sie ja vielleicht wissen, erzeugen die Strukturfeldkonverter von Transitionstriebwerken ein Strukturfeld, welches das Raumschiff während der Transition umschließt und es vor höherdimensionalen Einflüssen schützt.«

Bull unterdrückte den Drang, Leyden zu unterbrechen. Der Hyperphysiker rezitierte gern langatmig Basiswissen. Aber ihn davon abzubringen, kostete mehr Zeit, als das Ende dieser Präliminarien abzuwarten.

»Was weniger bekannt sein dürfte«, fuhr Leyden fort, »ist, dass dieses Feld eine Art Heckwelle im Hyperraum erzeugt. Der Schiffskörper bewegt sich durch die höhere Dimension wie der Kiel eines Boots durch Wasser.« Er schüttelte seine Flasche, um das Bild zu verdeutlichen. Das mineralisierte Wasser darin schwappte hin und her. »Dadurch entstehen besagte Wellen: winzige Verzerrungen im Hyperband des Raum-Zeit-Gefüges, die sich anmessen lassen. Was wir nun getan haben, ist, einen kleinen Bereich der Ortungssensorstrukturen des Expeditionsraumers entsprechend der Spezifikationen, die Oxley und ich deklariert haben, aufzurüsten und umzuprogrammieren, um diese Daten zu empfangen und aufzuzeichnen.«

»Permanent?«, hakte Rainbow nach.

»Aber selbstverständlich!« Leyden lachte dem Kommandanten der FERNAO ins Gesicht. »Es ergäbe schließlich wenig Sinn, wenn man die Aufzeichnung erst starten würde, nachdem man weiß, dass man ein Raumschiff hätte verfolgen sollen.«

Selbstverständlich. Bull verdrehte die Augen. Nicht, dass der Wissenschaftler nicht recht gehabt hätte. Bull haderte nur wieder einmal mit Leydens Art, seine Weisheiten zu präsentieren. »Das bedeutet, Sie haben auch die Wellen der drei Aachaonenschiffe aufgezeichnet?«

Leyden nickte. »Der SFS registriert alle Echos der Umgebung, zumindest ab einer Transitionschiffsgröße von zweihundert Metern Durchmesser und für eine bestimmte Zeitspanne, abhängig von der Größe des verursachenden Objekts. Danach beruhigt sich die Raum-Zeit-Struktur wieder.«

»Wie lange wäre das im Fall der Aachaonenraumer?«, fragte Rhodan.

»Ich würde sagen, sieben Tage.«

»Das bedeutet, Sie können den Kursvektor ermitteln und verfolgen?«

Leyden zögerte. »Theoretisch ja«, antwortete er. »Allerdings wiederhole ich: Der SFS befindet sich noch in einer sehr frühen Testphase. Oxley und ich hatten unterschiedliche Ansätze betreffs der Funktionsweise, und die Wissenschaftliche Abteilung ist aktuell noch mit den ersten Testläufen beschäftigt, um zu eruieren, welche Wirkhypothese korrekt ist. Es ist eine kleine Wette. Nach dem Gewinner wird das Gerät benannt. Deshalb wie gesagt: Leydenscher Strukturfeldspürer.«

Eine Wette. Bull hätte es wissen müssen. Nur diese beiden Spinner konnten derart ignorant sein, die Ortungssysteme von Rhodans Raumer zu manipulieren, um sich geistig zu duellieren.

Umso frustrierender wäre es, wenn ausgerechnet diese Spinnerei ihnen nun zum entscheidenden Durchbruch verhelfen sollte. Aber eine bessere Spur hatten sie nicht.

»Na wunderbar«, sagte Rhodan. »Dann können Sie das ja jetzt in der praktischen Anwendung testen.«

»Auf keinen Fall!« Leyden schüttelte vehement die Wasserflasche. »Haben Sie nicht zugehört? Die Ergebnisse könnten grundfalsch sein. Die Technik jetzt schon zur Entscheidungsfindung zu benutzen, wäre höchst fahrlässig. Wir könnten mitten im Nirgendwo landen.«

»Das wäre kein großer Unterschied zu unserer momentanen Situation«, stellte Reginald Bull fest.

»Das sehe ich genauso«, pflichtete Rhodan ihm bei. »Also versuchen wir unser Glück. Mister Rainbow, machen Sie die FERNAO startklar. Sie haben recht, ohne die MAGELLAN sind wir unauffälliger. Mister Leyden, bitte programmieren Sie die Ortung der Jacht entsprechend. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie die aachaonischen Raumschiffe auch vom Zielort ihrer Transition aus weiterverfolgen können?«

Eric Leyden nickte widerwillig. »Ja. Ihr nächster Sprung liegt ja ebenfalls keine sieben Tage zurück. Wenn wir Glück haben, können wir mithilfe meiner Modifikationen den hyperphysikalischen Wellenschlägen einfach hinterherfliegen.«

»Dann ist ja alles klar.« Perry Rhodan blickte entschlossen in die Runde. »Wir starten in zwei Stunden!«

2.

 

Autum Legacy lauschte auf die Stille. Laut Auskunft der Bordpositronik hatten die ersten Transitionen sie viele Hundert Lichtjahre tiefer in Richtung des galaktischen Zentrums von Andromeda gebracht. Ein Klacks für die FERNAO, die Refraktionszeit war längst abgelaufen. Trotzdem saßen sie noch fest, mitten im Nirgendwo, und warteten.

Bereits zum vierten Mal stand sie auf und führte die Hand zum Sensorfeld ihrer Kabinentür. Und wieder verharrten ihre Finger nur wenige Zentimeter über dem Feld, bis Legacy sie schließlich sinken ließ. Alles in ihr drängte danach, in die Zentrale zu eilen und zu erfahren, was die Verzögerung zu bedeuten hatte.

Aber es hätte nur bestätigt, was sie ohnehin schon wusste. Der Oxley-Orter hatte versagt. Sie hatte Perry Rhodan dazu gebracht, alles auf ein Gerät zu setzen, das bisher bloß in der Theorie funktionierte. Genauer gesagt, in zwei Theorien, die einander offenbar grundlegend widersprachen. Eine brillante Idee, die sie da gehabt hatte.

Sie wandte sich von der Tür ab und ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte sich exponiert, weil sie sich nützlich fühlen wollte. Nein, das war es nicht genau, wenn sie ehrlich war. Verantwortung hatte sie genug, ihre Aufgabe war ihr jedoch zu langweilig. Sie suchte den Nervenkitzel.

Das war es. Sich selbst gegenüber konnte sie es ja zugeben. Sie war Agentin mit Leib und Seele. Als Reginald Bulls Leibwächterin war sie außerdem stets dort gewesen, wo die Action wartete. Und nun? Sie betrachtete den Ring an ihrem Finger. Nun war sie seine Frau. Wenn Gefahr drohte, würde er sich dann immer noch ihrem Schutz anvertrauen? Oder würde er ihr selbst einen Leibwächter zur Verfügung stellen?

Hätte man ihrem Vorschlag derart Gehör geschenkt, wenn sie nicht Regs Frau gewesen wäre?

Nun presste sie doch die Hand auf den Sensor und verließ ihre Räume. Statt jedoch zur Zentralkugel zu gehen, bog sie ab in Richtung des berüchtigten Labors mit der Nummer Fünf, in dem Leydens Team arbeitete.

Lieber hörte sie sich einen von Eric Leydens Vorträgen an, als der versammelten Führungsriege gegenüberzutreten. Erst wollte sie wissen, was Sache war. Danach würde sie sich der Diskussion stellen, die zwangsläufig folgen musste.

Als sie jedoch das Labor erreichte, war es nicht das wissenschaftliche Team, das neben Leyden am Hauptholo Aufstellung bezogen hatte, sondern Rhodan und Bull.

Legacy beschleunigte ihre Schritte, um selbstsicherer zu wirken. Sie überspielte ihre Selbstzweifel mit der jahrelangen Routine einer Geheimagentin. »Wie sieht es aus?«

Bull wandte sich als Erster zu ihr um, aber es war Rhodan, der antwortete. »Kein Signal. Wir haben sie verloren.«

»Ich hatte Sie gewarnt«, sagte Leyden. »Das Gerät befindet sich noch in der Testphase.«

Legacy fühlte einen leichten Druck an ihrem Bein. Sofort begann ihre Nase zu kitzeln. Sie versuchte, Leydens schnurrenden Kater unauffällig beiseitezuschieben, aber das Biest rieb sich nur noch fester an ihr.

»Kann es sein, dass Sie einer falschen Spur gefolgt sind?«, fragte Bull.

Der Hyperphysiker schüttelte entrüstet den Kopf. »Keineswegs. Die Spur der Aachaonenschiffe war überaus eindeutig. Immerhin haben Sie zwei der Schiffe nahezu schrottreif geschossen. Damit haben Sie deren Echo eine sehr charakteristische Struktur verliehen.«

Legacy trat einen Schritt auf das Holo zu, vorwiegend, um von dem allergieauslösenden Albtraum an ihrem Knöchel wegzukommen. Hermes plumpste zu Boden, nutzte den Schwung der unfreiwilligen Bewegung und rollte sich auf den Rücken, die Augen genussvoll geschlossen. Eine Pfote legte er besitzergreifend auf ihren Stiefel. Subtile Andeutungen verstand das Vieh offensichtlich nicht.

»Die Aachaonen haben sechs Tage Vorsprung«, sinnierte sie.

»Und nach sieben Tagen sind die Strukturfeldechos nicht mehr anmessbar«, führte Bull ihren Gedanken fort. »Was bedeutet, wenn wir innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden kein Signal auffangen, ist die Suche hinfällig.«

Rhodan nickte. »Sie sprachen von zwei Wirkungsthesen, Mister Leyden. Mit welcher arbeiten Sie aktuell?«

»Mit der zutreffenden.«

Also mit seiner eigenen.

»Versuchen Sie die andere!«, verlangte Rhodan.

»Aber ...« Leyden schnappte hörbar nach Luft. »Nochmals: Ich rate dringend von diesem Vorgehen ab. Bereits der SFS an sich ist ein Risiko. Mitten im Testlauf auch noch das Berechnungsverfahren zu ändern, ist nicht nur fahrlässig, sondern geradezu Sabotage.«

»Können Sie die Verfahren nicht parallel laufen lassen?«, fragte Legacy. Sie tastete ihre Bordkombination nach einem Taschentuch ab. Der Kater schleckte hingebungsvoll über ihr Hosenbein.

»Theoretisch ja«, gab der Hyperphysiker zu. »Es würde jedoch die Leistung erheblich verringern und die Chancen, das Signal der Aachaonenschiffe wiederzufinden, halbieren.«

»Oder verdoppeln«, korrigierte Rhodan. »Auf den Versuch lassen wir es ankommen. Starten Sie den parallelen Suchvorgang. Falls wir bis morgen kein Echosignal auffangen, bleibt uns nichts anderes übrig, als aufzugeben und uns zum Treffpunkt mit der MAGELLAN zu begeben.«

Autum Legacy presste die Lippen aufeinander.

Der vereinbarte Treffpunkt lag nahe einer auffälligen roten Riesensonne, die sie Reunion getauft hatten. Der lädierte Expeditionsraumer würde für diese Strecke rund drei Tage benötigen – die FERNAO nur ein paar Stunden. Der Plan lautete, dass Rhodans Jacht am 24. Februar zum Hauptschiff zurückkehren sollte – unabhängig davon, ob sie die Aachaonen gefunden hatten oder nicht.

Falls der Oxley-Orter vollends versagte, bedeute das, dass die Menschen nicht nur ihre einzige Spur verschenkt hatten, sondern fast eine Woche unnütz in der Gegend herumgeflogen waren. Vergeudete Zeit. Und Legacy mit ihrem Vorschlag wäre schuld daran gewesen.

 

Ein leises, gleichmäßiges Summen weckte Autum Legacy aus dem unruhigen Schlaf, den sie gefunden hatte. Sie blinzelte. Das Komarmband auf ihrem Nachtschrank zeigte 2.17 Uhr morgens, 20. Februar 2055. Vor einer halben Stunde hatte sie sich aus der Zentrale zurückgezogen. Sie hob den Kopf und betrachte aus noch nicht ganz offenen Augen die andere Betthälfte. Leer. Demnach war Reg immer noch dort.

Als sie zurück aufs Kissen sank, vibrierte das Armband erneut. Legacy griff danach, kniff ein Auge zu und aktivierte die Anzeige. Fünf neue Nachrichten. Alle von Leyden.

»Habe etwas gefunden«, las sie.

Augenblicklich war sie hellwach. Hastig überflog sie die anderen Nachrichten.

»Ich habe etwas gefunden. Kommen Sie in den Laborraum drei.«

»Wo bleiben Sie? Oxleys Algorithmus hat angeschlagen!«

»Nur noch mal zur Sicherheit: Oxleys Algorithmus hat angeschlagen. Für das Resultat übernehme ich also keine Verantwortung.«

»Himmelherrgottnochmal, was sind Sie denn für eine Sicherheitschefin? Wenn das Schiff explodiert, wachen Sie aber auf, oder? Laborraum drei! Blindes Huhn.«