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Fußnoten

1

Jürgen Below, Hermann Hesse-Handbuch. Quellentexte zu Leben, Werk und Wirkung, Frankfurt a. M. 2012, S. 121.

2

Gustav Landgren, Hermann Hesses »Roßhalde«, »Klingsors letzter Sommer« und »Steppenwolf« im Kontext von Kunstkritik, Künstlerkrise und Intermedialität, Uppsala 2011, S. 212.

3

Brief an H. Reinhart vom 22. Mai 1921, in: Hermann Hesse. Die Briefe. 19161923: »Eine Bresche ins Dunkel der Zeit!«, hrsg. von Volker Michels, Berlin 2015, S. 404.

4

Carl Gustav Jung, Die Archetypen und das kollektive Unbewußte, hrsg. von Lilly Jung-Merker und Elisabeth Rüf, Olten 1979, S. 293.

5

Carl Gustav Jung, Briefe, Bd. 2: 19461955, hrsg. von Aniela Jaffé, Olten 1980, S. 183.

6

Friedrich Voit, Erläuterungen und Dokumente, Hermann Hesse, »Der Steppenwolf«, Stuttgart 2005 [u. ö.], S. 94 f.

7

Bornstein, Hesses Schreckensbuch, in: Hermann Hesses »Steppenwolf«, hrsg. von Egon Schwarz, Königstein i. Ts. 1980, S. 55.

8

Zitiert nach: Volker Michels, Materialien zu Hermann Hesses »Der Steppenwolf«, Frankfurt a. M. 1972, S. 290.

9

Zitiert nach: Theodore Ziolkowski, Hermann Hesse in den USA, in: Schwarz (s. Anm. 7), S. 177181.

10

Zitiert nach: Maria-Felicitas Herfort, Hermann Hesse – »Demian«, »Siddhartha«, »Der Steppenwolf«, Hollfeld 2004, S. 113.

1. Schnelleinstieg

Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 im württembergischen Calw geboren. Schon mit seinem ersten Roman Peter Camenzind (1904) war er so erfolgreich, dass er als freier Schriftsteller leben konnte. Er ließ sich am Bodensee nieder, zog 1912 in die Schweiz und siedelte 1919 nach Montagnola im Tessin um, wo er bis zu seinem Tod 1962 lebte. 1946 bekam er, auch wegen seiner moralisch untadeligen Haltung während der Naziherrschaft, den Nobelpreis für Literatur.

Die meisten seiner Werk der EinzelgängerWerke beschreiben Einzelgänger, die gegen die Zwänge der Gesellschaft ihren eigenen Weg suchen. Die Ich-Suche, die Entwicklung der Persönlichkeit und die Selbstverwirklichung sind stets Hesses Hauptanliegen gewesen. Diese Themen bilden die Schwerpunkte in seinen Romanen und Erzählungen und haben ein breites Publikum gefunden: Hesse ist weltweit der meistgelesene deutschsprachige Autor des 20. Jahrhunderts. Auch in den USA und Japan werden seine Werke immer wieder neu aufgelegt, Der Steppenwolf ist einer seiner bekanntesten und erfolgreichsten Romane.

Aufgrund der vielen Parallelen zwischen Autor und Protagonisten wird die Erzählung oft autobiographisch gedeutet. Hesse befasste sich 192427 mit der Steppenwolf-Thematik, stellte den Roman am 11. Januar 1927 fertig, die erste Auflage erschien im Mai dieses Jahres, kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag. Viele Begebenheiten, die im Roman vorkommen, beruhen tatsächlich auf Hesses eigenen Erlebnissen in Basel und Zürich, daher ist es nicht verwunderlich, dass der Roman als »Seelenbiographie«1 des Dichters gelesen wird.

2. Inhaltsangabe

Zusammenfassung

Der Steppenwolf erzählt von dem fast fünfzigjährigen Harry Haller. Harry lebt einige Monate in einer Schweizer Stadt zur Untermiete. Vereinsamt, verbittert und krank bleibt er für sich und besucht nur hin und wieder Konzerte und die Bibliotheken der Stadt, selten trifft er andere Menschen. Dieses Außenseiterdasein, die Verzweiflung darüber und die innere Zerrissenheit des Protagonisten sind Hauptthema der Erzählung. Harry, der zwischen seinem Bedürfnis nach einem bürgerlichen, geselligen Leben und seinen animalischen, steppenwölfischen Trieben hin- und hergerissen wird, ist auf der Suche nach seiner wahren Identität.

Als er Hermine begegnet, einer hübschen jungen Frau, die sich von Männern aushalten lässt, ändert sich sein Leben. Er lernt tanzen, genießt die körperliche Liebe und besucht öffentliche Veranstaltungen. Von Hermine und deren Freund, dem Jazz-Saxophonisten Pablo, wird er schließlich in ein magisches Theater geführt, das ihm auf der Suche zu sich selbst voranbringen soll. Es besteht aus vielen Räumen, in denen Harry verschiedenen Facetten seiner Persönlichkeit begegnet und die vielen Varianten des Lebens kennen- und schätzen lernt. Fast am Ende seiner Reise angekommen, lässt er sich von all den Trugbildern des Theaters täuschen, fällt zurück in sein verbittertes Dasein und ersticht Hermine.

Trotz vieler Rückschläge und Verwirrungen besinnt sich Harry letztlich doch noch auf die neu entdeckten Freuden, will mit Hilfe seiner Freunde und Idole aus seinen Fehlern lernen und seine negativen Ansichten zukünftig bessern. Die Geschichte endet mit einem positiven Lebensausblick.

Der Roman ist in drei Teile gegliedert: Zunächst erhält der Leser im »Vorwort des Herausgebers« einige Informationen über den Protagonisten, dessen Wesen und Alltag. Es folgen »Harry Hallers Aufzeichnungen«, die nun von ihm selbst verfasst sind und Einblicke in seine Gedanken- und Gefühlswelt geben. Diese Aufzeichnungen werden durch den »Tractat vom Steppenwolf« unterteilt, der das in der Ich-Form geschilderte Geschehen aus einer weiteren, scheinbar objektiven Perspektive betrachtet und kommentiert.

Vorwort des Herausgebers

Der Herausgeber will den Aufzeichnungen Harry Hallers, die er nach dessen Auszug aus der Wohnung fand, einige eigene Erinnerungen voranstellen. Er nennt ihn häufig »Steppenwolf«, nach einem Ausdruck Harrys selbst.

Harry mietet bei der Tante des Herausgebers für neun oder zehn Monate zwei möblierte Zimmer in ihrem Haus. Zwiespältiger EindruckZufällig ist der Neffe der Vermieterin, der Herausgeber der Aufzeichnungen, anwesend, als Harry nach dem Zimmer fragt: »Ich habe den sonderbaren und sehr zwiespältigen Eindruck nicht vergessen, den er mir beim ersten Begegnen machte.« (S. 8) Dem Neffen fällt der unentschlossene Gang auf, das scharfe Profil und ein eigentümliches Lächeln: »alles schien ihm [Harry] zu gefallen und schien ihm doch zugleich irgendwie lächerlich« (S. 9). Als der Neffe am Abend von der Arbeit zurückkommt, erzählt ihm die Tante, dass der Mann ihr sympathisch ist. Harry bekommt die Wohnung.

In den nächsten Tagen spioniert der Neffe hinter dem neuen Mieter her, bewundert ihn und sein »Sensibles Seelenlebeninteressantes, höchst bewegtes, ungemein zartes und sensibles Seelenleben« (S. 13). Der Neffe berichtet chronologisch von seinen Begegnungen mit Harry. Er hält ihn für »geistes- oder gemüts- oder charakterkrank« (S. 16). Später erkennt er, dass er »ein Genie des Leidens« (S. 16) ist, aber nicht aus Weltverachtung, sondern aus Selbstverachtung. Er meint, Harry hätte sicherlich strenge und sehr fromme Eltern gehabt, die seinen Willen brechen wollten. Das sei ihnen nicht gelungen, stattdessen hätten sie ihn zum Selbsthass erzogen.

Er berichtet auch von Harrys Gewohnheiten und wirft sogar einen Blick in dessen Wohnung: Dort hängen Aquarelle, Fotos von süddeutschen Städtchen und einer hübschen jungen Frau. Bücher liegen und stehen überall, er holt sie sich aus Bibliotheken und bekommt viele per Post. Oft trinkt er Wein, steht morgens spät auf, isst manchmal den ganzen Tag nichts. Gesundheitliche Probleme fallen dem Neffen ebenfalls auf, besonders die »Hemmung in den Beinen« (S. 20); Treppen steigen kann er nicht besonders gut.

Eines Tages trifft ihn der Neffe auf dem Treppenabsatz oberhalb des ersten Stockes. Harry bittet ihn, sich neben ihn zu setzen: Er bewundert die saubere Die AraukarieAraukarie, die ihm als »Superlativ von bürgerlicher Reinheit […] und Treue im kleinen« (S. 22) erscheint. Dieser ganze Platz erfülle ihn immer mit Sehnsucht nach seiner Mutter. Schon hier zeigt sich, dass Harry sich dem Bürgerlichen nicht ganz entziehen kann. Der Neffe merkt, dass Harry ihre »kleine bürgerliche Welt aus seinem luftleeren Raume« (S. 24) heraus bewundert.

Ein anderes Mal sieht er ihn in einem Symphoniekonzert, wo er plötzlich »glücklich versunken und in gute Träume verloren« (S. 26) wirkt. Nach dem Konzert gehen beide in ein Wirtshaus. Als Harry merkt, dass der Neffe keinen Wein trinkt, meint er, auch er habe lange enthaltsam gelebt, aber jetzt stehe er »wieder im Zeichen des Wassermanns, einem dunklen und feuchten Zeichen« (S. 27).

An einem anderen Abend lässt der Neffe eine hübsche junge Frau in die Wohnung, sieht die beiden fröhlich das Haus verlassen und Harry eine Stunde später allein und traurig wieder zurückkehren.

Durch alle diese gesammelten Eindrücke gewinnt der Neffe ein Bild von Harry, den er immer mehr bemitleidet: »Er tat mir leid, aber was war das auch für ein trostloses, verlorenes und wehrloses Leben, das er führte!« (S. 28)

Trotz Harrys pessimistischer Weltsicht und dem in den Aufzeichnungen angedeuteten, als letzten Ausweg gedachten Suizid glaubt der Neffe nicht, dass Harry sich das Leben nahm, nachdem er das Manuskript zurückgelassen hat. Er glaubt, dass im Die Neurose der ModerneManuskript vor allem »tief erlebte seelische Vorgänge im Kleide sichtbarer Ereignisse« (S. 29) erzählt werden. Nicht »bloß die pathologischen Phantasien eines einzelnen, eines armen Gemütskranken« (S. 30) sieht er, sondern auch ein Dokument der Zeit, denn Harrys Krankheit scheint ihm die Neurose der Moderne, einer Zeit, in der das Individuum nicht mehr zählt. In Harrys Aufzeichnungen erkennt er etwas, das den Menschen dieser Zeit von Nutzen sein könnte, daher entscheidet er sich, sie zu veröffentlichen.

Harry Hallers Aufzeichnungen

Das Motto lautet: »Nur für Verrückte« (S. 33).

Erster Teil

Harry Haller beginnt sein Manuskript mit der Beschreibung eines normalen Tages, er hat ihn »sanft umgebracht, mit [s]einer primitiven und schüchternen Art von Lebenskunst« (S. 33). Er hat gelesen, ein Pulver gegen seine Schmerzen genommen, gebadet, die Post erledigt, »Atemübungen gemacht, die Gedankenübungen aber heut aus Bequemlichkeit weggelassen« (S. 33) und ist spazieren gegangen. Ein normaler Tag. Eigentlich könnte er Laue Zufriedenheitzufrieden sein, aber er verträgt diese laue Zufriedenheit nicht. Er braucht starke Gefühle, die er sich »nötigenfalls […] auf dem Wege der Schmerzen« (S. 35) verschaffen will. Es überkommt ihn eine Wut auf »dies abgetönte, flache, normierte und sterilisierte Leben« (S. 35), denn wenn es etwas gibt, was der Wolf in ihm verabscheut, dann ist es »diese Zufriedenheit, diese Gesundheit, Behaglichkeit, diesen gepflegten Optimismus des Bürgers« (S. 36). Unzufrieden mit den Umständen möchte er in ein Wirtshaus gehen und denkt auf seinem Weg die Treppe hinab darüber nach, dass gerade er, der »heimatlose Steppenwolf und einsame Hasser der kleinbürgerlichen Welt« (S. 36), immer in kleinbürgerlichen Häusern wohnt: Er mag den Kontrast zwischen der aufgeräumten Welt und seiner chaotischen.

Beim Gang durch die Nacht denkt er an seine Jugend zurück, in der er diese melancholische Stimmung geliebt hat, aber auch schon einsam war. Das letzte Mal, dass er etwas Großes, beinahe Glück empfand, war bei einem KonzertKonzert, »eine herrliche alte Musik wurde gespielt, da war zwischen zwei Takten eines von Holzbläsern gespielten Piano mir plötzlich wieder die Tür zum Jenseits aufgegangen« (S. 39). Harry hatte, ausgelöst durch diese Musik, eine Art mystisches Erlebnis, er sah »Gott an der Arbeit« (S. 39). Immer wieder erlebt er so etwas: wenn ihm nachts Verse einfallen, wenn er träumt, beim Lesen oder beim Nachdenken. Aber es ist schwer, diese »goldene göttliche Spur« (S. 39), wie Harry diese Glücksmomente nennt, im Alltag wiederzufinden. Die Vergnügungen anderer Menschen versteht er nicht, Kino, Theater, Bars und Varietés scheinen ihm überfüllt und reizlos.

Auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge kommt Harry an einer alten Steinmauer vorbei. Auf einmal entdeckt er eine kleine, alte Tür und eine »Nur – – für – – Ver – – rückte!«Leuchtschrift darüber: »Magisches Theater[.] Eintritt nicht für jedermann« (S. 42). Dann erlischt die Schrift, und es »tropften vor mir her ein paar farbige Lichtbuchstaben über den spiegelnden Asphalt […]: Nur – – für – – Ver – – rückte!« (S. 43) Diese Buchstaben lösen ihn ein wenig aus seiner Traurigkeit, er erkennt in ihnen einen »Gruß der andern Welt«, einen »Schimmer der Die goldene Spurgoldenen Spur« (S. 44).

Nachdem dieser Gruß verblasst ist, geht Harry in ein Wirtshaus, liest eine Zeitung und isst Kalbsleber, trinkt Wein und wundert sich über sein Erlebnis. Ihm fällt die Melodie des Bläserpianos wieder ein, und er freut sich, dass in ihm immer noch etwas Antwort auf das Göttliche gibt. Viele Erinnerungen kommen hoch, die ihn für eine kurze Weile glücklicher stimmen. Nur er, der Steppenwolf, bewahrt sie alle in sich auf. Jetzt kann er gehen: »Die goldne Spur war aufgeblitzt« (S. 47), er war an das Ewige erinnert worden.

Auf seinem Heimweg hört er aus einem Tanzlokal JazzmusikJazzmusik dringen, »heiß und roh wie der Dampf von rohem Fleisch« (S. 49). Harry bleibt stehen und freut sich über die wilde, launische und sentimentale Musik: »Untergangsmusik war es« (S. 49), nicht zu vergleichen »mit Bach und Mozart und wirklicher Musik« (S. 50), aber immerhin muss er die Aufrichtigkeit der Musiker bewundern, auch wenn er der Meinung ist, dass mit ihr die europäische Kultur untergehen wird.

Beim Weiterwandern kommt er wieder an der Mauer vorbei, und erneut erregen »tanzende, taumelnde Buchstaben« (S. 51) seine Aufmerksamkeit – ein Mann kommt ihm entgegen, der ein Plakat trägt mit der Aufschrift: »Anarchistische Abendunterhaltung[.] Magisches Theater! Eintritt nicht für jed…« (S. 51). Neugierig erkundigt Harry sich nach dieser Abendunterhaltung. Der Mann gibt ihm ein kleines Buch und verschwindet wortlos. Müde geht Harry heim. Das auf schlechtem Papier gedruckte Buch hat den Titel »Traktat vom Steppenwolf. Nicht für jedermann« (S. 53).

Tractat vom Steppenwolf

Der in die Aufzeichnungen eingeschobene Traktat betrachtet die von Harry geschilderten Ereignisse aus einer anderen, objektiveren Perspektive. Der anonyme Verfasser scheint allwissend zu sein, er thematisiert und kommentiert Harrys Aufzeichnungen. Das Motto lautet: »Nur für Verrückte« (S. 54).

 

Der Traktat erzählt von einem Mann »namens Harry, genannt der Steppenwolf« (S. 54). Ein kluger Mann, aber er hat nicht gelernt, zufrieden zu sein, weil er immer dachte, er sei kein Mensch, sondern ein Wolf. Warum er das dachte, weiß man nicht. Zwei NaturenHarry hat »zwei Naturen, eine menschliche und eine wölfische« (S. 55). Leider lebten sie »in ständiger Todfeindschaft« (S. 55). Wenn Harry als Mensch fühlte und handelte, bewies ihm der Wolf höhnisch, dass das doch alles komisch und eitel war. Wenn Harry als Wolf lebte, meinte der Mensch in ihm, er sei doch eine Bestie. Wollte der Mensch an die Gesellschaft angepasst sein, so strebte der Steppenwolf nach Unabhängigkeit, seine Freiheit war ihm wichtiger als Frauen, Macht oder Geld. Aber auch dem Wolf wurde dies zum Fluch: Er war zwar unabhängig, aber auch einsam.

Einige Menschen hatten Harry geliebt. Er hatte sie unglücklich gemacht, weil sie immer nur eine Seite in ihm sahen: den kultivierten Menschen oder den freien, wilden Wolf. Immer wurden sie enttäuscht, denn selten lebten beide Seiten miteinander. Wenn doch, so waren das seine schönsten Stunden, in denen der Alltag »dem Außerordentlichen, dem Wunder, der Gnade Platz« (S. 58) machte.

Abgesehen von diesen seltenen Augenblicken war Harry unglücklich und gehörte zu den SelbstmörderSelbstmördern. Damit sind nicht die gemeint, die sich wirklich umbringen: Ein Selbstmördertyp empfindet »sein Ich […] als einen besonders gefährlichen, zweifelhaften und gefährdeten Keim der Natur« (S. 63). Selbstmörder werden »vom Schuldgefühl der Individuation« (S. 64) getroffen, ihre Auflösung ist ihnen wichtig, nicht die Vollendung ihres Seins. »[I]m Tod, nicht im Leben« (S. 64), sehen sie den Erlöser. Aus dieser Schwäche ziehen Menschen wie Harry aber auch eine große Kraft: Zwar dachte er bei jeder Krise sofort an Selbstmord, aber da er wusste, dass ihm dieser Ausweg immer offenstand, hielt er sehr viel aus. Harry kam im Alter von 47 Jahren auf die Idee, dass er sich an seinem fünfzigsten Geburtstag umbringen dürfe, »den Notausgang […] benützen oder nicht, je nach der Laune des Tages« (S. 65). Bis dahin wollte er alles erdulden, und dieser kleine Trick funktionierte sehr gut.

Der AmbivalenzSteppenwolf Harry empfindet sich als Einzelner, aber auch als über dem Durchschnitt stehend. Obwohl er den Bourgeois verachtet, lebt er bürgerlich, kleidet sich anständig und achtet die Gesetze. Seine heimliche Sehnsucht sind die kleinbürgerlichen Familienhäuser mit ihrer »bescheidenen Atmosphäre von Ordnung und Wohlanständigkeit« (S. 67). So schwingt er zwischen zwei Polen hin und her.

Das Bürgerliche ist dabei »nichts andres als der Versuch eines Ausgleiches, als das Streben nach einer ausgeglichenen Mitte zwischen den zahllosen Extremen und Gegensatzpaaren menschlichen Verhaltens« (S. 68), denen die Außenseiter verfallen. Nie aber würde sich der Bürger irgendeinem Extrem hingeben: »Unbedingtheit ist ihm unerträglich« (S. 69). Viele Außenseiter wiederum schaffen es nicht, sich loszusagen, sondern bleiben dem Bürgertum verbunden: Viele von ihnen schließen Kompromisse, andere gehen unter. Einigen aber bleibt noch eine Möglichkeit, um sich selbst in der Welt des Bürgertums zu integrieren: der HumorHumor.

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