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Philipp Weiß

Homer und Vergil im Vergleich

Ein Paradigma antiker Literaturkritik und seine Ästhetik

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Inhalt

Fußnoten

1.1 Die Verhandelbarkeit des Kanons: Vier spätantike Epigramme zur Einführung

Vgl. Kurt Smolak: Art. „Alcimus“, in: HLL § 546, 3 = HdAW VIII.5 245246, wonach der Dichter der folgenden Epigramme mit dem bei Auson. prof. Burd. 2 = 35 Prete genannten Rhetor Alcimus Alethius identisch ist. Auf ihn beziehen sich wohl auch Hier. chron. ab Abr. 2387 = 239 Helm (Alcimus et Delphidius rhetores in Aquitanica florentissime docent) – diese Datierung verweist ins Jahr 355 n. Chr. – und Sidon. epist. 8, 11. Jakobi (2000), S. 118 bringt inhaltliche Gründe vor, die eine Einordnung des Dichters „exakt in die Lucan-Renaissance der Zeit zwischen Donat und Servius“ plausibel erscheinen lassen.

Als authentisches Werk Vergils werden die Verse in der Vita Vaticana II (Vat. lat. 1588, fol. 49r50v) ausgegeben (Ed.: EV V.2 [1991], S. 503504; vgl. zur Vita auch Suerbaum [1981], S. 11821183 und Ziolkowski/Putnam [2008], S. 282289).

Ein solches Gedicht könnte als Buchtitulus verwendet worden sein, wie die Nähe zu Ov. ars 1, 2 (… hoc legat et lecto carmine doctus amet) vermuten lässt; vgl. Kurt Smolak: Art. „Alcimus“, in: HLL § 546, 3 = HdAW VIII.5 245246 (bes.: 246) und Jakobi (2000), S. 119122.

Vgl. zu dem hier aufgerufenen kallimacheischen Programm von der λεπταλέη Μοῦσα und seinem Fortwirken in der Epigrammdichtung Jakobi (2000), S. 120 mit Anm. 19.

Zum Topos proximus primo vgl. auch Reiff (1959), S. 8294; Neuhausen (1968), pass.; Suerbaum (2011), S. 215 Anm. 80.

Eine kurze Einordnung dieses Kanons in den Werkzusammenhang bietet Schwindt (2000), S. 155 (Lit.: Anm. 571 und 573); vgl. auch Citroni (2005), pass., Citroni (2006b), pass. und zuletzt Suerbaum (2011), S. 213217. – Zum Kanonbegriff vgl. → Kap. 1.2.

Carm. Eins. 1, 4849 gibt einen Hinweis dafür, dass die standardisierte Bewertung, Vergil habe Homer beinahe erreicht, in neronischer Zeit auch sonst verbreitet war (haud procul Iliaco quondam non segnior ore | stabat et ipsa suas delebat Mantua cartas); nur von Vergils Versuch, mit Homer in Wettstreit zu treten, ist die Rede in dem etwa zeitgleich entstandenen Gedicht Laus Pis. 232 (… Maeoniumque senem Romano provocat ore …). – Statius spielt im Epilog seiner Thebais (entstanden um 90 n. Chr.) wohl ebenfalls auf diese Rangfolge an, obwohl hier von Homer nicht die Rede ist; vgl. Stat. Theb. 12, 816b817 (nec tu divinam Aeneida tempta, | Sed longe sequere et vestigia semper adora).

Die Vorstellung ist nicht neu: Mit dem Gegensatz zwischen naturhaftem ingenium und veredelnder ars hatte sich schon Horaz in seiner Ars poetica – in harmonisierender Weise – auseinandergesetzt (Hor. ars 408411): Natura fieret laudabile carmen an arte, | quaesitum est; ego nec studium sine diuite uena | nec rude quid prosit uideo ingenium; alterius sic | altera poscit opem res et coniurat amice. Vgl. – auch zu den Ursprüngen in der peripatetischen Poetik – Brink (1971), S. 394400 und Vogt-Spira (1994), pass. – Ein Beispiel für das Fortwirken dieser beiden Prinzipien findet sich im zweiten Kapitel des fünften Buches (Criticus) von Julius Caesar Scaligers Poetik; vgl. Vogt-Spira (1998), S. 4663 (bes.: 4649).

Jakobi (2000), S. 123124 (ohne genaue Interpretation des Orakelspruchs).

Mit Archilochos teilt er sich demnach die besondere Leistung, als Archeget einer Gattung zugleich deren Vollender zu sein; vgl. Vell. 1, 5, 2 (neque quemquam alium, cuius operis primus auctor fuerit, in eo perfectissimum praeter Homerum et Archilochum reperiemus).

Vgl. neben Reiff (1959), S. 9, 82 u. 107108 auch den oben zitierten Vers Stat. Theb. 12, 817.

Nascetur ist folglich als potentiales Futurum aufzufassen; vgl. LSS § 174b(γ) = HdAW II.2.2 311.

Zu korrigieren ist demnach das Urteil bei Jakobi (2000), S. 120, der über Anth. Lat. 674a 2Riese schreibt: „Hier aber wird, soweit ich sehe, zum ersten und auch zum einzigen Mal in der Antike der kühne Anspruch auf eine Vorrangstellung des Römers erhoben.“ Stattdessen gilt dies für das vorliegende Gedicht Anth. Lat. 713 2Riese; in Anth. Lat. 674a 2Riese wird allenfalls der Anspruch Vergils auf Vorrang artikuliert.

Die Frage, ob die drei bislang behandelten Gedicht vom selben Autor stammen, ist nicht – wie etwa durch Jakobi (2000), S. 124125 geschehen, dessen metrisches Argument gegen Anth. Lat. 740 2Riese schon wegen der geringen Anzahl der überlieferten Verse kaum verfangen dürfte – leicht zu entscheiden. Sicherlich erreicht das von Jakobi angezweifelte Gedicht auf den ersten Blick nicht den Grad an Raffinesse, wie ihn die anderen Epigramme aufweisen, doch spricht – sieht man von der literarischen Qualität einmal ab, ein notorisch unzuverlässiger Ratgeber in Echtheitsfragen – die Überlieferungssituation eher gegen Anth. Lat. 713, für das man auch eine Autorschaft durch Binet ins Kalkül ziehen muss (so Kurt Smolak: Art. „Alcimus“, in: HLL § 546, 3 = HdAW VIII.5 245246, hier: 246). In der Zusammenschau mit den drei anderen Gedichten wirkt die pedantische Rechnerei von Anth. Lat. 740 2Riese beinahe wie eine gewollte Parodie auf Quintilians Kanondekret; der umständliche Stil muss also nicht zwangsläufig gegen die Authentizität des Gedichts sprechen.

Die Zuschreibung an Alcimus ist freilich nur im Cod. Paris. 8209 bezeugt; in den anderen Manuskripten steht über dem Gedicht der kryptische Hinweis Caesaris; vgl. Jakobi (2000), S. 116.

So zurecht Jakobi (2000), S. 116117 gegen Kurt Smolak: Art. „Alcimus“, in: HLL § 546, 3 = HdAW VIII.5 245246 (hier 245: „… einen wertenden Vergleich der Pharsalia Lukans mit Vergils Äneis …“).

Lucan bittet an dieser Stelle den Caesar (Nero), nicht eifersüchtig auf ihn als Dichter der Pharsalia zu sein, da der Ruhm des Caesar ebenso wie der des Dichters der Pharsalia solange dauern wird, wie man sich an Homer erinnert (984: … quantum Zmyrnaei durabunt vatis honores …).

Anders deutet das Gedicht Jakobi (2000), S. 117118 („Der Dichter unseres Epigramms legt seinerseits Caesar die gleichen Worte über den Ruhm ‘seines’ Epos in den Mund: Das Werk Lucans wird auch hier neben Homer gestellt. Was aber bei Lucan aus dem konkreten Handlungszusammenhang – Caesars Besuch in Troia – entwickelt wurde, wird hier zu einer zu Ungunsten Vergils ausfallenden Neubewertung des Bellum civile.“). Woran er aber genau festmacht, dass das Gedicht „zu Ungunsten Vergils“ ausfällt, bleibt undeutlich.

1.2 Fragestellung, forschungsgeschichtliche Einordnung und Methode

Eine ganz andere Frage ist es, wie Servius und die anderen Kommentatoren in der Form und in den Fragestellungen ihrer Kommentare auf das Muster der Homerphilologie zurückgreifen – auch und vor allem an Stellen, an denen nicht explizit von Homer die Rede ist. Problemaufriss und Fallbeispiele bei Farrell (2008), pass.; vgl. auch zusammenfassend Vogt-Spira (2008), S. 261: „Hervorzuheben bleibt dabei, dass der imitatio auctorum ein sekundärer Status zukommt … Gleichwohl lassen sich vielfältige Spuren der Vergil-Homer-Debatte auch in Servius’ Kommentar entdecken, und sei es, in Fällen ohne explizite Erwähnung der homerischen Vorlage, indirekt in den Legitimationsstrategien für die jeweilige vergilische Formulierung. Allerdings scheinen sich dabei keine regelmäßigen Beziehungen zu ergeben; das bedarf einer umfassenden Untersuchung, in der insbesondere auch das zusätzliche Material des Servius auctus in die Geschichte der Homer-Vergil-Debatte einzuordnen ist.“

Zu diesen beiden Begriffen vgl. auch → Kap. 1.3.1.

Zur methodischen Berechtigung vgl. auch Schmit-Neuerburg (1999), S. 1314. – Vgl. zuletzt auch Bitto (2012), der vergleichbare Zusammenhänge für Horaz und die hellenistische Pindarkommentierung nachweisen konnte.

Dass der Literaturvergleich eine gängige Praxis unter gebildeten, auch nichtprofessionellen Lesern war, zeigt der Satiriker Juvenal, der sich in 6, 434437 darüber empört, dass sich nun auch schon Frauen in ihrer Freizeit synkritisch betätigen: illa tamen grauior, quae cum discumbere coepit | laudat Vergilium, periturae ignoscit Elissae, | committit uates et comparat, inde Maronem | atque alia parte in trutina suspendit Homerum. Vgl. auch Iuv. 11, 179181, wo zwar nicht von einem synkritischen Vergleich, aber immerhin von Rezitationen (ἀκροάματα) beider Dichter – Homer und Vergil – beim Gastmahl die Rede ist (180181: conditor Iliados cantabitur atque Maronis | altisoni dubiam facientia carmina palmam). Dazu Courtney (1980), S. 512 über die Praxis von Dichterrezitationen beim Gastmahl. – Wie eine Parodie auf eine quaestio convivalis nimmt sich die Frage des Trimalchio in Petron. 55 (quid putas inter Ciceronem et Publilium interesse?) aus.

Gerade Vergil kommt in der Diskussion über die Kriterien gelungener Nachahmung eine Schlüsselstellung zu (→ Kap. 2.2.2). – Hier ist ein kurzer Ausblick in die Forschungsgeschichte zum Homer-Vergil-Komplex im 20. Jhdt. am Platz (vgl. ergänzend die Bibliographie zum Zeitraum 1520 bis 1961 bei Knauer [1964], S. 1928): Die Frage, mit welchen Konzepten das Verhältnis Vergils zu Homer – und dann allgemeiner: römischer Autoren zu ihren griechischen bzw. römischen Modellen – adäquat zu beschreiben ist, war für die latinistische Theoriebildung seit der Nachkriegszeit besonders fruchtbar. Pasqualis Konzept der arte allusiva hat Gian Biagio Conte 1974 in einer einflussreichen Studie (Memoria dei poeti e sistema letterario: Catullo, Virgilio, Ovidio; erw. engl. Übersetzung: Conte [1986]) weiterentwickelt. Das Hauptinteresse in seiner Abkehr vom herkömmlichen rhetorischen imitatio-Konzept lag darin, die Kategorie der Intentionalität – die, wie bereits erwähnt, im antiken Selbstverständnis des nachahmenden Dichters, der dem Überbietungspostulat genügen musste, gegeben war und seitens der Literaturkritik auch als solche reflektiert wurde – in der Analyse des konkreten Textes auszuschließen („intentional fallacy“). Damit schließt er an strukturalistische Überlegungen zur Intertextualität (z.B. Julia Kristeva) an, die ebenfalls den methodischen Grundsatz verfolgten, vom Autor und seinen – immer ja nur spekulativ zu erschließenden – Absichten abzusehen. Fortgeführt wurde dieser Ansatz von Alessandro Barchiesi, der sich in seiner Monographie La traccia del modello. Effetti omerici nella narrazione virgiliana (1984) in einer Reihe von Einzelstudien zur zweiten Aeneishälfte speziell mit der Präsenz Homers bei Vergil auseinandersetzte (vgl. jetzt auch die persönliche Standortbestimmung des Autors in Barchiesi [2015], S. 115131). Das homerische Modell wird hier „dynamisch“ gesehen: Vergil bildet nicht einfach homerische Szenen nach, sondern eröffnet durch übereinandergeblendete Folien Deutungsmöglichkeiten, die sich erst während des Rezeptionsprozesses interpretativ erschließen. Neuere Studien sind diesen Weg entsprechend weitergegangen; vgl. etwa Dekel (2012), der in Fortführung der Ansätze von Knauer (1964) – ohne Frage immer noch Ausgangspunkt jeder Beschäftigung mit diesem Thema – die ganze Aeneis als nach dem Modell der Odyssee konzipiert auffasst und auch in der Verwendung „iliadischer“ Szenen eine „odysseeische“ Interpretation erkennt.

Zum Begriff „Kanon“: Der Terminus wird erst seit dem ausgehenden 18. Jhdt. (David Ruhnken) im heutigen Sinne für ein bestimmtes Textkorpus verwendet; vgl. Oppel (1937), S. 47. Die moderne Kanontheorie folgt grundsätzlich entweder normativ-präskriptiven oder analytisch-deskriptiven Ansätzen. Normativ-präskriptive Kanontheorien, wie sie bis in jüngste Zeit – etwa von Harold Bloom – mit großer Vehemenz vertreten werden, argumentieren ausgehend von der „ästhetischen Qualität“ eines Textes für eine bestimmte kanonische Wertung. Diese „ästhetische Qualität“ wird anhand bestimmter Kriterien – formale Normen wie Proportionen, Gattungskonventionen etc., aber auch innere Kohärenz, Unvorhersehbarkeit des Plots, psychologische Komplexität u.a. – begründet. Normative Kanontheorie kann sich innerhalb von kontextbezogenen Modellen aber auch auf den Bildungswert, den ökonomischen Erfolg – „kanonisch ist, was gekauft wird“ –, die Idee einer Nationalliteratur und den Einfluss staatlicher Institutionen und allgemein auf Aspekte der Identität berufen. Vgl. zu den normativen Kanontheorien Freise (2013) und Starre (2013). – Dagegen ist die deskriptive Kanontheorie ein relativ junges Phänomen, das aus der bildungskritischen Bewegung der 1960er und 1970er Jahre entstanden ist und dessen primärer Ansatz darin besteht, den Kanon als Form kultureller Autorität zu hinterfragen und Kanonisierungsprozesse in ihrer Interdependenz mit Faktoren wie „Macht“ und „Gender“ zu analysieren. Versuche, ein allgemein anwendbares „Modell der Kanonbildung“ zu entwerfen, haben bislang zu keinem konsensfähigen Ergebnis geführt. Erwähnenswert sind immerhin die Ansätze von Joachim Küpper und Achim Hölter, Kanonisierung als Narration und „Form des historiographischen Diskurses“ zu verstehen (zit. nach Beilein [2013], S. 7273). Der Kanon erscheint hier als ein „sinnstiftende<r> Text, in dem, wie bei historiographischen Narrationen, durch den Akt des Aufschreibens dem Geschehenen Bedeutung zugewiesen und dieses damit erst zur ‘Geschichte’“ wird. Den einflussreichsten Beitrag zur deskriptiven Kanontheorie stellt jedoch die von Aleida und Jan Assmann entwickelte Theorie des kulturellen Gedächtnisses dar. Schrift, aber auch andere Medien der Erinnerung stellen Zugänge zur Vergangenheit bereit und stiften als Beiträger zum „kulturellen Gedächtnis“ Identität. Kanon und Kanonisierung steuern bzw. beeinflussen das kulturelle Gedächtnis, wobei die beständige Auseinandersetzung mit den „Klassikern“ in diesem Sinne als „Arbeit am kulturellen Gedächtnis“ (Assmann [2013], S. 81) zu interpretieren ist. – Die allgemeinen Entwicklungstendenzen des griechisch-römischen Schulkanons von der alexandrinischen Philologie bis zur sog. quadriga Messii – Terenz, Vergil, Cicero und Sallust als Kernautoren des römischen Schulunterrichts bis weit in die Spätantike – können in diesem Zusammenhang nicht eigens nachgezeichnet werden. Vgl. dazu die grundlegenden Beiträge von Schmidt (1987), Schmidt (1993) und Citroni (2006a), dazu Mindt (2013), S. 1216 sowie die Überblicksdarstellungen von Asper (1998), Dummer (2001), Dubielzig (2005) und zuletzt Huber-Rebenich (2013). – Unter die Ansätze einer deskriptiven Kanonbetrachtung rechnet auch der Versuch von Schmidt (1987), verschiedene Funktionen des Kanons, auch in der römischen Literatur, zu unterscheiden. Schmidt unterscheidet drei „Orientierungsfunktionen“ des Kanons: Einerseits kann die Erkenntnis, dass eine „kanonische“ Epoche unwiederbringlich abgeschlossen ist, Innovationspotential entfalten, wie von Schmidt für die alexandrinische und neoterische Literatur angenommen („Orientierungsfunktion I: kanonische Literatur als Vollendung – neue Aufgaben“). Zum anderen kann der Kanon als „bewältigbare Aufgabe“ im Sinne der römischen Klassizisten oder der augusteischen Klassiker aufgefasst werden („Orientierungsfunktion II: kanonische Literatur als Muster – μίμησις, aemulatio, imitatio“). Schließlich können im Umgang mit kanonischen Autoren die Aspekte ihrer Verbindlichkeit als Muster und ihre Unerreichbarkeit verbunden erscheinen („Orientierungsfunktion III: kanonische Literatur als unerreichte oder unerreichbare Größe – automatisierte imitatio oder antiklassische Auseinandersetzung“).

1.3.1 Der Literaturvergleich als Methode und Gattung philologischer Spezialliteratur

Vgl. ergänzend zu dieser Übersicht → Kap. 4.1.2 und → Kap. 4.1.3 über Autoren- und Textvergleiche sowie Formen der Synkrisis bei Gellius.

Belege für zwei weitere Möglichkeiten des Wortgebrauchs („aggregation, combination, condensation“ bzw. „interpretation<,> … decision“) bei LSJ s.v. σύγκρισις.

Vgl. etwa Arist. top. 102b1420 und – neben den bei Vardi (1996), S. 493 genannten Stellen – Suda s.v. Σύγκρισις = Adler ς 1301.

Vgl. jetzt Stephanos Matthaios: Art. „Disziplinäre Inhalte der antiken Philologie: φιλόλογος – κριτικός – γραμμματικός und die γραμματικὴ τέχνη“, in: HGL II = HbdA VII.2 (2014), S. 505510 (bes. S. 506 mit Anm. 17 und S. 509510).

Ähnlich die bündige Definition von „comparative criticism“ bei Vardi (1996), S. 492: „… an evaluative method based on the confrontation of two objects in order to weigh their respective qualities and rank them by merit …“

Neben der Literaturkritik begegnet der Terminus σύγκρισις vor allem als Bezeichnung (1) für ein Strukturelement des epideiktischen Schemas (Focke [1923], S. 332339) und (2) in der Geschichtsschreibung (Focke [1923], S. 348351), zumal in der biographischen Literatur, die – wie im Falle von Plutarchs βίοι-Paaren mit angehängten Vergleichungen – auch ihrer Struktur nach komparativ angelegt sein können (Focke [1923], S. 351368).

Zur semantischen Differenzierung dieser Termini bietet die Studie von Reiff (1959) immer noch die ergiebigste Materialbasis.

Vgl. die Überblicke bei Focke (1923), S. 339348 und Vardi (1996), S. 492502.

Auch der Theophrastschüler Duris von Samos (ca. 340270 v. Chr.) schrieb περὶ Εὐριπίδου καὶ Σοφοκλέους; vgl. dazu Landucci Gattinoni (1997), S. 40.

Hekataios von Abdera (4. Jhdt. v. Chr.) verglich diese beiden Dichter in seiner Schrift περὶ τῆς ποιήσεως Ὁμήρου καὶ Ἡσιόδου (Suda s.v. Ἑκαταῖος = Adler ε 359) stattdessen hinsichtlich ihrer Werke.

Vgl. zu ihm Asper (1997), S. 162 mit Anm. 136137. – Vgl. auch den Fall des Antisthenes (ca. 445365 v. Chr.): Er schrieb περὶ τῶν δικογράφων <ἢ> Ἰσογράφης καὶ Δεσίας (vgl. Diog. Laert. 6, 15 = frg. 1 Decleva Caizzi), eine Parteinahme im Streit zwischen den Anhängern des Lysias und des Isokrates, vielleicht in Form eines Dialoges, in dem die Träger der beiden im Titel verdrehten Namen auftraten.

Vgl. Maass (1958), S. 150. In einer lateinischen Quelle wird die Schrift mit dem Titel Praedicatio Homeri et Arati de mathematicis zitiert; vgl. Maass (1958), S. 143.

Dion. Hal. Pomp. 1 = VI 221, 1226, 21 Usener-Radermacher. – Der Brief ist auch ein Musterbeispiel dafür, wie sich Dionysios einen methodisch geleiteten Vergleich – in diesem Fall zwischen Historikern – vorstellte. Der Kritiker habe demnach verschiedene Gesichtpunkte zu berücksichtigen: (1) Welches ist der richtige Gegenstand? (232, 19233, 2: πρῶτόν τε καὶ σχεδὸν ἀναγκαιότατον ἔργον ἁπάντων ἐστὶ τοῖς γράφουσιν πᾶσιν ἱστορίας ὑπόθεσιν ἐκλέξασθαι καλὴν καὶ κεχαρισμένην τοῖς ἀναγνωσομένοις); (2) Womit beginnt und womit endet man? (234, 1618: Δεύτερόν ἐστι τῆς ἱστορικῆς πραγματείας ἔργον γνῶναι πόθεν τε ἄρξασθαι καὶ μέχρι τοῦ προελθεῖν δεῖ); (3) Welche Ereignisse sollen ins Werk aufgenommen werden, welche nicht? (236, 68: Τρίτον ἐστὶν ἀνδρὸς ἱστορικοῦ σκοπεῖν, τίνα τε δεῖ παραλαβεῖν ἐπὶ τὴν γραφὴν πράγματα καὶ τίνα παραλιπεῖν); (4) Welche ist die richtige Stoffanordnung? (237, 67: Μετὰ τοῦτο ἔργον ἐστὶν ἱστορικοῦ διελέσθαι τε καὶ τάξαι τῶν δηλουμένων ἕκαστον ἐν ᾧ δεῖ τόπῳ); (5) Welche Haltung äußert der Autor gegenüber seinen Gegenständen? (238, 1215: Μιᾶς δ΄ ἰδέας ἐπιμνησθήσομαι πραγματικῆς, ἣν οὐδεμιᾶς τῶν εἰρημένων ἧττον ἐν ἁπάσαις ἱστορίαις ζητοῦμεν, τὴν αὐτοῦ τοῦ συγγραφέως διάθεσιν, ᾗ κέχρηται πρὸς τὰ πράγματα περὶ ὧν γράφει).

Vgl. zusammenfassend Kytzler (1986), S. 292294.

Hier wird im Folgenden darauf verzichtet, einen vollständigen Katalog der erhaltenen Zeugnisse zu geben (vgl. dafür wieder die Zusammenstellungen bei Focke [1923], S. 339348 und Vardi [1996], S. 492502).

Plut. mor. 56 = 853a854d.

Vgl. dazu den ausführlichen Kommentar von Müller (2000), S. 240291.

Vgl. zu diesem Abschnitt → Kap. 4.3.

Vgl. Prop. 2, 34, 6566 (cedite Romani scriptorcs, cedite Grai! | nescio quid maius nascitur Iliade).

1.3.2 Dionysios von Halikarnassos über die Funktion komparativer Literaturkritik (Pomp. 1)

Auf Dionysios von Halikarnassos und insbesondere seine Konzeption der „eklektischen Mimesis“ wird in → Kap. 2.2.2 detailliert eingegangen.

Vgl. Dion. Hal. Pomp. 1 = VI 221, 3226, 21 Usener-Radermacher. Vgl. zu diesem Brief auch den Kommentar von Fornaro (1997), pass.

Vgl. dazu Hidber (1996), S. 4456, bes. 56, und Wiater (2011), S. 6577.

Dionysios spricht im betreffenden Kapitel von καταδρομή; vgl. Pomp. 1, 4 = VI 222, 1112 Usener-Radermacher.

Vgl. insbesondere Pomp. 1, 6 = VI 223, 312 Usener-Radermacher.

Dion. Hal. Pomp. 1, 12 = VI 225, 11 Usener-Radermacher.

Dion. Hal. Pomp. 1, 17 = VI 226, 1819 Usener-Radermacher.

Vgl. dazu wieder Hidber (1996), S. 4456 und Wiater (2011), S. 6577.

2.1 Die obtrectatores Vergilii in der Nachfolge der Homerkritiker (VSD 43–46)

Vgl. Peter L. Schmidt: Art. „Aelius Donatus“, in: HLL § 527 = HdA VIII.5 (1989), S. 143158, bes. 148154. – Einen umfassenden Überblick über die einzelnen Etappen im frühen Kanonisierungsprozess Vergils (bis Quintilian) gibt die Studie von Suerbaum (2011), pass. (zur Synkrisis mit Homer vgl. bes. S. 187190; zur frühen Vergilkritik [„Gegenströmungen“] S. 197198). Suerbaum weist zurecht auf das auffällige Schweigen Vergils über sein Verhältnis zu Homer hin, was sich wohl dadurch erklärt, dass sich Ennius im Proöm seiner Annales programmatisch zum alter Homerus – unter Rückgriff auf den Gedanken der Metempsychose – stilisiert hatte; vgl. dazu ausführlich Suerbaum (1968), 46113.

Das wird heute allgemein in der Forschung angenommen (vgl. zusammenfassend Peter L. Schmidt: Art. „C. Suetonius Tranquillus“, in: HLL § 404 = HdA VIII.4 [1997], S. 1453, hier S. 3133 mit weiterführender Literatur). Interpolationen, Kürzungen und Umarbeitungen durch Donatus müssen zwar als Möglichkeit in Betracht gezogen werden, doch gibt es keine Anhaltspunkte, die Authentizität des im Folgenden zu behandelnden Abschnitts §§ 4346 in Zweifel zu ziehen. Beanstandet wurde hier bislang nur der Einleitungssatz Obtrectatores … quidem (vgl. Paratore [1950], S. 271 Anm. 213 und Bayer [2002], S. 303306 zu nec mirum, nam nec Homero quidem [vgl. S. 306: „Der Satzeingang ist mit Sueton in Deckung zu bringen. Ab Nec mirum … handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Einschub, wohl Donats.“]) und die Bemerkung sed insulsissime παρῳδήσας zu den Antibucolica des Numitorius (vgl. Bayer [2002], S. 307308, bes. S. 308: „Das parodesas an der vorliegenden Stelle fällt also ganz aus dem Rahmen der Suetonischen Sprachgepflogenheit“). Sueton als Autor von §§ 4346 hätte wohl auch die versifizierte Vita des Phocas erweisen können, die nicht auf Donatus, sondern ebenfalls direkt auf Sueton zurückgeht (vgl. Schmidt a.a.O., S. 3233), doch bricht die Darstellung noch vor dem Tod Vergils überlieferungsbedingt ab. – Vgl. allgemein zu den Vergilviten den Katalog bei Suerbaum (1981), S. 11651184 sowie Brugnoli/Naumann (1990) mit älterer Literatur.

Der Passus über Vergils Testamentsbestimmungen (§§ 3742) gilt heute als größtenteils nichtsuetonisch oder zumindest stark überarbeitet (Literaturhinweise bei Brugnoli/Naumann [1990], S. 576 und Peter L. Schmidt: Art. „C. Suetonius Tranquillus“, in: HLL § 404 = HdA VIII.4 [1997], S. 1453, hier S. 33).

Im Folgenden der Text der Ausgabe von Brugnoli/Stok (1997), die den umfangreichsten Variantenapparat bietet, in der Textkonstitution jedoch an zahlreichen Stellen angreifbar ist (vgl. zur Kritik Deufert [2009], S. 115 Anm. 2). – Abschließende Bemerkungen über die Einschätzung durch die Nachwelt fügen auch die auf Sueton zurückgehenden Viten des Terenz (33, 834, 13 Reifferscheid) und Lucans (52, 24 Reifferscheid) an die Schilderung der Todesumstände an; vgl. Leo (1990), S. 1114 und die Ausführungen zur Geschichte der Disposition S. 1734. Das Interesse an dieser Thematik lässt sich aber bis in die peripatetische Literaturgeschichtsschreibung zurückverfolgen: Eine systematische Zusammenstellung von Dichtern und den jeweils zugehörigen zeitgenössischen und postumen Kritikern enthielt schon das dritte Buch der aristotelischen Schrift περὶ ποιητῶν (vgl. Diog. Laert. 2, 46 = frg. 75 Rose, wo die Kritiker von Philosophen, Dichtern und historischen Persönlichkeiten in bunter Reihe aufgezählt werden).

Brugnoli/Stok (1997), S. 40 nehmen die Form Ὁμοιοτελεύτων in ihren Text auf und berufen sich dabei auf die breite, mehr oder minder gleichlautende Überlieferung (vgl. App. z.St.). Hermann Hagen hat – indem er Reifferscheids Vorschlag homoeon elenchon verwarf – in seiner Ausgabe der Scholia Bernensia (S. 18) als erster die Konjektur Ὁμοιότητων vorgeschlagen, die – wie noch zu zeigen ist – an dieser Stelle am besten passt.

Vgl. Görler (1987), S. 810 mit weiterführenden Literaturhinweisen.

Einen breiten Überblick über die Praxis der Parodie in der Antike gibt der Sammelband von Ax/Glei (1993). – Speziell zu den Homerparodien vgl. die Zusammenstellung bei Buchheit (1968), S. 520528, sowie zuletzt die Beiträge in Acosta-Hughes u.a. (2011).

Der Name wurde von Hagen in seiner Ausgabe der Scholia Bernensia (S. 17) konjiziert; die Codices bieten ein sehr uneinheitliches Bild (Übersicht bei Görler [1987], S. 809 und im Apparat bei Brugnoli/Stok [1997], S. 38).

Zum Publikationsdatum der Bucolica vgl. zusammenfassend Perutelli (1995), S. 2831.

Eine vergleichbare Wortbildung als Titel einer polemischen Gegenschrift liegt bekanntlich bei Caesars Anticato (Suet. Iul. 56) vor; zu den griechischen Vorbildern solcher Titel vgl. Tschiedel (1981), S. 6 mit Anm. 19.

Quint. inst. 6, 3, 9697 (seu toti ut sunt … seu verbis ex parte mutatis … seu ficti notis versibus similes, quae παρῳδία dicitur).

Quint. inst. 6, 3, 96 (adiuvant urbanitatem).

Quint. inst. 9, 2, 35 (incipit esse quodam modo παρῳδή, quod nomen ductum a canticis ad aliorum similitudinem modulatis abusive etiam in versificationis ac sermonum imitatione servatur). Derartige Versuche, den Ursprung des parodischen Genres mit etymologischen Argumenten im musikalischen Bereich zu verorten, wurden bis ins 20. Jhdt. hinein unternommen; vgl. den Überblick bei Pöhlmann (1972), S. 146, Pöhlmanns eigenen Ansatz (S. 151) sowie die Kritik von Glei (1992), S. 5053. Dies tut der Richtigkeit der weiteren Begriffsgeschichte, die Pöhlmann (1972), S. 151156 rekonstruiert, keinen Abbruch.

Athen. deipn. 15, 698b699c = frg. 45 Preller = FHG 3, 128129.

Vgl. Athen. deipn. 15, 698b und 699a.

Vgl. Arist. poet. 1448a1213, wo Hegemon als <> τὰς παρῳδίας ποιήσας πρῶτος figuriert, und Körte (1912), pass.

Glei (1992), S. 5354 hat Eurip. Iph. Aul. 1147 (entstanden nach 408 v. Chr.) als erste Stelle identifiziert, wo παρῳδός im übertragenen Sinn für „spöttisch“ verwendet werden kann. In den Scholien hat der Begriff παρῳδεῖν oft eher eine technische Bedeutung: Die Aristophanesscholien geben Beispiele an die Hand, wo der Begriff ganz ohne polemische Implikationen zur Angabe einer abgewandelten Vorbildstelle gebraucht wird, vgl. Roemer (1908), S. 247. – Bsp. in den lateinischen Scholiencorpora: Don. Ter. Eun. 590 und Ps. Ascon. Verr. p. 215, 22.

Glei (1992), S. 53.

In Eretria tritt die Parodie um 340 v. Chr. als eigene Disziplin neben die alten musikalischen Darbietungen; ein vergleichbares Zeugnis ist für Delos aus dem Jahr 236 v. Chr. überliefert (Pöhlmann [1972], S. 152). Vgl. auch Athen. deipn. 699a (τούτων δὲ πρῶτος εἰσῆλθεν εἰς τοὺς ἀγῶνας τοὺς θυμελικοὺς Ἡγήμων καὶ παρ’ Ἀθηναίοις ἐνίκησεν ἄλλαις τε παρῳδίαις καὶ τῇ Γιγαντομαχίᾳ [„An Theateraufführungen beteiligte sich als erster von diesen Hegemon. Er trug bei den Athenern mit der ‘Gigantenschlacht’ und anderen Parodien Siege davon“ ÜS Claus Friedrich]).

Vgl. Pöhlmann (1972), S. 152. In poet. 1448a1114 trennt Aristoteles drei Kategorien der Mimesis voneinander ab und gibt dafür Beispiele aus der epischen Dichtung.

Vgl. Athen. deipn. 15, 699a.

Δείλιας („Epos von der Furcht“) in Anlehnung an den Titel der Ilias.

Vgl. Pöhlmann (1972), S. 153 und Athen. deipn. 14, 638b = Aristoxenos frg. 136 Wehrli, wo Oinopas als πρῶτος εὑρετής der parodischen Kitharodie genannt wird.

TrGF 101.

Athen. deipn. 699c: „Er schilderte aber – | nutzend homerischen Glanz, wie er die Epen verziert – | Flickschuster oder das schamlose Diebesvolk oder auch Räuber, | über und über bedeckt mit der Gemeinheit der Welt.“ (ÜS Claus Friedrich)

So richtig bemerkt von Pöhlmann (1972), S. 155.

Vgl. zusammenfassend zur Technik der Parodie Glei (1992), S. 54: „Die Parodie repliziert auf einen vorgegebenen Text, die Rhapsodie bzw. das homerische Epos, und verfremdet ihn, indem sie statt der heroischen Charaktere banale verwendet und so, durch formale und stilistische Brüche unterstützt, eine komische Wirkung erzeugt.“

Neben der von Quint. inst. 6, 3, 96 erwähnten urbanitas ist hier noch auf Polemons Feststellung zu verweisen, der als Besonderheit des parodischen Genres die Möglichkeit zur doppeldeutigen Rede hervorhebt und den Paroden damit unter Umständen sogar den Vorrang vor den Musterautoren zubilligt; vgl. Athen. deipn. 698b: … διὰ τὸ παίζειν ἀμφιδεξίως καὶ τῶν προγενεστέρων ποιητῶν ὑπερέχειν ἐπιγεγονότας („… weil sie so genial mit dem Doppelsinn umgingen; sie übertrafen die Dichter vor ihnen, obwohl sie erst später auftraten“ ÜS Claus Friedrich).

Zu den Vergilparodien allgemein vgl. die Zusammenstellung bei Senis (1987), pass.

Vgl. Scarcia (1969), pass. Die später weit verbreitete Allegorese der vergilischen Hirtennamen als Chiffren für Zeitgenossen des Dichters kann sich bekanntlich schon auf den Dichter selbst berufen (ecl. 5, 8587 und Ziolkowski/Putnam [2008], S. 3; vgl. zu dieser Stelle auch Della Corte [1985], pass.). – Alfred Housman, der das überlieferte tegmine gegen Gronovius (tegmina) verteidigt, schlägt vor, den Vers als eigenständigen Satz zu lesen und tegmine fagi als Zitat zu verstehen; vgl. die Paraphrase in Housman (1935), S. 167 „what point has the phrase tegmine fagi?“ Dagegen ist einzuwenden, dass sich der Vorwurf ja gegen den Ausdruck des Meliboeus bei Vergil richtet und daher in einer Anrede an Tityrus unpassend erscheint. Allenfalls müsste man paraphrasieren: „Tityrus, wenn du schon eine warme Toga hast, warum spricht Meliboeus dann von tegmine fagi?“ Ich bleibe aber bei der von Scarcia vorgeschlagenen Ergänzung mit ecl. 1, 2 (Scarcia [1969], S. 181182).

Scarcia (1969), S. 180 erkennt auch darin einen Angriff auf die rusticitas Vergils (d.h. seine soziale Herkunft); es steht aber wohl der stilkritische Aspekt im Vordergrund. – Die Kritik richtet sich gegen den Gebrauch von cuium, der zu Vergils Zeit unüblich geworden war: Cuius dekliniert hier wie ein Adjektiv der ersten und zweiten Deklination (cuius, -a, -um). Im Altlateinischen begegnet diese morphologische Besonderheit häufiger (vgl. etwa Cato agr. 139; Pl. Curc. 111; Ter. Eun. 321), spätestens seit ciceronischer Zeit vermeidet man die Formen allerdings. Die letzten Beispiele stammen von Cicero und datieren in die siebziger Jahre des 1. Jhdt. v. Chr.: Verr. 2, 1, 142 (cuia res sit, cuium periculum); 2, 2, 127; 2, 3, 16; 2, 3, 68 und frg. 9 p. 443 Or. Vgl. Wackernagel (1957), S. 8182. Ob es sich dabei um eine besonders „ländliche“ Ausdrucksweise oder um einen Archaismus handelt, lässt sich nicht mit völliger Sicherheit sagen. Jedenfalls weicht der Ausdruck von der seitens des Rezipienten erwartbaren Sprachnorm ab. Daher muss sich Damoetas die Frage gefallen lassen, ob es sich denn überhaupt um eine lateinische Form handle (anne Latinum?). Numitorius greift hier für seine parodistischen Zwecke auf die seit späthellenistischer Zeit in der Rhetorik und Grammatik ausgebildete Lehre von der Sprachrichtigkeit zurück und wirft Vergil einen βαρβαρισμός vor. Der Sprecher der ersten Gedichtzeile (anders Kraggerud [2006], S. 86, der den Dialogcharakter bei Numitorius aufgegeben sieht) fragt also nach dem Verhältnis der von Damoetas gebildeten Form cuium zu der als normative Größe begriffenen korrekten lateinischen Sprache. Damoetas gesteht seine sprachliche Schwäche ein und beruft sich spielerisch auf gängige Kriterien der latinitas (vgl. Quint. inst. 1, 6, 1: sermo constat ratione vetustate auctoritate consuetudine), nämlich auf die auctoritas des Aegon und auf die consuetudo der Landbevölkerung – ein Kriterium, das Quintilian als die certissima loquendi magistra bezeichnete (Quint. inst. 1, 6, 4445).

Das Verfahren der spontanen Improvisation eines vorgegebenen Halbverses erfolgt hier wie in Plin. 6, 15, 2 beschrieben (ähnlich Serv. ad georg. 1, 299 = III.1 197, 1819 Thilo-Hagen: sane quidam post hoc hemistichium dicitur subsecutus ‘habebis frigore febres’). – Es liegt eine (bewusste?) Verkennung von Vergils poetischer Intention vor: Der Lehrdichter fordert in georg. 1, 299 vom Bauern körperlichen Einsatz bei der Landarbeit. Der Kritiker vernachlässigt, dass es sich um eine sommerliche Szenerie handelt, die im Kontrast zur Untätigkeit im Winter steht (vgl. Erren [2003], S. 174175 zu georg. 1, 297310). Die Aufforderung, nackt zu arbeiten, wird – wohl vor dem Hintergrund der römischen Badesitten (Cic. off. 1, 129) – mit dem Hinweis zurückgewiesen, man könnte sich auf diese Weise eine Erkältung zuziehen. Wie sich schon bei der ersten Parodie des Numitorius gezeigt hat, spielen für diese Art von Kritik, die sich vor allem auf lebensweltliche Einwände bezieht, Vergils poetische Vorbilder keine Rolle (der Vers ist gestaltet nach Hes. op. 391392: γυμνὸν σπείρειν, γυμνὸν δὲ βοωτεῖν, | γυμνὸν δ’ ἀμάειν [„nackt sollst du säen und nackt den Boden bepflügen, | nackt auch mähen“ ÜS von Schirnding]).

Vgl. die von Seelentag (2012), S. 1011 zusammengestellten Zeugnisse. – Dieter Güntzschels Datierung des Culex in tiberische Zeit wird heute in der Forschung gemeinhin akzeptiert, vgl. zuletzt Seelentag (2012), S. 917.

Glei (1992), S. 4950. Vgl. die bei Allen V (1912), S. 152159 versammelten Testimonien und Pfeiffer (1978), S. 99100 zum Kanon der für authentisch gehaltenen Werke Homers.

Vgl. die beiden nebeneinandergestellten Gedichtpaare Mart. 14, 183/184 (Homeri Batrachomachia und Homerus in pugillaribus membraneis) und 185/186 (Vergili Culex und Vergilius in membranis); Stat. silv. praef. 5 (sed et Culicem legimus et Batrachomyomachiam [codd. Batrachomachiam] etiam agnoscimus; nec quisquam est illustrium poetarum qui non aliquid operibus suis stilo remissiore praeluserit) sowie aus späterer Zeit Fulg. myth. = S. 78 Helm (quod cecinit pastorali | Maro silva Mantuae, | quod Meonius ranarum | cachinavit proelio). – Zur Frage der Authentizität der Batrachomyomachie vgl. die Testimonien bei Allen V (1912), S. 163164.

Name und Titel der Schrift wurden nachträglich wiederhergestellt (vgl. den App. bei Brugnoli/Stok [1997], S. 39). Bowra (1933/34), S. 10 vertrat noch die Ansicht, dass die Schrift Aeneomastix überschrieben war und ethische Kritik am Titelhelden im Zentrum stand, doch widerspricht dem der erläuternde Zusatz adversus Aeneida liber, den die VSD gibt (so auch Görler [1987], S. 810811).

Vgl. zum Folgenden bes. Friedländer (1895), pass. und Gärtner (1978), pass. – Übrigens ist wohl auch der Einfall des Asconius Pedianus, eine Verteidigungsschrift gegen die obtrectatores Vergilii zu verfassen, von einem Umstand der Zoilosrezeption angeregt worden: Die biographische Überlieferung zu Arat berichtet, dass der Bruder des Dichters, Athenodoros, als Erwiderung gegen Zoilos eine Apologie Homers verfasst habe (146, 1113 Maass). An anderer Stelle wird Athenodoros sogar als erster von mehreren Homerverteidigern genannt (325, 1417 Maass; über diese Schriften ist allerdings nichts Näheres überliefert).

Vgl. frg. 142179 Rose und Hintenlang (1961), pass.

Vgl. das Résumé bei Gärtner (1978), Sp. 1552, 621553, 11.

Ps.-Long. de subl. 9, 14 = frg. 7 Friedländer = FGrHist 71 frg. 3. – Zu den notorischen Datierungsproblemen dieser Schrift vgl. zuletzt Mazzucchi (22010), S. 2937, der ebenfalls auf eine Abfassung in augusteischer Zeit kommt.

Dion. Hal. Is. 20 (= V 123, 24 Usener-Radermacher) = frg. 3 Friedländer und Pomp. 1, 4 (= VI 222, 12 Usener-Radermacher) = frg. 4 Friedländer.

Übersicht bei Gärtner (1978), Sp. 1553, 3254.

Ov. rem. 365366 = frg. 9 Friedländer. – Der Aspekt des livor, der übelwollenden Kritik, kommt auch in der berühmten Anekdote zum Tragen, die Vitruv in die Praefatio zum siebten Buch von De architectura aufnahm (= Vitr. 7 praef. 89 = frg. 1 Friedländer = FGrHist 71 test. 3). Hier wird betont, dass Zoilos Homer in seinen Schriften Unrecht tue, weil sich der Angeklagte ja nicht mehr wehren könne. Damit ist wohl tatsächlich ein wichtiger Punkt getroffen, der Zoilos’ Schrift von der προβλήματα-Literatur eines Aristoteles und seiner alexandrinischen Nachfolger unterschied. Aristoteles bemühte sich um die Lösung von schwierigen Stellen, während sich Zoilos – zumindest aus späterer Perspektive stellte es sich so dar – auf die Identifikation der problematischen loci beschränkte. Vitruv unterstellt Zoilos in 7 praef. 10, dass er Homer nur aus Ruhmsucht getadelt habe (neque ullius cogitata vituperans institui ex eo me adprobare).

Vgl. zusammenfassend Syme (1978), S. 813.

Gärtner (1978), Sp. 1544, 501548, 11 unterteilt die inkriminierten Passagen, die wir noch sicher mit Zoilos’ Namen in Verbindung bringen können, in (1) diejenigen, wo gegen das πρεπόν epischer Darstellung bes. in der Charakterzeichnung verstoßen wird, ferner nennt er als Gegenstand der Schrift (2) Fehler hinsichtlich Handlungslogik, Naturgesetzen, Plausibilität etc. sowie (3) Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit.

Ein Vergleich mit der bei Gell. 17, 1, 1 bezeugten Schrift Ciceromastix eines Larcius Licinus kann hier stützend hinzugezogen werden: Cicero wurden in dieser Schrift nicht nur i.e.S. Verstöße gegen die Maßstäbe der Rhetorik vorgeworfen (inproprie atque inconsiderate locutum), sondern man machte ihm auch moralische Vorhaltungen (parum integre … locutum). – Ebenfalls im Titel einer Schrift erscheint die Bildung mit -mastix im 13. Gedicht von Ausonius’ Technopaegnion (Auson. 349: Grammaticomastix). Vgl. auch den bei Diog. Laert. 2, 64 ῥητορομάστιξ genannten Aeschines aus Mytilene.

So auch Geisler (1969), S. 353 z.St.

Zu livor bzw. invidia für die Missgunst der Kritiker vgl. die von Wimmel (1960), S. 302 Anm. 1 aus den apologetischen Stellungnahmen der augusteischen Dichter zitierten Stellen.

Varro hatte die Form ζητήματα-λύσεις bzw. quaestiones-solutiones in seinen fünf Büchern mit quaestiones Plautinae aufgegriffen; vgl. Deufert (2002), S. 107 mit weiterer Lit. in Anm. 296.

Schol. ad Eur. Rhes. 508 gibt den Titel der Schrift (περὶ τῶν παρὰ τοῖς τραγικοῖς ἡμαρτημένων); vgl. Cohn (1903), pass. und Bagordo (1998), S. 4950.

Vgl. die Sammlung der Zeugnisse (Ptolemaios von Askalon, Philoxenos, Tryphon, Seleukos, Eirenaios, Antonius Gniphos, Varro, Caesar, Pansa, Caper, Plinius d.Ä., Quintilian) bei Siebenborn (1976), S. 3335.

Der Terminus vitium (ἁμάρτημα) ist ein eingebürgerter Gegenbegriff zu virtus dicendi (vgl. z.B. Quint. inst. 1, 5, 1: oratio tris habeat virtutes … totidem vitia). Vgl. auch Brink II (1971), S. 115.

Die Grammatiker unterschieden hinsichtlich der Sprachrichtigkeit (latinitas) drei Fehlerkategorien (vgl. Siebenborn [1976], S. 3536 und zusammenfassend Uhl [1998], S. 3336): Fehler hinsichtlich der sprachlichen Form (Orthographie, Aussprache, Prosodie, Flexion) eines Einzelwortes (barbarismus, βαρβαρισμός; vgl. Siebenborn [1976], S. 3648), Fehler hinsichtlich der syntaktischen Form einer Wortgruppe bzw. der idiomatischen Korrektheit (soloecismus, σολοικισμός; vgl. Siebenborn [1976], S. 5052) und Fehler hinsichtlich der genauen Wortbedeutung/proprietas (ἀκυρολογία; vgl. Siebenborn [1976], S. 4850).

Vgl. auch die Zusammenstellung des kritischen Vokabulars bei Uhl (1998), S. 112.

Belege bei Siebenborn (1976), S. 2729.

Siebenborn (1976), S. 1516 zu Protagoras: „Unter ὀρθοέπεια versteht Protagoras also das richtige Sprechen gemäß der Forderung nach Übereinstimmung von sachlichen und grammatischen Kategorien.“

Siebenborn (1976), S. 1720.

Vgl. Gärtner (1978), Sp. 1547, 391548, 11 (bes. den vermeintlichen Solözismus in Il. 1, 128129).

2.2.1 Philologische Spezialschriften περὶ κλοπῆς

Zwar nennt Athen. deipn. 4, 170e und 15, 690e zwei Werke gleichen Titels, doch führt dies in unserem Zusammenhang nicht weiter: Bei den Ὁμοιότητες des mauretanischen Königs Juba (FGrHist 275 frg. 14; PIR I 65) handelte es sich, wie aus dem a.a.O. besprochenen ζήτημα hervorgeht, um ein kulturvergleichendes Sammelwerk (vgl. Jacoby [1916], Sp. 2394, 668). Ähnliches gilt für den Inhalt der Schrift, die Sosibios (FGrHist 595 frg. 9) unter dem Titel Ὁμοιότητες verfasst hat.

Zum antiken Plagiatsbegriff sei hier allgemein auf die Studie von Stemplinger (1990) und den RE-Artikel von Ziegler (1950) verwiesen. Zur griechischen Plagiatsliteratur vgl. Roscalla (2006), pass.; zu den rechtlichen Aspekten des römischen Konzepts von „Urheberschaft“ Schickert (2005), pass. – Wichtige Gesichtspunkte zum antiken, speziell römischen Plagiatsverständnis enthält McGill (2012