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Harald Braem

Auf den Spuren der
Ureinwohner

Ein archäologischer Reiseführer
für die Kanaren



Zech Verlag

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Textgrundlage dieses E-Books ist die mit dem gleichnamigen Titel im Zech Verlag (Teneriffa 2017) erschienene Taschenbuchauflage, erstmals veröffentlicht im E-Pub-Format im Januar 2018. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, auch einzelner Teile, ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, öffentlichen Vortrag, Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen, z.B. über das Internet.

Alle Rechte vorbehalten · All rights reserved

© 2018 Verlag Verena Zech, Santa Úrsula (Teneriffa)
Text, Fotos und Karten: Harald Braem
Illustrationen: Alfredo Elsner
Umschlaggestaltung: Claudia Neeb
Umschlagfotos: Ferdinand Merkens, Tullio Gatti

ISBN 978-84-934857-3-3
eISBN 978-84-943429-8-1 (epub)
Konvertierung: Bookwire 

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Danksagung

Mein Dank gilt besonders Ramón Rodríguez Martín, José Padrón Machín, Vicente Araña, Ramón El Cabrero, Ezequiel José Sosa País, Ramón Barreto, Prof. Herbert Nowak, Rüdiger Steuer, Dr. Thor Heyerdahl, Alfredo Elsner, H. J. Hüneke, Marion Dierksen, Sylvia Lischer, Rainer Fischer, den alten Hirten der Inseln, meiner Frau Sylvia Catharina Hess sowie allen Freunden und Helfern bei dieser Arbeit.

Inhalt

Die Guanchen: Tausend Fragen und keine richtige Antwort?

Rätselhafte blonde Steinzeitmenschen

Frühe Berichte

Wer waren und woher kamen sie?

1. Der Atlantismythos

2. Die Inselberber (Weißafrikatheorie)

3. Die portugiesische Muschelsammlertheorie

4. Die Nordwesteuropatheorie

5. Die Amerikatheorie

6. Die atlantische Westkulturtheorie

Wie erreichten sie die Inseln?

So lebten die Altkanarier

Behausungen

Haustiere und Ernährung

Kleidung und Schmuck

Werkzeug und Hausrat

Waffen und Kriegsführung

Sport, Gesang und Tanz

Soziale Ordnung

Politische Organisation

Stellung der Frau

Medizin

Bestattungen und Mumifizierung

Religion

Sprache

Felsbilder und Schrift

Die Eroberung der Inseln

Terra X entdeckt die Inseln neu

Pyramiden

Neue Entdeckungen geben neue Rätsel auf

Praktische Tipps für Anreise und Orientierung vor Ort

Kanarische Spurensicherung

La Palma

El Hierro

La Gomera

Teneriffa

Gran Canaria

Fuerteventura

Lanzarote

Kleines Guanchenlexikon

Chronik

Anmerkungen

Glossar

Literaturverzeichnis

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Die Guanchen: Tausend Fragen und keine richtige Antwort?

Wer zum Urlaub auf die Kanarischen Inseln kommt, trifft allerorten auf Guanchen: In Zeitungen, Büchern, Magazinen, Museen, Denkmälern, auf Reklameschildern und manchmal sogar direkt auf der Straße… Und was man dabei erfährt, verwirrt oft mehr als wirklich aufzuklären. Zu widersprüchlich sind die Aussagen der Wissenschaftler, Politiker und Medienvertreter. Mal heißt es, die Kanaren seien bereits vor etwa 18.000 Jahren besiedelt worden, dann vor 5000 Jahren, dann wieder erst um 500 v. Chr. oder noch später durch entflohene römische Galeerensklaven, die kein Zeugnis ablegen konnten, weil man ihnen die Zungen herausgeschnitten hatte. Oder die ersten Siedler waren Berber oder Wikinger oder Azteken oder sogar Überlebende von Atlantis. Und dann existieren da noch diese eigenartigen Pyramiden auf Teneriffa und La Palma…

Kurzum: Es ist nicht einfach, bei all diesen Theorien und Spekulationen noch durchzublicken und sich eine einigermaßen objektive Übersicht zum Thema zu verschaffen. Aus genau diesem Grund habe ich das vorliegende Buch geschrieben.

Ich forsche seit mehr als 30 Jahren auf den Kanaren und lebe inzwischen gut die Hälfte des Jahres dort. Aufgrund früherer Studienreisen nach Nordafrika, Europa und Asien sowie meiner langjährigen Tätigkeit als Direktor eines Instituts für interdisziplinäre Kulturforschung und Kurator eines Welterbe-Museums stehe ich im Austausch mit Wissenschaftlern aus aller Welt. So können Vergleiche angestellt werden, die mitunter zu überraschenden Ergebnissen führen.

Bei aller gebotenen wissenschaftlichen Sorgfalt lege ich Wert auf einfache, verständliche Sprache und eine strukturierte Betrachtungsweise. Es soll ja keine Arbeit sein, das Buch zu lesen, sondern Vergnügen bereiten, Wissen vermitteln und praktische Tipps geben.

Rätselhafte blonde Steinzeitmenschen

Sie kamen über das Meer und gründeten Königreiche auf den »glücklichen Inseln« – die rätselhaften, sagenumwobenen Ureinwohner der Kanarischen Inseln. Hünenhaft, blond und blauäugig waren sie, wildbärtig die Männer und von großer Schönheit die Frauen, und obgleich sie beim Eintreffen der spanischen Eroberer im 15. Jahrhundert noch auf Steinzeitniveau lebten, besaßen sie ausgeprägte Moralvorstellungen und eine Religion, die unsere heutige Generation nachdenklich stimmen kann…

Wer waren sie, woher kamen sie, wie gestaltete sich ihr Leben auf den vom Klima verwöhnten Inseln? Kannten sie die Schifffahrt, fuhren sie in dunkler Frühzeit bis nach Amerika oder bekamen sie von dort regelmäßig Besuch? Stammen sie von den Ägyptern, Phöniziern, Karthagern ab oder sind sie etwa deren Urahnen? Sind die Kanarischen Inseln am Ende gar Überreste des sagenhaften Atlantis, das versunken auf dem Grund des Meeres liegen soll?

Diese und andere Fragen will das Buch zu klären versuchen. Die Spurensicherung stützt sich dabei auf verlässliche Quellen und Chroniken, auf Berichte aus verschwundenen und wiederentdeckten Handschriften von Augenzeugen ebenso wie auf experimentelle Archäologie und konkrete Funde, die man an zahlreichen Plätzen der Inseln besichtigen kann. Karten, Illustrationen und Fotos ergänzen die Untersuchung, die zwar umfassend ist, aber dennoch unvollständig bleiben muss, denn noch immer, beinahe täglich, werden neue, ungewöhnliche Entdeckungen gemacht: Da findet ein italienischer Taucher überraschenderweise gut erhaltene olmekische Plastiken im seichten Küstengewässer von Fuerteventura, und die Fachwelt rätselt… Da stößt man auf Menhire, Steinkreise und wohlpräparierte Mumien, werden seltsame Felsbilder und Schriftzeichen entdeckt, wie es sie sonst nur in Irland, in der Bretagne und … in Südamerika gibt.

Dieses Buch richtet sich daher nicht an den normalen Sonnenurlauber, sondern an alle, die das Staunen noch nicht ganz verlernt haben, an den kunsthistorisch, archäologisch, ethno- und anthropologisch Interessierten, an den Individualtouristen, der weiß, dass er mit den Kanaren nicht irgendwelche Inseln besucht, sondern vielmehr die Wiege einer rätselhaften verschwundenen Westkultur, ein Freilichtmuseum der Steinzeit, eine uralte Lebensweise, die in gewissen Restbeständen und in abgelegenen Winkeln heute noch immer existiert.

Frühe Berichte

Die Geschichte hat den Kanarischen Inseln viele Namen gegeben: Elysische Gefilde, Inseln der Seligen, Atlantis, Fortunatae, Purpur-Inseln und Gärten der Hesperiden. Griechen und Römer, Karthager und Ägypter, Phönizier und Araber berichteten über sie, und diese – teilweise ins Mystische übersteigerten – Beschreibungen lockten in der Folge andere seefahrende Völker an: Normannen, Genueser, Portugiesen, Spanier und Mallorquiner. Sie alle wollten die von Klima und Fruchtbarkeit gesegneten Inseln besitzen und stritten sich um die von ihnen mit Waffengewalt gegen die Ureinwohner erzwungenen Ansprüche und Rechte. Wie die Seeräuber aus England, Frankreich, Holland und Mauretanien, deren Begehr Schätze waren und Sklaven, die plündernd die »glücklichen« Inseln heimsuchten und ihre Küsten in Schrecken versetzten. Jean de Bethencourt und Le Clerc waren hier, Captain Cook, Sir Francis Drake, Nelson, John Hawkins und Blake, und hier probten die spanischen Konquistadoren die planmäßige Unterwerfung Mittel- und Südamerikas, von hier aus startete Kolumbus zur Eroberung der Neuen Welt…

Der wohl bekannteste Bericht stammt von Platon, dem großen griechischen Philosophen, der sein Wissen von weisen ägyptischen Priestern bezog. Seine Schilderung ist so eigenartig und dennoch verblüffend detailgetreu (er kannte bereits Amerika), dass sie auszugsweise in dieses Buch aufgenommen wurde.

Wie aber kommen die Kanarischen Inseln eigentlich zu ihrem noch heute gebräuchlichen Namen? Auch darüber liegen uns nur widersprüchliche Aussagen vor. Von »canere« (lat.=singen) behaupten die einen und verweisen auf den »Canario«, den Kanarienvogel, der mit seinem Gesang Pate bei der Namensgebung gestanden haben soll. Andere halten die Benennung für ein bloßes Lehnwort – zu Zeiten von Ptolemäus und Plinius soll es an der gegenüberliegenden marokkanischen Küste ein »Cabo Caunaria« (in dem das heutige Cap Bojador vermutet wird) gegeben haben. Die wohl wahrscheinlichste Theorie geht von der Bezeichnung der Hauptinsel Gran Canaria aus, die ihren Namen erhalten haben soll, weil es auf ihr angeblich von großen Hunden nur so wimmelte. Nun, es gab dort bestimmt viele Hunde (die allerdings, wie Skelettfunde beweisen, bei weitem nicht so schrecklich groß wie behauptet waren), und es gibt sie immer noch reichlich. Der Name »Hundeinseln« (vom lat. »canis« = Hunde abgeleitet) weist aber nicht bloß auf eine Besonderheit der Fauna hin, sondern viel weiter in Religion und Mystik der alten Völker zurück: Hunde waren schon immer die frühesten und treuesten Begleiter der Menschen. Mehr noch, sie galten als Boten und Wächter des Totenreichs – jener weit im Westen liegenden Inseln der Seligen, den Inseln der ewigen Jugend und des ewigen Lebens. Seltsamerweise ist dieser Glaube bei allen Hochkulturen der Alten Welt verbreitet gewesen. Ob das wieder einmal ein Hinweis auf das versunkene Atlantis ist, auf dem der Mensch der Sage nach lernte, die ersten Tiere zu domestizieren?

Wir wissen es nicht, auch dies ist ein ungelöstes Rätsel. Uns bleibt nur die Möglichkeit, staunend auf den eindrucksvollen Spuren der kanarischen Ureinwohner zu wandern – und die Chance, etwas dabei über uns selbst, unsere eigene Frühgeschichte als Mensch zu erfahren…

Wer waren und woher kamen sie?

Darüber streiten sich die Wissenschaftler noch heftig. Neben allen phantastischen Spekulationen haben sich heute vor allem einige Theorien herauskristallisiert, die nachfolgend vorgestellt werden sollen. Es sind dies:

1. der Atlantismythos

2. die Inselberbertheorie

3. die portugiesische Muschelsammlertheorie

4. die Nordwesteuropatheorie

5. die Amerikatheorie

6. die atlantische Westkulturtheorie

Beginnen wir zunächst mit dem Atlantismythos. Er muss, weil am weitesten zurückreichend, am Beginn unserer Betrachtungen stehen. Es wäre unseriös, ihn zu verleugnen, solange der Wahrheitsgehalt nicht wissenschaftlich einwandfrei widerlegt ist.

1. Der Atlantismythos

Solange es Menschen gibt, beschäftigen sie sich mit der Frage nach dem Ursprung ihrer Art. Die wohl faszinierendste Antwort gibt darauf die Atlantissage – man könnte sie als die Menschheitssage schlechthin bezeichnen. Schätzungsweise rund 25.000 Bücher sind bisher über Atlantis erschienen, wovon die des griechischen Philosophen Platon (Kritias und Timaios), des Anthroposophen Rudolf Steiner (Atlantis und Lemuria) und des amerikanischen Schriftstellers und Politikers Donelly (Die vorsintflutliche Welt) die bekanntesten sind. Aber auch Homer und Solon von Athen, Krantor, Diodorus Siculus, Strabon, Plinius, Euripides, Seneca und Horaz berichten von Atlantis, die Ägypter und Chinesen, die Hopi-Indianer Nordamerikas, die Stämme der Südsee und des alten Tibet. Rund fünfzig Völker der Erde bewahren Berichte über Atlantis bzw. die Sintflut in ihrem Mythenschatz.

Platon setzt den Untergang der riesigen Insel im Atlantik auf das Jahr 9600 v. Chr. Er schreibt unter anderem:

»Aber einer der Priester (gemeint sind ägyptische Priester, die Solon besuchte und über die Antike befragte), der ein sehr hohes Alter hatte, sprach: Solon, ihr Griechen werdet immer Kinder bleiben. Ein Grieche ist niemals alt! Auf diese Worte erwiderte Solon: Was wollt ihr damit sagen? Und der Priester antwortete: Ihr seid alle so jung, weil euch nur die Seele beschäftigt. Und in ihr werdet ihr keine alte Meinung finden, die von antiker Überlieferung herrührt, und keine Wissenschaft, die die Zeit überdauert hat.

Und hier ist der Grund dafür: Die Menschen sind zerstört worden, und das wird erneut und auf verschiedene Arten geschehen. Die schwersten Zerstörungen ereigneten sich durch Feuer und Wasser. Aber es gab auch geringere auf viele andere Arten. Auch erzählt man sich bei euch, dass Faeton, der Sohn Helios, einmal den Wagen seines Vaters ins Joch spannte, aber unfähig war, ihn auf dem Weg des Vaters zu führen und so die ganze Erde in Brand setzte und selbst, vom Blitz verwundet, starb, dieses erzählt man als Legende.

Hier ist die Wahrheit: Von Zeit zu Zeit kommt es zu einer Abweichung der Körper, die im Himmel um die Erde kreisen. Und manchmal, in langen Zeitabständen, stirbt alles auf der Erde wegen des vielen Feuers. Dann sterben alle, die auf den Bergen leben oder in erhöhten und trockenen Gegenden, während diejenigen, die an Flüssen oder Meeren wohnen, überleben. Aber uns bewahrt unter solchen Umständen der Nil, indem er über die Ufer tritt. Jedoch bei anderen Gelegenheiten, wenn die Götter die Erde durch Wasser reinigen wollen und sie überschwemmen, können sich nur die Hirten in den Bergen retten, die Bewohner unserer Städte werden von den Flüssen ins Meer gespült. In diesem Land sind die Wasser niemals von den Höhen zu den Niederungen geflossen, sondern immer stiegen sie unterirdisch empor. Und daher sagt man, dass hier die ältesten Überlieferungen erhalten sind. Aber in Wirklichkeit gibt es an allen Orten, wo weder exzessive Kälte noch brennende Hitze herrscht, die sie vertreibt, eine mehr oder weniger zahlreiche Menschenrasse. Und so, sei es in eurem Land, in diesem oder in irgendeinem anderen, von dem wir gehört haben, wo etwas Schönes, Großes und Erwähnenswertes geschaffen wurde, ist alles seit den frühesten Zeiten aufgeschrieben worden, und zwar in den Tempeln, und die Erinnerungen sind bewahrt worden. Aber immer, wenn bei euch oder anderen Völkern die Organisation in der Schrift und allen anderen notwendigen Staatsdingen voranschreitet, fallen in regelmäßigen Abständen, wie eine Krankheit, die Wellen des Himmels über euch hernieder, und so überleben nur die Analphabeten und Unwissenden. So werdet ihr aufs neue jung, ohne zu wissen, was in vergangenen Zeiten hier und bei euch geschah. Diese Abstammungsgeschichten, Solon, die du vor kurzem erwähntest, oder zumindest das, was du gerade über die Ereignisse in eurem Land berichtet hast, unterscheiden sich nur wenig von Kindermärchen. Und vor allem gibt es in eurer Erinnerung nur eine Eiszeit, aber es hat viele vorher gegeben.«

Nach dieser erklärenden Einführung folgt die genaue Beschreibung von Atlantis. Bei Platon heißt es wörtlich:

»… in jener Zeit konnte man das Meer überqueren (!). Vor jener Enge, die ihr die ›Säulen des Herakles‹ nennt, gab es eine Insel. Diese Insel war größer als Libyen und Asien zusammen. Und die Reisenden jener Zeit konnten von dieser Insel zu den anderen und so zum Kontinent (Amerika!) auf der anderen Seite dieses Meeres gelangen, das wirklich seinen Namen verdiente. Denn auf der einen Seite dieser Enge, von der wir sprechen (Gibraltar), gab es anscheinend nur eine Reede mit engem Zugang, während auf der anderen Seite, nach außen hin, das wirkliche Meer lag, und das Land, das es umschließt, kann wirklich Kontinent genannt werden. Außerdem reichten auf unserer Seite Libyen bis nach Ägypten und Europa bis Tyrrhenien… Aber es folgten furchterregende Erdstöße und Katastrophen. In einem furchtbaren Tag und einer furchtbaren Nacht wurde euer gesamtes Heer mit einem Schlag von der Erde verschluckt, und damals versank auch Atlantis im Meer und verschwand. Und hier liegt der Grund dafür, warum dieses Meer auch heute schwer schiffbar und nicht zu erforschen ist, denn beim Versinken hat die Insel als Hindernis mangelnde Tiefe hinterlassen…

Die einzigen Überlebenden waren die Bewohner der Berge, die die Kunst des Schreibens nicht beherrschten. Sie und viele Generationen ihrer Abkömmlinge verfügten nicht über die normalen Bequemlichkeiten des Lebens und mussten ihre Anstrengungen und ihre Intelligenz der Befriedigung ihrer primären Bedürfnisse widmen. Es ist nicht verwunderlich, dass sie die Ereignisse in der Antike vergaßen. So erklärt sich, warum uns nur die Namen unserer frühesten Vorfahren bekannt sind, während ihre Taten vergessen wurden…«

Daraus (und aus ähnlichen Berichten) leitet Donelly folgende Thesen ab:

1. Vor jener Zeit bestand in der Mitte des Atlantiks, gegenüber dem Zugang zum Mittelmeer (jenseits der Heraklessäulen), der Rest eines atlantischen Erdteils, der in der antiken Welt unter dem Namen Atlantis bekannt war.

2. Platons Beschreibung dieser Insel ist nicht, wie lange geglaubt wurde, eine Phantasiegeschichte, sondern wahre prähistorische Geschichte.

3. Atlantis war das Land, in dem sich der Mensch erstmals von der Barbarei zur Zivilisation entwickelte.

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Atlantis im Atlantik (Phantasiezeichnung)

4. Die Bevölkerung von Atlantis entwickelte sich im Laufe der Jahrtausende zu einer mächtigen Nation, deren überschüssige Bevölkerung die Küsten des Golfs von Mexiko, des Amazonas und Mississippi, des Pazifiks in Südamerika, des Mittelmeeres, die Küsten Westeuropas, Westafrikas, der Ostsee, des Schwarzen und Kaspischen Meeres mit zivilisierten Menschen kolonisierte.

5. Atlantis war die Welt vor der Sintflut, mit dem Garten der Hesperiden, den Elysischen Gefilden, dem Olymp.

6. Die Götter waren Atlanter – die Göttinnen, Götter und Helden der antiken Griechen, Phönizier, Hindus und der nordindischen Mythologie waren die Könige, Königinnen und Helden von Atlantis; die ihnen von der Mythologie zugeschriebenen Heldentaten waren wirre Erinnerungen an wirkliche, prähistorische Ereignisse.

7. Die Mythologie Ägyptens und Perus, die in der Anbetung der Sonne bestand, war die ursprüngliche Religion der Atlanten.

8. Die Werkzeuge und Utensilien der europäischen Bronzezeit hatten ihren Ursprung in Atlantis. Die Atlanten waren die Ersten, die das Eisen bearbeiteten.

9. Atlantis war ursprünglich von arischen bzw. indoeuropäischen Stämmen (Cromagnon) bewohnt.

10. Atlantis wurde durch eine verheerende Naturkatastrophe zerstört, die die ganze Insel bis zu den höchsten Gipfeln (Kanarische Inseln, Azoren, Kapverdische Inseln usw.) und nahezu alle ihre Bewohner im Meer versenkte.

11. Nur wenige Überlebende retteten sich in Booten und Flößen. Sie trugen die Nachricht der schrecklichen Katastrophe zu den Völkern an den Küsten östlich und westlich des Meeres. Diese Berichte sind in den Sintflutgeschichten vieler Kulturen (einschließlich dem sumerischen Gilgamesch-Epos und der Bibel) bis heute erhalten.

Sehr interessante Theorien zum Thema haben auch Prof. Otto Muck (Alles über Atlantis, 1976) und Martin Freksa (Das verlorene Atlantis, 1997) aufgestellt. Freksa hält die Guanchen für Überlebende eines Bergvolkes aus dem Atlasgebirge, die nach der großen Flut (Tsunami) vor 5000 Jahren am Teide auf Teneriffa Fuß fassten.

Wir wollen an dieser Stelle keine der vorangestellten Äußerungen bewerten noch weitere Spekulationen hinzufügen, aber doch anmerken: Was die Kanarischen Inseln betrifft, hier lag Atlantis mit Sicherheit nicht! Hier ist nichts versunken, im Gegenteil: Die Inseln tauchten bereits vor mehreren Millionen Jahren, durch gewaltige Vulkanausbrüche geformt, aus den Tiefen des Atlantiks auf. Außerdem dürfte das Atlantis-Rätsel inzwischen als gelöst gelten. Es handelt sich um den Bericht über eine gewaltige Naturkatastrophe, die sich tief ins Menschheitsgedächtnis eingebrannt hat: Vulkanausbruch, pyroklastische Wolkenströme, Tsunamis, Klimawandel, die Vernichtung einer Hochkultur. Dies alles trifft auf Thera/Santorin zu und das jähe Ende der Minoer. Es geschah zwischen 1630 und 1600 vor unserer Zeitrechnung, also vor rund 4000 Jahren.

2. Die Inselberber (Weißafrikatheorie)

Eine andere, heute sehr häufig zitierte Theorie spricht davon, dass die altkanarischen Ureinwohner eigentlich »Inselberber« waren, d. h. weiße, südcromagnoide Steinzeitmenschen, die aus Frankreich kommend (wo sie um 35.000 v. Chr. lebten), jahrtausendelang den Tierherden folgend, weit nach Osten bis in die russischen Steppen wanderten. Dann am Schwarzen und am Kaspischen Meer entlang, durch Kleinasien, Sinai und Suez, Ägypten und Libyen bis nach Algerien und Marokko, wo sie etwa um 10.000 v. Chr. auftauchten und Mechta-el-Arbi- bzw. Afalou-Leute genannt werden. Die Berber, Tuareg und Kabylen wären demzufolge Restgruppen der einstigen weißen nordafrikanischen Bevölkerung, von denen einige Stämme später irgendwann auf Schiffen von der marokkanischen Küste aus nach den Kanarischen Inseln übersetzten (siehe Karte).

Etwa um 7000 oder 6000 v. Chr. stößt eine weitere Cromagnon-Gruppe mediterraner Prägung von Italien und Sizilien aus kommend nach Nordafrika vor und vermischt sich (in Tunesien) mit den älteren cromagnoiden Wanderern zur so genannten Capsien-Kultur. Auch diese Menschen zieht es zu den Kanarischen Inseln (vielleicht werden sie aber auch von nachfolgenden Völkern an Afrikas Rand gedrängt).

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Angenommene Wanderungen der Cromagnon

Man nimmt jedenfalls an, dass etwa um 2500 v. Chr. die erste planmäßige Besiedlung der Inseln erfolgte. Andere Wissenschaftler nennen den Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr., während wieder andere auf den vorliegenden Radiocarbon-C-14-Messdaten beharren, die für die Kanaren bisher nur ein Alter von ca. 500 v. Chr. ergaben. J. F. Navarro-Mederos, Professor an der Frühgeschichtlichen Fakultät der Universität La Laguna, Teneriffa, spricht von zwei Einwanderungswellen: Gruppe 1 ca. 500 v. Chr. aus Nordwestmarokko (Kennzeichen: geometrische Bildzeichen), Gruppe 2 nach 700 oder 800 n. Chr. aus der mittelwestlichen Sahara (Kennzeichen: libysch-berberisches Alphabet).

Man darf in diesem Zusammenhang allerdings nicht übersehen, dass im Moment lediglich sehr wenige C-14-Daten aus Grabungen in Wohnanlagen vorliegen, sogenannte »Hausmüllmessungen«. Das meiste ist noch nicht systematisch untersucht worden, vieles schlummert noch unentdeckt, für Stein (z. B. die Felsbilder) existiert derzeit noch keine exakte Messmethode, so dass man hier auf Vergleiche mit der Formensprache anderer Kulturgebiete angewiesen ist.

Die gängige Inselberbertheorie – obgleich auf den ersten Blick recht einleuchtend – stützt sich auf etwas wacklige Sprachvergleiche sowie nicht voll überzeugende Untersuchungen der Keramik, geht ferner nicht befriedigend auf die im Atlantik vorhandenen Meeresströmungen ein und leugnet eine prähistorische Schifffahrt völlig (an späterer Stelle wird uns diese Problematik noch näher beschäftigen).