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Martin Sörös

DAS

ENDE

DER SPÖ

Von der
absoluten Mehrheit
in die Bedeutungslosigkeit

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„Wo ich die SPÖ in zehn Jahren sehe?
Wahrscheinlich noch immer auf dem Wahlzettel.“

Daniela Holzinger-Vogtenhuber
(SPÖ-Nationalratsabgeordnete, 2013 - 2017)

Inhalt

Vorwort von Christian Günther

Die Talfahrt der SPÖ

Von Bruno Kreisky bis Rudolf Hundstorfer – und die Frage: Wo sind die Wähler der einst staatstragenden Partei?

Hainfeld

Wo die Wiege der SPÖ steht und der schwere Weg vorbei an Jörg Haider

Herr F.

Ein ehemaliger Wähler der SPÖ und warum er von seiner ehemaligen Lieblingspartei nichts mehr wissen möchte

Was ist schon ein Skandal?

Von Idi Amin, Lucona, Noricum, Millionenverlusten und Verhaftungen in Israel

So tickt die SPÖ

Warum es so schwer ist, den schmalen Grat zwischen Vergangenheit, Zukunft und gebrochener Versprechen zu erwischen

Die Köpfe der SPÖ

30 Persönlichkeiten, die den österreichischen Sozialdemokraten nachhaltig ihren Stempel aufgedrückt haben

Ohne Netzwerke wäre die SPÖ nicht die SPÖ

Auf welche Institutionen die Sozialdemokraten immer zählen können

Das ist wahre Brutalität

Wenn die SPÖ mit der SPÖ im Clinch liegt, dann denken viele noch immer an Helmut Qualtinger

Impressum

Vorwort

Eines sei gleich vorweg gesagt: Ein pointiert politisches Buch über eine politische Partei zu schreiben, die ihren Zenit zwar bereits überschritten hat, aber noch immer mächtig genug ist, um Existenzen zu vernichten, ist in Zeiten aufkeimender Zensurtendenzen mutig und richtig. Deswegen hat sich der Verlag entschieden, das vorliegende Buch herauszubringen.

Eine Partei, die viel für Österreich geleistet hat, eine Partei, die einerseits politische Reformer wie Bruno Kreisky in ihren Reihen hatte und andererseits Abgründe eröffnete, die sprichwörtlich geworden sind, verdient eine kritische Betrachtung ohne Sentimentalitäten. Martin Sörös beschreibt mit viel Engagement den Abstieg einer einstmals im wahrsten Sinne des Wortes staatstragenden Partei zu einem Selbsterhaltungsverein, der in den letzten Jahrzehnten Machterhalt zu seinem eigentlichen Programm gemacht hat. Die 1889 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei ist schon lange keine politische Arbeiterbewegung mehr, sondern ein politischer Konzern mit tiefen Verstrickungen in Wirtschaft, Medien und Gesellschaft. Die Sozialdemokraten von heute werden nicht mehr gewählt, weil Veränderung oder Verbesserung für „die Menschen da draußen“ (©Bruno Kreisky) von ihnen erwartet wird, sie werden (noch) gewählt, weil sie (noch) mächtig, einflussreich und „gut vernetzt“ sind.

Martin Sörös lässt neben Stimmen aus dem Inneren der Partei auch politische Mitbewerber und Journalisten zu Wort kommen. Wenn eine ehemals hoffnungsfrohe SPÖ-Jungmandatarin nach vier Jahren im Parlament resigniert das Handtuch wirft und zu einem Altpolitiker wie Peter Pilz wechselt, dann sagt dies mehr über die Befindlichkeit der gesamten Politikszene aus, als jede langatmige TV-Analyse: Diese Partei ist definitiv am Ende.

Der wohl interessanteste und wahrscheinlich auch kontroversiellste Befund von Martin Sörös ist aber jener von der Bedeutung Jörg Haiders für die SPÖ. Offensichtlich hat kein Politiker davor und danach die SPÖ so an- und vor sich hergetrieben. Jörg Haider, der Gott sei-beiuns der österreichischen Sozialdemokratie.

Martin Sörös setzt aus durchaus bekannten Daten und Fakten, untermauert von eigenen Interviews mit Parteikennern, ein Bild der SPÖ zusammen, das nicht allen gefallen und auch Ungläubigkeit auslösen wird, aber die Entwicklung einer ehemals großen Partei zu einer skandalgebeutelten Postenschacherdrehscheibe eindrucksvoll wiedergibt.

Christian Günther

Verlagsleitung Frank&Frei

Die Talfahrt der SPÖ

Von Bruno Kreisky bis Rudolf Hundstorfer –
und die Frage: Wo sind die Wähler
der einst staatstragenden Partei?

Es war einmal …

Es war einmal der 6. Mai 1979. George Clooney feiert seinen 18. Geburtstag, der spätere britische Premierminister und Vorzeigesozialist Tony Blair wird 26. Alfred Gusenbauer spielt nicht mehr in der Sandkiste. Norbert Darabos spielt viel Tischtennis und Fußball, und Heinz Fischer spielt bereits eine tragende Rolle in der SPÖ. Und Christian Kern? An dem geht das mehr oder weniger spurlos vorüber. Warum sollte sich ein noch nicht 13-Jähriger für all das auch in irgendeiner Weise interessieren? Der Bub aus Simmering konzentriert sich dieser Tage lieber auf seine Schul- und Hausaufgaben. Sehr brav.

Und doch war dieser 6. Mai 1979 ein besonderer Tag: In erster Linie für die Sozialistische Partei Österreichs. Und damit in gewisser Weise auch für Christian Kern. Dazu aber später.

Es war die Nationalratswahl zur XV. Gesetzgebungsperiode und eine Wahl, deren Ergebnis SPÖ-Freunden wie jenen, die der SPÖ nichts abgewinnen konnten oder können, wohl nie in Vergessenheit geraten wird:

51,03 Prozent holte die Partei um den Mann, der „Österreich größer gemacht hat, als es ist“ (Zitat: BK a.D. Dr. Alfred Gusenbauer).

Bruno Kreisky hat in Anlehnung an Alfred Gusenbauer auch und vor allem die SPÖ größer gemacht. Und die 51,03 Prozent von der Nationalratswahl 1979 stehen bis heute als das beste SPÖ-Ergebnis bei Nationalratswahlen nach 1945 dick und rot unterstrichen in den Geschichtsbüchern. Freilich, so relativieren heute viele Politik-Insider: Kreisky und die Seinen hatten es viel leichter als die Sozialisten und Sozialdemokraten späterer Jahre. Stimmt.

Mit der ÖVP, die damals auf heftig bejammerte 41,90 Prozent kommen sollte, gab es in Wahrheit eine einzige wirklich ernstzunehmende Alternative und wenn für die beiden Großparteien der Nachkriegszeit 92,93 Prozent der Österreicher stimmten, dann fielen die FPÖ (6,06 Prozent) sowie die KPÖ (0,96 Prozent) fast schon unter die Wahrnehmungsgrenze.

Ja, Kreisky hatte es wirklich leichter.

Mit einem leger-lockeren Auftritt in FS 1 oder FS 2 (wie der ORF seine beiden Programm-Sender damals noch nannte) konnte man die noch nicht Media-World-übersättigten Wähler rasch in den Bann ziehen. Auf virtuellen Spielwiesen wie Facebook oder Twitter brauchte man noch ganz lange nicht herumzuspielen und die Stunde so manchen Polit-Stars der Zukunft war auch noch längst nicht gekommen. Jörg Haider, mit dem die Sozialisten und Sozialdemokraten in den späteren Jahren noch so manches blaue Wunder erleben sollten, kam 1979 mit seinen 29 Jahren gerade mal die Ehre zuteil, als jüngster FPÖ-Abgeordneter erstmals ins Parlament einziehen zu dürfen, und Heinz-Christian Strache besuchte 1979 überhaupt noch die katholische Privatschule der Neulandschulen auf dem Wiener Laaerberg. Und, dass sieben Jahre später ein Polit-Komet namens Sebastian Kurz das Licht der Welt erblicken sollte, stand nicht einmal noch in den Sternen. Was sich 1979 Kreisky und seiner SPÖ sonst so in den Weg stellte, war – wie schon gesagt -überschaubar: Die ÖVP unter Kanzlerkandidat Josef Taus. Dem Obmann der Konservativen mit Wurzeln in Wien war und ist es nicht vergönnt, als großer Entertainer und Charismatiker in die Politikgeschichte der Republik Österreich einzugehen. Die TV-Konfrontation von 1975, als Bruno Kreisky leger bis aufreizend lässig und mit dem Bügel seiner Brille spielend Taus (der in späteren Jahren als Industrieller bemerkenswerte Erfolge verzeichnen sollte) mit den Worten maßregelte: „ … tun sie bitte nicht schulmeistern …“, ist so manchen, deren Interesse an der österreichischen Innenpolitik noch in diese Zeit zurückreicht, in lebhafter Erinnerung. Egal, selbst wenn Josef Taus und die Seinen in den Siebzigern recht willige Opfer für Bruno Kreisky und die SPÖ waren: Wahlen müssen erst einmal geschlagen und gewonnen werden. Und das tat Kreisky eben für die SPÖ. Wo weiß man das besser als in der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße?

Dort, wo sich einst auch Bruno Kreisky nach seinen Wahltriumphen feiern ließ, genau dort galt es in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder Menschen vor die wartende Journalistenmeute zu stellen, die nach Erklärungen und Schuldigen zu suchen hatten.

Nach Erklärungen. Nach Worten.

Wie beispielsweise auch nach dem desaströsen Abschneiden des SPÖ-Kandidaten beim ersten Wahldurchgang zur Bundespräsidentenwahl 2016. Am 15. Jänner 2016 präsentierte der damalige Bundeskanzler Werner Faymann seinen persönlichen Wunschkandidaten, Rudolf Hundstorfer, als Präsidentschaftskandidaten der SPÖ. Die Ausgangslage Hundstorfers – so meinten viele politische Beobachter – hätte besser gar nicht sein können. Zum einen konnte auf die SPÖ-Vergangenheit des davor amtierenden Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer, der einst für die Sozialdemokraten unter anderem als Präsident des Nationalrates diente, verwiesen werden. Zum anderen sprach noch vieles mehr für den Wunschkandidaten von Werner Faymann. Hundstorfer trat in den Wahlkampf als davor amtierender Sozialminister mit guten Beliebtheitswerten, ausgestattet mit einer vermeintlich unschlagbaren Hausmacht auf Basis seiner Vergangenheit in der Gewerkschaft und seiner Wiener Herkunft. Von links war er im Grunde nur durch den ehemaligen Vorsitzenden der Grünen, Alexander Van der Bellen, bedroht, was als Risikopotenzial aber überschaubar schien, angesichts des Umstandes, dass die Grün-Partei über Jahre mit einem eingefrorenen Wählerpotenzial rund um die Zweistelligkeitsgrenze abgestempelt war. Und am anderen Ende des politischen Spektrums tummelten sich mit dem Namensgeber eines Wiener Einkaufszentrums, dem bis dahin auch noch nicht wirklich strahlend leuchtenden dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer (FPÖ), mit Erwin-Pröll-Ersatzkandidat Andreas Khol (ÖVP) und einer ehemaligen Richterin namens Irmgard Griss ebenfalls keine echten Gegner für eine SPÖ in voller Fahrt.

Bliebe da nur noch das einzig wahre Problem aus der Sicht der SPÖ (wenn man eventuell vom Umstand absieht, dass Rudolf Hundstorfer während des Wahlkampfes im Volk nie wirklich den Eindruck erwecken konnte, dass er nichts im Leben mehr will und anstrebt, als österreichischer Bundespräsident zu werden): Die SPÖ befand sich zu diesem Zeitpunkt fürwahr in voller Fahrt. In voller Fahrt bergab.

Werner Faymann war längst nicht mehr Werner Faymann. In der für Wahlkämpfe so wichtigen SPÖ Wien begann es an der einen oder anderen Ecke intern bereits zu bröckeln und vor allem war da noch das leidige Problem mit diesen Wählern. Ein Problem, mit dem sich die Kanzlerpartei des Jahres 2016 schon in den Jahren davor immer öfter herumschlagen musste (und danach). Und vor allem war nicht mehr zu leugnen, dass in Österreich – und längst nicht nur dort – eine immer stärkere Tendenz erkennbar war. Die Tendenz zur Abkehr vom Polit-Establishment. Das Nein zu den sogenannten alten Parteien. Das Nein zu denen da oben. Das Nein zur SPÖ und das Nein zur ÖVP.

Wer verneigte sich 2016 denn noch in Ehrfurcht vor dem Umstand, dass es vor allem die SPÖ und die ÖVP waren, die in den schweren Jahren der Nachkriegszeit erheblichen Anteil am sozialen und politischen Wiederaufbau der Republik Österreich hatten? Welchen Wert und welche Kraft hatte denn noch die Erinnerung an den nicht zu leugnenden Umstand, dass SPÖ und ÖVP einen elementaren Beitrag zur Restabilisierung des Landes nach 1945 leisteten, als das Land in Trümmern lag? In sieben Jahrzehnten gerät so manches in Vergessenheit, was auch nicht weiter verwundert in einem Zeitalter, in dem man den Tageszeitungsjournalisten von heute und morgen immer wieder die Theorie ins Hirn hämmert, wonach „nichts so alt sei wie die Tageszeitung von heute“. Was in gewisser Weise ja auch stimmt. Der Rest ist längst österreichische Politikgeschichte:

4,279.170 Österreicher und Österreicherinnen gaben für den ersten Wahlgang am 24. April 2016 eine gültige Stimme ab und nur 482.790 WählerInnen oder 11,28 Prozent gingen damals auf das Konto von SPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer.

Der Duden kennt dafür das Wort „Watsche“ und übersetzt es gleichzeitig mit Ohrfeige. Und was für eine Ohrfeige? Eine schallende Ohrfeige. Auch und vor allem bei einem etwas detaillierten Blick auf das Wahlergebnis. Zwar ließ SPÖ-Wunschkandidat Rudolf Hundstorfer den Namensgeber eines Wiener Einkaufszentrums hinter sich, aber ein Platz auf dem sogenannten Stockerl, auf dem nach dem ersten Wahlgang Norbert Hofer (dem ursprünglich Experten und Meinungsforscher ein Wählerpotenzial von rund 10 Prozent in Aussicht stellten), Alexander Van der Bellen und Irmgard Griss Platz fanden, war ihm nicht vergönnt. Der hauchdünne koalitionsinterne Punktesieg gegen ÖVP-Kandidat Andreas Khol (11,12 Prozent) vermochte da auch kaum den Schmerz der Kanzlerpartei zu lindern. Wissend, dass Andreas Khol definitiv nicht Wunschkandidat für die Wahl war. Die ÖVP musste nach der für sie scheinbar überraschenden Absage von Dr. Erwin Pröll überhastet nach einem Plan B suchen, um dann beim Tiroler Polit-Urgestein Andreas Khol fündig zu werden. Also verlor auch dieser Sieg im innerkoalitionären Mikrokosmos zwischen SPÖ und ÖVP rasch an Wert.

Noch schnell ein Blick in den Rückspiegel. Bei erwähnter Nationalratswahl im Jahr 1979 entfielen auf SPÖ und ÖVP in Summe 92,93 Prozent der Stimmen. Im ersten Wahlgang zur Präsidentenwahl 2016 entfielen auf die Wahlwerber von SPÖ und ÖVP in Summe 22,40 Prozent. 70,53 Prozent Wählerschwund zum koalitionären Nachdenken.

Zurück zu Rudolf Hundstorfer. Dieser konnte in keinem einzigen Bundesland Platz eins holen, in Vorarlberg rutschte er mit seinen 4,31 Prozent unter die Wahrnehmungsgrenze und vor allem standen und stehen die 12,54 Prozent, die der seinerzeitige Sozialminister und Chef-Gewerkschafter in Wien einzufahren imstande war, gleichsam als Mahnmal. 12,54 Prozent – und das für die SPÖ. Und das in Wien. Im roten Wien, wo der rote Häuptling Michael Häupl seit Jahren das Zepter schwang. 12,54 Prozent in Wien, dessen Bürger an diesem 24. April 2016 durchaus bereit waren, ihre Stimme mehr links denn mehr rechts der Mitte zu vergeben. Das wurde durch das Abschneiden von Alexander Van der Bellen belegt, der im ersten Wahlgang immerhin 32,75 Prozent der WienerInnen hinter sich zu versammeln wusste. Und vor allem der Umstand, dass die Wiener SPÖ-Institution Rudolf Hundstorfer in der Bundeshauptstadt nicht einmal halb so viele Stimmen sammeln konnte wie Norbert Hofer (27,67 Prozent), dessen FPÖ von den SPÖ-Granden in und um Wien gerne als das politische Feindbild herhalten musste bzw. durfte, schmerzte die Kanzlerpartei tief und nachhaltig. Zu tief und zu nachhaltig, wie sich bald zeigen sollte. Das Ablaufdatum jenes Mannes, der Rudolf Hundstorfer stolz und siegessicher als seinen Wunschkandidaten präsentiert hatte, war auch nicht mehr allzu weit entfernt. Dazu aber später mehr in diesem Buch.

Nun ja – 11,28 Prozent, Platz vier, ein Desaster in Wien und in drei Bundesländern als aktuelle Kanzlerpartei einstellig. 4,31 Prozent in Vorarlberg. 6,09 Prozent in Tirol. 9,84 Prozent in Salzburg. Naja, ein Ost-West-Gefälle halt, könnte man meinen. Kann man nichts machen. Augen zu und durch. Weiter geht’s.

Ost-West-Gefälle? Slow down, ganz so einfach lässt sich das nicht subsumieren und analysieren. Noch bei der Salzburger Landtas-wahl 2009 brachte es die SPÖ auf stattliche 39,37 Prozent und selbst höchst merkwürdige Vorkommnisse, die sich später unter dem Titel „Salzburger Finanzaffäre“ zusammenfassen ließen, vermochten die Salzburger SPÖ im Land nicht tiefer als auf 23,83 Prozent schrumpfen zu lassen.

Salzburg ist nachweislich ein fruchtbarer Boden für die SPÖ. Selbst bei der ebendieser „Salzburger Finanzaffäre“ folgenden Gemeindevertretungswahl am 9. März 2014 verbuchte die SPÖ 33,0 Prozent und lag meilenweit vor den politischen Mitstreitern. Also doch kein schlichtes Ost-West-Gefälle, dem Rudolf Hundstorfer im ersten Bundespräsidentschaftswahlgang zum Opfer gefallen war?

Analytisch betrachtet, wäre es aus Sicht der SPÖ ganz einfach gewesen. Das, was sich am und um den 24. April 2016 abspielte, war absehbar. Zu lange schon war die SPÖ bereits auf Talfahrt und hätte ausreichend Möglichkeiten zur Selbstreflexion gehabt. Anlässe zum Nachdenken hätte es ja ausreichend gegeben. Alleine in der Ära von Werner Faymann (2008 – 2016) mussten Parteimanager und hauptberufliche Schönredner vor die Presse und die eigenen Leute treten und 18 Niederlagen auf Bundes- bzw. Landesebene erklären. Und was für Niederlagen waren da dabei? Was musste die SPÖ da alles runterschlucken?

Minus 13,4 Prozent bei der Landtagswahl 2009 in Oberösterreich.

Minus 15,6 Prozent bei der Landtagswahl 2013 in Salzburg.

Minus 9,0 Prozent bei der Landtagswahl 2015 in der Steiermark.

Und im roten Wien schrumpfte man bei den Wahlen von 2010 und 2015 um jeweils 4,8 Prozent.

Ausreichend Anlässe also, um nachzudenken. Einzulenken. Veränderungen abseits der sonst üblichen Personalrochaden durchzuführen. Möglich, dass jene, die an den Hebeln der SPÖ sitzen, nur auf Schockwellen reagieren. Hiermit ein Versuch der bizarren Art mit einem erneuten Blick auf Bruno Kreisky:

51,03 Prozent für die SPÖ 1979 bei der Nationalratswahl mit Bundeskanzler Kreisky. 11,28 Prozent für SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer bei der Bundespräsidentenwahl 2016. Also: Rund minus 40 Prozent in 37 Jahren? Pro Jahr ein Prozent weniger und in weiterer Folge wird die SPÖ bald ganz aus der Polit-Landschaft Österreichs verschwinden? Eine einfache Kopfrechnung für Volksschüler? Oder Gesamtschüler? Nein, Unsinn.

So schlimm wird es wohl nicht kommen für die SPÖ, aber Gründe, nachzudenken und zu analysieren bestehen zuhauf. Eine anerkannte Polit-Insiderin, die aus gutem Grund nicht genannt werden möchte, sieht in ihrer Analyse eine Reihe von Phänomenen und Ereignissen, die der SPÖ (und auch anderen traditionellen Parteien) starken Gegenwind bescheren: „Ich erkenne eine komplett aggressive Ablehnung der Politik im Gesamten. Eine Ablehnung, die auch die Medien miteinschließt und im Laufe der Jahre hat sich halt eine Stimmung aufgebaut, die immer weiter geht. Man muss ja auch nur schauen, wie in den USA ein Donald Trump zustande gekommen ist und auch das Beispiel von Emmanuel Macron in Frankreich zeigt uns klar und deutlich, dass es Parteien alten Zuschnitts immer schwerer haben werden.“ Auch der gesamte Bereich der sozialen Medien spiele der SPÖ, so die Insiderin, in den letzten Jahren nicht wirklich in die Karten und vor allem baue sich immer mehr eine negative Grundstimmung auf: „Die da oben haben mit den Sorgen von uns da unten nichts zu tun.“ Ein bzw. das Kernproblem der SPÖ in den letzten Jahren sei aber sicher auch das große und alles beherrschende Thema der Ausländerpolitik und der Integration gewesen: „Da sind die SPÖ-Wähler halt in Scharen zur FPÖ abgewandert, weil sie sich dort in ihren Sorgen und Ängsten ernst genommen gefühlt haben.“

Kein Problem damit, zitiert zu werden, hat Peter Westenthaler. Einst Wegbegleiter von Jörg Haider, vormals Nationalrat, 2005 mit dem „Großen Goldenen Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich“ ausgezeichnet und im Großen und Ganzen als Polit-Insider (ohne Nähe zur SPÖ) zu bezeichnen, ist Westenthaler heute Gründer und Geschäftsführer des Consulting-Unternehmens Wescon GmbH. Politisch neutral betrachtet, ist er Staatsbürger und Wähler mit dem Recht, seine eigene Meinung zu haben und zu äußern. Was er hiermit tut: „Die SPÖ an sich ist irgendwo in den 80er-Jahren stehen geblieben. Man kann ja generell beobachten, dass Parteien alten Zuschnitts de facto ausgedient haben und sich die Frage aufdrängt: Was kann an die Stelle traditioneller Parteien treten? Die SPÖ hat genau diese Entwicklung völlig verschlafen. Seit Franz Vranitzky war alles mehr oder weniger auf eine Person zugeschnitten. Franz Vranitzky, Viktor Klima, dann Alfred Gusenbauer. Und dann schaute halt alles auf Christian Kern“, fällt die erste Schnellanalyse Westenthalers aus. In all diesen Zeiten habe man in der SPÖ aber vergessen, sich selbst auch zu erneuern und attraktive Angebote an die Wähler zu stellen. Konkret sagt Peter Westenthaler: „Das beste Beispiel für diese Verschlafenheit ist das SPÖ-übliche Prozedere rund um den traditionellen 1. Mai. Das ist so was von antiquiert und unbelegt von jeglicher Modernisierung. Das kenne ich sonst nur mehr von der KPdSU in Moskau. Oben auf dem Podium steht die Klasse, unten steht die Masse.“ Einen Unterschied zur KPdSU und auch zu den Zeiten von Bruno Kreisky will Westenthaler im Zusammenhang mit dem 1. Mai aber schon betonen: „Zu Zeiten eines Bruno Kreisky war der Rathausplatz noch wirklich voll. Jetzt gehen halt ein paar Menschengruppen permanent im Kreis, um den Eindruck eines vollen Platzes zu erwecken. Das bietet ein Bild der Verkrustung und es hat mich schon sehr verwundert, dass sich ein Christian Kern, dem ja ein gewisser Modernisierungsversuch nachgesagt wird, dann auch dort oben hinstellt und mit einem roten Tüchel runterwinkt.“ Dass ein erheblicher Teil der abtrünnig gewordenen SPÖ-Wähler in den Schoß der FPÖ geflüchtet ist, sieht auch Peter Westenthaler als gegeben:

„Ja, glaubt man Statistiken, sind diese SPÖ-Wähler in erster Linie bei der FPÖ gelandet.“ Und dann, so Westenthaler weiter, sei den Sozialdemokraten ein fatales Eigentor passiert: „Weil man die eigenen Ex-Wähler, anstatt ihnen ein neues und besseres Angebot zu machen, als Rechtsextreme beleidigt und beschimpft hat. Für mich ist das einzigartig in Europa, so mit den eigenen ehemaligen Wählern umzugehen.“

Dass sich darüber hinaus heute ein erheblicher Teil der einstigen SPÖ-Wählerschaft in der Gruppe der Nicht-Wähler wiederfindet, ist unbestreitbar. Die Diagnose von Westenthaler: „Viele Ex-SPÖ-Wähler sehen keinen Sinn mehr darin, die SPÖ zu wählen. Der frühere Leitsatz von Fred Sinowatz, dass du ohne Partei nichts bist, hat längst keine Gültigkeit mehr. Die Versorgungsmechanismen der 70er- und 80er-Jahre funktionieren nicht mehr. Da hast du als SPÖ-Parteibuch-Besitzer noch fest daran geglaubt: Die Partei schaut schon drauf, dass ich eine Wohnung und einen Job habe – das gibt es alles nicht mehr. Wenn du in Österreich rund 500.000 Arbeitslose hast, gibt es keine Versprechen mehr, dass du mit einem Parteibuch einen Job bekommst. Zumindest keine, die halten.“

Dr. Peter Hajek, Geschäftsführer und Eigentümer von Peter Hajek Public Opinion Strategies, gilt in Österreich als einer jener Experten, die oft und gerne zurate gezogen werden. Hajek ist Politikwissenschafter, Markt- und Meinungsforscher und ausgestattet mit einem Höchstmaß an Erfahrung in Österreich und bei den Vereinten Nationen in New York. Dr. Hajek nimmt Anleihe beim legendären US-Politologen Ronald Inglehart („The Silent revolution“) und dessen Theorien zum Wertewandel. Aus der alten Linken werden die neuen Rechten, aus den alten Rechten wird eine neue Linke und auf die sich daraus ergebenden neuen Bedürfnisse müsse die Politik von heute eben reagieren. Berühmt wurde Ronald Inglehart in den 70er-Jahren. Und ebendieser Wertewandel halte eben teilweise bis heute an, ist Dr. Peter Hajek überzeugt. „Nehmen wir das Beispiel der Pensionen“, führt Hajek aus. „Viele junge Menschen glauben heute nicht mehr, dass sie eines Tages eine Pension vom Staat bekommen werden. Die SPÖ hält seit Jahren dagegen und sagt, alles ok, die Pensionen sind gesichert. Das ist aber keine Antwort. Ich muss mich als Partei einfach den Befindlichkeiten der Menschen stellen und akzeptieren, dass sie das halt anders sehen.“ Dieses Beispiel der Pensionen ziehe sich wie ein roter Faden durch die Politik der SPÖ. Hajek weiter: „Du musst sagen, lieber Wähler: Wir wollen uns gemeinsam mit dir weiterentwickeln. Die Menschen sind einfach kritischer geworden.“

Einen großen Teil des Wählerverlusts der letzten Jahre schreibt Peter Hajek aber ebenfalls dem Themenbereich der Zuwanderung und der Migration zu: „Da fühlen sich die Wähler mit ihren Ängsten und Sorgen von der SPÖ nicht abgeholt und nicht ernst genommen.“ Kritiker und selbst Freunde der SPÖ sehen auch im Umgang mit den neuen, mit den sozialen Medien wie Facebook eine erhebliche Schwachstelle der Partei. Alleine bei den Facebook-Likes (Stand: Herbst 2017) hinkte der SPÖ-Kanzler Christian Kern weit hinter ÖVP-Frontmann Sebastian Kurz und vor allem hinter Heinz-Christian Strache her. Kern kam da gerade Mal auf rund ein Drittel der Likes von HC Strache, gleichsam Nachfolger bzw. Erbe Jörg Haiders und somit ein rotes Tuch für SPÖ-Sympathisanten und SPÖ-Politiker. „Das ist aber nicht dramatisch und sicher aufholbar“, schätzt Dr. Peter Hajek.

Peter Westenthaler glaubt im Bereich der sozialen Medien aber sehr wohl, eine dramatische Schwäche der SPÖ vor allem im Duell mit der FPÖ zu erkennen: „Der Übergang in die Welt der sozialen Medien wurde von der SPÖ völlig verschlafen. Da ist der HC Strache halt ein Weltmeister. Der braucht die klassischen und traditionellen Medien auch gar nicht mehr. Er hat seine eigene Medienwelt inklusive FPÖ-TV geschaffen und kann dort 24 Stunden am Tag ungefiltert seine Botschaften an die Wähler bringen.“ Da hinke die SPÖ dramatisch hinterher, sagt Peter Westenthaler. Und weiter: „Eine Partei wie die SPÖ muss wissen, dass die Menschen und Wähler in einer schnellen Zeit leben. Du hast 100 Informationen pro Tag. Da ist ein perfektes Medienmanagement absolut unerlässlich.“

Freilich, um noch einmal den Bogen zu Bruno Kreisky zu spannen. Damals in den 70er-Jahren war in der Tat alles einfacher. Oder vieles. Facebook? Twitter? Wie bitte?

Mit all diesen (bösen) (Zeit-)Geistern mussten sich ein Bruno Kreisky und die Seinen wahrlich nicht herumplagen. Da reichte es, ab und zu ein wenig Druck Richtung ORF-Zentrum auszuüben und das eine oder andere väterlich belehrende Gespräch mit dem Chefredakteur einer Tageszeitung tat schon das Übrige. Die Hoheit über die Medien und deren Macher zelebrierte Kreisky am Höhepunkt seiner Macht noch in der ihm eigenen Art und Weise. Legendär sein Zitat, mit dem er ORF-Redakteur Ulrich Brunner am 24. Februar 1981 vor laufender Kamera maßregelte: „Lernen S‘ a bisserl Geschichte, Herr Reporter!“ Dass er damals in der Sache gegenüber dem Journalisten, der darüber hinaus als recht treuer Sozialdemokrat einzustufen war, unrecht hatte, interessierte keinen Menschen. Widerspruch? Gegen Kreisky? Unvorstellbar. Undenkbar, eine Szene wie die eben geschilderte in die Zeit von heute und morgen zu übertragen. Ein paar mediale Faktenchecks später wäre ein Politiker mit dem Verhaltensmuster der 70er- und 80er-Jahre schnell der Lächerlichkeit preisgegeben.

Ja, es hat sich eben sehr viel geändert in den letzten Jahrzehnten. Die Gedanken an die bewegten 30er-Jahre, wo auch die Idee des Proporzes geboren und glaubhaft damit begründet wurde, jegliche Form eines Bürgerkrieges und jede Form von Extremismus künftig dadurch zu unterbinden, dass man schön brav die Macht (und später die Jobs) zwischen SPÖ und ÖVP aufteile, sind längst verblasst. Vieles ist nicht mehr. Vieles wird auch nie mehr sein. Auch die ursprüngliche – man nennt es auch gerne – Existenzberechtigung einer Partei wie der SPÖ besteht schlichtweg nicht mehr. Zeiten, in denen sich Bürger (wie bereits zitiert) darauf verlassen können, in ihren Grundbedürfnissen (Arbeit, Wohnung, Essen und Sicherheit) zu 100 Prozent auf heute als „alte Parteien“ schubladisierte Institutionen vertrauen zu dürfen, sind für immer vorbei. Und wiewohl Europa gepflastert scheint mit ausrangierten hochrangigen Sozialdemokraten, die das von vielen bereits vorhergesagte und oft zitierte Ende der Sozialdemokratie in Europa im besten Fall verlangsamen, aber doch nicht verhindern konnten und wiewohl diese Liste auch einstige Größen der internationalen Sozialdemokratie wie Gerhard Schröder (Deutschland), François Hollande (Frankreich) bis hin zu Tony Blair (Großbritannien) umfasst, wird die SPÖ in Österreich nicht so schnell von der politischen Landkarte verschwinden. Höhenflüge sollte man ihr aber auch nicht vorhersagen.

Meint zumindest Peter Rabl.

Peter Rabl gilt unabhängig von Weltanschauungen, also parteiübergreifend, als politische Instanz. Und als einer der bedeutendsten Politikjournalisten des Landes. Er arbeitete bei PROFIL, bei den Niederösterreichischen Nachrichten, leitete Diskussionssendungen des ORF und vor allem steht sein Name bei der Tageszeitung KURIER wohl in alle Ewigkeit in Stein gemeißelt. Dort wachküsste und entwickelte er als Chefredakteur und Herausgeber besagtes Blatt in den Jahren 1993 bis 2005 in einer Weise, dass bis heute Wegbegleiter und Kollegen des KURIER die Zeit unter und mit Peter Rabl als die (letzte?) große und goldene Ära des Blattes bezeichnen. Ausgestattet mit der Macht und mit der Bedeutung von rund 1,000.000 Lesern. Und begleitet mit dem Rückenwind aus Wirtschaft und dem Ruf, die Qualitätszeitung Österreichs zu sein. Peter Rabl bringt es schnell auf den Punkt: „Die Zeit der früheren Großparteien SPÖ und ÖVP ist endgültig vorbei. Die Wähler haben sich verflüchtigt und sind zur FPÖ oder zu den Grünen abgewandert.“ Und Peter Rabl geht ins Detail, was den Zustand der SPÖ betrifft: „Es geht nicht nur um einen Wählerschwund, die SPÖ muss ja seit Jahren auch einen erheblichen Mitgliederschwund verkraften. Zum einen haben die Menschen früher aus familiärer Tradition gewählt. Das fällt heute weg. Und zum anderen funktioniert das System der Geschenke und Versorgung für Wähler und Mitglieder nicht mehr.“

Rabl präzisiert in diesem Punkt ähnlich wie Peter Westenthaler: „Die Menschen wissen, dass ihnen die Partei keine Jobs und keine Wohnung mehr garantieren kann. Und: Ein weiterer Punkt für den starken Wählerverlust in den vergangenen Jahrzehnten liegt sicher darin, dass die Partei auf die Umbrüche in den letzten Jahren nicht entsprechend reagiert hat, sondern mehr damit beschäftigt war, sich um sich selbst, um ihre Interessen und um die eigenen Funktionäre zu kümmern.“

Und der Journalist und wirtschaftspolitische Sachbuchautor („Der Unwohlfahrtsstaat: Hat unser System noch Zukunft?“) spricht ein weiteres Thema an, das bei der SPÖ, wie viele meinen, bis heute fast traumatische Spätfolgen zeigt: „Dann kam auch noch Jörg Haider und hat die Zuwanderung zum Thema gemacht.“