Fürstenkrone – Jubiläumsbox 4 – E-Book: 19 - 24

Fürstenkrone
– Jubiläumsbox 4–

E-Book: 19 - 24

Jutta von Kampen
Britta von Meierhofen
Laura Martens
Melanie Rhoden
Caroline Winter

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-191-9

Weitere Titel im Angebot:

Doppelhochzeit auf Gut Regau

Zwei Herzen entdecken die Liebe

Roman von Jutta von Kampen

gemächlich Der Stierhof war ein riesiger alter Bauernhof, der auf Grund seiner Schönheit unter Denkmalschutz stand. Er wurde bereits im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt und war seit damals im Besitz der Familie.

Schon im Mittelalter waren die Regaus freie Bauern, die sich als Viehzüchter im Land einen guten Namen machten. Sie hielten mehrere Stiere, und die kleineren Bauern aus dem Umkreis kamen mit ihren Kühen, um sie von den Regauer Stieren decken zu lassen. ›Jodl‹ nannte man die Stiere damals. Das war ein altes, keltisches Wort für Stier, und der Hof war der Jodlhof, bis nach dem 30-jährigen Krieg aus den freien Bauern die edlen Herren von Regau wurden, dank der Verdienste um die Verpflegung der Wittelsbacher Soldaten. Eine vergleichsweise billige Ehrung des ›blauen Kurfürsten‹ für seine treuen Untertanen.

Von da an war der offizielle Name ›Regauer Hof‹. Aber weil die Herren auch weiterhin im Grunde Bauern blieben und Vieh züchteten und sich Stiere hielten, hieß das Anwesen ›Der Regauer Stierhof‹ oder eben nur ›Der Stierhof‹.

Im Wappen führten die Regauer einen schwarzen Stier, und sie waren auf ihren Adel fast ebenso stolz wie auf den Umstand, schon im Mittelalter freie Bauern gewesen zu sein.

Freilich war der Hof keine mittelalterliche Festung, war dies auch nie gewesen. Er war im Lauf der Jahrhunderte mehrmals abgebrannt und immer wieder aufgebaut worden. Die Kellergewölbe stammten noch aus dem 13. Jahrhundert. Die Stallungen mit ihren Kreuzgewölben, die von steinernen Säulen getragen wurden, und die steinernen Futtertröge für das Vieh konnten immerhin auf fast fünfhundert Jahre zurückschauen. Wegen der Brandgefahr hatten die Regauer zuerst an das Vieh gedacht, das schließlich ihren Reichtum begründete. Das Wohnhaus wurde erst, nachdem es im 30-jährigen Krieg heruntergebrannt war, in Stein aufgebaut und in den folgenden Jahrzehnten immer wieder vergrößert und verschönert, so dass es zu dem prachtvollen Hof wurde, der heute stolz von einem Hügel auf die weiten Wiesen und Weiden herabschaute, die zum Besitz der Herren von Regau gehörten.

Tja. Wiesen und Weiden, etwas sumpfiges Gelände, ein kleiner Wald – alles in der hügeligen, lieblichen Landschaft des Voralpenlandes gelegen, die sich nur für Weide- und Milchwirtschaft eignet.

Ein wunderschöner Besitz! Aber leider längst keiner mehr, der etwas brachte. Kaum, dass er sich trug.

Dass er sich überhaupt bis heute getragen hatte, verdankte er allein dem Umstand, dass die beiden Herren von Regau auf dem Hof arbeiteten, als wären sie selbst Knechte, und dass der Schweizer Franz Mattes genauso an dem Anwesen hing und genauso stolz auf die Herde und die Stiere war wie die Besitzer selbst. Sonst wäre er kaum mit dem vergleichsweise bescheidenen Lohn zufrieden gewesen.

So aber hörte er nicht auf seine Frau Marta, wenn die jammerte, wie knapp es mit ihrem Einkommen herging.

»Das verstehst du nicht«, pflegte er zu sagen, »wo sonst in der Welt hätten wir eine so schöne große Wohnung in einer so wunderschönen Umgebung! Es fehlt uns doch nichts! Und ich will hier genauso wenig weg wie meine Altvorderen und die Altvorderen von unserm Herrn.«

»Und was ist, wenn es nicht mehr weitergeht? Bei den ständig fallenden Milchpreisen?«, trumpfte sie auf und las ihm immer wieder von den vergeblichen Bemühungen der Bauern vor, anständig für ihre schwere Arbeit entlohnt zu werden.

»Wenn der junge Herr Arnulf reich heiratet …«, begann Mattes dann regelmäßig.

Und Frau Marta unterbrach ebenso regelmäßig mit einem spöttischen Auflachen:

»Als ob von den reichen Mädeln sich heute eine auf so einen abgelegenen Hof setzen würde! Es ist ja nicht einmal ein Schloss oder wenigstens ein Herrenhaus – es ist ein Bauernhof.«

»Aber was für einer, Mami!«, rief dann ihre Tochter Kordula, Kordi genannt. »Wo im Oberland findest du noch einen mit einer so herrlichen Lüftlmalerei!«

Ja, die Lüftlmalerei, wie man in Bayern die Fresken auf den alten Häusern nennt, war wirklich etwas ganz Besonderes. Sie stellte nicht nur die Bauernheiligen da, wie die heilige Notburga mit der Sichel, den heiligen Isidor mit der Heugabel, den heiligen Leonhard mit den Pferden, da waren neben der Mutter Gottes mit dem Jesusknaben und dem heiligen Joseph auch noch der Johannes mit dem Lamm und der heilige Florian, der den Hof vor Feuer bewahren sollte. Unter dem Giebel war ein schönes Bild von Gott Vater, der segnend auf alle herabschaute, die durch die geschnitzte Eichentür aus und ein gingen, und über ihm schwebte der Heilige Geist in Gestalt einer Taube.

Doch das war noch längst nicht alles! An den Seitenwänden des Gebäudes waren Szenen aus dem 30-jährigen Krieg dargestellt. Man sah hier den siegreichen bayrischen Kurfürsten, den Grafen Tilly und den schneidigen Regauer, wie er vom Kurfürsten in den Adelsstand erhoben wurde. Ein ganzes Geschichtsbuch war da zu sehen. Und nicht selten kamen Schulklassen, um sich an Hand der Bilder die Schrecken des damaligen Krieges anzuschauen. Und noch öfter kamen geschichtlich interessierte Damen und Herren, um sich die kunstvolle Bemalung aus dem 18. Jahrhundert zu betrachten.

Da musste Frau Marta zustimmen, dass dies etwas ganz Unvergleichbares war, obgleich sie noch einen anderen Grund hatte, weswegen sie gerne weggezogen wäre.

Aber den erwähnte sie lieber nicht – vielleicht kam ja doch bald eine reiche Frau ins Haus!

Daran dachten auch die beiden Herren von Regau, während sie dem braven Hektor zusahen, wie er seine Pflicht hervorragend erledigte.

»Du musst endlich passend heiraten«, sagte Kuno zu seinem Sohn.

»Ach ja? Und wen?«

»Du liebe Zeit: so wie du aussiehst!« Sein Vater betrachtete ihn mit dem prüfenden Blick eines Züchters.

Ja, Arnulf konnte sich überall sehen lassen! Er war groß, schlank, dabei kräftig – kein Wunder bei der schweren Arbeit, die er verrichtete! Er hatte schönes dunkles Haar und noch dunklere Augen unter dichten Brauen und Wimpern. Seine Nase war gerade und nicht zu klein, er hatte einen großzügigen Mund und fabelhaft weiße gesunde Zähne. Er hatte das Diplom in Landwirtschaft – zum Doktor hatte das Geld nicht mehr gereicht, da war damals seine Mutter gestorben, und er musste heim, um auf dem Hof zu helfen. Eine zusätzliche Kraft konnten sich die Regauer nicht leisten.

Oh, es gab genug Mädchen, denen er gefiel. Unter den Töchtern der reichen Bauern genauso wie unter denen, deren Brüder mit ihm zusammen studiert hatten und die wie er dem Adel angehörten. So jemand wäre dem Vater natürlich lieber gewesen!

Aber mit den jungen Damen war es genauso, wie Frau Marta sagte: den Arnulf wollten sie schon – aber auf seinem Hof leben und mitarbeiten – danke nein!

Wenn er ihn verkaufen würde. Oder verpachten. Oder in ein schickes Hotel umfunktionieren, mit der Möglichkeit zu reiten und einem Golfplatz. Tja dann! Aber auf dem Ohr hörten die beiden Regauer nicht.

Der Stierhof war ein Stierhof und kein Rosshof – obgleich man nichts gegen Pferde hatte, sondern sich sogar ein Gespann bayrischer Warmblüter hielt, für die Arbeit im kleinen Bergwald ebenso wie für die alljährliche Leonhardifahrt. Aber die Milchviehherde und den letzten Stier auch noch abschaffen – nein, das kam einfach nicht in Frage!

»Und weshalb soll ich reich heiraten? Du könntest das schließlich auch tun!«, ging Arnulf jetzt grinsend zum Gegenangriff über. »Du siehst doch fabelhaft aus mit deinen gerade zweiundsechzig Jahren.«

»Ach was, ich alter Krauter«, wehrte Kuno lachend ab. »Du bist neunundzwanzig! Gerade im richtigen Alter!«

»Aber die zu dir passenden Damen sind vielleicht nicht mehr so scharf darauf, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.«

»Dafür sind sie noch weniger scharf darauf, auf dem Hof mitzuarbeiten«, meinte sein Vater lakonisch.

»Nun ja, es kommt ja ohnehin nur eine reiche Frau in Frage!«, stellte Arnulf fest.

»Eben«, erwiderte Kuno. »Und noch dazu eine, die bereit ist, ihr Geld in den Hof zu stecken.«

Ja. Das kam noch dazu. Eine Witwe mit Kindern kam somit nicht in Frage.

Arnulf nickte betrübt.

»Ich bin bei den Kaunitz eingeladen«, sagte er nach einer Pause.

»Und?«

»Ich kenne Gisela zwar gut …«, er räusperte sich vielsagend, »und ich weiß, dass sie mich mag. Aber auf den Hof will sie nicht. Das hat sie mir mehrmals versichert.«

»Ja, ja, das hast du mir erzählt«, nickte sein Vater. Dann holte er tief Luft. »Es hilft nichts. Wir müssen nochmals einen Anlauf unternehmen. Schließlich werde ich älter ...«

»Aber Papa! Du doch nicht! Du bist doch noch immer ein attraktiver Mann!«

Das traf zu: Kuno von Regau sah ausgesprochen gut und vornehm aus. Schlank, ebenso groß wie sein Sohn, wenn auch nicht ganz so breitschultrig, mit vollem weißen Haar, einem weißen Schnauzbart, hellen grauen Augen und einem gut geschnittenen Mund. Er hatte noch seine eigenen Zähne – auch wenn sie nicht mehr ganz so weiß waren wie die seines Sohnes. Ja, eine Frau würde er wohl jeden Tag finden! Nur keine Bäuerin. Denn wer hier einheiratete, lief zwar unter dem Titel: Gutsherrin, aber die Arbeit einer Großbäuerin blieb ihr nicht erspart.

Außer – sie brachte viel Geld mit.

Und es musste wirklich viel sein!

Und ob so jemand bereit war, sein Geld in ein Anwesen wie dieses zu stecken? Auch wenn es noch so schön und besonders war?

Tja, das waren alles Überlegungen, die sie schon unzählige Male angestellt hatten.

»Trotzdem!« Kuno bemühte sich um einen entschlossenen und energischen Ton. »Wir müssen etwas unternehmen.«

»Und was?«, erkundigte sich Arnulf spöttisch.

»Wir gehen auf den Adelsball!«

»Ach, du liebe Zeit! Das haben wir doch schon mehrmals versucht!«, erinnerte ihn sein Sohn wenig begeistert.

»Ja.« Kuno hatte das keineswegs vergessen. »Aber dieses Mal werde ich mich an den Präsidenten der Adelsvereinigung persönlich wenden, an den Fürsten Löwenstein. Wenn ich ihm unsere Situation schildere …«

»… falls er sie nicht ohnehin kennt!«, unterbrach Arnulf.

»Bestimmt kennt er sie. Aber ich werde ihm erklären, dass es allmählich sehr dringend wird. Und er wird aus eigener Erfahrung wissen, dass ich nicht übertreibe. Auch wenn er natürlich anders dasteht als wir.«

Arnulf lachte.

»Darf ich dich daran erinnern, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Fürstlichkeiten heiratsfähige Töchter aus adeligen Familien einfach verheiraten konnten? Nicht einmal die Eltern haben heute noch wirklichen Einfluss!«

Kuno winkte ab.

»Er kann uns bei der Tischordnung so platzieren, dass wir passende Damen kennenlernen. Zumindest müssen wir es versuchen.«

Dagegen fiel Arnulf kein Argument ein.

»Meinetwegen«, erwiderte er nachgiebig.

Bei sich dachte er, dass sein Vater immer noch bessere Chancen haben würde als er. Und dies aus einem ganz einfachen Grund: Zu den Adelsbällen gingen heute nur mehr die ganz jungen Mädchen mit ihren Eltern, von sechzehn bis höchstens zwanzig. Die in einem zu ihm passenden Alter waren, waren entweder verheiratet oder wenig anziehend oder hatten einfach keine Lust – so wie er auch! Und eine Sitzengebliebene zu nehmen, auch wenn sie vielleicht eine gute Mitgift hatte – nein, das schien ihm doch zu viel verlangt! Vielleicht – mit neununddreißig. Aber jetzt ganz bestimmt noch nicht!

Bei seinem Vater sah das ganz anders aus: da waren die durchaus noch attraktiven Witwen. Und auch einige Geschiedene gab es heutzutage. Freilich, wenn Kinder da waren oder liebe Verwandte, die auf ein Erbe warteten … Nein, einfach war es auch für seinen Vater nicht.

Aber probieren musste man es. Da waren sich Vater und Sohn einig.

*

»Am Wochenende geht unsere Herrschaft auf einen Ball«, berichtete Franz Mattes beim Abendessen.

»Auf einen Adelsball?«, fragte Marta. Und setzte gleich hinzu: »Natürlich! Wohin sonst! Aber da werden sie wieder niemanden finden!«

»Sie sehen doch beide gut aus«, warf Kordi ein und beugte sich tief über ihren Teller.

»Natürlich«, sagte Marta unwillig. »Aber sie brauchen jemanden mit Geld, der bereit ist, dieses Geld auch in den Hof zu stecken!«

»Ich verstehe nicht, dass sich da niemand findet! So ein wunderschöner Hof!«, erwiderte Kordi leise und beschäftigte sich noch intensiver mit ihrem Essen.

Sie war ein auffallend hübsches Mädchen mit großen blauen Augen, einer kleinen feinen Nase, einem weichen, sehr einladenden Mund und prachtvollem goldblondem Haar, das ihr schmales Gesicht schmeichelnd umrahmte. Sie hatte eine reizende Figur mit schmaler Taille, vollem Busen und runden Hüften – restlos ungeeignet für die heutige Mode als Model, aber ein ausgesprochen erfreulicher Anblick im Dirndl.

Sie hatte das Abitur in einer

Klosterschule gemacht und arbeitete zur Zeit bei den gleichen Nonnen an ihrer Prüfung zur Hauswirtschaftsmeisterin, die sie garantiert mit Auszeichnung bestehen würde, so fleißig, tüchtig und intelligent, wie sie war. Außerdem plante sie, nach der demnächst stattfindenden Prüfung eine Winterschule für Waldbauern und Milchbauern zu besuchen. Und dies, obgleich es ihrer Mutter sehr viel lieber gewesen wäre, wenn sie einen Hotelfachkurs gemacht hätte oder wenigstens noch zusätzlich eine Ausbildung zur Diätköchin. Aber davon wollte Kordi nichts hören. Abgesehen davon, dass sie das ja immer noch tun konnte. Sie war schließlich erst dreiundzwanzig!

Auch ihr Vater machte sich gelegentlich Gedanken – meist erst, wenn Marta ihn wieder einmal energisch darauf hingewiesen hatte. Aber natürlich nicht so viele wie Kordis Mutter. Schon, weil er kaum Zeit zum Grübeln fand.

Kordi war, seit sie denken konnte, in den jungen Herrn verliebt. Schon, als sie vier war, bewunderte sie ihn rückhaltlos von Ferne. So sahen für sie die Märchenprinzen aus!

Natürlich nahm der damals zehnjährige Arnulf sie überhaupt nicht zur Kenntnis. Und das änderte sich auch nicht, als Kordi zwölf und vierzehn wurde und ihre Bewunderung sich in Schwärmerei wandelte. Er war damals achtzehn und dann zwanzig, kämpfte erst mit dem Abitur und später mit dem Studium, da er ja immer nebenbei noch auf dem Betrieb mitarbeiten musste und auch wollte. Und zudem hatte er Erfolg bei älteren und damit interessanteren Mädchen.

Als sie dann achtzehn und älter wurde und auch der Babyspeck und die gelegentlichen Pubertätspickel verschwanden, fand er sie zwar nett und sympathisch, besonders weil sie in ihrer Freizeit auf dem Hof mithalf, aber das war auch alles.

Sie war die Tochter des Schweizers.

Sie passte nicht für einen Herrn von Regau. Schon deshalb, weil sie kein Geld hatte. Und eben überhaupt.

Kordi wäre für viele junge Bauern aus der Umgebung eine willkommene und gute Partie gewesen, und man bemühte sich auch um sie. Aber zum Bedauern ihrer Mutter war aus ihrer Jungmädchenschwärmerei inzwischen eine richtige Verliebtheit geworden.

Aber für Kordi war es keine Verliebtheit. Arnulf von Regau war die große Liebe ihres Lebens, und wenn nicht das Wunder geschah und er eines Tages ihre Gefühle erwiderte, dann würde sie eben überhaupt nicht heiraten. Jedenfalls nicht, bevor er nicht eine Frau und mindestens ein Kind hatte, so dass sie sicher sein musste, wirklich keinerlei Chancen mehr zu haben.

Doch weil sie wusste, dass ihre Eltern sich nur aufregen würden, wenn sie ihnen das gestand, behielt sie es für sich und verteilte weiterhin Körbe an die Junggesellen der Umgebung.

*

Kuno von Regau hatte den Fürsten Löwenstein nicht nur angerufen, er hatte ihn schriftlich um ein Treffen gebeten, um ihm die Lage auch wirklich plastisch schildern zu können.

Der Fürst hatte ihn sehr freundlich empfangen – schließlich hatten Regauer immer wieder unter den Farben des Löwensteins in den verschiedenen Kriegen gekämpft – und hatte sich voller Verständnis seine Sorgen angehört. Er war ein großer dicker Herr, und die Schwierigkeiten der Landwirte waren ihm aus eigener Erfahrung bekannt, auch wenn er sie auf Grund von Industriebeteiligungen bis jetzt immer wieder ausgleichen konnte.

Er versprach, sein Möglichstes zu tun.

»Du bist doch ein gut aussehender Mann«, meinte er. Er duzte ihn und behandelte ihn als gleichgestellten Standesgenossen, was keineswegs das Üble war. »Da müsste sich doch jemand finden lassen!«

Kuno bedankte sich für das Kompliment.

»Die im Alter zu mir passenden Damen schauen eher auf Bequemlichkeit«, erwiderte er mit schiefem Lächeln. »Besonders wenn sie wissen, dass es mir um ihr Geld geht! Und das Landleben ist nicht jedermanns Sache. Auch mein Sohn ist bisher erfolglos.« Er zeigte dem Fürsten ein Foto, und der nickte anerkennend.

»Schade, dass die jungen Damen unserer Kreise so oberflächlich sind. Jedenfalls viele«, schränkte er schnell ein. Dann betrachtete er Kuno prüfend: »Soll es denn unbedingt eine Standesgenossin sein?«

»Aber wo! Ich will bestimmt keine Kinder mehr! Und wenn es sich um eine gebildete, hübsche und sympathische Dame handelt, kann ich mir nicht vorstellen, dass mein Sohn wählerischer ist als unsere europäischen Kronprinzen!«

Der Fürst lachte und stimmte ihm zu.

»Ich werde mein Bestes tun!«, versicherte er ihm. »Natürlich möchte ich dann zur Hochzeit eingeladen werden!«

Kuno versprach es lachend.

*

Heute Abend fand der Adelsball, von dem beide sich so viel erhofften, statt, und Kuno und Arnulf standen nebeneinander in ihrem Hotelzimmer vor dem großen Spiegel und betrachteten sich und auch den anderen prüfend.

Sie waren im Smoking und fanden, dass sie durchaus etwas hermachten. Sie trugen beide das Malteserkreuz am Revers, was bedeutete, dass jeder auf mindestens sechzehn adelige Vorfahren zurückblicken konnte. Vielleicht gab es ja unter den in Frage kommenden Damen jemanden, der auf so eine reine blaublütige Abstammung Wert legte. Jedenfalls wollten sie für alle Möglichkeiten gerüstet sein.

Fürst und Fürstin Löwenstein standen am Eingang zum Festsaal und begrüßten jeden einzelnen herzlich und mit Namen – den ihnen vorher ein junger Herr zugeflüstert hatte, der mit einer Liste in der Hand die zahlreichen Gäste empfing.

»Mein lieber Regau!«, begrüßte der Fürst Kuno und stellte ihn und Arnulf seiner Gemahlin vor. Die reichte ihnen gnädig die Hand zum Kusse.

»Waidmannsheil!«, murmelte der Fürst Kuno zu, und der grinste schief und erwiderte wie es sich gehörte: »Waidmannsdank!«

Zwei andere junge Herren nahmen sie nun in Empfang und führten sie zu verschiedenen Tischen. Wie immer begann der Ball nach der offiziellen Begrüßung mit einem gesetzten Diner. Arnulf wurde an einen Jugendtisch begleitet, Kuno an einen für reifere Jahrgänge.

Arnulf war der Letzte, alle anderen saßen bereits und sahen ihm neugierig entgegen. Und wie er mit Entsetzen feststellte, war er mit Abstand der Älteste!

Die jungen Herren leisteten eben ihren Militärdienst ab oder waren bestenfalls in den ersten Semestern, und die jungen Damen – oje! – die sahen alle aus, als würden sie noch die Schulbank drücken. Er hatte es geahnt!

Doch er war entschlossen, noch nicht aufzugeben. Mit ihm saßen zwölf Personen am Tisch, und er stellte sich einem der Herren vor und bat, ihn mit den Damen bekannt zu machen. Nachdem er alle Hände geschüttelt hatte – so jungen Damen küsste man sie nicht! –, setzte er sich zwischen seine beiden Tischdamen. Die waren sichtlich beide ebenso verlegen, einen richtig erwachsenen Mann an ihrer Seite zu haben, wie er über die Jugend seiner Tischdamen zur Rechten und zur Linken.

Bestimmt gefiel er ihnen. Oder imponierte ihnen!, dachte Arnulf und grinste unwillkürlich.

Seine Tischdame zur Rechten war eine hübsche Gräfin, die freilich noch mit dem Babyspeck und einer Jugendakne kämpfte. Jedes Mal, wenn er sie ansprach, wurde sie rot. In zwei, drei Jahren würde sie garantiert ganz attraktiv sein.

Aber wollte er so lange warten? Nun, vielleicht kam es ja darauf hinaus! Also machte er ihr entschlossen den Hof. Schließlich trug sie einen berühmten Namen, einen, der nicht nur wegen seiner Vornehmheit, sondern auch wegen des damit verbundenen Vermögens bekannt war.

Seine Dame zur Linken hatte gerade ihr Abitur bestanden und wollte Landwirtschaft studieren. Sie war weniger hübsch, aber gleichfalls vornehm und sehr reich, eine kleine Baroness. Leider stellte sich schnell heraus, dass sie einen eigenen Betrieb hatte, den sie eines Tages selbst führen wollte. Sie unterhielt sich mit ihm über

die Schwierigkeiten, welchen man heutzutage ausgesetzt war. Eigentlich war sie recht vernünftig. Aber übriges Geld hatte sie ganz offensichtlich nicht. Die brauchte selbst jemanden, der Geld hatte und bereit war, das in ihren Betrieb zu stecken.

»Er kann ruhig bürgerlich sein«, stellte sie sachlich fest. »Mein Vater adoptiert ihn dann oder unsere Kinder, damit der Name auf dem Betrieb erhalten bleibt. Ich habe nämlich keine Brüder.«

Arnulf wünschte ihr Glück für ihre Unternehmungen und konzentrierte sich für den Rest des Diners mehr auf seine Dame zur Rechten.

Den ersten Walzer tanzte er mit der molligen Gräfin, den nächsten mit der energischen Baroness und dann rund um den Tisch mit sämtlichen Damen, wie es sich eben gehörte und wie es die anderen Herren am Tisch ebenfalls machten.

Dann wäre er am liebsten heimgegangen. Oder in ein Lokal für Erwachsene, in dem er vermutlich andere Adelstöchter getroffen hätte, die zumindest im Alter besser zu ihm passten.

Doch als er zu seinem Vater hinüberschaute, sah er zu seiner Überraschung, dass dieser sich königlich amüsierte!

Das wäre ja großartig, wenn der jemanden getroffen hätte! Womöglich konnte er dann frei wählen …

Arnulfs Laune hob sich beträchtlich, und er blieb genauso lange wie sein alter Herr, weil er diesen immer wieder beobachtete.

Als dieser aufbrach, wollte er sich ihm anschließen, doch Kuno bemerkte höchst animiert:

»Nimm dir ein Taxi!«

Donnerwetter!, dachte Arnulf und beschloss, zu Fuß zum Hotel zu gehen. Da konnte er dann über die Folgen dieses Balles in Ruhe Vermutungen anstellen.

*

Auch an Kunos Tisch war für zwölf Personen gedeckt. Am Tisch saßen bereits drei Ehepaare, die ihre Kinder ausführten und von denen Kuno wenigstens eines kannte. Zudem war seine Tischdame zur Linken bereits eingetroffen.

»Sie sind alleine hier?«, fragte er überrascht, als man ihn ihr vorgestellt hatte.

»Mein Mann war Offizier«, erwiderte sie liebenswürdig. »Er ist vor drei Jahren bei einem Manöver umgekommen. Es ist mein erster Ball seit seinem Tod.«

»Oh, das tut mir sehr leid. Ich meine – das Unglück mit Ihrem Mann. Dass Sie hier sind – freut mich!«, verbesserte Kuno sich schnell.

Sie hieß Hannelore von Austen – und er war von ihr einfach entzückt. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das ihre hervorragende Figur geschickt betonte. Der halsferne Tulpenkragen zeigte ihren schönen Hals und eine sehr kostbar wirkende Perlenkette. Ihre schlanken, aber keineswegs knochigen, sondern angenehm runden Arme waren nackt, und der Schmuck, den sie trug, war geschmackvoll und zweifellos kostbar. Sie hatte ein ebenmäßiges Gesicht, sehr gut frisiertes blondes Haar, helle blaue Augen, eine etwas spitze Nase und einen aufregenden Mund – so fand jedenfalls Kuno. Die Unterlippe war sehr voll und die Oberlippe schmal und scharf gezeichnet. Das spitze Kinn fiel ihm gar nicht mehr auf.

Sie war zweifellos eine schöne und sehr elegante Frau. Allerdings schien sie ihm etwas jung. Er schätzte sie auf Mitte Dreißig. Schade, dass sie nur seine Tischdame zur Linken war!

Sie unterhielten sich sehr gut – bis auch ihr Tischherr eintraf: ein wohlbeleibter Graf, von dem Kuno wusste, dass ihm erst kürzlich seine Frau gestorben war. Der Ärmste hatte drei Kinder und brauchte für sie eine Mutter. Er passte mit seinen Mitte Vierzig – so schätzte ihn Kuno jedenfalls! – besser zu ihr. Aber zu seiner Freude hatte er den bestimmten Eindruck, dass er, Kuno, ihr um einiges besser gefiel.

Er bemühte sich sehr um seine elegante Tischdame. Doch die wendete sich immer wieder an Kuno und blinzelte ihm verschwörerisch zu. Es machte ihm eigentlich gar nichts, dass seine eigentliche Tischdame noch gar nicht aufgetaucht war.

Wie er aus der Tischkarte entnehmen konnte, handelte es sich um eine Gräfin Eva Burgau. Er hatte den Namen gehört, verband aber im Moment keine Vorstellung mit ihm und konnte sich auf keinen Fall vorstellen, dass sie ihm besser gefallen würde als die schicke Hannelore.

»Kennen Sie meine noch nicht eingetroffene Tischdame?«, erkundigte er sich, als sie bereits beim zweiten Gang angelangt waren.

»Ach die!«, sagte Hannelore und rümpfte ein wenig die Nase. »Sie stammt … Ich weiß nicht woher. Sie hat dann den reichen Grafen Burgau geheiratet. Er war viel älter als sie. Ist bereits vor zehn Jahren an Krebs gestorben, und sie leitet jetzt seine Unternehmen. Es gibt keine Kinder. Aber natürlich genug Neffen und Nichten. Aber sie hält wie eine Hyäne alles zusammen. Sie ist fürchterlich geizig, erzählt man sich. Nicht einmal den Kindern gibt sie zu Weihnachten ein kleines Geschenk. Ganz anders als ihr verstorbener Mann. Sie hat kein Gefühl für Familie! Aber so ist es eben, wenn jemand über seinem Stand geheiratet hat!«

Diese Gräfin schien keine angenehme Person zu sein, dachte Kuno und bedauerte nicht, dass sie noch nicht eingetroffen war. Immerhin hatte er aus den Worten der attraktiven Hannelore herausgehört, dass sie selbst von Adel war.

Gleichzeitig mit dem Hauptgang traf seine Tischdame ein.

Kuno erhob sich umgehend und rückte ihr den Stuhl zurecht, nachdem er sie höflich begrüßt hatte.

»Ich muss mich entschuldigen!«, rief Gräfin Burgau lachend. »Aber eben als ich aufbrechen wollte, begann meine Hündin zu werfen. Ich wollte sie nicht alleine lassen, auch wenn mein Diener gut mit ihr zurechtkommt. Ich habe abgewartet, bis der Tierarzt eintraf. Es ist eine kleine Münsterländerhündin, und ich muss zugeben, dass sie sich etwas hysterisch verhalten hat. Es

ist ihr erster Wurf. Als ich ging, waren schon drei Welpen eingetroffen.«

»Beim ersten Wurf sind es meistens nicht so viele«, sagte Kuno. Sie wirkte eigentlich gar nicht so unangenehm. Aber der Eindruck konnte natürlich täuschen.

Sie wandte sich ihm zu und sah ihn aufmerksam an.

»Ja, ich weiß. Der Tierarzt meinte, ich könnte noch zwei oder drei erwarten.«

»Züchten Sie?«, erkundigte sich der Herr, der ihr gegenüber saß.

»Nein, eigentlich nicht. Das Ganze ist ein Unfall!«, erzählte sie gut gelaunt. »Hexe ist mir ausgebüchst und fremdgegangen. Ich ahne nicht, wer der Vater ist!«

Kuno lachte. Hannelore zog ein saures Gesicht.

»Was machen Sie dann mit den Welpen?«, fragte Kuno amüsiert.

»Wollen Sie vielleicht einen?«, fragte Gräfin Burgau prompt. »Zumindest von der Mutter her sind sie sehr gut veranlagt …«

»Bis auf die Hysterie!«, erinnerte Kuno sie.

Sie lachte herzlich.

»Das ist bestimmt nur, weil es das erste Mal ist! Außerdem vermute ich, dass der Vater gesundes rotes Blut beigesteuert hat. Garantiert werden die Kinder besonders hübsch und intelligent!« Und sie lachte wieder. Etwas herausfordernd, fand Kuno und amüsierte sich insgeheim. Nein, er konnte sie nicht unsympathisch finden!

Er fand sie sehr amüsant, auch wenn Hannelore ihm besser gefiel. Er bemerkte, dass man ihr mit einer gewissen Zurückhaltung begegnete – und dass es sie nicht kümmerte.

Auch Eva Burgau war eine gut aussehende Frau. Allerdings um einiges älter als Hannelore. Er schätzte sie auf Ende Vierzig bis Fünfzig. Dem Alter nach hätte sie besser zu ihm gepasst. Und wie er vermutete, hatte sie auch mehr Geld. Aber nur auf das Geld schauen … Nein! Das wollte er auch mit zweiundsechzig nicht!

Sie aß mit gutem Appetit und ließ sich auch ein zweites Mal vorlegen.

»Schließlich habe ich die beiden ersten Gänge versäumt«, meinte sie vergnügt und nahm sich auch reichlich vom Dessert.

Kuno fand sie immer sympathischer, und der Umstand, dass Hannelore deutlich merken ließ, dass sie ihr nicht gefiel und dass es ihr auch nicht gefiel, dass Kuno sich so gut mit ihr unterhielt, steigerte seine gute Laune noch mehr.

Gräfin Burgau trug zu einem schmalen Rock aus silbern glitzernden Pailletten einen figurbetonten Kasack aus schwarzem Duchess, in dessen Stoff in mattem Schwarz ein Blumenmuster eingewebt war. Er sah unglaublich teuer aus. Die Knöpfe, passend zum Rock, waren aus funkelnden Similisteinen. Dazu hatte sie lange Ohrringe, gleichfalls aus Similisteinen, angelegt. Die blau blitzenden Brillanten an ihren schönen gepflegten Händen machten deutlich, dass sie den Modeschmuck aus einer Laune heraus angelegt hatte. Wahrscheinlich, weil er dekorativ war und gut zu dem Kasack passte. Sie hatte ein volles Gesicht, schöne dunkle Augen mit langen Wimpern, eine stumpfe Nase und einen weichen Mund. Ihr Haar war schwarzbraun, und an den Schläfen zeigte sich bereits ein Grau. Sie hatte es im Nacken hochgesteckt, doch es lösten sich einige Strähnen heraus. Sie versuchte immer wieder, sie zurückzustreichen, aber es gelang ihr nicht.

»Daran ist Hexe schuld!«, sagte sie und lachte unbekümmert.

Sie war noch mit dem Dessert beschäftigt, als die Kapelle zum

ersten Tanz aufspielte.

»Können Sie warten, bis ich fertig bin?«, fragte sie lächelnd, als Kuno sichtlich nicht recht wusste, wie er sich verhalten sollte. Hannelore schwebte bereits mit dem dicken Grafen über die Tanzfläche.

»Selbstverständlich«, erwiderte er natürlich.

»So, jetzt geht es mir besser!«, stellte sie fest. »Ich hatte richtig Hunger.« Sie lachte ihn wieder an, in ihren Augen war ein forschender Ausdruck. Wahrscheinlich hatte der Fürst ihr von ihm erzählt!

Kuno stand auf.

»Machen Sie mir jetzt das Vergnügen?«

»Gerne!«, erwiderte sie.

Sie tanzte hervorragend. Und da auch Kuno ein guter Tänzer war, machte es beiden großen Spaß. Er traf auf der Tanzfläche mit Arnulf zusammen und stellte ihn der Gräfin vor.

»Oje«, meinte er, »mein Sohn scheint nicht so viel Glück mit seinen Tischdamen zu haben wie ich!«

»Abwarten«, sagte sie, denn es entging ihr nicht, wie Kuno jedes Mal, wenn sie an Hannelore von Austen vorbeitanzten, dieser zulächelte. Doch er bemerkte nicht, dass es ihr auffiel.

Als sie zum Tisch zurückgingen, knöpfte sie sich ihren Kasack auf.

»Mir ist warm geworden!«, stellte sie fest. »Erst das gute Essen und dann der Tanz!«

Er half ihr heraus, und sie warf das teure Stück, er entdeckte das Etikett von Yves Saint Laurent, nachlässig über die Lehne ihres Stuhles. Sie trug darunter eine weich fallende Bluse aus matter schwarzer Seide, die in einem aparten Schnitt ihre schönen runden Schultern frei ließ, während lange weite Ärmel ihre Arme bedeckten.

»Sehr schick!«, stellte er fest.

»Ja, ich habe mich angestrengt!«, erwiderte sie vergnügt.

Er entschuldigte sich und wandte sich nun Hannelore von Austen zu. Sie strahlte ihn an, und er war sich sicher, dass sie beide heute nicht das letzte Mal zusammen tanzten.

Als sie wieder bei ihrem Tisch vorbeikamen, stellte er verblüfft fest, dass die Gräfin von ihrem Tischherrn zur Linken nicht aufgefordert worden war, sondern alleine am Tisch saß. Als er bei Hannelore eine Bemerkung machte, erwiderte die mit einem spöttischen Lächeln:

»Damit wäre seine Frau, Baronin Merck, kaum einverstanden gewesen. Sie ist sehr standesbewusst: eine geborene Prinzessin Au.«

»Ich finde es einfach unhöflich, wenn man seine Tischdame nicht auffordert!«, fand Kuno ärgerlich.

»Ja, die Gräfin ist nicht besonders beliebt«, gab Hannelore mit einem überlegenen Lächeln zur Antwort. »Schon, wie sie sich gegen die Verwandten ihres Mannes verhält!«

»Vielleicht hat sie Gründe!« Kuno konnte sich nicht vorstellen, dass die charmante Gräfin so ein Ekel war.

Hannelore lachte kurz auf, dann fragte sie neckisch:

»Ich hoffe, Sie haben mich nicht nur aus Höflichkeit aufgefordert?«, lenkte Hannelore ab.

»Ganz gewiss nicht!«, erwiderte er lächelnd. »Ich freue mich schon jetzt auf unseren nächsten Tanz!« Und er küsste ihr die Hand.

Kuno bemerkte, dass nur zwei der fünf Herren außer ihm mit der Gräfin tanzten. Als sie wieder einmal allein am Tisch sitzen blieb, beobachtete er, wie sie aufstand und an den Tisch des Fürsten Löwenstein ging. Dort setzte sie sich zu der Fürstin, mit der sie sich sehr gut unterhielt. Später sah er, dass Löwenstein mit ihr tanzte.

Nachdem er sämtliche Pflichttänze am Tisch absolviert hatte, forderte er Hannelore auf. Sie gefiel ihm wirklich sehr! Am liebsten hätte er den ganzen Abend mit ihr getanzt, aber dann entschloss er sich, auch Gräfin Burgau nochmals aufzufordern.

»Sie war meine Tischdame. Es gehört sich – auch wenn nicht alle dieser Ansicht sind!«, erklärte er Hannelore.

*

Im Hotel angekommen überlegte Arnulf, ob er jetzt wie ein besorgter Vater auf seinen alten Herrn warten oder doch besser zu Bett gehen sollte. Er schenkte sich ein Glas Wein ein, doch er schmeckte ihm nicht. Er hatte heute genug getrunken, um sich über die allzu jungen Damen hinwegzutrösten.

Als er aus dem Bad kam, betrat sein Vater eben das gemeinsame Hotelzimmer.

»Na, du Herzensbrecher!«, begrüßte ihn Arnulf.

Kuno grinste zufrieden.

»Bist du neidisch?«

»Auf deine Erfolge?«

»Ich weiß noch nicht, ob es ein Erfolg ist«, schränkte sein Vater gut gelaunt ein. »Aber auf alle Fälle gefällt sie mir sehr gut, und ich glaube …« Er wiegte vielsagend den Kopf.

»Zumindest war sie eine der elegantesten Damen des Abends«, stellte Arnulf fest.

»Ja, nicht wahr?«, stimmte sein Vater stolz zu, und er amüsierte sich, weil er sich zweifellos verliebt hatte.

»Hat Löwenstein sie dir als Tischdame ausgesucht?«, erkundigte er sich nun.

»Eigentlich nicht. Sie war meine Tischdame zur Linken, aber der ihr zugedachte Graf war ihr zu dick und hat außerdem drei Kinder unter zehn.«

»Sie mag keine Kinder?« Arnulf sah ihn zweifelnd an.

»Sie ist erst fünfunddreißig und hätte lieber eigene!«

»Papa!« Arnulf sah ihn sprachlos an.

»Was hast du gegen ein Schwesterchen oder Brüderchen?«, scherzte sein Vater. Doch dann wurde er ernst. »So weit ist es noch nicht. Wir kennen uns ja kaum. Was wissen wir schon voneinander – außer, dass wir beide gut und gern tanzen!«

»Stimmt. Das reicht kaum für eine Heirat«, fand Arnulf. »Aber – ist sie nicht ziemlich jung?«

»Älter wird sie von selber und dann kann sie wenigstens richtig mitarbeiten«, meinte Kuno. Sein Sohn hatte den Eindruck, dass er das behauptete, um sich selbst darüber zu beruhigen.

»Und du denkst – sie ist wirklich für das Landleben geeignet?«

»Ich hoffe es!«, erwiderte sein Vater. »Und jetzt will ich nicht mehr darüber reden.«

Arnulf schwieg einen Moment, dann fragte er:

»Und wie war die Tischdame, die Löwenstein dir ausgesucht hat?«

»Nett und amüsant und sie sah auch gut aus. Sie ist allerdings keine geborene Adelige –, dafür hat sie sehr viel Geld. Sie ist die Witwe des Grafen Burgau und scheint im Clinch mit der ganzen gräflichen Familie zu liegen.«

»Die Ärmste!« Arnulf lachte.

»Ach, ich habe den Eindruck, dass sie ganz gut damit fertig wird. Sie kam zu spät, weil ihre junge Hündin gerade geworfen hat.«

»Das klingt doch sehr sympathisch.«

»O ja, das ist sie auch. Aber – Hannelore gefällt mir besser. Sie ist eine verwitwete von Austen und eine geborene Freiin Bergheim.«

»Und bringt sie außer ihrem guten Aussehen noch etwas in eine etwaige Ehe mit?«, spöttelte Arnulf.

»Sie ist nicht reich, aber wohlhabend. Und wenn ich schon heiraten soll, dann will ich auch meinen Spaß dabei haben!«, erwiderte sein Vater ungnädig und verschwand im Bad.

Arnulf seufzte – und kam sich wie eine enttäuschte Mutter vor, deren Tochter sich in den Reitlehrer anstatt in den Besitzer der Pferdezucht verliebt. Nichts gegen ein Schwesterchen oder Brüderchen – nur, wenn er das dann noch auszahlen musste, dann war es zweifellos das Ende vom Stierhof.

*

Vermutlich war das der Grund, weshalb er Hannelore von Austen einfach nicht sympathisch finden konnte.

Bereits am folgenden Sonntag tauchte sie auf dem Betrieb auf. Sie war wieder totschick angezogen und auch durchaus passend, wie er zugeben musste. Lange Hosen, einen grünen Rolli, Stiefel mit flachen Absätzen, ein Lodencape und einen Trachtenhut, der ihr blendend stand. Ihr Schmuck war dezent: grüne Halbedelsteine in den Ohren und eine Kette aus den gleichen Steinen. An der Linken Siegelring und Ehering, an der Rechten die im Adel so beliebten ›Treueringe‹: drei Ringe, bei denen zwischen zwei Brillanten jeweils ein Smaragd, ein Rubin und ein Saphir in ein Goldband gefasst war.

Sie begrüßte ihn sehr liebenswürdig, stellte fest, dass er seinem Vater sehr ähnlich sah bis auf die dunklen Augen, und forderte ihn auf, sie und Kuno doch bei der Besichtigung des Gutes zu begleiten. Er sah seinem Vater an, dass er es lieber gesehen hätte, mit ihr allein zu sein. Aber er wollte sie näher kennen lernen und übersah Kunos Stirnrunzeln.

Von dem alten Haus mit seinen kostbaren, antiken Möbeln, die keineswegs nur bäuerlich waren, schien sie ausgesprochen begeistert.

»Es ist ja riesig!«, rief sie immer wieder. »Ich kann mir vorstellen, was es kostet, es in diesem fabelhaften Zustand zu erhalten!«

»Ja, es ist eigentlich für eine große Familie gedacht!«, sagte Kuno und wieder wunderte sich Arnulf über seinen Vater.

Sie bewunderte den romantischen Weinkeller und die Ställe aus der Frührenaissance. Selbstverständlich bewunderte sie auch die Zuchtbuchherde und vor allem Hektor, den Stier. Aber irgendwie hatte Arnulf das Gefühl, dass sie an den Tieren nicht so interessiert war.

Als eine der Hofkatzen kam und sich an ihren Beinen rieb, schob sie sie ungeduldig weg.

»Katzen liegen mir nicht. Und ich mag es nicht, wenn ihre Haare an meinen Kleidern hängen.«

»Sie sind die meiste Zeit in den Ställen«, erwiderte Kuno zu Arnulfs Überraschung schnell.

»Ich weiß, auf einen Gutshof gehören Katzen – wegen der Mäuse!«, gab sie ihm lachend zur Antwort. »Es gibt ja auch sehr hübsche. Aber ich mag Hunde lieber!«

»Haben Sie einen Hund?«, fragte Arnulf nun.

»Nein. Ich kann ihm in meiner Stadtwohnung kein hundegerechtes Leben bieten.« Sie lächelte ihn an.

Das war eigentlich eine sehr vernünftige Ansicht. Obgleich – einen kleinen Hund konnte man sich auch in der Stadt halten! Es musste ja kein Jagdhund oder Berner Sennenhund oder etwas ähnliches sein.

»Unser Arco ist schon ziemlich alt. Ich habe vor, mir im Frühjahr einen jungen Hund dazu anzuschaffen«, warf Kuno nun rasch ein, da er das Gefühl hatte, die Unterhaltung zwischen den beiden verlief nicht ganz so, wie er es sich gewünscht hätte.

»Was ist er für eine Rasse?«, erkundigte sich Hannelore.

»Deutsch Rauhaar, ein Jagdhund für Flugwild.«

»Ihr macht Treibjagden?«, fragte sie sehr interessiert.

»Die letzten Jahre nicht mehr.«

»Habt ihr nicht mehr genug Wild?«

»Schon. Aber es blieb irgendwie keine Zeit!«, wich Kuno aus.

»Aber das ist doch schade! So eine Jagd ist doch immer ein gesellschaftliches Ereignis.«

»Seit meine Frau tot ist, habe ich davon abgesehen.«

Arnulf fand, es klang, als wolle sein Vater sich dafür entschuldigen.

»Es ist ein Mordsaufwand und kommt auch teuer«, sagte er trocken.

Hannelore lachte.

»Du bist wohl der Sparsamere von euch beiden?«

»Wir sind beide vernünftig«, gab er zur Antwort und übersah, wie sein Vater missbilligend den Kopf schüttelte.

Als sie über den Hof zurück ins Haus gingen, kamen Mattes und seine Frau aus der Milchkammer. Sie hatten die Melkmaschinen gereinigt, was bei einer Herde von hundert Stück Vieh ziemlich viel Zeit in Anspruch nahm.

»Das ist unser Schweizer. Ein sehr tüchtiger Mann. Schon sein Vater und Großvater waren hier auf dem Hof!«, sagte Kuno und winkte den beiden, herüberzukommen. »Herr Mattes und Frau Marta«, stellte er vor. »Frau Marta ist eine exzellente Köchin. Sie versorgt uns hervorragend.«

»Oh, wie schön.« Hannelore lächelte hochmütig und neigte ein wenig den Kopf zur Begrüßung. »Und wie kommst du mit so wenigen Kräften auf dem großen Hof aus?«

»Was heißt wenig?« Kuno war etwas verlegen, weil sie den beiden nicht die Hand gegeben hatte. »Arnulf und ich arbeiten mit! Natürlich hatte man früher sehr viel mehr Knechte, aber heute hat man ja viele Maschinen.«

»Ach!« Sie sah ihn überrascht an.