Einleitung

»Wie, Sie sind leidenschaftliche Naturwissenschaftler und glauben noch an Gott?« – eine Frage, die uns immer wieder gestellt wird. Unsere Antwort darauf ist: Gerade weil wir uns leidenschaftlich mit Naturwissenschaften befassen, glauben wir an Gott.

Seit der Zeit der Aufklärung haben die Naturwissenschaften eine atemberaubende Entwicklung durchlaufen und dominieren alle Bereiche unserer modernen Gesellschaft. Keiner ist davon ausgenommen. Man geht davon aus, dass sich das naturwissenschaftliche Wissen innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren verdoppelt und sich mit diesem rasant wachsenden Wissen der Glaube an Gott widerlegen lässt.

Dabei spielen aber der Glaube an Gott und die Naturwissenschaften auf völlig verschiedenen Gebieten menschlicher Erkenntnis. Dem Glaubenden kommt es auf eine lebendige Beziehung zu Gott an, die notwendig persönlich-subjektive Anteile hat. Beim naturwissenschaftlichen Arbeiten müssen aber gerade diese persönlichen Anteile des Forschers ausgeblendet werden. Der naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinn besteht aus Generalisierung, Reduzierung und Theoriebildung. Diese Theorien können nur falsifiziert und nicht letztgültig bewiesen werden. Der Prozess der Falsifizierung hilft aber auch bei der Festigung gängiger Theorien.

Bei Gotteserfahrungen geht es zunächst um persönliche Erlebnisse, die mit anderen Glaubenden geteilt werden und mit den Erfahrungen anderer Menschen, die in den religiösen Schriften niedergeschrieben sind, verglichen werden können. Religiöse Erfahrung fragt aber auch immer nach einer Lebensordnung, Wertorientierung und Sinn, die durch naturwissenschaftliche Methoden nicht beantwortet werden können. Dabei ist das offene Gespräch unter den Gläubigen entscheidend. Das ist in Bezug auf den naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ähnlich: Durch Disputationen, also Diskussionen und Gespräche, bildet sich ein Konsens unter den Forschern heraus.

Hier werden die Differenzen, aber auch Ähnlichkeiten von Naturwissenschaft und Glaube deutlich. Durch die naturwissenschaftliche Forschung kann Gott nicht widerlegt, aber auch nicht bewiesen werden. Doch sie kann einen Hinweis für den suchenden Menschen auf das Handeln Gottes in unserer Welt sein. Der Gegensatz zwischen Gottesglaube und naturwissenschaftlicher Erkenntnis wurde und wird hauptsächlich durch fundamentalistische Strömungen aufgemacht, die nur eine Seite gelten lassen wollen. Damit wird jedoch die Sicht auf unsere Wirklichkeit in einer unzulässigen Weise verengt.

Dieses Buch möchte den Leser auf eine staunenswerte Reise in die Welt der zunächst nüchtern erscheinenden Naturwissenschaften mitnehmen, deren Ergebnisse aber auf einen zweiten Blick immer wieder zum Staunen anregen. So kann zwischen beiden Welten eine Brücke geschlagen werden, die die Sichtweise auf unsere eine Wirklichkeit weitet. Wenn man über die Bedeutung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse tiefer nachdenkt, tragen sie zur Verzauberung der Welt bei und führen nicht, wie manche meinen, zu einer Entzauberung der Wirklichkeit, die uns umgibt. Wenn man naturwissenschaftliche Einsichten ernst nimmt, kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, denn eine Antwort zieht mindestens zehn neue Fragen nach sich.

Die naturwissenschaftlichen Inhalte sind weitestgehend auf allgemeinverständlichem Niveau beschrieben, wobei die einzelnen Kapitel teilweise aufeinander aufbauen. So erschließt sich deren Verständlichkeit in der vorliegenden Reihenfolge am besten.

Dabei ist es jedem Leser selbst überlassen, was er persönlich als staunens- oder wundernswert entdeckt. Das kann das ganze Thema eines Kapitels sein oder auch jedes einzelne Detail. In das angenehme freudige Wundern kann sich auch ein Erschrecken über die Dimensionen und Vorgänge in der Natur mischen, sodass das innere Aufhorchen zum weiteren Fragen, Suchen und Antwort-Finden anregt.

Mit dreiunddreißig Phänomenen aus Astronomie, Biologie, Chemie und Physik, die uns besonders staunenswert erscheinen, wollen wir Sie mit auf eine Entdeckungsreise durch die Naturwissenschaften nehmen. So kann jeder, der es will, in jedem staunenswerten Detail der belebten und unbelebten Natur Gott finden und so das scheinbare Vakuum zwischen Naturwissenschaft und Glauben füllen.

1. Konstant klare Schönheit – unser Kosmos

Der Begriff »Kosmos« kommt aus dem Griechischen und geht auf Pythagoras und Heraklit zurück. Er hat mehrere Bedeutungen: Ordnung, Schönheit, Ganzes, Einheit von Himmel und Erde. Wir benutzen heute auch synonym dazu Begriffe wie Universum, Welt und Weltall und meinen die Gesamtheit von Raum, Zeit, Energie und Materie. Der Gegenbegriff zum Kosmos ist das Chaos, das Ungeordnete, Unschöne und Zerstörende. Aber trägt der Kosmos seine Bezeichnung zurecht? Ist wirklich alles geordnet und so, wie wir es von der Naturbeobachtung auf der Erde her kennen?

Es brauchte die modernen Naturwissenschaften, um überhaupt die Naturgesetze in ihrer allgemeinen Gültigkeit zu formulieren. Als einer der Ersten, der einen solchen allgemeingültigen Zusammenhang über die Erde hinaus herstellen konnte, ist Isaac Newton mit seiner Gravitationstheorie zu nennen. Er entwickelte aus der Einsicht in die Bewegungsabläufe auf der Erde ein Gesetz, nach dem sich alle mit Masse behafteten Körper bewegen.

Zunächst war dieser Zusammenhang nur auf der Erde gültig nachweisbar, aber seine allgemeine Ableitung zeigte, dass er auch auf die Planeten und ihren Bewegungen Anwendung finden konnte. Was Johannes Kepler noch in einer Art »magnetischen Kraft« vermutete, lag für Newton in der Gravitation, der Schwerkraft und ihrer Wirkung auf alle Körper, begründet. Ein naturwissenschaftliches Gesetz galt damit nicht nur auf der Erde, sondern fand auch bei den Himmelskörpern auf ihrer Bahn um die Sonne seine Bestätigung.

Entscheidend waren bei der Gravitationstheorie für Newton zunächst nur Proportionen: Je schwerer ein Körper, desto stärker auch die von ihm ausgehende Gravitationskraft. Im Lauf der Geschichte führte man daher eine Konstante ein, die zwischen den verschiedenen Massen und Kräften vermittelte und sie für die Berechnung in die richtige Größenordnung brachte: die Gravitationskonstante. Sie ist eine sehr kleine und doch – im wahrsten Sinn des Wortes – gewichtige Zahl: im Normalfall kommen nach dem Komma erst einmal zehn Nullen, bevor sie mit zwei Sechsen startet.

Nach der Gravitation fand man noch weitere Bestätigungen dafür, dass sowohl auf der Erde als auch im Weltall die gleichen Gesetze gelten. Wichtig war dabei Joseph Fraunhofer und seine Forschungen zum Licht der Sonne: Als er mit einem Prisma sehr genau das Sonnenlicht aufspaltete, sah er wie schon andere zuvor ein Regenbogenband, das von Rot über Gelb und Grün bis Blau leuchtete. Beim näheren Betrachten entdeckte er verschiedene dunkle Linien in diesem sogenannten Spektrum der Sonne. In der gleichen Zeit fand Robert Wilhelm Bunsen das Gegenstück zu den dunklen Linien im Licht von hoch erhitzten Proben einzelner Stoffe wieder. Jedes physikalische Element hatte einen charakteristischen Fingerabdruck, durch den man es identifizieren konnte! Natrium leuchtet zum Beispiel gelb auf, andere Elemente blau oder rot. Genau genommen fand man zu jedem Element einen ganz individuellen Satz an hellen Linien, an dem es erkannt werden konnte.

Fraunhofer wandte nun dieses Wissen wieder auf die Sonne und die Sterne an. So konnte er die Elemente, die auf der Erde nachweislich vorkommen, im ganzen Weltall wiederfinden. Die Gültigkeit der Naturgesetze, wie man sie hier auf der Erde kannte, ließ sich auf den ganzen beobachtbaren Bereich der Welt übertragen. Mithilfe des Lichtes und seines Spektrums konnten so Informationen über weit entfernte Sterne gewonnen werden. Das für uns als viel zu kleine Menschen unzugängliche Weltall hatte einen Botschafter bekommen: das Licht und seine Farben! Fraunhofer und Bunsen brachten uns die Sterne nahe. Heute wissen wir über Distanzen von Millionen von Lichtjahren hinweg, was in weit entfernten Galaxien geschieht, wenn wir ihr Licht beobachten und es analysieren.

Nach der Entdeckung der Gravitation wurden viele weitere Bereiche der Physik entwickelt. Der Elektro-Magnetismus, bei dem bereits das Wort anzeigt, dass hier zwei Bereiche ineinandergreifen: der Teil, der von geladenen Teilchen ausgeht, und der untrennbar damit zusammenhängende Magnetismus.

Immer wieder benötigen Physiker fundamentale Konstanten in ihren Berechnungen, die aus den Formeln nicht wegzudenken sind. Bis heute fanden die Physiker vierzig dieser fundamentalen Konstanten. Dazu gehören so prominente und große Vertreter wie die Lichtgeschwindigkeit mit etwa 300 000 Kilometern pro Sekunde. Aber auch sehr kleine Konstanten wie das Plancksche Wirkungsquantum, das aus der Quantenphysik stammt. Ohne diese Konstanten funktionieren die Formeln nicht und es entsteht kein sinnvoller Zusammenhang im Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche der Physik. Aber das ist noch nicht alles: Man hat einmal versucht, mit diesen Konstanten im Kosmos zu »spielen«. Der sich daraus ergebende Misserfolg war immer der gleiche: Unsere Welt funktioniert nur mit den Naturkonstanten, so, wie sie sind beziehungsweise wie sie gemessen wurden. Machte man die eine etwas größer, die andere kleiner, dann würde entweder alles auseinanderfliegen oder unsere bekannte Physik wie ein Kartenhaus zusammenstürzen.

Die etwa vierzig Naturkonstanten sind echte Konstanten, das heißt: Sie können nicht hier auf der Erde so und in weit entfernten Galaxien anders sein. Aber sie müssen nicht nur räumlich gleich bleiben, sondern auch zeitlich über die vergangenen 13,8 Milliarden Jahre, was dem heute geschätzten Alter unseres Weltalls entspricht, damit genau das werden konnte, was geworden ist.

Als wäre das nicht schon erstaunlich genug, gesellt sich zu den grundlegenden Gesetzen und Konstanten noch etwas ganz anderes Konstitutives hinzu: der Zufall der Quantenphysik. Ohne sie wäre alles in unserem Kosmos statisch und unveränderlich. Er bringt ein kreatives Moment mit in die Naturgesetze, das nicht vorhersehbar und nicht berechenbar ist, wohl aber im Nachhinein eine ganz deutliche Wirkung zeigt.

Ein wahrhafter Kosmos, der uns da umgibt und seinem Namen alle Ehre macht – es ist eine geordnete Schönheit mit Gesetzen und Konstanten, die eine auf Entwicklung angelegte Wirklichkeit aufspannen. Albert Einstein sagte einmal: naturwissenschaftliche Formeln müssen einfach und schön sein. Das eine ist einem Grundprinzip der Naturwissenschaften geschuldet, Erklärungen so einfach wie möglich zu halten. Aber es ist sicher auch ein ästhetisches Empfinden des Forschers, das da aus seinen Worten spricht.

Wir können nicht nur über diese übergeordnete und kreative Ordnung, die in der Natur grundgelegt ist, staunen, sondern ihr auch dankbar sein: Sie ist die Bedingung der Möglichkeit unseres Lebens!

2. Sprechen Sie Mathematik? – Die Sprache der Naturwissenschaft

Galileo Galilei hat schon im 17. Jahrhundert darauf hingewiesen, dass das Buch der Natur nur zu verstehen sei, wenn man ihre Sprache, die Mathematik, beherrsche. Mit dieser Feststellung hatte er eine Grundlage für die erfolgreiche Entwicklung der Naturwissenschaften in den folgenden Jahrhunderten gelegt. Die wichtigste Beschreibungsweise für Phänomene in der Natur ist bis heute die angewandte Mathematik geblieben. Ich [CG] persönlich verbinde damit eine Erfahrung, die mir ihre grundsätzliche Rolle wie unter einem Brennglas zeigte.

Mit achtzehn hatte ich für das Elektrotechnikstudium einen Taschencomputer bekommen. Als Erstes machte ich mich daran, ein Programm zu schreiben, das die Planetenstellungen zu jedem beliebigen Zeitpunkt ausrechnen konnte. Der Fachbegriff dafür heißt in der Astronomie Ephemeridenrechnung. Die Grundlagen stammen aus der Mathematik: Geometrie, Trigonometrie und etwas Algebra. Sie waren in einem speziellen Buch zusammengefasst, das sogar einen Abschnitt enthielt, in dem ein Computerprogramm wie ein Kochrezept beschrieben war. Ich musste es nur für meinen Rechner übersetzen. Innerhalb weniger Tage konnte ich das Programm starten. Doch es brachte ausschließlich falsche Ergebnisse!

Da mein Computer über wenig Speicherplatz verfügte – es waren nur zwei Kilobyte und damit etwa ein Milliardstel dessen, was heutige Computer leisten –, musste ich sehr verkürzt programmieren. Ich konnte alle Programmierfehler ausräumen, was aber am Ergebnis nichts änderte, es blieb falsch. Als ich das »mathematische Kochrezept« aus dem astronomischen Buch überprüfte, fand ich eine fehlende Quadratwurzel in der Anleitung. Nachdem ich also die mathematischen Berechnungen in meinem Programm korrigiert hatte, zeigte mir mein Computer prompt die richtigen Ephemeriden der Planeten innerhalb weniger Sekunden an. Das war ein einzigartiger Moment für mich! Die Erfahrung, dass sich Himmelskörper tatsächlich an dem Ort am Himmel befinden, den mein kleiner Computer für eine gewünschte Zeit berechnet hat, war außerordentlich und ergreifend für mich: Ich kleiner Mensch konnte mit einem Rechner in der Hand bestimmen, wo der riesige Gasplanet Jupiter oder der rote Planet Mars am Himmel stand! Was wusste denn mein Rechner von Jupiter oder Mars? Aber nicht nur für Jupiter funktionierte mein Programm: Alle Planeten und Himmelskörper konnte ich berechnen, wenn ich die grundlegenden Daten für die Berechnung ihre Bahnen, wie sie schon Kepler bestimmt hatte, besaß.

Aber was kümmerte die Planeten die Ergebnisse meines Computers? Oder welche Macht führte sie auf die vorausberechnete Bahn? Welchen Zusammenhang gab es zwischen abstrakter Mathematik und daraus folgenden Berechnungen mit physischen Körpern im Weltall? Was ließ die Materie so um die Sonne kreisen, dass ich sie berechnen konnte? Das waren die Fragen, die mich beschäftigten. Bei einem Jesuiten las ich einmal den lakonischen Satz: »Gott muss ein Mathematiker sein oder zumindest Mathematik mögen.«

In mir war eine riesengroße Freude, dass ich richtige Ergebnisse berechnen konnte. Sie mischte sich mit einer faszinierten Verwunderung darüber, dass ich mittels eines einfachen Computerprogrammes verstand, wie sich die Planeten, die Asteroiden und die Kometen unseres Sonnensystems um die Sonne bewegten. Im Lauf meines Elektrotechnikstudiums konnte ich die mathematischen Hintergründe noch vertiefen. Mithilfe der sogenannten Fourieranalyse lassen sich die zeitlichen Veränderungen der Planetenpositionen in einen mathematischen Bildbereich von Schwingungen übertragen. Damit kann jedem Planeten auch eine Frequenz zugeordnet werden und der Umlauf des Planeten um die Sonne durch Transponierung hörbar gemacht werden. Es war so etwas wie »Sphärenmusik«, die da mein inneres Ohr vernahm – und das durch ein mathematisches Konzept! Tatsächlich gibt es Kompositionen, die versuchen, die rechnerischen Ergebnisse in Musik zu verwandeln. Sie klingen allerdings mehr nach modernem Jazz als nach der von Kepler gesuchten Harmonie des Weltalls.

Bei Albert Einstein fand ich später Zustimmung zu diesem sehr bemerkenswerten Zusammenhang von zunächst abstrakter Mathematik und Zahlenspielen mit der konkreten Natur. Er schrieb sinngemäß: Die unverständlichste Sache des Universums ist, dass es verständlich ist. Es ist die Verwunderung darüber, dass wir etwas von diesem Kosmos verstehen können, dass sich die uns umgebende Welt überhaupt von uns Menschen verstehen lässt. Unser Leib, unser Bewusstsein und unser Verstand sind Teil der biologischen und damit auch der chemischen und physischen Welt, die uns umgibt. Wie kommt es, dass sich diese Welt mit abstrakten und geistigen Konzepten und sogar mit Mathematik verstehen lässt?

Dass unsere Welt mit naturwissenschaftlichen Methoden erfasst und berechnet werden kann, ist aber auch die entscheidende Grundlage dafür, dass wir überhaupt mit ihr »etwas anfangen« können. Aus unseren Sinneserfahrungen heraus können wir nicht nur innere Bilder ableiten, sondern allgemeine Begriffe bilden, über die wir uns verständigen. Die Begriffe bleiben jedoch nicht nur isoliert nebeneinander stehen, sondern können in Beziehung zueinander gesetzt werden. Das ist ein wesentlicher Teil, den die Mathematik als eine abstrakte Metasprache leistet. Die Verbindung von unseren geistigen Fähigkeiten und der Natur ist zunächst eine Annahme, eine Festsetzung, die sich im praktischen Leben immer wieder bewährt hat und auch zum Fortschritt und zum Erfolg der Naturwissenschaften wesentlich beigetragen hat. Die physische Welt lässt logische Abläufe erkennen und ist somit theoretischen Überlegungen zugänglich. Es gilt aber auch umgekehrt: Zunächst rein geistige Konzepte finden plötzlich ihre Anwendung in unserer praktisch-körperlichen Alltagswelt, ohne dass wir dafür einen Grund angeben können.

Für mich ist das einer der wesentlichen Hinweise darauf, dass unsere Welt nicht nur zufälligen physikalischen Gesetzen folgt, die sich der Entstehung aus einem rein materiellen Universum verdanken. Die Grundlagen unserer Welt müssen tiefer, also in einer Verbindung der geistigen und materiellen Bereiche liegen. Damit ist auch eine Forderung sowohl an den Glauben als auch an die Naturwissenschaft verbunden: sich nicht gegenseitig auszuschließen, sondern vielmehr die Ergebnisse für die Wahrnehmung und Deutung unserer Welt ernst zu nehmen. Der christliche Glaube sagt mir, dass die Welt eine Schöpfung Gottes ist, die er immer weiter in ihrem Dasein erhält und in der er durch seinen Geist anwesend ist. Die Naturwissenschaft erzählt mir davon, wie groß die Fülle in unserem Weltall, wie schwer verständlich sie für uns Menschen in vielen Details ist, gerade dann, wenn sie dem Leben nicht in der Weise entspricht, wie wir es uns persönlich wünschen. Welch zweifelhafte Irrwege scheint diese Evolution in der Biologie doch zu gehen!

Das größte aller naturwissenschaftlichen Rätsel wird der Mensch sich selbst bleiben. Wie könnte er mit seinem begrenzten Horizont sich ganz und gar verstehen? Es braucht die größere Einheit, um die kleinere zu verstehen. Die steht uns aber nicht zur Verfügung. Und unversehens ist man mit naturwissenschaftlichen Fragen im Bereich der Philosophie und Theologie, die auf diesem Feld ihre Antworten suchen, welche nicht einseitig verkürzt ausfallen dürfen.

Für mich ist die biblische Erzählung von einem Gott, der da ist und da sein lässt, der mit uns Menschen geht, ja sogar mit uns die Prozesse der Menschwerdung erleidet und auf seine Weise unerwartet neues Leben schaffend darüber hinausführt, die beste aller Antworten auf all diese Fragen. Wichtig ist mir aber ebenfalls, dass dies kein in sich abgeschlossenes System ist, sondern dass es offen bleibt für all das Neue, das Gott selbst schafft. Welche Offenbarung sich auch immer in der Zukunft aus den Naturwissenschaften über die Schöpfung ergeben werden, auch sie erzählen mir von der unerschöpflichen Kreativität Gottes.

3. Im Anfang war das Wort – und ein Big Bang

Einer der gefragtesten Bereiche der Physik ist derzeit die Kosmologie, die man genauer als Kosmogonie bezeichnen müsste, da sie versucht, das Werden unseres Kosmos zu beschreiben. Damit werden Grundfragen der Menschheit berührt: Woher kommen wir? Was ist der Ursprung von uns Menschen? Die Kosmologie ist allerdings nur ein Teil dessen, was als physikalische Evolution bezeichnet werden kann.

Bei allen verschiedenen Modellen zur Entstehung unserer Welt gilt heute das sogenannte Standardmodell oder Urknallmodell als das meist akzeptierte. Trotz einiger gewichtiger Lücken und Fragezeichen hat es sich bei allen Überprüfungen durch Beobachtungen immer wieder bestätigt. Und: Es gibt zurzeit kein Modell, das die Beobachtungen der Astronomen im heutigen Kosmos besser erklären könnte.

Nach diesem Modell zum Beginn und zur Entstehung unserer Welt liegt der »Anfang« des Universums in der Expansion eines unvorstellbar kleinen Punktes. Durch die Gesetze der Schwerkraft kann dieser Punkt nicht kleiner als 10–43 m gewesen sein. Es ist die sogenannte Planklänge. Denn wäre dieser Punkt kleiner, würde die Energiedichte des Vakuums sofort dazu führen, dass es kollabiert – und damit würde genau nichts entstehen. Im anfänglichen Punktkosmos war schon alle Energie und Materie des heutigen Kosmos vereinigt, eine nicht vorstellbare Energiedichte. So muss die Temperatur höher als 1030 Grad bei unvorstellbar hohem Druck gewesen sein.

Alle Kräfte waren vereinigt in einer großen Urkraft oder in einem Ur-Atom, wie es der belgische Jesuit Lemaître nannte, der die Theorie mit entwickelte. Aus dieser Vorstellung heraus hat sie die abwertend gemeinte Bezeichnung »Urknalltheorie« bekommen, wobei völlig klar ist, dass zu Beginn nichts »knallen« konnte. Der Anfangszustand entzieht sich der physikalischen Beschreibung. In jedem Fall expandierte dieser Uranfang des Kosmos. Alles, was wir uns über den Beginn ausmalen, kann nicht abbilden, wie dies vonstatten ging. Es übersteigt im wahrsten Sinn unsere Vorstellungskraft, denn »außerhalb« gibt es keine Raum-Zeit, keine Materie, zumindest nichts davon in unserem heutigen Sinn.

Relative Klarheit und Einigkeit herrscht bei den Forschern über die Phase der sogenannten Inflation. Sie muss sofort nach dem Urknall eingesetzt haben, also bei 10–34 Sekunden, als die Temperatur unter 1028 Grad gefallen war. Das heißt, das beginnende Universum dehnte sich innerhalb von 10–33 Sekunden auf das 1050–fache auf die Größe von etwa zehn Zentimetern aus. Der Zustand des Universums veränderte sich völlig. Es kam dabei zu einer Brechung der Symmetrien, das heißt, dass die eine Urkraft sich in die vier Grundkräfte der Natur aufspaltete: Gravitation, Elektromagnetismus sowie die schwache und starke Kernkraft.

In dem noch immer sehr heißen Universum entstanden aus dieser Energie die ersten Bausteine unserer heutigen Materie – allerdings auch das, was wir heute Antimaterie nennen. Eigentlich hätte alle Materie und Antimaterie wieder zerstrahlen müssen. Aber es lösten sich nicht alle entstandenen Teilchen in Energie auf, sondern bei einer Milliarde Zusammenstößen eines Materie- mit einem Antimaterieteilchen blieb glücklicherweise ein Baustein unserer Materie übrig. Es ist noch unklar, wie dieser wunderbare Überhang entstand, aber er erklärt das Dasein unserer heutigen materiellen Welt, wie wir sie kennen.

Danach setzte die Bildung der Bausteine der Atomkerne ein: Aus jeweils drei verschiedenen sogenannten Quarks (»Geisterteilchen«) entstanden Protonen und Neutronen. Sie verschmolzen innerhalb kürzester Zeit in einer Phase der Kernfusion zu der noch heute zu messenden Verteilung der Atomsorten in unverändert gebliebenen Gaswolken des Kosmos: 75 Prozent Wasserstoff, 25 Prozent Helium und Spuren von Lithium. Die Expansion setzte sich weiter fort und die Temperatur fiel unter eine Million Grad. Damit hörte die Kernfusion des Anfangs auf, etwa drei Minuten nach dem Beginn der Expansionsbewegung.

Die Ausdehnung des Universums nahm weiter ihren Lauf und nach etwa 300 000 bis 400 000 Jahren war die Temperatur so weit gefallen (auf etwa 5 000 Grad), dass sich Elektronen und Atomkerne zu »richtigen« Atomen verbanden. War zuvor das Elektron-Atomkern-Plasma undurchsichtig, wurde der Kosmos plötzlich durchsichtig. Die bei der Bildung der Materie milliardenfach häufiger entstandenen Photonen hatten nun freie Bahn. Dies ist auch das »Licht-Echo« von der Entstehung der Welt, das heute noch bei einer Strahlungstemperatur von 2,7 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt von Radioteleskopen oder speziellen Satelliten nachgewiesen werden kann.

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Uns ist nur ein Universum zugänglich und das entzieht sich streng genommen der naturwissenschaftlichen Methode, die Wiederholbarkeit und Generalisierung einfordert. Die Welt, in der wir leben, ist einzigartig! Sie hat eine faszinierende Entstehungsgeschichte, die man sich nicht besser hätte ausdenken können. Eine der schönsten Geschichten unserer Welt!