Gezähmte Wildnis

Tagebuch einer Reise nach Namibia

von Angelika Keusch-Wannags

Über die Autorin:

Angelika Keusch-Wannags wurde 1951 in Bückeburg/ Niedersachsen geboren und wuchs als ältestes von zwei Geschwistern auf. Im Alter von 26 Jahren zog sie nach Hamburg und machte Karriere in einem großen Dienstleistungsunternehmen als Marketing-und zuletzt als Vertriebsleiterin.

Sie hat viele Länder in Europa, Asien, Amerika und Afrika bereist und oft ihre Erlebnisse in Tagebüchern festgehalten. „Gezähmte Wildnis“ ist ihr erster Reisebericht, den sie veröffentlicht.

Sie sagt von sich selbst, daß sie Namibia „überhaupt nicht auf dem Plan“ hatte. Wie es dann doch zu der beschriebenen Reise kam - aber lesen Sie selbst …

Für Aylin

Ich widme dieses Buch Aylin. Aylin, die in Namibia geboren ist, dort lebt und die mir in der kurzen Zeit, in der ich sie kennenlernen durfte, während sie mir in ihrem Heim Unterschlupf gewährte, eine Freundin geworden ist. Sie ist eine der starken Frauen, die alles bewegen können, wenn sie wollen. Man kann prima mit ihr lachen, herumalbern, Spaß haben, aber auch tiefgründige Gespräche führen und ernsthaft über alle möglichen Themen reden.

Sie würde sogar in meine Mädelsrunde passen, die sich jeden Dienstagabend trifft und das ist ein echtes Kompliment!

Mit dem Herzen in Afrika

Wann beginnt so eine Reise? Dann, wenn man sich de facto von zuhause wegbewegt oder schon viel früher? Wenn man bereits mit dem Kopf, dem Herzen oder der Vorbereitung auf Reisen ist? Und wie kommt es überhaupt dazu, daß ich mich für Namibia interessiere?

Ich glaube, grundsätzlich für diese Art von Reisezielen hat es damit angefangen, daß ich als Kind in einer Zeit aufgewachsen bin, in der an Feiertagen immer Filme, wie „Ein Platz für Tiere“, „Serengeti darf nicht sterben“ oder „Hatari“gezeigt wurden, auch wenn diese in Tansania oder Südafrika spielten. Ich habe kiloweise Bücher von Stefanie Zweig (Kenia), Stefanie Gercke und Henning Mankell (Südafrika) geradezu „verschlungen“ und mich gefreut, mir gemerkt zu haben, daß man mit „Siyabonga gakhulu“, das man mit Klicklaut ausspricht, „Willkommen“ oder auch „vielen Dank“ ausdrücken kann, allerdings in der Sprache der Zulu. Auch nach dem Film „Jenseits von Afrika“ mit Robert Redford und Meryl Streep bin ich im Herzen in den Lodges im südlichen Afrika gewesen und habe mir gewünscht, dort zu leben, dabei zu sein, in der Sonne, nahe den wilden Tieren Pflanzen zu züchten und Tiere oder Menschen zu umsorgen.

Und dann habe ich Friedrich kennengelernt, Friedrich, der in Namibia aufgewachsen ist und den man dort „Brüder“ nennt. Friedrich, mit dem ich eine Zeit lang zusammengearbeitet habe und der mir ein guter Freund geworden ist. Friedrich, dem ich nach seinem Herzinfarkt als Grund, mit dem Rauchen aufzuhören, spontan angeboten habe: „Wenn Du das schaffst, dann fliege ich mit Dir nach Namibia“. Und da sind wir nun, mitten in den Reisevorbereitungen, sechzehn Tage vor dem Abflugdatum.

Brüder‘s Vater war im zweiten Weltkrieg bei der Kriegsmarine und hatte dort einen Kriegskameraden, der nach dem Krieg direkt nach Südwest-Afrika (1918-1990) auswanderte und sich dort eine Agentur mit Konsumgütern, wie Kaffee und Tee, aufbaute. Der Vater absolvierte in Deutschland eine Lehre als Landschaftsgärtner und machte sich danach selbstständig. Die Trennung von seinem Freund unterband nicht die Kommunikation der beiden untereinander. Man schrieb sich. Kurz darauf war die Agentur des Kameraden so erfolgreich, daß er im Jahr 1953 Unterstützung brauchte. Brüders Vater fand das spannend, war aber inzwischen verheiratet und hatte drei Kinder. Die entwurzelt man nicht einfach so aus einer Laune heraus. Doch seine Frau stärkte ihm den Rücken und so machte er sich auf nach Südwest-Afrika, um vorzuchecken, was ihn und seine Familie dort erwarten würde.

Etwa ein Jahr später, im August 1954, kamen seine Frau und seine drei Kinder nach. Eine enorme Reise. Der Flug ging von Hamburg über Rom, Athen, Kairo, Nairobi und Johannesburg, wo sie übernachten mußten. Am nächsten Tag nahmen sie den Flieger nach Windhoek. Brüder war damals zweieinhalb Jahre alt.

Eine glückliche Kindheit in der Sonne folgte für die drei Geschwister. Die Eltern unternahmen mit ihren Kindern ausgedehnte Reisen im ganzen Land in die Wüste, zu den Tieren oder ans Meer nach Swakop-mund. Später besuchte Brüder drei Jahre lang die Deutsche Privatschule Karibib, ein Internat, das sich auf dem halben Weg zwischen Windhoek und Swa-kopmund befindet.

Ende der 60er Jahre trennten sich seine Eltern und der Vater hatte vor, seine Kinder, die noch die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen, mit zurück nach Deutschland zu nehmen. Das gelang ihm jedoch nur mit Brüder, der seinerzeit in Namibia noch keine feste Bindung hatte und von jeher seinem Vater näher als der Mutter war.

So machte sich Brüder im Februar 1982 auf ins gepriesene Deutschland und kam mit einem kleinen Koffer und in namibischer Winterkleidung, die hier nicht sehr warmhält, im tiefsten Winter am Hamburger Hauptbahnhof an, wo ihn die zweite Frau seines Vaters abholte. Sie mußten mit dem Taxi nach Eißendorf in den Pressenstieg fahren, weil aufgrund des mehr als reichlichen Schneefalls die Regionalzüge ausgefallen waren. Zu dem Zeitpunkt war der Vater bereits wieder als Entwicklungshelfer in Nigeria tätig.

Brüder faßte in Deutschland Fuß, vergaß aber nie seine Wurzeln, die ihn mit Namibia und einem Teil seiner Familie, die dort noch immer lebt, verbinden.

Aufregung vor der Reise

Und damit zurück zu den Reisevorbereitungen. Was braucht man an Impfungen? Ich war im Hamburger Tropeninstitut, wo ich nach einer ausführlichen Beratung folgenden Virencocktail bekam: Hepatitis A und B, Typhus, Tetanus, Polio, Diphterie und Keuchhusten. Diesen verabreichte man mir mittels drei Spritzen in die Oberarme. Huiuiui!!!

Ich war drei Tage lang groggy, insbesondere, weil ich noch mit den Resten einer Erkältung kämpfte. Außerdem bekam ich ein Rezept über Malarone Tabletten gegen Malaria, die ich einen Tag vor Einreise in das gefährdete Gebiet Namibias, das bei Okahandja beginnt, einnehmen muß. Mir wurde auch dringend geraten, das Mückenschutzmittel NoBite mit 50 DEET für Haut und Kleidung mitzunehmen. Man bekommt es bei Globetrotter, muß aber darauf achten, daß man auch wirklich DEET als Inhaltsstoff erwischt. Es gibt nämlich auch andere Zusammensetzungen. Ich frage mich ernsthaft, ob sie nicht in Namibia selbst die besseren Mückenschutzmittel haben. Das hätte den Vorteil von weniger Gewicht im Koffer. Na ja, jetzt habe ich NoBite bereits gekauft.

Nach der Reise haben wir vor, einen Filmvortrag über Namibia zu halten. Brüder hat uns dazu bei der Volkshochschule in Rotenburg als Dozenten angemeldet. So sitzen wir zusammen und verfassen folgenden Text, der im VHS-Programm, das im Ort an alle Haushalte geht, erscheinen soll:

Titel: „Namibia, Heimatland voller Überraschungen“

„Der Vortrag nimmt Sie mit durch Städte mit prägender, deutscher Geschichte zu Menschen unterschiedlicher Kulturen und in atemberaubende Wüstenlandschaften, außergewöhnliche Nationalparks mit versteinerten Bäumen, wilden Tieren und Wasserlöchern.

Brüder, der in Namibia aufgewachsen ist, kommentiert den Fortschritt des seit 1990 unabhängigen, demokratischen Landes. Angelika hat ihn auf der Reise in dieses schöne Land begleitet und viele Fotos und Texte beigesteuert.

Genießen Sie den Luxus der Weite mit der Erfahrung eines Insiders.“

Brüder schickt den Text an den Leiter der Volkhochschule und fügt zwei Fotos zur Auswahl bei. So sind wir gespannt auf die Reise und den Vortrag, der am 22. Oktober gehalten werden soll.

In Vorbereitung der Reise haben wir lange überlegt, wie sie ablaufen soll und was sie kosten darf. Es werden unterschiedliche Gruppenreisen von zwölf bis zu zwanzig Personen von preiswert bis teuer zu festen Terminen angeboten. Die besten Übernachtungen in komfortablen Vier-Sterne-Lodges in Kombination mit der für uns stimmigen Route bietet aus unserer Sicht Gondwana an. So wählen wir schließlich eine Selbstfahrer-Reise mit einem Allradfahrzeug aus, die uns von Windhoek aus über Swakop-mund in den Norden Namibias bis in den Caprivi-Zipfel, die heutige Sambesi-Region, führen wird. Wir kaufen sie bei Gondwana in Windhoek, also direkt beim Anbieter. Dadurch fallen die Kosten des Zwischenhändlers weg.

Den Hin- und Rückflug buchen wir bei der Air Namibia für siebenhundertneunundsiebzig Euro, was eines der günstigeren Angebote ist. Allerdings geht dieser abends ab Frankfurt, so daß wir die Rail-and-Fly-Möglichkeit ab Hamburg in Anspruch nehmen müssen. Man erhält mit den Flugtickets einen Code, mit dem man sich am Fahrkartenautomaten der Bahn die Bahntickets zweiundsiebzig Stunden vor Abflug ziehen kann oder man geht einfach in ein Reisebüro der Deutschen Bahn und läßt es sich da ausdrucken. Letzteres hat den Vorteil, daß man sich gleich auch Sitzplätze dazu reservieren kann.

Ein paar Tage vor Abflug schreibt die um zwanzig Jahre jüngere Nichte von Brüder, die in Namibia in Windhoek lebt, ihn an. Sie heißt Aylin und ist genauso aufgeregt wie wir, denn wir wollen sie natürlich besuchen:

„Hi Brüder, es ist ja bald soweit, Ihr seid sicherlich total excited über euren tollen Trip. Wir hatten in den letzten paar Wochen echt viel Regen, ein Glück, also ist es momentan nicht ganz so trocken und sieht wunderschön hier aus. Also, ich hole Euch dann ab am 14. April, hatte mir gedacht, daß wir dann zum Mittagessen bei uns braain (grillen) – so richtig wie man es in Namibia auch tun muss. Wir treiben uns dann gemütlich zu Hause herum. Ihr werdet sicherlich ein bißchen müde sein, also ausruhen könnt Ihr Euch dann so richtig. Am Sonntag ist der Karneval Kehraus und ich dachte mir, daß Ihr vielleicht Lust habt, mit uns dort hinzugehen, einfach den Namibia Karneval auch mal zu erleben?

Jetzt musst Du mir kurz sagen, was kann ich Euch zu trinken besorgen kann, Du trinkst doch Bier, Tafel Lager oder Windhoek, oder hast Du einen anderen Wunsch? Angelika, was trinkt sie denn gerne, denn am Samstag ab 13.00 Uhr kann man keinen Suff mehr kaufen. Natürlich mir auch bitte mitteilen, was Ihr überhaupt nicht eßt – hoffentlich ist keiner von Euch Vegetarier.

Am Montag muss ich schon sehr früh los, wir verlassen das Haus so um halb sieben, ich bringe dann Kailin zur Schule und kann Euch dann abholen und zum Gondwana Büro bringen. Ich glaube, die sind erst so um 8.00 Uhr auf. Dann könnt Ihr Euch gemütlich fertigmachen, den Kaffee geniessen, alles einpacken und dann hol ich euch um 8.00 Uhr ab, wie klingt das? Trinkt Ihr beiden Kaffee oder eher Tee, dann besorg ich diesen auch noch, kein Problem. Wie ist es mit Frühstück, was genießt Ihr denn so?

Oder ist es das Wissen, jetzt neben Brüder schlafen zu müssen in einem Doppel-Bett, obwohl wir nur Freunde sind und früher Arbeitskollegen waren? Mein Mut verläßt mich. Ich habe Angst vor der eigenen Courage! War das wirklich eine gute Entscheidung, mit ihm nach Namibia zu wollen, ohne getrennte Zimmer zu buchen, was wir aus Kostengründen getan haben? Ich fühle mich sehr unsicher.

Einige meiner Freunde lästern und dichten mir eine neue Liebschaft an. Andere Freunde empfehlen mir, aufgrund der kompliziert verlaufenden Liebe in meinem eigenen Leben „doch lieber mit Brüder etwas anzufangen“. Als ob Liebe einfach so austauschbar wäre! Sie meinen es gut mit mir, aber das macht es auch nicht gerade einfacher.