Unterrichtsmanagement

Jörg Roche / Ágnes Einhorn / Ferran Suñer

A. Francke Verlag Tübingen

Inhalt

Trotz vieler neuerer Bemühungen um Kompetenz-, Aufgaben- und Handlungsorientierung kommen in der Praxis der Sprachvermittlung weiterhin verbreitet traditionelle Verfahren zur Anwendung, beispielsweise bei der Festlegung der Lehrprogression, den Niveaustufen, der Fehlerkorrektur und der Leistungsmessung. Mit der Weiterentwicklung der kognitiven Linguistik und weiterer kognitiv ausgerichteter Nachbardisziplinen beginnt sich nun aber auch in der Sprachvermittlung in vieler Hinsicht ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Die kognitionslinguistischen Grundlagen dieses Paradigmenwechsels werden in dieser Reihe systematisiert und anhand zahlreicher Materialien und weiterführender Aufgaben für den Transfer in die Praxis aufbereitet.

Die Reihe Kompendium DaF/DaZ verfolgt das Ziel einer Vertiefung, Aktualisierung und Professionalisierung der Fremdsprachenlehrerausbildung. Der Fokus der Reihe liegt daher auf der Vermittlung von Erkenntnissen aus der Spracherwerbs-, Sprachlehr- und Sprachlernforschung sowie auf deren Anwendung auf die Sprach- und Kulturvermittlungspraxis. Die weiteren Bände behandeln die Themen Sprachenlernen und Kognition, Kognitive Linguistik, Berufs- und Fachsprachen, Sprachenlehren, Medien, Kultur, Mehrsprachigkeitsforschung, Propädeutik.

Durch die thematisch klar abgegrenzten Einzelbände bietet die Reihe ein umfangreiches, strukturiertes Angebot an Inhalten der aktuellen DaF/DaZ-Ausbildung, die über die Reichweite eines Handbuchs weit hinausgehen und daher sowohl in der akademischen Lehre als auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen behandelt werden können.

Die Reihe wird daher von (fakultativen) flexibel einsetzbaren Online-Modulen für eine moderne Aus- und Weiterbildung begleitet. Diese Online-Module ergänzen den Stoff der Bücher und enthalten Zusatzlektüre und Zusatzaufgaben (www.multilingua-akademie.de). Das Digitale Lexikon Fremdsprachendidaktik (www.lexikon-mla.de) bietet darüber hinaus Erklärungen der wichtigsten Fachbegriffe und damit einen leichten Zugang zu allen aktuellen Themen der Fremdsprachendidaktik und der Sprachlehr- und -lernforschung.

Möglich gemacht wurde die Entwicklung der Inhalte und der Online-Module durch die Förderung des EU Tempus-Projektes Consortium for Modern Language Teacher Education. Neben den hier verzeichneten Autorinnen und Autoren haben eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der editorischen Fertigstellung des Manuskriptes dieses Buches mitgewirkt: Svenja Uth, Julia Bode, Patricia Boos, Eduard Arnhold, Daniel Echter und Kathrin Heyng (Gunter Narr Verlag). Ihnen allen gebührt großer Dank für die geduldige und professionelle Mitarbeit.

Jörg Roche

Der Bedarf an solider Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich der Sprachvermittlung nimmt ständig zu. Immer stärker treten dabei spezialisierte Anforderungen zum Beispiel in Bezug auf Fach- und Berufssprachen, Kompetenzen oder Zielgruppen in den Vordergrund. Theoretisch fundiert sollten die entsprechenden Angebote sein, aber gleichzeitig praxistauglich und praxiserprobt. Genau diese Ziele verfolgen die Buchreihe Kompendium DaF / DaZ und die begleitenden Online-Module. In mehreren Modulen und Bänden soll hiermit eine umfassende Einführung in die Wissenschaft und in die Kunst des Sprachenlernens und Sprachenlehrens gegeben werden, weit weg von fernen Theorie- oder Praxiskonstruktionen und Lehr-Dogmen. Im Mittelpunkt des hier verfolgten Ansatzes steht das, was in den Köpfen der Lerner geschieht oder geschehen sollte. Sachlich, nüchtern, effizient und nachhaltig. Buchreihe und Online-Module sind eine Einladung zur Professionalität eines Bereichs, der die natürlichste Sache der Welt behandelt: den Sprachenerwerb. In diesen Materialien und Kursen werden daher Forschungsergebnisse aus verschiedenen Forschungsrichtungen zusammengetragen und der Nutzen ihrer Synthese für die Optimierung des Sprachenerwerbs und Sprachunterrichts aufgezeigt.

Warum Aus-, Weiter- und Fortbildung heute so wichtig ist

Wer sich etwas eingehender darum bemüht zu verstehen, welche Rolle die Sprache im weiten Feld des Kontaktes von Kulturen spielt – oder spielen konnte –, muss von den Gegensätzen, Widersprüchen und Pauschalisierungen, die die Diskussion in Gesellschaft, Politik und Fach bestimmen, vollkommen irritiert sein. Vielleicht lässt sich aus dieser Irritation auch erklären, warum dieser Bereich von so vielen resistenten Mythen, Dogmen und Praktiken dominiert wird, dass das eigentlich notwendige Bemühen um theoretisch fundierte Innovationen kaum zur Geltung kommt. Mangelndes Sprach- und Sprachenbewusstsein besonders in Öffentlichkeit und Politik führen ihrerseits zu einem ganzen Spektrum gegensätzlicher Positionen, die sich schließlich auch bis in die lehrpraktische Ebene massiv auswirken. Dieses Spektrum ist gekennzeichnet durch eine Verkennung der Bedeutung von Sprache im Umgang der Kulturen auf der einen und durch reduktionistische Rezepte für ihre Vermittlung auf der anderen Seite: Die Vorstellung etwa, die Wissenschaften, die Wirtschaft oder der Alltag kämen mit einer Universalsprache wie dem Englischen aus, verkennt die – übrigens auch empirisch über jeden Zweifel erhabenen – Realitäten genauso wie die Annahme, durch strukturbasierten Sprachunterricht ließen sich kulturpragmatische Kompetenzen (wie sie etwa für die Integration in eine fremde Gesellschaft nötig wären) einfach vermitteln. Als ineffizient haben sich inzwischen auch solche Verfahren erwiesen, die Mehrsprachigkeit als Sonderfall – und nicht als Regelfall – betrachten und daher Methoden empfehlen, die den Spracherwerb vom restlichen Wissen und Leben zu trennen versuchen, also abstrakt und formbasiert zu vermitteln. Der schulische Fremdsprachenunterricht und der Förderunterricht überall auf der Welt tendieren (trotz rühmlicher unterrichtspraktischer, didaktischer, struktureller, konzeptueller

Interkulturelle Kommunikation im Zeitalter der Globalisierung

In unserer zunehmend globalisierten Welt gehört die Kommunikation zwischen verschiedenen Kulturen zu einem der wichtigsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aufgabenbereiche. Die Globalisierung findet dabei auf verschiedenen Ebenen statt: lokal innerhalb multikultureller oder multikulturell werdender Gesellschaften, regional in multinationalen Institutionen und international in transkontinentalen Verbunden, Weltorganisationen (unter anderem für Wirtschaft, Gesundheit, Bildung, Sport, Banken) und im Cyberspace. Dabei sind all diese Globalisierungsbestrebungen gleichzeitig Teil einer wachsenden Paradoxie. Der Notwendigkeit, die großen sozialen und wirtschaftlichen Probleme wegen der globalen Vernetzung der Ursachen auch global zu lösen, stehen andererseits geradezu reaktionäre Bestrebungen entgegen, der Gefahr des Verlustes der »kulturellen Identität« vorzubauen. Einerseits verlangt oder erzwingt also eine Reduktion wirklicher und relativer Entfernungen und ein Überschreiten von Grenzen ein Zusammenleben und Kommunizieren von Menschen verschiedener Herkunft in bisher nicht gekannter Intensität, andererseits stehen dem Ideal einer multikulturellen Gesellschaft die gleichen Widerstände entgegen, die mit der Schaffung solcher Gesellschaften als überkommen geglaubt galten (Huntington 1997). Erzwungene, oft mit großer militärischer Anstrengung zusammengehaltene multikulturelle Gesellschaften haben ohne Druck keinen Bestand und neigen als Folge des Drucks vielmehr dazu, verschärfte kulturelle Spannungen zu generieren. Auch demokratisch geschaffene multikulturelle Gesellschaften benötigen meist viel Zeit und Energie, um sich aus der Phase der multi-kulturellen Duldung zu inter-kultureller Toleranz und interkulturellem Miteinander zu entwickeln. Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa und die ethnischen Auseinandersetzungen in Afrika und Asien zeigen, dass es zuweilen gewaltig unter der Oberfläche gesellschaftlicher Toleranz- und Internationalisierungspostulate rumort. Ethnozentrismus, Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit, Rechtspopulismus, Rassismus, Diskriminierung, Terrorismus, Bürgerkrieg, Massen- und Völkermord sind durch politisch und wirtschaftlich bewirkten Multikulturalismus nicht verschwunden. Das verbreitete Scheitern von Multikulturalismus-Modellen zeigt, dass ein verordnetes oder aufgezwungenes Nebeneinander von Kulturen ohne Mediationsbemühungen eher Spannungen verstärkt, als nachhaltig Toleranz zu bewirken. Es mangelt an effizienten Verfahren der Vermittlung (Mediation) zwischen Kulturen. Den Sprachen kommt in dem Prozess der Mediation deswegen eine besondere Rolle zu, weil er mit der Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg anfängt und auch nur durch diese am Laufen gehalten wird. Die Sprache kann nicht alle Probleme lösen, aber sie hat eine Schlüsselposition beim Zustandekommen interkulturellen Austauschs, die weit

Interkultureller Fremdsprachenunterricht

Als die Forschung begann, sich mit interkulturellen Aspekten in Spracherwerb und Sprachunterricht zu beschäftigen, geschah dies auf der Grundlage bildungspolitischer Zielsetzungen und hermeneutischer Überlegungen. Literarische Gattungen sollten den kommunikativen Trend zur Alltagssprache ausgleichen helfen und damit gleichzeitig frische, auf rezeptionsästhetischen Theorien basierende Impulse für das Fremdverstehen und die Fremdsprachendidaktik liefern (vergleiche Hunfeld 1997; Wierlacher 1987; Krusche & Krechel 1984; Weinrich 1971). Die anfängliche Affinität zu lyrischen Texten weitete sich auf andere Gattungen aus und verjüngte mit dieser Wiederentdeckung der Literatur im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig das in den 1980er Jahren bereits zum Establishment gerinnende kommunikative Didaktikparadigma. Man vergleiche die Forderung nach einem expliziten interkulturellen Ansatz von Wylie, Bégué & Bégué (1970) und die bereits frühe Formulierung der konfrontativen Semantik durch Müller-Jacquier (1981). Für die auf Zyklen sozialisierte Zunft der Sprachlehre stand fest:

Ein kleiner historischer Rückblick auf die Entwicklung des Fremdsprachenunterrichts

Der Fremdsprachenunterricht ist traditionellerweise vor allem von den bildungspolitischen, pädagogischen, psychologischen und soziologischen Vorstellungen der entsprechenden Epoche und ihren gesellschaftlichen Trends beeinflusst worden. Diese Aspekte überschreiben im Endeffekt auch alle sporadischen Versuche, den Fremdsprachenunterricht an sprachwissenschaftlichen oder erwerbslinguistischen Erkenntnissen auszurichten. So verdankt die Grammatik-Übersetzungsmethode ihre Langlebigkeit den verbreiteten, aber empirisch nicht begründeten Vorstellungen von der Steuerbarkeit des Lerners, der Autorität des Inputs und der Bedeutung elitärer Bildungsziele. Mit den audio-lingualen und audio-visuellen Methoden setzt eine Ent-Elitarisierung und Veralltäglichung des Sprachenlernens ein. Die vorwiegend mit Alltagssprache operierenden Methoden sind direkte, wenn auch reduzierte Abbildungen behavioristischer Lernmodelle und militärischer Bedürfnisse ihrer Zeit. Der kommunikative Ansatz schließlich ist von den Demokratisierungsbestrebungen der Gesellschaften bestimmt. Sein wichtigstes Lernziel, die kommunikative Kompetenz, ist dem soziologischen Ansatz der Frankfurter Schule entlehnt (Habermas 1981). Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen stellt zwar keinen neuen didaktischen Ansatz dar, bildet aber über seine Ausrichtung auf den pragmatischen und utilitaristischen Bedarf eines zusammenwachsenden und mobilen europäischen Arbeitsmarktes den Zeitgeist des politisch und wirtschaftlich gewollten Einigungsprozesses in Europa ab und wirkt daher paradigmenbildend und auf den Unterricht stärker standardsetzend als alle didaktischen Ansätze zuvor. Er weist deutliche Parallelen zu den Proficiency-Guidelines des American Council of Teachers of Foreign Languages (ACTFL) auf, die ihrerseits – wie bereits die audiolinguale Methode – stark von den Bedürfnissen der Sprachschulen des US-Militärs beeinflusst wurden. Eine erwerbslinguistische oder stringente sprachwissenschaftliche Basis weist er nicht auf. Typisch für die zeitlichen Strömungen sind konsequenterweise auch all die Methoden, die in der Beliebigkeit des Mainstreams keine oder nur geringe Berücksichtigung finden können. Diese alternati

Die Kenntnis einer Sprache mache noch keinen Weisen, sie diene lediglich dazu, uns mit den anderen Bewohnern der Erdoberfläche, lebenden und toten, zu verständigen; und darum sei auch derjenige, welcher viele Sprachen spreche, noch kein Gelehrter, wenn er nicht zugleich auch andere nützliche Dinge erlernt habe. (Comenius 1970: 269)

Dabei verbindet Comenius bereits die Prozesse des Spracherwerbs und der allgemeinen Maturation (der Vision und des Intellekts des Kindes) und nimmt damit Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung sowie die in der Spracherwerbsforschung etablierten, kognitive Entwicklungsphasen repräsentierenden Konzepte der Erwerbssequenzen vorweg. Darüber hinaus produzierte er bereits ein Lehrbuch (Orbis sensualium pictus), in dem er systematisch die Verwendung visueller Materialien beim Sprachenlernen und -lehren bedachte (Comenius 1981). Auch die Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der industriellen und sozialen Umwälzungen entstandene, bildungspolitisch und methodisch motivierte Reformbewegung des

Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt:

The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983: 98)

Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als »praktische Antworten« auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/ American / Scientific / International / Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 19241928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und – trotz gegenteiliger empirischer Evidenz – bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more).

Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur

Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will.

Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert – und darum geht es in dieser Buchreihe – sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale während der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt. Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung.

Curriculum-Design

Enikő Öveges

Guter Unterricht ergibt sich nicht aus zufälligen Ereignissen, auch wenn die Zusammensetzung einer Klasse, die Talente und Erfahrungen der Lehrkraft und vieles mehr immer einen Einfluss auf den gelingenden Unterricht haben. Guter Unterricht will aber auch gut geplant, gut vorbereitet, mit messbaren Erfolgen umgesetzt sein und systematisch optimiert werden können. Dieser Band widmet sich daher all den Herausforderungen einer guten Unterrichtspraxis, die sich in den Begriffen der Unterrichtsentwicklung und des Unterrichtsmanagements fassen lässt. Hierzu gehören Kriterien für die Qualität des Unterrichts und Indikatoren für seinen Erfolg. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen bietet dafür den am weitesten verbreiteten Qualitätsrahmen. Deshalb wird er hier in seiner langjährigen Version, die immer wieder modifiziert wird, präsentiert. Hieraus lassen sich Indikatoren für die Fertigkeits- und Kompetenzbereiche ableiten, die inzwischen weitestgehend die Struktur von Lehrplänen und Lehrmaterialien bestimmen und Einstufungs-, Diagnose- und Leistungstests zugrunde liegen. Fairerweise muss gesagt werden, dass der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen mit all seinen Derivaten trotz seiner weiten Verbreitung durchaus umstritten ist, denn es fehlt an der wissenschaftlichen Validierung. Zu einem guten Unterricht gehört daher auch die Kenntnis und Anwendung von Prinzipien des Sprachenerwerbs. Solche Prinzipien sind in unterschiedliche Qualitätsrahmen eingegangen und liegen auch einem Qualitätsmanagementverfahren zugrunde, das im Rahmen eines deutsch-ungarischen Qualitätsentwicklungsprojektes entwickelt und erprobt worden ist. Dieses Verfahren wurde über verschiedene Managementinstrumente wie Checklisten, Portfolios, Unterlagen für die Unterrichtsplanung und das Design von Curricula sowie Rahmenpläne operationalisiert und wird in diesem Band ebenso dargestellt und bearbeitet wie deren Grundlagen. Wenn sich die Grundlagen von Unterricht und seine Durchführung grundlegend im Sinne eines systematischen Managements ändern, dann hat das konkrete Auswirkungen auf die Unterrichtsplanung, an der in der einen oder anderen Weise nicht nur die Lehrkräfte, sondern alle weiteren Akteure beteiligt sind und meist in Teams arbeiten. Sie benötigen dafür besondere Lehr- und Managementkompetenzen, die über eine entsprechend ausgerichtete Lehreraus- und -weiterbildung vermittelt werden müssen. Auch diese Aspekte werden in diesem Band ausführlich behandelt. Ziel dieses Bandes ist es also, Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer für ein systematisches Management des Unterrichts zu sensibilisieren und sie mit allen dafür nötigen und bewährten Instrumenten auszustatten.

Sorgfältige Planung ist einer der wichtigsten Aspekte für den Erfolg des Sprachenunterrichts. Sprachenlehrer und -lehrerinnen müssen vor Beginn und im Verlauf ihrer Karriere viele Entscheidungen auf der Makro- und der Mikroebene treffen. Ihre unmittelbaren Entscheidungen (etwa zu Unterrichtsaktivitäten, verwendeten Textsorten etc.) treffen sie auf der Grundlage längerfristig ausgerichteter Entscheidungen (wie Ziele, Setting, Beurteilung etc.), wobei diese Entscheidungen wiederum von ihrem Ansatz für den Sprachenunterricht, von ihrem theoretischen und praktischen Wissen und von ihren Erfahrungen bestimmt werden. In diesem Kapitel haben Sie die Möglichkeit Ihren Entscheidungshorizont zu erweitern, indem

1.1 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen

Diese Lerneinheit befasst sich mit dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen als grundlegendem Planungsdokument für den Sprachenunterricht. Wenn Sie sich mit seinen Grundkonzepten und seiner Philosophie auseinandersetzen, erhalten Sie als angehender Sprachenlehrer oder angehende Sprachenlehrerin eine theoretische Fundierung, anhand derer Sie ihre Planungsentscheidungen treffen können. Diese Einheit enthält einen kurzen Rückblick auf die Geschichte der einflussreichsten europäischen Veröffentlichung zur Sprachenausbildung, erklärt ihre Ziele und geht auf ihre wichtigsten Merkmale ein. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Sprachverwendungsmodell, das in diesem Dokument beschrieben wird, auf den sechs Kompetenzniveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens sowie auf den etablierten Deskriptoren und Skalen. Ein weiterer Abschnitt widmet sich dem Europäischen Sprachenportfolio und dient als eine Orientierungshilfe für die eigene Selbsteinschätzung sowie für die Einweisung anderer in die Nutzung von Selbsteinschätzungsintrumenten.

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen: Ziele

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für SprachenDer Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER) (GER) wurde zwischen 1993 und 1996 entwickelt und vom Europarat (Abteilung Sprachenpolitik) veröffentlicht. Er wurde um eine Anleitung ergänzt, um die speziellen Anwendergruppen aus dem Berufsfeld der Sprachenlehre bei der Nutzung des Dokuments zu unterstützen (Bailly, Devitt, Gremmo, Heyworth, Hopkins, Jones, Makosch, Riley, Stoks & Trim 2003). Für Sprachenlehrer- und lehrerinnen enthält Kapitel 3 im ergänzenden Handbuch (Guidance to teachers and learners) die relevantesten Informationen, aber die anderen Sektionen sind ebenfalls hilfreich für ihre Arbeit.

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen ist kein Grundsatzdokument, sondern eher eine Sammlung von Leitlinien, die alle Aspekte des Sprachunterrichts behandeln und reflektieren. Dadurch wird eine gemeinsame Basis zur Verbesserung der Gestaltung der Sprachpolitik auf der nationalen Ebene geschaffen. Wie der Name andeutet, ist das Dokument ein Referenzrahmen, der adaptiert und vervollständigt werden muss, damit er zum jeweiligen Unterrichtskontext passt. Mehrere Faktoren haben ihn notwendig gemacht, wie etwa (1) das wachsende Bedürfnis nach internationaler Kommunikation aufgrund der größeren Bedeutung persönlicher und professioneller Mobilität, (2) die rapide Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien, die ein rasches Übersetzen und Verständnis der Inhalte erforderlich macht und (3) die steigende Wichtigkeit des gegenseitigen Verständnisses und der Toleranz.

North (2007) resümiert, dass der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen drei allgemeine Ziele verfolgt. Zunächst ging es um die Entwicklung einer Meta-Sprache, die in allen Bildungskontexten über nationale und sprachliche Grenzen hinweg angewandt werden kann, um Lernziele und die Sprachkompetenzstufen zu diskutieren. Dadurch konnten klare Leitlinien zur erwarteten Sprachleistung formuliert werden sowie zu ihrer Erbringung. Das zweite Ziel des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens bestand darin, den Lehrkräften im Bereich Sprachunterricht die Reflexion über ihre alltägliche Lehrpraxis zu ermöglichen und sie dabei zu unterstützen. Drittens formulierte das Dokument gemeinsame Referenzpunkte zur Beschreibung und Anwendung des Ansatzes, die in der Abteilung für Sprachenpolitik des Europarats entwickelt wurden.

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen hat zur Etablierung eines kompetenzorientierten Referenzrahmens beigetragen und damit unseren Blick auf das Sprachenlernen und auf den Sprachenunterricht als komplexe und dynamische Systeme verändert. Er ist im Grunde ein Planungsdokument mit einem deskriptiven, das heißt nicht-normativen Rahmen für die Gestaltung des Sprachenunterrichts. Sein Ziel ist die Verbesserung der Vereinheitlichung bei gleichzeitiger Wahrung der nationalen Vielfalt. Die Publikation nimmt eine Vielzahl von Lern- und Lehrmethoden als Grundlage, die vor dem Hintergrund der jeweils relevanten theoretischen Ansätze reflektiert und erläutert werden. Ein wichtiges Ziel war die Entwicklung eines transparenten und einheitlichen Systems, das auf verschiedene Nutzergruppen, Bedürfnisse und Umstände anwendbar ist (multifunktional). Diese Ziele werden durch den offenen, dynamischen und nicht dogmatischen Umgang mit den verschiedenen Aspekten erreicht: Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen wurde ohne unnötige Kom

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen fördert PlurilingualismusPlurilingualismus und verfolgt einen handlungs- und kompetenzorientierten AnsatzHandlungs- und kompetenzorientierter Ansatz. Plurilingualismus geht über die Mehrsprachigkeit hinaus: Das Konzept meint nicht nur, dass mehrere Sprachen in einem speziellen Setting angeboten werden und dass Spracherwerb von mehr als einer Fremdsprache unterstützt wird, sondern betont auch, dass der Spracherwerb kein klar abgegrenzter Prozess ist, sondern in Verbindung mit den gemachten Erfahrungen und dem erworbenen Wissen geschieht. Dieser Ansatz findet sich im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen wieder: Die Sprachvermittlung sollte sich nicht das Ziel der Annäherung an das ideale Erstsprachensprecher-Modell setzen. Vielmehr sollten komplexere kommunikative Fähigkeiten gefördert werden, mit denen es den Lernern gelingt, die passenden sprachlichen Mittel in einem gegebenen Kontext einzusetzen. Im handlungs- und kompetenzorientierten Ansatz des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen sind Sprachverwender und -verwenderinnen und Sprachenlerner soziale Akteure, die Aufgaben erfüllen und dafür passende Strategien aktivieren, an Sprachaktivitäten und Sprachprozessen teilnehmen, um Texte zu Themen aus bestimmten Bereichen zu erzeugen und zu empfangen. Sie greifen dafür auf ihr Kompetenzspektrum zurück, das sich wiederum aufgrund der Leistung verbessert.

1.1.2 Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen: Kompetenzniveaus und Skalen

Eines der Hauptziele des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen ist die Definition eines Kompetenzstufen-Systems, um Vergleiche zwischen verschiedenen Klassifikationen von Qualifikationen zu ermöglichen. Das Dokument stellt einen Rahmen mit sechs gemeinsamen und umfassenden KompetenzniveausKompetenzniveau vor. Die Stufen heißen Einstieg, Grundlagen, Mittelstufe, Gute Mittelstufe, Fortgeschrittene Kenntnisse, Exzellente Kenntnisse und sind insgesamt auf die klassische Unterscheidung zwischen Grundkenntnissen, Mittelstufe und Fortgeschrittenenstufe zurückzuführen (siehe Tabelle 1.1).

Klassische Kompetenzstufen

Kompetenzniveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen

Grundkenntnisse

A1

Einstieg

A2

Grundlagen

Mittelstufe

B1

Mittelstufe

B2

Gute Mittelstufe

Fortgeschrittenenstufe

C1

Fortgeschrittene Kenntnisse

C2

Exzellente Kenntnisse

Tabelle 1.1: Sprachkompetenzniveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (Europarat 2001: 33ff)