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Ralf-Axel Simon

der Kampf gegen den Knast war mein Kind- Kinder werden bekanntlich nie erwachsen

Für die gleichen worte für die sie mich einst zu 28 monaten einzelhaft verurteilten... bekam ich 2011 zum fünften mal den ingeborg-drewitz- literaturpreis- eine komplette dokumentation aller prämierten texte sind eine genugtuende kühlung meiner zum teil schon vernarbten wunden!





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

„der stein, den wir in die komandozentralen des kapitals werfen und der nierenstein, an dem ein anderer krankt sind austauschbar. Schützen wir uns vor nierensteinen!“ sozialistisches patentienkollektiv heidelberg


ralf-axel simon - das etwas andere leben
erlernter beruf:lehrer ausgeübter beruf:anarchist
1975 berufsverbot als lehrer - bis 1977arbeit in arbeiterkinderläden und aufbau der zeitung „radikal“ - im deutschen herbst beginn der arbeit gegen den knast,gegen eine justiz, die nur straft um zu rächen statt massnahmen zu ergreifen um verhalten zu ändern - 1978-83 herausgeber verleger und redakteur des „knastblattes“ - 1982 berufsverbot als journalist, verleger redakteur - 1983 achtzehn monate einzelhaft bei einer gesamtstrafe von zwei jahren vier monaten wegen „beleidigung von polizei und justiz“ im zusammenhang mit dem „knastblatt“ und insgesamt 2 monate zusatzknast wegen nichtaufstehens vor gericht - 1984 ablehnung der entlassung nach zwei drittel mit der überwältigenden begründung:ich hätte in der mündlichen verhandlung geäussert, ich wolle weiterhin gefangene betreuen, deshalb sei eine resozialisierung nicht möglich, so die gerichtigkeit - 1986-88 aufbau des vereins. „freiabonnements für gefangene e.v.“ und gleichzeitig eines zentralen büros für knastangelegenheiten - 1989-92 leben als schachprofi - 1990 1. literaturpreis für die gleichen worte für die sie mich einst verurteilten - 1990-2008 betreiben eines schachladens in berlin - 1992 erscheinen meine gedichte in italienischer sprache in einer anthologie über politische gefangene aus verschiedenen ländern (damals reichten meine sprachkenntnisse nicht aus - politische und soziale gefangene dürfen nicht gespalten werden in die sind berechtigt und die unberechtigt im knast) - 1994 erschien im scheunenverlag mein gesamtwerk:„eigentlich ist der knast mein leben!“ - 1995 2. literaturpreis - 1996 heirate ich zum zweiten mal diesmal eine bosnierin.die ehe soll einem menschen den lebensraum ermöglichen,den sie benötigt. Wir hatten zu keinem zeitpunkt eine sexuelle beziehung miteinander, streng genommen hätte das gesetz das auch verboten, denn eine sexuelle beziehung zu abhängigen verbietet das grundgesetz. es war eine gute ehe, denn meine durch den krieg schwer traumatisierte frau hat die chance -die sie nicht hatte- bewunderungswert genutzt um hier zu überleben. Sie ist jetzt deutsche. Die scheidung feiern wir ganz gross (aus mitleid für die menschen, die immer das falsche feiern z.b.die hochzeit) - 1996 erschienen meine gedichte in der anthologie „gittergedichte“ ebenfalls im scheunenverlag - 2000 3. literaturpreis - 2007 sind wir mit der fernschachmannschaft champions league sieger geworden , das ist quasi eine weltmeisterschaft - 2008 4. literaturpreis und seitdem lebe ich hartz IV. mein arbeitsberater stöhnd: „wir müssten noch bis zur rente 9 jahre miteinander auskommen.“ Was er nicht weiss:ich bekomme dann 83¤ rente- immerhin im monat nicht im jahr - 2010 habe ich den offenbarungseid geleistet, seitdem fühle ich mich vogel-frei, es ist ein tolles gefühl den gerichtsvollzieher nach seinem verhalten behandeln zu können:wenn er freundlich ist bekommt er einen kaffee, wenn nicht fliegt er in hohem bogen raus -wahrscheinlich hat die politik das schon immer unter dem lebensgefühl „freiheit statt sozialismus“ verstanden - 2011 nun hat die jury meine 21 seitige magna carta der gefangenen (es war nur das gerüst, was ausgebaut werden sollte- aber unter zu lesen ist) abgelehnt und stattdessen ein gedicht prämiert, wo es ausschliesslich um würde nicht um gesellschaftliche veränderung geht.als wolle man einen zahnlosen ins alter gekommenen löwen zum abschied noch einmal streicheln. ich wünsche mir aus tiefstem herzen, dass ihr wenigstens nach meinem tod begreift, welch grosse diskussions-chance ihr verpasst habt...

worte waren in meinem leben meine steine gegenihre modernen panzer


Inhaltsverzeichnis:
Inhaltsverzeichnis S. 21.Literaturpreis in Hamm 1990 S. 3
2. Literaturpreis in Leipzig 1995 S. 16
3. Literaturpreis in Dortmund 2000 S. 344. Literaturpreis in Dortmund 2008 S. 59
5. Literaturpreis in Bremen 2011 S. 82
Dokumentation der drei wichtigsten Presseartikel über mein Leben:
„Diese Wörter“ von Benny Härlin (aus:Die Tageszeitung vom 4.9.84) S. 109
Burghard Schröder in seinem Buch "Unter Männern- Brüder, Kumpel, Kameraden" Rowohlt Taschenbuch Nr. 1280: „SCHACH DEM STAATSANWALT!“ S. 119
„Ralf-Axel Simon hat einen einzigartigen Schachladen. Ein Leben mit König und Dame-500 Spiele und 5000 Fachbücher stapeln sich in den Regalen“ von Dirk Bunsen S.123

statt eines vorwortes:
in jungen jahren habe ich händeringend nach einem verlag gesucht – weil ich glaubte, dass meine schmerzen dadurch einen sinn bekämen, wenn ich sie anderen menschen mitteilen könnte. Jetzt habe ich einen bestimmten bekannheitsgrad, nicht zuletzt durch die 5 literaturpreise, so dass ich gleich verlagen absagen durfte, weil sie kein taschenbuch machen wollten (eine ähnliche freude empfindet man nur, wenn man lange jahre sich um kredite bemüht und dann zum schluss dem bänker sagen kann:“danke, jetzt ist es zu spät!“). der grund ist, dass ich eigentlich auch für meine freunde schreibe und meine freunde können sich die buchpreise allenfalls nach meinem tod, eben dann antiquarisch, leisten. da ich in meinem leben nie danach gestrebt habe „schöner zu wohnen“, oder durch kleidung meinen wert zu erhöhen, verzichte ich lieber auf eine klebebindung und den glanz auf meinem buch ... meine schriftstellerfreunde rümpfen die nase (die,die, wenn sie mich kennenlernen erst nach meinen verkaufszahlen fragen) aber ich möchte mich nicht bei den schriftstellerkollegen einreihen- ich möchte mich mit der welt nicht abfinden.


1.Literaturpreis in Hamm 1990


Frühjahr 1990 in Hamm:

zum ersten Mal wird der Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis für Gefangene verliehen. Aus 130 Texten werden 25 in der Anthologie:"Risse im Fegefeuer", Reiner Padligur-Verlag 1989,

ISBN 3-922957-22-6,Preis 16,80 DM, veröffentlicht.

Aus dem Vorwort des Schriftstellers Josef Reding (Jurymitglied):"...der Gedichtteil von Ralf-Axel Simon hätte auch in einem "normalen" Literaturwettbewerb unter professionellen Schriftstellern eine Chance auf einen der vorderen Plätze gehabt."


Meine Texte:


HORROR-TRAUM

MANCHMAL

TRÄUME ICH

MIT MEINEM RICHTER

MEINE ROLLE

ZU TAUSCHEN

ERSCHRECKT

WACHE ICH AUF

UND

BIN ERLEICHTERT


ZWEIFEL

WERDE ICH MICH

NACH ZWEI,DREI ODER VIER

JAHREN

ISOLATIONSHAFT

WIEDER

ERKENNEN?


WERDEN MICH

MEINE FREUNDE

DANN NOCH

MÖGEN?


WERDE ICH MICH

DRAUßEN

ZURECHTFINDEN?


BEIM ESSEN FASSEN

SEHE ICH

MEINEN ZELLENNACHBARN

ER HAT

LEBENSLÄNGLICH


BESUCH

VORHER:

ICH RENNE

3M VOR

2M ZUR SEITE

HIN UND HER

HER UND HIN

IMMER UMS KLO HERUM

DRUCK AUF DIE BLASE

ICH KANN NICHT

DABEI:

DER EISBROCKEN

TAUT AUF

ZU LANGSAM

ENDLICH:

DIE STIMMEN SIND SCHÖN

ICH KANN SPRECHEN

UND

"DIE HALBE STUNDE IST VORBEI"

EINE LETZTE UMARMUNG

ICH WILL

DICH

FESTHALTEN

NACHHER:

SCHMERZEN

IN MIR

NEBEN MIR

VOR MIR

UND DOCH:

DER TAG HAT

ZWEI TEILE

BEKOMMEN


TOTEN-SONNTAG

SONNTAG

TROSTLOS

KEINE POST

KEIN ARZT

KEINE CHANCE

MEINE ZELLE

ZU VERLASSEN

ABER

HEUTE

DER RUHETAG

DER SCHLÜSSELMACHT:

SIE SCHREIEN NICHT

AUF DEM GANG

SIE FAHREN NICHT

MIT IHREN SCHLÜSSELN

AUF DER HEIZUNG ENTLANG

SIE FILZEN KEINE ZELLEN


NORMAL-VOLLZUG

23 STUNDEN

ALLEIN

18 MONATE

LANG

KOPFSCHMERZEN

DER SCHLIEßER SCHREIT:

"DAS IST HIER NORMAL"

DER ANSTALTSARZT SAGT:

"DAS IST HIER NORMAL"

DER RICHTER BESTÄTIGT:

"DAS IST HIER NORMAL"


MAN KANN NICHT SAGEN

SIE WÜßTEN NICHT

WAS SIE TUN:

NORMAL-VOLLZUG


SPRACHE

DEN HAFTBEFEHL

NENNEN MEINE BEWACHER

LACHEND

MIETSVERTRAG

DIE ZELLE

ZIMMER IM HILTON-HOTEL

DIE STRAFERKARTE

PERSONALAUSWEIS


UND WERDEN WÜTEND

WENN ICH SIE

ALS SCHLIESSER

BEZEICHNE


PROZEß-TERMIN

WOCHENLANG GEFIEBERT

ENDLICH

AUS DER ISOLATION

AUFGETAUCHT


HINTER DER VERSCHLOSSENEN TÜR

EURE STIMMEN

ICH MÖCHTE EUCH SEHEN

EURE WÄRME SPÜREN


TERMINVERSCHIEBUNG

AUS DER AUFGEBLASENEN HOFFNUNG

STRÖMT DIE LUFT HERAUS


ABER IHR WARD DA

DIESES GEFÜHL

MÖCHTE ICH

NICHT MISSEN


SELBST-MORD

GEFANGENE

VERTEILEN DAS ESSEN

GEFANGENE

BAUEN DIE SCHLÖSSER

GEFANGENE

SCHMIEDEN DIE GITTER

GEFANGENE

MAUERN ZELLE UM ZELLE


PARAGRAPH 3 STRAFVOLLZUGSGESETZ:

DAS LEBEN

SOLL DEN LEBENSVERHÄLTNISSEN

DRAUßEN

SOWEIT WIE MÖGLICH

ANGEPAßT WERDEN


ENDE DER NACHT

Dutta, der Pakistani, zwei Zellen weiter, wimmerte die ganze Nacht vor Schmerzen. Laute, die selbst diese 50 cm dicken Verließmauern durchdrangen und sich wie Messerstiche in Karls Hirn festsetzten, bevor sie ohne Echo verhallten. Aufgepeitscht lief Karl in seiner Zelle hin und her. Gelegentlich sahen die Beamten nach Dutta. "Du lebst ja noch", meckerte einer, und Karl hörte den erbarmungslosen Knall der zuschlagenden Tür. Sie hatten keine Lust, sich in ihrer Skatrunde stören zu lassen. Schon gar nicht von einem Ausländer.

Gegen Morgen verlegten sie Dutta. Trotzdem konnte Karl kein Auge mehr zu tun. Er dachte an Achmede, dessen Akte sie vorgestern geschlossen haben:"nach Nachtverlegung an einer einfachen Blinddarmendzündung verstorben".

Fast erleichtert hört Karl aus der Ferne den stechenden Schritt, der sich, mit dem Klappen des Spions von Zellentür zu Zellentür tastend nähert:5.30 Uhr, der Knast-Tag beginnt. Endlich! Diese einsamen Nächte sind am schlimmsten für ihn. Karl schließt die Augen und wartet, gleich wird der Beamte seine Zelle erreichen.

Das Scheinwerferlicht wird von außen angeschaltet. Das Grelle schmerzt selbst durch die geschlossenen Augen. Karl hört das Klappern des Spions und reagiert nicht. Der Schließer bummert mit voller Kraft an die Tür. Trotz aller Konzentration fährt Karl hoch. Wütend pfeffert er seinen Schlappen gegen diese panzerschrankähnliche, nur 1,75m hohe Tür.

Manchmal weiß er nicht, was ihn mehr ärgert: dieses Gefühl, wieder versagt zu haben, oder die Wut über die Menschen, die in altbewährter Befehlsabhängigkeit ihn in den Käfig sperren. Zurück bleibt nur das Nachklickern des Spions und dieser stechende Schritt, der sich unter Schlüsselklappern wieder entfernt.

Erst jetzt registriert Karl, warum seine Augen so weh tun. Der Schließer hat heute -Versehen oder Schikane?- nicht die vierzig-Watt-Birne angeschaltet, sondern den Scheinwerfer über der Stahltür, das Licht für die Flucht- und Selbstmordgefährdeten. Alle zwei Stunden, in besonders schweren Fällen sogar alle halbe Stunde, werden sie damit geweckt, wie Alfred in der Nachbarzelle, dem der Anstaltsarzt den schwarzen Punkt verschrieb. Das Zeichen für die Schließer, viermal während der Nacht das Scheinwerferlicht aufzublenden und laut an die Zellentür zu schlagen. Seit etwa einem Monat beobachtet Karl, wie Alfred von Tag zu Tag zerfällt. In seinem Gesicht breiten sich Wut, Bitterkeit und Apathie aus.

Karl richtet sich auf, seine Füße berühren den mit dunkelbrauner Farbe angestrichenen Betonfußboden. Er spürt nur eisige Kälte. Die vier zentral geheizten Rippen geben viel zu wenig Wärme ab um selbst diesen kleinen Raum warm zu halten. Zumal das Fenster nicht richtig schließt und im Winter sowieso des öfteren gespart wird. "Kälte und Wärme gleichen sich aus", hatte ihm einmal ein Schließer grinsend erklärt, als er moniert hatte, daß die Heizung im Sommer auf Hochtouren lief. Wenn er nicht tatsächlich so fröre, hätte er über diese Logik vielleicht lachen können.

Karls Augen wandern umher, suchen nach etwas Erfreulichem, wofür das Aufstehen lohnt. Sie bleiben angewiedert an `Bello' hängen, direkt neben der Tür, vom Spion aus gut einsehbar. Er haßt dieses versyphte Klobecken, auf dem nur ein abgegriffener Holzdeckel liegt. Daß eine Klobrille zum unerreichbaren Luxus wird, hätte er sich früher niemals denken können. Das Kacken vollbringt er im gebeugten Stehen, was bei aller Verkrampfung wenigstens eine Gymnastikübung ersetzt.

Oberhalb von `Bello', fest in die Wand eingemauert, befindet sich ein kleiner Knopf, das Notsignal oder im Knastdeutsch `die Fahne'. Darunter hat ein Gefangener geschrieben:"Willst du den Schließer ficken, mußt du diesen Knopf hier drücken". Daneben steht:"Willst du Tabak haben, mußt du den Kellner fragen". Die auf der abgebröckelten Farbe der Wände dokumentierte Wut, Verzweiflung, Freude verleiht Karl manchmal die Kraft, trotz Einzelhaft nicht alleine zu sein, auch, weil er weiß, daß der Gefangene achthundert DM für die Renovierung der Zelle bezahlen muß, bei einem durchschnittlichen Stundenverdienst von einer Dm.

Über dem Bett erblicken Karl`s Augen seinen mit Zahnpasta geschriebenen Lieblingsspruch von Nazim Hikmet:"es geht nicht darum gefangen zu sein, sondern darum, sich nicht zu ergeben!" "Oh,Mann!", schießt es ihm durch den Kopf. Manchmal ist es schwer, die Nackenschläge wegzustecken, dieser so tötenden Eintönigkeit neuen Mut entgegenzusetzen und nicht den in die Wand eingelassenen Spiegel, das kleine Bücherbord, den Stuhl, den Tisch, den Schrank, sein Bett in Einzelteile zu zerlegen.

Karls Augen streifen den blauen Behördenbrief auf seinem Schreibtisch. Eine Rechnung der Justizkasse:917,10 DM soll er dafür zahlen, daß sie ihn zu 16 Monaten Freiheitsentzug verurteilt haben. Gestern, beim Erhalt der Rechnung, stieg noch diese von Tag zu Tag zunehmende Wut in ihm hoch. Heute hat er sich damit abgefunden. Direkt neben dem Brief liegt seine Versicherung, eine Rasierklinge. Sein Vorgänger hat das Fensterkreuz genommen, generalstabsmäßig geplant, denn auch ihn hatten sie nachts alle zwei Stunden auf ein Lebenszeichen hin kontrolliert. Dabei hatte er seinen Abgang mitgeteilt: mit einem Pfeil zum Fensterkreuz schrieb er auf die Wand "zum Henker". Das eingeleitete Ermittlungsverfahren, wegen Sachbeschädigung, war ein Jahr später eingestellt worden, weil es sich, wie das Gericht meinte, "in der Hauptsache erledigt", hätte. "Noch habe ich mich unter Kontrolle, noch habe ich die Hoffnung, einmal entlassen zu werden. Aber wenn ich lebenslänglich hätte...", denkt Karl grimmig.

Karl steigt auf den Stuhl, öffnet das Fenster direkt unter der Decke mit der Dreifachvergitterung und genießt den Ausblick auf den noch dunklen Hof. Bis vor kurzem lag er auf einer dieser `Sicherheitszellen', wo das Fenster zusätzlich mit einem engen Drahtgeflecht und einer dicken Metallplatte mit lauter kleinen Löchern versehen ist. Dreck und Staub verwandeln das ursprünglich durchsichtige Glas in eine Art Milchglas -diese `Erfindung'ist nicht zu putzen- was auch tagsüber künstliche Beleuchtung notwendig macht. Die Scheinwerfer leuchten auf das alte Wärterhäuschen im Hof, der durch fünf Meter hohe Mauern mit zwei Rollen Natodraht darauf eingegrenzt ist. Karl hat sich umgehört, immer wenn ihn in Schüben anfallartig Fluchtgedanken angesprungen haben:Moabit soll eine der sichersten Anstalten in Europa sein. Überall am Rand sieht er Ratten flitzen und er freut sich darüber, daß diese kleinen Biester ihren Lebensraum in dieser `Sicherheit und Ordnung' behaupten.

"Kontaktaufnahme mit anderen Gefangenen ist verboten", hört Karl einen Schließer hochschreien. Sein Zeigefinger schnellt an seine Stirn, bevor er das Fenster schließt. Beim Heruntersteigen sieht er, wie der Schließer , die Nummer die außen unter seinem Fenster steht, durch das Funkgerät spricht. In ihm steigt diese Angst hoch. Er ist schon einmal bei seiner Einlieferung verprügelt worden. Damals hatte er am Fenster geredet, der Schließer hatte sofort Alarm gegeben. Angeblich hatte Karl ihn angegriffen. Nun gilt es, viel Zeit wird ihm nicht bleiben, bis sie kommen. Karl nimmt den Holzdeckel vom Klo ab und setzt sich auf den versyphten Beckenrand. "Einen nackten Mann mit heruntergelassener Hose werden sie doch nicht verprügeln!" versichert er sich monoton. Gleich werden sie mit fünf Schließern - die Nacht über bis zum ersten Aufschluß dürfen sie nie alleine die Zelle betreten- sich vor ihm aufbauen mit ihren Bäuchen, nach Alkohol stinkend, werden ihn provozieren, ihn buffen. Und wenn er verspricht, es nicht noch einmal zu tun, nur seinen Stuhl herausnehmen!

Karl hört, wie der Riegel zurückgeschoben, der Schlüssel ins Schloß gestochen wird. Ein kleiner, schmächtiger Mann in grauer Dienstuniform betritt seine Zelle. Karl hat ihn noch nie gesehen und leicht irritiert glaubt er, in seinen lebhaften Augen Verlegenheit zu spüren. "Der kann noch nicht lange bei Justizia sein Brot verdienen", schießt es ihm durch den Kopf. "Sie haben am Fenster geredet. Verstehe ich ja, aber der Kollege im Hof nimmt es sehr genau. Halten sie sich zurück, sonst kann ich Ihnen meine Kollegen nicht ersparen!". Und bevor Karl seine Verduztheit überwunden hat, verschwindet der Beamte.

Draußen auf dem Gang hört Karl das Öffnen und hastige Schliessen einer Nachbarzelle, dabei ein knappes "Scheiße!", gefolgt von hektischem Rennen auf dem Gang und dem lauten Ruf "Cäsar 2, Hänger!". Nach einer Weile rennen mehrere Schließer zu Mohameds Zelle. Sie öffnen die Tür und von den scharrenden Geräuschen ahnt Karl, daß sie erst jetzt den Gefangenen vom Fensterkreuz abnehmen. Etwas später weiß Karl von dem Aufeinanderschlagen von Eisen auf Eisen, daß die Sanitäter mit der Bahre eingetroffen sind. "Sag dem Popen Bescheid, er soll die Familie benachrichtigen und den Richter anrufen, wegen der Ersatzfreiheitsstrafe!". "Jetzt ist wenigstens Ruhe", hört Karl die Schließer meckern, "der hat mindestens fünfmal die Fahne geschmissen, heut Nacht. Hab`nachher gar nicht mehr gefragt, was er will. Hab` nur die Fahne noch reingedrückt."

Karl hört an den schweren, trampelnden Schritten, wie sie Mohamed auf der Bahre wegschleppen. Er rennt unruhig in seiner kleinen Zelle hin und her. Es war eine entsetzliche Nacht. Eine von vielen. "Hotelvollzug", denkt Karl bitter.