Norbert Fischer

War Ramses (k)ein Ägypter?

Eine – etwas andere – Biographie über Ramses II.

Einführung

„Soldaten, vierzig Jahrhunderte blicken auf euch herab!“ Mit diesen Worten soll Napoleon Bonaparte am Morgen des 21. Juli 1798 seine Soldaten angefeuert haben, als diese unter den Pyramiden von Gizeh der mächtigen Mamlukenstreitmacht des ägyptischen Herrschers Murad Bey gegenüber stehen. Obwohl die Schlacht gewonnen wird und Napoleon am 24. Juli in Kairo einzieht, soll die Ägypten-Expedition zu einem Fiasko für die Franzosen werden. Nachdem der englische Admiral Horatio Nelson nur wenige Tage später – am 1. und 2. August – bei Abukir die französische Flotte schlägt, ist der Traum Napoleons, in die Fußstapfen Alexander des Großen zu treten und den Orient zu erobern sowie die Vorherrschaft des britischen Empires zu brechen, bereits ausgeträumt. Ein Jahr später – am 24. August 1799 – verlässt der glücklose Napoleon wieder das Land am Nil. Den größten Teil seiner Expeditions-Armee lässt er jedoch in Ägypten zurück. Die Soldaten können das Land erst nach der Kapitulation von General Menous – im Sommer des Jahres 1801 – verlassen.

Für die Wissenschaft ist die Expedition des Korsen dennoch ein großer Erfolg. Denn unter den Teilnehmern des Kriegszuges befinden sich nicht nur 36.000 Soldaten, sondern auch über 150 Experten aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Fachbereichen. Unter der Leitung von Dominique Vivant Denon (1747-1825) – einem Mitglied der Académie Française – wird alles kartographiert, gezeichnet, vermessen und transkribiert, was den Wissenschaftlern unter die Augen kommt. Denons Interesse gilt jedoch nicht nur dem Ägypten der Neuzeit. Er besucht – während des Kriegszuges unter der Führung von General Desaix in Oberägypten – auch die antiken Stätten aus der Zeit der Pharaonen. Ihm ist es zu verdanken, dass die ägyptische Altertumsforschung seit jenen Tagen einen enormen Aufschwung erfährt.

Vivant Denon gehört mit zu den Privilegierten, die mit Napoleon Ägypten frühzeitig verlassen können. Am 9. Oktober 1799 betreten sie wieder französischen Boden. In Denons Reisegepäck befinden sich einige hundert Blatt Papier mit Zeichnungen, Skizzen und schriftlichen Aufzeichnungen. Diese bilden die Grundlage für sein Buch „Voyage dans la Basse et la Haute Égypte“, welches bereits 1802 erscheint und sofort zum Bestseller wird. Auf Initiative von General Jean-Baptiste Kléber – einem weiteren Teilnehmer der napoleonischen Ägypten-Expedition, der im Juni 1800 in Kairo einem Attentat zum Opfer fiel – wird ein systematisches Verzeichnis aller Entdeckungen erstellt. Diese münden schließlich in die „Description de l’Égypte“, die zwischen 1809 und 1824 unter der Leitung des Mathematikers Jean Baptiste Fourier in großvolumigen Text- und Bildbänden herausgegeben wird. Die Veröffentlichung löst eine wahre Ägyptomanie in nahezu allen Bevölkerungsschichten des 19. Jahrhunderts aus, denen eine beinahe hektische Ausgrabungs- und Sammlertätigkeit nach ägyptischen Altertümern folgt.

Ein weiterer Meilenstein für die Geschichtsforschung ist der Fund des Dreisprachensteins, den französische Soldaten im Juli 1799 bei Schanzarbeiten bei Rosette, dem heutigen Raschid, ausgraben. Diese – 112 mal 76 Zentimeter große und 762 Kilogramm schwere – Basaltplatte ist in drei Textteile gegliedert. Wie aus dem unteren Teil der Platte hervorgeht, den man schnell entziffert hat, da er in griechischer Schrift geschrieben wurde, enthält sie ein Dekret der ägyptischen Priestersynode, die sich zu Ehren des Herrschers Ptolemäus V. Epiphanes (reg. 204-180 v. Chr.) am 27. März des Jahres 196 v. Chr. in Memphis versammelt hatte. Die Inschrift weist außerdem darauf hin, dass das Dokument in drei verschiedene Schriften – der obere Teil Altägyptisch (den Hieroglyphen), das mittlere Drittel Demotisch und der untere Teil Griechisch – abgefasst ist. Nach der Kapitulation der Franzosen in Ägypten wird der Stein in Alexandria von den Engländern beschlagnahmt und nach Portsmouth verschifft. Von dort findet er seinen Weg nach London, ins Britische Museum, wo er seitdem zu sehen ist. Der „Stein von Rosette“, bzw. eine Kopie desselben, soll Jahre später mit die Grundlage dafür bilden, dass die Hieroglyphen entschlüsselt werden. Der schwedische Gelehrte und Diplomat Johan David Åkerblad versucht sich in den folgenden Jahren ebenso daran, wie der englische Arzt und Physiker Thomas Young. Beide können jedoch nur Teilerfolge vermelden. Der endgültige Durchbruch zur Entzifferung der Hieroglyphen gelingt dem Franzosen Jean-François Champollion (1790-1832). Am 14. September 1822 ruft er seinem Bruder zu: „Je tiens l’affaire!“ (Ich hab’s!) und bricht anschließend vor Aufregung und Erschöpfung ohnmächtig zusammen.

Allgemein wird die Geburtsstunde dieses relativ jungen Zweigs der Wissenschaften – der Ägyptologie – auf den 27. September 1822 datiert, als Champollions Schreiben „Lettre à M. Dacier relative à l’alphabet des hiéroglyphes phonétiques employés par les Égyptiens pour inscrire sur leurs monuments les titres, les noms et les surnoms des souverains grecs et romains“– nach akademischer Sitte war das Werk in Form eines Briefes an eine bedeutende Person des Wissenschaftsbetriebes adressiert – vor der Pariser Académie des Inscriptions vorgestellt wird. Damit ergibt sich für die Ägyptologen erstmals die Möglichkeit, direkt auf altägyptisches Quellenmaterial zurückgreifen zu können.

Auch die überlieferten Aufzeichnungen antiker Reisender und Schriftsteller, welche in griechisch-römischer Zeit Ägypten besuchten, bieten den unzähligen Ägyptologen, Ausgräbern und Forschern – die das Land nach der napoleonischen Expedition geradezu überschwemmen – wertvolle Hinweise auf die vor 5000 Jahren entstandene Hochkultur der Ägypter. Dass die Geschichtsforschung über das alte Ägypten jedoch noch längst nicht abgeschlossen ist, erfahren wir fast täglich immer wieder aufs Neue. Nach über 20 Jahrzehnten Erforschung der Altägyptischen Geschichte werden auch heute noch Aufsehen erregende Entdeckungen gemacht. Eine der Sternstunden der Ägyptologie war wohl – im November 1922 – die Entdeckung des nahezu unberührten Pharaonengrabes Tut-ench-Amuns durch den Engländer Howard Carter (1874-1939) im Tal der Könige. Ob es sich bei den Entdeckungen, welche in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden, um Textfragmente, Gräber, Paläste, Statuen oder Pyramidenschächte handelt, oft sind es nur winzige Details, die das Gesamtbild ergänzen oder abrunden. Unser Basiswissen über die Kultur der alten Ägypter bleibt jedoch seit den Tagen Champollions – also seit fast 200 Jahren – nahezu unverändert.

Die Altägyptische Geschichte ist für uns vor allem die Geschichte seiner Herrscher – den Pharaonen. Einer der berühmtesten war unbestritten Ramses II. Er ist – neben dem Pyramidenerbauer Cheops, dem Ketzerkönig Echnaton und seiner Gemahlin Nofretete, dem Kindkönig Tutench-Amun und der Ptolemäerkönigin Kleopatra – eine der bekanntesten Persönlichkeiten der ägyptischen Geschichte, und für uns der Inbegriff eines altägyptischen Herrschers. Seine 66-jährige Regierungszeit (reg. 1279-1213 v. Chr.) wird nur von Pepi II. (um 2200 v. Chr.), einem Herrscher der 6. Dynastie, übertroffen, der als Kleinkind auf den Thron kam und angeblich 94 Jahre regiert haben soll.

Ramses II. lässt so viele Bauwerke errichten, wie kein Pharao vor oder nach ihm. Seine bekanntesten Bauwerke sind die monumentalen Felsentempel von Abu Simbel, der Große Säulensaal im Karnak-Tempel, der Eingangspylon am Luxor-Tempel, sowie sein Totentempel in Theben-West, Ramesseum genannt. Auch die Zahl seiner Nachkommen – nachweisbar sind inzwischen 40 Töchter und 45 Söhne – wird von keinem anderen Herrscher übertroffen. Ramses II. war eben auf allen Gebieten ein Gigant, ein wahrer Dinosaurier unter den Pharaonen.

Die Knechtschaft des Volkes Israel in Ägypten ist – zu Recht oder Unrecht, das sei hier erst einmal dahingestellt – ebenso mit seinem Namen verbunden, wie die Kriegszüge gegen die Hethiter, deren Höhepunkt die Schlacht bei Kadesch war.

Warum also sollte ausgerechnet Ramses II. – schon seine Zeitgenossen verliehen ihm den Beinamen „der Große“ –, kein Ägypter sein? Es gibt jedoch einige Anhaltspunkte im Leben und Wirken Ramses’ II., die den Verdacht aufkommen lassen, dass …

„Ganz allgemein lässt sich sagen, dass alles Dunkle und jeder Fehlschlag im Leben des Pharaos sorgsam unterdrückt wurden, so dass uns gerade die Einzelheiten fehlen, die einer wirklichkeitsgetreuen Geschichtsschreibung erst Farbe und Anschaulichkeit verleihen.“

Sir Alan Gardiner

Geschichte des Alten Ägypten