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Roman

Magischer Realismus

 

Deutsche Erstausgabe

 

2020

 

© Mystic Verlag

 

Text: Dorit Mitev

Umschlagskonzept: Dorit Mitev

 

Umschlaggestaltung: Juliane Buser

Bildmaterial: Dorit Mitev

 

Satz: Helga Sadowski

Lektorat: Sven Haubt/Helga Sadowski

Korrektur: Anke Tholl

 

ISBN: 978-3-947721-43-6

 

Interessierte Leser und Autoren finden weitere

Informationen auf unserer Website.

 

www.mysticverlag.de

 

Geschäftsführer: Timo Arnold

Lemberger Straße 296-298

66955 Pirmasens

 

Sprachlich festgehaltene Resultate können der ewiglich himmlischen Ordnung nicht zur Genüge reichen. Vielleicht ist es die gleichnishafte Malerei, die vom Geiste ausgehend durch die Farben an der Wahrheit kratzt. Die Physik wird der allumfassenden Wirklichkeit mithilfe der Musik am nächsten kommen.

Liebe jedoch ist Allmacht.


Inhalt:

Der Duft vom Bild

Wörterverzeichnis:

Die Autorin

Verlagsprogramm

 

 

Der Duft vom Bild

 

Der Tag pulte sich mühsam aus der Nacht.

Die junge Frau schraubte ihre Gedanken in die Höhe.

Eine Meise zwirbelte mit ihrer Stimme komplizierte Gesangsfäden. Sanfte, sauerstoffgetränkte Wellen drückten die Gerüche des wahrhaft vor ihr liegenden Gemäldes aus dem Fensterspalt.

Ein sattgrünes Blatt wölbte sich neben der Malerei.

Sie hatte es geschafft …

 

Zwei Jahreszeiten zuvor:

 

Ein nach Buttermilch riechender, auf-geschwemmter Mann, dem jede Zuwider-handlung seiner moralisch einwandfrei gedachten Handlungen die Verstörung in sein Antlitz trieb, blickte Richtung Fenster und saß an seiner Mission. Doch auch die Taten der >Anderen< rumorten in seinem warmen Fleisch.

Die Anderen, das waren alle, mit denen er sich zwangsläufig abgeben musste, mit denen er unfreiwillig etwas zu tun hatte. Da er so dachte wie er dachte, hatte er nicht viele von den Anderen in seinem unparfümierten Umfeld. Manchmal blinkte die Scheu aus seinen terpentinverhangenen Augen, bald zur Abscheu sich mutierend. Speziell in solch schrägen Situationen, wenn ein Anderer seinen Beschwerden mit erschreckender Penetranz Ausdruck verlieh. Das gehörte ebenfalls zu seiner Selbsterkenntnis; dass er die Eigenheiten der Anderen als medizinische Beschwerden beschrieb, um sich einen persönlich logischen Ausweg aus seinen schwammig formulierten Ansichten zu konstruieren.

Er wusste um seine unrasierte, natur-belassene Körperlichkeit. Er war in gewisser Weise stolz auf sie. Nur durch die Ahnung des Göttlichen konnte er die Schönheit des Natürlichen, mit manchmal bedrohlich ausartender Meisterschaft, auf seine Leinwand bannen. Er benötigte die Anderen nicht. Sie brauchten ihn.

 

Es schepperte mal wieder an seiner mit einem grünmoosigen Überzug belegten Tür.

Vergeblich hätte er sich totstellen können, solche unangenehmen Störer litten an Identifikationsbeschwerden und wollten von ihm, dass er die Rolle des Erlösers spielte. Er behielt recht, es klopfte zum zweiten Mal; sag mir, wer ich bin, schallten die Knöchel der Anderen.

Die ruhige Dämmerung, die sich auch in seinem Körper so genüsslich breitgemacht hatte, verhinderte ruckartige Bewegungen. Er drapierte ein Linnen über seine neu manifestierten Ergüsse. Fälschen konnte ihn keiner. Das war verankert in seinem Hirn, aber er wollte keinem von diesen Anderen seine innersten unfertigen Erschaffungen vor Augen halten, noch bevor diese in seinem Blick die Perfektion in barmherzigen Sequenzen widerspiegelten.

Es klopfte erneut.

Seines einzigartigen Blickes entledigte er sich nie, auch dann nicht, wenn sein irdisches Gewicht schon längst die Staffelei verlassen und der Tür einen kraftvollen Fußtritt verpasst hatte.

Mit der Absicht, sich der Beschwerden der Anderen wieder zu entledigen, sobald diese seine Wohnung verließen, würdigte er sie keines Blickes, sondern ließ das Pärchen stumm hinter sich herlaufen.

 

Er setzte sich auf dieses unsortierte Kissensofa, schob unter eines der losen Teile seine Hand und zog mit traumhafter Sicherheit eine zerdrückte Zigarettenschachtel hervor.

»Sieh dir diesen Müll an«, sagte er.

Mit dem Zinnoberrot verschmierten Zeige-finger pulte er in der formlosen Hülle.

»Möchte wissen, wer die wieder leer gemacht hat«, sinnierte er.

Ein schräger Blick auf die Anderen. Mann und Frau.

Stillstehend.

Ihre Augen entwirrten Knoten.

Seine Augen entdeckten.

»Muss wahrhaft unangenehm sein«, sagte der Hausherr, »immer dieses Angebiedere.«

 

Dagegen ist die Freiheit seines Schöpfungs-aktes unabhängig von all den Anderen. Doch ein Teil seiner Künste bestand eben auch darin, die Anderen unweigerlich zu sich zu locken. Freiwillig oder nicht.

»Welche Beschwerden haben Sie?«, fragte er und entblößte dabei in unbändiger Ruhe seine Füße. Ungeachtet seiner Handlungen formte sich auf den Gesichtern der beiden ein grußvoller Ausdruck der Dankbarkeit.

»Wir freuen uns, dass wir um Ihren Rat bitten können. Wir haben erfahren, besser, wir wissen, dass Sie ganz spezielle Ratschläge für außergewöhnliche Malereien haben.«

Beide wussten nicht so recht, wohin mit sich.

»Denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung …, kennt ihr das Lied?« Er blickte durch sie hindurch. »Hochwasser ist wieder in der Stadt«, sagte er. »Nehmt es und verbaut es in eure Farben. Nehmt das Wasser und schmeißt es an eure Leinwand. Welches Wasser befindet sich in deinem Werk?«

Er schielte eine Sekunde in die Augen der Frau.

Dann schlappte er den vom Frühstück übrig gebliebenen Rest Nudelsuppe, entsann sich, dass er doch gestern auswärts gegessen und noch nie im Leben früh Suppe zubereitet hatte.

Angewidert krumpelte er seine Lippen, verzerrte die wuchernden Brauen und setzte erneut an. Nichts kam in seinem Hause um. Noch nicht mal die angegammelte Nudelsuppe von vorgestern.

»Ich male mit Ölfarben. Ich brauch gar kein Wasser«, versuchte sich die Frau wieder in Erinnerung zu bringen.

 

Der Mann, an seinem Klingelschild stand mal Strawinsky, also Strawinsky zelebrierte das Legen seiner Socken auf den gekachelten Wohnzimmertisch mit einer gedankenvollen Präzision.

»Bringt mir da hinten das Bierglas. Habt ihr irgendwelche Beschwerden mit euren Hintern? Nein? Dann setzt euch. Macht mich ganz aufgewühlt dieses Rumgestehe.«

Der junge Bulgare wusste genau, wo er das Glas finden konnte, seine Frau versank suchenden Auges in einem übel aussehenden Ohrensessel, (sie sank in’s Sitzlose, tief mit ihrem Gesäß fast verschwindend, auf diesen Platz, den keine Frau in den letzten zehn Jahren aufgepolstert hatte), zerrte ihren schlanken Körper sofort wieder hoch und hockte sich mit halbem Po auf dessen zerfranste vordere Sitzfläche.

Strawinsky zog das eine Fußkleid wie eine tote Maus mit zwei Fingern vom Tisch. Fast bekümmert hielt er es wie einen Schlips, der ins Essen getunkt worden war, um es vorsichtig in das schale Bier zu tauchen. Sauer roch der graue Lappen, als er wie eine Trophäe herausgezogen wurde.

»Und«, fragte er, »ist das jetzt immer noch derselbe Socken?«

»Ja und nein«, antworteten die beiden fast gleichzeitig.

Mein Gott sind die schwerfällig! Grässlich dieses Erklären bevor der Groschen fällt, dachte Strawinsky.

 

Djako stand hinter seiner Frau mangels weiterer Sitzmöbel und legte seine Hände auf ihre Schultern. Rotzgelb tropfte die Brühe vom Socken wieder ins Glas zurück. Strawinsky drückte den Rest mit einer Hand aus, stand auf und holte vom Fensterbrett eine Plastikkanne mit abgebrochener Tülle, schaute hinein, und trat in einen Klecks Titanweiß, den er künstlerisch vier, fünf Mal als Fersenabdruck auf dem Parkett verteilte.

Ohne Vorwarnung schwappte er der Frau das Gießwasser ins Gesicht, diese sprang entsetzt auf, wischte sich die brackige Flüssigkeit von Jeans und Shirt, ihr Mann, heiß gebadet, erwartete mit erhobener Faust eine sofortige Erklärung.

»Bevor du irgendeinen Pinselstrich auf eine Leinwand setzt, musst du den Stoff präparieren!«, intonierte der Maler. »Hast du das gemacht? Nein? Na bitte.«

Strawinsky setzte sich wieder und rubbelte mit dem getränkten Socken das Titanweiß von seiner Ferse. Das Bier führte er an seine Lippen. Krummgebeugt. Er wird doch nicht das ausgedrückte Getränk zu sich nehmen?

Nein. Er hob es sich für später auf.

»Geht raus«, sagte er, »schmeißt die Leinwand in die überschwemmten Fluten, euch gleich mit, säubert alles, besonders das Leinen, und deine Frau erhält den Untergrund, den sie für etwas Besonderes braucht. Zieht den Dreck durch die Körper, holt euch mit Tapferkeit beharrlich eure Definition von Reinlichkeit wieder und macht das Stückchen Untergrund, auf welchem das Besondere wochenlang, ach was sage ich, monatelang erarbeitet wird, als euer eigen.«

Er streckte seinen Körper, zog seine Beine gerade bis zu den Fußnägeln, und legte sie auf den Wohnzimmereichentisch. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

»Wenn du ein Haus baust«, fragte er im gleichgültigen Ton, »würdest du es spontan auf die Wiese setzen? Oder buddelst du erst mal gründlich im Boden ’rum. Wenn ihr soweit seid, guckt mal wieder vorbei.«

 

Fast endete dieser Dialog als Prolog, Strawinsky nahm an, dass sich die Anderen trollten und schielte ungeduldig zu seinem verhüllten Werk. Doch manchmal irrte er sich bezüglich der Beschwerden:

»Okay«, sagte die Frau, »bevor ich mich hier noch in meinen Wahnvorstellungen verfange, ich habe das mit der Erfrischung kapiert.« Katalina schnippte einen schon vor Tagen in der Gießkanne ersoffenen Käfer vom Bauch, stemmte ihre Ellenbogen auf die Knie und lehnte sich weit vor.

»Herr Strawinsky, ich will ein so außergewöhnliches Bild malen, dass allen Hören und Sehen vergeht. Sobald die Leute nur in seine Nähe kommen. Ich habe schon einmal so etwas Ähnliches bei Ihrem Gemälde >Herrscher der Maßnahmen< erlebt. So etwas will ich auch. Nur mit einem Unterschied.«

 

Strawinsky hatte seine Beine vom Tisch genommen, reflektierte ein kontrolliertes, nicht unangenehmes Interesse seinerseits und schob seine Hand, diesmal auf der anderen Seite, unter ein Gobelinkissen.

 

»Ich weiß, was Sie wollen, Katalina Traikov. Sie malen nette surrealistische Welten. Hab’ schon was gesehen von Ihnen. Interessant durchdacht. Einiges. Doch leider etwas, na sagen wir, ban…, nein trivial. Ich weiß, was Sie wollen.«

Er wandte sein Gesicht Richtung Fenster. Seine Hand wühlte immer noch in den unergründlichen Tiefen der Couch.

Djako ging zwei Schritte, zog zwischen Armlehne und kariertem Polster die halb herausschauende Brille und reichte sie ihm.

«Hatte ich … Ich hab’ drei von der Sorte und immer legt sie mir irgendjemand dorthin, wo ich sie nicht finden kann«, behauptete Strawinsky. Seine erhobene Stimme deutete auf eine gewisse Begeisterung: »Entsinnt ihr euch an irgendein Gemälde, was euch sofort weggehauen hat? Bis heute? Ich meine einfach so, konstruktionslos geschnappt und weg-gezerrt. Übermenschlich.«

Seine erhobene Stimme deutete auf eine gewisse Begeisterung.

Er spuckte die Sehhilfe feucht, nahm den trockenen Socken und polierte.

»Das ist es«, fiel ihm Katalina ins Wort. Sie gab ihm lebhaftere Zustimmung als er erwartete: » Einfach übermenschlich. Heute ist Dienstag. Ich will, dass man den Tag vergisst. Wenn man vor meinem Bild steht. Es soll dem Betrachter das Innerste nach außen stülpen!«

Strawisky steckte seinen Finger ins Ohr.

»Tinnitus«, offenbarte er sich. »Seit ich das da im Original gesehen habe.« Seine Augen lagen immer noch auf dem Pappbild neben dem Fenster. »Heureka! Wir müssen alle unsere Besonderheiten ablegen, wenn wir in die Wuchtigkeit eintreten«, sagte Strawinsky. »Wir werden schwankend unter der Last der weißen Leinwand am Boden kriechen. Bis wir wie Schlangen im Garten der Lüste unsere Beine verlieren. Staub wird in unseren Gelenken und Gedanken knirschen. So laut, dass uns alle um uns herum bemitleiden. Oder meiden. Irgendwann kommt einer, zündet die Lampe an, und macht aus dem schwarzen Fleck in deinem Kopf, der schon lange Fäden durch deinen so ermatteten Körper gezogen hat, etwas Wundervolles. In unserem Fall: ein grandioses Gemälde.«

Katalina suchte in seinen geweiteten Pupillen. Die sie immer noch nicht ansahen. Sie erhob sich, vergewissernd, ob nicht irgendeine Sache vom Ohrensessel an ihrer Hose kleben geblieben war, und alle drei begaben sich zu dem vergilbten Replikat an der Wand neben dem Fenster.

 

Einen halben Tag zuvor:

 

Klatschende Sandaletten auf Marmor verbreiteten im ganzen Haus schallenden Stress.

 

STRESS STRESS STRESS

 

Katalina war im Begriff die Worte der Galeristin unter ihren strassbeschuhten Füßen zu zertreten.

 

KLATSCH KLATSCH KLATSCH

 

Ihr Mann Djako versuchte, sie zu beruhigen: »Du wirst woanders deine Bilder zeigen können«. Ihr Gebaren war imposant, hielt aber als unschickliche Verschwendung ihrer Kraft nur kurze Zeit an.

 

Es war die siebente größere Galerie:

> Passt nicht in unser Portfolio. <

Arrogantes Abschätzen: >Ach und Sie sind die Malerin? Das kann ich unseren Kunden nicht zumuten. Surrealismus! <

»Ich verachte sie nicht«, sagte sie zu ihrem Mann.

 

Doch das Meer in ihren malerischen Händen vibrierte. Es blähte sich auf und produzierte Tsunamis. Wellen am Hafen.

Katalinas Hafen war ihre Liebe. Und die Malerei.

Sie hatte auf ihn gewartet. Mit ihren achtzehn Jahren dürstete es sie nach der großen Freiheit, die ins Land der Erfinder der kyrillischen Buchstaben führte. Nicht nach Russland. Auch nicht zu den Hellenen. Nein. Wohin mit ihr? Wenn in der Heimat ihr niemand die Muscheln des Strandes vor die Füße legen konnte?

Djako war Bulgare. Er hatte im letzten Monat seines achtzehnten Frühlings in dieser alten Hafenstadt unwissentlich auf sie gewartet und nebenbei Menschenleben gerettet; als Rettungsschwimmer sah er manchmal kleine Muscheln im zusammengeklebten Haar. Im Bart Reste vom Mageninhalt. Aber das Heben und Senken des massigen Brustkorbes versprach das Weiterleben des Touristen.

Die rote Fahne hatte er gehisst. Da konnte die Farbe der Flagge an seinem Posten im dunkelsten Purpur leuchten. Das Meer wie ein gehetztes Tier brüllen. Noch hundertmal lauter als die Trillerpfeife des Schwimmmeisters Djako; es gab immer welche, die dachten, sie hätten sieben Leben.

»Jeder ist für sich selbst verantwortlich«, rief er seiner Frau hinterher und nahm ebenfalls zwei Stufen auf einmal.

»Wir müssen uns was einfallen lassen.«

»Richtig. Ein Plan muss her.«

»Wir brauchen den metaphysischen Entwurf für unsere Wirklichkeit. Die Realisierung meines letzten Werkes wird die Vielschichtigkeit meiner Auffassung von der Weltwahrnehmung auf den Kopf stellen. Und in die Höhe schrauben. Hilfst du mir dabei?« Ihre buchenroten Haare versanken in den Wellen des Kopfkissens. »Wie ich hinter denen her geritten bin! Auf meinem Pferd. Mit schnaubenden Nüstern. Gestriegelter Mähne. Glänzendem Fell. Galoppiert bin ich!«

»Ja das war dein Fehler«, sagte ihr Mann und rollte mit dem Finger Haarkringel auf, »du siehst nicht aus, wie ein Maler aussehen soll.« Er legte sich auf den Rücken. »Ausgezehrter oder massiger Leib«, überlegte er und sah an die Decke: »Alter Moschusduft gepaart mit Leinöl. Vergilbte Augen. Überhängende Tränensäcke. Künstlerkopfbedeckung. Tragen-de Ernsthaftigkeit.«

»Was?«, Katalina lachte offenherzig und rollte ihren Körper an seine Seite. »Was heißt denn Künstlerkopfbedeckung? Mein Herz krampft, wenn ich >Künstler< höre …«

»Na so eine Schiebermütze, oder so einen Deckel mit Knubbel oben drauf. Dich nimmt doch keiner für voll. Im Museum mit Minirock, nicht als Besucher, als Maler(in)!«, meinte er mit heruntergezogenen Mundwinkeln.

 

Es war, als wäre die ganze Welt ein Weben um ihre Personen. Imaginationen ihrer beider Erscheinungen. Verdichtet im Duft ihrer Liebe.

 

Zieh die Bahnen um uns.

Nicht dazwischen.

Verwirkliche das Unkörperliche.

Verspinne die Fiktion zu einer realen Ordnung.

 

So geschah es. Noch bevor der letzte Nachtwind durch die lindfarbenen Blätter torkelte, hatten die beiden in einem sinnlichen Zustand traumhafter Freude ihren

 

magischen Plan.

 

Abgespeichert im scharfen Gedächtnis des Mannes stand die Liste in geordneter Form bereit. Befruchtet von den bittren Klängen der Museen– und Galeriebesitzer.

Der Erste würde Strawinsky sein: schattige Augen. Unbefraut. Wechselnde weibliche Liebschaften. Ohne grundlegende Fesseln. Von seinen eigenen mal abgesehen.

»Aber mit genialen Zügen in seiner Malerei«, sagte Katalina. »Er hat mal einem die Haare angezündet. Nur weil dieser >Hitze in den Adern< nicht richtig interpretieren konnte. Wir müssen ihm einen Besuch abstatten. Er wird uns weiterbringen. Danach kommt der nächste Schritt.«

 

Leberblümchen umspielten eine Unmenge von zerplatzten Blumenübertöpfen. Tulpen umringten lichtumlagerte Sperrmüllhaufen, Baumschatten verschmolzen mit rankender Klematis, in einem halben Dutzend Altöl-tonnen spiegelten kreisrunde Wasserflächen plusternde Strauchrosen wider. Wild-schießender Efeu verhinderte das Öffnen der vorderen Eingangstür. Wisteria-Ranken schickten märchenhafte Gartenimpressionen.

 

»Ist er ein Impressionist?«

»Als Gärtner wäre Strawinsky einer«, antwortete Katalina.

»Unglaubliche Klangbilder spielen hier in den verschiedensten Tonarten.« Sie sang beinahe und befühlte gelbe Wolken aufschäumender Rosenblätter. Wuchernde Rhododendren versprenkelten ihr Rot in wilden Funken hinter dem Haus. Irreführende Trampelpfade buhlten um die Aufmerksamkeit der Besucher.

Djako schlug mit seinen Knöcheln an das morsche Holz der Hintertür.

»Er wird uns schon nicht auffressen«, sagte er. Letzte Sonnenstreifen flatterten in ihrem Haar. Er klopfte erneut.

Katalina brach eine luftreiche Pumpelrose. Das ungemähte Grün hätte Dürer inspiriert.

»Er versteckt seine angefangenen Schätze. Bin ich mir ganz sicher«, sagte der Mann und sah seine junge Frau zwischen der blühenden Wildnis. »Schön siehst du aus.«

 

Wieder hielt die Tür dem Klopfen stand, und flog Sekunden später durch einen Tritt des Hausherrn auf. Strawinsky schenkte nie-mandem eine Begrüßung.

Katalina sprang hinzu und das Paar folgte dem Maler.

 

Nachdem er sie endlich nach ihren Be-schwerden befragt und eine leere Zigaretten-schachtel aus den Untiefen seines Sofas gefischt hatte, trug Katalina ihr Anliegen vor.

Alles was danach passierte, verbuchten beide unter >zu erleidendes Gehabe Strawinskys<, bis, ja bis sie sich vor diesem Pappgemälde neben dem Fenster wiederfanden:

 

Wie die eines Verliebten beschworen die Augen des alten Malers das schmuddelige Bild.

»General Ricardos. Von Goya gemalt«, entfuhr es Strawinsky. Glasig schien sein Blick.

»Ich wär’ dran vorbeigegangen«, sagte Djako.

»Ja! Bin ich auch! Ob du es glaubst oder nicht.«

Strawinsky fuchtelte wild mit seinen Armen.

»Der Prado hielt weiß Gott was für Werke bereit. Aber dann, es zerrte mich etwas zurück, wie mit einem Gummiband. Ein durchsichtiger Leib schob mich wieder zum General!«

Katalina versuchte in der Reproduktion etwas Außergewöhnliches zu finden. Djako suchte ebenfalls und blieb am goldenen Orden des Generals hängen.

»Kommt ihr nie drauf!«, stellte der Hausbesitzer mit einem Ausrufezeichen fest.

Wie ein Kind, welches die Freude am Schmollen entdeckt hatte, versank der Maler erneut in seinem Konzept der Anderen. Warum ließ er sich überhaupt hinreißen? Das Fehlen eines derart tiefen Verständnisses waren ja die Grundbeschwerden jener Leute. Vielleicht sollte er es wieder mit einem Gleichnis versuchen. Ach, überhaupt! Viel zu lange atmeten diese Sauerstoffräuber seine und Generals Luft weg. Gewaltsam zerrte er die Tür fast aus der Fassung.

»Bemüht euch erst mal mit der Leinwand. Diese braucht einen Grund. Ihr wisst ja, wo ihr mich finden könnt.«

Katalina schritt über einen halben Besen, hielt keine Pumpelrose mehr in ihrer Hand und drehte noch einmal ihren Kopf.

»Es sind die Handschuhe. Stimmt’s? Es sind die Handschuhe vom General, die wie ein Licht im unsichtbaren Raum uns Rätsel aufgeben. Hab’ ich Recht?« Strawinsky blieb im Türrahmen hängen. Zum ersten Mal trafen sich ihrer beider Sichten.

 

Katalina klappte den Schminkspiegel auf dem Beifahrersitz zu.

»Es stimmt. Ich muss mich um die Leinwand kümmern, werde sie durch ein besonderes Verfahren präparieren. Manipulieren. Für mich gefügig machen. Nicht in den dreckigen Fluten Anderer, wie mir Strawinsky vorschlug. Nein, in deines Bruders Seele werde ich sie tauchen. In den Lagunen seiner Hände werde ich den Stoff durch das Wasser ziehen.« Katalina sprach, Djako hörte zu, bis er antwortete: »Mein Bruder ist immer noch in der Nähe des kleinen Dorfes am Meer. Wir werden eher drei Sternschnuppen auf einmal vom Himmel fallen sehen, als ihn zu Gesicht zu bekommen.« Das Mädchen schwemmte seine halbherzigen Einwände mit einem Wimpernaufschlag hinweg.

 

Djako erinnerte sich an sein jüngeres Herz. Herzlich erregt dachte er an die gemeinsame Zeit, an ihre Wälder, an ihre Berge, die sie durchforstet, an die Fische, die sie aus der Arda gezogen hatten. Manchmal nur mit bloßen Händen. Wie weit lagen ihre Seelen offen, wie liebten sie sich. Eine Bruderliebe in ihrer reinsten, kindlichsten Form.

Er starrte auf die überfüllte Straße, auf die Massen von Menschen, die sich wie eine Walze rollend in ihrer erkauften eingesperrten Freiheit jeden Morgen von neuem aus den Betten schälten. Ein Vorbeigleiten gleichartiger Gestalten, die sich, in der Mühe anders zu sein, aufgaben.

Sein Bruder war anders; Milo holte sich schon immer die Welt aus der Komposition seiner eigenen Aufmerksamkeit. In gewisser Weise ein wenig wie Strawinsky. Er lobpries die Herrlichkeit der Schöpfung, saugte am Busen der Natur, hatte seinen sinnhaften Kosmos im Blickwinkel der Gegebenheiten bis an die äußersten Grenzen verschoben.

Ja, viel zu früh verließen sie sich; Djako fand seine große Liebe an der Schwelle zum Mann und in deutschen Landen. Sein jüngeres Herz hatte sich mit ihm gefreut. Das Leben zog sie auseinander. Freudige Hitze pulsierte in Bahnen durch seinen Körper, er würde ihn bald wiedersehen, wie sehr dankte er seiner Frau, nastrave!, sie reichte ihm eine Wasserflasche, nur noch um die Kreuzung, dann hatten sie ihr nächstes Ziel erreicht.

In dieser Kunst–Stadt, wie sie sich so stolz präsentierte, verkehrten zu guten Zeiten Zehntausende Kunst–Studenten, ansässig sind zwei, drei Künstler–Gruppen, eine große Kunst– Kirche wurde neben der Uni aus dem Boden gestampft, mit wechselnden Beiträgen zur allgemeinen und speziellen Kunst–Erziehung. Natürlich auch zur Erbauung. Kunst wohin man blickte; plakative, auf dem Kopf stehende, undefinierbare, abscheuliche, schöne, sich selbst vergessene, aus den Vorstellungen des Abartigen gezogene, rostige, gestrickte, lustige, erfrischende und scharlatanistische Kunst.

Ein Brodem, der manchmal überkochte, manchmal anbrannte, aber immer am Köcheln gehalten wurde. Und die Zutaten?

»Es werden die Zutaten in meinem Bild sein, die bar jeder moralischen Entscheidung die neuen Beziehungen zum Betrachter au-smachen«, sagte Katalina, die Autotür zuschlagend. »Die Zu – taten«, wiederholte Djako.

 

Im Hinterhof des mauve gestrichenen Stadthauses trieben drei Parkplätze den in den Zwanzigern angelegten Garten ungeniert an die Mauern zum Nachbarn. Die Wolken zerrannen unter dem Druck des Windes, weiße und rosafarbene Blütenblättchen torkelten wie Schiffe auf unsichtbaren Wellen. Manche sanken auf den schottrigen Boden und wurden unter heißen Autogummis zerquetscht. Andere lagen kunstvoll in den Ritzen der Mauern, in kleinen Gruften, neben gelbem Sedum und versetzten der gewöhnlichen Betrachtungsweise einer solchen Territoriumsgrenze einen phantastischen Anblick.

»Können Laster oder Wert nur mit den bloßen Dingen in Beziehung gebracht werden?«, fragte Katalina.