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Jürgen Spieß

Jesus für Skeptiker

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RBtaschenbucc Bd. 611

10. Auflage 2006

Umschlaggestaltung: Dietmar Reichert, Dormagen

Umschlagfoto: Lili K./ZEFA, Düsseldorf

Druck: Jesusbooks, Großburgwedel

ISBN 3-417-20611-1 (lieferbare Buchausgabe)

Bestell-Nr. 220 611

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

Vorwort zur 7. Auflage

Glaube und Skepsis

Muß es nicht heißen Glaube oder Skepsis? Gibt es nicht auf der einen Seite die religiös-subjektiv Glaubenden und auf der anderen Seite die wissenschaftlich-objektiven Skeptiker? Was bedeutet Glaube, was Skepsis?

Das Buch befaßt sich mit Definitionen von »Glaube« und »Skepsis« und behandelt sowohl intellektuelle als auch existentielle Skepsis. Es fragt darüber hinaus nach dem Verhältnis von Glaube und Skepsis in Bezug auf den christlichen Glauben: Wie zuverlässig sind die Berichte von der Auferstehung von Jesus Christus? Was ist generell von den Wunderberichten des Neuen Testaments zu halten? Wo ist Gott im Leid? Hört er unser Gebet?

Das Buch enthält einige Jesus-Sätze für Skeptiker und zeigt, daß Jesus auch Skeptiker ernstgenommen hat. Die Tragfähigkeit dieser Aussagen erfahre ich, indem ich sie ausprobiere, denn es gibt kein Leben aus der Distanz. So wie es keine Freundschaft und keine Liebe aus der Distanz gibt, so gibt es auch keine Gottesbegegnung aus der Distanz.

Die bisherigen sechs Auflagen innerhalb weniger Jahre zeigen das Interesse an diesen Fragen. Mein Wunsch ist, daß auch die 7. Auflage hilft, zur richtigen Mischung von Glaube und Skepsis zu kommen.

Jürgen Spieß

Verlust der Gewißheit

Niemand von uns hat seine Vorstellungen vom Leben, von Gott und der Welt aus sich selbst. Wir haben sie übernommen - von unseren Eltern, Lehrern, Freunden und aus Büchern. Familiensprüche haben diese Vorstellungen entscheidend geprägt. »So etwas tut man nicht.« »Was sollen nur die Leute von uns denken?« »Das Leben ist ein harter Kampf.« Manche der Sprüche waren persönlich ermutigend: »Du schaffst das schon«, manche eher entmutigend: »Aus dir wird nie etwas.«

Den Lebensabschnitt, in dem wir uns über das Leben und unsere Lebensziele bewußt Gedanken machen, beginnen wir nicht als unbeschriebene Blätter. An unserem Charakter (griechisch: das Geprägte) wurde bereits gearbeitet.

Als ich zum ersten Mal darüber nachdachte, welcher Spruch mich in besonderer Weise geprägt hatte, kam mir mein Vater in den Sinn. Wenn ein Politiker im Fernsehen sprach, sagte er: »Das ist alles gelogen.« Wenn die Mutter erzählte, was die Nachbarin sagte, hörte ich den gleichen Spruch: »Alles gelogen.« Dieser Satz hat mich sehr geprägt. Ich bin ein Skeptiker geworden.

Skepsis heißt, etwas prüfend aus der Distanz betrachten. Man muß zweifeln. Man muß skeptisch sein. Menschen können lügen, können sich täuschen. Es ist nicht alles wahr. Selbst Fernsehbilder können zuweilen eine Täuschung sein.

Totale Skepsis würde bedeuten, alles zu bezweifeln. Die klassischen Sätze der totalen Skepsis wurden von Gorgias im 5. Jahrhundert vor Christus formuliert: 1. Es gibt nichts. 2. Wenn es etwas gäbe, so könnten wir es nicht erkennen. 3. Wenn es etwas gäbe und es erkennbar wäre, könnten wir es doch den anderen nicht sagen.1

Das ist die totale Skepsis. Sie ist nicht lebbar. Manche Dinge kann man zwar denken, aber nicht leben. Es gibt kein Leben aus der Distanz. An bestimmten Punkten müssen wir unsere Distanz aufgeben. Das tun wir auch. So wie es den Satz von der Erhaltung der Energie gibt, gibt es auch den Satz von der Erhaltung der Naivität.2 Wer in einigen Dingen total skeptisch ist, etwa der Bibel gegenüber, der ist in anderen Bereichen oft außerordentlich leichtgläubig oder naiv. Er vertraut zum Beispiel der Wissenschaft oder dem Urteil seiner Freunde. Totale Skepsis ist für niemanden lebbar. Wir können nicht alles nur prüfend aus der Distanz betrachten. Wenn wir leben wollen, müssen wir unsere Distanz aufgeben.

Das tun wir auch beständig. Dafür gibt es ein schönes Wort: Wir verlassen uns. Wir verlassen uns auf andere Menschen, auf unsere Eltern, die uns erklärt haben, wie das Leben ist, auf Lehrer, auf Freunde.3 Sie helfen uns, ein eigenes Lebenskonzept zu bekommen. Niemand von uns hat sein Lebenskonzept aus sich selbst, wir haben es zunächst einmal übernommen. Wir verlassen uns auf das, was andere gesagt haben. Anders können wir auch gar nicht leben. Wir müssen uns irgendwie festlegen, uns auf etwas einlassen, uns binden. Ein schöner Spruch heißt: »Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.« Es gibt ja Menschen, die gerne nach allen Seiten offen sein möchten, als eine positive Lebenseinstellung. Aber das können wir nicht. Das lateinische Wort »konkret« heißt eigentlich »verdichten«. Man könnte also auch sagen: Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht konkret sein. In allen Beziehungen und Entscheidungen werden wir verbindlich. Wenn wir zu jemand etwas sagen und es tun, wenn wir ja oder nein antworten, gehen wir Verbindlichkeiten ein. In dem Moment geben wir unsere Skepsis auf. Wir lassen uns auf etwas ein.

Helmut Schelsky nannte die Nachkriegsgeneration die »skeptische Generation«.4 Er beschrieb das so: Die erste Generation dieses Jahrhunderts war die sogenannte Wandervogelbewegung, die frühen Grünen, die mit der Klampfe in den Wald zogen und freundliche Lieder sangen, einigermaßen unpolitisch waren, aber dann in den Ersten Weltkrieg ziehen mußten (manche taten das begeistert). Als nächste kam eine Jugend, die außerordentlich politisiert war, und zwar eher rechts; sie fand sich im Zweiten Weltkrieg wieder. Und dann eine dritte Jugend, die weder rechts noch links war und auch nicht mehr politisch, die »skeptische Generation«, die sich auf nichts mehr einlassen wollte. Wir sind wohl heute Kinder dieser skeptischen Generation.

Zur Skepsis gehört, wie der polnische Philosoph Kolakowski schreibt, der »Verlust der Gewißheit«: »Ein Gott, der einst die wohletablierte Ordnung der Werte, der sozialen Verhältnisse, der Regeln des Denkens, des physischen Weltalls bestätigte und der als Gewölbe dieser Ordnung galt, ist nicht mehr da, weil keine solche Ordnung mehr sichtbar ist. Solange die Menschen der Dauerhaftigkeit dieser Ordnung vertrauen konnten, hatten auch die Gottlosen ihren Ort darin ... Zum Gegensatz zu der gemütlichen, durch die wohlwollende, freundliche Natur geschützten Welt des aufklärerischen Atheismus wird die gottlose Welt von heute als ein bedrückendes, ewiges Chaos wahrgenommen. Sie ist jeden Sinnes, jeder Richtung, jeder Orientierungszeichen, jeder Struktur beraubt.«5

»Verlust der Gewißheit« ist die Kehrseite der Skepsis. Das bedeutet auch, daß es einen fröhlichen Atheismus wie im 18. Jahrhundert nicht mehr gibt. Damals waren viele Atheisten froh und dankbar, Gott los zu sein. Sie jubelten darüber. In Texten von Atheisten des 20. Jahrhunderts wie Sartre, Camus oder Kafka kommt dagegen keine rechte Freude auf, weil die Gewißheit verlorengegangen ist. Man versucht, sich momentan damit zu behelfen, daß man sagt: Es gibt nicht eine Wahrheit, sondern viele Wahrheiten. Der eine hat diese, der andere eine andere. Man macht also aus der Not eine Tugend. Viele nennen das Toleranz, obwohl es wahrscheinlich besser mit dem Begriff der Indifferenz zu bezeichnen wäre, mit Gleichgültigkeit.6 Denn tolerieren, das heißt eine andere Meinung stehen lassen, kann man nur dann, wenn man selbst eine Meinung hat.

In diesem Buch soll es um christliche Antworten auf skeptische Fragen gehen. Was ist zum Beispiel der Grund für die Hoffnung der Christen? Wenn die ersten Christen auf Fragen von Skeptikern antworteten, nannten sie das: Rechenschaft über ihre Hoffnung abgeben (1. Petrus 3,15).

Ohne Hoffnung kann niemand leben, auch nicht der Skeptiker. Ein lateinisches Sprichwort heißt: »Solange der Mensch lebt, hofft er.« Das kann man auch umdrehen: Ein Mensch ist so lebendig, wie seine Hoffnung stark ist.

Hoffnung setzt uns in Bewegung. Deshalb wollen wir uns als erstes diesem Stichwort zuwenden.7

Was gehört zu einer Hoffnung?

Freude

Hoffnung ist immer mit Freude verbunden. Im Griechischen war das Wort für Hoffnung einfach Erwartung. Wenn wir heute von Hoffnung sprechen, gebrauchen wir es im Positiven. Wir hoffen auf etwas, das gut für uns sein wird. Erwarten kann man auch schlechte Dinge. Wer erwartet, daß er die Prüfung nicht besteht, hofft möglicherweise (hoffentlich!) nicht darauf. Also sind Erwartung und Hoffnung unter Umständen etwas Verschiedenes.

Von außen

Von Hoffnung sprechen wir bei etwas, was wir nicht selbst machen können, was nicht in unserer eigenen Verfügung steht. Wenn man sich Wörterbücher der marxistischen Philosophie ansieht, fällt auf: Da fehlt der Begriff der Hoffnung. Das liegt nicht daran, daß die Marxisten keine Hoffnung hätten, sondern ist die Folge einer philosophischen Vorentscheidung: Man hofft nicht auf das, was man selber herstellen kann. Wenn die klassenlose Gesellschaft auf wissenschaftlichem oder anderem Wege sowieso kommt, ist sie keine Frage der Hoffnung, wie etwas, das wir nicht selbst machen können. Als der Marxist Ernst Bloch ein Buch über Hoffnung schrieb, mußte er die DDR verlassen (1957). Hoffnung ist keine marxistische Kategorie.

An zwei Beispielen soll deutlich werden, daß wir nicht von Hoffnung sprechen, wenn wir das »Erhoffte« selbst tun können. Wenn der Vater zum Sohn sagt: »Ich hoffe, daß du in der Schule fleißiger wirst«, ist das der echte Hoffnungsbegriff. Wenn der Sohn antwortet: »Ich hoffe das auch«, kann man einige Bedenken anmelden. – Wenn wir zu einem Schreiner gehen, bei ihm einen Schrank von der und der Größe bestellen, und er sagt, er hoffe, er werde das so machen, werden wir wahrscheinlich den Schreiner wechseln. Von Hoffnung sprechen wir nur bei Dingen, die außerhalb unserer Verfügung liegen. Wir hoffen auf etwas, das von außen auf uns zukommt.

Der Grund

Es ist nicht nur interessant, was Leute hoffen, sondern ebenso, wie sie das begründen. Wie begründet jemand, daß er glaubt, er bestehe die Prüfung oder er habe am Ende des Monats noch Geld? Ich denke, die Begründung der meisten Menschen für ihre Hoffnungen und Wünsche ist einfach Statistik. Die meisten würden auf die Frage: »Wie begründest du das?« antworten: »Das ist eben so. Die meisten Leute machen das auch so; meistens trifft das doch ein!« Wobei man allerdings sagen muß, daß jeder die Statistik zu seinen eigenen Gunsten auslegt.

Nehmen wir ein Extrembeispiel: Ein Kettenraucher sitzt nach seiner siebzigsten Zigarette am Samstagabend vor der Ziehung der Lottozahlen im Fernsehen. Er steht vor einem gewissen Statistikproblem. Er könnte sich ja jene Statistik vergegenwärtigen, nach der jeder tausendste Kettenraucher an Lungenkrebs stirbt. Er könnte sich auch an der anderen Statistik hochziehen, nach der jeder Dreizehnmillionste Wettschein sechs Richtige hat. Nehmen wir an, wir legen ihm diese beiden Statistiken vor. Er entgegnet: »Mit dem Lungenkrebs, das ist ja nur einer von Tausend! Es gibt ja mindestens 999, die trifft es nicht. Warum soll ausgerechnet ich der eine sein?!« Dann erinnern wir ihn: »Aber jetzt schaust du auf die Lottozahlen! Du willst doch nicht im Ernst glauben, daß du der Dreizehnmillionste bist?« – »Stimmt«, wird er erwidern, »aber einer ist es jeden Samstag. Warum nicht ich?«

Ich denke, daß wir zwar mit der Statistik leben, sie aber grundsätzlich zu unseren Gunsten auslegen.

Tragfähigkeit

Hoffnung muß sich in extremen Situationen bewähren, wenn sie wirklich Hoffnung sein soll – Hoffnung für unser Leben und für das Leben anderer. Hoffnung braucht nicht nur einen Inhalt, sondern vor allen Dingen auch Tragfähigkeit, wenn es schwierig wird.

Jürgen Habermas hat einmal gesagt, angesichts von Einsamkeit, Schuld, Leid und Tod sei die Lage des Menschen prinzipiell trostlos.8 Das ist Hoffnungslosigkeit. Mit diesen vier Worten Einsamkeit, Schuld, Leid und Tod hat er aber auch die Grenzbereiche angegeben, innerhalb derer sich Hoffnung bewähren muß. Es hätte ja keinen Sinn, zu sagen: Unsere Hoffnung hat mit diesen vier Erfahrungen nichts zu tun. Das wäre zu wenig, nur ein trügerischer Trost, weil diese Erfahrungen irgendwann einmal auf uns selbst zukommen können und werden.

Trost hängt mit Vertrauen zusammen (englisch: to trust). Wenn wir das Leben und die gegenwärtige Situation als trostlos bezeichnen, haben wir kein Vertrauen in die Zukunft. Getröstet ist einer, der eine Hoffnung für die Zukunft hat, gerade auch innerhalb solcher Situationen von Einsamkeit, Schuld, Leid und Tod. Wenn wir über Hoffnung nachdenken, wollen wir uns deshalb nicht ohne eine Antwort auf diese vier Fragen zufriedengeben. In der Bibel heißt es in Psalm 90: »Lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden.« Also nicht:… auf daß wir es mit der Angst zu tun bekommen. Es ist keine Drohung, sondern eine positive Erwartung: »Klug werden«. Gemeint ist das Wissen davon, was uns auf jeden Fall in der Zukunft betrifft.

Existentielle und intellektuelle Skepsis

Skepsis ist nicht nur eine intellektuelle Sache. Es ist auch existentiell wichtig, daß wir getröstet werden und Vertrauen in die Zukunft haben. Die intellektuelle Skepsis fragt nach der Beweisbarkeit Gottes, nach der Jenseitsvertröstung oder dem angeblichen religiösen Wunschdenken der Christen. Die existentielle