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Uwe Holmer

Der Mann, bei dem Honecker wohnte

Bestell-Nr. 394.582

ISBN 978-3-7751-5094-1



© Copyright der deutschen Ausgabe 2009 by

SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de

E-Mail: info@scm-haenssler.de

Titelbild: Johannes Holmer

Fotos im Innenteil, wenn nicht anders angegeben: privat

Satz: typoscript GmbH, Kirchentellinsfurt



Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:

Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Inhalt

Vorwort

Einführung

1. Kindheit und Jugend

2. Studium

3. Ehe und Familie

4. Pfarramt 1955-1967

5. Bibelschule Falkenberg 1967-1983

6. Noch einmal: Familie

7. Einschub: Theologische Beobachtungen

8. Lobetal 1983-1991

9. Honecker

Auszug aus einem Brief vom 01.02.1990

Brief vom 28.02.2008

Auszug aus einem Brief vom 13.04.1990

Auszug aus einem Brief vom 13.03.1990

Auszug aus einem Brief vom 08.05.1990

10. Abschied von Lobetal

11. Serrahn

12. Sigrid geht heim

13. Rentenbeginn, Witwerstand

14. Christine, meine zweite Frau

15. Enkelkinder

16. Leben im Ruhestand

17. Rückblick

18. Nachdenken über mein Volk

19. Ausblick

Anhang

Wussten Sie schon …

Anmerkungen

Vorwort

Ich habe mir angewöhnt, manche Menschen als »lauter« zu bezeichnen. Dieses Wort ist heute fast unbekannt. Wir kennen nur noch sein Gegenteil, zum Beispiel »unlauteren Wettbewerb«. Aber ich finde kein besseres Wort für bestimmte Menschen, denen ich begegnet bin. Zu ihnen gehören meine Eltern, manche Freunde und auch Pastor Holmer. Lautere Menschen strahlen etwas aus, verbreiten eine Atmosphäre der Klarheit und Reinheit. Niemand würde wagen, in ihrer Gegenwart einen zweideutigen Witz zu erzählen. Man hat zu ihnen unbedingtes Vertrauen und weiß einfach – der belügt mich nicht, der kennt keine Tricks, der ist ehrlich. Und so einer ist Uwe Holmer. So habe ich ihn kennengelernt und genau so begegnet er uns in diesem Buch. Er ist kein theologischer Windhund, der sich vom Zeitgeist in die Sackgasse eines schwächelnden Liberalismus treiben lässt. Er ist ein Kind, Zeuge, Diener, Mitarbeiter Gottes ohne Wenn und Aber. Alles, was er in seinem Leben erlebt, verbindet und deutet er mit seinem Glauben, den er oft in einer geradezu kindlichen Direktheit bezeugt. Ich sehe nicht, dass es in unserer von Zweifeln, Orientierungs- und Gottlosigkeit geprägten Welt viele Menschen gibt, die mit solcher Geradlinigkeit ihren Glauben an Jesus leben. Aber gerade das ist es, was dieses Lebenszeugnis so wertvoll macht, bis hin zu dem Traktat, mit dem er seinen Bericht abschließt. Ungewöhnlich für eine Biografie, aber so ist er eben, der Pastor Uwe Holmer. Er schreibt: »Zurückblicken macht dankbar.« Das Lesen dieses Buches auch.

Dr. Theo Lehmann



Einführung

Wieder einmal war ich von einem Fernsehsender zu einem Interview eingeladen worden. Als das beendet war, meinte der Redakteur: »Wir haben jetzt Feierabend, sitzen aber noch ein wenig zusammen bei einer Tasse Kaffee und einem Brötchen. Setzen Sie sich doch dazu.« So saßen wir fünf Personen beieinander und plauderten. Plötzlich sagte der Chef: »Nun haben wir ja mal einen Pastor hier! Sagen Sie, da gibt es doch bei den Christen solche Gesetze, dass man nur eine Frau haben soll?«

Ich: »Ja, das 6. Gebot: Du sollst nicht ehebrechen.«

Er: »Und das halten Sie für gut?«

Ich: »Ja.«

Er: »Sagen Sie bloß, Sie haben immer nur eine Frau gehabt.«

Ich: »Ja!«

Er: »Sagen Sie, kommen Sie vom Mond oder wo kommen Sie her? Sie passen ja überhaupt nicht in diese Gesellschaft!«

Ich lächelte ihn an und sagte: »Aber meine Frau ist glücklich und ich auch – und unsere Kinder noch mehr!«

Danach fuhr der Redakteur mich in mein Hotel. Nun waren wir allein, und ich fragte ihn: »Sind Sie verheiratet?«

Er: »Nein.«

Ich: »Leben Sie mit jemandem zusammen?«

Er: »Ja.«

Ich: »Sind Sie glücklich?«

Er: »Nein.«

»Sehen Sie« sagte ich, »das ist der Unterschied: Ich bin mit Gottes Geboten ›vom Mond‹ sehr glücklich und meine ganze Familie auch. Sie aber werfen dies alles als völlig altmodisch über Bord. Sie halten sich für frei, sind stolz auf Ihre Freiheit – und sind unglücklich!« Er sagte nichts mehr. Aber ich spürte: Er war nicht ärgerlich, sondern er kam ins Grübeln: Wie kann das sein, dass wir uns so frei und modern vorkommen, dass unser Leben dabei aber nicht glücklich verläuft? Und die Christen sind mit den alten Geboten Gottes glückliche Leute.



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Uwe Holmer und Frau

Ich dankte an diesem Abend Gott, dass er uns seine Gebote gegeben hat, klar und unmissverständlich und sehr direkt. Es hat mein Leben reich gemacht, dass ich den ernst nehme, der diese Gebote gegeben hat. In Verantwortung vor Gott will ich Vater und Mutter ehren, nicht ehebrechen, nicht lügen, nicht stehlen. Ich will es mir auch nicht erlauben zu sagen: Ich kann auch anders. Gerade die Entschiedenheit des göttlichen Willens soll auch meinen Willen mit der Entschlossenheit erfüllen, in Wahrheit und in Liebe zu leben.

Davon will ich in diesem Buch reden, nämlich dass ich manches Mal angesehen wurde als »armer, weltfremder Tropf« – und in Wirklichkeit war ich reich. Ich hatte nur einen bescheidenen äußeren Reichtum, war innerlich aber immer reich und zufrieden. Gott hat mir diesen Reichtum geschenkt und mich freundlich geführt, »auf rechter Straße«, in der fröhlichen Gewissheit: Der Weg ist gut. Das Ziel ist klar. Es geht nach Hause.

Gott hat mich auch hineingeführt in mancherlei Konfrontation und Opposition. Oft mussten wir als Familie gegen den Strom schwimmen. Aber gerade daraus hat Gott Gutes erwachsen lassen, zum Teil einfach nach dem Motto: »Was mich nicht umbringt, das macht mich stark.« Es hat sich erwiesen: Seine Wahrheit ist stärker als die Lüge. Seine Liebe ist stärker als Verblendung und Hass. Reichtum und Stolz der Welt erwiesen sich am Ende als Armseligkeit. Wer jedoch auf Gott vertraut, dem gehören Leben und Seligkeit. So soll denn die Antwort an den TV-Redakteur das Motto dieses Lebensberichtes sein: »Aber meine Frau ist glücklich und ich auch – und unsere Kinder noch mehr.« Immer wieder stand mir beim Schreiben dieses Berichtes vor Augen, wie gut es ist, mit Gott zu leben, und wie gut er es mit jedem von uns Menschen meint.



1. Kindheit und Jugend

Ich sitze als kleiner Junge hinter unserem zweistöckigen Mietshaus und spiele im Straßensand. Es ist Sommer. Die Fenster stehen weit offen. Meine Mutter ist beim Abwaschen und singt mit ihrer hellen Stimme die Lieder, die wir in der Landeskirchlichen Gemeinschaft singen:

O Liebe, goldner Sonnenschein, fürs arme Menschenherz

strahlst du nur hell in mich hinein, versüßt ist jeder Schmerz;

das Dunkel weicht, die Nacht entflieht, wenn warm die Sonne scheint;

und Freud und Lebenswonne zieht hinein ins Herz, das weint.

O Gotteslieb so voll und frei, von alters her und immer neu.

Sie quillt für mich, sie quillt für dich und zieht uns alle hin zu sich.

Ein anderes lautet so: Wenn Friede mit Gott meine Seele durchdringt,

ob Stürme auch drohen von fern,

mein Herze im Glauben doch allezeit singt:

Mir ist wohl, mir ist wohl in dem Herrn.

Durch meine Kindesseele zieht ein tiefes Glücksgefühl. Ich freue mich, eine zufriedene, singende Mutter zu haben. Sie liebt mich und ich liebe sie. Immer ist sie für uns fünf Geschwister da. Mehr Glück brauche ich nicht.

Unsere Eltern waren im Jahre 1928 als frisch verheiratetes Ehepaar von Heide in Schleswig-Holstein nach Wismar in Mecklenburg umgezogen. In Heide war der junge Ehemann arbeitslos geworden. In Wismar hatte er Arbeit als Korrektor beim Hinstorff Verlag gefunden. Im Februar 1929 wurde ich ihnen als ältestes von fünf Geschwistern geboren. Sie wohnten noch nicht lange in Wismar, die Ehefrau war noch dabei, das »Nest« zu bauen und die Stadt zu erkunden. Da sagte sie zu ihrem Mann: »Ich habe auch schon die ›Christliche Gemeinschaft‹ gefunden.« Eine gläubige Frau in Heide hatte ihnen von Jesus erzählt und ihnen beim Abschied ans Herz gelegt: »Ihr braucht innere Orientierung für euer Leben. Sucht in Wismar die ›Christliche Gemeinschaft‹ auf und haltet euch dazu.« So gingen sie hin, gingen wieder hin, und der Prediger wurde auf sie aufmerksam. Er stellte die Verbindung zu einem älteren gläubigen Ehepaar her. Das wurde eine lebenslange, wertvolle Beziehung, eine Glaubensverbundenheit, die auch die Lebensprobleme des jungen Paares umschloss. So wurden sie zu Seelsorgern und Helfern für unsere ganze Familie, Paten im ursprünglichen Sinne des Wortes. In der Christlichen Gemeinschaft kamen meine Eltern schon Ende des Jahres 1928, etwa drei Monate vor meiner Geburt, zum Glauben an Jesus. Sie bekehrten sich von einem selbstbestimmten zu einem von Jesus geführten Leben. Für mich bedeutete das, dass ich schon von Mutterleib und von Kindesbeinen an in die Landeskirchliche Gemeinschaft kam und mich dort immer wohlfühlte. Mehr noch: Die schönen Lieder haben schon früh meine Seele geprägt, und bei den Versammlungen und Missionsfesten freute ich mich an der Gemeinschaft der Mitglieder und Besucher. Bald empfand ich sie alle wie meine Onkel und Tanten und auch mich als dazugehörend.

Schon früh erzählte meine Mutter mir von Gott, meinem Schöpfer, und von Jesus, dem guten Hirten. Und als sie mir eines Tages die schwere Wahrheit sagte, dass jeder Mensch einmal sterben muss, erzählte sie mir auch, dass wir zum Himmel berufen sind und dass wir, wenn wir zu Jesus gehören, ganz gewiss dort hineinkommen werden. Von da an war mein tiefer Wunsch: Ich will in den Himmel kommen. Nichts im Leben soll mir wichtiger sein. So senkten meine Eltern die Ewigkeit in mein Herz. Ich fand nicht eher Ruhe, bis ich gewiss wusste: Ich gehöre zu Jesus. Und wenn ich sterbe, komme ich zu Gott in den Himmel. Doch bis ich darin letzte Klarheit fand, dauerte es noch einige Jahre. Ich kann aber sagen: Wohl den Eltern, die ihr geistliches Erziehungsamt verantwortlich wahrnehmen. Und wohl den Kindern, denen die Eltern schon früh Jesus lieb machen, der uns Geborgenheit schenkt und der uns freundlich durchs Leben führen will, sodass es von Reinheit und Liebe, Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit bestimmt ist!

Und dann durfte ich eines Tages mit meinem zwei Jahre jüngeren Bruder in den Kindergottesdienst gehen, später auch mit den jüngeren Geschwistern. Manchmal gingen wir mit anderen Kindern vom Stadtrand in die Stadt. Aber dort trennten wir uns, denn die Spielkameraden wollten nicht mit in den Kindergottesdienst. Sie gingen ins Kinderkino und sahen Mickey-Maus-Filme. Gern hätte ich ja auch mal einen Mickey-Maus-Film angesehen. Aber die liefen immer gerade in der Kindergottesdienstzeit. So bin ich nie ins Kinderkino gekommen, lernte aber schon früh, einen eigenen Standpunkt zu haben. Dabei hat es uns allerdings auch unser Prediger Johannes Schellhase sehr leicht gemacht. Schon in der ersten Kinderstunde, die er als neuer Prediger mit uns hielt, sang er sehr fröhlich mit uns die Lieder: »Solang mein Jesus lebt …« und »Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin …«. Überhaupt suchte er gern fröhliche Lieder aus. Auch erzählte er so frisch und lebendig, dass ich zu meinen Eltern sagte: »Da gehe ich wieder hin.« Die Kinder und Jugendlichen, auch die Alten, haben unseren Prediger geliebt. Und wir spürten: Er liebt auch uns. Schon da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dass ein Prediger der Frohen Botschaft froh und freundlich auf die Menschen zugeht. Ich kann nicht sagen, dass unsere Eltern uns gezwungen hätten, in den Kindergottesdienst zu gehen. Sie machten uns aber Gottes Wort lieb und wichtig. Unser Vater erklärte uns einfach: »Immer wenn wir Gottes Wort hören und beten, kommt etwas von göttlicher Kraft in unser Leben hinein.



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Die vier ältesten von fünf Geschwistern (Uwe rechts)

Ich war gerade erst ein Teenager, da durfte ich schon in den »Jugendbund für entschiedenes Christentum« gehen, den »EC«. In den »Weihestunden« sprachen wir immer einmal wieder das Gelübde des EC, in dem es hieß: »Ich will jeden Tag Gottes Wort lesen und beten. Von dem Besuch meiner Kirchgemeinde oder Gemeinschaft sollen mich nur solche Gründe abhalten, die ich vor meinem Herrn und Meister verantworten kann.« Das habe ich von Herzen mitgesprochen und praktiziert. So kommt es, dass ich mein Leben lang wohl kaum einen Tag ohne Gottes Wort begonnen habe. Es wurde mir zum geistlichen Kompass und zur Kraftquelle in der Nazizeit, in der Zeit des verordneten Sozialismus, und es ist mir bis heute Richtschnur geblieben. Es gehört für mich zu den Wundern des Wortes Gottes, dass es jedem Menschen in jeder Lage und in jedem Alter den Weg weisen und ihn mit innerer Kraft erfüllen kann. Allerdings habe ich auch erlebt, was Corrie ten Boom sagt: »Das Wort Gottes ist so schwer zu verstehen, dass auch ein kluger Professor es nicht begreifen kann – ohne den Heiligen Geist. Und es ist so einfach, dass auch ein Kind es verstehen kann – durch den Heiligen Geist.« Eines ist mir ganz gewiss: War das Wort Gottes schon gegenüber den Irrlehren der braunen Ideologie und dann auch wieder gegenüber denen der roten Ideologie der untrügliche Wegweiser, so ist es mir heute noch unentbehrlicher, im Widerstand gegen den liberalen Zeitgeist, der Gott beiseiteschiebt und den Menschen mit seinen Wünschen und Begierden in den Mittelpunkt stellt. Gottes Wort lehrt uns »theozentrisch« zu denken. Es rückt Gott ins Zentrum und gibt den Durchblick durch die Verführungskünste des Bösen. So wurde mit der Zeit aus mir nicht nur ein Schüler, sondern auch ein fröhlicher Lehrer des Wortes Gottes.



Im Denken an meine Jugendzeit stehen mir besonders drei Ereignisse vor Augen. Sie prägten auch mein späteres Leben. Ab dem Alter von 10 Jahren musste jeder Junge zur Hitlerjugend und jedes Mädchen zum BDM (Bund deutscher Mädel). Wer nicht ging, wurde, wie zum Beispiel der Sohn unseres Pastors, mit der Polizei in die »Pflicht-HJ« abgeholt. Weitaus die meisten aber gingen gerne, ich auch. Da war »wenigstens etwas los.« Dort wurde Sport getrieben. Es wurden Geländespiele gemacht und viele fröhliche Volkslieder gesungen. Dass dort auch Soldaten- und Nazilieder gesungen wurden, war uns nicht anstößig. Und die Uniform trugen wir gern. Der Sohn des Bankdirektors und der Sohn des Arbeiters marschierten im gleichen Schritt. Wir schwärmten von Kameradschaft und Parolen wie »Gemeinnutz geht vor Eigennutz«. Unser »Fähnleinführer« war der Sohn eines Kommunisten. Der Vater stand gegen seinen Sohn und der Sohn gegen den Vater. Meine Eltern waren anfangs nicht gegen den Nationalsozialismus und gegen Hitler, hatte er doch allen Arbeitslosen Arbeit gegeben und Deutschland aus der wirtschaftlichen Depression heraus wieder zu nationalem Selbstbewusstsein geführt. Ja, er hatte sogar erklärt, er sei für ein »positives Christentum«, was vielen Christen in Deutschland den Blick für den dämonischen Charakter Hitlers versperrte. Aber nach und nach gab es einfach zu viele Ereignisse, die auch bei meinen Eltern Zweifel erweckten. Eines Tages, ich war wohl 15 Jahre alt, kam ich von der Schule nach Hause. Meine Mutter stand in der Wohnstube und hatte »Das Schwarze Korps«, die Zeitung der SS, in der Hand. Sie sah mich an und sagte: »Geh bloß nicht mal zur SS.« Ich entgegnete: »Die SS – das sind die zackigsten Soldaten. Die kämpfen wenigstens. Sie lassen sich nicht gefangen nehmen. Die kämpfen bis zuletzt!« So hatte ich es in der HJ gelernt. Meine Mutter aber sagte: »Ja, aber sie müssen auch Juden erschießen und Gefangene erschießen.« Ich war sehr betroffen. Nein, das wollte ich nicht. Ich liebte doch Abraham und David und Jesus und das Volk Gottes. Plötzlich spürte ich, dass ich schon viel zu lange den Gegensatz zwischen Nationalsozialismus und biblischem Christentum verdrängt hatte. Meine Mutter schob eins nach: »Am besten meldest du dich überhaupt nicht freiwillig zu den Soldaten.« Das tat ich dann auch nicht. Aber schließlich waren es in meinem Jahrgang nur ganz wenige Hitlerjungen, die sich noch nicht freiwillig gemeldet hatten. So bekamen wir Letzten den »dienstlichen Befehl«, uns freiwillig zu melden. Als ich nach einiger Zeit auch das nicht getan hatte, wurde ich vor etwa 100 Hitlerjungen beschimpft, blamiert und »wegen Befehlsverweigerung« degradiert. Ich erhielt wieder den Befehl, mich sofort freiwillig zu melden. Ein Schreiber saß schon im Hintergrund, um die »freiwillige Meldung« entgegenzunehmen. Doch als ich nun vor allen Hitlerjungen unterschreiben sollte, weigerte ich mich noch einmal – denn ich sollte mich zur SS melden. Ich tat es nicht. Es gab ein langes Hin und Her. Schließlich begnügte man sich damit, dass ich mich zum »Heer« meldete. Einige Tage danach musste ich noch einmal vor acht Hitlerjugendführern erscheinen und ein Verhör über mich ergehen lassen. Aber ich war froh! Mochte daraus werden, was es wollte. Ich hatte meinem Gewissen gehorcht und fühlte mich frei und leicht. Daraus ist mir eine Devise erwachsen, die sich auch später immer wieder bewährt hat: »Handle nach deinem Gewissen – und du bist frei!« Heute bin ich tief dankbar, dass meine Mutter mich damals durch ein einziges Gespräch aus der Verführung der Hitlerjugend herausgeholt hat. Und ich kann nur erschrecken darüber, wie leicht auch wohlmeinende Jugendliche sich fanatisieren lassen. Eltern sollten das wissen und die Erziehung ihrer Kinder nicht arglos irgendwelchen religiösen oder politischen Ideologen überlassen. Ich hatte eine Mutter zu Hause, die nicht nur über das leibliche Wohl, sondern auch über die geistliche Entwicklung ihrer fünf Kinder wachte.



Dabei muss ich auch an ein anderes Ereignis denken, das mich prägte: Der Krieg war vorüber. Wir wurden wieder in die Schule gerufen. Doch im Unterricht gab es noch viele Ausfälle und Vertretungsstunden, weil die alten Nazilehrer von der Schule entfernt worden waren. Da fiel es kaum auf, wenn ein Schüler nicht zum Unterricht kam. Und so ging ich viel lieber auf den alten Flugplatz und baute aus den Flugzeugwracks Funkgeräte aus, um mir ein Radiogerät zu basteln, zumal wir sofort nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen alle Radiogeräte hatten abgeben müssen. Eines Tages jedoch sagte mein Schulfreund: »Heute hat der Klassenlehrer alle aufgeschrieben, die fehlten. Wer keinen Entschuldigungszettel bringt, fliegt von der Schule.« Da saß ich in der Klemme. Schließlich sagte ich zu meinem Freund: »Ich gehe zum Lehrer und sage, ich habe geschwänzt.« Er meinte: »Du bist verrückt. Der schmeißt dich raus.« Aber ich ging doch zum Lehrer, denn ich wusste ganz genau: Wenn ich mir einen Entschuldigungszettel fälsche, werde ich darüber nicht ruhig. Lieber wollte ich einen Rausschmiss riskieren, als ständig in meinem Gewissen bedrückt zu sein. Der Lehrer war sehr verärgert und hat mich noch längere Zeit misstrauisch beobachtet. Aber er hat mich nicht von der Schule entfernt. Ich kam mir zwar vor dem Gang zum Lehrer sehr kläglich vor und das Bekenntnis ist mir unglaublich schwergefallen. Und doch bin ich danach nach Hause »geschwebt.« Mir war sehr leicht und froh ums Herz. Wieder hatte sich mir erwiesen: »Handle nach deinem Gewissen – und du bist frei.« Ein drittes Erlebnis: Eines Tages, im Jahre 1947, erzählten sie in der Schule, dass der Vater eines Klassenkameraden verhaftet worden sei. Er besaß das größte Hotel unserer Stadt. Man hatte bei ihm eine Steuerprüfung durchgeführt und »Steuerhinterziehungen« entdeckt, ob wirklich oder fingiert, wusste man nicht so genau. Der Vater wurde so lange gefangen gehalten, bis er bereit war zu unterschreiben, dass sein Hotel »volkseigen« würde. In anderen Fällen machte man diesen Umweg gar nicht erst, sondern enteignete sofort. Für mich hatte sich damit das sozialistische System demaskiert. Es war mir klar: Man kann nicht mit Unrecht gute Verhältnisse auf Erden erreichen. Ich kann diesem Staat nicht vorbehaltlos dienen. Durch mein Hören auf Gott waren mir seine Gebote zur absoluten Norm geworden. Ich muss zwar als Staatsbürger meinem Land dienen und der Regierung gehorchen, wo sie Gutes tut. Gutes gab es ja durchaus auch. Ich muss aber Widerstand leisten, wo Unrecht geschieht, und das war leider vielfach nötig. Diese Einstellung prägte meine Haltung zum DDR-Staat grundsätzlich.



Abbildung Meine Eltern mit uns fünf Geschwistern, oben rechts Uwe.

Eines ist mir noch wichtig im Blick auf meine Kindheit und Jugend: Wir lebten einfach und bescheiden, doch empfanden wir es nicht so. Wir hatten, was wir brauchten, und bedauerten uns keineswegs als arm. Aber das, was wir heute besitzen, das wäre uns damals als Luxus erschienen. Wer hat damals schon an ein Badezimmer oder gar an eine Dusche gedacht? Und erst recht nicht an ein Auto! Als unsere 3-Zimmer-Wohnung für die auf sieben Personen angewachsene Familie zu klein wurde, wurden wir beiden Ältesten auf dem Boden untergebracht. Eine Dachkammer wurde ausgebaut. Das Dach wurde von innen mit Brettern verschalt. An Wärmeisolierung dachte man damals noch nicht. So war es im Sommer schön warm und im Winter so kalt, dass unser Atem auf dem Oberbett zu Eis gefror. Wir beiden Brüder haben gerne dort oben gewohnt. Mein ganzes Leben lang hatte ich nun den Vorteil, dass ich mich über jeden kleinen Fortschritt im Wohnkomfort freuen konnte. Und Fortschritte gab es durchaus auch in der DDR. Man durfte nur nicht sehnsuchtsvoll nach dem »Westen« schielen. Wer das tat, der fühlte sich schnell benachteiligt. Wer dagegen nach dem Osten schaute, konnte sehen, wie reich wir waren. Wenn ich nun aber an unsere Kinder und Enkel und ihre Freunde denke, so empfinde ich fast Mitleid mit ihnen. Sie wissen oft nicht, wie reich sie sind. Für sie ist all der Wohlstand »normal« und selbstverständlich und durchaus kein besonderer Grund zum Danken. Deshalb empfinde ich es bis heute als meine Aufgabe, meine Enkelkinder das Danken zu lehren und sie zu ermutigen, von ihrem Reichtum einen gehörigen Teil abzugeben an Menschen, die Mangel leiden. Sie sollen nicht nur reich sein. Sie sollten sich auch reich fühlen. Nur zufriedene Menschen können danken. Und nur dankbare Menschen können zufrieden sein. Durch Undankbarkeit verbaut man sich selbst den Weg zum Glück.



Mit Genügsamkeit und Dankbarkeit hängt noch eine andere Tugend zusammen: die Demut. Ich überblicke nun fast siebzig Jahre deutscher Geschichte. Es ist mit Händen zu greifen, dass unser Volk in dem Maße, in dem es reich geworden ist, auch gottlos wurde. Muss das so sein? Wo ist die Ursache? Reiche Leute fühlen sich sicher. Für Unglücksfälle haben sie teure Versicherungen. Es geht ihnen gut – wozu brauchen sie Gott? Es geht ihnen wie Heinrich Heine. Er hat von sich berichtet: Als er »gesund und feist war« und »im Zenith seines Fettes« stand, habe er über Gott und die Gottesfurcht gespottet. Als er aber »der Barmherzigkeit Gottes bedürftig wurde, ist er zurückgekehrt, zu dem Gott seiner Väter.« Sind wir Deutschen »feist« geworden, selbstsicher, stolz? Ja, wir sind äußerlich reich und innerlich sehr arm geworden. Was ist zu tun? Ich will auf den Apostel Paulus hören, der uns ins Stammbuch schreibt: »Was hast du, dass du nicht empfangen hast?« Und ich will es an meine Kinder und Enkel weitergeben: Alles ist Geschenk von Gott. Dass ich in Deutschland geboren wurde, ist nicht mein Verdienst. Es gibt überhaupt keinen Anlass zu Selbstgefälligkeit und Stolz. Deshalb will ich Dankbarkeit und Demut lernen. Jesus hält die Demut offenbar für eine Kardinaltugend. Er sagt: »Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig« (Matthäus 11,29). Nur demütige Menschen sehen klar. Und nur in der Demut wachsen alle anderen Tugenden.



Das Ereignis, mit dem meine Kindheit ihren Abschluss fand, ist meine Bekehrung. Schon lange beunruhigte mich die Frage, ob ich nun wirklich ein Christ war oder ob da noch etwas fehlte. Ich betete täglich. Ich gehörte zu den aktiven Mitgliedern des Jugendkreises. Ich sang im Chor mit. Und wenn meine Klassenkameraden gefragt worden wären, wer in der Klasse ein Christ sei, hätten sie auf mich gezeigt. Da konnte doch eigentlich nichts mehr fehlen. Und doch nagten in mir der Zweifel und die Ungewissheit. Und dann hatten wir in unserer Landeskirchlichen Gemeinschaft eine Evangelisationswoche mit Lothar Szusdziara, einem kraftvollen Evangelisten. An vielen Beispielen machte er klar, dass der Mensch Freude und Gewissheit im Glauben haben kann und dass er sie erhält, wenn er sich bekehrt, wenn er sein Leben unter die Herrschaft von Jesus stellt. Ich aber fragte mich: »Wovon soll ich mich eigentlich bekehren?« Die Beispiele, die er vor uns hinstellte, von Ehebrechern, Trinkern, Dieben und Mördern, trafen mich nicht. So beschloss ich: Ich will mich nicht bekehren, aber ich will von heute an so entschieden ohne Sünde leben wie irgend möglich. Doch da fiel mir ein: Das hatte ich schon öfter gesagt – und es war nie etwas geworden. Da wurde mir plötzlich klar: Ich bin trotz aller Frömmigkeit nicht gut genug für den Himmel. Ich brauche eine bessere Gerechtigkeit. Ich brauche die vollkommene Gerechtigkeit, die Jesus Christus am Kreuz für mich erworben hat. Meine Sünden standen vor mir, die ich natürlich als frommer Mensch immer versteckt und verdrängt hatte. Und plötzlich wurde mir klar: Vergebung gibt es nur für Sünder, Gnade nur für Verurteilte. Ich muss alle meine eigene Gerechtigkeit wegwerfen, muss mich vor Gott als Sünder bekennen und um Vergebung bitten. Und auch das war mir klar: Ich muss nun die Entscheidung meines Lebens treffen und mich ganz und gar Gott anvertrauen. Ich will ihm sagen: Hier hast du mich für Zeit und Ewigkeit. Ich will dir gehören und gehorchen und dir dienen. Mach mit mir, was du willst. Und damit ich mir an dem Punkt nicht selber etwas vormachte, habe ich den Evangelisten um ein Beichtgespräch gebeten. Ich habe im Gebet mein Leben Jesus anvertraut und von dem Seelsorger den Zuspruch Gottes erhalten: »Dir sind deine Sünden vergeben. Du gehörst Jesus Christus. Du darfst ihm dienen. Du bist Gottes Kind in Ewigkeit.« Als ich kurz vor Mitternacht nach Hause ging, machte ich Luftsprünge vor Freude. Ich wusste: Nun habe ich Frieden mit Gott. Und wenn ich einst sterbe, weiß ich, ich komme zu ihm. Ich habe ein Zuhause im Himmel. Diese Freude ist mir geblieben, mein ganzes Leben lang. Sie floss in meine Seele ein. Sie floss in meine Familie ein und sie machte meinen Dienst hell und fruchtbar. Es gab später auch schwere Stunden in meinem Leben. Und doch blieb diese Freude tief im Herzen und hat getragen, wo anderes zerbrach. Aber jede echte Bekehrung ist nicht nur ein Ereignis, das Vergebung und Frieden mit Gott und Freude und Gewissheit schenkt. Sie stellt einen Menschen zugleich in den Dienst für Gott. Paulus sagt von den Christen in Thessalonich, sie hätten sich bekehrt »zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel …« (1. Thessalonicher 1,9f.). Wie wunderbar weitet die Umkehr zu Gott den Horizont eines Menschen! Sie macht frei von den Anklagen des Gewissens und der Sorge um uns selbst. Sie stellt hinein in die großartige Zukunft von Gottes Reich. Und sie beruft zum Dienst für die Mitmenschen. Meine Bekehrung fiel in die Zeit des Abiturs. Und so ist es fast natürlich, dass für mich aus der Gnade, die ich erfahren hatte, auch die Berufung zur Verkündigung der Frohen Botschaft kam. Nun wollte ich meinen Mitmenschen weitersagen, was mich froh und gewiss gemacht hat, am besten gleich vollzeitlich.

Da dieses Ereignis für mein ganzes Leben entscheidend war, habe ich darüber immer einmal wieder nachgedacht. Als ich das dritte Kapitel im Philipperbrief las, erkannte ich: Ich habe Ähnliches erlebt wie der Apostel Paulus, nämlich die Bekehrung eines Frommen. Alkoholkranke und Ehebrecher bekehren sich von einem oft sehr kaputten Leben. Ihre Bekehrung ist meist dramatisch. Und doch fehlt solch einer Bekehrung noch die biblische Tiefe, wenn sie nur die Bekehrung von der Knechtschaft des Alkohols oder die Abkehr von einem unmoralischen Leben ist. Gott will mehr: Unser ganzes Leben soll neu werden, und zwar dadurch, dass wir uns »bekehren zu Gott, weg von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel«. In diesem Sinne müssen sich auch Fromme bekehren, und zwar von einem selbst geführten und selbstgerechten Leben zu einem Leben unter der Führung von Jesus, von dem Vertrauen auf die eigene Gerechtigkeit zu einem Vertrauen auf die Gerechtigkeit von Christus. Paulus drückt das so aus: Ich hatte viele fromme Verdienste, auf die ich stolz war. Aber als Jesus mir begegnete, merkte ich: Das trägt nicht. Ich war trotz allem ein verlorener Sünder. Ich musste alle eigenen Verdienste wegwerfen und als »Dreck« betrachten. Nur so, leer und arm, konnte ich meinen Bankrott erklären und von Jesus Gnade erbitten. Sehr treffend hat Zinzendorf das so ausgedrückt:

Christi Blut und Gerechtigkeit,

das ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

Damit will ich vor Gott bestehn,

wenn ich zum Himmel werd eingehn.

Es macht wirklich froh und gewiss, wenn man leben darf in der Überzeugung: Meine Seligkeit hängt nicht davon ab, ob ich im Leben gut genug war, sondern davon, dass Jesus mir eine Gerechtigkeit erworben und geschenkt hat, die vollkommen ausreicht für den Himmel.

Manchmal frage ich mich: Was wäre eigentlich aus mir geworden, wenn ich mich vor dieser »Bekehrung eines Frommen« gedrückt hätte oder wenn ich schon vor meiner Umkehr gestorben wäre? Ich weiß es nicht. Aber genau das ist der Punkt. Seit meiner Umkehr weiß ich es. Die willentliche, deutlich ausgesprochene Unterstellung meines Lebens unter die Herrschaft Jesu brachte Klarheit in dieser Frage. Sie war eine Entscheidung ähnlich dem Ja vor dem Standesbeamten, ein Schritt nach vorn, für den es kein Zurück geben sollte. Nun muss nur noch gelebt werden, was diese Entscheidung besagt: alle Tage unter der Führung von Jesus leben.

So kann ich für mich sagen: Die Bekehrung brachte mir Gewissheit. Gewissheit, dass meine Sünden vergeben sind und nichts mehr zwischen Gott und mir steht; Gewissheit, dass ich Frieden mit Gott habe und sein Kind bin; Gewissheit, dass ich Teilhaber an der großen Zukunft von Jesus Christus bin. Sie brachte mir auch Klarheit über Sinn und Ziel meines Lebens: Gott zu dienen und meinem Nächsten. Diese Gewissheit ist ein hohes Gut. Ich halte sie geradezu für das Kennzeichen paulinischen, evangelischen Christseins. »Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges … mich scheiden kann von der Liebe Gottes in Christus Jesus« (Röm. 8). Erst durch meine Bekehrung wurde ich ein froher Christ, der bereit war, seinen Glauben zu bekennen. Nun »hatte« ich etwas, das ich andern weitersagen konnte. Nun sang ich die fröhlichen christlichen Lieder von Herzen mit. Das Liederbuch des »Jugendbundes für entschiedenes Christentum« kannte ich fast auswendig. Diese frohen Lieder drückten aus, was ich empfand.

Ich bin mir sicher: Ich hätte viel verpasst, wenn ich mich um die Entscheidung gedrückt hätte, mich einmal klar als Sünder zu erkennen und um Gottes Gnade und Vergebung für mich zu bitten. Manches Mal hat später ein Frommer vor mir gesessen und gesagt: Ich bin in den Glauben hineingewachsen, aber ich habe keine Gewissheit. Dann durfte ich ihm sagen: Mach es wie Paulus! Glaube, dass deine Gerechtigkeit vor Gott nur »Dreck« ist. Wenn dich noch irgendwelche Sünde drückt, bekenne sie und bitte um Gottes Vergebung. Und dann sag es im Gebet: Herr Jesus, hiermit unterstelle ich mein ganzes Leben deiner Herrschaft – heute! Dieser einfache Entscheidungsschritt, am besten in Gegenwart eines Zeugen, hat so manchem zu Gewissheit im Glauben geholfen.

Übrigens verband mich später eine herzliche Freundschaft mit Lothar Szusdziara, durch den auch meine Frau zum Glauben gekommen war. Seine Predigten waren immer wertvoll für mich. Ich lernte gern von ihm. Seine anschauliche, eindrückliche Verkündigung war mir ein Vorbild. Es war eine große Zahl vor allem junger Menschen, die nach dem Krieg im Osten Deutschlands durch ihn zum Glauben fanden, unter anderen zum Beispiel auch Willi Buchwald, dessen späterer Missionsdienst in Deutschland und in der Welt reich von Gott gesegnet war und der noch heute in Argentinien vielen Straßenkindern ein Zuhause bietet.



Während der Oberschule gab es eine Zeit, in der ich einfach nicht lernen mochte. Am liebsten wäre ich von der Schule abgegangen und hätte Autoschlosser gelernt. Aber meine Eltern waren »uneinsichtig«. Dass ich nun auch einzelne Enkelkinder habe, die ebenfalls nicht gerne lernen, berührt mich sehr. Ich denke, das haben sie von mir geerbt. Zugleich hoffe und bete ich für sie. Denn schließlich ist es mit dem Lernen doch noch bei mir geworden. Es fügte sich nämlich, dass ein Klassenkamerad einen Narren an mir gefressen hatte. Immer wieder lud er mich ein, die Hausaufgaben mit ihm zu machen. Aber meist wich ich ihm aus. Schließlich ging er dazu über, mich nachmittags zu besuchen. So wurde es mir schwer, ihm auszuweichen, und ich machte mit. Meine Leistungen besserten sich und im gleichen Maß wuchs bei mir die Freude am Lernen. Schließlich wurde ich noch Zweitbester in der Klasse. Immer wieder danke ich Gott, dass er mir diesen beharrlichen Freund geschickt hat. Wie fatal hätte ich den guten Plan Gottes für mein Leben durchkreuzt, wenn ich weiterhin dem Lernen ausgewichen wäre!



Als ich 1948 das Abitur machte, gab es noch einen Hauch von Demokratie in der »Ostzone«. Auch wir Christen durften studieren, weniger Bemittelte sogar mit einem Stipendium, was auch ich erhielt. Nach dem Abitur standen wir Schulabgänger noch ein wenig zusammen und fragten einander, was wir machen wollten. Ich sagte, ich würde Theologie studieren. »Theologie, willst du etwa Pastor werden?«, fragte mich einer. Als ich bejahte, sagte er: »Sonst warst du ja immer ein ganz vernünftiger Kerl. Aber hast du noch nicht begriffen, dass bei der Kirche nichts mehr zu holen ist?« Ich konnte nur erwidern: »Ich glaube, dass dort die Wahrheit ist und dass letztlich die Zukunft Jesus gehört.« Später traf ich einen Mediziner, mit dem ich in Jena zusammen studiert hatte. Er war inzwischen ein angesehener Arzt geworden. Ich sagte: »Fritz, wir haben nun schon zwanzig Jahre Dienst hinter uns. Hast du dir mal klargemacht, dass wir höchstens noch einmal so lange vor uns haben?« Er antwortete: »Wenn ich daran denke, dass ich das, was ich jetzt tue, noch mal so lange tun muss, dann steht es mir bis hier.« Und dabei hielt er sich die Hand an den Hals. Ich konnte nur sagen: »Und ich möchte immer weitermachen.« Diese Freude am Pfarrdienst ist mir geblieben, auch über den Beginn meines Rentenalters hinaus. Ich finde es einfach großartig, dass ich die Botschaft meines wunderbaren Herrn hauptamtlich in die Welt hineintragen durfte und dafür auch noch Gehalt bekam. Heute diene ich ihm ehrenamtlich und habe ebenfalls keine finanziellen Sorgen. Da denke ich dann an meine geistlichen Geschwister, die Missionare und Missionarinnen, und freue mich, immer auch etwas von meinem finanziell guten Auskommen an sie weitergeben zu können.

Ist »bei der Kirche nichts mehr zu holen«? Gewiss, auch in ihr gibt es mancherlei Schuld und Versagen und Selbstgefälligkeit. Und doch habe ich das Arbeitsklima in ihr immer als viel besser empfunden als in den meisten weltlichen Betrieben. Selbst meine kirchlichen »Gegner« gingen mit mir immer noch »human« um! Ich habe in ihr aber auch viel herzliche Gemeinschaft mit den wirklich Gläubigen erfahren. So habe ich gern »bei der Kirche« gearbeitet. Vor allem aber: Ich war ja nicht »Diener der Kirche«, sondern Diener Gottes, um seine rettende Botschaft zu verkündigen. Und solch ein Diener konnte ich in der Kirche mit aller Freimütigkeit sein. Wie viel gute Frucht hat das gebracht!



2. Studium

Im Oktober 1948 begann also mein Theologiestudium in Rostock. Die Geschwister der Landeskirchlichen Gemeinschaft freuten sich einerseits mit mir, andererseits hatten sie auch große Sorge. Sie sagten: »Uwe, die Theologie ist gefährlich. Es haben schon etliche das Studium aufgegeben, weil dort nicht nur Glaube, sondern auch Unglaube gelehrt wird. Lass dir nicht nehmen, was du hast!« So begann ich das Studium mit einer großen Portion Vorsicht und Skepsis. Später habe ich für mich das Prinzip entwickelt: Erforsche genau, was in der Bibel steht, und sei »kritisch gegenüber der Kritik«. Lass dir nie eine kritische Hypothese für ein »wissenschaftliches Ergebnis« verkaufen. So kam ich durch. Dabei hat mir geholfen, dass fast alle Dozenten zu einem theologischen Problem nicht nur ihre eigene Meinung lehrten, sondern auch Professoren erwähnten, die anderer Auffassung waren. So konnten wir uns ein eigenes Urteil bilden. Gemäß meinem Prinzip »kritisch gegenüber der Kritik« fand ich immer auch Theologen, die davon überzeugt waren, dass die biblischen Wunder tatsächlich geschehen sind und dass die Heilige Schrift vertrauenswürdig ist. Ja, ich sah, wie manche kritische These nach ein paar Jahren wieder verworfen worden war. So konnte ich meine Überzeugung, dass das biblische Zeugnis echt und wahr ist, auch im Studium bewahren. Erschüttert war ich allerdings, dass eine gute Handvoll Studienanfänger wie ich aus der Landeskirchlichen Gemeinschaft gekommen waren, aber im Laufe des Studiums der »Gemeinschaft« den Rücken gekehrt hatten. Der eine hatte »die Taufe entdeckt«, der andere »die Kirche« und mehrere hatten entdeckt, dass Pietismus und Gemeinschaft einfach zu »sentimental«, zu »wissenschaftsfeindlich« und zu »schlicht« seien, also theologisch nicht ganz ernst zu nehmen. Ich aber hatte in der Landeskirchlichen Gemeinschaft mein geistliches Leben erhalten. Und wenn ich auch Fehler und Schwächen bei ihr entdeckte, sie war meine geistliche Mutter und ich bin ihr bis zum heutigen Tag verbunden geblieben.