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Ingmar P. Brunken

Die 6 Meister der Strategie 

Und wie Sie beruflich und privat von ihnen profitieren können



Edel eBooks

 

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

die 6 Meister der Strategie sind seit Jahrhunderten, teilweise seit Jahrtausenden Legende. Warum? Was macht diese Lehren über den Weg zum Erfolg so erfolgreich?

Wer eine der Lehren liest – mittlerweile stehen sie fast alle kostenfrei im Internet zum Download zur Verfügung –, erlebt eine herbe Enttäuschung: antiquierte Sprache, stark verklausulierte Lektionen und aus heutiger Sicht völlig veraltete Praxisbeispiele. Verwunderlich ist das kaum, schließlich unterscheidet sich das Leben heute doch sehr von dem eines japanischen Samurai, eines italienischen Fürsten oder eines römischen Philosophen – so genial sie auch waren. Es ist daher eine große Herausforderung, diese Werke wieder zum Leben zu erwecken und sie allgemein zugänglich zu machen.

Doch was ist Strategie und wozu dient sie? Lassen Sie es mich kurz sagen: Strategie ist der Weg zur bestmöglichen Zielerreichung, der kürzeste Weg zum Erfolg. Strategie dient dazu, aus der zufälligen oder unnötig mühsamen Zielerreichung einen planmäßigen und Ressourcen schonenden Erfolg zu machen. Sie ist Mittel zum Zweck, allgemein einsetzbar und nie begrenzt auf eine bestimmte Zielsetzung. Strategie ist außerdem unabhängig von Zeit und Ort, und weil sie so grundsätzlich wirkt, sind die Lehren der 6 Meister noch immer hochaktuell. Die 6 Meister haben ihre Empfehlungen aus einer für uns völlig fremden Gesellschaftsperspektive geschrieben – und genau deshalb sind ihre Ideen heute überraschender und einfallsreicher denn je. Mit Standardlösungen kann man eben auch nur Standarderfolge erzielen: Wer Außergewöhnliches erreichen will, muss auch außergewöhnliche Strategien finden, und zu genau dieser Fähigkeit können die sechs Meister verhelfen.

Zweifellos jedoch sind die konkreten Anwendungsfälle und die Formulierungen veraltet: Möchten Sie lernen, wie man die Augenbrauen beim Schwertkampf bewegen soll (Musashi)? Interessiert es Sie, wie der Mond stehen muss, damit ein Sieg wahrscheinlich ist (Sun-Tsu)? Wollen Sie sich durch viele hundert Seiten preußischer Schachtelsätze kämpfen (Clausewitz)? Doch in den Lehren der großen Meister finden Sie – bei genauem Hinsehen – sogar Hinweise, wie Sie erfolgreich mit Aktien spekulieren, wie Sie Ihre Karrierechancen erhöhen oder Mitbewerber um die Traumwohnung ausstechen können. Natürlich werden Sie die Begriffe »Aktien«, »Bewerbung« oder »Karriere« in keinem der Werke finden. Und dennoch können Sie diese und alle anderen Anwendungsfälle mit dem Wissen der sechs Meister strategisch beherrschen, also planmäßig Erfolge erreichen. Der Weg dorthin ist, die Prinzipien der jeweiligen Lehre zu verstehen und sie im Alltag umzusetzen. In diesem Sinn sind die sechs Meister sehr erfolgreiche Lebenspraktiker. Und genau darum geht es in diesem Buch.

Denn eines ist doch klar: Es gibt so etwas wie »prinzipiell erfolgreiche Strategien«. Das beweist bereits die Lebenserfahrung. Wäre Erfolg nur Glückssache, würden die meisten Top-Manager schnell wieder absteigen. Schauspieler hätten kaum mehr als einen erfolgreichen Film, Popstars nur einen Hit und Unternehmer nur eine erfolgreiche Geschäftsidee. Erfolg muss also mehr sein. Geht es vielleicht nur darum, lauter zu sein als die anderen und mehr Ressourcen (z. B. Geld) einzusetzen? Auch wenn ein wenig Auffallen sicherlich dazugehört, macht doch ein »Boss«-Anzug noch keinen Boss.

Was ist es aber dann? Überlegenheit in Wissen und Fähigkeiten? Auch, aber Wissen und Fähigkeiten allein führen nicht zum Ziel, sonst wäre jeder Gebildete und Talentierte erfolgreich, was ebenfalls nicht zutrifft. Was ist also das Wesen des Erfolgs? Ich meine: Erfolg tritt ein mit der Anwendung des überlegenen Wissens, also dem Verhalten, mit dem dieses Wissen erfolgreich umgesetzt wird.

Seit vielen Jahren bin ich Top-Management-Berater. Und egal, welche Firma ich bisher beriet und welche Erfolge mir begegneten – die Regeln des Erfolgs sind immer dieselben, und sie wurden bereits vor Jahrhunderten in den großen Strategieschulen der sechs Meister niedergeschrieben.

Dieses Buch komprimiert die Kernbotschaften der sechs führenden Schulen, überträgt sie in die heutige Zeit und stellt sie in praxisnahen Beispielen und Anwendungstipps für Ihren persönlichen Erfolg anschaulich dar. Lesen Sie dieses Buch und handeln Sie: Ihr persönlicher Weg zum Erfolg, Ihre »prinzipiell erfolgreiche Strategie« beginnt – genau jetzt!

 

EINLEITUNG

»Carpe diem!« – »Nutze den Tag!«, hat der römische Philosoph Horaz gesagt. Übertragen in die Top-Management-Sprache bedeutet das: »Sei effizient in Bezug auf deine Ziele!« Man muss viel Geduld und Kenntnisse haben, um diese und andere Botschaften aus den Schriften von Horaz herauszulesen; und viel Zeit. Ob es heute im Sinne von Horaz wäre, Horaz zu lesen? Wahrscheinlich nicht. Und deshalb biete ich Ihnen in diesem Buch die Möglichkeit, jede der sechs Strategieschulen auf jeweils rund 40 Seiten komprimiert kennen zu lernen. Eilige finden im »Steckbrief« zentrale Informationen, der die Funktion eines »Executive Summary«, einer Zusammenfassung für das Top-Management, hat. Das ist effizient. Und es verweist bereits auf wichtige Kernbotschaften:

Auf diese Botschaften kommen wir später noch zurück. Aber es gibt noch eine weitere:

Dieses Buch verhilft zu überlegenem Wissen und erläutert dessen Anwendung. Denn viele Menschen – besonders die Erfolgreichen – kennen die großen Strategieschulen vom Hörensagen und einige ihrer Botschaften. Aber nur wer wirklich die Hintergründe kennt, kann von den Lehren der Meister profitieren.

Dieses Buch hilft Ihnen, Ihre persönlichen Ziele durch geeignete Strategien planmäßig zu erreichen, also ständig erfolgreicher zu werden. Es zeigt Ihnen, was Sie persönlich dafür tun können und was Sie besser lassen sollten.

Warum wurden für dieses Buch die genannten sechs Meister ausgewählt und keine anderen? Antwort: Weil diese sechs nicht nur legendär und bis heute populär sind, sondern weil ihre Lehren in vielen Punkten außergewöhnliche Ideen und damit wertvolle, aus anderen Quellen so nicht zugängliche Lektionen präsentieren. Gern gebe ich Ihnen einen kleinen Vorgeschmack solcher Lektionen anhand von kurzen und prägnanten Zitaten, wie sie in keinem anderen historischen oder modernen Lehrbuch zu finden sind.

Sun-Tsu: Der kluge Anführer unterwirft die Truppen des Feindes ohne Kampf. (S. 12)

Wer sein Buch »Die Kunst des Krieges« nennt, dem unterstellt man leicht eine Gewalt verherrlichende Denkweise. Da erstaunt es doch sehr, dass Sun-Tsu großen Wert darauf legte zu lehren, wie man ohne Konflikt ein Ziel erreicht.

Musashi: Das Ziel muss immer und unter allen Umständen sein, den Gegner so zu lenken, wie man selbst es will. (S. 31)

Viele moderne Lehrbücher betonen, wie wichtig eine »regelbrechende Strategie« ist. Doch nur wenige erklären, wie das eigentlich gehen soll. Musashi zeigt es. Er lehrt, wie man die Regeln setzt. Er zwingt den Berg, zum Propheten zu kommen.

»Hagakure«: Stell dir jeden Morgen aufs Neue vor, dass du bereits tot bist. (S. 133)

Wir haben verlernt, bewusst Risiken einzugehen. Wir sind eine rundum versicherte Gesellschaft geworden und haben vergessen, dass Erfolg ohne Risiko nicht funktioniert. Das »Hagakure« dagegen lehrt, wie man in vermeintlich aussichtslosen Situationen erfolgreich ist, wie man Ängste überwindet und durch bewusst eingegangene Risiken Ziele erreicht.

Seneca: Niemand findet sich, der sein Geld verteilen möchte: Sein Leben dagegen teilt ein jeder aus, und an wie viele! (S. 92)

Wir besitzen. Wir kaufen. Und wir wollen haben. Aber irgendetwas fehlt uns: Zeit! Denn wir verschwenden unsere Zeit. Seneca lehrt, wie man seine Zeit optimal einteilt und so schneller als andere zum Ziel kommt oder durch Zeitmanagement Freiräume für andere Aktivitäten schafft.

Machiavelli: Ich wende mich zur Alleinherrschaft und werde ...erörtern, wie diese erworben und erhalten werden kann. (S. 19)

Machiavellis Interesse gilt der Gewinnung und Erhaltung von Macht, denn wer mächtig ist, der kann die Regeln entweder ändern oder umgehen. Der Preis dafür sind oft moralische Abgründe. Dieses Buch selektiert und zeigt auf, wie Machiavelli auch in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zielführend eingesetzt werden kann.

Clausewitz: Ist nun eine Möglichkeit schon als Realität zu betrachten, als ein wirkliches Ding? Allerdings. (S. 117)

Viele glauben, sie müssten etwas tun, um erfolgreich zu sein. Clausewitz lehrt, dass es oft genügt, es tun zu können, um das Ziel zu erreichen. Er zeigt, wie man nur mit Möglichkeiten zur Handlung schon Ziele erreicht, ohne diese Handlungen wirklich durchführen zu müssen.

Es ist natürlich unmöglich, die Lehren der sechs Meister an einem einzigen Zitat darzustellen. Diese Beispiele geben deshalb nur eine winzige Facette dessen wieder, was die sechs Meister an großartigen Lektionen insgesamt formuliert haben. Die Lektionen sind dabei so unterschiedlich und widerspruchsfrei, dass sie sich ideal ergänzen, wie in der Zusammenfassung am Ende des Buches deutlich werden wird.

In der Perspektive dieses Buches werden die strategischen Implikationen der sechs Lehren dargestellt, die ja auch als Strategieschulen bekannt geworden sind. Dies ist eine sehr übergreifende Sichtweise. Um daraus konkrete Empfehlungen abzuleiten, werden die Prinzipien umfassend anhand aktueller Beispiele aus der Wirtschaft und angrenzender Gebiete erläutert und in ganz konkrete Lektionen übersetzt. So praxisnah wie in diesem Buch haben Sie die sechs Meister und ihre Lehren noch nie erlebt!

Bleibt noch die Frage, was die sechs Meister eigentlich unter Strategie verstanden. Die Antwort ist pragmatisch. Für sie war die Zeit bis zur Zielerreichung einfach nur eine von vielen Ressourcen, wie zum Beispiel das Geld. Und da die Zielerreichung mit weniger Ressourcen besser ist als eine mit mehr, ist die differenzierte Betrachtung von Operation, Taktik und Strategie – wie sie uns in »modernen« Lehrbüchern begegnet – nicht notwendig. Mehr Definitionen und mehr Begriffe bringen nämlich keinen Mehrwert, sondern verwischen nur den Kern dessen, was Strategie bedeutet: Strategie ist der Plan, wie man realistisch gesetzte Ziele effizient erreicht.

Definieren wir Zielerreichung als Erfolg und verstehen wir realistisch als Voraussetzung für Effizienz, dann bedeutet dies kurz gefasst: Strategie ist ein effizienter Erfolgsplan.

An dieser Definition, so kurz und präzise sie ist, hätte sicher auch Horaz seine Freude gefunden. Doch worin besteht nun der Wert der Strategielehren der sechs Meister? Machen Sie sich zunächst Folgendes klar: Strategien werden immer von drei Einflussfaktoren bestimmt: 1. vom Ziel, das mit der Strategie erreicht werden soll, 2. von den Rahmenbedingungen und 3. vom Wissen über die Grundregeln und Prinzipien des Erfolgs und der Strategieentwicklung sowie über deren Anwendung.

Das Ziel ist individuell verschieden und deshalb nicht mit Regeln zu erfassen. Die Rahmenbedingungen der Ausgangssituation sind zumeist nicht beeinflussbar. Aber Erfolgsregeln und -prinzipien sind erlernbar! Genau dort setzen die sechs Meister an, und genau dort setze ich mit diesem Buch an: Es soll Ihnen umfassendes Wissen über die Prinzipien der Erfolgsregeln und Strategieentwicklung vermitteln. Die zahlreichen Lektionen fassen die abgeleiteten Erkenntnisse zusammen, und mit den praxisbezogenen Anwendungen erhalten Sie die Möglichkeit, Ihr Wissen im Alltag umzusetzen. Mithilfe der vielen Praxisbeispiele aus Wirtschaft, Gesellschaft und Privatleben werden die Empfehlungen der Strategieschulen illustriert.

An dieser Stelle ist allerdings auch eine Warnung angebracht: Alle sechs Meister und ihre Strategielehren stammen aus einer Zeit, in der andere Gesetze galten und das Recht einen anderen Stellenwert besaß. Auf die heutige Zeit übertragen, stellen manche der Beispiele mitunter rechtlich anfechtbares Verhalten dar. Dieses Buch soll aber ausdrücklich nicht zu rechtlich unzulässigem Verhalten anleiten! Bitte stellen Sie die Rechtmäßigkeit Ihres Tuns sicher, wenn Sie das Wissen aus diesem Buch in der Praxis anwenden.

 

I

Die östlichen Schulen

 

Die Unterschiede zwischen den östlichen und westlichen Schulen sind nicht so dramatisch, wie man meinen könnte. Der östliche Musashi und der westliche Clausewitz ähneln sich beispielsweise inhaltlich mehr als Musashi und das ebenfalls östliche »Hagakure«. Eigentlich ist das auch nicht weiter verwunderlich: Naturgesetze sind überall gleich, egal aus welcher Gegend der Wissenschaftler stammt, und das gilt genauso für die »Strategie-Naturgesetze«.

Dennoch gibt es, bedingt durch die verschiedenen Lebenszeiten und Lebensumstände der Strategiemeister, zum Teil erhebliche Unterschiede. Das gilt ebenso für die östlichen wie die westlichen Schulen. Das Gute daran ist, dass wir durch die teilweise geradezu gegensätzlichen Perspektiven erkennen können, welche Erfolgsregeln allgemeine Gültigkeit besitzen. Es ist erstaunlich und erfreulich, dass alle Schulen gemeinsame Grundprinzipien haben. Und noch etwas ist erfreulich: Durch die verschiedenen Perspektiven werden teilweise auch Erfolgsregeln für unterschiedliche Anwendungsgebiete formuliert, sodass Sie am Schluss dieses Buches ein sehr umfassendes, vollständiges Bild der Erfolgsstrategien erhalten.

Einige tendenzielle Unterschiede zwischen den östlichen und westlichen Schulen bestehen aber doch. So spielt in den östlichen Schulen der Begriff der Ehre eine auffallend große Rolle, was wir in den westlichen Schulen so nicht finden. Das »Hagakure« erhebt sie sogar zum obersten Ziel. Aber auch Musashi, der die Sehnsucht nach Ehre in gewisser Weise als Schwäche ansieht und sie sogar für seinen persönlichen Erfolg zu nutzen weiß, widmet sich diesem Thema. Und letztlich versteht auch Sun-Tsu die Loyalität gegenüber dem Herrscher als Grundgesetz, auch wenn er sich selbst nicht immer daran hält. (Bisweilen stellt auch das Brechen von Regeln eine Erfolgsstrategie dar.)

Aber sehen Sie selbst, welche Weisheiten die östlichen Meister entwickelt haben. Beginnen wir chronologisch: mit der 2500 Jahre alten Lehre des Sun-Tsu.

 

1 Sun-Tsu: Die Kunst des Krieges

Steckbrief

KURZBESCHREIBUNG: WU Sun-Tsu formulierte vor rund 2500 Jahren ein Grundlagenwerk über die Prinzipien des Erfolgs: »Die Kunst des Krieges«. Diese entwickelte er aus einer zunächst militärischen Perspektive und führte sie auf drei Schlüsselfaktoren zurück: (Vor-)Wissen, Planung und Führung.

Für jeden dieser Schlüsselfaktoren bringt Sun-Tsu Beispiele und modern anmutende, sehr praxisnahe Empfehlungen. Vereinzelte Widersprüche, militärische Detailversessenheit und eine überholte Weltanschauung in Bezug auf die Rolle des Herrschers erfordern viel kritische Analyse und Ausdauer beim Lesen.

ZIELSYSTEM: Oberstes Ziel ist der persönliche Sieg durch Überwindung aller, die diesem im Weg stehen, und zwar idealerweise ohne Kampf!.

ZAHLEN, DATEN, FAKTEN: WU Sun-Tsu lebte etwa um 500 v. Chr. Er wurde im Staat Qi geboren. Der König des Nachbarstaates Wu, Helu, wurde durch »Die Kunst des Krieges« auf Sun-Tsu aufmerksam und machte ihn zum General seiner Armee. Sun-Tsu unterwarf für ihn die Königreiche Chu im Westen und Qi und Qin im Norden und baute dadurch seine Machtposition stark aus. Sein Buch verbreitete sich schnell, diente als Kriegsbibel, wurde nachgeahmt, ergänzt und verändert. In den europäischen Übersetzungen sind daher auch Kommentare und Hinweise von Bewunderern aus vielen Jahrhunderten enthalten.

Die drei größten Stärken:

♦ Sehr strukturiert: drei Erfolgsprinzipien – (Vor-)Wissen, Planung, Führung.

♦ Modern: Betonung des Erfolgs auch und sogar besonders ohne Kampf.

♦ Flexibel: Allgemeingültige 9S-Matrix zur zielführenden Strategieauswahl.

Die drei größten Schwächen:

♦ Tendenzen zur Selbstüberschätzung und zu opportunistischem Moralverständnis.

♦ Ein bisweilen astrologisch geprägtes Ursache-Wirkungs-Verständnis.

♦ Stellenweise unpassende Detailtiefe in zwei Kapiteln, die das ansonsten allgemeingültige Niveau der Lehre daher nicht halten.

Parallelen mit anderen Schulen und Lehren:

♦ Mao-Tse Tung schrieb für sein Buch über die militärischen Prinzipien der chinesischen Roten Armee fast wörtlich von Sun-Tsu ab.

♦ Musashis Zielsystem ist vergleichbar, betont aber den Sieg durch Kampf.

Wissen

Der renommierte Autor James Clavell schreibt über Sun-Tsu: »Ich finde es erstaunlich, dass Sun-Tsu vor fünfundzwanzig Jahrhunderten so viele Wahrheiten schrieb, die heute noch gültig sind.« Und tatsächlich ist dem Autor Wu Sun-Tsu zu einer Zeit ein moderner Geniestreich gelungen, als in Ägypten die Pharaonen herrschten und Rom noch ein Dorf aus Lehmhütten war. Vielleicht ist »Die Kunst des Krieges« sogar einer der ersten Weltbestseller.

Leider ist weder über den Autor noch über sein Leben viel bekannt. Als sicher gilt, dass er um 500 v. Chr. lebte. Für weitere Informationen über Sun-Tsu sind wir auf Geschichten und Anekdoten angewiesen, die ein wenig von seinem Charakter offenbaren, sofern sie denn authentisch sind. Demnach war er ein begnadeter Stratege und Führer, allerdings mit menschenverachtenden, extremistischen Zügen: Zum Beweis seines militärischen Könnens verlangte König Helu von Wu von ihm, einige Frauen seines Gefolges zu Soldatinnen zu machen. Als diese beim Exerzieren kicherten, ließ er ihnen kurzerhand die Köpfe abschlagen. Ohnehin scheint zu jener Zeit der Tod die einzig mögliche Strafe gewesen zu sein – diesen Eindruck erhält zumindest der Leser seines Buches.

Allerdings gibt es auch begründeten Zweifel an der Authentizität dieser Anekdoten, denn »Die Kunst des Krieges« in seiner heutigen Form ist durch die Jahrhunderte immer wieder von Hand abgeschrieben worden. Dabei wurden sicher Fehler gemacht, Passagen wurden weggelassen und andere Teile ergänzt, wahrscheinlich ohne dass dies besonders gekennzeichnet wurde.

Dennoch passt die Charakterisierung Sun-Tsus zu seiner Lehre, deren militärischer Teil von einem Kriegsbild geprägt ist, das an ein Schachspiel erinnert, mit Soldaten als Spielfiguren. Im Zeitalter der transnationalen Beziehungen ist Landgewinn keine sinnvolle Strategie mehr, und im Zeitalter der Technik ist die Bedeutung von Soldaten und Armeen jener von überlegenen Waffensystemen untergeordnet. In Sachen Kriegführung ist das Buch also veraltet.

Der heutige Reiz des Buches liegt darin, dass Sun-Tsu aus der Sicht eines Vorgesetzten über die Führung seiner Soldaten, über die Planung ihres Einsatzes und über die Strategien, wie man zum notwendigen (Vor-)Wissen kommt, geschrieben hat. Diese Empfehlungen lassen sich auf viele Situationen des täglichen Lebens übertragen.

Von den 13 Kapiteln sind lediglich zwei operativ-militärischer Art und für unsere Suche nach den Grundregeln des Erfolgs daher nahezu wertlos. Die übrigen sind in sich sehr strukturiert und wertvoll in Bezug auf zeitlose und wirkungsvolle Erfolgsregeln.

Die Schwächen von Sun-Tsus Lehre zeigen sich im Wesentlichen in drei Punkten:

1. Ein streitbares Verständnis von Moral, geprägt von übermäßigem Opportunismus, bei dem Moral und Herrschermeinung gleichbedeutend sind: »Das Gesetz der Moral veranlasst die Menschen, mit ihrem Herrscher völlig übereinzustimmen, sodass sie ihm ohne Rücksicht auf ihr Leben folgen und sich durch keine Gefahr erschrecken lassen.« (S. 8) Tatsächlich richtet sich Sun-Tsu selbst nicht danach, sodass diese Aussage als Feigenblatt gegenüber seiner wahren Intention gelten muss, nämlich die Herrschermeinung in den Wind zu schlagen. Anders formuliert: Sun-Tsu predigt Wasser und trinkt Wein.

2. Ein für die Zeit typischer Bezug auf astrologische Ursache-Wirkungs-Prinzipien: »Es gibt... bestimmte Tage, um einen Brand anzufachen…. Die bestimmten Tage sind jene, wenn der Mond in den Zeichen des Siebes, der Mauer, des Flügels oder der Sprosse steht, denn diese vier sind Tage des aufkommenden Windes.« (S. 57) Solche Empfehlungen sind nach heutigem Wissensstand überholt. Zwar gibt es zunehmend – auch und gerade bei Wissenschaftlern – die Einsicht einer spirituellen Welt, die jedoch weit entfernt ist von archaisch-astrologischen Einfachregeln, wie sie Sun-Tsu vereinzelt formuliert. Diese Regeln führen aber nachweislich nicht zu Erfolgen und werden hier deshalb vernachlässigt.

3. Eine in den Kapiteln IX und XII überwiegende und im Vergleich zu den anderen Kapiteln unpassende Detailtiefe, die im Niveau auch stark abfällt: »Bewegen sich die Bäume eines Waldes, so ist das ein Zeichen für das Näherrücken eines Feindes. Wenn ein Kundschafter sieht, dass die Bäume eines Waldes sich bewegen und schwanken, sollte er erkennen, dass der Feind im Begriff ist, sie zu fällen, um einen Weg für seine Truppen zu bahnen. Das Auftauchen einiger Schutzschilde in dichtem Gras bedeutet, dass der Feind uns misstrauisch machen will.« (S. 33) Seltsamerweise findet sich ausgerechnet in einem der operativen Kapitel auch eine fast komische Passage: »Wenn unsere Truppen dem Feind zahlenmäßig auch nicht überlegen sind, so reicht das doch aus; es bedeutet nur, dass ein direkter Angriff nicht möglich ist. Was wir tun können, ist einfach, unsere ganze verfügbare Kraft zu konzentrieren, den Feind genau zu beobachten und auf Verstärkung zu warten.« (S. 36) Es ist also nicht schlimm, wenn man in der Unterzahl ist, weil man ja auf Verstärkung warten kann, um dann wieder in der Überzahl zu sein!

Solche Schwächen zeigen, dass Sun-Tsu nicht unfehlbar war und manches von seinem Werk in die Irre führt. Vielleicht haben auch andere Autoren in den Jahrtausenden der Überlieferung hier ihre störenden Finger im Spiel gehabt. Wie auch immer – ich halte es für sinnvoll, zunächst die Nachteile und Schwächen zu erkennen, um nachher nicht enttäuscht zu sein. Und nachdem wir diese Schwächen Sun-Tsus nun besprochen haben, stelle ich Ihnen jetzt seine überraschenden und genialen Empfehlungen vor, die sich erst aus der sorgfältigen Interpretation seines Werkes umfassend erschließen.

Verstehen

Sun-Tsus Werk ist in der Kapitelstruktur etwas verworren, was vermutlich mit den späteren Abschriften zusammenhängt, vom Grundsatz her allerdings fast wie eine akademische Arbeit strukturiert, die zunächst mit dem theoretischen Rahmen und mit Definitionen beginnt (Kapitel III und IV). Logisch folgt diesen Kapiteln die Beschaffung von Informationen (Kapitel VI und XIII), die sich in einem Planungsprozess (Kapitel I und II) verwenden lassen. Anschließend kann der Plan durch geeignete Führungsstrategien in die Tat umgesetzt werden (Kapitel V und X).

Einige Sonderaspekte werden in drei weiteren Kapiteln behandelt. Hierbei geht es um die Vermeidung von Fehlern (Kapitel VIII), die Entwicklung eines Instruments zur Analyse der gegenwärtigen strategischen Situation sowie zu Täuschungsmanövern (Kapitel XI und VII). Demnach ergäbe sich folgende »ideale« Kapitelreihenfolge:

1. III. Das Schwert in der Scheide

Theoretischer Rahmen von Erfolg und Zielsystem (1)

2. IV. Taktik

Theoretischer Rahmen von Erfolg und Zielsystem (2)

3. VI. Schwache und starke Punkte

Wissen (1) – Wissen und Erwartungshaltung

4. XIII. Der Einsatz von Spionen

Wissen (2) – Vorwissen

5. XI Die neun Situationen

9S-Matrix

6. I. Planung

Planung (1) – Definitionen und Zielfindungsprozess

7. II. Über die Kriegführung

Planung (2) -Zielfindungsprozess

8. V. Energie

Führung (1) – Allokation, Täuschung und Schnelligkeit

9. VII. Manöver

Details zur Täuschung

10. X. Terrain

Führung (2)

11. VIII. Taktische Varianten

Fehler vermeiden

12. IX. Die Armee auf dem Marsch

Weglassen

13. XII. Angriff durch Feuer

Weglassen

Wir folgen also dieser Gliederung und arbeiten die werthaltigen Prinzipien des Buches in vier Schritten heraus: Zielsystem und Definitionen, Gewinnung von Wissen, Planung sowie Führung.

Zielsystem und Definitionen

»Dein großes Ziel im Krieg soll der Sieg sein und kein langwieriger Feldzug.« (S. 11) Versuchen wir also, den Aspekt des Siegens besser zu verstehen. Obwohl schon der Titel des Buches nahe legt, dass Sun-Tsu vom Sieg im Krieg spricht, handelt es nicht automatisch und immer vom bewaffnet ausgetragenen Konflikt. Im Gegenteil: Er betont mehrfach, dass er den Sieg ohne Kampf als die edelste Form ansieht, sozusagen die »höchste Kunst des Erfolgs«. Seiner Auffassung nach lassen es die Erfolgreichsten gar nicht erst zum Kampf kommen: »In all deinen Schlachten zu kämpfen und zu siegen ist nicht die größte Leistung. Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen. In der praktischen Kriegskunst ist es das Beste überhaupt, das Land des Feindes heil und intakt einzunehmen; es zu zerschmettern und zu zerstören ist nicht so gut. So ist es auch besser, eine Armee vollständig gefangen zu nehmen, als sie zu vernichten ...« (S. 12) und: »Der kluge Anführer unterwirft die Truppen des Feindes ohne Kampf; er nimmt seine Städte, ohne sie zu belagern; er besiegt sein Königreich ohne langwierige Operationen im Felde.« (S. 12)

»Bewege dich nicht, wenn du keinen Vorteil siehst; setze deine Truppen nicht ein, wenn es nichts zu gewinnen gibt; kämpfe nicht, wenn die Lage nicht kritisch ist.« (S. 58) Diese Zitate verdeutlichen, dass Sun-Tsu den Kampf lediglich als Notlösung sieht. Der Krieg ohne Kampf – für unser Sprachverständnis ein Widerspruch – bleibt bei Sun-Tsu eine Tatsache und zeichnet seine Weitsicht aus.

Besondere Beachtung verdient auch die Rolle des Herrschers. Zwar scheint es so, als stelle sich der General Sun-Tsu in den Dienst des Herrschers, denn: »Das Gesetz der Moral veranlasst die Menschen, mit ihrem Herrscher völlig übereinzustimmen, sodass sie ihm ohne Rücksicht auf ihr Leben folgen und sich durch keine Gefahr erschrecken lassen.« (S. 8) Ehrenvolle Loyalität als oberstes Gebot also? Wer aufmerksam andere Textstellen hinzuzieht und vergleicht, der findet dazu bald eine widersprüchliche Empfehlung: »Wenn sicher ist, dass der Kampf mit einem Sieg endet, dann musst du kämpfen, auch wenn der Herrscher es verbietet; wenn der Kampf nicht mit einem Sieg enden wird, dann darfst du nicht kämpfen, auch wenn der Herrscher es befiehlt.1 Der General, der angreift, ohne nach Ruhm zu schielen, und sich zurückzieht, ohne Ungnade zu fürchten, dessen einziger Gedanke der Schutz des Landes und der Dienst für seinen Herrscher ist, dieser General ist das Juwel des Königreichs.« (S. 40)

Interessant ist hier die Rolle, die Sun-Tsu dem Herrscher einräumt: Der Herrscher wird es wohl kaum als Dienst empfinden, wenn der General seinen Befehlen zuwiderhandelt. Oder um es noch deutlicher zu formulieren: Bei Sun-Tsu hat der Herrscher nichts zu melden! Nach Sun-Tsu handelt der General nur dann konform mit dem Willen des Herrschers, wenn dieser zufällig eine Meinung vertritt, die den Zielen des Generals entspricht. Und den so handelnden General bezeichnet Sun-Tsu auch noch als »Juwel des Königreichs« – eine ziemlich dreiste Aussage, die noch dazu geschickt zwischen den diversen Textstellen verborgen ist.

Festzuhalten bleibt also der klare Widerspruch bei Sun-Tsu: Einerseits betont er den selbstlosen Einsatz für den Herrscher als oberste moralische Instanz, andererseits ist es für ihn legitim, den Befehlen des Herrschers zu widersprechen. Demnach beurteilt also der General und nicht der Herrscher, was ein »Sieg« ist. Der General kann somit nach eigenem Ermessen handeln – so Sun-Tsu. An einer Stelle wird diese Position sogar deutlich formuliert: »Opportunismus und Flexibilität... sind militärische, keine zivilen Tugenden.« (S. 13)

Diese Überlegungen sollten zeigen, dass das eigentliche Ziel Sun-Tsus tiefer in dem rhetorisch geschickt formulierten Text zu finden ist. Der Sieg für den Herrscher ist für den General nur das vordergründige Ziel. Tatsächlich geht es ihm um den persönlichen Sieg, und der Herrscher dient als Legitimation, quasi als moralischer »Lendenschurz« und gleichzeitig als Ressourcenquelle für Soldaten und Geld – solange er dem persönlichen Sieg nicht im Weg steht.

Liest man zwischen den Zeilen, muss es also richtig heißen: Sun-Tsu ist ein gerissener Egoist, der Untergebene und sogar den Vorgesetzten geschickt für die eigenen Ziele benutzt!

Lektion 1.1: Handeln und darüber reden

Handeln Sie nach Ihrem eigenen Vorteil, aber erzählen Sie anderen, dass Sie nur für die Sache kämpfen.

Aber warum macht es Sun-Tsu so kompliziert? Warum sagt er nicht einfach, was er meint? Die Antwort: Hätte Sun-Tsu offen empfohlen, stets egoistisch zu handeln, hätte er seine eigenen Soldaten zum Ungehorsam aufgefordert. Damit dies nicht passierte, äußerte er zunächst Gehorsam und Unterordnung unter den Willen des Höherstehenden. Erst in der genauen Durchleuchtung seiner Argumente wird seine wahre Sichtweise erkennbar, sonst hätte ein Leser genau die falsche Schlussfolgerung gezogen – ein schönes Beispiel, wie ein oberflächliches Lesen von Sun-Tsu in die Irre führen kann!

Für uns stellt sich hier und übrigens auch bei vielen weiteren Lektionen die Frage, ob wir eine derartige, vordergründig moralisch bedenkliche Position teilen können und wollen. Doch: Erstens geht es hier zunächst um das Verständnis Sun-Tsus, ohne dies sogleich nachahmen zu müssen. Zweitens stehen wir immer vor dem Problem, dass unsere Handlungen sowohl positive als auch negative Wirkungen auf andere haben und wir die negativen Handlungen in Kauf nehmen müssen, um die positiven zu erreichen. Und eine Abwägung ist immer notwendig – die jeder für sich selbst durchführen muss. Drittens schließlich ist diese Lektion eine Konsequenz aus dem Verhalten der Gesellschaft, konformes und der Allgemeinheit »nützliches« Verhalten anzuerkennen, während egoistisches Verhalten meistens abwertend beurteilt wird. Andererseits aber werden reiche, mächtige oder sonst wie erfolgreiche Menschen bewundert, was diese jedoch entweder durch Egoismus (= »Ich-Bezogenheit«, den eigenen Vorteil wichtiger finden als den Vorteil anderer) oder durch Zufall (z. B. Lottogewinn) erreicht. Die Gesellschaft setzt hier also widersprüchliche Normen: Erfolg haben ist gut, aber das regelmäßig zu diesem Erfolg führende Verhalten ist schlecht.

Vielleicht sind wir mit diesem kurzen Exkurs in die Moralbetrachtung dem Phänomen auf die Spur gekommen, warum Unternehmer einerseits bewundert werden (»die sind reich, mächtig, erfolgreich, schaffen Arbeitsplätze« etc.) und trotzdem gleichzeitig Feindbild sind (»die beuten aus, bereichern sich an anderen, denken nur an sich« etc.). Es ist eben so, dass wir die zwei Seiten einer Medaille nicht trennen können. Diese fundamentale Erkenntnis war bereits bei Sun-Tsu vor 2500 Jahren bedeutsam.

Gewinnung von Wissen

Zäumen wir dieses Pferd einmal von hinten auf: Allein zu siegen ist schwieriger als zu mehreren. Also braucht der erfolgreiche Stratege Helfer, die er führen muss. Um führen zu können, braucht er einen Plan, wie die Helfer vorgehen sollen. (Nebenbei bemerkt: Man kann sogar Helfer anheuern, die die Planung übernehmen. Diese Aufgabe lösen heute in der Wirtschaft erfahrende Top-Management-Berater.) Um wiederum planen zu können, sind Wissen und Daten erforderlich. Die Gewinnung von Wissen ist essenziell für den späteren Erfolg. Zu wenig oder fehlerhaftes Wissen bewirkt, dass die Planung und damit die Führung und Durchführung gefährdet sind. Die Bedeutung, die Sun-Tsu dem Wissen beimisst, wird in folgenden Textstellen deutlich: »Wenn du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu furchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.« (S. 14) Und: »Was den weisen Herrscher und den guten General befähigt zuzuschlagen und zu siegen und Dinge zu erreichen, die außerhalb der Fähigkeiten gewöhnlicher Männer liegen, ist ›Vorherwissen‹. Mit Vorherwissen ist gemeint, zu einem wichtigen Sachverhalt frühzeitig und vor allen anderen Betroffenen über Informationen zu verfügen. »Doch dieses Vorherwissen kann nicht Geistern entlockt werden; es kann nicht aus der Erfahrung und auch durch keine Schlussfolgerung gewonnen werden.« (S. 59)

Aber was muss man wissen? Welche Daten muss man beschaffen, um erfolgreich zu sein? Nach Sun-Tsu gibt es vier Methoden:

SELBSTERKENNTNIS ist das Fundament für den Sieg, weil nur sie es ermöglicht, die Erfolgschancen einzuschätzen: »Man kann wissen, wie man siegt, ohne fähig zu sein, es zu tun.« (S. 15) Die Erkenntnis, dass die eigenen Fähigkeiten nicht ausreichen, bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass keine Aussicht auf Erfolg besteht. Vielmehr muss dann die Strategie geändert werden: Dann nämlich können Helfer oder Experten eingesetzt werden, die diese Schwächen ausgleichen.

Ein sehr schönes Fallbeispiel hierfür sind Spekulanten, die mit fremdem Geld unterbewertete Unternehmen aufkaufen und dann mit viel Gewinn in Einzelteilen wieder verkaufen. Genauso macht es der Protagonist Edward Louis (gespielt von Richard Gere) im Film »Pretty Woman«. Sein Erfolg und der seiner realen Vorbilder beruhen ausschließlich auf überlegenem Wissen: Er allein weiß, welche Stärken und Schwächen sein Gegner hat. Er allein weiß, warum das Unternehmen mehr wert ist, als die Anteile zurzeit kosten, und wie hoch dieser Mehrwert ist (eigene Stärke). Leider hat er aber selbst nicht genügend Finanzkraft, um die Übernahmesumme zu investieren (eigene Schwäche). Also geht er mit diesem Wissen zu einer Bank, macht die Gewinnaussichten plausibel, diese gibt ihm das Geld gegen Gewinnbeteiligung, und der Erfolg wird plötzlich realistisch (Ausgleich der eigenen Schwächen durch externe Ressourcen – also Experten, Finanzen oder Partner).

Natürlich ist dies nur eines von vielen möglichen Beispielen. Vergleichsweise häufig ist der umgekehrte Fall: Ein Unternehmen in einer soliden, aber stagnierenden Branche (z. B. Energiewirtschaft) hat viel Geld (Stärke), aber zu wenig Wissen oder Ideen (Schwäche), wie dieses Geld Gewinn bringend in Wachstumsbranchen investiert werden kann. Also werden Unternehmensberater beauftragt, gegen Honorar solche Ideen zu entwickeln und bei der Umsetzung zu helfen (Ausgleich der eigenen Schwächen durch externe Experten).

Die Top-Strategieberater verwenden diese Logik bis heute, rund 2500 Jahre nach Sun-Tsu, allerdings in einer weiterentwickelten Form:

Die SWOT-Analyse. SWOT steht für Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats, was zu Deutsch so viel wie Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken bedeutet. Dabei geht es im Prinzip darum, die aktionsspezifischen Argumente in einer 4-Felder-Matrix gegenüberzustellen (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Beispielhafte SWOT-Analyse aus der Unternehmensberatung zu der Frage, ob sich das betreffende Unternehmen am Kundenbindungsprogramm »EB« beteiligen soll oder nicht. Dazu werden in der SWOT-Analyse Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken gegenübergestellt, um so jeden relevanten Aspekt zu beleuchten und anschließend eine rationale Entscheidung zu treffen.

Lektion 1.2: Selbsterkenntnis

1. Um eine rationale Einschätzung der eigenen Möglichkeiten zu erhalten, stellen Sie Ihr Ziel in einem Stärken-Schwächen-Profil dar (Vgl. S. 57), das Sie nötigenfalls durch eine SWOT-Analyse ergänzen.

2. Überlegen Sie, wie Sie etwaige Schwächen durch externe Helfer oder Experten ausgleichen können.

Bei der SWOT-Analyse ist nicht nur wichtig, was in den Feldern steht, sondern auch, was dort nicht steht. Letzteres ist nämlich ein Hinweis auf Informationslücken, die entweder durch Recherchen oder durch SPIONAGE gefüllt werden können: »Die Kenntnis der Geisterwelt wird durch das Orakel erlangt; Informationen in Naturwissenschaften können durch Erfahrungswerte gewonnen werden; die Gesetze des Universums können durch mathematische Schlüsse bewiesen werden. Doch die Pläne des Feindes sind durch Spione und nur durch sie zu ermitteln.« (S. 59)

Sun-Tsu typisiert die Spione sogar. Allerdings ist diese Klassifikation nicht auf die heutige Zeit übertragbar, ja sie entbehrt nicht einer gewissen Komik: »Innere Spione zu haben bedeutet, die Beamten des Feindes zu benutzen. Wertvolle Männer, die degradiert wurden; Kriminelle, die eine Bestrafung hinter sich haben; auch Lieblingskonkubinen, die gierig auf Gold sind... «(S. 60)

Zwar empfiehlt Sun-Tsu ausschließlich die Spionage, um fehlende Informationen zu gewinnen, doch ist dies im Zeitalter des Internet so nicht mehr richtig. Es gibt kaum eine Information, die sich im Internet nicht beschaffen ließe. Was allerdings oft bedeutet, dass auch hier Experten hinzugezogen werden müssen, denn Internet-Recherchen von hoher Qualität erfordern häufig Expertenwissen.

Auch Sun-Tsu verweist auf die herausragende Bedeutung dieser Experten: »Wir können mit benachbarten Fürsten kein Bündnis eingehen, wenn wir nicht ihre Absichten kennen. Wir sind nicht fähig, eine Armee auf den Marsch zu führen, solange wir nicht mit der Gestalt des Landes vertraut sind – mit seinen Bergen und Wäldern, seinen Senken und Steilklippen, seinen Marschen und Sümpfen. Wir sind unfähig, natürliche Vorteile für uns zu nutzen, solange wir keine eingeborenen Führer einsetzen.« (S. 52)

Es ist schon ein erheiternder Gedanke, Experten wie Internet-Spürhunde als »eingeborene Führer« zu bezeichnen. Fakt ist aber, dass diese Informationsquelle heute wichtiger denn je ist. Aber auch andere Experten sind potenzielle Helfer, insbesondere bei wirtschaftlichen Zielen. Unternehmensberatungen haben oft hervorragende Kontakte in die Wirtschaft und können aus erworbenem Wissen und Erfahrungen in vielen Branchen und Unternehmen wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die Einzelunternehmen oder Nicht-Experten so nicht zugänglich sind.

Ein Fallbeispiel: Bei Fusionen von Großunternehmen müssen die jeweiligen Organisationen und Geschäftsmodelle integriert werden. Diese Aufgabenstellung nennt sich »PMI« für »Post Merger Integration«. Das Problem ist, dass rechtlich keine Daten zwischen den Fusionsunternehmen ausgetauscht werden dürfen, weil zuerst die Kartellbehörde (oft sogar international) zustimmen muss. Aus diesem Grund werden Unternehmensberater beauftragt, als neutrale Instanz die Daten beider Unternehmen zu erheben und daraus die notwendigen Integrationsschritte abzuleiten, ohne dass die Daten dem jeweils anderen Unternehmen offenbart werden. Sie können sich sicher vorstellen, welcher enorme Informationsvorsprung daraus für die Unternehmensberatung erwächst.

Ein anderes Fallbeispiel: Große, erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen wie Banken oder Versicherungen betreiben oft eigene Abteilungen, die nichts anderes tun, als Antworten auf vorgegebene Fragestellungen zu finden – ein solches »Infocenter« kann auf Anfrage binnen Minuten die Solvenz von Unternehmen, Geschäftsleuten und sogar Privatpersonen feststellen oder zum Beispiel Beteiligungsverhältnisse zwischen Firmen herausfinden.

Häufig sind es sogar die Unternehmen selbst, die solcher Informationsgewinnung Vorschub leisten: Manche Firmen stellen geradezu manisch jedes kleinste Detail über sich ins Internet. Geschäftsberichte, Quartalspläne, Organigramme (also Mitarbeiterübersichten) oder die (eigentlich interne) Mitarbeiterzeitschrift sind dann für jedermann abrufbar. Gleiches gilt für private Homepages, auf denen Urlaubsfotos, persönliche Daten und die berufliche Karriere präsentiert werden.

Fast alle größeren Unternehmen betreiben außerdem so genannte Intranets, in denen praktisch alle internen Informationen fließen – vom Gesprächsprotokoll bis zum hochgeheimen Strategiepapier. Wer hier Zugang hat, kann auf eine unschätzbar wertvolle Informationsquelle zugreifen. Das kann von Plänen des Unternehmens bis zu Gesprächsprotokollen mit externen Partnern oder sonst unzugänglichen Informationen über andere Unternehmen reichen.

Ich denke, die Bedeutung von Recherchen und Spionage ist Ihnen deutlich geworden. Ein wichtiges Problem bleibt aber noch zu klären: Das Auffinden einer wertvollen Antwort erfordert eine gut formulierte Frage – wonach also suchen wir überhaupt? Wir wollen die Stärken und Schwächen des Gegners kennen sowie die Chancen und Risiken unseres Zieles. Auch hier hilft wieder die SWOT-Analyse. Sun-Tsu führt dazu folgende Erfolgsfaktoren an. »Denn es gibt fünf wesentliche Voraussetzungen für den Sieg: Siegen wird der, der weiß, wann er kämpfen muss und wann nicht. Siegen wird der, der weiß, wie er mit überlegenen und unterlegenen Streitkräften verfährt. Siegen wird der, dessen Armee in allen Rängen vom gleichen Geist beseelt ist. Siegen wird der, der gut vorbereitet darauf wartet, den unvorbereiteten Feind anzugehen. Siegen wird der, der militärisch fähig ist und nicht mit der Einmischung seines Herrschers rechnen muss.« (S. 13)

Die fünf Kernerfolgsfaktoren sind also:

1. der richtige Zeitpunkt,

2. das richtige Vorgehen,

3. hohe Motivation,

4. Schnelligkeit und

5. Interdependenzen.

Um die fehlenden Informationen zu identifizieren, können die Kernerfolgsfaktoren mit der SWOT-Analyse verglichen werden.

Lektion 1.3: Kernerfolgsfaktoren ermitteln

Suchen Sie gezielt die Antworten auf folgende Fragen:

  • Wann ist Ihr Gegner stark? Wann ist er schwach?

  • In welchen Bereichen ist Ihr Gegner stark? In welchen ist er schwach?

  • Was motiviert Ihren Gegner besonders? Was demotiviert ihn?

  • Worauf ist Ihr Gegner bereits vorbereitet? Worauf noch nicht?

  • Wer sind die wichtigen Entscheider? Wen müssen Sie kennen, und wie stehen diese Personen zu Ihrem Ziel?

Überprüfen Sie zunächst, ob bereits in Ihrer SWOT-Analyse Antworten enthalten sind. Die fehlenden Informationen recherchieren Sie gezielt im Internet, über persönliche Kontakte etc.

Doch Spionage hat auch eine Kehrseite: Die Spionageabwehr. Denn der Gegner wird selbst versuchen, wichtige Informationen zu gewinnen. Um das zu verhindern, bedarf es der GEHEIMHALTUNG: »Das höchste Ziel bei allen taktischen Entscheidungen muss sein, sie geheim zu halten; halte deine Entscheidungen geheim, und du bist sicher vor den Augen der geschicktesten Spione und vor den Ränken der klügsten Köpfe.« (S. 22) – »Der General, dessen Gegner nicht weiß, was er verteidigen soll, greift weise an; und er ist ein weiser Verteidiger, wenn sein Gegner nicht weiß, was er angreifen soll.« (S. 20)

Wie lässt sich eine funktionierende Geheimhaltung bewerkstelligen? Sun-Tsu gibt dazu ganz pragmatische Empfehlungen: »Indem er seine Vorkehrungen ändert und seine Pläne anpasst, hält der kluge General den Feind unwissend. Indem er sein Lager verlegt und Umwege nimmt, verhindert er, dass der Feind seine Absicht erkennt.« (S. 50)

Lektion 1.4: Geheimhaltung

Nutzen Sie folgende Taktiken, um Ihren Gegner über Ihre Ziele im Unklaren zu lassen:

  • Ändern Sie häufig den nach außen sichtbaren, von Ihnen verfolgten Weg zum Ziel.

  • Vermeiden Sie den direkten, geraden und offensichtlichen Weg zum Ziel.

  • Geben Sie keine Informationen öffentlich preis, wenn es sich vermeiden lässt. Bewahren Sie größtmögliche Verschwiegenheit.

Die Wirkung der Geheimhaltung wird noch übertroffen von der TÄUSCHUNG. Dabei wird dem Gegner nicht nur eine wichtige Information vorenthalten, sondern er bekommt stattdessen eine falsche, ohne dies zu wissen: »Überlege jede Bewegung ganz genau. Siegen wird, wer den Kunstgriff der Täuschung beherrscht. Dies ist die Kunst des Manövrierens.« (S. 24) Weiter heißt es: »Lasse ein Schlupfloch frei, wenn du eine Armee umzingelst. Das bedeutet nicht, dass es dem Feind erlaubt wird zu fliehen. Der Grund ist, ihn glauben zu machen, dass es einen Weg in die Sicherheit gibt, um ihn daran zu hindern, mit dem Mut der Verzweiflung zu kämpfen.« (S. 26) Denn: »Jede Kriegführung gründet auf Täuschung. Wenn wir also fähig sind anzugreifen, müssen wir unfähig erscheinen; wenn wir unsere Streitkräfte einsetzen, müssen wir inaktiv scheinen; wenn wir nahe sind, müssen wir den Feind glauben machen, dass wir weit entfernt sind; wenn wir weit entfernt sind, müssen wir ihn glauben machen, dass wir nahe sind.« (S. 9)