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Das Titelbild steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches.

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ISBN 9783798604339
0190829 0000

Inhalt

Inhalt

Das alte, vom Wetter gegerbte Gebäude stand auf einer kleinen Halbinsel, die durch eine schmale Landzunge mit dem Festland verbunden war. Während sich die breite Front der Sprossenfenster zum See hin öffnete, war der monumentale Eingang über den mit Steinen befestigten, ungefähr 50 Meter langen Damm zu erreichen. Die Zufahrt nahm fast die gesamte Breite des Landstreifens in Anspruch und der Hof war sowohl von hohen Mauern als auch urwüchsigen Bäumen gesäumt. Das Gebäude trug den Namen Närkening und war das größte in der ganzen Gegend. Wie eine mittelalterliche Festung ragte es in den See hinein, ein Wahrzeichen und ein Bollwerk zugleich, das sich durch seine Architektur und Lage nach außen abzuschirmen schien. Seit Generationen gehörte es den Andersons, einer Familie, die das Bauwerk irgendwann um die Jahrhundertwende herum erworben und zum feudalen Mittelpunkt ihrer Ländereien und Wälder gemacht hatte. Die Fassade auf der Seeseite schloss genau mit den Felsen ab, die sich dem See und dem Wind entgegenstellten. Auf der anderen, der Sonne zugewandten Seite waren die Mauern zum größten Teil mit Holz verkleidet, mit unzähligen Schnitzereien und handwerklichen Kunstobjekten, bis unter die Dachgiebel hinauf.

Seit einigen Jahren war auf Närkening Ruhe eingekehrt. Das Haus hatte mit Bengt Anderson seinen unumschränkten Herrscher verloren, als dieser mit nicht einmal 60 Jahren das Zepter viel zu früh aus der Hand legte. Nach seinem Tod übernahm seine so frühzeitig zur Witwe gewordene Ehefrau Anna die täglichen Geschäfte und versuchte, sie in seinem Sinne so gut wie möglich weiterzuführen. Die gemeinsame Tochter Alisa war ihr dabei zur Hand gegangen. Mit gerade 17 Jahren hatte sie ihre Kindheit plötzlich an den Nagel hängen und Verantwortung übernehmen müssen. Doch sie tat es gern und ohne Murren und so war der Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenwerden fast nahtlos gewesen. Ihre jüngeren Geschwister hatten die veränderten Umstände anerkannt und Alisas Führungsposition ihnen gegenüber nie in Zweifel gezogen, auch wenn natürlich die väterliche Strenge fehlte.

Bengt Andersons Begräbnis war das imposanteste gewesen, an das man sich in der Gegend um Alinstad erinnern konnte. Die meisten Bewohner der Höfe ringsum und der nahe gelegenen Stadt hatten an seiner letzten Reise teilgenommen und ihn begleitet. Und erst als die Kränze und Gebinde auf dem Grab verwelkt und die Tage der Trauer vorbeigezogen waren, hatte der Alltag in Närkening wieder Einzug gehalten. Die Jahre, in denen buntes Leben, Abwechslung und Arbeit das Haus auf der Halbinsel bevölkert hatten, gehörten mit Bengt Andersons Tod unversehens der Vergangenheit an. Mit seinem Abgang war es anders, ruhiger geworden. Anna versuchte, die Familie nach besten Kräften zusammenzuhalten, aber Stille und Leere waren doch unübersehbar. Trotz aller Arbeit waren die Tage auch langweiliger als zuvor.

Eines Tages schwenkte Anna einen Brief in der Luft. Wie immer hatte der alte Lars Ole die Post über den Damm gebracht und nachdem Anna die eingegangenen Schreiben und Mitteilungen durchgesehen hatte, rief sie Alisa aufgeregt zu sich in die Küche. Alisa spürte sofort, dass der Brief eine besondere Nachricht enthalten musste, denn Anna war sichtlich durcheinander. Normalerweise gab es nichts, was sie so schnell aus der Ruhe bringen konnte.

„Setz dich“, sagte sie und reichte Alisa ein Schreiben. „Oliver will uns besuchen! In zwei Wochen schon.“

Alisa faltete den Bogen auseinander.

„Oliver?“

Sie dachte nach, aber der Name sagte ihr nichts. Jedenfalls im Augenblick nicht. Ein Foto fiel ihr in die Hände. Es zeigte einen jungen Mann im Anzug. Sein Gesicht war ernst und feierlich und sie schätzte ihn auf höchstens 20. Sie war sicher, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben. Auch der Absender war ihr völlig unbekannt. Neugierig überflog sie die Zeilen.

„Er ist der Sohn meiner Schwester“, erläuterte Anna, „und er schreibt, dass er seine Ferien bei uns in Schweden verbringen möchte.“

„Ja, ja“, sagte Alisa, „das lese ich auch. Aber wie kommt er ausgerechnet darauf, sie bei uns zu verbringen?“

„Es war schon immer sein Traum, einmal Närkening kennenzulernen, und jetzt, nachdem er die Schule beendet hat, findet er wohl endlich die Zeit dafür, seinen Traum zu verwirklichen.“

„In zwei Wochen kommt er schon?“ Alisa las den Brief zu Ende und betrachtete aufmerksam das beigelegte Foto.

„Er hat sich sehr verändert“, lächelte Anna. „Als ich ihn zum letzten Mal sah, trug er noch kurze Hosen und Pomade im Haar. Er war damals ungefähr neun Jahre alt – wie die Zeit doch vergeht. Du kannst dich sicher nicht mehr an ihn erinnern, oder?“

Alisa bewegte grübelnd den Kopf hin und her.

„Kein Wunder, du warst damals ja auch noch ein kleines Kind. Bestimmt erkennt er dich auch nicht mehr. Aus dem kleinen Mädchen ist schließlich schon beinahe eine Frau geworden …“

Alisa errötete. Fast unbewusste streifte sie sich über ihre Brüste, die bereits rund und voll waren.

„Meinst du, er findet mich schön?“

„Davon bin ich ganz und gar überzeugt“, lachte ihre Mutter. „Aber ich glaube, dass er sich vor allem für das Land hier interessiert, für die Inseln, Seen und Wälder. Du wirst die Aufgabe haben, dich um ihn zu kümmern, ihm alles zu zeigen, damit er seinen Wissensdurst stillen kann …“

Alisa wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, aber immerhin war die Anwesenheit eines jungen Mannes auf Närkening ganz amüsant Sein Besuch, so hoffte sie, würde wenigstens ein bisschen Abwechslung in das eintönige Leben bringen.

Anna erzählte, dass ihre ältere Schwester Inger schon vor über 20 Jahren nach Norddeutschland ausgewandert war. Nachdem sie einen deutschen Schiffskapitän geheiratet hatte, war sie ihm in seine Heimat gefolgt. Seither hatten sie sich nur zwei Mal getroffen, einmal auf Närkening und einmal in Deutschland. Aber ihr Briefkontakt war nie völlig abgebrochen.

„Und was weißt du über Oliver? Kannst du mir mehr über ihn erzählen?“

Alisas Blick streifte immer wieder über das Foto, das noch offen auf dem Tisch lag.

„Nun, ich weiß nur, dass er zur Schule ging. Er redete davon, dass er später einmal Musik oder Kunst studieren wollte, aber ob er schon damit angefangen hat, weiß ich nicht. Er ist schon als Kind sehr sportlich gewesen, vor allem ein erfolgreicher Läufer. Inger hat geschrieben, dass er immer irgendwo an Turnieren oder Wettkämpfen teilgenommen und schon eine Menge Pokale gewonnen hat.“

Alisa spürte plötzlich eine neugierige, freudige Erwartung in sich aufsteigen. Sie konnte es kaum abwarten, diese Neuigkeit ihrer Clique zu erzählen.

„Ob er schon eine Freundin hat?“, fragte Lora wissbegierig. Sie beugte sich kichernd über das Bild, das Alisa ihr zeigte.

„Natürlich wird er eine Freundin haben, in seinem Alter“, vermutete Alisa stirnrunzelnd.

„Na und“, wehrte Lora ab. „Selbst wenn es so wäre, wird er sich Hals über Kopf in dich verlieben, da bin ich ganz sicher! So wie du aussiehst, mit deinen Beinen und Brüsten …“

Alisa warf ihre blonden Haare in den Nacken.

„Quatsch“, murmelte sie abwehrend. „Schließlich ist er mein Cousin und außerdem kommt er einzig und allein zu uns, um das Land und die Leute kennenzulernen …“

Lora lachte geringschätzig. „Es gibt viele, die irgendwie miteinander verwandt und trotzdem Paare geworden sind“, blieb sie hartnäckig.

Alisa lachte auf. „Ich kenne ihn ja gar nicht! Außerdem willst du bloß von dir ablenken! Vielleicht verliebt er sich ja in dich?“

Sie nahm ihrer Freundin das Foto wieder aus der Hand und versteckte es in ihrer kleinen Tasche. Eigentlich war es ja auch gleichgültig, für wen er sich entscheiden würde. Vielleicht war er so unausstehlich, dass sie froh war, wenn er ihr erst gar nicht nachstellte und Lora den Vorzug gab. Wer konnte das schon wissen?

„Ich verspreche dir, dass ich nicht böse bin, ganz gleich, was auch passiert“, sagte Lora mit todernster Miene.

„Das klingt ja gerade, als ob du es doch auf ihn abgesehen hättest“, lachte Alisa vergnügt.

„Na ja, du wirst zugeben, dass er ziemlich gut aussieht“, stellte Lora fest. „Oder nicht?“

„Es gibt wichtigere Dinge als ein schönes Gesicht“, wich Alisa aus.

Sie saßen am Ufer des Sees zwischen Schilfgräsern und streckten ihre Füße ins Wasser. Es kam häufig vor, dass sie mit ihren Fahrrädern am See entlangfuhren und irgendwo den Inhalt ihrer Körbe auf Decken ausbreiteten. Lora wohnte wenige Kilometer von Närkening entfernt auf einem Hof. Das gab ihnen reichlich Gelegenheit zu gemeinsamen Ausflügen.

„Lassen wir ihn doch einfach erst einmal kommen“, schlug Alisa vor. „Die Entwicklung der Angelegenheit ergibt sich dann sowieso von selbst und vielleicht wird alles auch ganz anders, als wir jetzt denken …“

„Ja, das ist eine gute Lösung“, stimmte Lora zu.

Während sie die mitgebrachten Früchte vertilgten, beschlossen sie, Olivers Besuch vor den anderen in der Clique doch vorläufig geheimzuhalten. Die anderen würden ihn ohnehin kennenlernen, wenn er erst einmal da war, und bis dahin dauerte es noch einige Tage. Warum sollten sie jetzt schon einen großen Wirbel machen?

Die nächsten beiden Wochen wollten einfach nicht vergehen. Alisas Mutter schrieb zurück, dass Oliver auf Närkening jederzeit willkommen sei, und von diesem Zeitpunkt an zogen sich die Tage wie Kaugummi in die Länge. Um die Spannung wenigstens einigermaßen im Zaum zu halten, stürzte sich Alisa in die Arbeit, die auf Närkening reichlich vorhanden war, und ihre Mutter wunderte sich über die Verwandlung, die plötzlich von ihr Besitz ergriffen hatte. Doch obwohl sie bestimmt ahnte, warum Alisa so aufgedreht war, verlor sie darüber kein einziges Wort.

Irgendwann sagte sie lediglich: „Oliver hat angerufen. Er kommt in drei Tagen. Wir werden ihn vom Bahnhof in Alinstad abholen.“

Von diesem Tag an war die Spannung noch unerträglicher und in den Nächten lag Alisa wach und schlug sich mit Fantasien herum, die sie sonderbar verwirrten. Tief in ihrem Innern spürte sie eine merkwürdige, drängende Unruhe.

An dem Tag, an dem Oliver ankommen sollte, erwachte Alisa bereits lange vor der üblichen Zeit. Sie hörte das Vogelgezwitscher und den Wind in den Bäumen und die restlichen Stunden verbrachte sie damit, die Morgendämmerung und den Sonnenaufgang über dem See zu beobachten. Als sie Geklapper aus der Küche hörte, wo ihre Mutter gerade Kaffee kochte, begab sie sich unter die Dusche. Danach war sie hellwach und für den Tag gerüstet, aber die Aufregung hatte sich nicht gelegt. Gegen acht Uhr traf sich die Familie beim Frühstück, das sie wie immer gemeinsam einnahmen. Es war seit Jahren ein unverzichtbares Ritual. Alisa sah auf die Uhr. Bei der nächsten Mahlzeit säße Oliver bereits mit ihnen am Tisch. Draußen zogen Wolken auf und sie befürchtete, dass das Wetter ihn nicht gerade freundlich empfangen würde. Während die jüngeren Geschwister mit dem Abräumen des Geschirrs beschäftigt waren, holte ihre Mutter den Wagen aus der Garage. Alisa ging zu ihr hinaus.

„Hast du das Foto mitgenommen?“, lächelte die Mutter ihr zu. „Möglicherweise entdecken wir Oliver gar nicht und dann brauchen wir etwas, um ihn zu erkennen …“

Alisa setzte sich neben sie und schon kurz darauf durchquerten sie die ausgedehnten Waldgebiete, die Närkening bis zu den Seeufern umgaben. Der Weg wand sich in vielen Kurven bis zu jener Straße, die nach Alinstad führte. Bis zum Bahnhof waren es ungefähr 20 Minuten. Alisa ertappte sich dabei, dass sie die Umgebung viel intensiver betrachtete als sonst. Wenn man jahrelang am selben Fleck lebt, empfindet man nichts Außergewöhnliches mehr daran. Jetzt aber dachte sie nach, ob Oliver diese Landschaft wohl gefallen würde, und sie war überzeugt, dass er kaum etwas daran auszusetzen haben könnte. Nur der Himmel zog sich zu. Inzwischen kam ein feiner schleierartiger Regen herunter, aber es war immer noch sommerlich warm. Als sie in Alinstad einfuhren, hörte der Regen wieder auf. Auch in der Stadt kamen sie schnell voran. Überpünktlich trafen sie beim Bahnhof ein.

„Ich gehe schon mal los“, rief Alisa. Ihre Aufregung war inzwischen so groß geworden, dass sie die Einfahrt des Zuges auf keinen Fall versäumen wollte. Ihre Mutter schüttelte lachend den Kopf.

„Wenn man dich so sieht, könnte man ja fast annehmen, du seist bereits verliebt! Aber du kennst Oliver ja noch gar nicht! Warte doch erst einmal ab, ob ihr überhaupt miteinander auskommt!“

„Wie kommst du denn darauf, dass ich verliebt bin? So ein Blödsinn!“ Alisa schüttelte spöttisch den Kopf.

Während sie auf den Bahnsteig vorauseilte, bemühte sich ihre Mutter um einen Parkplatz. Der Zug polterte in den Bahnhof herein. Er hielt und es stiegen so viele Menschen aus, dass es fast unmöglich war, einen einzelnen aus ihnen herauszufinden. Allmählich verliefen sich die Ankömmlinge und Alisa benötigte nicht einmal mehr das Foto, das sie in ihrer Tasche mit sich trug: Sie erkannte den Jungen, der auf dem Bahnsteig wartend zurückgebliebenen war und sich suchend umblickte.

Mit ein paar Schritten war sie bei ihm.

„Oliver?“

Ihr Herz schlug bis zum Hals. Er sah sympathisch aus, genauso wie auf dem Bild. Er hatte sich überhaupt nicht verändert.

„Ja“, sagte er erleichtert darüber, dass jemand ihn abholte. „Das bin ich. Hallo. Und wer bist du?“

Alisa nannte ihren Namen. „Sorry, dass ich dich nicht erkenne,“ sagte er. „Wie soll ich auch wissen, wie du heute aussiehst? Als deine Mutter uns damals besucht hat, warst du noch ein kleines Mädchen. Und jetzt … Jetzt bist du ja schon fast eine richtige Frau …“

Mit einem bewundernden Blick ließ er seine Augen über ihre Brüste und ihre Hüften wandern.

„Du siehst wirklich gut aus“, legte er, plötzlich ein wenig schüchtern, nach.

„Dankeschön“, sagte Alisa verlegen. Sie spürte Röte in sich aufsteigen. „Ich hoffe sehr, dass es dir hier gefällt.“

Oliver nahm seine Koffer auf. „Oh, das glaube ich schon! Was ich bis jetzt gesehen habe, ist jedenfalls ziemlich vielversprechend!“

Alisa wusste nicht, ob er damit sie selbst oder aber die Landschaft meinte. Sie neigte eher dazu, anzunehmen, dass er sie gemeint hatte, und lief leicht verunsichert neben ihm her. Anna kam ihnen entgegen und schloss Oliver in die Arme.

„Herzlich willkommen bei uns! Mein Gott, bist du gewachsen!“

Tatsächlich überragte er sie um ein gutes Stück. Sie musterte ihn lächelnd.

„Auf dem Foto ist mir gar nicht aufgefallen, wie groß du geworden bist!“

Sie verstauten sein Gepäck im Kofferraum des Wagens.

„Wie lange willst du denn bleiben?“, fragte Alisa, während sie sich in den Wagen setzten.

„Na ja, ich habe drei Wochen Ferien. Und so lange würde ich auch gerne bleiben, wenn ich darf …“

Alisa setzte sich auf die Rückbank. Oliver nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

„Du kannst selbstverständlich bleiben, so lange du willst!“, rief sie übermütig. „Das ist doch so, oder Mama?“ Sie wandte sich an ihre Mutter.

Anna lächelte. „Von meiner Seite aus gibt es keine Einwände.“

Während der Fahrt blickte der Gast aufmerksam aus dem Fenster. Langsam rollte das Auto dahin und als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten, zogen die Wälder und einige kleinere Seen an ihnen vorbei. Eine ursprüngliche, naturbelassene Landschaft.

„Es ist wirklich schön hier“, stellte Oliver beeindruckt fest. „Ganz anders als bei uns – und auch ganz anders als im Süden.“

„Warum bist du nicht schon mal früher gekommen?“ Alisa sah ihm von der Seite ins Gesicht. Er war ziemlich zurückzuhaltend, fand sie, aber das mochte an den Umständen liegen. Er war ja noch nicht einmal richtig angekommen.

„Bisher bin ich immer ans Meer in den Süden gefahren“, erzählte er. „Nach Südfrankreich, Spanien oder Griechenland. Ich wollte am Meer sein, den Strand und die Sonne erleben. Aber ich glaube, hier ist es viel erholsamer. Nicht so heiß und nicht so turbulent.“

„Glaubst du etwa, dass hier im Sommer keine Sonne scheint?“, fragte Alisa eine Spur beleidigt. „Auch die schwedischen Sommer sind warm. Und außerdem haben wir Vorzüge, die du im Süden nie finden wirst …“

Bevor er noch zu fragen vermochte, an welche Vorzüge sie dachte, fuhren sie von der Schnellstraße herunter. Der Wald wurde immer dichter, bis er sich öffnete und Närkening wie eine Fata Morgana zum Vorschein kam.

„Hier wohnen wir“, sagte Alisa nicht ohne Stolz.

Ein paar Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke und tauchten die Fassade des Gebäudes in ein leuchtendes Weiß. Auf dem See dahinter und zu beiden Seiten glitzerten die Wellen. Angesichts dieser natürlichen Schönheit schien Oliver vollkommen sprachlos. Sie überquerten den Damm und bogen in die Hofeinfahrt ein. Björn und Mejt, Alisas jüngere Geschwister, kamen hastig und winkend die Treppe herunter, um den neuen Gast zu begrüßen.

„Das ist deine Unterkunft“, sagte Alisa kurze Zeit später.

Sie hatten die Koffer ins Haus getragen und Oliver stand in seinem Zimmer, dessen Fenster zum See hinauszeigte und einen traumhaften Anblick bot. Überwältigt sah er hinaus.

„So großartig habe ich mir mein Feriendomizil nicht mal im Traum ausgemalt“, sagte er beeindruckt.

„Ich freue mich, wenn dir dein Zimmer gefällt“, entgegnete Alisa.

Er drehte sich um und sie lächelten einander zu. Ihr Blick wurde unsicher. Oliver trug ein weißes Hemd mit offenem Kragen und eine lose darumgeschlungene Krawatte. Die Manschetten hatte er bis fast an die Ellenbogen hochgekrempelt. Sein Gesicht war sonnengebräunt.

„Du hast recht. Schweden ist schön, sehr schön“, stellte er fest. „Ich weiß gar nicht, warum ich erst jetzt darauf gekommen bin, euch mal zu besuchen …“

Sein Kompliment ließ ihre Wangen erröten.

„Waschgelegenheiten gibt es in jedem Geschoss genug“, sagte sie schnell, um ihre Verlegenheit zu überspielen. „Aber du kannst auch jederzeit in den See springen. Der Bootssteg liegt direkt vor dem Haus!“

„Ihr habt auch ein Boot?“, fragte Oliver überrascht.

Alisa musste lachen. „Hier hat jeder ein Boot“, erklärte sie nachsichtig. „Ein Boot ist in dieser Gegend mindestens genauso wichtig wie ein Auto. Aber das wirst du alles bald herausfinden …“

Sie zeigte ihm die anderen Räume des Hauses und Mejt und Björn kamen dazu und rannten ihnen aufgeregt hinterher.

„Ich glaube, es ist bald Mittagszeit“, sagte Alisa. „Jetzt kennst du dich ja aus. Um zwölf Uhr treffen wir uns alle in der Küche.“

Oliver nickte. „Ich werde pünktlich sein“, versprach er gut gelaunt. Als Alisa sich danach auf ihr Zimmer zurückzog, ertappte sie sich bei dem Gedanken, dass bisher alles genau so eingetroffen war, wie sie es sich erhofft hatte. Es ging nicht mehr nur darum, dass mit Olivers Besuch eine gewisse Abwechslung auf Närkening eingetreten war. In leibhaftiger Natur sah er noch begehrenswerter aus als auf dem Foto und sie freute sich schon auf die Gesichter, die Lora und die anderen machen würden, wenn sie ihnen Oliver erst einmal vorstellte. Trotzdem versuchte sie, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Was wusste sie denn schon von ihm? Sie wusste noch nicht einmal, ob er eine Freundin hatte. Und selbst wenn in dieser Richtung nichts zu befürchten war, so hatte er doch vielleicht ganz andere Gedanken und Vorstellungen, ganz andere Pläne. Aber war diese Überlegung nicht eine betrübliche Vision, der sie gar nicht weiter nachhängen sollte?

Als Oliver zum Mittagessen kam, hatte er sich umgezogen. Er trug jetzt Jeans und T-Shirt und wirkte darin viel lockerer und legerer als in dem gebügelten Hemd und der Krawatte. Lächelnd setzte er sich an den Tisch, wo ihn die anderen bereits erwarteten. Alles war plötzlich seltsam anders als sonst. Irgendetwas schwirrte in der Luft herum, ohne dass Alisa imstande gewesen wäre, es zu beschreiben. Sie spürte, dass ihre Welt sowohl reicher als auch aufregender geworden war, und es war ganz unwesentlich, ob nur Träume, Fantastereien, die ihr Geheimnis waren, ihr den Kopf verdrehten. Auf irgendeine merkwürdige Weise fühlte sie sich stark und überlegen.

„Ich hoffe, dass du dich schnell bei uns eingewöhnst“, sagte ihre Mutter und blickte zu Oliver hinüber. „Alisa soll dir unsere Ländereien und die Gegend zeigen. Es gibt eine Menge Sehenswürdigkeiten und bestimmt wird auch das Wetter bald wieder besser.“

„Ja, bestimmt“, sagte Oliver. Er musterte Alisa mit klaren Augen. „Eine fachkundigere Führerin kann ich mir kaum vorstellen.“

Alisa fragte sich, ob er nur spöttisch oder aus Höflichkeit so sprach oder ob er tatsächlich so dachte.

„Du traust mir nicht?“

Er zuckte zusammen. „Aber doch!“

Es schien, als ob ihr Zweifel ihn ehrlich betrübte. Der Rest der Mahlzeit verlief überwiegend schweigend. Anna meinte, dass es wohl besser sei, wenn Oliver sich am Nachmittag hinlegen würde, um sich von der langen, anstrengenden Fahrt zu erholen. Er hatte ja drei Wochen Zeit, um alles kennenzulernen. Alisa dagegen hätte am liebsten sofort angefangen, ihm Närkening und alles, was dazugehörte, zu zeigen: den See, den Wald, die weitverzweigten Ländereien. Aber sie sah ein, dass der Vorschlag ihrer Mutter vernünftiger war, und so beschlossen sie, mit ihren Exkursionen erst am nächsten Tag anzufangen.

Alisas Zimmer lag genauso wie Olivers auf der Seeseite und da die Sonne ihren Tag über dem Wasser begann, fielen die ersten Strahlen schon am frühen Morgen durch das Fenster. Am Abend hatten sie noch lange zusammengesessen. Sie hatten über die Geschichte des Landes, ihre Bewohner und ihre Errungenschaften diskutiert und auch über sich selbst erzählt, über ihre Familien und ihr persönliches Leben.

Die Sonne stand noch tief am Horizont, als Alisa zum offenen Fenster ging und die frische Luft in tiefen Zügen einatmete. Glatt wie ein Spiegel breitete sich der See bis zum anderen Ufer aus, der Himmel war blau und versprach einen herrlich warmen Sommertag. Die Wolken des Vortages waren verschwunden. Alisa drehte sich um, öffnete die Tür und lauschte in den Flur hinaus. Doch das Haus lag noch in völliger Stille. Weder Björn noch Mejt waren zu hören und auch aus Olivers Zimmer, das nur einige Türen weiter lag, drang noch kein Geräusch. Zum Aufstehen war es noch viel zu früh. So kehrte sie um und legte sich wieder ins Bett. Bald fiel sie in einen Halbschlaf zurück. Diese Zeit zwischen Nacht und Tag, zwischen Träumen und Wirklichkeit, ist voller Zwiespalt und Übersinnlichem. Um diese frühe Morgenstunde, an der Grenze zwischen den Zeiten, überfielen sie oft die düstersten Gedanken, viel mehr noch als am Abend, wo die Ereignisse des Tages diese verdrängten. Nun fiel sie in ein Netz verwirrender Träume zurück und die Wärme der Sonne hüllte sie ein. Gedankenverloren fuhr Alisas Hand über ihre Brust. Sie hatte sich aufgedeckt, gab sich den wärmenden Strahlen preis. Da sie nackt zu schlafen pflegte, streichelte die Sonne ihre Haut, ohne dass irgendein Stückchen Stoff sie daran hinderte. Die Stille, die Wärme erfüllte sie. Ein unwiderstehliches Gefühl des Verlangens ergriff unerwartet von ihr Besitz …

Als Oliver erwachte, musste er zuerst seine Orientierung finden. Die Umgebung erschien ihm fremd. Dann kehrten seine Gedanken in die Gegenwart zurück und er blickte aus dem Fenster, wo der in der Morgensonne glitzernde See ihn begrüßte. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass noch genügend Zeit zum Schlafen war. Alisas Mutter hatte keine genaue Zeit festgelegt, wann er zum Frühstück zu erscheinen hatte.