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Im Nebenzimmer wurde das Rauschen eines Kleides hörbar. Bei diesem Geräusch schien Fürst Andree zu sich zu kommen. Er richtete sich auf und gab seinem Gesicht denselben Ausdruck, den es während der ganzen Soiree gehabt hatte. Peter schob die Füße zur Erde. Die Fürstin trat ein. Sie hatte bereits Zeit gefunden, ihre Abendtoilette mit einem Hauskleid zu vertauschen, das nicht weniger frisch und elegant war. Ihr Mann erhob sich und schob höflich einen Lehnstuhl für sie herbei.

»Ich frage mich oft«, sagte sie französisch nach ihrer Gewohnheit, indem sie lebhaft Platz nahm, »warum Anna Pawlowna nicht geheiratet hat? Wie dumm die Herren sind, daß sie sie nicht geheiratet haben! Entschuldigen Sie, Monsieur Pierre, aber Sie verstehen nichts von den Frauen. Und was Sie für ein Redner sind!«

»Ich streite mich mit Ihrem Gemahl, denn ich verstehe nicht, warum er in den Krieg ziehen will«, sagte Peter, ohne eine Spur jener Befangenheit, welche oft zwischen einem jungen Mann und einer jungen Frau sich einschleicht.

Die Fürstin fuhr zusammen.

»Nun ja, ich sage dasselbe. Ich begreife wirklich nicht, warum die Männer nicht ohne Krieg leben können. Warum wünschen wir Frauen nichts und haben nichts nötig? Urteilen Sie selbst! Immer wiederhole ich ihm, daß seine Stellung hier als Adjutant meines Onkels eine der glänzendsten ist, jedermann kennt ihn und schätzt ihn. Erst vor einigen Tagen hörte ich bei der Fürstin Apraxin eine Dame fragen: ›Ist das der berühmte Fürst Andree?«

Sie brach in ein lautes Lachen aus. »Und wenn er wollte, könnte er Flügeladjutant des Kaisers werden, denn Sie müssen wissen, der Kaiser hat sich neulich sehr freundlich mit ihm unterhalten. Das wäre so leicht zu machen, was denken Sie davon?«

Peter sah seinen Freund an und schwieg, da dieser ärgerlich zu sein schien.

»Wann reisen Sie ab?« fragte er die Fürstin.

»Ach, sprechen Sie nicht von der Abreise, ich will nichts davon hören!« rief die Fürstin. »Als ich heute daran dachte, daß ich alle meine teuren Bekanntschaften aufgeben soll… und dann, weißt du Andree … ich habe Angst!« Sie kniff dabei die Augen zusammen, was für Peter unverständlich blieb.

Ihr Mann sah sie verdutzt an, als ob er eben erst ihre Gegenwart bemerkt hätte.

»Was fürchtest du, Lisa?« fragte er mit kalter Höflichkeit, »Ich verstehe dich nicht.«

»So sind die Männer! Egoisten, lauter Egoisten! Einer Laune zuliebe verläßt er mich, Gott weiß, warum, und schickt mich allein aufs Land.«

»Mit meinem Vater und meiner Schwester, das vergißt du.«

»Das kommt auf dasselbe heraus! Ich werde allein sein, fern von meinen Freundinnen, und dabei soll ich zufrieden sein?«

Sie sprach in verdrießlichem Tone, ihre aufgezogene Lippe gab ihrer Miene einen keineswegs reizenden Ausdruck, sondern einen solchen, der eher an ein kleines Nagetier erinnerte. Sie schwieg, da sie es nicht für passend hielt, in Peters Gegenwart auf ihre Mutterhoffnungen anzuspielen, denn darin lag der Knoten der Situation.

»Ich kann aber nicht erraten, vor was du Angst hast«, bemerkte langsam ihr Mann, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Die Fürstin errötete und machte eine Gebärde der Ungeduld. »Andree! Andree, warum hast du dich so verändert?«

»Der Arzt hat dir verboten, lange zu wachen, du solltest dich schlafen legen.«

Die Fürstin gab keine Antwort, aber plötzlich zuckte ihre Lippe. Er erhob sich, zuckte mit den Achseln und ging im Zimmer auf und ab.

Peter beobachtete sie beide mit naivem Erstaunen. Endlich machte er eine Bewegung, um sich zu erheben, gab dies aber sogleich wieder auf.

»Es ist mir gleichgültig, ob Monsieur Pierre zugegen ist!« rief die Fürstin, deren hübsches Gesicht sich verzog wie das eines Kindes, das weinen will. »Schon lange wollte ich dich fragen, Andree, warum du so ganz anders gegen mich geworden bist? Was habe ich dir getan? Du gehst zur Armee, ohne Mitleid mit mir zu haben! Warum?«

»Lisa!« rief der Fürst Andree.

Und dieses eine Wort enthielt Bitte, Drohung und die Versicherung, daß sie ihre Worte bereuen werde.

Sie fuhr aber heftig fort: »Du behandelst mich wie eine Kranke oder wie ein Kind! Ich sehe alles!… vor sechs Monaten warst du nicht so!«

»Lisa, ich bitte dich, höre auf!« erwiderte er lauter.

Peter, dessen Erregung bei dieser Unterhaltung immer mehr stieg, erhob sich und näherte sich der jungen Frau. Er schien den Anblick der Tränen nicht ertragen zu können und selbst dem Weinen nahe zu sein.

»Beruhigen Sie sich, Fürstin, das sind nur Ideen, ich habe das auch empfunden … Ich versichere Ihnen … und übrigens … nein, entschuldigen Sie mich, ich bin hier als Fremder überflüssig… beruhigen Sie sich! Adieu!«

Fürst Andree hielt ihn zurück.

»Nein, Peter, warte noch, die Fürstin ist zu gut, um mich des Vergnügens, den Abend mit dir zu verbringen, berauben zu wollen.«

»Ach ja, er denkt nur an sich«, murmelte sie, ohne ihre Tränen des Verdrusses zurückhalten zu können.

»Lisa«, sagte der Fürst Andree scharf, mit einer Stimme, welche anzeigte, daß sein Zorn aufs höchste gestiegen war. Plötzlich verbreitete sich auf ihrem zornigen Gesicht ein furchtsamer Ausdruck.

»Mein Gott, mein Gott«, murmelte sie mit einem hastigen Blick nach ihrem Mann, dann nahm sie das Kleid mit einer Hand auf, näherte sich ihm und drückte einen Kuß auf seine Stirn.

»Gute Nacht, Lisa!« sagte er, sich erhebend, und küßte ihr die Hand wie einer Fremden.

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»Lieber Boris«, sagte die Fürstin zu ihrem Sohn, während der Wagen, welchen die Gräfin Rostow ihr zur Verfügung gestellt hatte, vor Besuchows Palais vorfuhr, »sei klug! Er ist dein Taufpate und deine Zukunft hängt von ihm ab! Vergiß das nicht. Sei höflich und angenehm, wie du es verstehst, wenn du willst.«

»Ich möchte nur sicher sein, daß es nicht wieder auf eine neue Demütigung hinausläuft«, erwiderte er kühl.

Mutter und Sohn lehnten es ab, sich anmelden zu lassen und traten in die Vorhalle ein, welche mit zwei Reihen von Statuen in Nischen geschmückt war. Der Portier musterte sie vom Kopf bis zu den Füßen, sein Blick blieb auf dem abgetragenen Mantel der Mutter haften. Dann fragte er, ob sie wegen der jungen Fürstinnen oder zum Grafen gekommen seien. Als er hörte, daß sie den Grafen zu sprechen wünschten, beeilte er sich zu erklären, Seine Exzellenz empfange niemand bei seinem leidenden Zustand.

»Gehen wir wieder«, sagte Boris französisch.

»Mein Freund«, erwiderte die Mutter in bittendem Tone, indem sie ihn am Arm berührte.

Boris schwieg. Die Fürstin wandte sich in freundlichem Tone an den Portier: »Ich weiß, daß der Graf sehr krank ist, und deswegen bin ich eben gekommen! Ich bin mit ihm verwandt und werde ihn nicht stören! Ich will nur den Fürsten Wassil sprechen, ich weiß, daß er hier ist. Bitte, gehe und melde uns an!«

Mürrisch zog der Portier die Klingel.

»Die Fürstin Drubezkoi läßt sich bei dem Fürsten Wassil anmelden!« rief er einem Diener zu, welcher unter dem Gewölbe der Treppe hervorsah. Die Fürstin ordnete die Falten ihres Kleides, warf einen Blick in den großen venezianischen Spiegel an der Wand und setzte entschlossen ihr abgetragenes Schuhwerk auf den kostbaren Teppich, der die Treppenstufen bedeckte.

»Ich habe dein Versprechen, mein Lieber«, sagte sie französisch zu ihrem Sohne.

Ein alter Kammerdiener erhob sich bei ihrer Annäherung. Eine der zahlreichen Flügeltüren öffnete sich und der Fürst Wassil trat heraus in seinem Samtrock mit nur einem Orden, was bei ihm Haustoilette war. Er begleitete einen hübschen Herrn mit schwarzen Haaren, den Doktor Lorrain.

»Und das ist ganz sicher?« fragte der Fürst.

»Errare humanuni est«, erwiderte der Doktor, welcher das Lateinische auf französische Weise aussprach.

»Gut, gut«, erwiderte Fürst Wassil. Als er die Fürstin Drubezkoi und ihren Sohn bemerkte, verabschiedete er den Arzt mit einem Kopfnicken. Schweigend näherte er sich ihnen und maß sie mit forschendem Blick.

Boris sah, wie der Ausdruck tiefen Schmerzes sogleich in den Augen seiner Mutter erschien, und lächelte heimlich darüber.

»Wir finden uns unter sehr traurigen Umständen wieder, mein Fürst … »Wie geht es dem teuren Kranken?« fragte sie, ohne auf den kalten, beleidigenden Blick, den er auf sie richtete, zu achten.

Mit unverhohlenem Erstaunen betrachtete sie der Fürst, ohne den Gruß des jungen Mannes zu erwidern, und antwortete nur mit einer Kopfbewegung, welche andeutete, daß der Zustand des Kranken hoffnungslos sei. »Es ist also wahr?« rief sie. »Ach, wie schrecklich!… Dies ist mein Sohn, er wünscht sehnlichst, Ihnen persönlich zu danken!« – Eine neue Verbeugung von Boris. »Seien Sie überzeugt, mein Fürst, daß das Mutterherz niemals vergessen wird, was Sie für ihn getan haben!«

»Ich bin glücklich, teuerste Fürstin, daß ich Ihnen nützlich sein konnte«, erwiderte der Fürst ziemlich trocken und sehr herablassend. Und zu Boris gewendet: »Geben Sie sich Mühe! Dienen Sie mit Eifer und machen Sie sich würdig der … der… Ich bin entzückt… daß ich … Sie sind hier auf Urlaub?« Das alles wurde mit großer Gleichgültigkeit gesprochen.

»Ich erwarte den Befehl, Exzellenz, mich an meinen Bestimmungsort zu begeben«, erwiderte Boris, ohne Empfindlichkeit bemerken zu lassen, noch den Wunsch, die Unterhaltung fortzusetzen. Verwundert über sein ruhiges, bescheidenes Wesen, betrachtete ihn der Fürst aufmerksam.

»Wohnen Sie bei Ihrer Mutter?«

»Ich wohne beim Grafen Rostow, Exzellenz.«

»Ach, ich weiß«, erwiderte der Fürst eintönig. »Ich habe niemals begreifen können, wie Natalie sich entschließen konnte, diesen schmutzigen Bären zu heiraten! Ein bornierter, lächerlicher Mensch, und noch obendrein ein Spieler, wie man sagt.«

»Ja, aber ein sehr braver Mann, mein Fürst«, sagte die Fürstin mit einem Lächeln, als ob sie beistimmte, für den armen Grafen aber doch Nachsicht erbitten wollte. »Was sagen die Ärzte?«

»Wenig Hoffnung!«

»Ich hätte sehr gewünscht, dem Onkel noch einmal für all seine Güte zu danken. Er ist der Taufpate meines Sohnes«, fügte sie mit Würde hinzu. Fürst Wassil schwieg und zog die Augenbrauen zusammen.

Sie begriff sofort, daß er in ihr eine gefährliche Mitbewerberin um die Erbschaft des Grafen Besuchow argwöhnte, und beeilte sich, ihn zu beruhigen. »Nur meine aufrichtige Ergebenheit für meinen Onkel…« Die Worte »meinen Onkel« glitten von ihren Lippen zuversichtlich und dabei mit einer gewisssen Nachlässigkeit. »Ich kenne seinen edlen Charakter! Aber hier hat er nur seine jungen Nichten um sich!« Und mit gesenktem Kopf fuhr sie halblaut fort: »Hat er seine letzten Pflichten erfüllt? Seine Augenblicke sind kostbar, und es wäre deshalb dringend nötig, ihn vorzubereiten. Wir Frauen wissen immer solche Dinge annehmbar zu machen. Ich muß ihn durchaus sehen, so peinlich mir auch ein solches Gespräch sein kann, ich bin so sehr daran gewöhnt, zu leiden.«

Der Fürst begriff, wie damals bei der Soiree der Hofdame, daß es ihm unmöglich sei, sich der Fürstin zu entledigen.

»Ich fürchte, ein solches Gespräch wird ihm peinlich sein, teuerste Fürstin, wir wollen bis zum Abend warten, die Ärzte hoffen auf eine Krisis.«

»Warten, mein Fürst? Aber das sind ja seine letzten Augenblicke! Bedenken Sie, es handelt sich um das Heil seiner Seele! Ach, wie schwer sind die Pflichten eines Christen!«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, welche zu den inneren Zimmern führte, und eine der Fürstinnen trat mit kaltem Gesicht heraus.

»Nun, wie geht es?« fragte Fürst Wassil.

»Immer wie bisher, und das kann nicht anders sein bei diesem Lärm«, erwiderte das Fräulein, indem sie die Fürstin wie eine Fremde musterte.

»Ach, ma chère, ich habe Sie kaum wiedererkannt!« rief diese mit glücklichem Lächeln und trat auf sie zu. »Ich bin soeben angekommen und sogleich herbeigeeilt, um Ihnen in der Pflege meines Onkels beizustehen! Wieviel haben Sie durchgemacht!« fügte sie hinzu, indem sie die Augen zum Himmel aufschlug.

Die junge Fürstin wandte sich auf den Absätzen um und verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu sagen.

Die Fürstin Drubezkoi nahm die Handschuhe ab und richtete sich in einem Lehnstuhl ein wie in einem erstürmten Festungswerk. Dann forderte sie den Fürsten auf, neben ihr Platz zu nehmen.

»Boris, ich werde zum Grafen, zu meinem Onkel, gehen und du könntest inzwischen Peter besuchen. Bringe ihm die Einladung Rostows zum Diner! Ich glaube, er wird nicht kommen«, bemerkte sie zum Fürsten Wassil.

»Warum nicht?« erwiderte dieser sichtlich verdrießlich. »Es wäre mir sehr angenehm, wenn Sie mich von diesem jungen Mann befreien würden; er hat sich hier niedergelassen, und der Graf hat nicht ein einziges Mal nach ihm gefragt.«

Er zuckte mit den Achseln und klingelte. Ein Diener erschien und wurde beauftragt, Boris zu Peter zu führen.

24

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Zur bestimmten Stunde erschien der Fürst gepudert und rasiert im Speisesaal, wo ihn seine Schwiegertochter, Fürstin Marie und Fräulein Bourienne erwarteten, sowie der Architekt des Fürsten, der nach alter Gewohnheit zu Tische zugelassen wurde. Der Fürst beobachtete sonst streng die Standesunterschiede und ließ selbst höhere Beamte nur selten zur Tafel zu, aber nun bewies er mit diesem Architekten, Michail Iwanowitsch, daß alle Menschen gleich seien, und bei Tische wandte er sich sogar sehr oft an ihn.

In dem großen, viereckigen Speisesaal warteten die Diener, welche hinter jedem Stuhl standen. Der Haushofmeister mit einer Serviette in der Hand überblickte die Tafel, winkte den Dienern und blickte beständig nach der Wanduhr und nach der Tür, durch welche der Fürst erscheinen sollte. Fürst Andree betrachtete den ihm noch neuen Stammbaum der Fürsten Bolkonsky, welcher in einem mächtigen Goldrahmen an der Wand hing, gegenüber einem ebensolchen Rahmen mit dem schlecht gemalten Bild eines regierenden Fürsten mit der Krone, welcher von Rurik abstammen und der Stammvater der Fürsten Bolkonsky sein sollte.

»Jeder hat seine Achillesferse«, bemerkte Fürst Andree. »Mit seinem umfassenden Verstand sich mit solchen Nichtigkeiten abzugeben!«

In diesem Augenblick schlug die große Uhr zwei. Der Fürst trat rasch und rüstig ein, wie er immer ging, musterte alle mit seinen glänzenden, strengen Augen und ließ seine Blicke auf der jungen Fürstin ruhen. Sie empfand ein Gefühl der Ehrfurcht, wie Höflinge beim Eintritt des Kaisers. Mit einer unsicheren Bewegung klopfte er der jungen Fürstin auf das Genick.

»Ich freue mich, ich freue mich«, sagte er und blickte ihr durchdringend in die Augen. Dann trat er rasch zur Seite und setzte sich auf seinen Platz. »Setzt euch! Setzt euch!« Er wies der Schwiegertochter den Platz neben sich an. Ein Diener rückte einen Stuhl für sie herbei.

»Hoho«, sagte der Alte, indem er ihre umfangreiche Taille betrachtete, »sie hat sich beeilt! Schlimm!« Er ließ ein trockenes, kaltes, unangenehmes Lachen hören, wie er immer lachte. »Spazierengehen! Viel gehen! So viel als möglich«, sagte er.

Die junge Fürstin hörte diese Worte nicht oder wollte sie nicht hören. Sie schwieg und schien verletzt zu sein. Der Fürst fragte sie nach ihrem Vater, und nun begann die Fürstin lachend zu reden. Er fragte sie auch nach gemeinschaftlichen Bekannten, und die Fürstin wurde noch lebhafter, überbrachte dem Fürsten Grüße und teilte ihm Stadtgespräche mit.

»Die arme Gräfin Apraxin hat ihren Mann verloren, sie hat sich die Augen ausgeweint, die Arme!« Je lebhafter die junge Frau wurde, desto strenger betrachtete sie der Alte, und plötzlich wandte er sich von ihr ab, als ob er sie jetzt hinlänglich erforscht und sich eine klare Meinung gebildet habe.

»Was meinen Sie, Michail Iwanowitsch«, sagte er zu dem Architekten, »unserm Bonaparte wird’s schlimm gehen! Fürst Andree hat mir erzählt, was für ungeheure Streitkräfte gegen ihn aufgeboten werden, und wir hielten ihn immer für einen Windbeutel.«

Der Architekt konnte sich nicht erinnern, mit dem Alten über Bonaparte gesprochen zu haben, aber er begriff, daß er nur als Übergangspunkt zu dem Lieblingsgespräch des Fürsten dienen sollte.

»Er ist ein großer Taktiker«, sagte der Fürst zu seinem Sohne, auf den Architekten deutend, und dann ging das Gespräch wieder auf Bonaparte und die jetzigen Generale und Staatsmänner über. Der alte Fürst schien überzeugt zu sein, daß alle die jetzigen Leute an der Spitze dumme Jungen seien, welche von Krieg und Politik keine Ahnung haben, und daß Bonaparte ein windiges Französchen sei, der nur deshalb Erfolg hatte, weil man ihm keinen Patjomkin oder Suwówrow entgegenzustellen hatte. Er war sogar überzeugt, daß es gar keine politischen Schwierigkeiten in Europa, auch keinen Krieg gebe, daß das alles nur eine lächerliche Komödie sei, welche die jetzigen Leute an der Spitze spielen, um sich wichtig zu machen.

Fürst Andree hörte vergnügt den Spott des Alten über die neuen Leute an, es machte ihm offenbar Spaß, seinen Vater noch mehr herauszufordern.

»Alles scheint gut, was früher war«, sagte er, »aber ist dieser Suwórow nicht in die Falle gegangen, die ihm Moreau gestellt hat?«

»Wer hat das gesagt?« schrie der Alte. »Suwórow!« – Er stieß den Teller zurück. »Bedenke doch, Fürst Andree, es gibt nur zwei – Friedrich und Suwórow! Dieser Moreau da wäre längst gefangen, wenn Suwórow die Hände frei gehabt hätte. Aber da saß ihm dieser Hofkriegs-wurstschnaps-rat auf dem Hals. Er wurde seines Lebens nicht froh mit diesem Hofkriegswurstrat. Suwòrow konnte nicht mit ihnen auskommen. Wie wird es nun Kutusow verstehen? Nein, Freundchen, mit euren Generalen ist gegen Bonaparte nichts auszurichten, dazu muß man Franzosen haben. Den Deutschen, Pahlen, hat man nach New York in Amerika geschickt nach dem Franzosen Moreau, er soll in den russischen Dienst treten. Prachtvoll! Sind Patjomkin und Suwòrow und Orlow etwa Deutsche gewesen? Nein, Freundchen, entweder seid ihr alle verrückt oder ich.«

»Ich will nicht behaupten, daß alle Anordnungen gut seien«, erwiderte Fürst Andree, »aber ich begreife nicht, wie Sie so über Bonaparte urteilen können, er ist jedenfalls ein großer Heerführer.«

»Oho, Bonaparte ist im Hemd geboren worden, seine Soldaten sind vortrefflich. Zuerst ist er über die Deutschen hergefallen und hat sie übel zugerichtet. Seit die Welt steht, sind die Deutschen immer geschlagen worden, und sie haben niemand geschlagen, nur immer einander zerzaust. An ihnen hat er seinen Ruhm gewonnen.«

Dann erklärte der Fürst alle Fehler, welche nach seiner Ansicht Bonaparte in allen seinen Kriegen gemacht habe. Fürst Andree erwiderte nichts darauf und wunderte sich nur, wie dieser alte Mann, der seit vielen Jahren in der Einsamkeit gelebt hatte, mit solcher Genauigkeit alle kriegerischen und politischen Ereignisse Europas kannte und beurteilte.

»Du glaubst, ich verstehe nichts davon, weil ich alt bin«, schloß er. »Nun, wo hat er sich denn ausgezeichnet, dein großer Heerführer?«

»Das wäre zu viel, hier aufzuzählen«, erwiderte der Sohn.

»Geh mir mit deinem Bonaparte! Fräulein Bourienne, da ist noch ein Verehrer Ihres lumpigen Kaisers!« rief er in vortrefflichem Französisch.

»Sie wissen, Fürst, daß ich keine Bonapartistin bin.«

»Gott weiß, wann er wiederkehrt«, sang der alte Fürst wieder in falschem Ton und verließ den Speisesaal. Die kleine Fürstin hatte schweigend und erschreckt bald Marie, bald den alten Fürsten angesehen. Beim Verlassen der Tafel ergriff sie Marie am Arme und führte sie in das andere Zimmer. »Was für ein kluger Mann Ihr Väterchen ist«, sagte sie, »vielleicht deswegen gerade fürchte ich ihn.«

»Ach, er ist so gut«, erwiderte Marie.

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Fürst Andree wohnte in Brünn bei dem russischen Diplomaten Bilibin, mit dem er befreundet war. Am andern Morgen erwachte er spät und rief sich die Eindrücke der Vergangenheit zurück. Er erinnerte sich vor allem, daß er sich heute dem Kaiser Franz vorstellen sollte, dann dachte er an den Kriegsminister und den höflichen, österreichischen Flügeladjutanten. Nachdem er sich zur Audienz seine Paradeuniform angelegt hatte, die er schon seit langer Zeit nicht mehr getragen hatte, begab er sich frisch und heiter mit verbundenem Arm in das Kabinett Bilibins. Dort befanden sich vier Herren vom diplomatischen Korps mit dem Fürsten Hippolyt Kuragin, welcher Gesandtschaftssekretär geworden war. Diesen kannte Bolkonsky bereits, mit den anderen machte ihn Bilibin bekannt.

Diese Herren waren junge, reiche Lebemänner, welche sowohl hier wie in Wien einen besonderen Kreis bildeten, dessen Haupt Bilibin war. In diesen Kreis wurde Fürst Andree gern aufgenommen. Man erkundigte sich nach den Ereignissen bei der Armee, nach den Gefechten, bald aber verbreitete sich das Gespräch über Tagesneuigkeiten, welche mit Krieg und Politik nichts zu scharfen hatten, und zerfloß in leichtfertige Scherze. Am lautesten lachte Hippolyt.

»Meine Herren«, sagte Bilibin, »Bolkonsky ist mein Gast, und ich möchte ihn gern mit allen Freuden des hiesigen Lebens bekannt machen. Sie übernehmen das Theater, ich die Gesellschaft und Sie, Hippolyt, natürlich die Damen.«

»Man muß ihm Amélie zeigen, entzückend!« bemerkte einer der Herren, indem er seine Fingerspitzen küßte.

»Man muß überhaupt diesen blutdürstigen Krieger zu menschlichen Gefühlen bekehren«, bemerkte Bilibin. Bald verabschiedete sich Fürst Andree, um sich an den Hof zu begeben.

»Auf Wiedersehen, Bolkonsky! Auf Wiedersehen, Fürst!« riefen die Anwesenden. »Kommen Sie frühzeitig zu Mittag! Wir stellen uns Ihnen zur Verfügung.«

»Wenn Sie mit dem Kaiser sprechen«, bemerkte Bilibin, indem er Bolkonsky begleitete, »rühmen Sie so viel als möglich die Ordnung in der Lieferung des Proviants.«

»Das möchte ich gern tun, aber meines Wissens ist es unmöglich«, erwiderte Bolkonsky lächelnd.

»Nun, überhaupt sprechen Sie so viel als möglich. Seine Leidenschaft sind Audienzen, selbst aber liebt er nicht zu sprechen und versteht es auch nicht, wie Sie sehen werden.«

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Die Infanterie, welche im Walde überrascht worden war, lief in ungeordneten Haufen zurück. Als der Regimentskommandeur die Schüsse und das Geschrei hinter sich vernommen hatte, begriff er, daß etwas Schreckliches vorgefallen war, und er ritt durch den Kugelregen über das Feld nach dem Wald, in welchen sein Regiment geflohen war. Aber ungeachtet des verzweifelten Geschreis des früher so gefürchteten Regimentskommandeurs flohen die Soldaten immer weiter, schossen in die Luft und hörten nicht mehr auf das Kommando.

Alles schien verloren, aber in diesem Augenblick hielten die Franzosen plötzlich ohne sichtliche Veranlassung an und flohen zurück. Im Walde aber erschienen russische Schützen, das war die Kompanie Timochins, welche allein ihre Ordnung bewahrt hatte und plötzlich die Franzosen angriff. Timochin stürzte mit einem so verzweifelten Geschrei und einer so wahnsinnigen Entschlossenheit auf die Franzosen, daß sie ihre Gewehre wegwarfen und in wilder Flucht zurückgingen. Inzwischen sammelten sich Teile des Regiments, und die Flüchtlinge kehrten zurück. Der Regimentskommandeur stand an der Brücke, als ein Soldat vorüberging und seine Steigbügel ergriff. Er trug einen blauen Mantel von ziemlich feinem Tuch, Tornister und Tschako fehlten. Sein Kopf war verbunden und über der Schulter hing eine französische Patronentasche, in der Hand hielt er einen Offiziersdegen.

»Exzellenz, hier sind zwei Trophäen«, sagte Dolochow, indem er den Degen und die Patronentasche vorwies, »ich habe einen Offizier gefangengenommen, ich habe die Kompanie zusammengehalten. Ich bitte, erinnern Sie sich dessen, Exzellenz! Die ganze Kompanie kann es bezeugen.«

»Gut, gut«, sagte der Regimentskommandeur und wandte sich an den neben ihm stehenden Major. Aber Dolochow ging nicht, er band das Tuch los, nahm es ab und zeigte das Blut, das in seinen Haaren zusammengebacken war. »Eine Bajonettwunde, ich bin in der Front geblieben, erinnern Sie sich, Exzellenz!«

Die Batterie Tuschins wurde vergessen, und erst am Ende des Gefechts, als Fürst Bagration die fortdauernde Kanonade im Zentrum hörte, sandte er einen Adjutanten dorthin und dann auch Fürst Andree, um den Befehl zum sofortigen Rückzug zu überbringen. Die Batterie stand lange Zeit im feindlichen Geschützfeuer, es war ihr gelungen, Schöngraben in Brand zu schießen und dem Feind großen Schaden zuzufügen. Mehrmals waren sogar Angriffe von französischer Infanterie mit Kartätschen zurückgeworfen worden, obgleich die Batterie schon lange keine Bedeckung mehr hatte. Inmitten des betäubenden Donners der eigenen Geschütze, des Einschlagens und Krachens der feindlichen Geschosse vernahm er plötzlich: »Kapitän Tuschin! Kapitän Tuschin!« Erstaunt sah sich Tuschin um und erblickte denselben Generalstabsoffizier, der ihn aus der Marketenderhütte fortgejagt hatte.

»Sind Sie toll geworden. Schon zweimal hat man Ihnen befohlen, sich zurückzuziehen!«

»Ich… weiß nicht…« erwiderte Tuschin verwirrt, mit der Hand am Schirm.

Der Generalstabsoffizier konnte nicht zu Ende sprechen. Eine Kanonenkugel flog vorüber, er bückte sich aufs Pferd herab und verstummte, und als er noch etwas sagen wollte, unterbrach ihn eine andere Kanonenkugel. Sofort wandte er sein Pferd und ritt davon.

»Zurück! Alle zurück!« schrie er nun von fern.

Die Soldaten lachten. Im nächsten Augenblick kam ein Adjutant und brachte denselben Befehl.

Das war Fürst Andree. Eine Kugel nach der anderen flog über ihn weg, als er die Batterie erreichte, und er fühlte, wie ein nervöses Zittern über seinen Rücken lief. Aber ein Gedanke hielt ihn aufrecht. »Ich darf mich nicht fürchten«, dachte er, stieg langsam ab, überbrachte den Befehl und ritt nicht wieder fort von der Batterie. Er wollte abwarten, bis die Geschütze abgefahren seien. Zwei derselben waren beschädigt und mußten zurückgelassen werden.

»Auf Wiedersehen!« sagte Fürst Andree, indem er Tuschin die Hand entgegenstreckte.

»Auf Wiedersehen!« erwiderte Tuschin.

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Am 18. und 19. November herrschte in den höchsten Sphären des Heeres eine aufgeregte Geschäftigkeit, welche bis zum Morgen des folgenden Tages, des 20. November, dauerte, an welchem die denkwürdige Schlacht von Austerlitz geschlagen wurde. Wie in einem Uhrwerk das Resultat der gleichzeitigen Bewegung zahlreicher verschiedener Räder nur die langsame, gemessene Fortbewegung der Zeiger ist, so war auch das Resultat aller der komplizierten Bewegungen beider feindlichen Armeen, das Resultat aller leidenschaftlichen Wünsche, Leiden, aller Ausbrüche des Schreckens, des Stolzes, des Entzückens dieser Menschen nur der Verlust der sogenannten Dreikaiserschlacht von Austerlitz, das heißt die langsame Weiterbewegung der weltgeschichtlichen Zeiger auf dem Zifferblatt der Geschichte der Menschheit.

Fürst Andree war an diesen Tage Adjutant vom Tag und beständig beim Oberkommandierenden. Um sechs Uhr abends fuhr Kutusow in das Hauptquartier der Kaiser und ging nach kurzem Gespräch mit Kaiser Alexander zum Oberhofmarschall Grafen Tolstoi. Bolkonsky benutzte diese Zeit, um den General Fürsten Dolgorukow zu besuchen.

»Guten Tag, mein Lieber«, sagte Dolgorukow, der mit Bilibin beim Tee saß, »morgen gibt’s einen Festtag! Wie geht’s Ihrem Alten? Schlecht bei Laune?«

»Nicht gerade bei schlechter Laune, aber er wünscht, daß man auf ihn hört.«

»Man hat ihn ja gehört im Kriegsrat und wird ihn auch ferner anhören, wenn er vernünftig spricht, aber immer zögern und warten, das ist nicht möglich.«

»Nun, Sie haben Bonaparte gesehen«, sagte Fürst Andree, »welchen Eindruck machte er auf Sie?«

»Ja, ich habe ihn gesehen und mich überzeugt, daß er nichts so sehr fürchtet als eine Hauptschlacht«, sagte Dolgorukow, augenscheinlich geschmeichelt durch die allgemeine Neugierde nach seiner Sendung ins französische Lager. »Wenn er sich nicht vor der Schlacht fürchtete«, wiederholte er, »warum hätte er dann eine Begegnung mit dem Kaiser gewünscht, um Verhandlungen anzuknüpfen, und warum wäre er dann zurückgegangen? Glauben Sie mir, er fürchtet sich, sage ich Ihnen!«

»Nun aber erzählen Sie, wie ist er?« fragte Fürst Andree.

»Er ist ein kleiner Mann in einem grauen Mantel, welcher es sehr gern hört, wenn man ihn Majestät nennt. Aber zu seinem Verdruß habe ich ihn mit gar keinem Titel angeredet, er ist ein Mensch, weiter nichts! Bei all meiner Verehrung für den alten Kutusow würde ich es doch für erbärmlich halten, wenn wir durch unser immerwährendes Warten Bonaparte Gelegenheit geben würden, zu entkommen, während wir ihn jetzt wirklich in unseren Händen haben. Nein, man darf Suwórow und seinen Grundsatz nicht vergessen, niemals der Angegriffene zu sein, sondern selbst anzugreifen.«

»Aber in welcher Position greifen wir ihn an? Ich war heute bei dem Vorposten und konnte nicht herausfinden, wo eigentlich seine Hauptmacht steht«, sagte Fürst Andree. Er wünschte sehr, Dolgorukow den von ihm selbst entworfenen Angriffsplan mitzuteilen.

»Ach, das ist ganz gleichgültig«, erwiderte rasch Dolgorukow, indem er eine Karte auf dem Tisch ausbreitete, »alle Möglichkeiten sind vorgesehen. Wenn er bei Brünn steht …«

Dolgorukow erklärte hastig und undeutlich den Plan der Flankenbewegung Weyrothers.

Fürst Andree machte Einwendungen und begann seinen Plan zu entwickeln, aber Dolgorukow hörte nur sehr zerstreut zu.

»Heute findet bei Kutusow ein Kriegsrat statt«, erwiderte er ihm, »dort können Sie das alles vortragen.«

»Das werde ich auch tun«, bemerkte Fürst Andree.

»Um was sorgen Sie, meine Herren?« sagte Bilibin spöttisch. »Ob der nächste Tag Sieg oder Niederlage bringt, der Ruhm der russischen Waffen ist gesichert. Außer eurem Kutusow ist nicht ein einziger Heerführer da. Unsere Generale sind General Wimpffen, Graf Langeron, Fürst Lichtenstein, Hohenlohe und noch Prischprschiprsch, wie alle diese polnischen Namen heißen.«

»Schweigen Sie, böse Zunge!« erwiderte Dolgorukow. »Es ist nicht wahr, wir haben jetzt noch zwei Russen, Miloradowitsch und Dochturow und wir hätten auch noch einen dritten, Graf Araktschejew, aber der hat schwache Nerven.«

Nach Hause zurückgekehrt, konnte Fürst Andree sich nicht enthalten, den schweigsamen Kutusow, der neben ihm saß, zu fragen, was er von der morgigen Schlacht denke.

Kutusow blickte streng seinen Adjutanten an. »Ich glaube, die Schlacht wird verloren werden«, antwortete er, »und ich habe den Grafen Tolstoi gebeten, dem Kaiser dies mitzuteilen. Was denkst du, was er mir geantwortet hat? ›Ach, lieber General, ich habe für Reis und Koteletten zu sorgen und Sie für das Kriegswesen.‹ Das gab er mir zur Antwort.«

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Auf derselben Stelle, auf den Höhen von Pratzen, wo er mit der Fahne in der Hand gefallen war, lag Fürst Andree leise stöhnend. Gegen Abend wurde er ganz still. Er wußte nicht, wie lange die Ohnmacht gedauert hatte, plötzlich aber fühlte er sich wieder lebendig und empfand einen brennenden Schmerz im Kopfe.

»Wo ist er? Wo ist er, dieser hohe Himmel, welchen ich bisher nicht gekannt habe und erst jetzt erblickte?« war sein erster Gedanke. »Aber wo bin ich?«

Er horchte und vernahm näherkommende Hufschläge und französische Worte. Er öffnete die Augen, konnte aber die Reiter noch nicht sehen.

Es war Napoleon mit zwei Adjutanten. Er besichtigte das Schlachtfeld und gab die letzten Befehle zur Verstärkung der Batterie, welche den Damm beschoß.

»Ein schöner Tod!« sagte Napoleon, als er Bolkonsky erblickte.

Fürst Andree begriff, daß von ihm die Rede sei, und hörte, daß man denjenigen; der diese Worte gesprochen hatte, Majestät nannte. Aber er interessierte sich nicht mehr dafür. Sein Kopf glühte, er fühlte, daß er stark blutete und sah über sich den hohen, fernen Himmel. Alles war ihm gleichgültig, wer auch vor ihm stehen mochte.

»Ah, er lebt noch«, sagte Napoleon, als er eine leise Bewegung des Fürsten Andree wahrnahm. »Man soll den jungen Menschen aufheben und zum Verbandplatz bringen!«

Nach diesen Worten ritt Napoleon dem Marschall Lannes entgegen, welcher den Hut abnahm und dem Kaiser zum Siege Glück wünschte.

Fürst Andree wurde fortgebracht. Bei jeder Erschütterung empfand er einen unerträglichen Schmerz. Sein Fieber verstärkte sich und er begann zu rasen. Gegen Abend flossen alle seine wirren Traumbilder in ein Chaos zusammen und verloren sich endlich in das Dunkel der Besinnungslosigkeit und des Vergessens, welches nach der Meinung des Leibarztes von Napoleon, Doktor Larray, aller Wahrscheinlichkeit nach zum Tode führen müsse.

»Dieser da ist nervös und gallig«, sagte Larray, »er wird nicht genesen.«

Fürst Andree wurde mit anderen hoffnungslos Verwundeten der Pflege der Einwohner überlassen.

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In jedem Lächeln, in jeder Bemerkung, sogar in jeder Bewegung lag ein Anflug von Trauer, die sich auf dieses Haus herabgesenkt hatte. Auch das Lächeln der kleinen Fürstin, welche sich der allgemeinen Stimmung anpaßte, obgleich sie deren Veranlassung nicht kannte, erinnerte jetzt an die allgemeine Trauer.

»Meine Liebe, ich fürchte, von dem heutigen Frühstück wird mir übel werden«, sagte sie zu Marie.

»Was ist dir? Du bist bleich geworden, meine Liebe, sehr bleich!« sagte Marie erschreckt.

»Soll man nicht zu Maria Bogdanowna senden?« sagte eine der Kammerzofen. Maria Bogdanowna war die Wartefrau aus der Kreisstadt, welche schon seit zwei Wochen in Lysy Gory wohnte.

»Ja, wirklich«, bestätigte Marie, »ich werde zu ihr gehen.«

»Ach, nein, nein!« rief die Fürstin, und auf ihrem Gesicht erschien kindliche Angst vor unvermeidlichem physischen Leiden. »Nein, ich habe mir nur den Magen verdorben. Wirklich, Mascha!«

Maria eilte in das Zimmer der Wartefrau. Diese kam ihr schon mit verständnisvoller, ruhiger Miene entgegen, indem sie die kleinen, vollen, weißen Hände rieb.

»Maria Bogdanowna, es scheint, es fängt an!« sagte Marie erschrocken.

»Nun, Gott sei Dank, Fürstin!« erwiderte sie, ohne sich zu übereilen.

»Aber warum ist der Arzt aus Moskau noch nicht gekommen?«

»Schadet nichts. Beruhigen Sie sich!« sagte Maria Bogdanowna. »Es wird auch ohne den Doktor alles gut werden.«

Marie saß allein in ihrem Zimmer und horchte auf jedes Geräusch. Zuweilen, wenn jemand vorüberging, öffnete sie die Tür. Bald hörte sie, wie etwas Schweres vorübergetragen wurde und blickte hinaus. Zwei Diener trugen einen ledernen Diwan, der im Kabinett des Fürsten Andree gestanden hatte, ins Schlafzimmer. Auf ihren Mienen lag feierliche Ruhe. Sie wagte nicht zu fragen, verschloß die Tür und betete. Nach dem allgemeinen Glauben, je weniger Leute von den Leiden einer Gebärenden wissen, um so leichter werden diese Leiden sein, bemühten sich alle, unbefangen auszusehen.

Im großen Mädchenzimmer herrschte Stille; im Dienerzimmer saßen alle schweigend und erwartend da. Der alte Fürst ging in seinem Kabinett auf und ab und sandte Tichon zu Maria Bogdanowna.

»Sage nur, der Fürst hat befohlen, zu fragen: – was? Und dann sage mir, was sie geantwortet hat.«

»Melde dem Fürsten, die Geburt habe begonnen«, sagte Maria Bogdanowna. Tichon ging und meldete es dem Fürsten.

»Gut«, sagte der Fürst und schloß die Tür hinter sich. Tichon hörte nicht das geringste Geräusch mehr im Kabinett. Er wartete einige Zeit, dann trat er ein, als ob er Kerzen anstecken wollte. Der Fürst lag ruhig auf dem Diwan. Tichon sah ihn an, wiegte den Kopf, trat schweigend näher und küßte den Fürsten auf die Schulter. Dann ging er, ohne die Kerzen angezündet zu haben und ohne zu sagen, warum er gekommen war. Das erhabenste Geheimnis der Welt nahm seinen Verlauf. Der Abend verging, die Nacht brach an, und das Gefühl der gespannten Erwartung vor dem unerreichbar Erhabenen wuchs beständig. Niemand schlief.

Es war eine jener stürmischen Märznächte, wo der Winter mit verzweifelter Wut um seine entschwindende Herrschaft zu kämpfen scheint. Auf die Landstraße waren Reiter mit Laternen ausgesandt worden, um den Doktor aus Moskau zu erwarten.

»Gott ist gnädig«, sagte die alte Amme Maries, welche mit einem Strickstrumpf bei der Tür saß, »es wird kein Doktor nötig sein.« Plötzlich riß ein Windstoß einen Fensterflügel auf, die Gardinen blähten sich auf und ein Strom von Kälte und Schnee stürmte ins Zimmer und löschte das Licht aus. Fürstin Marie fuhr auf, die Amme eilte ans Fenster, um es zu schließen.

»Mütterchen, da kommt jemand die Allee herauf«, sagte sie, »mit Laternen. Das muß der Doktor sein.«

»Ach, Gott sei Dank!« sagte Marie. »Ich muß ihm entgegengehen; er versteht nicht Russisch.« Marie warf einen Schal um und eilte hinaus. Im Vorzimmer sah sie durch das Fenster, daß ein Wagen vor der Hauptpforte stand. Sie ging auf die Treppe hinaus, auf dem Geländer standen Talgkerzen, welche im Wind flackernd zerschmolzen. Philipp, der Diener, stand mit ängstlichem Gesicht unten auf dem ersten Absatz der Treppe. Noch weiter unten hörte sie Schritte großer Pelzstiefel auf der Treppe und eine ihr bekannte Stimme sprach einige Worte.

»Gott sei Dank!« sagte die Stimme. »Und Batuschka?«

»Haben sich schlafen gelegt«, erwiderte der Haushofmeister Demjan.

Dann fragte die Stimme noch einiges, was Demjan beantwortete. Die Schritte der Pelzstiefel näherten sich schneller der noch unsichtbaren Wendung der Treppe.

»Ist das Andree?« dachte Marie. »Nein, das kann nicht sein, es wäre zu außerordentlich!« dachte sie.

In demselben Augenblick erschien auf dem Treppenabsatz, wo der Diener mit der Kerze stand, das Gesicht und die Gestalt des Fürsten Andree im Pelz, ganz mit Schnee bedeckt. Ja, das war er! Aber bleich und hager, mit veränderter, seltsam milder, aber sorgenvoller Miene. Er kam die Treppe herauf und umarmte die Schwester.

»Habt ihr meinen Brief nicht erhalten?« fragte er, und ohne eine Antwort abzuwarten, die er auch nicht erhalten hätte, weil die Fürstin nicht sprechen konnte, wandte er sich nach dem Doktor um, der ihm folgte, und ging mit raschen Schritten weiter die Treppe hinauf und wieder umarmte er die Schwester.

»Mascha! Meine Liebe!« rief er, warf den Pelz ab und ging nach dem Zimmer der Fürstin Lisa.

75

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»Ich habe das Vergnügen, mit dem Grafen Besuchow zu sprechen, wenn ich nicht irre«, begann der Fremde. Peter blickte ihn fragend an. »Ich habe von Ihnen gehört«, fuhr der Fremde fort, »und von dem Unglück, das Sie betroffen hat.«

Peter errötete, nahm hastig die Füße vom Bett herab und lächelte gezwungen.

»Ich habe das nicht aus Neugierde erwähnt, mein Herr, sondern aus wichtigeren Gründen. Sie sind unglücklich, mein Herr! Sie sind jung und ich alt, und deshalb wünsche ich, nach meinen Kräften Ihnen zu helfen.«

»Ach, ich bin Ihnen sehr dankbar! Wohin reisen Sie?«

Das Gesicht des Fremden war unfreundlich, sogar kalt und streng, aber seine Redeweise und seine Miene hatten etwas Einnehmendes für Peter. »Sie sind wohl Freimaurer?« fuhr Peter fort, als er den Ring mit dem Adamskopf an der Hand des Fremden bemerkte.

»Ja, ich gehöre zu der Brüderschaft der Freimaurer«, erwiderte der Fremde, »und im Namen derselben wie in meinem eigenen Namen biete ich Ihnen die brüderliche Hand.«

»Ich fürchte, daß meine Vorstellung vom ganzen Weltgebäude der Ihrigen so sehr widerspricht, daß wir uns nicht vereinigen können.«

»Ich habe nie behauptet, daß ich die Wahrheit kenne«, erwiderte der Freimaurer. »Niemand kann allein zur Wahrheit gelangen, nur Stein auf Stein wird durch die Teilnahme aller von Millionen Generationen seit dem Vorvater Adam bis auf unsere Zeit jener Tempel errichtet, welcher zur Wohnung des großen Gottes würdig erscheint.«

»Ich muß Ihnen sagen, ich glaube nicht… an Gott«, wandte Peter ein. Der Fremde sah Peter durchdringend an und lächelte. »Sie kennen ihn nicht, mein Herr«, erwiderte er, »Sie können ihn nicht kennen, und darum sind Sie unglücklich.«

»Ja, ich bin unglücklich«, bestätigte Peter, »aber was soll ich tun?«

»Sie kennen ihn nicht, er ist aber hier, in mir, in meinen Worten, in dir und selbst in deinen gotteslästerlichen Reden«, sagte der Greis mit ernster, zitternder Stimme. »Wer hätte ihn erkennen können, wenn er nicht wäre? Woher entstand in Ihnen die Vermutung, daß es ein solches unbegreifliches Wesen gebe? Warum vermutest du und die ganze Welt das Dasein eines so unerreichbaren, allmächtigen, ewigen und unendlichen Wesens?«

Er schwieg lange Zeit. Peter wollte dieses Schweigen nicht unterbrechen. Mit Schrecken fühlte er, wie sich in seinem Innern Zweifel regten. Er erkannte die Unklarheit und Schwachheit der Gründe des Freimaurers und fürchtete, ihnen nicht glauben zu können. »Ich begreife nicht«, sagte er, »warum der menschliche Geist nicht zu solchem Wissen gelangen könnte, von dem Sie sprechen?«

Der Freimaurer lächelte. »Die große Weisheit und Wahrheit ist wie der reinste Quell. Können wir in einem unreinen Gefäß dieses reine Quellwasser schöpfen, um seine Reinheit zu beurteilen? Man kann den innerlichen Menschen reinigen und erneuern, und darum muß man erst glauben und sich vervollkommnen, um zum Wissen zu gelangen, und zu diesem Zweck lebt in unserer Seele ein göttliches Licht, das wir Gewissen nennen.«

»Ja, ja«, bestätigte Peter.

»Betrachte mit geistigem Auge deinen inneren Menschen und frage dich selbst: Bist du zufrieden mit dir? Was hast du erreicht, indem du nur dem Verstand folgtest? Wer bist du? Sie sind jung, reich, gebildet, mein Herr, was haben Sie aus all diesen Vorzügen, die Ihnen verliehen worden, gemacht? Sind Sie zufrieden mit sich und Ihrem Leben?«

»Nein, ich verabscheue mein Leben«, sagte Peter düster.

»Wenn du es verabscheust, dann ändere es! Reinige dich, und je weiter die Reinigung vorschreitet, desto mehr wirst du die Weisheit erkennen! Sehen Sie Ihr Leben an, mein Herr, wie haben Sie es verbracht? In stürmischen Orgien. Sie haben alles von der Menschheit erhalten und ihr nichts geliefert. Was haben Sie denn für Ihre Nächsten getan? Haben Sie an die Zehntausende Ihrer Leibeigenen gedacht? Haben Sie ihnen ehrlich geholfen? Sie haben Reichtum erhalten, wie haben Sie ihn genutzt? Sie haben Ihr Leben in Müßiggang verbracht, haben geheiratet, mein Herr. Sie haben die Verantwortlichkeit auf sich genommen, ein junges Weib zu leiten, und was haben Sie getan? Sie haben ihr nicht geholfen, mein Herr, den Weg der Wahrheit aufzufinden, sondern sie in den Strudel der Lüge und des Unglücks hineingestoßen. Ein Mensch hat Sie beleidigt, und Sie haben ihn getötet, und Sie sagen, Sie kennen nicht Gott und verabscheuen Ihr Leben! Darin ist kein Kern von Weisheit, mein Herr.«

Ermüdet vom langen Reden schloß der Alte die Augen. Peter sah in das strenge, unbewegliche, alte Gesicht und bewegte die Lippen. Er wollte sagen: »Ja, ein nichtswürdiges, müßiges, verworfenes Leben«, aber er wagte nicht, das Schweigen zu unterbrechen.

Der Diener erschien an der Tür.

»Sind die Pferde da?« fragte der Alte. »Dann lasse einspannen.«

»Wird er davonfahren und mich allein, ohne Hilfe, lassen?« dachte Peter. Er ging im Zimmer auf und ab und sah zuweilen den Alten an. »Ja, dieser Mensch kennt die Wahrheit, und wenn er wollte, so könnte er sie mir entdecken.« Dies wollte er dem Freimaurer sagen.

Der Fremde ordnete seine Sachen und legte den Mantel um. Dann wandte er sich an Besuchow und fragte in gleichgültig höflichem Tone: »Wohin werden Sie jetzt reisen?«

»Ich? Nach Petersburg«, erwiderte Peter. »Ich danke Ihnen, ich bin in allem mit Ihnen einverstanden, aber glauben Sie nicht, daß ich so dumm sei. Von ganzer Seele wünsche ich mein Leben zu ändern, aber niemals und nirgends habe ich Hilfe gefunden… Übrigens bin ich ganz und gar selbst schuld. Helfen Sie mir, belehren Sie mich, und vielleicht werde ich …« Peter konnte nicht weiter sprechen und wandte sich ab. Der Freimaurer dachte nach und schien etwas zu überlegen.

»Die Hilfe kommt von Gott«, sagte er, »aber die Unterstützung, welche unser Orden zu bieten vermag, wird er Ihnen gewähren, mein Herr. In Petersburg übergeben Sie dies dem Grafen Willarsky!« Er nahm eine Brieftasche heraus und schrieb einige Worte auf ein Blatt Papier. »Einen Rat erlauben Sie mir noch Ihnen zu geben. Wenn Sie in der Residenz angekommen sind, so widmen Sie die erste Zeit der Einsamkeit und Selbstbetrachtung und verfallen Sie nicht wieder in Ihre frühere Lebensweise. Ich wünsche Ihnen glückliche Reise, mein Herr«, sagte er, als er bemerkte, daß ein Diener ins Zimmer trat.

Der Fremde war Ossip Alexejewitsch Basdejew, wie Peter aus dem Fremdenbuch der Station erfuhr. Basdejew war einer der berühmtesten Freimaurer. Lange nach seiner Abreise ging Peter im Zimmer auf und ab, ohne nach Pferden zu fragen, überdachte seine lasterhafte Vergangenheit und stellte sich mit Entzücken seine vorwurfsfreie, tugendhafte Zukunft vor, die ihm so leicht erreichbar schien. Er glaubte nur deswegen lasterhaft gewesen zu sein, weil er zufällig vergessen hatte, wie schön es sei, tugendhaft zu sein. In seiner Seele war nicht eine Spur der früheren Zweifel zurückgeblieben. Er glaubte fest an die Möglichkeit einer Verbrüderung der Menschen zum Zwecke der gegenseitigen Unterstützung auf dem Wege der Tugend, und dies schien ihm das Ziel der Freimaurer zu sein.

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Im April wurde das Heer neu belebt durch die Nachricht von der Ankunft des Kaisers beim Heer. Rostow gelang es nicht, zu der Parade zu kommen, welche der Kaiser in Bartenstein abhielt, da die Husaren weit vor diesem Städtchen auf Vorposten standen.

Denissow und Rostow wohnten in einer von den Soldaten für sie ausgegrabenen Erdhütte. Rostow war auf Wache gewesen und kehrte um acht Uhr morgens nach einer durchwachten Nacht nach Hause zurück, wechselte seine vom Regen durchnäßte Kleidung, betete, trank Tee, wärmte sich und räumte seine Sachen in seinem Winkelchen auf. Dann legte er sich in Hemdsärmeln auf den Rücken, mit den Händen unter dem Kopf, dachte mit Behagen daran, daß er bald einen höheren Rang erhalten werde, und erwartete Denissow, der ausgegangen war.

Bald vernahm er die Stimme Denissows, welche mit Heftigkeit sprach. Rostow sah zum Fenster hinaus und erblickte den Wachtmeister Tontschejenko.

»Ich habe dir doch befohlen, du sollst sie nicht diese Wurzel fressen lassen!« schrie Denissow. »Und jetzt habe ich Lasartschuk auf dem Feld erwischt!«

»Ich habe es verboten, Euer Hochwohlgeboren, aber sie gehorchen nicht«, erwiderte der Wachtmeister.

Rostow legte sich behaglich wieder auf sein Bett. Draußen hörte er Denissow rufen: »Der zweite Zug satteln!«

Nach fünf Minuten kam Denissow in die Hütte, legte sich mit schmutzigen Stiefeln auf das Bett, rauchte zornig eine Pfeife, warf alle seine Sachen durcheinander, nahm Peitsche und Säbel und ging hinaus. Auf Rostows Frage: »Wohin?« gab er nur eine unverständliche Antwort. »Gott und der Kaiser mögen mich richten«, sagte Denissow, und Rostow hörte, wie einige Pferde draußen durch den Schlamm vorübergingen. Rostow kümmerte sich nicht darum, wohin Denissow ritt. Er schlief ein, und erst gegen Abend kam er wieder aus der Hütte hervor. Denissow war noch nicht zurückgekehrt. Rostow ging hinüber in die nächste Hütte, wo zwei Offiziere mit einem Junker Swaika spielten. Plötzlich erblickten sie einen herankommenden Wagenzug, dem etwa fünfzehn Husaren auf abgemagerten Pferden folgten.

»Seht doch, Denissow hat sich die Sache zu Herzen genommen«, sagte Rostow, »und hat Proviant angeschafft.«

»Wirklich!« riefen die Offiziere. »Wie werden sich die Soldaten freuen!«

Etwas hinter den Husaren ritt Denissow, begleitet von zwei Infanterieoffizieren, mit denen er sprach. Rostow ging ihm entgegen.

»Ich warne Sie, Rittmeister«, sagte der eine, ein kleinerer, schmächtiger, augenscheinlich zorniger Offizier.

»Ich habe Ihnen schon gesagt, ich gebe nichts heraus«, erwiderte Denissow.

»Dafür werden Sie zur Verantwortung gezogen werden, Rittmeister! Das ist Gewalttat! Den eigenen Kameraden den Proviant wegnehmen! Die unsrigen haben seit zwei Tagen nichts gegessen!«

»Und die meinigen haben seit zwei Wochen nichts gegessen«, erwiderte Denissow.

»Das ist Raub, mein Herr!« wiederholte der Infanterieoffizier mit lauter Stimme.

»Was wollen Sie eigentlich von mir?« schrie Denissow, plötzlich in Zorn geratend. »Ich werde es verantworten, nicht Sie! Hören Sie auf mit Ihrem Gefasel! Marsch!« schrie er den Offizier an.

»Gut«, rief der kleine Offizier, ohne sich einschüchtern zu lassen, »das ist Straßenraub! Und ich werde Ihnen …«