cover

Flugstein #2

Ein Mellovien-Abenteuer

 

 

von

Maren El Gammal

mit Illustrationen von Monika Klettner

 

 

 

 

 

 

Für Flora

 

 

 

Impressum

Cover: Monika Klettner – Maren El Gammal - Karsten Sturm

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-310-8

MOBI ISBN 978-3-95865-311-5

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Inhalt

8. Bruchlandung

9. Horch, was läuft im Wald umher

10. Bitte einen Pilz

11. Die Dampfende Hütte

12. Llunas Geheimnis

13. Auf nach Orla

14. Im Wandernebel von Gorgula

 

Image

8. Bruchlandung

Müder Flugstein!

 

Lluna und Flora segelten langsam tiefer. Je näher sie dem Boden kamen, umso deutlicher konnten sie Details der unter ihnen liegenden Wälder entdecken. Direkt vor ihnen tat sich eine Schneise zwischen den Bäumen auf, an deren Seiten unzählige weiß schimmernde Punkte den Boden erhellten.

„Was ist das?“, fragte Flora.

„Das Helle dort?“, fragte Lluna und deutete auf die schimmernden Stellen.

„Ja, genau!“

„Das sind Leuchtkopfkolonien.“

„Das sind was?“

„Leuchtköpfchen, die wachsen meist in großen Kolonien. Sie sehen aus wie Champignons, bloß mit einem blauen Stamm. Man kann sie sogar essen. Schmecken lecker! Aber Vorsicht, zu viele davon und du verlierst den Boden unter den Füßen!“

„Also Pilze, die leuchten?“, fragte Flora erstaunt.

„Ganz genau!“, meinte Lluna. „Übrigens, wenn du sie ganz vorsichtig mit einer Linksdrehung aus dem Boden ziehst, leuchten sie noch eine ganze Weile weiter!“

„Cool! – Und praktisch!“

Gerade als Flora fragen wollte, was das mit dem „Boden unter den Füßen verlieren“ auf sich hatte, sackte der Fledergleiter in die Tiefe. Flora erschrak.

„Was war das?“

„Oh je!“

„Was, oh je?“

„Der Flugstein ist müde!“, sagte Lluna und wieder sackten sie ein Stück tiefer.

„Tut mir leid, Flora, aber jetzt wird es ein wenig holprig!“

„Was meinst du mit ,ein wenig holprig‘?“, fragte Flora panisch.

„Ich rede von einer Notlandung! Halt dich gut fest!“

„Mache ich – wuaaaaahaaaahaaaaaa!“, und schon rasten sie dem Boden entgegen.

Lluna versuchte durch geschickte Flugmanöver, den Absturz zu verlangsamen. Dadurch gerieten sie ins Trudeln und segelten, immer noch rasend schnell, sich um die eigene Achse drehend, dem Erdboden entgegen.

„Aaaaachtung! Gleich schlagen wir auf!“

„Was heißt hier aufschlagen? Kannst du nicht bremsen?“

Flora riss die Augen auf und klammerte sich mit Armen und Beinen am Fledergleiter fest.

„Jetzt!“, schrie Lluna und schon streifte sie mit den Füßen die ersten Baumwipfel. Direkt vor ihnen tauchte der Stamm eines Baumriesen auf! Sie flogen geradewegs darauf zu.

„Bremsen!“, schrie Flora.

„Tu ich doch schon!“, schrie Lluna zurück.

Lluna drehte eine scharfe Kurve, wich dem Baumstamm in letzter Sekunde aus und streifte die nächsten Baumwipfel. Je tiefer sie kamen, umso heftiger peitschten die Äste auf sie ein.

„Ich versuche auf der Lichtung da drüben zu landen!“, schrie Lluna.

„O.k.haihaihai“, schrie Flora, die immer wieder von vorbeifliegenden Ästen getroffen wurde.

Plötzlich verlor sie den Halt. Ein dicker Ast streifte am Flügel entlang und wischte Flora aus ihrem Sitz.

Sie versuchte sich am nächsten Ast festzuhalten, verpasste ihn und stürzte ab. Blätter und aufgewirbelter Dreck flogen ihr ins Gesicht. Halb blind versuchte sie irgendwo Halt zu finden. Wahllos griff sie um sich. Ihre Hände rutschten an dünnen Zweigen entlang, die sofort brachen, während sie immer tiefer fiel. In letzter Sekunde ergriff sie mit ihrer Rechten einen stärkeren Ast und hielt sich mit aller Kraft daran fest.

Au, das tut jetzt bestimmt weh!, dachte Flora und schon wurde ihr Körper an den Stamm des Baumes geschleudert.

Sie machte sich auf schreckliche Schmerzen gefasst, doch zu ihrer eigenen Verwunderung schlug sie nicht dumpf auf, sondern prallte sanft wieder ab und schaukelte eine Weile an dem Ast hin und her. Vorsichtig fand sie mit einem ihrer Füße in einem Astloch des Gummibaumstamms Halt.

„Puhh, das ist ja noch mal gut gegangen“, sagte Flora und blickte nach unten. Bis zum Boden waren es noch fünfzehn Meter!

Flora versuchte zuallererst, auch für den anderen Fuß einen stabilen Standplatz in einer Astgabelung zu finden. Es war dunkel um sie herum, denn das Mondlicht wurde von den Blättern und Ästen über ihr verdeckt und nur das schwache Schimmern der Leuchtpilze drang bis in die Baumkrone zu ihr hinauf.

Sie sah sich um. Die Rinde des Baumes hatte ungewöhnlich viele Löcher. Sie waren etwa tellergroß und tief genug, dass ein Fuß bequem darin Platz fand. Flora kletterte wie auf einer Leiter tiefer. Meter für Meter arbeitete sie sich dem Boden entgegen. Wieder griff sie in ein Astloch.

„Autsch!“, schrie Flora und zog ihre Finger aus der Baumöffnung. Irgendetwas hatte sie in die Hand gestochen. Sie schob sich seitwärts am Stamm entlang und rutschte daran herunter, um in das Loch schauen zu können. Aus der Dunkelheit der kleinen Höhle starrten sie zwei Augen an.

Flora hatte in das Nest einer Eichhörnchenfamilie gegriffen. Und was man in Mellovien als Eichhörnchen bezeichnete, hatte kleine, nadelspitze Hörnchen. Später dachte Flora, dass dies eigentlich auch recht vernünftig war, denn ein so possierliches Tierchen mit einem so schönen kuscheligen Schweif sollte doch wenigstens irgendeine Waffe zur Verteidigung haben.

Sonst unterschied sich das Eichhörnchen, das Flora soeben geweckt hatte, kaum von den heimischen Tieren, außer dass es sich sofort lautstark bei Flora beschwerte.

„Was fällt dir ein? Willst du, dass ich von einem Herzversagen dahingerafft werde? Mich so rüde zu wecken! Als hätte ich nicht schon genug am Hals mit meinen zwei Küken. Gestern erst aus der Schale geschlüpft, und heute fressen sie mir schon das Fell vom Kopf! Sei froh, dass sie noch schlafen, sonst hätten sie dir die Finger bis auf die Knochen abgenagt!“, empörte sich das Eichhörnchen.

Was natürlich übertrieben war, denn auch mellovische Eichhörnchen waren größtenteils Vegetarier und fraßen Nüsse, Körner und höchstens mal einen Käfer oder Würmer.

„Tut mir leid!“, sagte Flora.

Das Eichhörnchen stemmte die Pfoten in die Hüfte und drehte sich beleidigt um. Flora beschloss, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen und machte sich weiter an den Abstieg.

Einige Meter später erreichte sie ohne weitere Zwischenfälle den Waldboden. Er fühlte sich weich unter ihren Füßen an, wie ein dicker Wollteppich. Flora sah genauer hin und stellte fest, dass der gesamte Boden, so weit sie sehen konnte, von dichtem Moos bewachsen war. Überall standen in kleinen Gruppen die von Lluna beschriebenen Leuchtköpfchen herum, die den Boden beschienen.

Lluna? Wo war eigentlich Lluna?