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Jörg Benne

Legenden von Nuareth

DIE STUNDE DER HELDEN

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Jörg Benne

Legenden von Nuareth

DIE STUNDE
DER
HELDEN

Roman

2. Auflage
Veröffentlicht durch den MANTIKORE-VERLAG
NICOLAI BONCZYK
Frankfurt am Main 2017
www.mantikore-verlag.de

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
MANTIKORE-VERLAG NICOLAI BONCZYK
Text © Jörg Benne 2014

Lektorat: Nora-Marie Borrusch
Satz & Bildbearbeitung: Matthias Lück
Covergestaltung: Matyan & Matthias Lück

ISBN: 9783945493229

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Danksagung

1

Junaksruh. Ein passender Name für die kleine Ansammlung von Häusern, die ich im Dämmerlicht vor mir in der Wildnis liegen sah. Bis vor einigen Stunden hatte ich noch nie von dieser Ortschaft gehört, ein Wegweiser an einer Kreuzung hatte mich hergeführt. Verglichen mit meiner Heimatstadt Kela weit im Westen war Junaksruh allenfalls ein Nest, aber die letzten Nächte hatte ich in noch kleineren Siedlungen oder gar allein in der Wildnis verbracht – sowohl vor Kälte als auch vor Angst schlotternd. Daher erschien mir das Licht aus den Fenstern des Dorfes in der hereinbrechenden Dämmerung wie eine Verheißung von Zivilisation inmitten der wilden Nordlande.

Eine gefährliche Gegend – nicht wenige hatten mich einen Narren genannt, als ich meine gut bezahlte, sichere Stellung als Schreiber am Gericht von Kela aufgab, um ganz allein in die Nordlande aufzubrechen.

Mittlerweile war ich sogar geneigt, meinen Kritikern recht zu geben. Damals hatte ich in meinem Leichtsinn nur die Schultern gezuckt über ihre düsteren Prophezeiungen, nach denen ich entweder von Räubern gemeuchelt oder von Wildtieren zerfleischt werden würde. Mittlerweile hätte ich noch Verhungern und Erfrieren als mögliche Ursachen für ein vorzeitiges Ableben hinzugefügt.

Zwar weilte ich noch unter den Lebenden, aber es war schwer zu sagen, wer ein traurigeres Bild abgab, mein Nobo oder ich. In den letzten Tagen bockte die Reitechse selbst dann gelegentlich, wenn ich sie nur hinter mir herzog, und sie weigerte sich beharrlich, mich zu tragen. Dabei hatte ich seit meinem Aufbruch aus Kela ein wenig an Leibesfülle verloren – nicht zuletzt, weil ich sowohl mit meinen Vorräten als auch mit meiner Barschaft seit einigen Tagen haushalten musste. Aber in den kargen Hügeln fand auch die Echse nur ein paar kümmerliche Gräser oder etwas Moos und war daher auch nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte.

Die Leute, die in diese unwirtliche Gegend mit den langen, harten Wintern kamen, waren ein besonderer Menschenschlag. Wagemutige Siedler, die mit ihren Familien freies Land finden und urbar machen wollten, ohne einem Adligen einen Großteil ihrer Ernte und die erste Nacht mit ihren Töchtern überlassen zu müssen. Dafür waren sie bereit, viele Widrigkeiten in Kauf zu nehmen.

Mich reizte indes nicht die Aussicht auf ein eigenes Stück Land. Hier, an der Grenze der zivilisierten Welt, in der ein Siedler genauso schnell seine Freiheit wie den Tod finden konnte, hier erhoffte ich mir neue Geschichten für mein Kompendium von Abenteuern, mit dem ich mir als Poet einen Namen machen wollte. Immerhin hatte man mir schon seit meiner Jugend ein Talent für das Erzählen von Geschichten nachgesagt.

Beim Verfassen immer neuer Protokolle bei Gericht war ich bereits in meiner Fantasie auf Reisen gegangen, hatte die Welt erkundet und echte Helden getroffen. Irgendwann war ich so gelangweilt von meinem Alltag und so geblendet von meiner Fantasie, dass ich tatsächlich meinen Beruf als Schreiber aufgab und meine Reise in die Nordlande antrat.

Wie lange war das her? Ich sah zum Abendhimmel auf. Über mir zogen die drei Brüder ihre Bahnen. Banyak, der kleine Mond, lugte wie meistens kaum über den Horizont, Vejan und Xajan, im letzten Sonnenlicht nur blass zu erkennen, waren einander schon recht nahe. Vejan hatte seinen Bruder beinahe eingeholt, würde ihn in ein oder zwei Tagen verdecken und dann vor ihm fliehen, bis die Jagd der Brüder nach einer Dunkelnacht ohne Mondlicht von Neuem begann. Als ich vor einer Mondjagd aufgebrochen war, hatte es beinahe dieselbe Konstellation gegeben, fast dreißig Tage war ich also bereits unterwegs. Ich schüttelte den Kopf über meinen Leichtsinn.

Angetrieben von der Aussicht auf Wärme und etwas zu essen trottete ich über den schlammigen Pfad nach Junaksruh. Selbst der Nobo schien geneigt, sich aus eigenem Antrieb zu bewegen, wenngleich er mit dem schwindenden Sonnenlicht rasch träge wurde und seine beiden kräftigen Beine weniger geschmeidig als sonst bewegte. Ich wünschte, es gäbe noch andere Reittiere, die wechselwarmen Echsen waren für diese Gegend einfach nicht geschaffen.

Wie um meine Hoffnungen zu bestärken, wehte mir schon am Eingang des Dorfes der Duft von gebratenem Fleisch entgegen, und das Wasser lief mir im Munde zusammen. Es schien mir, als hätte ich seit Wochen keine frisch zubereitete Mahlzeit mehr bekommen.

Ich schleppte mich und meinen Nobo also bis zur Dorfschenke, die den wenig einfallsreichen Namen Zum Fass trug. Ein Stallbursche wollte mir mein Reittier abnehmen, doch ehe ich es ihm überließ, prüfte ich das Gepäck und sandte den Göttern ein kurzes Dankgebet. Trotz des Sturzregens der letzten Stunden waren meine Papiere trocken geblieben. Ich nahm den ledernen Rucksack an mich und trat in den Schankraum.

Dämmeriges Licht von einigen Kerzen, Gelächter und von Rauch und dem Geruch vieler Menschen geschwängerte Luft empfingen mich. Am Tresen gab es einige freie Hochstühle und ich setzte mich auf einen. Ich schälte mich aus meinem tropfnassen Mantel und legte ihn auf den Stuhl neben mich.

Der eine oder andere Dörfler maß mich mit unverhohlener Neugier, vielleicht waren auch misstrauische Blicke darunter. Meine Kleider mochten feucht und verdreckt sein, doch dass sie von edlerer Herkunft waren als die mehrfach geflickten Hosen der Dörfler, konnte niemandem entgehen. Meine Statur – manch einer nennt mich beleibt, ich bevorzuge wohlgenährt – fiel ebenfalls auf, denn die Siedler hier arbeiteten hart und ernteten oft nicht viel, daher waren sie meist von schlankem, drahtigem Körperbau. Die Leute verloren aber rasch das Interesse an mir und nahmen ihre Gespräche wieder auf.

Der Wirt, ein Mann in mittleren Jahren mit abgetragenen, fleckigen Kleidern und einem Spültuch über der Schulter, trat auf mich zu, hob aber nur fragend die Brauen, statt das Wort an mich zu richten.

Nun, übermäßige Gastfreundschaft hatte ich auch nicht erwartet. Schon im letzten Dörfchen war der Empfang recht kühl ausgefallen. Zu viele zwielichtige Gestalten, die auf der Flucht vor den Obrigkeiten der südlichen Reiche waren, trieb es in den freien Norden. Die Leute hier taten daher gut daran, Neuankömmlingen mit Argwohn zu begegnen.

Ich kramte in meiner Geldbörse und förderte die letzte Krone zutage. Die Mundwinkel des Wirtes zuckten leicht, als ich das Geldstück vor ihm auf die Theke legte. »Bier, Essen und ein Zimmer für die Nacht«, bestellte ich und rang mir trotz meiner Erschöpfung ein Lächeln ab.

Der Wirt brummte irgendetwas, die Krone verschwand in seiner Hosentasche und kurz darauf hatte ich einen Krug Würzbier und zwei Silbermünzen als Wechselgeld vor mir. Nachdem ich in den letzten Tagen nur abgestandenes Wasser aus meinem Schlauch getrunken hatte, erschien mir das Bier köstlich, wenngleich es wohl kein besonders gutes Gebräu war. Ich kippte den halben Krug in einem Zug herunter und wischte mir danach mit einem zufriedenen Seufzer den Schaum aus dem Schnurrbart. Als mir kurz darauf auch noch ein Teller mit Brei, köstlichem Fleisch und Soße serviert wurde, war ich für einige Minuten einer der zufriedensten Menschen auf der Welt.

Nach dem Mahl genoss ich eine Weile das Gefühl des Sattseins, lehnte mich an den Tresen und ließ meinen Blick durch die Schenke schweifen.

An einem Ecktisch tuschelten drei Frauen, gut ein Dutzend Männer saß an den übrigen Tischen. Die meisten schienen nur wenig älter als ich mit meinen knapp fünfundzwanzig Wintern, sicher hatte keiner von ihnen vierzig oder mehr gesehen. Alte Menschen zog es meist nicht in die Wildnis und wenn doch, überlebten sie in der Regel nicht lang.

Ob diese Leute mir Quell für neue Geschichten sein würden? Nun, zuerst würde es andersherum laufen, schon meiner fast leeren Geldbörse wegen. Es war Zeit, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen, auch wenn mir eher danach zumute war, meine feuchten Kleider abzulegen und mich unter einer Decke zu wärmen. Doch bei Tag würden diese fleißigen Männer und Frauen ihrer Arbeit nachgehen, die Muße, Geschichten zu lauschen und welche zu erzählen, hatten sie nur am Abend.

Ich zupfte also meine klammen Gewänder zurecht, erhob mich von meinem Stuhl und räusperte mich übertrieben laut. »Liebe Leute«, hob ich an und spürte, wie die Blicke aller Anwesenden zu mir wanderten. »Ich möchte mich vorstellen: Mein Name ist Felahar von Brickstein, Barde aus Kela. Ich bin den weiten Weg gekommen, um euch mit Geschichten zu unterhalten, die ich gesammelt habe. Möchtet ihr eine Geschichte hören?« Mit einem auffordernden Lächeln sah ich in die Runde. Im letzten Dorf hatten sie mein Angebot ausgeschlagen, deshalb war meine Reisekasse nun aufgebraucht. Wenn auch diese Leute keine Geschichten hören wollten, hatte ich ein Problem.

Schweigen. Meine Hände wurden feucht. »Wie wäre es mit einer Geschichte von Piraten auf hoher See? Oder von einer glorreichen Schlacht?«, legte ich nach. Ich spürte, wie mir das Lächeln auf den Lippen gefror.

»Das Meer is’ weit weg«, brummte ein hagerer Mann, der eine üble Narbe von einem Peitschenhieb auf der Wange trug.

»Ich hab’s noch nie gesehen«, schnarrte ein anderer. »Und Schlachten sind auch nix für uns.«

Oh verdammt. Ich musste diese Leute für mich gewinnen oder ich würde am nächsten Tag um Arbeit auf dem Feld betteln und mein eigentliches Anliegen hintanstellen müssen.

»Kennst du denn eine Geschichte von Wim, Huk und Dalagar?«, fragte eine der Frauen. Beifälliges Gemurmel von den Männern.

»Genau, was von den Helden. Solche Geschichten hören wir hier gern«, meinte der mit der Peitschennarbe, der eben noch skeptisch geklungen hatte.

»Aber selbstverständlich«, log ich lächelnd, durchforstete aber gleichzeitig mein Gedächtnis. Die Namen der drei kamen mir bekannt vor, vermutlich hatte ich in einem der letzten Dörfer von ihnen gehört. Aber es waren auf meiner Reise schon einige Geschichten zusammengekommen und auf Anhieb konnte ich die Namen nicht einer von ihnen zuordnen.

Ich sah mich um, entdeckte einen freien Ecktisch nahe dem Kamin. »Hier erzählt es sich angenehmer«, sagte ich jovial, legte mein Gepäck ab und machte es mir übertrieben ausführlich gemütlich, nur um Zeit zu gewinnen. Ich hatte mittlerweile eine vage Erinnerung an die drei Helden, meinte mich grob zu entsinnen, wie sie mir umschrieben worden waren, vermochte die Namen aber nicht den Beschreibungen zuzuordnen. Ich bewegte mich auf dünnem Eis, konnte den Beginn aber nicht länger hinauszögern und musste mir also etwas aus den Fingern saugen. Nun würde sich zeigen, ob ich wirklich zum Poeten taugte.

»Kennt ihr die Geschichte, als Wim, Huk und … äh … Galagar damals …«

»Dalagar«, berichtigte mich die Frau. Eine Falte bildete sich dabei zwischen ihren Augenbrauen.

Ich hüstelte. »Dalagar, natürlich. Kennt ihr also die Geschichte, wie die drei Helden es mit dem Drachen Hirkanas aufnahmen?« Erwartungsvoll sah ich in die Runde. Es sollte mich sehr wundern, wenn jemand nicken würde, schließlich hatte ich mir den Aufhänger in diesem Moment ausgedacht.

Allgemeines Kopfschütteln.

»’n Drache, hier in ’er Gegend?«, meinte einer der Männer skeptisch.

»Lass ihn doch erzählen«, beschwichtigte ihn ein anderer. »Hauptsache, die Geschichte is’ spannend.«

Hauptsache, ihr lasst dafür nachher ein paar Münzen springen, fügte ich in Gedanken hinzu, räusperte mich ein weiteres Mal und fing an, mein Garn zu spinnen.

»In einem Dorf südwestlich von hier, nicht weit von den Kromhöhen, lebten die Menschen viele Jahre glücklich und zufrieden. Die Arbeit war hart, aber die Ernte reichte zum Leben und in guten Jahren gar, um etwas zu verkaufen und sich Bier und Wein zu gönnen.

Doch eines Tages kam Hirkanas in die Gegend. Er war ein großer roter Drache, mit einem Leib, gewaltig wie ein Haus. Wenn er die Flügel aufspannte, hätte er ein Dorf wie Junaksruh in seinen Schatten tauchen können. Wie alle Drachen liebte er vor allem zwei Dinge: Schätze und Jungfrauen.

Er kam also über das Dorf, brannte einige Felder mit seinem Feuerodem nieder und verlangte einen Tribut, damit er nicht die ganze Ernte vernichtete. Schätze konnten die Bauern ihm nicht bieten, also mussten es Jungfrauen sein. Und so brachten sie ihm fortan jedes Jahr im Frühling eine schöne Maid als Opfer dar. Der Drache kam, nahm die unschuldigen Mädchen mit sich und sie wurden nie mehr gesehen.«

Jemand gähnte. Mein Blick registrierte die eine oder andere gerunzelte Stirn, ein Zuhörer stützte den Kopf schwer auf seine Hand. Mir wurde klar, dass ich mit den Klischees etwas sparsamer umgehen musste, um meine Zuhörer nicht zu verlieren.

Ich hob die Stimme. »Eines Sommers aber kam eines der Mädchen zurück ins Dorf.« Ha, jetzt hatte ich sie am Haken, das konnte ich an ihren Reaktionen sehen. Diese Wendung war neu für sie – allerdings auch für mich. Ich musste einen Kloß im Hals imitieren, um Zeit zu gewinnen. »Es erzählte vom Los der Mädchen, die der Drache in seinem Hort hielt. Er brachte ihnen Fleisch und es gab Wasser, aber sie mussten immer im Dunkel der Höhle leben, sahen niemals die Sonne, und da ihre Kleider mit der Zeit zerrissen, mussten sie sich mit Fellen bedecken, als seien sie Wilde. Das Mädchen, das entkommen war, trug auch nur einen Mantel aus Fell.«

Eine der Frauen schlug sich die Hand vor den Mund, die Männer warfen einander grinsend Blicke zu. Die Vorstellung spärlich bekleideter Mädchen gefiel ihnen natürlich. Ich verstand mein Handwerk ja schließlich auch.

»Die Menschen im Dorf wussten nicht, was sie empfinden sollten. Die Mütter der Mädchen waren einerseits glücklich, dass ihre Kinder noch lebten, jammerten aber auch über deren grausames Schicksal. Dazu kam noch die Angst, dass nun der Drache über das Dorf kommen und die Ernte verbrennen könnte. Manch einer forderte gar, das arme Mädchen wieder an den Drachen auszuliefern, wenn er käme.«

Nun hingen alle Zuhörer gebannt an meinen Lippen. Die Einleitung war also gelungen. Zeit, die Helden in die Geschichte einzubringen.

»Zu ihrem Glück kamen zufällig unsere drei Helden des Weges. Sie hörten von dem Unglück des Dorfes und boten großmütig ihre Hilfe an. Das tapfere Mädchen wollte ihnen den Weg zum Drachenhort weisen und so zogen sie los, um dem Drachen den Garaus zu machen und die anderen Jungfrauen zu befreien.«

An dieser Stelle wurde ich unterbrochen, weil die Tür sich öffnete und einige Männer hereinkamen. Niemand beachtete sie, alle wollten, dass ich fortfuhr. Dennoch wartete ich, bis sie sich an einen der anderen freien Tische gesetzt hatten, ehe ich fortfuhr.

»Nach kurzer Reise gelangten sie schließlich zum Hort des Drachen, einem finsteren Gelass in den Tiefen eines Berges. Wie ihr wisst, schlafen Drachen oft viele Tage, und so hatte Hirkanas noch gar nicht bemerkt, dass eins der Mädchen entkommen war. Nun jedoch, als ihm der Geruch der Männer in die Nüstern stieg, erwachte er und sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Ein großer Roter wie Hirkanas kennt jedoch keine Furcht. Nichts und niemand kann mir etwas anhaben, dachte er, also brüllte er nur: ‚Wer wagt es, in meinen Hort einzudringen?‘, und seine Stimme hallte so laut von den Wänden wider, dass es den Menschen in den Ohren klingelte.«

Jetzt begab ich mich auf schwieriges Terrain, denn meine Erinnerung an die drei Helden war nach wie vor mehr als vage. Allzu gern hätte ich in meinen Aufzeichnungen gestöbert, aber dafür war keine Zeit. Nun durfte ich bloß keinen falsch beschreiben, sonst flog alles auf. »Der Tapferste unter den dreien trat ohne Angst vor den riesigen Drachen und rief: ‚Gib die Jungfrauen frei, Drache, oder wir werden sie uns holen.‘«

»Dalagar«, seufzte die Frau, die die Heldengeschichte gefordert hatte, mit schwärmerischem Gesichtsausdruck. An einem anderen Tisch lachte jemand unterdrückt.

Danke für den Hinweis, dachte ich. »Dalagar stand also Auge in Auge mit dem Drachen und sie maßen einander mit Blicken. Der Drache bewunderte den Mut des Menschen, ärgerte sich aber genauso über dessen Unverfrorenheit. Und er wusste nicht, ob er ihn nun mit seiner Flamme rösten oder mit einer Pranke zermalmen sollte.«

Wieder räusperte ich mich. Meine Gedanken rasten. Wie sollten drei Helden bloß einen Drachen besiegen, den ich in meinem Eifer noch dazu als derart riesig beschrieben hatte? Ich beschloss, mich einer alten Sage zu bedienen, die ich noch aus der Stadt kannte. Hoffentlich hatte keiner der Bauern sie gehört.

»Der Listigste unter ihnen nutzte den Moment und sprach: ‚Wir wollen keinen Streit mit dir, Drache, das könnte jedem von uns schlecht bekommen. Was hältst du von einem Wettbewerb?‘

Ihr müsst wissen: Was Hirkanas neben Schätzen und Jungfrauen über alles liebte, waren Wettbewerbe, doch mit den verängstigten Mädchen konnte er sich schlecht messen, sodass ihm diese Freude meist versagt blieb. Nun aber bot sich ihm die Gelegenheit.

‚Ein Wettbewerb? Was für ein Wettbewerb?‘, wollte er voller Neugier und Vorfreude wissen.

Der Listige winkte dem Drachen, dessen Kopf hoch über ihnen schwebte. ‚Komm näher, damit wir nicht so schreien müssen‘, sagte er, und versuchte, möglichst unschuldig zu klingen.

Der Drache, furchtlos und selbstsicher, senkte den Kopf ein wenig, doch der Listige hustete und gab vor, nicht mehr laut sprechen zu können. Der Drache sollte den Kopf bis zum Boden senken.«

»Ja, Huk ist schon ein durchtriebener Kerl«, ließ sich einer der Zuhörer vernehmen. Somit war auch das geklärt und ich meinte mich noch zu erinnern, dass der dritte im Bunde überaus groß und kräftig gewesen war. Endlich konnte ich aus den Vollen schöpfen.

»All das hatten unsere Helden geplant. Wim und Dalagar hatten ein mächtiges Seil dabei, und als Hirkanas sich tief genug herabgebeugt hatte, warf Wim es über den Hals des Drachen. Gemeinsam zogen sie daran, und dank Wims Kräften gelang es ihnen für einen Moment, den überrumpelten Drachen auf den Boden zu zwingen.

Hirkanas war derlei noch nie widerfahren, er war zu überrascht, um zu reagieren. Hätte er Feuer gespuckt oder den Kopf hochgerissen, hätten die drei Helden den Kampf womöglich verloren. So aber hielt er für den einen Moment inne, den Huk brauchte. In Windeseile spannte er seinen Bogen und schoss zwei Pfeile in die einzigen verwundbaren Stellen des Drachen, seine Augen.«

Jemand brummelte irgendetwas, wurde aber von den anderen gemahnt, still zu sein, alle waren gespannt, wie es weiterging. Ich kostete den Augenblick aus und trank aus meinem Bierkrug.

»Töten konnte man den Drachen mit zwei einfachen Pfeilen jedoch nicht. Er war lediglich geblendet und tobte. Die Helden vermochten das Seil nicht mehr zu halten, Hirkanas warf sich herum, spuckte Feuer in alle Richtungen. Schnell griffen sich die Helden die Mädchen und eilten mit ihnen zum Ausgang, während hinter ihnen der Drache gegen die Wände seines Hortes prallte, unaufhörlich Feuer spuckte und den Schatz, den er über Jahrhunderte angesammelt hatte, einschmolz. Schließlich fiel er in den See aus Gold, den er geschaffen hatte, und ehe er sich befreien konnte, erstarrte das Metall um seinen Körper. Und so ist Hirkanas bis heute gefangen in seinem Hort, eingeschlossen in einen See aus Gold.«

Die Zuschauer stießen den angehaltenen Atem aus, der eine oder andere klatschte sogar bereits.

»Die Helden aber«, leitete ich das Ende ein, »reisten zum Dorf zurück, wo sie unter Jubel empfangen wurden. Sie blieben einige Tage, genossen ihren Ruhm, ehe sie weiterzogen, neuen Abenteuern entgegen.«

»Bravo«, rief einer.

»Die drei sind wirklich verdammte Helden«, schwärmte ein anderer.

»Den Göttern sei gedankt, dass es solche Helden gibt«, rief eine der Frauen aus. Ihr Gesicht war gerötet.

Ich empfing meinen Beifall, stand auf, verneigte mich und schnappte mir eine leere Schüssel vom Tresen. »Ich hoffe, meine Geschichte hat euch unterhalten«, rief ich über das Gemurmel hinweg. »Vielleicht ist sie euch ja die eine oder andere Münze wert.«

Ich schritt Tisch für Tisch ab und die Leute ließen sich nicht lumpen. Münzen klimperten in der Schüssel, keine goldenen, aber Reichtümer hatten die Leute hier ja auch nicht zu verschenken. Für eine zweite oder dritte Kost und Übernachtung sollte es wohl reichen, befand ich.

Zuletzt kam ich an den Tisch mit den Neuankömmlingen. Ein seltsames Trio war das. Ein Glatzköpfiger vom kleinwüchsigen Volk der Dashiri, der mir kaum bis zum Bauchnabel reichte, ein Athlet von einem Menschen mit blonder Lockenpracht und Augenklappe, und ein Hüne, zwei Köpfe größer als ich und beinahe doppelt so breit. Der Dashiri warf mir zwei Silbermünzen in die Schüssel. »Hat mir gefallen, Barde«, schnarrte er.

»Echt? Aber …«, begann der Hüne.

»Halt die Klappe«, fuhr ihm der Dashiri grob über den Mund.

Hinter mir wurden Stühle zurückgeschoben, die Einheimischen wandten sich zum Gehen. »Wie wäre es, liebe Leute«, rief ich aus, »wenn ihr mir morgen eure Geschichten erzählt?« Damit hatte ich wohlweislich bis jetzt gewartet, sonst hätte womöglich der eine oder andere gemeint, das sei Lohn genug für meinen Vortrag. »Ich sammle nämlich die Geschichten der Gegend.«

Der eine oder andere nickte, eine Frau schenkte mir sogar ein Lächeln, das sah nach einer guten Ausbeute für den morgigen Tag aus.

»Wir könnten dir heute noch eine Geschichte erzählen«, sagte jemand hinter mir.

Ich drehte mich zu dem Trio um. Der Athlet lächelte mich an, er hatte strahlend weiße Zähne, keine Lücken, sehr ungewöhnlich in dieser Gegend. Ein Adliger vielleicht?

»Gleich jetzt?«, fragte ich überrascht. Der lange Marsch steckte mir noch in den Knochen und ich sehnte mich nach einem Bett.

»Warum nicht? Wir sind nur auf der Durchreise, morgen sind wir schon wieder fort.«

»Aber lass uns erst nochmal über diese Heldengeschichte von eben reden«, meinte der Dashiri. »Setz dich, Barde. Wir spendieren dir auch ein Bier.«

Müdigkeit hin oder her, da wollte ich nicht Nein sagen, zog mir einen Stuhl heran und setzte mich zu ihnen. Mittlerweile hatten alle anderen Gäste die Schenke verlassen und der Wirt war, nachdem er uns unser Bier gebracht hatte, in der Küche zugange.

»Eine erstaunliche Geschichte«, meinte der Dashiri. »Ganz erstaunlich.«

»Die Sache mit den Jungfrauen hat mir besonders gefallen«, grinste der Athlet.

»Aber ich glaube, ich habe noch nie einen Drachen gesehen«, brummte der Riese, der als einziger unzufrieden wirkte. »Daran würde ich mich doch erinnern.«

»Ach Wim«, schüttelte der Dashiri nachsichtig den Kopf.

Ich verschluckte mich beinahe an meinem Bier. Ja natürlich, bei allen Göttern. Ein Riese, ein Dashiri und ein Mann mit Augenklappe. Genau so waren mir die drei Helden beschrieben worden, von denen ich eben erzählt hatte. Da saßen sie vor mir, leibhaftig. Ich setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Freut mich, dass euch die Geschichte gefallen hat. Ich … man verlangte eine Geschichte über euch, und da habe ich …« Ich zuckte unschuldig die Achseln.

Der Dashiri, Huk, wenn ich mich recht erinnerte, winkte ab. »Kein Problem, Sängerknabe, das ist in Ordnung.« Seine beruhigenden Worte verfehlten allerdings ihre Wirkung, denn in seiner Hand, an der er wie alle Halbgnome nur vier Finger hatte, ließ er die ganze Zeit über eine kleine Axt kreisen. »Allerdings kann ich gar nicht mit Pfeil und Bogen umgehen«, fügte er hinzu. »Ich benutze lieber sowas.« Er deutete an, mit der Axt nach mir zu werfen, und ich zuckte zurück, doch er hielt die Waffe fest und ließ sie wieder unter dem Tisch verschwinden. Dabei grinste er gehässig, sein Gebiss war weit weniger ansehnlich als das seines Gefährten.

»Wie hast du dir das mit den Jungfrauen denn vorgestellt?«, wollte der Athlet, Dalagar, wissen und beugte sich verschwörerisch vor. »Ich meine, nachdem wir sie gerettet haben, haben wir dann mit ihnen … na, du weißt schon. Also zumindest ich hätte mir das nicht entgehen lassen.«

»Du hast auch immer nur die Weiber im Kopf«, knurrte Huk. »Ich hätte sie bei dem Drachen gelassen und mir lieber die Taschen mit Münzen vollgestopft.«

Ich sah von einem zum anderen, wusste nicht recht, ob sie mich veralberten. Außerdem stand mir nach Huks Gehabe mit der Axt noch der Angstschweiß auf der Stirn.

»Und ich bin mir sicher, ich habe noch nie einen Drachen gesehen«, sagte Wim noch einmal. »Das wüsste ich doch noch. Da stimmt doch was nicht.«

Huk verdrehte die Augen. »Das ist ein Barde, Mann. Der hat sich das ausgedacht, kapier das doch endlich.«

Wim, der Riese, sah mich mit großen Augen an. »Ausgedacht? Darf der das denn? Sich einfach ’ne Geschichte über uns ausdenken?« Er legte die Stirn in Falten, was die eben noch dümmliche Miene in eine durchaus furchterregende verwandelte.

Ich hob abwehrend die Hände. »Wie gesagt, ich bitte um Vergebung. Wenn das Publikum eine Geschichte verlangt, muss ich mir eben zur Not etwas ausdenken. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich euch kurz danach leibhaftig vor mir haben würde.« Jäh wurde mir klar, welcher Quell an echten Geschichten sich mir hier bot, und ich schluckte die Furcht herunter. »Ihr könntet mir doch wirklich eins eurer Abenteuer erzählen«, schlug ich vor. »Dann müsste ich mir beim nächsten Mal nichts ausdenken, es wäre ganz unverfälscht, vielleicht mit der einen oder anderen Ausschmückung für die Dramaturgie, aber …«

»Drama-was?«, fragte Wim verständnislos.

»Wir müssen nicht einmal was erzählen. He, Wirt!« Dalagar wartete, bis der Mann aus der Küche kam. »Wir haben gehört, du hast ungebetene Gäste im Keller?«

Die düstere Miene des Mannes hellte sich schlagartig auf. »Könnt ihr euch dessen annehmen, ja?«

»Klar. Wie viele Biester sind es denn?«

Der Wirt zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Beim letzten Mal waren es drei, aber ich habe mich länger nicht in den Keller gewagt.«

Dalagar verdrehte die Augen. »Nur drei? Wir helfen ja gern, aber mit drei Ratten wirst du doch noch selbst fertig, oder nicht?«

Ich runzelte die Stirn. Wenn man Ratten im Keller hatte, stellte man doch gemeinhin Fallen auf. Wozu in aller Welt brauchte der Wirt die Helden?

»Ich habe es ja versucht«, gab der Wirt kleinlaut zurück. Er schob den Ärmel seines Hemdes zurück und zeigte uns eine mäßig verheilte Bisswunde.

Ich schluckte bei dem Anblick. Offensichtlich handelte es sich nicht um die Art Ratten, die ich aus Kela kannte. Die vermochten zwar die Frauen zu erschrecken, aber ihre Kiefer hätten nicht annähernd für einen Biss dieser Größe ausgereicht.

»Verstehe, die großen Exemplare, das dachten wir uns schon«, meinte Huk. Er wirkte alles andere als beunruhigt. »Machst du das, Dalagar?«

»Wieso ich? Hast du etwa Angst, dass die Ratten größer sind als du, Huk?«

»Huk und ich waren aber das letzte Mal dran. Die Katakomben unter dem Tempel in Nulkin, du erinnerst dich?« Wim schüttelte sich. »Seitdem hasse ich Ratten, vor allem die großen.«

Dalagar verzog den Mund und stand auf. »Als ob ich sie nicht hassen würde«, brummte er, wandte sich aber an den Wirt. »Ich schaue mir das an. Wenn es nur drei sind, gibt es freie Kost und Unterkunft für uns. Für jede weitere eine Silbermünze, einverstanden?«

Der Mann nickte. »Aber du willst wirklich allein da runter? Warum geht ihr nicht zusammen, dann …«

Dalagar grinste. »Du hast die Geschichte doch auch gehört, oder? Zu dritt sollen wir es mit einem großen roten Drachen aufnehmen können, wie stehen wir denn da, wenn sich einer von uns nicht traut, gegen ein paar jämmerliche Ratten anzutreten? Gib mir eine Laterne.«

Während der Wirt die Lampe holte, zog Dalagar sein Schwert, eine lange, elegant geschmiedete Klinge. Er schüttelte den Kopf. »Eine Schande, eine solche Waffe zu benutzen, um ein paar Ratten zu töten.« Dennoch nahm er die Laterne in die andere Hand und ließ sich die Tür zum Keller zeigen.

Als der Wirt sie für ihn öffnete, hielt ich den Atem an und erwartete fast, dass sich eine Riesenratte auf uns stürzen würde, doch nichts geschah. Dalagar holte noch einmal tief Luft, dann stieg er die Treppe hinab.

Der Wirt sah ihm nach und hielt dabei das Türblatt immer noch mit einer Hand, als wolle er sichergehen, sie möglichst schnell zuschlagen zu können. Huk und Wim tranken hingegen ungerührt ihr Bier.

Eine Treppenstufe knarrte unter Dalagar, wir hörten ihn niesen und dann laut fluchen. Ich lauschte gespannt.

»Wäre einfacher, die Viecher zu finden, wenn hier nicht so eine Unordnung herrschen würde«, drang Dalagars Stimme dumpf zu uns.

Der Wirt errötete.

Etwas quiekte, es klang wie eine normale Ratte. Gefolgt wurde das Geräusch jedoch von einem Fauchen, das mir die Haare zu Berge stehen ließ. Wieder ein Quieken, schriller diesmal.

»Verdammte Drecksviecher!«, fluchte Dalagar laut. Rumpelnd fiel etwas zu Boden, Holz splitterte. Noch einmal quietschte eine Ratte schrill auf.

»Achtung!«, brüllte Dalagar von unten herauf, der Wirt knallte die Tür zu und wich erschrocken zum Tresen zurück.

Laut trampelte Dalagar die Treppe hinauf und ein letztes Mal erklang das schrille Quieken, dann folgte Stille.

Die Tür öffnete sich und Dalagar trat mit blutiger Klinge in den Schankraum. »Einen Lappen«, befahl er und der Wirt reichte ihm einen.

Der Krieger wischte seine Klinge sauber und steckte sie zurück in die Scheide. Er ging wieder in den Keller, wo wir ihn eine Weile herumfuhrwerken hörten, schließlich kam er mit der Laterne in der einen und drei Ratten in der anderen Hand zurück. Er hielt sie an den Schwänzen, sodass die Kadaver hin- und herbaumelten. Sie waren groß wie ein menschlicher Kopf und ihre hervorstehenden Schneidezähne lang wie ein Finger. Mich schauderte, Ratten dieser Größe hatte ich noch nie gesehen.

»Bitte sehr«, sagte er zum Wirt und hielt ihm beides hin. »Ich habe keine weitere Ratte gesehen, aber vielleicht haben sie irgendwo genistet. Mit Rattenjungen wirst du aber wohl selbst klarkommen, nehme ich an.«

Der Mann nickte und nahm voller Ekel die Kadaver im Empfang. »Was mache ich damit?«

Dalagar zuckte nur die Schultern. »Freie Kost und Unterkunft also. Leider ist eine Kiste zu Bruch gegangen, tut mir leid. Dafür hat mir eines der Viecher Löcher in den Stiefel gebissen, wir sind also quitt.« Er schlurfte zu unserem Tisch zurück und leerte seinen Bierhumpen auf einen Zug.

»Gute Arbeit, Dalagar«, lobte Huk, ein hämisches Grinsen auf den Lippen.

Der Krieger verzog den Mund. »Nächstes Mal bist du wieder dran.« Er wandte sich an mich. »Da hast du deine echte Geschichte.«

Ich war etwas enttäuscht. »Willst du wirklich, dass ich erzähle, wie du einige Ratten getötet hast?«

Dalagar gähnte. »Nein, da hast du recht. Aber wir haben eine lange Reise hinter und leider auch noch vor uns. Lasst uns nun lieber schlafen gehen.«

»Ist ja auch kein Weib da, das dich noch bei Laune halten könnte«, knurrte Huk.

Dalagar überging die Bemerkung einfach und stand auf. »Vielleicht haben wir morgen früh vor unserer Abreise noch Gelegenheit, etwas zu erzählen.«

»Er könnte doch mitkommen«, meinte Wim beiläufig.

Seine beiden Gefährten und auch ich sahen ihn entgeistert an. »Mitkommen?«, wiederholte Dalagar.

»Mitkommen?«, fragte Huk und tippte sich an die Stirn. »Du spinnst wohl.«

»Mitkommen?«, brachte auch ich nur hervor. Im ersten Moment erschien mir die Idee wahnwitzig, doch dann besann ich mich eines Besseren. Ich als Chronist der drei Helden, deren Taten überall hier in den wilden Nordlanden erzählt wurden. Was für eine Gelegenheit. »Das ist doch eine gute Idee«, setzte ich schnell hinzu. »Ich könnte alles aufschreiben. Ihr könntet mir mehrere eurer Abenteuer während der Reise erzählen und auch, wie es zu allem gekommen ist, wie ihr Helden geworden seid.«

»Genau«, meinte Wim.

Huk und Dalagar tauschten einen Blick, beide schienen skeptisch. »Lass uns beim Frühstück darüber reden«, schlug Dalagar schließlich vor. »Aber verschlaf nicht.«

Ich erhob mich und sah den drei Helden nach, wie sie den Schankraum verließen und die schmale Stiege zum Obergeschoss erklommen. Die Stufen ächzten unter Wims Gewicht.

Ich rief den Wirt herbei und schärfte ihm ein, mich sofort zu wecken, wenn einer der drei Helden sich im Schankraum blicken ließ.

Mit klopfendem Herzen ging auch ich in meine Kammer. Nebenan hörte ich die drei Helden noch eine Weile murmeln. Ich lag lange wach, fürchtete die ganze Zeit, diese Gelegenheit zu verschlafen. Aber um die Nacht durchzuwachen, fehlte mir die Kraft, und der Schlummer umfing mich letztlich doch.

2

Ich brauchte die Dienste des Wirtes nicht, trotz der anstrengenden Reise, die hinter mir lag, erwachte ich rechtzeitig. Ein Blick aus dem Fenster meiner Kammer zeigte mir, dass die Sonne gerade erst über den Horizont gestiegen war. Zu aufgeregt, um weiterschlafen zu können, suchte ich in meinen Aufzeichnungen nach Notizen über die drei Helden.

Ich hatte mich nicht getäuscht und tatsächlich schon eine Geschichte über sie erzählt bekommen. Wim, Huk und Dalagar hatten darin eine Bauernfamilie aus ihrem brennenden Haus gerettet, unter Gefahr für Leib und Leben, versteht sich. Die Beschreibung, die man mir damals für die drei gegeben hatte, passte halbwegs. Wim war noch etwas breiter dargestellt worden, als er war, Dalagar noch etwas verwegener und Huk, nun, etwas gemeiner. Wie mir schien, flogen dem Dashiri die Sympathien nicht eben zu. Allerdings hatten die Halbgnome ohnehin nicht den besten Ruf.

Auch ein paar Details zur Herkunft der Helden hatte ich mir notiert. Wim sollte der Enkel eines Ogers sein und Huk ein Fahnenflüchtiger. Dalagar hatte angeblich einmal zu den Tscharik gehört, einer elitären Kriegerkaste mit legendärem Ruf. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, wie glaubhaft diese Informationen waren, und beschloss, sie zu überprüfen, wenn ich wirklich mit den Helden reisen durfte.

Während meiner Lektüre waren die drei im Nebenraum aufgewacht. Ich hörte sie murmeln, Huk wurde zwischendurch auch etwas lauter, aber seine Worte konnte ich dennoch nicht genau verstehen. Ich bereitete mich ebenfalls für die Abreise vor, für alle Fälle, und trat wie zufällig gleichzeitig mit den Helden auf den schmalen Flur, den Wim wie eine Staumauer von einer Wand zur anderen ausfüllte.

»Einen guten Morgen wünsche ich«, sagte ich fröhlich.

Huk wedelte als Antwort nur mit der Hand. »Geh schon, wir haben Hunger«, knurrte er unfreundlich.

Ich tat wie geheißen. Im Schankraum waren zwei Tische bereitet, einer für die drei Helden, einer für mich. Ich trat ein wenig unentschlossen an den meinen und sah zu dem Trio hinüber. Zu meiner Enttäuschung machte keiner von ihnen Anstalten, mich an ihren Tisch zu bitten. Ernüchtert ließ ich mich an meinem Platz nieder.

Das Frühstück war nicht eben üppig. Brot, Butter, Honig, dazu Tee oder Wasser. Huk verlangte nach Käse und bekam welchen. Während die drei aßen, unterhielten sie sich leise, vornehmlich Dalagar und Huk, Wim schien kein Mann vieler Worte zu sein.

Ich knabberte appetitlos an meinem Brot herum und kam mir vor wie ein Bittsteller bei Hofe, der darauf wartet, endlich eine Audienz zu bekommen. Zunächst nutzte ich die Gelegenheit, die drei nun bei Tageslicht genauer in Augenschein zu nehmen.

Dalagar war in der Tat ein Schönling, dessen Alter ich auf knapp über dreißig Winter schätzte. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, reine Haut, das eine Auge war strahlend blau. Seine bis zu den Schultern wallende Lockenmähne hatte er vor dem Essen zu einem Zopf gebunden. Ohne Frage ein Mann, dem die Frauenherzen zuflogen. Weder der Dreitagebart noch die Augenklappe vermochten diesen Eindruck zu schmälern, vielmehr verstärkten sie den Hauch von Verwegenheit, der ihn umgab. Von den drei Helden war er am besten gekleidet, wenngleich sein Hemd einige Flicken aufwies, die aber sorgsam aufgenäht worden waren. Gleichwohl das Hemd recht weit geschnitten war, erahnte ich, dass darunter ein muskulöser Oberkörper verborgen war.

Wim war in gewisser Weise das genaue Gegenteil von Dalagar. Das Mondgesicht aufgedunsen, die blassen Augen weit auseinanderstehend, dazu buschige, zusammengewachsene Brauen und eine weit fortgeschrittene Stirnglatze. Sein Alter war für mich schwer zu bestimmen, aber ich vermutete, dass er etwa genauso viele Winter gesehen hatte wie ich. Er lauschte gerade Dalagars Worten mit halb offenem Mund, was ihn recht einfältig aussehen ließ. Seine fleckige, abgetragene Tunika konnte man bestenfalls als unförmig umschreiben, sie spannte über seinem massigen Oberkörper und auch seine Oberarme dehnten den Stoff der Ärmel bis zum Äußersten. Alles an Wim wirkte überdimensioniert, selbst im Sitzen überragte er Dalagar, der alles andere als klein war, um Haupteslänge. Dass die Leute ihm eine Verwandtschaft zu Halbriesen nachsagten, kam bei seinem Aussehen nicht von ungefähr.

Neben Wim wirkte der ohnehin schon kleinwüchsige Huk noch winziger. Ein Blick in seine gelblichen, stechenden Augen, und der meist grimmige Gesichtsausdruck, den der sauber gestutzte, schwarze Bart noch verstärkte, flößten mir dennoch Respekt ein. Huk hatte sich den Kopf kahlgeschoren, wie das bei den Nomadenstämmen der Dashiri üblich war. Also gehörte er wohl nicht zu den unter der Erde hausenden Bergmeistern, die den größten Teil seines Volkes ausmachten. Er wirkte auf mich älter als die anderen, aber da die Halbgnome ein langlebiges Volk sind, konnte ich sein genaues Alter unmöglich schätzen. Huk trug selbst jetzt bei Tisch einen dunklen, zerlumpten Umhang, unter dem ich einen Lederharnisch erahnte.

Nach einer Weile wurde ich zunehmend ungeduldig und auch ein wenig zornig, versuchte, mir Mut anzutrinken – was mit Tee nicht so recht gelingen wollte –, und trat schließlich entschlossen an den Tisch der Helden.

»Guten Morgen«, begann ich noch einmal.

»Sagtest du schon, Sängerknabe«, kommentierte Huk, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Dalagar lächelte immerhin flüchtig, ehe er sich sein Brot in den Mund schob.

»Ähm, ihr erinnert euch noch an unser Gespräch vom gestrigen Abend? Ihr hattet mir ein Angebot gemacht.«

»Hatten wir?« Huk runzelte die Stirn. »Normalerweise macht man uns Angebote, nicht umgekehrt.«

»Ihr wolltet mir vielleicht eine Geschichte erzählen und Wim war der Meinung, ich könnte euch sogar begleiten.«

Huk warf dem Riesen einen vernichtenden Blick zu, dessen Wirkung allerdings dadurch abgeschwächt wurde, dass er dazu den Kopf in den Nacken legen musste. »Stimmt, ja. Das haben wir ihm aber ausgeredet. Und nach Erzählen ist uns gerade nicht zumute. Schieb ab.«

Huk war mir offensichtlich nicht gewogen und ich verstand, wieso er bei der Erzählung, die ich aufgezeichnet hatte, so schlecht weggekommen war. Aber so leicht wollte ich nicht klein beigeben und wandte mich hoffnungsvoll an Wim. »Du hattest dich doch beklagt, dass ich mir ein Abenteuer über euch aus den Fingern gesogen hatte.«

Wim hielt mit Kauen inne, starrte verwirrt erst auf meine Finger, dann auf meinen Mund, und runzelte die Stirn.

»Ähm, also mir eine Geschichte ausgedacht hatte«, verbesserte ich mich. Der Kerl war ohne Frage nicht übermäßig mit geistigen Fähigkeiten gesegnet worden. »Wenn ihr mir eure Geschichten erzählt, wird das nie wieder vorkommen. Ich könnte gar ein Buch veröffentlichen und euch noch berühmter machen.«

»Berühmt?« Dalagar sah mit seinem Auge auf.

Ich nickte eifrig, wenngleich ich keine Ahnung hatte, ob sich ein Druckermeister für meine Erzählungen würde erwärmen können. Aber ich ahnte, dass ich bei Dalagar einen Nerv getroffen hatte. »Sicher, die Damen in den Städten verzehren sich nach Geschichten von Helden wie euch.«

Ein Lächeln breitete sich auf Dalagars Gesicht aus. »Du meinst, die Damen würden sich nach mir verzehren?«

»Ähm, ja, das vielleicht auch.«

»Was springt denn für uns dabei raus?«, hakte Huk nach. Selbst der knurrige Dashiri schien nun leidlich interessiert. »Ruhm und schmachtende Weiber füllen einem nicht den Magen.«

»Nun, selbstverständlich würde ich euch am Erlös der Bücher beteiligen«, versprach ich. »Und der Ruhm könnte euch Aufträge von reichen Kaufleuten oder gar Ratsherren einbringen.«

»Was is’n Erlös?«, wollte Wim wissen.

»Geld, Mann«, schnarrte Huk und grinste, kniff aber gleichzeitig misstrauisch die Augen zusammen. »Das alles versprichst du uns, wenn wir dir ein paar Geschichten erzählen?«

Ich räusperte mich, das Eis wurde allmählich etwas zu dünn für meinen Geschmack. »Ähm, also versprechen kann ich nichts. Sagen wir es lieber so: Sollten eure Geschichten Anklang finden, wären gewisse Einkünfte und vielleicht auch Anfragen reicher Auftraggeber durchaus vorstellbar.«

Ich sah von einem zum anderen. Wims Gesicht spiegelte totales Unverständnis wider, und ich ermahnte mich, in seiner Gegenwart weniger geschwollen zu reden. Huk zwirbelte sich den Bart und überlegte.

Dalagar hingegen lächelte selbstzufrieden. »Pass auf, Barde. Du reitest mit uns und wir erzählen dir ein paar Abenteuer. Wenn wir am Ziel unserer Reise sind, trennen sich unsere Wege. Solltest du dein Buch veröffentlichen, erwarten wir die Hälfte der Einkünfte. Wir müssen dann noch klären, wie und wann du uns das Geld übergibst, aber vielleicht kommen wir ja mal nach Kela.« Er hob den Zeigefinger und sein Lächeln erlosch schlagartig. Der Blick seines einen Auges wurde hart und ich erschauerte. »Wenn du uns übers Ohr haust, kommen wir auf jeden Fall, finden dich und holen uns unser Geld.«

»Und machen dich einen Kopf kürzer«, ergänzte Huk.

Ich wischte meine schweißnassen Hände an der Hose ab. »Meine Herren, ihr beleidigt mich. Nichts läge mir ferner …« Ein Blick auf Wim, der verstand schon wieder kein Wort. »Also, äh, natürlich werde ich ehrlich zu euch sein, das ist Ehrensache.«

Schlagartig war Dalagars Lächeln zurück und aus dem furchterregenden Krieger wurde wieder ein freundlicher Abenteurer. Eine erstaunliche Wandlung. »Schön, dann pack deine Sachen, wir brechen noch vor Ablauf dieses Stundenglases auf.«

Da ich meine Habseligkeiten schon vorsorglich abreisefertig gepackt hatte, ging ich zurück zu meinem Tisch und beendete mein Frühstück. Einige Augenblicke nach meiner Unterredung kam ein korpulenter Mann durch die Tür, sah sich kurz um und trat auf die Helden zu. Da er mir den Rücken zuwandte, konnte ich ihn weder genau erkennen noch hören, was er sagte. Mir fiel aber seine Kleidung auf, ein mit Pelz gesäumter Mantel aus edlem Leder und Hosen nach modernem Schnitt, beide in bestem Zustand. Ohne Frage war der Mann reich. Ich vernahm noch, wie einige Münzen auf dem Tisch klimperten, ehe der Mann sich verabschiedete. Die Helden sahen einander zufrieden an und erhoben sich.

Als ich mit meinem Gepäck auf die Straße trat, war ich einigermaßen überrascht, einen einfachen Planwagen vorzufinden, vor den drei Nobos gespannt waren und auf dessen Kutschbock Wim saß. Irgendwie passte das nicht recht zu meinen Vorstellungen von glorreichen Helden, die als selbstverständlich herausragende Reiter auf ihren Nobos in den Sonnenuntergang trabten.

»Beeil dich, Sängerknabe«, knurrte Huk, der den Kopf aus dem Wagen steckte. »Hol deinen Nobo und binde ihn hinten am Wagen fest.«

Ich warf meine Satteltaschen auf die Ladefläche, folgte seiner Anweisung und stieg dann selbst hinauf.

»Wo ist Dalagar?«, fragte ich. Er war nicht im Wagen und Huk schielte immer wieder ungeduldig nach draußen.

Der Dashiri verdrehte die Augen. »Die Magd des Wirtes ist ihm kurz vor der Abreise noch über den Weg gelaufen«, knurrte er. »Er lässt sich noch ein wenig anhimmeln.«

Ich sah mich im Wagen um. Es war ein einfaches Modell mit zwei Bänken an den Seiten der Ladefläche. Das Gepäck der Helden bestand aus einigen Taschen und diversen Waffen. »Wie kommt es, dass ihr mit einem Wagen reist?«, fragte ich neugierig.

Huk nickte in Richtung Wim. »Schau ihn dir doch an. Jeder Nobo würde auf die Dauer unter seinem Gewicht zusammenbrechen.« Er grinste schief.

Wims massige Gestalt auf dem Kutschbock füllte beinahe die ganze vordere Öffnung des Planwagens aus. Fürwahr ein Berg von einem Mann.

Verschwörerisch beugte ich mich zu Huk vor. »Stimmt es, dass sein Großvater ein Oger war?«

Huk maß mich mit belustigtem Blick. »He, Wim, der Barde will wissen, ob du von einem Oger abstammst.«

Wim fuhr zu uns herum. »Was?«, donnerte er. »Willst du mich beleidigen?«

Ich schluckte und hob die Hände. Wenn sich seine Gesichtszüge vor Wut verzerrten, war keine Spur mehr von Dümmlichkeit zu erkennen. »Es ist nur … so etwas wurde mir in einem anderen Dorf berichtet.«

»Wo? Von wem?«

»Äh, ich weiß nicht genau. Irgendein Bauer in irgendeinem Dorf.«

Wim knurrte. »Wehe, wenn ich den erwische, den mache ich platt«, grollte er. Damit wandte er sich wieder nach vorn und ich atmete auf.

»Wie du siehst, ein heikles Thema«, grinste Huk. Er senkte die Stimme. »Aber wenn du mich fragst, hat er mit Sicherheit Ogerblut in den Adern.«

»Es kann losgehen!«, rief Dalagar gutgelaunt und sprang leichtfüßig auf den Wagen. Vorne gab Wim den Nobos einen Befehl und der Wagen ruckte an.

Mittlerweile hatte sich herumgesprochen, wer die letzte Nacht im Dorf verbracht hatte, und so standen einige der Bewohner an der Straße und winkten. Dalagar winkte zurück – offenbar sehr zur Freude einiger Frauen. Ich sah die eine oder andere selig lächeln oder gar erröten.

»Wohin geht unsere Reise eigentlich?«, fragte ich.

»Densweiler«, gab Huk zurück. »Zwanzig Meilen nordöstlich von hier.«

Der Ort sagte mir nichts, aber das galt für die meisten der zahlreichen Nester, die verstreut in den wilden Nordlanden lagen. Sie trugen allesamt Namen wie Junaksruh, Densweiler, Berukshaus und so weiter, meist benannt nach dem ersten Siedler, der sich an dem Ort niedergelassen hatte. Junaksruh gehörte zu den größeren Siedlungen – wir konnten immerhin ein paar Worte wechseln, ehe wir die Häuser hinter uns gelassen hatten. Ich hatte aber auch schon Orte besucht, die nur aus zwei oder drei Gebäuden bestanden.

»Und was habt ihr dort zu tun?«, fragte ich weiter.

»Ärger mit Wolfsmenschen«, erwiderte Dalagar. »Haben wohl schon einige Rinder gerissen. Die nächste Garnison ist weit weg und hat andere Sorgen, also wurden wir gerufen.«

»Verstehe. Aber wie erreicht man euch denn? Ich meine, ihr seid doch ständig unterwegs.«

»Meist sind es fahrende Händler oder Bauern, die ihre Waren ausliefern, die uns von einem Problem in ihrem Dorf erzählen. Manchmal reist uns sogar jemand nach. Normalerweise hätte ich dem Wirt gesagt, wohin wir unterwegs sind, aber wir werden nach der Wolfsmenschensache sowieso wieder herkommen. Du hast den Kaufmann ja gesehen, der uns angesprochen hat.«

»Der hat einen Auftrag nach meinem Geschmack für uns«, meinte Huk und grinste schief. »Endlich mal kein Ungeziefer, das wir plattmachen sollen, und es springt mehr als Unterkunft und Verpflegung dabei heraus.«

Was für ein Leben, dachte ich. Durch die Welt fahren, Menschen helfen, als Helden gefeiert werden, die absolute Freiheit. Dalagar, mit seinem verwegenen, aber doch einnehmenden Aussehen, passte wunderbar in diese Rolle. Wieso er sich aber gerade diese beiden Mitstreiter ausgesucht hatte, wollte mir noch nicht in den Kopf. Nach meinem bis dahin gewonnenen Eindruck verstanden sich Huk und Dalagar nicht einmal besonders gut, zumindest schien der Dashiri neidisch auf Dalagars Wirkung bei Frauen zu sein, auch wenn er dies mit abfälligen Bemerkungen zu überspielen versuchte. Vielleicht steckte auch mehr dahinter, doch ich wollte lieber nicht nachfragen, aus Sorge, in ein ähnliches Fettnäpfchen zu treten wie zuvor bei Wim. Möglicherweise bot sich im Verlauf der Reise ja die Gelegenheit, mit Dalagar allein zu sprechen.

»Wie wäre es denn nun mit einer Geschichte?«, fragte ich stattdessen. »Die Reise ist lang, so könnten wir uns die Zeit vertreiben.«

Dalagar nickte. Der einäugige Krieger wurde mir immer sympathischer. »Sicher. Welche Geschichte nehmen wir denn, lass uns mal überlegen.« Er rieb sich das stoppelige Kinn.

»Wie wäre es mit der Jagd nach den Räubern von Veksloch?«, schlug Huk vor.

Dalagar schüttelte den Kopf. »Das war ja nicht besonders spannend, oder? Wir sind ihnen drei Tage nachgeritten, haben sie gestellt und getötet, das war’s.« Er zuckte die Schultern. »Ich wäre eher für den Auftrag der Tempelmeisterin von Nulkin.«

»Ja, sicher«, knurrte Huk. »Wim und ich durften in den Katakomben die Rattenplage beseitigen, während du eine einsame Novizin davon abgehalten hast, ihr Gelübde abzulegen. Klar, dass dir so eine Geschichte gefällt. Aber du willst doch eher ein echtes Abenteuer hören, oder, Sängerknabe?«

»Ja, da hast du recht. Und mit Verlaub, mein Name ist Felahar von Brickstein, ich wäre dir verbunden, wenn du …«

»Von