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Vorwort

Das über 200 Jahre alte Zitat von Alexander von Humboldt auf Seite 1 hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Das kleinste Andenland am Äquator fasziniert die Reisenden durch spektakuläre Landschaften, kulturelle Vielfalt und die Freundlichkeit seiner Bewohner. Ecuador gilt als ideales Reiseland für Lateinamerika-Einsteiger, denn auf kleinem Raum beherbergt es die typischen geografischen Eigenheiten des Kontinentes. Von der Pazifikküste über die schneebedeckten Vulkangipfel hin zum Amazonas-Tiefland findet man die unterschiedlichsten Klima- und Vegetationsformen. So kontrastreich die Landschaft, so groß die ethnische, kulturelle und soziale Verschiedenartigkeit der Ecuadorianer. Ein Land, das über große Bodenschätze und beste Anbaubedingungen verfügt, dessen Bewohner durch ihren Kampfgeist immer wieder für Schlagzeilen sorgen, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich nach wie vor groß ist. Ein Land, das für jeden Überraschungen bereithält und die Besucher durch bizarre Erlebnisse fasziniert, ja manchen sogar nie wieder loslässt. Ein Land, das sich auf einer schmerzvollen Suche nach seiner Identität – der ecuadorianidad – befindet, auf der wir es auf den folgenden Seiten begleiten möchten.

Dieses Buch soll helfen, die Einstellungen der Bewohner zu verstehen, soll zu privaten Kontakten ermutigen, öffnet den Reisenden den Blick für ecuadorianische Eigenartigkeiten und soll vor dem einen oder anderen Fettnäpfchen bewahren. Es richtet sich an Reisende und an Personen, die in Ecuador leben werden.

Menschen, die sich auf einen Auslandsaufenthalt vorbereiten, ahnen, dass ihre gewöhnlichen Verhaltensweisen in dem anderen Kulturkreis nicht immer angemessen sein werden. Es gilt, sich mit Neuem vertraut zu machen, um adäquat reagieren zu können. Daher ist es ratsam, sich die begrenzte Funktionalität des eigenen Verhaltensrepertoires zu verdeutlichen und dieses neu zu bewerten. Deutsche sollten sich ihrer kulturellen Eigenart bewusst sein: So wird im Folgenden an vielen Stellen die „deutsche Sicht“ der Dinge bemüht, um durch die Gegenüberstellung zu verdeutlichen, dass die eigene Logik nicht unbedingt diejenige der Anderen ist. Das Wissen um andere Kulturstandards ist hilfreich, um sich zurechtzufinden und um grobe Patzer zu vermeiden. Dennoch sind das eigene Erleben und die fortwährende Offenheit und Aufmerksamkeit gegenüber der anderen Kultur nicht durch angelesenes Wissen zu ersetzen.

Dieses Buch versteht sich als Annäherung an die ecuadorianische Kultur und will Hilfestellung bieten für Situationen, in denen man sich in Ecuador oft wiederfindet. Das Folgende versteht sich nicht als Gebrauchsanweisung, sondern soll der Sensibilisierung dienen. Mit diesem Basiswissen kann man sich eigene Erfahrungen erleichtern und offener auf neue Situationen zugehen. Jedoch wird der Reisende bald feststellen: Je tiefer man in eine andere Kultur eindringt, desto weniger allgemeingültige Aussagen möchte man über ein Land treffen. Es gilt, jede Situation und jedes Individuum neu zu betrachten, um sich dann angemessen verhalten zu können.

Alle Menschen zeichnen sich erst einmal durch menschliche Verhaltensweisen aus, daneben haben aber die Bewohner eines Landes ihre mentalen Besonderheiten, denen in diesem Buch nachgegangen wird. Tendenzen und Grundstrukturen sollen aufgezeigt werden, stets bemüht, übertriebene Verallgemeinerungen zu vermeiden. Trotzdem bot es sich an einigen Stellen an, den „Durchschnittsecuadorianer“ zu bemühen, der so selbstverständlich nicht existiert. Alle Menschen haben individuelle Hintergründe, die ihre Eigenarten genauso oder mehr prägen als die Kulturen, in denen sie leben. Beides ist jedoch eng miteinander verwoben.

Mentalitäten und soziokulturelles Verhalten lassen sich nicht losgelöst von historischen, politischen und ökonomischen Faktoren betrachten. Daher nehmen auch diese Themen Raum ein, insbesondere unter dem Aspekt, welche Bedeutung sie für den Alltag der Bürger haben.

Inwiefern können Reisende in Ecuador einen Kulturschock erwarten? Nach der Ankunft in Ecuador fühlen sich die meisten Neuankömmlinge zunächst in ein fremdes Universum geworfen: Taxifahrer stürmen auf sie ein, die erste Orientierungslosigkeit und die plötzliche Hektik nach einem langen Flug. Dann die Taxifahrt durch Quito oder Guayaquil, die in der Dunkelheit bedrohlich und fremd wirken können. Bei Tageslicht sieht alles gleich ganz anders aus und die Reisenden wagen erste Schritte in die neue Umgebung. Relativ schnell gewöhnen sich die meisten Ausländer an das Land und fühlen sich bald sicher. Der Kulturschock in Ecuador ist für Deutsche zunächst nicht besonders groß. Sie stellen fest, dass die Ecuadorianer auch nur Menschen sind, dass wir im weiteren Sinne zu einem Kulturraum gehören und viele kulturübergreifende Rituale die Eingewöhnung erleichtern. Dies kann aber eine scheinbare Sicherheit vorgaukeln. Kommt es zu einem intensiveren Kontakt mit Land und Leuten, stellt sich zwar nicht unbedingt ein ausgewachsener Kulturschock ein, möglicherweise jedoch phasenweise auftretende Überforderungserscheinungen, denn die Mentalitäts- und Verhaltensunterschiede sind vielleicht größer als zunächst sichtbar. Die Symptome können sein, dass sich die Fremden fehl am Platz fühlen und keine Lust mehr haben, offen für Neues zu sein. Der beste Ratschlag lautet, sich eine Auszeit zu gönnen, indem z. B. eine gewohnte Umgebung aufgesucht wird. Geeignet sind Orte, die sich nach den Bedürfnissen europäischer Touristen richten, sei es ein nettes Café in den Touristenvierteln der großen Städte oder ein paar Tage im Erholungsstädtchen Baños. Manchem hilft schon ein ausgedehnter Plausch mit Landsleuten. Der vertraute Rahmen lässt die Eindrücke einwirken und lädt die Bereitschaft, offen mit Fremdem umzugehen, wieder auf. Ecuadorianern geht es übrigens in Deutschland nicht anders. Dieses Buch kann solche Momente der Überlastung nicht vorwegnehmen, sie aber abschwächen.

Wir, die Autoren, haben am eigenen Leibe kleinere bis mittelschwere Kulturschocks in Ecuador und Deutschland erlebt. Dieser Band ist Ergebnis intensiver Auseinandersetzung, in die wir beide unsere Erfahrungen mit der eigenen Kultur und der des Anderen haben einfließen lassen. Wir haben uns um Objektivität bemüht, gleichzeitig wissend, dass die nicht zu erreichen ist. Wir haben die Innen- und Außenperspektive durch lange Diskussionen auf einen Nenner gebracht, andere Meinungen hinzugezogen, wissenschaftlichen Beistand geholt und schließlich versucht, den verschiedenen Sichtweisen Raum zu geben.

Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist schwierig, ein Land komplett in einem Buch zu erfassen. In keinem Land gibt es nur eine Mentalität oder eine Kultur, sondern viele Parallel- und Subkulturen. Des Weiteren ist Kultur nicht statisch, sondern in ständigem Wandel, daher sind Schriften über Kultur als Momentaufnahmen zu sehen.

Dieses Buch soll vor allem Lust machen, Ecuador und seine Menschen selbst kennenzulernen – und dabei wünschen wir Ihnen viel Spaß!

Julia Paffenholz und Raúl Jarrín

Inhalt

Vorwort

imageVerhaltenstipps von A bis Z

imageDie geschichtlichen Wurzeln

Präkolumbische Zeit

Inkareich

Kolonialzeit

Nationale Unabhängigkeit

Republik Ecuador

Die junge Demokratie

Das neue Jahrtausend – el Nuevo Pachakutik

imageDie Bevölkerung Ecuadors

Geografische Einflüsse auf die Gesellschaft und Besiedelung

Ethnien und Mestizaje

Die soziale Pyramide

imageKultur: Glaube, Fiestas und Kunst

Religion und Volksglaube

Feiertage und Feste

Kunst

imageDie Gesellschaft heute: von der Bananenrepublik zur Demokratie

Politische Landschaft und Akteure

Nationale Identität, Nationalismus und Patriotismus

Rechte, Gesetze und Korruption

Wirtschaft

Migration

Staatliche Versorgung

Medien

Umwelt

Entwicklungszusammenarbeit

imageVerhalten und Kommunikation

Sprache

Kommunikationsstil

Konfliktverhalten

Nonverbale Kommunikation

Lebensgefühl

imageFamilie und Alltag

Rollenverhalten von Männern und Frauen: von Müttern und Machos

Frauen in der heutigen Gesellschaft

Deutsch-ecuadorianische Beziehungen

Die Funktion der Familie

Moralvorstellungen und Wertewandel

Ländliches Milieu

Städtischer Alltag

Arbeitsleben

Dienstpersonal

Freizeitgestaltung

Ess- und Trinkkultur

imageAls Fremder in Ecuador

Das Phänomen Ausländer

Tourismus

Gewalt und Sicherheit

Versorgung

Verkehr und Transportmittel

Was Ausländern auffällt

Ausklang

imageAnhang

Glossar

Literaturtipps

Informatives aus dem Internet

Register

Bildnachweis

Übersichtskarte Ecuador

Die Autoren

Exkurse zwischendurch

Der Grenzkonflikt mit Peru

Das Bild der Mestizaje im Wandel der Zeit

Armut in Zahlen

Die letzten Eisholer vom Chimborazo

Bräuche

Indigene Heilungsmethoden

Im ganzen Land gültige Feiertage

Ein ecuadorianischer Witz – „Woher kamen Adam und Eva?“

Buen Vivir – das gute Leben

Offener Brief einer Ecuadorianerin an ihre Landsleute

„Du weißt, dass du Ecuadorianer bist, weil …“

Yasuní-ITT

Schimpfwörter und Flüche

Wie geht man als Deutscher mit dem ecuadorianischen Konfliktmanagement um?

Pünktlichkeit

Gedicht über Männer und Frauen (Autor anomym)

Ein ecuadorianischer Witz

Folklore, Kommerzialisierung und neues Selbstbewusstsein

Gedanken und Eindrücke von der Ecuador-Reise

Hinweise zur Benutzung

Im Text wird zugunsten der besseren Lesbarkeit auf die weibliche Form verzichtet. Die Bezeichnungen „Ecuadorianer“ und „Deutscher“ schließen Frauen mit ein.

Das Buch richtet sich an ein deutschsprachiges Publikum, der Einfachheit halber wird meist von Deutschen geredet. Zudem basiert das Kapitel über Kommunikation auf Vergleichen zwischen Deutschland und Ecuador, die für die Schweiz und Österreich vielleicht nur bedingt zutreffen.

Extrainfos im Buch

ergänzen den Text um anschauliche Zusatzmaterialien, die von den Autoren aus der Fülle der Internet-Quellen ausgewählt wurden. Sie können bequem über unsere spezielle Internetseite www.reise-know-how.de/kulturschock/ecuador19 durch Eingabe der jeweiligen Extrainfo-Nummer (z. B. „#1“) aufgerufen werden.

Verhaltenstipps von A bis Z

imageAlkohol ist nicht in dem Maße Teil der Alltagskultur wie in Europa, d. h., dass zum Essen oder nach Feierabend eher seltener getrunken wird. Auf Fiestas am Wochenende hingegen wird umso mehr Alkohol konsumiert. Wein und Sekt gibt es selten, dafür Bier und Zuckerrohrschnaps mit Cola (s. S. 264).

imageAnrede: Die üblichen Anreden sind Señor, Señora und Señorita (für junge unverheiratete Frauen) in Kombination mit dem Nachnamen. Die Nachnamen der Ecuadorianer setzen sich aus dem ersten Zunamen des Vaters und dem ersten Zunamen der Mutter zusammen. Die meisten Leute benutzen im Alltag aber nur den ersten Nachnamen. Wenn Frauen heiraten, legen sie den zweiten Nachnamen, also den der Mutter, ab und hängen den des Ehemanns gekoppelt mit einem „de“ hinten an. Susana López Vinueza hat einen Vater, der mit erstem Nachnamen López heißt, und eine Mutter, deren Mädchenname Vinueza lautet. Heiratet sie einen Luis Terán Morales heißt sie nun Susana López de Terán, die Kinder heißen Terán López.

Manche Frauen verwenden weiterhin ihren Mädchennamen (Susana López), andere bevorzugen durch ihren Namen zu zeigen, dass sie verheiratet sind (Susana de Terán).

imageArmut und Bettelei: Die Armut ist in Ecuador allgegenwärtig. Sichtbar wird sie durch die zahlreichen Straßenverkäufer, Schuhputzjungen und Bettler. Rund um Hotels oder Touristenattraktionen wird mehr gebettelt als anderswo. Viele Ecuadorianer geben Almosen. Im Allgemeinen erfolgt das Betteln nicht aufdringlich. Entscheiden Sie selbst, ob Sie etwas geben wollen (s. S. 86)!

imageAusländer: Als Europäer genießt man in Ecuador hohes Ansehen. Die Leute gehen offen und herzlich auf Ausländer zu und es ist leicht, Kontakte zu knüpfen. Darüber hinaus werden Touristen auch als Devisenbringer angesehen (s. S. 268).

imageBegegnungen/Begrüßungen: Die üblichen Höflichkeitsfloskeln sollten von jedem Reisenden beherrscht werden. Bei einer freundlichen Anrede wird man ebenso herzlich zurückgegrüßt werden. Höfliche Anreden dienen auch als Türöffner für alle weiteren Kontakte: por favor („bitte“), gracias („danke“), buenos dias („Guten Tag“), buenas tardes („Guten Nachmittag/Abend“), hasta luego/adiós („auf Wiedersehen“). Eine(n) Unbekannte(n) spricht man mit Señor, Señora oder Señorita an.

Der normale Gruß in informellen Situationen lautet Hola, como estás? oder Hola, qué tal? („Hallo, wie geht es dir?“). Unter Freunden und Bekannten wird er oft von einem flüchtigen Küsschen auf die rechte Wange begleitet. Unter Männern pflegt man meist ein leichtes Schulterklopfen oder eine flüchtige Umarmung, oft schütteln sich Freunde auch die Hände.

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055ec dr © Kseniya Ragozina

Diese Frau auf dem „Mercado de Ponchos“ trägt traditionelle Kleidung

Andere Begrüßungsfloskeln sind: Qué tal te fue? oder qué fue? („Wie war’s?“, „Was war?“, „Wie ist es dir ergangen?“). Die Frage nach dem Befinden ist mehr eine Floskel und wird meistens mit gracias beantwortet. Man kann aber auch ehrlich antworten, dann dient die Antwort als Gesprächseröffnung. In formellen Situationen begrüßt man sich mit: Buenos días, como está Usted? (bis zum Mittag), Buenas tardes, como está Usted? (ab dem Mittag), dabei werden die Hände geschüttelt. Werden Personen zum ersten Mal einander vorgestellt, sagen sie beim Händeschütteln: Mucho gusto oder Un gusto conocerle oder Un gusto conocerte („Schön, Sie/dich kennenzulernen.“).

Es ist üblich, beim Abschied (auch bei kurzen Begegnungen oder auf Fiestas) noch einmal allen die Hände zu schütteln oder die Umstehenden auf die Wange zu küssen.

imageBekleidung: Auf Kleidung wird sehr viel Wert gelegt, repräsentiert sie doch den sozialen Status. Auch ärmere Menschen sind bemüht, korrekt und sauber gekleidet zu sein. Zu besonderen Anlässen werden ein Anzug oder ein Kostüm angezogen. In Büros, Schulen und Ämtern gibt es oft eine Kleidungsvorschrift oder eine Uniform. In den „white collar jobs“ (Arbeit, bei der man sich nicht schmutzig macht) tragen Männer meist einen Anzug und Frauen ein Kostüm und hochhackige Schuhe, selbst im Dschungel oder an der Küste.

Auf dem Land sieht man im Alltag viele Leute mit alten dreckigen Klamotten, was durch die Landarbeit kaum zu umgehen ist. Beim sonntäglichen Kirchgang und dem anschließendem Flanieren im Park ziehen sich Ecuadorianer aber sehr schick an.

In den großen Städten und unter der jungen Bevölkerung weichen diese klassisch-konservativen Kleidungsgewohnheiten langsam auf. Jugendliche kleiden sich nach der neuesten internationalen Mode. Sehr gerne wird mit teuren Markenklamotten auf den sozialen Status aufmerksam gemacht. Diejenigen, die sich das nicht leisten können, bedienen sich der Markenimitate. Sehr wichtig ist sauberes Schuhwerk. Das erklärt die Existenz vieler Schuhputzerjungen. Die Ecuadorianer sind gegenüber der oft lässigen Kleidung der europäischen Touristen tolerant. Unverständnis wird allerdings gegenüber kaputter und schmutziger Kleidung gezeigt. Nehmen Sie für besondere Gelegenheiten etwas Schickes zum Anziehen mit! Schließlich müssten es sich die Europäer doch leisten können. Für besondere Gelegenheiten sollte auf jeden Fall etwas Schickes parat sein.

imageBerührungen/Körperkontakt: Die Körperdistanz ist geringer als in Mitteleuropa. Menschen berühren sich häufiger als bei uns, auch dann, wenn sie sich nicht so gut kennen. Das wird schon bei der Begrüßung deutlich (s. S. 222).

imageBerufsgruppenbezeichnungen und Titel sind in Ecuador sehr wichtig. Im Arbeitsleben und mitunter sogar im Privatbereich werden Menschen mit ihrem Titel angesprochen, der vor den Nachnamen gestellt wird oder alleine steht. Doctor/-a (Dr., Dra.), Licenciado/-a (Lcdo., Lcda., entspricht einem abgeschlossenen Hochschulstudium in Geisteswissenschaften oder Pädagogik), Ingeniero/-a (Ing., Ingenieur), Profesor/-a (Lehrer, Professor), Abogado/-a (Anwalt), Arquitecto/-a (Architekt). Aber auch nichtakademische Titel wie z. B. Maestro für Handwerksmeister werden verwendet. Diese Titel ersetzen z. T. den Namen einer Person.

imageBestechung wird in Ecuador zwar bekämpft, kann aber nur sehr schwer aus dem bürokratischen Apparat eliminiert werden. Als Ausländer sollte man sich in dieser Hinsicht sehr zurückhalten und auf keinen Fall plumpe Bestechungsversuche starten. Bestimmte bürokratische Hürden überspringen Ecuadorianer wie Ausländer mithilfe eines Anwalts, der gewissermaßen als Mittelsmann fungiert, um mit einem „Bonus“ an das gewünschte Ziel zu kommen (s. S. 171).

imageDrogen: Vorsicht im Umgang mit Drogen! Der Drogenhandel wird hart bestraft und die als Eigenbedarf tolerierte Menge ist sehr gering. Auch Konsumenten werden zunächst festgenommen. Es sitzen einige Europäer in ecuadorianischen Gefängnissen, die bei solchen Delikten keine Unterstützung durch die Botschaft erhalten. Ebenso ist die Toleranz gegenüber Haschischkonsum geringer als in Deutschland.

imageEinkaufen/Märkte: Man bekommt in Ecuador alles Wichtige, was es auch in Europa gibt. Importierte Artikel gibt es in den großen Supermärkten, oftmals sind sie aber teurer als in Europa. Viel günstiger und keinesfalls schlechter versorgt man sich auf den Märkten. Die meisten Orte verfügen über eine eigene Markthalle, in der man die ganze tropische Vielfalt Ecuadors erstehen kann (s. S. 274).

imageEinladungen und Besuch: Gastfreundschaft wird groß geschrieben und eine Einladung ist schnell ausgesprochen. Wird man von flüchtigen Bekannten oder neuen Arbeitskollegen eingeladen, dann muss das so lange nicht wirklich ernst genommen werden, bis ein konkretes Datum vereinbart wird.

Häufig werden vage Einladungen ausgesprochen, die vielleicht nie konkretisiert werden. Rückt der Tag der deutlich ausgesprochenen Einladung näher, sollte man sich auf jeden Fall nochmals versichern, ob der Termin nicht vergessen wurde, oder sogar darauf warten, dass der Einladende sich selbst rückversichert. Bei Gastgebern zu Hause gelten ähnliche Höflichkeitsregeln wie in Deutschland:

Bei Einladungen sind 15–30 Minuten Verspätung noch im Rahmen des Zumutbaren, man sollte andererseits aber auch nicht zu früh erscheinen.

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Versammlung unter Freunden

Ein kleines Gastgeschenk wie eine Flasche Wein oder Pralinen kommt immer gut an, wird aber nicht erwartet.

Die Länge des Besuchs hängt ganz entscheidend von der Stimmung des Abends ab. Die Gastgeber werden jedoch kaum jemals sagen, sie wollen jetzt zu Bett gehen. Von daher sollte man auf kleine Zeichen achten oder aber sagen, dass man jetzt gehen möchte – die Reaktion der Gastgeber verrät dann, ob dies willkommen ist oder nicht.

Eine Gegeneinladung auszusprechen ist zwar angebracht, wird aber nicht zwingend erwartet. Man kann sich z. B. auch durch einen Restaurantbesuch o. Ä. revanchieren. Wer eine Einladung in ein Restaurant ausspricht, muss dort auch bezahlen.

Geizen Sie nicht mit Komplimenten!

Ist man zu einer Fiesta eingeladen, kann man kommen, wann man will. Es ist außerdem erlaubt, Freunde mitzubringen, ohne dies vorher anzukündigen.

Sehr beliebt ist es, den Gästen Fotos zu zeigen, sei es von der Familie, von der Hochzeit oder von Reisen. Daher ist es eine gute Idee, selbst Fotos aus Deutschland oder von der Familie mitzubringen.

imageEss- und Trinksitten: Ecuadorianische Gerichte vereinen Elemente der andinen und spanischen Küche. Fleisch ist der wichtigste Bestandteil der meisten Gerichte. Das Essen ist für europäische Gaumen nicht zu exotisch, hier und da gibt es aber ein paar kulinarische Überraschungen. Im Allgemeinen kommt jeder auf seine Kosten. Die Fruchtsäfte und Milchshakes sollte man unbedingt probieren (s. S. 260).

imageFeiern: Es gibt zahlreiche religiöse und weltliche Anlässe, bei denen gefeiert wird. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es auf Festlichkeiten oftmals turbulenter zugeht als in Deutschland und dass man ums Tanzen nicht herum kommt (s. S. 126).

imageFotografieren: Wie in Europa ist es auch in Ecuador Teil der guten Sitten, dass Menschen gefragt werden, bevor man sie fotografiert – egal, welcher Schicht sie angehören. Meistens ist die Antwort positiv. Zudem findet man immer leicht jemanden, der ein Foto von einem selbst macht.

imageFrau und Mann: Der Umgang zwischen den Geschlechtern ist in größerem Maße von Höflichkeit und einer gewissen Sinnlichkeit geprägt als in Deutschland. Die geschlechterspezifische Rollenverteilung ist sicherlich stärker ausgeprägt, jedoch findet auch in Ecuador seit einigen Jahren ein Wandel statt. Aus diesem Grund sollte man vorsichtig sein mit dem Klischee vom typischen latino macho (s. S. 234).

imageGeld: Aufgrund der großen Kluft zwischen dem deutschen und dem ecuadorianischen Durchschnittseinkommen kann es zu Situationen kommen, die ein wenig unangenehm sein können, wenn klar wird, wie eingeschränkt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Ecuadorianer sind. Dies zeigt sich z. B. beim gemeinsamen Ausgehen. Meist wird mit US-Dollar bezahlt. Man sollte immer genügend Kleingeld bereit halten, da oftmals kein Restgeld gegeben werden kann. In letzter Zeit scheint es Probleme mit Debitkarten (Girocards) zu geben. Der Einsatz von Girokarten mit Vpay-Funktion ist in Ecuador grundsätzlich nicht möglich. Man sollte sich als Ausländer bezüglich der Geldbeschaffung mehrere Möglichkeiten offenhalten.

Extrainfo 1 (s. S. 9): Impressionen vom Stadtfest in Santo Domingo

imageGeschenke: In Ecuador machen sich die Menschen zu den auch in Deutschland üblichen Anlässen Geschenke. Ist man zu einem Geburtstag eingeladen, wird kein besonders großes Geschenk erwartet – eine Kleinigkeit reicht. Insgesamt fallen Geschenke kleiner aus und werden auch seltener gemacht.

imageGesprächsthemen: Man kann über alle denkbaren Themen sprechen. Echte Tabus gibt es kaum. Im Allgemeinen reden die Ecuadorianer häufiger und intensiver über ihre Kinder, unangenehme Themen wie Konflikte in Familien etc. werden hingegen meist ausgespart (s. S. 217).

imageGesten und Mimik: Die meisten international üblichen Handzeichen werden auch in Ecuador verstanden und verwendet. Daneben existieren einige landestypische Gesten (s. S. 223).

imageHomosexualität wird ungern gesehen und ist nicht öffentlich anerkannt, aber selbstverständlich trotzdem existent. Das heißt, dass im Straßenbild kaum homosexuelle Handlungen vorkommen. Die LGBT-Bewegung erstarkt allerdings immer mehr. Gleichzeitig machen in letzter Zeit sogenannte Umerziehungskliniken zur Bekämpfung der Homosexualität von sich reden.

imageKinder: Niemand fühlt sich durch die Anwesenheit von Kindern gestört. Sie sind ein selbstverständlicher Teil des öffentlichen Lebens. Ecuadorianische Kinder wirken normalerweise sehr fügsam, von ihnen wird in einem höheren Maße Gehorsam erwartet als in Deutschland (s. S. 249).

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057ec dr © Alexander Shalamov

Iguanas auf Galapagos

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058ec dr © Steve Allen

In der Altstadt von Quito wird Flagge gezeigt

imageKrankheiten: Man muss als Tourist keine übertriebene Angst vor Krankheiten haben und sollte sich bei Lebensmitteln und Speisen auf sein Bauchgefühl verlassen! Sollte man doch einmal erkranken, kann in einer der vielen niedergelassenen Praxen (consultorios) Hilfe gesucht werden. Dort bezahlt man bar oder mit Kreditkarte. Die Rechnungen werden im Allgemeinen von den deutschen Auslandskrankenversicherungen erstattet. Die deutsche Botschaft informiert über deutschsprachige Ärzte. In öffentlichen Krankenhäusern wird man kostenlos behandelt, die Medikamente zahlt man selbst. In den größeren Städten gibt es Privatkliniken, dort wird man gegen Vorlage einer Kreditkarte behandelt.

imageKriminalität ist deutlich weiter verbreitet als in Europa. Dies gilt insbesondere für Diebstahldelikte und Überfälle. Man sollte seine Wertgegenstände nicht offen zur Schau stellen und im Dunkeln nicht alleine unterwegs sein, sondern sich ein Taxi nehmen. Auf keinen Fall sollte man im Falle eines Überfalls den Helden spielen (s. S. 272)!

imageKritik (im Gespräch): In Ecuador übt man viel seltener und viel dezenter Kritik als in Deutschland. Wenn Ecuadorianer etwas kritisieren, bekommen es die Deutschen oft gar nicht mit, so nett ist es verpackt. Die in Deutschland verbreitete Mentalität, sich erst mal zu beschweren oder gründlich nach Kritikpunkten zu suchen, stößt in Ecuador auf Unverständnis. Man sollte es sich daher gut überlegen, ob man wirklich Kritik üben möchte (s. S. 208)!

imageMoralkodex: Die vorherrschenden Wertevorstellungen sind von katholisch-christlichen Werten geprägt. In Teilen werden diese Werte durch den Einfluss der Globalisierung oder durch Sachzwänge unterwandert. Auch der indigene Wertekanon wird als modellhaft angesehen. Er kann mit der Formel „nicht stehlen, nicht lügen und nicht lasterhaft sein“ beschrieben werden (s. S. 251).

imageMüll: Noch findet Mülltrennung nicht wirklich oft statt, aber sie verbreitet sich zunehmend. Hinzu kommt, dass Recycling durch die Armut eine viel größere Rolle spielt. Daher gibt es viele Menschen, die Wertstoffe sammeln. Billiger sind die Waren, die wenig Verpackung haben, oder Flaschen, die wiederverwendet werden. Leider drängt auch in Ecuador die Plastikindustrie andere ressourcenschonende Verpackungen zurück (s. S. 190).

imagePatriotismus: Die meisten Ecuadorianer lieben ihr Land. Sie zeigen dies auf eine Art und Weise, die selten unangenehme Tendenzen aufweist. Viel eher möchte man sich dem Lob direkt anschließen. Seit langem spiegelt sich die nationale Befindlichkeit in dem ursprünglich bei Fußballspielen verwendeten Motto „Sí, se puede“ – „Ja, wir schaffen das!“ wider, was angesichts der vielen Miseren Ecuadors mitunter wie eine Durchhalteparole wirkt (s. S. 165).

Extrainfo 2 (s. S. 9): Eine Reise durch Ecuador mit dem Blogger Steve Hänisch

imagePost: Auf die ecuadorianische Post ist kein Verlass. Firmen nutzen daher neben E-Mail, Fax und Telefon auch Hausboten oder private Kurierdienste. Private Busunternehmen verfügen über ein sehr gut ausgebautes und zuverlässiges System der Waren- und Briefverschickung zwischen den Städten. Postkarten nach Europa erreichen im Allgemeinen ihr Ziel. Auf dem umgekehrten Weg gibt es allerdings häufiger Probleme.

imagePünktlichkeit: In Ecuador wird weniger auf Pünktlichkeit geachtet als in Deutschland. Jedoch setzen viele Leute bei Deutschen eine gewisse Pünktlichkeit voraus und stellen sich darauf ein. Je nach Situation kann eine Verspätung von bis zu zwanzig Minuten noch als beinahe pünktlich angesehen werden (s. S. 228).

imageRauchen: Man sollte vor dem Anzünden einer Zigarette fragen, ob man damit niemanden belästigt, zudem sollte man in Restaurants um einen Aschenbecher bitten. Rauchen wird an vielen Orten nicht gerne gesehen, obwohl keine Schilder darauf hinweisen. In Ecuador rauchen wesentlich weniger Menschen als in Europa, allerdings gibt es viele Gelegenheitsraucher, die z. B. auf Partys rauchen.

imageSprache: Man sollte vor der Anreise zumindest ein kleines bisschen Spanisch lernen! Durch ein wenig Aufwand kann so die Freude am Aufenthalt um ein Vielfaches gesteigert werden. Das ecuadorianische Spanisch der Anden wird sehr deutlich ausgesprochen und ist leicht zu verstehen. Schwieriger wird es an der Küste, wo viele Konsonanten verschluckt werden. Die Ecuadorianer sind tolerant gegenüber sprachlichen Defiziten und bemühen sich nach Kräften zu ergründen, was ein Tourist sagen will. Mit Englisch kommt man nicht wirklich weiter (s. S. 201).

imageStatussymbole: Die typischen westlichen Statussymbole spielen auch in Ecuador eine wichtige Rolle. Markenartikel, große Autos, neueste Technik und schicke Häuser gelten für viele Menschen als erstrebenswert.

imageToilette: Aufgrund von Verstopfungsgefahr sollte kein Papier in der Kloschüssel entsorgt werden, sondern im nebenstehenden Eimer, da die Rohre ziemlich dünn sind. Auf dem Land spült man mitunter per Hand, indem man mit einem Eimer Wasser aus einem Fass schöpft. Toiletten sind mit der Aufschrift „Servicios“, „SSHH“ (servicios higiénicos) oder „Baños“ gekennzeichnet. „Damas/ Señoras“ steht für Damen, „Caballeros/ Señores“ steht für Herren.

imageTrinkgeld: Trinkgeld kann man in Taxis oder Restaurants geben, es wird aber nicht unbedingt erwartet. In Restaurants ist ein Aufpreis für den Service häufig direkt auf der Rechnung aufgeführt. Für kleinere Dienstleistungen (beispielsweise Straßenjungen, die einen Parkplatz suchen oder auf das Auto aufpassen) sollte man immer ein bisschen Kleingeld in der Tasche haben.

imageVegetarier: In Ecuador gibt es viele leckere vegetarische Speisen und Backwaren. Dennoch ist es in Restaurants gar nicht so einfach, etwas rein Vegetarisches zu bekommen. Oftmals werden auch die eigentlich fleischlosen Gerichte mit ein bisschen Speck oder tierischem Fett zubereitet. In den großen Städten und den Touristenorten gibt es einige vegetarische Restaurants (s. S. 260).

imageVerkehrsmittel: Vorsicht, Autos haben immer Vorfahrt! Sie rechnen auch nicht damit, dass ein Fußgänger denkt, dass der Fahrer bremsen wird. Statt zu bremsen, wird gehupt. Auf der Straße sollte man unbedingt schauen, wo man hintritt, denn es gibt zahlreiche ungesicherte Löcher und andere Fallen (s. S. 276).

– Auto: Nicht so sehr auf die Verkehrsregeln achten, sondern auf den Verkehr. Autos werden häufig geklaut, daher sollte man sein Fahrzeug nur auf bewachten Parkplätzen abstellen.

– Bus: Das Überlandbusnetz ist sehr gut ausgebaut. Die Busse verkehren häufig und man kommt günstig auch in die entlegensten Winkel des Landes. Busfahren ist eine sehr gute Methode, um Land und Leute kennenzulernen. Das innerstädtische Bussystem ist ebenso gut ausgebaut, für Ausländer allerdings schwer zu durchschauen.

– Taxis gibt es in großer Anzahl. Sie sind vergleichsweise günstig und sicher. Man kann beim Einsteigen nach dem Preis fragen, oftmals wird auf das Taxameter verwiesen. In kleineren Städten gibt es Fixpreise. Taxifahrer sind häufig zu einem Schwätzchen aufgelegt.

imageWunderdinge: Reisende berichten häufig von erstaunlichen, geradezu surrealen Erlebnissen in Ecuador. Ein Grund dafür könnte sein, dass oftmals unerwartete Dinge geschehen, diese aber einfach so hingenommen werden. Ecuadorianer sind es gewöhnt, ihre Pläne nicht allzu ernst zu nehmen, da die Umstände eine große Flexibilität und Geduld erfordern.

imageZeitverständnis: Der Planungshorizont ist kurzfristig. Teil des Alltags ist es, mit dem Unkalkulierbaren zu leben. Die gegenwartsorientierte Haltung erklären manche Ecuadorianer mit den klimatisch günstigen Bedingungen, die keine genauen Zukunftspläne erfordern. Auch könnte es von dem zyklischen Zeitverständnis der vorspanischen Kulturen herrühren (s. S. 227).

Extrainfo 3 (s. S. 9): Dokumentarfilm über eine Fahrt mit Ecuadors wieder in Betrieb genommener Eisenbahn

Die geschichtlichen Wurzeln

Die ecuadorianische Geschichtsschreibung war bis in die 1990er-Jahre von einer nationalistischen Perspektive geprägt. Die Sichtweise der spanischstämmigen Oberschicht dominierte das Geschichtsbild. Die Historiografie begann mit der Eroberung durch die Spanier, die vorherige Zeit wurde weitgehend ausgeblendet (es sei denn, man nutzte sie für nationalistische Zwecke, z. B. um eine Kontinuität zwischen nördlichem Inkareich und der Republik Ecuador herzustellen, die territoriale Ansprüche gegen Peru rechtfertigt). Die Republik wurde als einheitliches Gebilde dargestellt und die Geschichte der großen Staatsmänner erzählt. Die älteren Geschichtsbücher sind voll von heldenhaften Erzählungen über Unabhängigkeitskämpfer und Präsidenten. Seit den 1990er-Jahren bemühen sich jedoch mehr Historiker um eine Neubewertung der ecuadorianischen Geschichte, nun unter Einbeziehung der indigenen und afroecuadorianischen Völker Ecuadors. Dies ist vor allem dem bahnbrechenden Werk „La Nueva Historia del Ecuador“ („Die neue Geschichte Ecuadors“) des Historikers Enrique Ayala Mora zu verdanken, das Mitte der 1990er-Jahre erschien. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an seinem Werk.

Die ecuadorianische Vergangenheit lässt sich grob in fünf Epochen unterteilen: die präkolumbische Zeit, das Inkaimperium, die Kolonialzeit, die republikanische Epoche und die Gegenwartsgeschichte beginnend mit der Demokratisierung im Jahre 1978.

Präkolumbische Zeit

Erste Zeichen menschlichen Lebens findet man bereits aus der Zeit um 10.000 v. Chr. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um Besiedlung durch die Völkerwanderung aus Asien über die Behringstraße nach Amerika (ca. 40.000–25.000 v. Chr.). Die ersten Volksgruppen mit unterschiedlich weit entwickelten Kulturen lassen sich in der Küstenregion nieder. Ab ca. 4000 v. Chr. entstehen erste ackerbaubetreibende Kulturen, von denen heute noch zahlreiche kunstvoll gefertigte Töpfererzeugnisse zeugen. Hauptnahrungsmittel neben Fisch ist Mais. Die erste bekanntere Kultur ist die der Valdivia ca. 3500 v. Chr., die nach knapp 2000 Jahren von der Machalilla-Kultur abgelöst wird. Noch heute sind im Machalilla Nationalpark bei Puerto López ihre Spuren zu besichtigen. Hier tritt zum ersten Mal die Sitte in Erscheinung, durch spezielle Methoden Schädeldeformationen zu erzeugen, die pyramidenähnliche Köpfe entstehen lassen.

Archäologische Funde deuten darauf hin, dass die Region ein Kreuzungspunkt der Kulturen Amerikas ist. Artefakte lassen auf einen regen Austausch mit anderen Völkern schließen, der über den Pazifik, den Amazonas, aber auch durch das zentrale Andenbecken stattfand. Besonders deutlich wird das ab ca. 1500 v. Chr. in der Chorrera-Kultur, mit der eine Expansion der besiedelten Gebiete des Küstentieflands einhergeht und deren Einfluss sich bis nach Zentralamerika auswirkt. Ab ca. 500 v. Chr. ist ein starker Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen, die Siedlungen werden städtischer und politisch autonomer. Damit geht eine regionale Differenzierung einher und die Chorrera-Kultur verzweigt sich in zahlreiche Nachfolgekulturen. Im Küstentiefland sind dies die Volksgruppen der Jambelí, Bahía, Guangalá, Jama Coaque, Huancavilcas, Daule, Tejar und der La Tolita. In den Anden siedeln die Capulí, El Angel, Chaullabamba und die Tuncahuán. Im Amazonastiefland sind es die Yasuní- und Cosanga-Píllaro-Kulturen. Ihnen gemeinsam war eine hochentwickelte Kunstfertigkeit, in der jede einzelne Kultur ihren individuellen Stil entwickelte. Auch hier findet man wieder viele stilistische Ähnlichkeiten zu Völkern in Mittelamerika und dem heutigen Peru.

Ab ca. 500 n. Chr. ist eine regionale Integration zu verzeichnen, die wahrscheinlich auf ein verstärktes Bevölkerungswachstum zurückzuführen ist. Es formieren sich größere politische Einheiten zu sogenannten cacicazgos oder señorios étnicos, die sich über Verwandtschaftsverhältnisse und ethnische Zugehörigkeit definieren. Hier findet nun eine soziale Schichtung statt, d. h., Autoritätsverhältnisse bilden sich aus, es formiert sich eine Führungskaste. Auch in den Überbleibseln dieser Phase erkennt man, dass die Landschaft schon den Bedürfnissen der Menschen angepasst wird: Es werden Terrassen angelegt, Brunnen ausgeschachtet, Grabhügel gebaut. Aus dieser Entwicklung gehen vier wichtige Kulturen hervor: an der Küste von Nord nach Süd die Atacámes-Kultur, die Manta-Kultur und die Milagro-Kultur, die Milagro-Quevedo-Kultur im Inneren des Küstentieflandes. In der Sierra (Hochland) finden zunächst keine solche Integrationsbewegung statt. Später beginnen einzelne Stämme in den Anden zu erstarken (Caranqui, Cochasquí, Otavalo und Cayambe im Norden der Sierra, im Süden Píllaro, Sigchos, Puruhás und noch weiter südlich die Cañaris) und das heutige Quito bildet sich unter den Quitu als wirtschaftliches und politisches Zentrum heraus.

Ab ca. 900 n. Chr. beginnt der Stamm der Cara von der Küste aus, die Dominanz über andere Volksgruppen zu gewinnen und sich bis in die Andenregion auszubreiten. Er erobert bis 1000 n. Chr. das Reich der Quitu und alle zu diesem Herrschaftsgebiet gehörigen Stämme. Bis 1300 n. Chr. dehnen die Caras ihr Herrschaftsgebiet bis ins heutige Kolumbien und im Süden bis zu den Puruhás in der heutigen Provinz Chimborazo aus. Beide Reiche vereinigen sich durch Heirat und es entsteht das Großreich der Quitu.

Es bilden sich Allianzen mit den Cañaris und den Stämmen der Küste, auch im Hinblick auf Schutz gegen das sich von Süden ausbreitende Tahuantinsuyo – das Inkareich. Nach einer Periode der kriegerischen Auseinandersetzungen gelingt es schließlich dem 14. Herrscher der Inka im Jahre 1475 die Quitu zu besiegen. Der 15. Shyri (Herrscher), der Quitu Shyri Duchicela, fällt in der Schlacht und seine Tochter Paccha heiratet den Inka-Herrscher Huayna Capac. Damit erlangt das Inkareich seine größte Ausdehnung.

Inkareich

Die Inkas begannen 1200 n. Chr. unter ihrem Herrscher Manco Capac sich über das heutige Peru auszudehnen. In den folgenden 250 Jahren expandierten die Inkas immer weiter nach Norden, bis sie schließlich das heutige Ecuador erreichten. Huayna Capac, ein Nachfahre Manco Capacs, wurde bereits in Tomebamba, dem heutigen Cuenca geboren. Ihm gelang zwar die Expansion ins nördliche Andenbecken, nicht aber die Eroberung der Küstengebiete und des Amazonastieflands. Trotz der relativ kurzen Zeit der Inkaherrschaft im ecuadorianischen Hochland haben die Inkas bis heute markante Spuren hinterlassen. Sie konsolidierten ihre Macht durch die strategische Position ihrer Verwaltungszentren in den Städten der alten Herrscher (Tomebamba, Riobamba, Latacunga, Quito, Caranqui) und in einem exzellenten Straßensystem. Das gesamte Reich war von Süd nach Nord mit Straßen durch das Andenbecken verbunden. Durch Staffelläufer war es möglich, in 8 Tagen 2000 km zu überwinden. Noch heute trifft man in den Anden an vielen Stellen auf den Camino del Inca oder auf Quichua Inga —an, den „Weg der Sonne“, häufig verläuft er parallel zur Panamericana (der längsten Straße Amerikas von Alaska bis Feuerland, die östlich durch die Gebirgsketten des Kontinents verläuft).

Ganz wichtig war auch die Sprache. Die Inka waren diejenigen, die das Quichua als Handelssprache im ganzen Andenraum etablierten. Eine andere Technik, ihre Macht zu sichern, war die Umsiedlung ganzer Dorfgemeinden, die sich als rebellisch zeigten. Auch im landwirtschaftlichen Bereich führten die Inkas Neuerungen ein. Sie brachten neue Agrarprodukte wie Yucca, Süßkartoffel, Koka und Erdnüsse. Die Bewirtschaftung geschah durch ayllus – landwirtschaftliche Kollektive mit einem Stück Land für den Eigenbedarf einer Familie. Bis heute gibt es in indigenen Gemeinden dieses System. Wichtigste Stadt des nördlichen Inkareichs war Tomebamba, das heutige Cuenca. Die Inkaherrschaft förderte durch den Warenaustausch zunächst den Wohlstand der unterworfenen Völker. Mit der Zeit jedoch nahm die Herrschaft zunehmend autoritärere Züge an. Die privilegierte Priesterklasse konnte ihre Macht nur durch harte Unterdrückung der unterworfenen Völker aufrechterhalten. Huayna Capac vergrößerte durch die Einverleibung der Quitus das Reich, jedoch legte er auch die Basis für das Auseinanderbrechen. Paccha war seine Zweitfrau, aus dieser Verbindung ging der in Quito geborene Atahualpa hervor. Huayna Capac hatte bereits eine Frau in Cuzco, die ihm seinen ersten Sohn Huáscar gebar. Er entschied, dass nach seinem Tod der nördliche Teil des Reiches unter der Verwaltung Atahualpas stehen sollte, während Huáscar den südlichen Teil verwaltete, aber als oberster Herrscher des ganzen Territoriums verblieb. Diese administrative Teilung führte bereits nach wenigen Jahren zu einem äußerst blutigen Krieg zwischen den beiden Halbbrüdern, die Historikern zufolge von jeher in einem starken Konkurrenzverhältnis standen. Atahualpas Truppen besiegten Huáscar nach langen, das ganze Reich erschütternden Kämpfen. Bis heute wird Atahualpa als eine Art Urvater der Ecuadorianer angesehen. Auch seine hohen Generäle werden heute noch als Nationalhelden verehrt, z. B. Rumiñahui, Quis-Quis und Calicuchima.

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Die Ruinen von Ingapirca sind ein beeindruckendes Zeugnis der Inkazeit

Auf dem Weg zu den Krönungsfestivitäten im fernen Cuzco beschloss Atahualpa nach seinem Sieg über Huáscar in den Heilbädern Cajamarcas (nördliches Peru) Halt zu machen. Dort kam es am 16. November 1532 zu dem folgenreichen Treffen zwischen Atahualpa und Francisco Pizarro, dem Anführer von kaum 200 spanischen Soldaten auf der Suche nach Reichtümern und Macht. Atahualpa wurde gefangen genommen und die Spanier forderten ein Lösegeld, das aus einem bis an die Decke gefüllten Raum voller Gold bestand und bis heute als das größte Lösegeld der Geschichte gilt. Obwohl Atahualpas Gefolgsleute der Forderung nachkamen, wurde er nach einem Jahr Gefangenschaft in einem Schauprozess hingerichtet.

Kolonialzeit

Die Antwort auf die Frage, wie es die wenigen Spanier schaffen konnten in relativ kurzer Zeit ein so großes Reich wie das der Inka zu erobern, setzt sich aus verschiedenen schicksalhaften Verknüpfungen zusammen. Ein Hauptgrund war die innere Situation des Inkareiches, das nach dem Bruderkrieg erheblich geschwächt war und keinen Zusammenhalt mehr bot. Schon vor dem Krieg beruhte die Einigkeit des Großreiches auf Autoritätsstrukturen. Für die Spanier war es ein leichtes, unter den zahlreichen unterjochten Stämmen und den Gegnern Atahualpas Verbündete zu finden, die bereit waren, sich gegen Atahualpa zu verschwören. Die Hinrichtung Atahualpas 1533 hinterließ bei seinen Gefolgsleuten einen starken Eindruck, das Reich hatte seinen obersten Inka verloren. Die Spanier wussten diese Situation geschickt zu nutzen: Mit ihren Pferden, Kampfhunden und Schusswaffen verstanden sie es, sich großen Respekt zu verschaffen. Wie vorher in Mexiko spielten sie auch hier anfangs mit ihrer Inszenierung als gottähnliche Wesen mithilfe ihrer Pferde und Kanonen. Zusammen mit ihren Allianzen gelang es den Spaniern bald, nach Norden vorzustoßen, den erbitterten Widerstand einiger Generäle Atahualpas zu brechen und Quito einzunehmen. Pizarro übertrug die Befehlsobergewalt dem Konquistador Sebastián de Benalcázar, der im Dezember 1534 die Stadt San Francisco de Quito auf der zerstörten ehemaligen Hauptstadt der Quitus gründete. Die Spanier installierten sich dort, um von da aus weitere Eroberungszüge in den Norden zu unternehmen. Pizarro selbst machte sich auf dem unbekannten Kontinent gen Süden auf.

Die Eroberung der Gebiete des heutigen Ecuadors, an der nur ca. 2000 Spanier beteiligt waren, nahm knapp zwei Jahrzehnte in Anspruch. Das hohe Entwicklungsniveau des Inkareiches half den Spaniern einerseits, der Region in relativ kurzer Zeit ihre Reichtümer zu entziehen. Andererseits konnten die bereits vorhandenen Strukturen von den Eroberern genutzt werden, um die Bevölkerung des Andenbeckens zu befrieden.

Die folgende Kolonialzeit sollte 300 Jahre dauern. Das erste Drittel war geprägt durch die Eroberung, die Aufteilung in Verwaltungseinheiten und den Kampf um die Beute. Zunächst wurden die eroberten Gebiete in Provinzen aufgeteilt, deren Gouverneure die ehemaligen Konquistadoren waren. Unter diesen entbrannte bald ein heftiger Streit um Macht und Beute. Sie versprachen sich von der Eroberung unermessliche Reichtümer und vermuteten große Gold- und Edelsteinvorkommen in der Neuen Welt. 1541 wurde eine Expedition ausgerüstet, um das „El Dorado“ („Goldland“) oder zumindest das „país de la canela“ („Land des Zimts“) zu finden. Hierbei wurde der Amazonas entdeckt.

Bald versuchte die Krone durch die „leyes de las indias“ („Gesetze für Indien“) der Kolonisierung einen administrativen Rahmen zu geben, zumal sie selbst sich ihren feudalen Anteil sichern musste. Zunächst wurde 1535 das Vizekönigreich Neu Spanien gegründet, das Nord- und Zentralamerika, die Karibik und das heutige Venezuela umfasste. 1543 folgte die Gründung des Vizekönigreichs Peru, das das restliche Hispanoamerika umfasste. Der Vizekönig war oberster Repräsentant der Krone, die dadurch ihre Macht festigen wollte. Da das Gebiet des heutigen Ecuadors geografisch relativ abgeschnitten war, entstand hier 1563 eine kleinere Verwaltungseinheit – die „Real Audiencia de Quito“ (königlicher Gerichtsbezirk Quito) –, die zunächst Teil des Vizekönigreichs Peru war. Sie wurde nach der Unabhängigkeit juristische Grundlage für ihre Nachfolgerin, die Republik Ecuador. Die audiencias waren eigenständige Gerichtsbezirke, die in bestimmten Dingen dem nächstgrößeren Vizekönigreich, in anderen aber direkt der Krone unterstanden. Auch die Kirche spielte eine Rolle bei der Kolonisierung des Landes. Mehrere Orden waren um die Missionierung bemüht. Die Franziskaner brachten den Weizen in die Neue Welt und etablierten so den Getreideanbau. Schon 1545 wurde die erste Diözese gegründet, die sich vom Süden des heutigen Kolumbiens über Ecuador bis in den Norden Perus erstreckte. Von einer vollständigen Kolonisierung kann man aber lange Zeit nur in der Sierra (Hochland) sprechen. Oriente (Amazonastiefland) und Costa (Küste) waren durch ihre natürlichen Gegebenheiten nur sehr schwer zugänglich. An der Küste gab es zwar punktuelle Siedlungen, so wurde Guayaquil schon 1537 gegründet, weite Gegenden des Hinterlandes waren jedoch nicht erschlossen. Für das Amazonastiefland gilt das in noch stärkerem Ausmaß, erst im 17. Jahrhundert wurden hier einige Missionsstationen gegründet. Und bis heute ist die ecuadorianische Amazonía (Amazonastiefland) nicht vollständig erschlossen. Diese Gebiete boten durch ihre schlechte Zugänglichkeit Rückzugsmöglichkeiten für den Teil der Bevölkerung, der sich nicht den Spaniern beugen wollte.

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060ec fo © sbgoodwin

Das Kloster San Francisco in Quito

Die Bewohner der Anden gerieten durch die neuen Herrscher in eine miserable Situation. Eines der Hauptziele der Eroberung war die Gewinnung von Edelmetallen und anderen Reichtümern. Die Spanier beuteten die Ureinwohner aus, indem sie deren Arbeitskraft zur Verwirklichung ihrer Ziele einsetzten. Die „Real Audiencia de Quito“ hatte im Vergleich zu anderen Gebieten in den Anden verhältnismäßig wenig Edelmetalle zu bieten. Dafür aber außerordentlich fruchtbare Böden. Daher wurde die Region als Lieferant von Agrarprodukten und Webwaren für die Bergbaugebiete im heutigen Bolivien genutzt. Aus wirtschaftlicher Perspektive wurden hier die Grundsteine gelegt für eine Wirtschaftsstruktur, die auf den Außenmarkt ausgerichtet ist. Aus sozialer Perspektive liegt hier der Anfang einer Gesellschaftsstruktur, die der einer mittelalterlichen Ständegesellschaft gleicht. Die große Mehrheit ist dafür verantwortlich, dass es einigen wenigen gut geht. Dafür musste sie in einem sklavereiähnlichen Abhängigkeitsverhältnis arbeiten. Zwar gibt es bestimmte Mechanismen zur Ausbeutung der Indígenas heute nicht mehr, dennoch ist die Gesellschaftsstruktur in Ecuador nach wie vor höchst ungerecht und ungleich.

In der Kolonialzeit wurde zur Ausbeutung der Indígenas zunächst die encomienda geschaffen, die an das europäische Lehnswesen erinnert: Den spanischen Siedlern wurde ein Territorium zur Verfügung gestellt mitsamt den indigenen Bewohnern. Dafür mussten sie dort lebende Indígenas missionieren und der Krone einen Tribut leisten. Die Indígenas hatten Frondienst zu verrichten. Auf diese Weise wurde das Hochland in große Landgüter (encomiendas oder später haciendas) aufgeteilt, die die Städte mit Lebensmitteln versorgten.

Das Encomienda-System wurde von einer Form der Zwangsarbeit, der sogenannten mita abgelöst. Die mita ist eine Institution, die bereits die Inkas eingeführt hatten und die von den Spaniern insbesondere ab dem 17. Jahrhundert übernommen wurde. Jeder Indígena, der dazu imstande war, musste einen einjährigen Dienst für die Krone ableisten, sei es im Bau von Straßen, Kirchen, öffentlichen Gebäuden, Manufakturbetrieben oder auf einer Hazienda. Dieser Dienst wurde sehr gering entlohnt, sodass sich die meisten Leute verschuldeten und in einer Art Schuldknechtschaft über Generationen hinweg ihrem Dienstherrn treu bleiben mussten.

Die Kirche spielte eine wichtige Rolle„Escuela de Quito“