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Tibor Zenker

Der Imperialismus der EU

Texte zur marxistischen EU-Kritik

 

 

 

Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien, und Tibor Zenker 

2. Auflage, 14. Februar 2014 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Der Imperialismus der EU - Texte zur marxistischen EU-Kritik 

ISBN: 978-3-99041-555-9 

„Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus … sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär.“ – Wladimir Iljitsch Lenin

Vorbemerkung

 

Obige Worte Lenins stammen aus dem Jahr 1916. Heute, 90 Jahre später, sind die kapitalistischen Verhältnisse in ganz Europa wiederhergestellt, nachdem der revolutionäre Prozess, der 1917 in Russland seinen Anfang nahm, erfolgreich rückgängig gemacht wurde. Nicht unbedeutend war für diesen vorläufigen Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus die Schaffung der Europäischen Gemeinschaften (EG), aus denen die jetzige Europäische Union hervorgegangen ist. Die EG haben ihre Aufgabe als antisozialistisches Bündnis erfüllt, in den letzten eineinhalb Jahrzehnten konnte der „Integrationsprozess“ der EU, der charakterlich die monopolkapitalistische Durchdringung und Unterordnung aller Lebensbereiche und aller Nationen bedeutet, unter optimierten Bedingungen fortgeführt werden. Die reaktionäre Variante der europäischen Neuformierung scheint somit zunächst geglückt.

 

Weniger geglückt ist hingegen die Neuformierung der europäischen Linken. Viele (ehemalige) SozialistInnen und KommunistInnen stehen seit 1989/90 vor der neuen Situation wie das Kalb vor der neuen Stalltür. Vielen bleibt der Weg zu einer den neuen Begebenheiten entsprechenden Anwendung des Marxismus versperrt. Einerseits besteht mancherorts eine gewisse theoretische wie praktische Unfähigkeit, mit einem vorläufigen Rückschlag umzugehen, andererseits glauben manche, sich nun einer bürgerlich-kosmopolitisch statt proletarisch-internationalistisch zu charakterisierenden Idee Europas unterordnen zu müssen. So wird der in Wahrheit zutiefst antidemokratische, weil eben imperialistische europäische Integrationsprozess zur historischen Notwendig- und Gesetzmäßigkeit, die angeblich klassenindifferent zu verstehen sei. Tatsache ist jedoch, dass derjenige den Klassenkampf verliert, der ihn aufgibt, und dass derjenige, der das Werkzeug des Marxismus nicht anzuwenden weiß oder dessen nicht willens ist, kraft seiner zwingenden Fehlanalysen zur Handlungsunfähigkeit verurteilt ist. Diesen „Linken“ kommt nicht nur selbstverschuldet das revolutionäre Subjekt abhanden, sondern sie ordnen sich sogar der objektiv gegenrevolutionären Neuformierung des europäischen Monopolkapitals unter und werden zu dessen HandlangerInnen.

 

Eine Erfolg versprechende Neuformierung der europäischen Linken ist hingegen nur auf marxistischer Grundlage möglich, möge dieser Prozess auch aller Wahrscheinlichkeit nach längerfristig anzusetzen und beschwerlich sein. Und dieser Prozess wird dann erfolgreich sein, wenn er auf Basis der Grundpositionen des Marxismus-Leninismus sowie im Bewusstsein und in der Verteidigung der Bedeutung der historischen Rolle der sozialistischen Staaten in Europa den Kampf gegen den Revisionismus führt. In Bezug auf die EU bedeutet dies, die marxistische Staatsauffassung, Lenins Imperialismustheorie und vor dem Hintergrund des solidarischen und antiimperialistischen Internationalismus das Selbstbestimmungsrecht der Nationen zu verteidigen. Denn die EU ist ein imperialistisches Bündnis, dass für Reaktion und Repression nach innen sowie Militarismus, Aggression und letztlich Krieg in der Außenwirkung steht, wobei dies alles in jeder Richtung interaktiv wirkt.

 

Die richtige, marxistische Analyse der EU ist Voraussetzung revolutionärer Handlungsfähigkeit. Und die Überwindung der EU ist dafür Voraussetzung, den europäischen Nationen wieder sozialistische Perspektiven in der Praxis zu eröffnen. Zu ersterem, zur Entwicklung und Verbreitung marxistischer Theorien in ihrer Anwendung auf die EU, soll der vorliegende Band ein Beitrag sein, ohne eine breite Gesamtdarstellung beanspruchen zu können oder zu wollen. Dieser Band fasst unterschiedliche Texte zusammen, die bestimmte Aspekte der EU-Frage befassen und einen ersten Überblick zur Analyse der EU, zur Strategie ihrer Überwindung und zur diesbezüglichen Auseinandersetzung in der Linken bieten können. Die umfassende systematische Analyse bleiben die Texte somit in gewisser Hinsicht schuldig, doch ist es auch nicht notwendig, jeden Tag alles aufs Neue zu erfinden – das gilt für das Rad ebenso wie für den Marxismus.

 

Insofern bleibt die Aufgabe, den Marxismus anzuwenden. In der theoretischen Arbeit wurde dies auf den folgenden Seiten versucht, in der gesellschaftlichen Praxis bleibt dies die historische Aufgabe des Proletariats und seiner Verbündeten. Beides gemeinsam, die dialektische Einheit marxistischer Theorie und Praxis der revolutionären Bewegung, wird es den heute unterdrückten und ausgebeuteten Menschen ermöglichen, nicht nur die EU, sondern auch den Kapitalismus in seiner Gesamtheit zu überwinden und ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte aufzuschlagen – oder vielmehr erst zu schreiben.

 

Tibor Zenker

Wien, August 2006

Wem nützt die EU?

 

Mit 1. Januar 2006 übernimmt Österreich zum zweiten Mal die EU-Ratspräsidentschaft. Hinter uns liegt mit diesem Datum auch ein „Gedenkjahr“, das mitunter auch das zehnte Jubiläum der EU-Mitgliedschaft beinhalten musste. Gleichzeitig enthüllte im Dezember 2005 eine EU-weite Umfrage, dass in Österreich nur noch 32% der Bevölkerung der Ansicht sind, die EU-Mitgliedschaft sei „eine gute Sache“. Dies bedeutet den niedrigsten Zustimmungswert unter allen 25 Mitgliedsstaaten, zugleich verkehrt dieses nunmehrige Verhältnis das Abstimmungsverhältnis von 1994 geradewegs ins Gegenteil.

 

Offensichtlich sind also zahlreiche Menschen mit dem Ergebnis der zehnjährigen EU-Mitgliedschaft Österreichs nicht zufrieden, wenngleich auf den ersten Blick nicht immer mit jenen Begründungen, die MarxistInnen gegen das imperialistische Bündnis des europäischen Monopolkapitals ins Treffen führen. Teuerungen, Ausverkauf, Sozialabbau, Arbeitslosigkeit – kurz: die wachsende Unsicherheit der Existenz – sind bedeutende Argumente, die nicht den vorgeschobenen Pseudoantworten der rechten und rechtsextremen Parteien zur chauvinistischen, nationalistischen und rassistischen Propaganda überlassen bleiben dürfen. Wenn die Lebensunsicherheit der Menschen und die Unzufriedenheit durch die EU steigen, wenn der österreichischen Bevölkerung in den letzten zehn Jahren also keine spürbaren Vorteile, sondern eine Flut an Nachteilen erwachsen ist, dann drängt sich zunächst eine simple Frage auf, die es zu beantworten gilt: Wem nützt eigentlich die EU?

 

Verlierer und Gewinner

 

Zu jedem Monatswechsel im Jahr 2005 servierten uns die österreichischen Medien neue Höchstwerte bezüglich der Arbeitslosenzahlen, nicht zuletzt bezüglich der Jugendarbeitslosigkeit. Auf selbigem Wege erreichte uns auch ein neuer Höchstwert bezüglich der Anzahl jener Menschen, die in Österreich in Armut oder an der Armutsgrenze leben. Zum Halbjahr und zum Jahresende erreichte uns darüber hinaus der regelmäßig wiederkehrende neue Höchstwert bezüglich der Insolvenzen und Konkurse, dies betrifft Privatpersonen ebenso wie Klein- und Mittelbetriebe. Auch die selbständige Landwirtschaft, als deren Retter die EU 1994/95 propagiert wurde, befindet sich nun erstrecht im täglichen und aussichtslosen Existenzkampf. – Hier also die Verlierer in der österreichischen Gesellschaft. Wo es Verlierer gibt, gibt es freilich auch Gewinner. Auch sie geisterten 2005 durch die Medien: sie heißen Erste Bank, Raiffeisen oder OMV und konnten in diesem Jahr abermals Rekordgewinne verbuchen. Mit diesen Rekordgewinnen gehen große Übernahmen in Osteuropa einher, ebenso der massive Personalabbau vor Ort. Diese Gleichzeitigkeit ist natürlich kein Zufall: Wer sich in Osteuropa ehemaliges Volkseigentum unter den Nagel reißen kann, tausende Beschäftigte auf die Straße setzt und die Arbeitsbedingungen und Löhne der übrigen Beschäftigten nach unten nivelliert, wird auf der Habenseite einen satten Gewinn einfahren. Im selben Handstreich werden die ArbeitnehmerInnen der westlichen Industriestaaten gegen jene Osteuropas ausgespielt – und umgekehrt (und genau darauf basieren auch die falsche und verlogene EU-Kritik und die „antikapitalistische“ Demagogie in der Rhetorik der rechten und rechtsextremen, der neofaschistischen Parteien). Als Resultat werden die Großunternehmen noch größer, die kleineren werden geschluckt oder ruiniert, die Lage der Werktätigen wird finanziell und sozial bedrückt, die Arbeitslosigkeit steigt: die besitzenden Reichen werden noch reicher, die eigentumslosen Armen ärmer. Man bezeichnet derartiges landläufig als Kapitalismus.

 

Die EU als Vehikel des imperialistischen Kapitalismus

 

Für manche mag es eine Überraschung sein, doch es ist kein Wunder, dass die Profiteure und Gewinner des transnationalen EU-Kapitalismus die Konzerne, die Banken und Versicherungen sind. Der Charakter der EU als imperialistisches Bündnis, das den Akkumulationsbedürfnissen, ja schlichtweg der Profitmaximierung des europäischen Monopolkapitals zu dienen hat, wird augenscheinlich. Wo der Profit auf der einen Seite maximiert werden muss, muss am anderen Pol der Gesellschaft als Tendenz die soziale Unsicherheit steigen, denn Geld hat nun mal nicht die Eigenschaft, sich jungfräulich zu vermehren. Wann und wo immer ein neuer Rekordgewinn eines Konzerns medial verkündet wird, sind Massenentlassungen, Standortschließungen, gesteigerte Arbeitsintensität bzw. Lohnkürzungen als komplementär mitzudenken – auch wenn es Herr Ackermann von der Deutschen Bank AG nicht gerade in ein und derselben Pressekonferenz schamlos ausplaudert. „Geht’s der Wirtschaft gut, dann…“ – ja, dann geht’s dem Großkapital gut. Und sonst niemandem. Das ist die Wirklichkeit und Wahrheit des imperialistischen Kapitalismus, dessen Vehikel die EU ist. – Und wie dies alles funktioniert, möge uns die oben erwähnte Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG exemplarisch verdeutlichen…

 

Am Beispiel „Erste Bank“…

 

Die Erste Bank konnte seit der EU-Mitgliedschaft Österreichs durch eine ganze Reihe von Übernahmen in Mittel- und Osteuropa hier zu einem der bedeutendsten Kreditinstitute aufsteigen. Zunächst erwarb sie 1997 einen Anteil von 83,66% an der ungarischen „Mezöbank“, die 1998 als „Erste Bank Hungary“ voll integriert wurde. Im Jahr 2000 übernahm sie 52,07% an der staatlichen tschechischen „Ceska sporitelna“, mittlerweile wurde der Anteil auf 97,9% aufgestockt. Selbiges gilt für die staatliche slowakische „Slovenska sporitelna“, bei der die 2001 übernommenen 67,19% mittlerweile auf 80,01% aufgestockt wurden. In Kroatien fusionierte die Erste Bank ihre drei übernommenen Institute („Bjelovarska banka“, „Cakovecka banka“ und „Trgovacka banka“) zum Tochterunternehmen „Erste und Steiermärkischen Bank d.d.“, an der direkt 40% gehalten werden, weitere 40% durch die Steiermärkische Bank und Sparkassen. In Kroatien verfügt die Erste Bank darüber hinaus seit 2002 über eine 85%-Mehrheit an der „Rijecka banka“. Im Jahr 2003 konnte die Erste Bank sich schließlich im Bieterverfahren um die staatliche ungarische „Postabank“ durchsetzen: 400 Millionen Euro Kaufpreis bedeuteten damals die größte Investition in der Geschichte der Erste Bank, dafür konnten aber die scheinbar mächtigeren Konkurrenten Bank Austria-Creditanstalt (HVB) und GE Capital (das ist der Finanzbereich des US-Konzerns „General Electric“) überboten und in Ungarn bezüglich Marktanteil Platz zwei erreicht werden. Was damals zu erwarten war, ist inzwischen Realität: die beiden ungarischen Institute der Erste Bank werden fusioniert, die „Synergieeffekte“ für die Wiener Zentrale kosteten gerade rechtzeitig zum EU-Anschluss Ungarns rund 1.000 ungarische Beschäftigte den Arbeitsplatz.

 

Die Erste Bank wurde damit zunächst bereits 2003/2004 einer der führenden Finanzkonzerne in Mittel- und Osteuropa. Sie hatte mit Jahresende 2003 über 10 Millionen Kunden (1997: 600.000), fast 1.400 Auslandsfilialen, einen Börsenwert von rund 6 Milliarden Euro, eine Bilanzsumme von etwa 130 Milliarden und einen Konzernüberschuss für das Geschäftsjahr 2003 nach Steuern und Fremdanteilen von 353,3 Millionen Euro (gegenüber 2002: +98,1 Millionen, also +38,4%). Das bedeutete, dass seit dem Funktionsbeginn von Vorstandsvorsitzendem Andreas Treichl und dem Beginn der Abfolge transnationaler Übernahmen (1997) der Gewinn der Erste Bank verzehnfacht wurde.

 

So weit die Erste Bank vor der letzten großen Übernahme im Dezember 2005. Da wurde bekannt, dass die Erste Bank die größte rumänische Bank „Banca Comerciala Romana“ (BCR) übernimmt, die 4,5 Millionen Kunden hat, mehrheitlich in Staatsbesitz und durch die staatliche Privatisierungsagentur zur Versteigerung ausgeschrieben war. Der Übernahmevertrag sieht für einen Anteil von 62% einen Kaufpreis von rund 3,75 Milliarden Euro vor, Arbeitsplatzgarantien gibt es nicht einmal befristete, in drei Jahren kann die rumänische Bank auch namentlich im österreichischen Mutterkonzern verschwinden. Für das Frühjahr 2006 ist seitens der Erste Bank darüber hinaus eine Kapitalerhöhung über die Börse um rund 2,4 Milliarden Euro angekündigt. Damit bleibt die Erste Bank auf Expansionskurs, nächstes Ziel ist die Ukraine, denn Herr Juschtschenko soll ja nicht umsonst in den Präsidentenpalast geputscht worden sein (im Fall der Kiewer „Aval“-Übernahme ist die Erste Bank kürzlich noch der Raiffeisenbank unterlegen, die in Osteuropa ebenfalls ein aggressives Übernahmeprogramm verfolgt – aber die Ukraine ist ja groß genug…). Mit der Übernahme der BCR konnte die Erste Bank freilich auch ihre Gewinnprognosen abermals nach oben revidieren: sie rechnet nun bis 2009 mit einer jährlichen Wachstumsrate der Jahresüberschüsse des Gesamtkonzerns von jeweils 20%.

 

Die Übernahme der BCR durch die Erste Bank war vorläufig auch die größte jemals getätigte transnationale Übernahme durch ein österreichisches Unternehmen. Gleichzeitig ist Österreich damit in Rumänien – ebenso wie in Slowenien und in der Slowakei – mit Abstand der größte „Auslandsinvestor“, noch vor imperialistischen Führungsmächten wie der BRD, Frankreich, Italien oder den USA. Das bedeutet, dass der österreichische Imperialismus beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt in Osteuropa und am Balkan eine durchaus wichtige und eigenständige Rolle spielen kann. Für die nächste zum Verkauf stehende rumänische Bank, die CEC, die vermutlich rund 500 Millionen Euro kosten wird, gilt übrigens wiederum die österreichische Raiffeisenbank als mutmaßlicher Bestbieter. Der österreichische Imperialismus reüssiert jedoch nicht nur beim Kapitalexport, sondern die Kapitalausfuhr und erstrecht Auslandsstandorte österreichischer Banken unterstützen wiederum den Warenexport, eröffnen also Marktsphären: die österreichischen Exporte nach Rumänien stiegen in den ersten neun Monaten das Jahres 2005 um fast 20% auf einen Wert von 1,022 Milliarden Euro, diese Tendenz wird sich nun erstrecht fortsetzen können. – Und schon vor der jetzigen Großübernahme vom Dezember 2005 konnte das österreichische Kapital auf nicht weniger als 3.500 Investitionen im „Reformland“ Rumänien zurückblicken, schon bisher waren über 120.000 rumänische Arbeitsplätze von österreichischen Unternehmen direkt abhängig. Man tut sich leicht, denn der rumänische Staat tut alles für das Kapital, so wurde u.a. eine Flat-Tax von 16% für Unternehmensgewinne und Gehälter eingeführt.

 

Nötigung und Erpressung als integrale Bestandteile der „Demokratie“

 

Die Erste Bank ist – neben Raiffeisen/Uniqa, der OMV, Wienerberger, der Voestalpine etc. – ganz offensichtlich eine der Speerspitzen des österreichischen Imperialismus in Mittel- und Osteuropa. Sie verbesserte sich ganz besonders durch den Prozess des EU-Anschlusses der ehemals sozialistischen Länder Europas und konnte sich weitreichende Marktanteile und neue Profite aneignen, während Personalstand und -kosten relativ minimiert werden konnten. Die Methodik ist simpel: Die Unternehmen jenseits von Thaya, March und Neusiedlersee müssen durch die dortigen Regierungen bestmöglich vorbereitet an das Westkapital ausgeliefert werden. D.h. sie müssen v.a. privatisiert werden, wenn geht, sollen die Rationalisierungen bezüglich Belegschaft und Arbeitsbedingungen sowie – nicht zuletzt – staatlich optimierte kapitalistische Realisierungsbedingungen (Sozialabbau einerseits, Subventionen und kapitalfreundliche Steuerpolitik andererseits) bereits antizipiert sein. Dies sind angeblich notwendige Strukturmaßnahmen im Sinne einer liberalen Marktwirtschaft als Aufnahmekriterien in den elitären Kreis der EU. Wer Staatseigentum, soziale Sicherheiten, Volksbildung, Gesundheitssystem, öffentliche Grundversorgung und womöglich gar eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik nicht auf dem Altar des „Neoliberalismus“ opfert, wird als reformunwillig und sodann „autoritär“ geächtet – und im Beharrungsfall früher oder später gewaltsam bis militärisch „zur Raison gebracht“. Im Strafgesetzbuch wird so eine Methode im Allgemeinen als Erpressung oder Nötigung bezeichnet, in der EU-Charta soll die marktwirtschaftliche Aggressionspolitik als integraler Bestandteil der „Demokratie“ verkauft werden. Welche Art von Demokratie es nötig hat, von DaimlerChrysler, Shell, der Allianz-Versicherung oder eben auch „nur“ von der Erste Bank bevormundet zu werden, bleibt ein Geheimnis der Konzernzentralen und ihrer sachlichen Anhängsel, nämlich der einzelnen imperialistischen Regierungen und der EU-Institutionen.

 

„Nationale Erfolge“

 

Dieselben Regierungen, Institutionen und ihre Medien wollen uns die profitablen wirtschaftlichen Aggressionen der jeweiligen nationalen Kapitale als nationale Erfolge verkaufen. Wenn eine österreichische Bank in Osteuropa andere Unternehmen übernimmt, dann soll dies einer angeblich einheitlichen österreichischen Nation und ihrer nationalen Ökonomie als ebenso einheitlichen Gesamtorganismus zum Vorteil gereichen. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung propagieren quasi den nationalen Schulterschluss im Kampf um die imperialistische Neuaufteilung der Welt – da kommt dann auch ein „Gedenkjahr“ gerade recht: vor 60 oder 50 Jahren auferstanden aus Ruinen (natürlich unverschuldet!), heute schon wieder in Sarajevo, in Bukarest und an der Wolga auf- und einmarschiert. Österreich – eine Erfolgsstory…

 

Diese chauvinistische Propaganda zeigt auch, dass die EU keine allgemeine und homogene Willenseinheit, sondern ein imperialistisches Zweckbündnis ist. Auch innerhalb der EU bleiben die nationalen Kapitale, die staatlich getrennten Imperialismen, untereinander in imperialistischer Konkurrenz. Da benötigt jede nationale Bourgeoisie nicht nur ihren Burgfrieden mit den vorgeblichen InteressensvertreterInnen des Proletariats (Sozialdemokratie und Gewerkschaftsführung), sondern in letzter Konsequenz die hegemoniale Idee einer nationalen Wettbewerbsökonomie (bei Herrn Gusenbauer: „Hochleistungsgesellschaft“). Damit Österreich „wettbewerbsfähig“ ist, damit der „Standort“ gesichert bleibt, müssen sich die Menschen in Verzicht und Entbehrung üben: sie müssen ihre Grundbedürfnisse nach unten schrauben. Lohnniveau, Bildung, Gesundheit, Sozialsystem, Wohnraum, Pensionen? Das können „wir“ uns nicht (mehr) leisten! Freilich sind es das Kapital und sein österreichischer Staat, die sich das – angeblich – nicht leisten können. Es ist die EU, die sich das (nun im Wettbewerb mit den USA und Ostasien) nicht leisten kann. Aber können sich die Menschen einen Staat leisten, der sich sie nicht leisten will? Sollen wir uns ein transnationales Staatenbündnis leisten, das sich uns nicht leisten kann?

 

Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

 

Die Menschen in Österreich haben zu Recht die Schnauze voll, daher die Anti-EU-Stimmung. Allein, den Menschen fehlt noch die Stimme. Denn die häufigsten Antwortvarianten auf die Sorgen der Menschen sind in ihrer vulgärkritischen Verfasstheit in der Regel ungenügend bzw. schlichtweg falsch: sie kommen erstens entweder aus einem rechten Eck und basieren auf Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus; oder sie kommen zweitens aus einem moralistischen Eck und basieren in diesem Sinne auf kleinbürgerlichem Pazifismus, utopistisch-religiösem Transformationsglauben oder einer linksradikal-deterministischen Fortschrittsgläubigkeit. Keine der beiden Varianten stellt die EU wirklich ernsthaft und in aller Radikalität in Frage. Damit reicht der im Kern opportunistische und letztendlich abwiegelnde „kritische Konsens“ von der FPÖ und der Kronen-Zeitung, über Hans-Peter Martin, die ÖGB-Führung und die Grünen, schließlich bis zur KPÖ und trotzkistischen Selbsthilfegruppen. Die zweite oben angesprochene Variante erkennen die Menschen jedoch nicht immer und sogleich als idealistische Irrung und Verwirrung des Liberalismus samt „linkem“ Wurmfortsatz, die erste Variante allzu selten als kanalisiertes Ablenkungsmanöver innerhalb der rechts-reaktionären Ideologiegemeinschaft der Bourgeoisie. Beides als nutzlos aufzudecken, ist die Möglichkeit, das Protestpotenzial in die richtige Richtung zu bewegen. Die Verantwortlichen sitzen nicht als abstrakte Metastruktur in Brüssel, sondern nach wie vor in Wien im Bundeskanzleramt am Ballhausplatz, im Parlament, in den Parteizentralen und in den Unternehmensführungen. Der Hauptfeind steht nicht irgendwo in Belgien – und übrigens auch nicht in Washington D.C. –, sondern im eigenen Land.

 

Die Windmühle und deren Besitzer

 

Die EU ist eine funktionelle Zwischenstruktur, ein kapitalistisches Instrument – und kein selbstständig agierender Körper auf einer vielleicht gar „neuen“ Ebene, die von den bürgerlichen Mitgliedstaaten unabhängig wäre. Beschlüsse der EU kommen durch gemeinsame Beschlüsse der einzelnen nationalen Regierungen bei Ministerratssitzungen zustande. Ihre Auswirkungen werden wiederum auf die nationalstaatliche Ebene und dann herab bis in die Kommunen getragen, wo die kapitalistischen Interessen zur Geltung kommen müssen. In diesem Sinne wäre es fatal, die EU als historischen Fortschritt allgemeiner Natur zu bewerten, der nur mit dem „richtigen Inhalt“ zu füllen wäre. Denn ihr unverrückbarer Inhalt bezüglich des sozialen Charakters gründet auf kapitalistischer Ausbeutung und auf der Erlangung von Monopolprofiten zulasten der ArbeitnehmerInnen und der nicht-monopolistischen Schichten – wie eben in den bürgerlichen Einzelstaaten. Ihr Inhalt „nach außen“ manifestiert sich im kollektiven Militarismus und in bereits sichtbarer imperialistischer Interventionspolitik, die auch offene Kriegspolitik inkludiert (siehe Jugoslawien). Dieser Inhalt und sonst nichts macht das Wesen der EU aus – und die EU wird es nur insoweit und solange geben, wie sie diese Interessen des europäischen, v.a. des deutschen und französischen Monopolkapitals umsetzen kann. Kann sie es nicht mehr, so werden auch die Tage der EU gezählt sein. Ein Ende der EU ist somit auch kein gesellschaftsevolutionärer Rückschritt, sondern eine Möglichkeit der Offensichtlichwerdung zwischenimperialistischer Konkurrenz innerhalb Europas, die weder durch römische, noch durch Maastrichter oder Amsterdamer Verträge ausgeschaltet werden kann. Diese zwischenimperialistische Konkurrenz ist dem Imperialismus eigen, wie es der Regen der Gewitterwolke ist. Das schließt keineswegs aus, dass es auch kollektive Interessen und daher auch ein kollektives Vorgehen, ja eben Bündnisse der imperialistischen Staaten geben kann und auch gibt. Das innerimperialistische Verhältnis bzw. der Monopolkapitalismus überhaupt ist nicht zuletzt durch diesen Widerspruch von Konkurrenz und Kooperation geprägt – und das gilt eben auch für die EU, die ein Kind des imperialistischen Kapitalismus ist. Die Gegenwart zeichnet sich allerdings noch dadurch aus, dass die globalen „kollektiven Interessen“ durch die Hegemonialmacht USA diktiert werden und dass bloß langsam sichtbar wird, wo die Interessen diesseits und jenseits des Nordatlantiks (und des Ärmelkanals) nicht (mehr) immer und überall zwingend zusammenfallen. Wenn heute vor dem Hintergrund des fortgesetzten kapitalistischen Internationalisierungsprozesses um die imperialistische Neuaufteilung der Welt gekämpft wird, so wird es früher oder später offen um die Weltherrschaft gehen müssen: auf diese haben die USA kein Monopol. Und es handelt sich dabei um keine rationale Willensfrage des oder im Imperialismus, sondern um eine existenzielle Gesetzmäßigkeit.

 

Die Opfer der zwischenimperialistischen Konkurrenz ebenso wie des kollektiven Imperialismus sind in globaler Hinsicht zunächst die abhängigen Länder in Lateinamerika, Asien und Afrika, es sind sodann auch die Staaten der osteuropäischen Semiperipherie. Es sind in den einzelnen fortgeschrittenen imperialistischen Staaten wie Österreich die kleinen und mittleren Unternehmen, kleine Selbständige, die Bauernschaft sowie nicht zuletzt die ArbeitnehmerInnen – also gerade jene Masse der Bevölkerung, die der österreichische Imperialismus widersprüchlicher Weise als seinen ideologisch willfährigen Background, als seine Massenbasis benötigt. Der österreichische Imperialismus ist darauf angewiesen, dass die Masse der Bevölkerung seine Ziele mitträgt. Im Falle der EU tun es die Menschen jedoch nicht mehr, denn sie sind dabei, zu erkennen, dass diese EU nicht „unser Europa“ ist, sondern nur eine reaktionäre Idee und mögliche Realität Europas, die den Konzernen und Banken nützt, während die Menschen allerorts auf der Strecke bleiben. Dieser Widerstand gegen die EU muss von der abstrakten Ebene auf die konkrete umgelegt werden: schlussendlich ist nicht die Metastruktur zu bekämpfen, sondern die Struktur gebende Basis.

 

In diesem Sinne ist z.B. die Perspektive der Umwandlung der EU in eine sozialistische (oder auch nur „soziale“ oder „solidarische“) Union in etwa so intelligent und sinnvoll, wie intensiv auf die Weltrevolution zu warten. Ausgehend von Oberflächenphänomenen, die keinen realen Bezug zu den konkreten Problemen und Bedürfnissen der Menschen haben, wird seitens der revisionistischen „Linken“ ein „Widerstand“ dekretiert, der sich gegen eine Windmühle richtet, während der Feind jedoch der Mühlenbetreiber ist. Man wird sich vom abstrakten Bezugspunkt lösen müssen – geistig wie praktisch ––„“–––