Mami -1767-


Unser Papi darf nicht heiraten


Eva- Maria Horn

»Wie lange bleiben wir geschieden, Pia?« Benedikt, Pias kleiner Bruder, spielte auf dem Teppich mit seinen Legosteinen. Pia hielt die Bürste, mit der sie ihrem schwarzen Haar den ersehnten Glanz geben wollte, in der Luft. Sie starrte in den Spiegel und dann zu Benedikt, den man nur Bene nannte, hinunter.

»Wie meinst du denn das?« Sie wollte ungeduldig reagieren, aber dann sah sie Benes unglückliches Gesichtchen, die blauen Augen, die er zusammenkniff wie immer, wenn er nicht weinen wollte.

»Nur so. Ich meine, wann kommt Papa wieder?«

Heftig fuhr Pias Bürste über das Haar, sie zählte laut und sagte zwischen dem 21. und 22zigsten Bürstenstrich:

»Mach’s doch nicht so schwierig, Bene. Papa war doch erst gestern noch bei uns. Das kannst du doch nicht vergessen haben, er hat noch dein Fahrrad repariert. Wirklich, Bene, du kannst dämlich fragen.«

»Ich meine doch…« Er hielt den Kopf gesenkt, zwischen den Fingern drehte er einen roten Legostein.

»Er kommt, dann ißt er mit uns, oder auch nicht. Und dann geht er wieder. Dabei haben wir doch Platz genug. Mama schläft nur in einem Bett, in dem anderen Bett könnte Papa schlafen, wie früher auch. Wirklich, ich finde das ganz doof, daß er nicht mehr bei uns wohnt.«

Pia legte die Bürste auf die gläserne Platte und blickte ihr Spiegelbild an. Pia tat das mit Vergnügen.

»Warum beguckst du dich eigentlich immer?« Bene krauste ungeduldig die hohe Kinderstirn. »Du kennst dich doch. Du kannst ruhig deine Haare immer kämmen, was ich ja blöde finde. Hundert Bürstenstriche am Tag, bei dir brennt ja ’ne Sicherung durch. Darum wirst du doch nicht so hübsch wie Mama.«

»Du bist der frechste Bengel, den es gibt.« Pia musterte ihren Bruder erbost. »Mit dir ist man gestraft! Wenn du mir noch mehr auf die Nerven gehst, schmeiße ich dich raus aus meinem Zimmer. Hier ist ja kein Kinderzimmer, wehe, wenn du deine Klamotten nicht aufräumst! Wenn ich ein Auto oder einen Legostein finde, werfe ich das Zeug in den Papierkorb.«

»Dann sag’ ich Mama, daß du immer von ihrem Zeug nimmst, das so gut riecht. Und gestern hast du ihren Lippenstift geklaut, ich hab’ das genau gesehen.«

Pia schnaubte vor Wut. »Du bist wirklich eine Landplage, Benedikt Fischer. Der Klapperstorch hätte dich zu Meiers bringen sollen statt zu uns. Klar kriegst du alles mit, weil du ständig an Türen horchst oder durch Schlüssellöcher guckst.«

»Wenn du noch an den Klapperstorch glaubst, an so ein blödes Kindermärchen, bist du doofer als alle. Kinder werden vom lieben Gott in eine Hülle unter das Herz der Mutter gelegt, weil sie da am besten aufgehoben sind. Bei Tieren ist das ganz genauso, aber nur bei denen, die keine Eier legen.«

»Mensch, halt keine Reden ans Volk«, fauchte Pia, aber im gleichen Augenblick lachte sie schon wieder. Sie konnte diesem kleinen Wicht nie lange böse sein. Er war auch zu niedlich. Ganz flüchtig dachte sie daran, was Lore, ihre vier Jahre ältere Schwester, und sie ein Theater gemacht hatten, als sie von einem Baby erfuhren, das geboren werden wollte.

Er grinste. Und sah seinem Vater erstaunlich ähnlich. Er hatte Papas blonde Haare, bei Vater waren sie natürlich gepflegter als Benes strohige Pracht. Er zog wie der Vater die Nase kraus, wenn er lachte. Pias Magen schmerzte plötzlich. Nicht nur Bene vermißte den Vater. Lore und sie fanden die Scheidung der Eltern genauso widerlich wie Bene. Sie hatten selten Streit und Ärger der Eltern mitbekommen, daher fielen sie aus allen Wolken, als die Eltern ihnen mitteilten, daß sie sich scheiden lassen wollten. Ein halbes Jahr war seitdem vergangen, aber es schmerzte immer noch.

»Meinst du, Pia, Papa kommt immer nur noch zu Besuch zu uns? Das ist ja, als wäre er jetzt nur noch ein Verwandter. Die Tante Trude und die Tante Josefa kommen auch nur, wenn sie mit Mama Kaffee trinken oder Mittagessen wollen. Und dann hauen sie wieder ab.«

»Worüber wir alle froh sind«, klärte Pia den Bruder seufzend auf. Sie löste den Blick von ihrem Spiegelbild, ließ sich neben Bene auf den Teppich fallen und legte ihre Arme um ihre aufgestützten Knie. »Die alten Schachteln gehen mir gewaltig auf die Nerven. Aber unterstehe dich, ihnen das unter die Nase zu reiben, dann kannst du dein blaues Wunder erleben.«

»Ich bin doch nicht dämlich. Tante Trude küßt so feucht, gräßlich, daß alte Tanten immer küssen müssen. Aber sie bringt uns immer etwas mit. Aber weißt du, was sie zu Mama gesagt hat? ›Kind, Kind‹, hat sie gesagt. ›Wenn du es nur nicht bereust, daß du in die Scheidung eingewilligt hast. Ich hätte es nie getan.‹ Ist Tante Trude nicht geschieden?«

»Ach wo. Die hat doch nie geheiratet. Um die haben die Männer einen großen Bogen geschlagen. Sie hätte Feldwebel bei den Soldaten werden sollen.«

Benedikt versuchte, sich die hagere große Tante in Soldatenuniform vorzustellen, aber das ging über seine Vorstellungskraft.

»So ist sie Paukerin geworden. Schule ist das schlimmste, was man einem Kind antun kann, aber mit einer Juffer wie Tante Trude muß das eine grausame Strafe sein. Aber du solltest nicht immer an Türen horchen, das tut ein gut erzogener Junge nicht.«

»Pah«, er streckte ihr die Zunge heraus. »Wer will denn gut erzogen sein? Bist du doch auch nicht. Wenn ich nicht horche, erfahre ich ja nichts. Mir erzählt doch keiner was. Dabei werde ich bald fünf Jahre. Ich kann doch nichts dafür, daß ich so spät geboren bin. Ich möchte auch gerne 14 Jahre sein wie Lore, das kannst du glauben. Pia, kannst du nicht Papa sagen, daß eine Scheidung Quatsch ist und daß er wieder zu uns kommen soll? Lore hat doch mal gesagt, daß du Papas Lieblingstochter bist. Wenn du ihn darum bittest, sagt er bestimmt nicht nein.«

»Ich bin seine Lieblingstochter, weil ich genauso aussehe wie Mama.«

»Siehst du nicht«, widersprach Bene heftig, der seine Mutter abgöttisch liebte. »Du bist viel fetter als sie, und sie macht auch nicht so ein Theater mit ihren Haaren, sie macht sich auch längst nicht so fein wie du, sie steht auch nicht stundenlang vor dem Spiegel, am liebsten trägt Mama ein altes Hemd von Papa und Jeans, die tausendmal gewaschen sind.«

»Raus mit dir, aber sofort!« Pia war wirklich wütend. Sie wußte selbst, daß auf ihren Hüften Polster saßen, die da nicht hingehörten. Dabei verkniff sie sich seit Tagen den Zucker im Kakao, kratzte die Butter aufs Brot wie mit einem Pinsel.

»Ich finde es scheußlich, wenn Mama so herumläuft, man wagt ja kaum, jemanden mit ins Haus zu bringen. Das Hemd ist voll Farbspritzer, und ihre Hosen haben wirklich schon bessere Zeiten gesehen.«

»Sie sagt, wenn sie malt, und sie malt wunder-wunderschön, dann kann sie darauf nicht achten, und sie sagt, dann muß sie bequem angezogen sein. Meinst du, Pia, daß Papa das auch nicht mochte?«

Sie zerrte Bene hoch, er versuchte gar nicht, sich zu wehren. Er wußte sowieso, daß das keinen Zweck hatte. Er hatte eine andere, viel wirksamere Methode gefunden. Er quetschte Tränen in seine Augen, sie hingen dann an seinen Wimpern und kullerten die Wangen hinunter. Das zog immer.

»Klar mochte er das nicht. Ich mag das auch nicht, aber Mama schert sich einfach nicht daran. Hau jetzt ab, schließlich hast du auch ein Zimmer. Heul nicht, Bene. Sag mir lieber, wie du das fertigbringst, auf Kommando zu heulen.«

Er schniefte zum Steinerweichen.

Über ihnen öffnete sich eine Tür. Bene und Pia sahen zur Wendeltreppe, Bene behauptete immer, sie sähe aus wie eine Schlange, die sich zur oberen Etage schlängelte.

Die Mutter kam die Treppe hinunter, die Sandalen klapperten wie Kastagnetten auf den hellen Stufen.

»Warum weinst du denn, Bene? Könnt ihr euch denn nicht vertragen?«

Sie musterten sie beide. Pia achtete weniger auf die Farbspritzer in Charlottes Gesicht, ihr fiel auf, wie schlank die Mama war, schlanker als Lore und sie. Eigentlich sah sie mit ihren dreiviertellangen Hosen, deren Farbe nicht zu erkennen war, und dem langen, mit Farbe beschmierten weißen Hemd wie ein junges Mädchen aus. Das kurz geschnittene schwarze Haar hüpfte bei jedem Schritt.

»Sie hat mich aus ihrem Zimmer geschmissen, Mama«, teilte Bene der Mutter schluchzend mit. »Schwestern sind was Widerliches. Warum kann ich keinen Bruder haben? Meinst du, du kannst noch einen geboren werden lassen, Mama?«

Pia und die Mutter sahen sich an, Pia grinste spöttisch.

»Sie kann kein Kind mehr bekommen, du Schwachkopf, weil sie geschieden ist, kapiert? Um ein Kind zu bekommen, braucht die Frau einen Mann.«

»Warum?« wollte Bene fassungslos wissen.

Pia grinste noch stärker. »Das erklärt dir Mama.«

»Aber erst, wenn er ein wenig älter ist.« Charlotte legte ihren Arm um Benes schmächtige Schultern. »Sagt mir lieber, warum ihr euch wieder gestritten habt. Ach nein, eigentlich will ich es auch gar nicht wissen. Pia, Bene, heute abend haben wir Grund zum Feiern. Ich habe meine Kalenderbilder fertig bekommen, morgen kann ich sie abliefern. Ist das nicht toll?«

Pia hatte ihren Ärger im selben Augenblick vergessen. »Au, prima, Mama.« Manchmal nannten die beiden Mädchen ihre Mutter auch nur Charlotte, selten sagten sie Mama zu ihr oder Mutter. Eigentlich hieß sie nur Ma oder Mami. »Wir gehen Pizza essen. Einverstanden? Ich sag eben Lore Bescheid. Hoffentlich hängt sie nicht wieder am Telefon, dann kann man ewig warten, bis sie sprechbereit ist.«

»Du bist eine verfressene Schwester«, erklärte Bene und schmiegte sich in die Arme seiner Mutter. »Mami, ist das schwer, Kalenderbilder zu zeichnen? Und sollen wir nicht Papa auch zu unserem Fest einladen? Er hat doch nur die doofe Thea. Die kann längst nicht so gut kochen wie du. Der freut sich bestimmt.«

»Damit nervt er mich schon seit Stunden«, seufzte Pia. »Warum sind wir gechieden, wie lange und warum. Er kapiert das einfach nicht. Er ist wirklich noch ein Baby. Hör auf, mit Fäusten auf mich loszugehen, du Säugling.«

»Ach, Kinder!« Charlotte sah schuldbewußt auf ihre beiden. »Müssen wir denn schon wieder darüber sprechen? Papa und ich… nun, wir haben es uns reichlich überlegt und sind dann zu dem Entschluß gekommen, uns scheiden zu lassen. Das habe ich euch doch hinreichend erklärt. Wir haben sehr jung geheiratet, ich war gerade 18 Jahre und Papa war nur drei Jahre älter als ich. Wir waren beinahe noch Kinder.«

»Ja, ja«, winkte Pia ungeduldig ab. »Das wissen wir doch alles. Kinderehen tun nicht gut, das soll uns ein Beispiel sein. Ihr bleibt gute Freunde, und Papa kommt regelmäßig, und ihr könnt ihn besuchen, so oft ihr Lust habt. Alte Kamellen, erzähl uns mal was Neues! Es ist doch dieser Säugling, der das nicht kapiert. Aber, nebenbei bemerkt, finde ich die Scheidung auch bescheuert. Wir waren mit unserem Vater ganz zufrieden, es gibt schlimmere, ich kenne Väter, die richtige Ekel sind.«

»Was ist denn hier für eine Versammlung?« Die Tür von Lores Zimmer wurde aufgerissen. »Da soll ein Mensch lernen können! Bei mir latscht Hannibal gerade über die Alpen und ihr schnattert hier herum. Mensch, Pia! Die Scheidung ist doch Schnee von gestern, warum keifst du noch immer darüber? Ich finde das gar nicht so schlimm.« Ihre braunen Augen, die im wirkungsvollen Kontrast zu ihren blonden Haaren standen, hefteten sich herausfordernd auf die Mutter, »wir können locker den einen gegen den anderen ausspielen, ist doch logisch. Von wegen der Tatsache, daß Kinder aus geschiedenen Ehen meistens eine Macke bekommen. Damit sie sie nicht bekommen, sind die Eltern natürlich nachsichtiger, von wegen des schlechten Gewissen, kapiert?! Ich wette, daß ich bald mit einem Mofa über die Straßen knattern kann. Wenn ich es bei Mama nicht durchsetze, daß ich mir eins kaufen kann, dann bestimmt bei Papa.«

Pia musterte ihre Schwester neiderfüllt.

»Hast du denn so viel Kleingeld?«

»Ich nicht. Aber Papa oder Ma. Ist doch logo, oder? Um was geht denn eigentlich diese Betriebsversammlung vor meiner Tür?«

»Mensch, tu dich nicht so dicke«, knurrte Bene, verstohlen schob er seine Hand zwischen die Finger seiner Mutter. Daß die voll Farbe waren, störte ihn nicht. »Wir gehen heute abend Pizza essen. Wenn du Lust hast, kannst du mitkommen. Mama hat nämlich ihren Kalender fertig.«

»Und sie braucht ihn nur bei Jakob, bei Christian Jakob abgeben, und schon klimpert das Geld. Du brauchte mich gar nicht so erschrocken anzusehen, Mami. Ich bin deine Tochter Lore. Bin 14 Jahre. Habe blonde Haare und braune Augen, habe eine leidlich gute Figur und bringe sehr gute Zeugnisse nach Hause. Es ist zu befürchten, daß ich eine Intelligenzbestie werde. Und darum habe ich auch wache Augen und sehe ganz klar, daß dieser Christian Jakob auf dich steht. Er ist verknallt bis über seine braunen Haare, die sich auf dem Kopf schon bedenklich lichten. Als Werbefachmann verdient er seine Brötchen, und deinen Kalender bringt er schon unter.«

»Du tust ja«, Charlotte Fischer musterte ihre aufmüpfige Tochter gereizt, »als wäre meine Arbeit zweite Wahl. Christian hat meine Entwürfe gesehen und findet sie und meine Arbeit gut. Er ist viel zu sehr Geschäftsmann, um nicht…«

»Sei doch nicht so empfindlich, Mama.« Lore wedelte mit ihrer tintenbeschmierten Hand durch die Luft. »Klar kannst du was. Du brauchtest ganz bestimmt nicht nur Kalender oder Deckel von Pralinenschachteln malen. Du kannst viel mehr. Aber du hast viel zu wenig Ehrgeiz. Es kann natürlich auch sein, daß du vor lauter Kinderkriegen nicht an deiner Karriere arbeiten konntest.«

»Jetzt ist aber genug. Was habe ich doch für unmögliche Kinder. Bene heult, meine Töchter posaunen weise Sprüche. Ich fühle mich beinahe, als würde ich auf die Anklagebank geschubst.«

»Das stimmt doch gar nicht.« In beide Mädchen kam Leben, sie schubsten den Jungen unsanft von der Seite der Mutter, umarmten sie wie linkische Bären, und Pia drückte sogar einen lauten Kuß auf die Wange der Mutter.

»Du bist doch unsere Beste«, behauptete sie. »Wenn Papa sich eine andere anlacht, hat er einen Knall. Wir haben dich schrecklich lieb, auch wenn du viel zu wenig Wert auf deine Kleidung legst und am liebsten in alten Klamotten malst. Aber komm nicht auf die Idee, zum Elternsprechtag in diesem Aufzug zu erscheinen. Mam, du bist schon in Ordnung. Du kannst ruhig zulassen, daß dieser Jakob um dich rumtanzt. Nur komm um Himmels willen nicht auf die Idee, uns den Menschen als Vater zu servieren.«