Michael Fiala

JÜRGEN KLOPP

Michael Fiala

JÜRGEN KLOPP

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Originalausgabe

1. Auflage 2015

© 2015 CBX Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Frankfurter Ring 150

80807 München

info@cbx-verlag.de

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf in keinerlei Form – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Lektorat: Ulla Bucarey

Umschlaggestaltung: Nina Knollhuber

Umschlagabbildung: picture alliance / dpa

Satz: Julia Swiersy

Illustrationen: Salome / Fotolia.com

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN: 978-3-945794-01-2

Inhalt

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Editorial
1. Der junge Klopp:
Wie aus Klopple ein Fußballer wird
2. Endlich Profi: Die ersten trostlosen Schritte
3. Klopps erstes TV-Interview
4. Klopps Studium: Fast gescheitert
und dennoch die Säule für den späteren Erfolg
5. Robert Jung, Klopps erster Profitrainer,
im Interview
6. Der Profi Jürgen Klopp:
Mittel zum Trainerzweck
7. Wie innerhalb von 24 Stunden aus dem
Spieler Klopp der Trainer Klopp wird
8. Klopp als Trainer: Eine Kultfigur entsteht
9. Zeljko Buvac: Jürgen Klopps Gehirn
10. Jürgen Klopp wird Trainer in Dortmund:
Eine echte Liebe
11. Vorsprung durch Taktik:
Wie Klopp die Konkurrenz abhängt –
von Georg Sander
12. Klopps fundamentale Krise in Dortmund
13. Ist Klopp der logische Nachfolger von Jogi Löw?
14. Klopp der Sprücheklopfer
15. Klopp der Werbeträger
16. Klopp der Fußballerklärer: Ein TV-Star entsteht
17. Jürgen Klopp in Zahlen gegossen
Quellenverzeichnis
Bilderverzeichnis

Editorial

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2005 war Borussia Dortmund eigentlich am Ende. 98 Mio. Euro Schulden waren doch zu viel. Einschneidende wirtschaftliche Entscheidungen waren die Folge, der Verein konnte den finanziellen Ruin abwenden. Drei Jahre später gab es auf personeller Ebene eine weitere Entscheidung, die prägend für das folgende Jahrzehnt werden sollte.

Der fast schon unglaubliche Erfolgslauf von Borussia Dortmund in den vergangenen Jahren ist untrennbar verbunden mit der Verpflichtung von Jürgen Klopp. Meistertitel, Cup-Sieger, Double-Sieger 2012 mit einem 5:2 gegen die Bayern aus München und zuletzt das Erreichen des Champions-League-Finales, wo es dann die Revanche des Erzrivalen gab. Als Klopp die Dortmunder rund drei Jahre nach der existenzbedrohenden Finanzkrise 2008 übernahm, tingelten die Schwarz-Gelben im Mittelfeld der Bundesliga herum und mühten sich im damaligen UI-Cup ab. Die erste volle Saison unter Klopp konnten die Dortmunder bereits auf dem 6. Platz beenden. Der weitere Erfolgsrun ist bekannt: 5., 1., 1., 2., 2. Und just wenn diese Zeilen geschrieben werden, ist Klopp in und mit Dortmund erstmals in einer unfassbaren Krise. Zwischenzeitig ist Dortmund im Herbst 2014 Tabellenletzter, überwintert als Vorletzter. Ganz Dortmund steht wieder mal Kopf – und Jürgen Klopp ist mittendrin statt nur dabei.

Besonders beeindruckend ist die Art und Weise, wie Klopp seinen Vereinen zum Erfolg verhilft. War Dortmund früher als teure, wenn auch erfolgreiche Legionärstruppe verschrien, formte Klopp aus einer jungen Mannschaft seine eigenen Stars und geht somit als einer der erfolgreichsten Trainer der letzten Jahre in die Geschichtsbücher ein. Transfers wie von Mario Götze oder Robert Lewandowski zeugen von der erfolgreichen Arbeit Klopps. Aber auch bei seiner ersten Trainerstation in Mainz waren Klopp und der Erfolg ein unzertrennliches Paar.

Wie tickt dieser Mensch, der so viele deutsche Fußball-Fans in den siebten Fußballhimmel gehoben hat? Mit welchen Methoden kann Klopp seine Erfolge sicherstellen? Wie hat sich der Trainer und Mensch Klopp in den vergangenen Jahren entwickelt? Welchen Einfluss hatte bereits sein Jugendtrainer auf sein späteres Leben? Und steckt hinter der medialen Klopp-Fassade ein anderer Mensch, ein anderer Klopp?

Fragen, denen in diesem Buch nachgegangen wird. Ein Buch, das ein Bild über den Menschen und Trainer Jürgen Klopp zeichnet und die größten aber auch kleinere Stationen seines Lebens in Erinnerung ruft.

1. Der junge Klopp:
Wie aus Klopple ein Fußballer wird

 
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»Der konnte nicht einmal drei Mal den Ball hochhalten«

Nicht übermäßig talentiert aber mit Ehrgeiz und Willen ausgestattet geht »Klopple« – wie Jürgen Klopp in seiner Heimat genannt wird – als Jugend- und Amateurspieler seinen Weg, der ihn schließlich zum 1. FSV Mainz 05 führt. Prägend dabei waren Ulrich Rath und vor allem Walter Baur, Klopps Mentor beim TuS Ergenzingen. Nicht zu vergessen ist auch die Rolle der Familie Klopp. Der ehrgeizige Vater Norbert treibt Jürgen an, Mutter Lisbeth ist der ruhende Pol. Eine perfekte Kombination …

Der junge Klopp: Vom Vater fußballerisch geprägt

Nicht jeder erfolgreiche Trainer muss auch ein überdurchschnittlich erfolgreicher Fußballer gewesen sein. Jürgen Klopp ist wohl eines dieser Beispiele, das man heranzieht, wann man einen Beweis für diese These benötigt. Klopp schaffte es zwar 325 Mal, bei Zweitligaspielen als Profi auf dem Platz zu stehen, der Sprung in die höchste Spielklasse Deutschlands oder gar in das Nationalteam blieb ihm aber verwehrt. »Spielerisch und technisch gab es größere Talente«, meinte sein erster Trainer Ulrich Rath über »Klopple«, wie sie ihn in seiner Heimat nannten1.

Jürgen Klopp, erblickte am 16. Juni 1967 in Stuttgart als drittes Kind von Elisabeth, dem ruhenden Pol der Familie, und Norbert, Jürgens künftigem ehrgeizigen Antreiber, das Licht der Welt. »Vom ersten Tag meines Lebens wusste ich, wie es ist, mit Druck umzugehen. Meine Eltern haben zuerst zwei Töchter bekommen, mein Vater wollte unbedingt einen Sohn. Als ich dann da war, sollte ich alle Erwartungen, die er hatte, erfüllen. Ich hatte nur Glück, dass ich das meiste von dem auch gerne gemacht habe. Ansonsten wäre meine Kindheit nicht so phantastisch verlaufen. Mein Vater musste mir nicht zwei Mal sagen: Komm, wir gehen Tennis spielen! Oder wir gehen auf den Sportplatz nur ein bisschen so kicken. Schlimmer wäre gewesen, wenn ich nur zu Hause hätte sitzen müssen und Fischer-Technik hätte spielen müssen – obwohl er das auch gerne gehabt hätte, dass ich das mache«, sagte Klopp rückblickend über seine Kindheit2.

Im Alter von fünf Jahren beginnt er bei seinem Heimatverein SV Glatten, wenige Kilometer entfernt von der Kurstadt Freudenstadt, die ersten Bälle zu kicken. Die ortsansässige Brauerei in Glatten gehörte Lisbeths Familie, wie die Klopps Mutter genannt wird. Vater Norbert ist Kürschner, den es von Dornhan nach Glatten verschlagen hat. Treue zum Verein zeichnete Jürgen Klopp jedenfalls schon damals aus: Erst nach 11 Jahren erfolgte der erste Wechsel. Und zwar zum TuS Ergenzingen. Irgendwann später wird er als Fußball-Profil bei Mainz 05 landen.

Dass Jürgen Klopp bereits durch seinen Vater Norbert inspiriert wurde, Fußball zu spielen, ist kein Geheimnis. Wochenende für Wochenende stand Norbert an der Seite von Jürgen, um seinen Sohn zu Höchstleistungen zu anzuspornen. Jürgen Klopps Vater war selbst aktiv als Fußballer tätig, seinen Höhepunkt erreichte der Torhüter seines Heimatorts Kirn und später beim TSF Dornhan, als er zu einem Probetraining beim Bundesligisten 1. FC Kaiserslautern eingeladen wurde. »Er war unglaublich, ein Autodidakt, der alles im Vorbeilaufen gelernt hat. Er war sogar als 18-Jähriger als Torwart beim Probetraining in Kaiserslautern, bei der großen Mannschaft von Fritz Walter. Das war vor der WM 1954 und mein Opa Karl unterlag der dramatischen Fehleinschätzung: Fußball hat keine Zukunft, also lass das! Er hat dann ein Handwerk erlernt.«3 Ein Profi-Engagement blieb Norbert Klopp daher im Gegensatz zu Jürgen verwehrt. Aber auch in anderen Sportarten war Norbert nicht nur Vorbild, sondern auch Partner. Im Tennis-Doppel spielten Norbert und Jürgen sogar in der Oberliga beim 1. FC Pforzheim. »Er war sehr, sehr hart, sehr streng«, sagt der Sohn über seinen Vater, nach dem dieser schon gestorben war. »Er hat sich ganz schwer damit getan zu loben.«4 Wenn Klopp nach einem Turnier mit seinem Vater nach Hause gefahren ist, hat er immer wieder gerne andere Spieler gelobt. Dass Jürgen die meisten Tore geschossen hatte war kein Thema. »Wir haben uns schon gerieben.« Auch noch Jahre später hat Klopps Vater nach den Spielen seinen Sohn angerufen und ihn wegen seiner Frisur oder dem zu langen Bart kritisiert. Geliebt fühlte sich Jürgen trotzdem und er wurde auch nie dazu gedrängt, »etwas anständiges zu lernen«. Jürgen über seinen Vater: »Ich habe ja sein von ihm erträumtes Leben gelebt. Mit jedem anderen Job hätten wir reichlich Stress gehabt, fürchte ich«.

Klopps erster Trainer

Einer von Klopps ersten Fußball-Trainern war Ulrich Rath, Klopps damaliger Jugendtrainer beim SV Glatten. Rath gründete 1972 in Glatten die E-Jugend mit rund 30 Spielern im Alter von fünf bis zehn Jahren. Rath erinnert sich gerne an die Jugendzeit des jetzigen Erfolgstrainers zurück, dabei galt der noch sehr junge Klopp in den Augen von Rath nicht gerade als das größte Talent. Doch eines hat ihn damals schon ausgezeichnet: »Jürgen war schnell, dynamisch und explosiv. Der haute sich in jeden Ball rein, auch wenn da manchmal aus Verzweiflung einer weit über die Kiste flog.«5 Versuche, Klopp im defensiven Bereich aufzustellen – er war einer der größten Spieler und somit prädestiniert als Verteidiger – scheiterten. Jedoch nicht daran, dass er es technisch vielleicht nicht hinbekommen hätte. Nein, Klopp zog es immer zum Tor. Das enge taktische Korsett des damaligen Trainers Rath sah einen flexiblen Libero nicht vor – und als Torhüter wie sein Vater sah sich der junge Jürgen schon gar nicht. Und somit kapitulierte der Trainer und ließ Klopp wieder stürmen.

Klopp besuchte übrigens nach der Grundschule das Gymnasium in Freudenstadt, die Eduard-Sprange-Schule. Auch in der Schule macht er »Karriere«, war zunächst Schulsprecher und später sogar Schulsprecher. Geschwänzt habe er den Unterricht nie, wie man aus dem Klopp-Umfeld vernehmen konnte. Natürlich kickte Klopp auch in der Schulmannschaft, er erreichte bei einem Schulprojekt mit dem Titel »Jugend trainiert für Olympia« sogar das Finale. Ein wirklich herausragender Schüler war er laut eigenen Aussagen nicht. Die Probleme, die man als Schüler so erlebt, dürften Klopp nicht allzu negativ beeinflusst haben.

Ulrich Rath war übrigens wie Klopp Anhänger des VfB Stuttgart, hat die Meistertitel der Schwaben 1950 und 1952 bejubelt, damals als vom FC Bayern noch keine Rede war. Ausgerechnet das erste Spiel von Rath, das er persönlich im Alter von 15 Jahren live miterlebt hat, war eine 0:2-Niederlage gegen Dortmund. Eine Niederlage mit traumatischer Wirkung: Rath besuchte bis 2008, als Klopp schlussendlich BVB-Trainer wurde, kein Spiel mehr mit Dortmunder Beteiligung.

Ehrgeiz der Marke Klopp

Ehrgeiz zeichnete die Klopps immer schon aus, dafür waren Norbert und auch sein Sohn in Glatten bekannt. Ehrgeiz, den Jürgen von seinem Vater vererbt bekommen hat, wie er vor einigen Jahren in einem Interview mit der Mainzer Rhein-Zeitung mit einem Augenzwinkern bestätigte.

Rath trainierte Klopp von der E- bis zur B-Jugend beim SV Glatten, später wurde der ehemalige Klopp-Trainer selbst Präsident des SV Glatten, dessen Vereinsfarben mit schwarzgelb man als ersten Fingerzeig für die spätere Karriere von Klopp deuten könnte, auch wenn in Glatten die meisten Fußball-Fans zu Bayern München oder Schalke 04 halten. Klopp selbst hatte sein Fußball-Herz an den VfB Stuttgart verschenkt. Klopps Talent wurde jedenfalls auch schon beim SV Glatten erkannt, in der C-Jugend war er bereits Mannschaftskapitän und zentrales Spielelement.

Mentor Walter Baur

Mit 16 Jahren folgte dann der Wechsel zum nur wenige Kilometer entfernten TuS Ergenzingen. Ein Wechsel, der wohl entscheidenden Einfluss darauf hatte, dass Klopp heute jener Klopp ist der er ist. Klopps Mentor in Ergenzingen, dem Vorzeigeverein der Region aus der Klopp entstammte, war Walter Baur. »Walter Baur hat mich in einer ganz wichtigen Phase geprägt«, sagt Klopp mit Blick zurück6. Und: »Wer von Walter Baur für gut genug befunden wurde, der hatte es geschafft.« Und so kam es, dass Baur 1983 im Wohnzimmer der Familie Klopp saß und Jürgen zum TuS Ergenzingen lotste, also für gut befunden wurde. Ob dies damals aufgrund der unübersehbaren Qualitäten von Jürgen Klopp passierte oder deswegen, weil Vater Norbert auch damit den Fahrdienst für das eigentlich größere Talent Jürgen Haug übernahm, ist für Jürgen Klopp auch 30 Jahre danach noch immer nicht geklärt. Ein Indiz für die Haug-Variante könnte sein, dass Klopp im ersten Jahr in Ergenzingen nicht sehr häufig zum Einsatz kam. »Der konnte nicht einmal drei Mal den Ball hochhalten«, erzählte Baur.7

Nach elf Jahren beim SV Glatten hatte Jürgen Klopp durch den Wechsel seinen ersten Mentor, der ihn prägen sollte – vor allem für seine spätere Trainerkarriere. »Dieser Mann hat eine unheimliche Empathie für junge Fußballer«, meinte Klopp rückblickend. Eine Eigenschaft, die er sich als Mainzund Dortmund-Trainer in die DNA einbrennen ließ. Das Training in Ergenzingen war aber auch für Klopp damals schon harte Arbeit. Bereits eine halbe Stunde vor dem eigentlichen Trainingsbeginn mussten sich die Kicker am Platz versammeln und durften dabei nicht aufs Tor schießen, sondern nur mit dem Ball jonglieren. Aufgemuckt hat damals niemand. »Nach einem halben Jahr hätten wir bei jeder Weihnachtsfeier als Seehund auftreten können«, sieht Klopp 30 Jahre danach das Ganze mit einem Augenzwinkern. Doch geliebt haben sie Baur alle, und haben im Training und in den Spielen alles für ihn gegeben. Über seinen Schützling Klopp sagte Baur rückblickend: »Wir hatten bestimmt fünf Leute, die mindestens genauso veranlagt waren, aber das ist nicht alles. Wenn Kloppo sich was in den Kopf gesetzt hatte, wurde das auch gemacht.«

Klopp erstmals Kapitän

Im zweiten Jahr avancierte Klopp zum Kapitän – und die ersten Erfolge stellten sich ein. Beim A-Jugendpfingstturnier ziehen Klopp & Co ins Finale ein. Gegner ist Vitkovice Ostrau. Nach der regulären Spielzeit steht es 0:0 Unentschieden. Baur hat Mitleid mit den Gästen und will sie gewinnen lassen. Doch da hat er die Rechnung ohne seinen Kapitän gemacht. »Ich glaub, du spinnst. Wir hauen alle rein und gewinnen«. Er sollte Recht behalten.

Baur hat übrigens den Kontakt zur Familie stets aufrechterhalten und er besuchte Jürgen Klopps Mutter Lisbeth regelmäßig. 2009 holte Klopp seinen Mentor dann als Scout nach Dortmund. Bei einem seiner zahlreichen Besuche übergab Lisbeth Klopp ein Paket mit Schwarzwälder Schinken und vielen anderen Dingen, das er Jürgen übergeben soll. Mitsamt Paket schaffte es Baur ins Stadion und schließlich zur Pressekonferenz nach dem Match, wo das Packerl an Jürgen Klopp übergeben wurde. Im April 2012 verstarb Baur. Zwei Wochen davor kaufte Klopp Eintrittskarten für das DFBPokalfinale für Baur. Klopp berichtete, wie er Walter Baur eine Karte für das Pokalfinale kaufte und ihn anrief, um ihm von seinem Geschenk zu berichten. Der ehemalige Trainer war gerührt, noch niemals in seinem Leben sei er in Berlin gewesen. »Nach dem Gespräch hatte ich das Gefühl: Das ist das Beste, was du mit der Karte machen konntest«, berichtet Klopp: »Und dann ereilt dich aus heiterem Himmel diese Schocknachricht.«8

Seine prägenden Wurzeln in Ergenzingen hat Klopp nie vergessen. Als Klopp gefragt wurde, wie nachhaltig sich sein Alltag durch den Hype in Mainz und Dortmund verändert habe, antwortet er: »Ich habe ein großartiges Leben mit einer phantastischen Familie und einem tollen Job. Mein Bekanntheitsgrad ist größer geworden, und ich habe mich hoffentlich ein wenig entwickelt. Aber ich habe mich nicht verändert.«9

Als Klopp 1986 im Alter von 19 Jahren auf der Schwelle vom Jugend- zum Erwachsenenspieler stand, zeigte der jetzige Dortmund-Starcoach sein Überzeugungs- und Organisationstalent: Nicht nur, dass er das Programm bei Weihnachtsfeiern organisierte, er setzte auch im Verein durch, dass Walter Baur die erste Mannschaft übernahm. Jene Mannschaft, der Klopp ab sofort angehörte. Klopp hatte also als Spieler den Wunschtrainer durchgesetzt. Unter anderem auch deswegen, weil er als Kompensation dafür ein Angebot des VfL Nagold ausschlug.

Die Begegnung mit dem künftigen Weltmeister

Das Schicksal wollte es so, dass Eintracht Frankfurt im Juli 1986 zu einem Testspiel auf die Ergenzinger Breitwiese kam, wenige Tage nach dem WM-Finale in Mexiko. Mit im Gepäck war Thomas Berthold, frischgebackener Vize-Weltmeister, vier Jahre später in Italien dann sogar Weltmeister. Sein Gegenspieler im Testspiel: Jürgen Klopp, der den Ehrentreffer beim 1:9 erzielte und dem Vernehmen nach Berthold eins ums andere Mal davonlaufen konnte. Auf der Frankfurter Bank hatte damals Dietrich Weise das Sagen, der sich von den Qualitäten Klopps durchaus beeindruckt zeigte. Weise will Klopp nach Frankfurt holen. »Mal ehrlich, du kamst aus dieser Region nicht weg durch den Fußball, das war eigentlich ausgeschlossen. Weggehen aus Glatten, das hieß, du gehst nach Tübingen an die Uni, das sind keine 70 Kilometer. Ich sagte Weise, ich hab doch noch ein Jahr bis zum Abitur. Er: Dann melde dich, wenn du fertig bist. Ich war dann gerade auf Abi-Fahrt in Griechenland, als es hieß, ich solle nach Frankfurt kommen. Und bis ich dort angekommen bin, war Weise entlassen!«10 Das Abitur schafft Klopp trotz laut eigener Aussagen schlechter Vorbereitung. Und auch der Wechsel zur Eintracht sollte stattfinden, wenn auch verspätet und nur zu den Amateuren.

Ein Jahr später – 1987 – wechselt Klopp zum 1. FC Pforzheim. 12.000 Mark sollen damals an Ablösesumme an Ergenzing geflossen sein. Doch Klopp blieb nicht lange in Pforzheim, lediglich vier Spiele absolvierte er und wechselte noch im selben Jahr zu den Amateuren von Eintracht Frankfurt, was dem bleibenden Eindruck im Testspiel ein Jahr zuvor zu verdanken war. Doch da Weise nicht mehr Trainer in Frankfurt war, wird er zu den Amateuren verbannt. In dieser Zeit wurde Klopp auch das erste Mal Vater, Sohn Marc kam 1988 zur Welt. Das Leben des Jürgen Klopp damals: Fußball spielen, zur Uni gehen, Vater sein. Zusätzlich jobbte Klopp bei einem Filmverleih und packte Filmrollen von sechs Uhr früh bis 16 Uhr auf Lastwagen, danach ging es zum Fußballtraining. Eine schwierige Zeit für Klopp, die das Eheleben mit Sabine auch nicht gerade förderte.

Besserwisser Klopp

Danach geht es im Jahrestakt weiter: 1988 erfolgt der Wechsel zu Viktoria Sindlingen, bereits 1989 lief Klopp für Rot-Weiss Frankfurt auf. Es sollte seine letzte Station in der Amateurlaufbahn sein. Frankfurt-Trainer Dragan Stepanovic holte Klopp trotz einiger Warnungen einiger Kollegen, die den studierenden Klopp als Besserwisser bezeichneten. Der Ärger über Klopp sollte sich in Grenzen halten. Klopp erzielt Tor um Tor und Frankfurt qualifiziert sich für die Aufstiegsrunde. Schon damals imponierten seinen Mitspielern die pädagogischen Fähigkeiten von Jürgen Klopp. Klopp hielt seine fürsorgliche Hand über die jungen Spieler, die immer wieder von den alten Spielern dazu verleitet wurden, an der Börse zu zocken.

2. Endlich Profi:
Die ersten trostlosen Schritte

 
 
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»Das war häufig eher trostlos«

Endlich Profi. Doch schon nach den ersten Trainings bei Mainz 05 will Jürgen Klopp schon wieder weg. »Das war keine Spaßveranstaltung.« Auch finanziell ist das Profitum in der zweiten deutschen Bundesliga in den 1990ern für den Jung-Vater zunächst kein Honiglecken. Mehrmals plant er den Absprung, dann werden es doch elf lange und auch erfolgreiche Mainzer Jahre. Oder anders formuliert: 325 Spiele in der zweiten Liga. Klopps Spielerkarriere war ein Mittel zum Zweck: Endlich Profispieler, wenn auch mit einer Mannschaft ohne Perspektive.

Jung steht auf Klopp

Jeder Fußballer hat ein Vorbild, ein Idol zu dem man zumindest ab und zu aufschaut. Joachim Löw zum Beispiel hatte Günter Netzer als Vorbild genannt. Netzer ist eine der herausragendsten Spielerpersönlichkeiten, die Deutschland je hervorgebracht hat. Und Jürgen Klopp? Auch hier tickt er anders als die meisten anderen. Auf die Frage nach dem Vorbild antwortet Klopp mit »Karl Heinz Förster«. Nicht, dass Förster ein schlechter Spieler war. Im Gegenteil. Förster war Deutscher Meister, Europameister, kam auf 81 Länderspiele. Aber er galt als der Verfechter der Blutgrätsche. Sein Titel: »Treter mit dem Engelsgesicht.«

»Ich hatte das Talent für die Landesliga und den Kopf für die Bundesliga – herausgekommen ist die zweite Liga«, sollte Jürgen Klopp mit ein paar Jahren Abstand zu seiner Spielerkarriere über den Spieler Klopp einmal sagen11. Womit auch wieder Karl Heinz Förster ins Spiel kommt: »Ich habe ihm sein mangelndes Talent angesehen, und daraus so eine Karriere zu schnitzen, dafür habe ich ihn sehr bewundert.« Klopp entschied sich zu Beginn einer Saison für die Rückennummer vier. Ungewöhnlich als Stürmer. Vier war auch die Rückennummer von Förster.

Begonnen hat Jürgen Klopps Profikarriere mit einem Wink mit dem Zaunpfahl. In der Saison 1989/90 qualifizierte er sich mit seinem Team Rot-Weiß Frankfurt unter Trainer Dragoslav Stepanovic als Hessenmeister für die Aufstiegsrunde zur zweiten deutschen Bundesliga. Sechs Spiele mussten in dieser Runde absolviert werden, einer der Gegner war Mainz 05. Trainer der Mainzer war damals Robert Jung, dem die guten Leistungen von Klopp im direkten Duell nicht verborgen geblieben waren. Klopp war kopfballstark und genau so einen Typ suchte Jung für seine Mannschaft. Die Frankfurter holten mit Klopp in der Aufstiegsrunde lediglich einen Punkt – gegen Mainz setzte es zwei Niederlagen. Und dennoch fragte Jung »Kloppo«, ob er sich einen Wechsel nach Mainz vorstellen könne. »Er hat seinerzeit eine Art Rechtsaußen gespielt und nur gesagt: ›So gut bin ich technisch nicht.‹ Da habe ich gemeint: ›Dafür hast Du andere Qualitäten.‹ Ich konnte ihn dann überzeugen. Er hat bei mir als offensiver Sechser im Mittelfeld gespielt, und er war ja auch sehr torgefährlich«, blickt Jung ins Jahr 1990 zurück.12 In Mainz sollte Klopp dann zum offensiven 6er umfunktioniert werden, im ersten Jahr wurde Jungs Truppe am Ende der Saison achter. Die beste Bilanz eines Aufsteigers aller Zeiten. Klopps persönliche Bilanz nach der ersten Mainz-Saison: 33 Zweitliga-Einsätze, 10 Tore.

Keine Spaßveranstaltung bei der grauen Maus

Die einzige Motivation damals, dem Wechsel zu Mainz zuzustimmen: Klopp wollte Profifußballer werden. Mainz war 1990 so wie Rot-Weiß Frankfurt damals kein Zuschauermagnet. Im Gegenteil. Klopp: »Wir waren die graue Maus. Der ganz alte Bruchweg war auch eher eine staubige Veranstaltung oder sehr dreckig. Das war häufig eher trostlos. Das hat sich dann eher im Lauf der Jahre entwickelt.«

Im SWR-Interview, mehr als 30 Jahre nach seinem Profi-Debüt, lässt Klopp keinen Zweifel, dass Ruhm, Luxus, Geld und tausende Fans nicht zur Checkliste des damals 23-Jährigen gehörten: »Wir haben uns in Containern umgezogen, die Klamotten selber gewaschen. Ich dachte in meinem jugendlichen Leichtsinn: Jetzt bin ich bei einem Profiverein, irgendwer gibt mir jetzt Trainingsklamotten, die ich dann wieder zurückgebe und ich dann wieder frischgewaschen zurückbekomme. Leider war dem nicht so. Wer damals clever war, hat dritte Liga gespielt, ein Haufen Geld abgesteckt und drei Mal die Woche trainiert. Wir haben jeden Tag trainiert. Wir haben das gemacht, weil wir Bock hatten auf Profifußball.«

»Ich habe überlebt«

Dass Jürgen Klopp am Ende der Saison 1990/91 noch Teil des erfolgreichen Mainzer Teams war, schien am Anfang mehr als fraglich. Und zwar aus der Sicht von Klopp selbst. »Robert Jung als Trainer, das war keine Spaßveranstaltung. Wir sind in der Vorbereitung viel ohne Ball gelaufen. So exzessiv, dass ich nach den ersten Trainings mehrmals gedacht habe, ich muss zum Trainer gehen und sagen, ich bin nicht dafür gemacht«, sollte der geläuterte Klopp Jahre danach in dem SWR-Interview sagen, mit dem Zusatz: »Ich habe es dann doch irgendwie überlebt«. Ein intensiver Trainingskalender, der Klopp & Co zum Nachdenken anregen sollte. Nachdenken über den Beruf des Profifußballers, dem man sich zu 100% widmen sollte. Jung dazu mit zeitlichem Abstand: »Ich habe immer hart trainieren lassen, viele Intervallläufe angesetzt. Meine Mannschaften waren gestählt. Der ›Kloppo‹ hat ja mal gesagt, ich hätte so hart trainieren lassen, dass er es vor Schmerzen kaum mit dem Auto nach Hause geschafft hat. Mit seinen 1,90 Meter haben ihm die Läufe nicht geschmeckt.« Am Ende wurden es ganze elf Jahre – oder 325 Ligaspiele für die 05er. Und auch die erste Saison konnte sich mehr als sehen lassen: Zehn Tore in 33 Spielen. Nach zwei Jahren gab Jung seinen Job als Cheftrainer der Mainzer jedoch ab. Im Hauptberuf war er Gymnasiallehrer. Das Profitum, das von den Spielern gefordert wurde, war als Trainer damals in Mainz – der Klub war zu der Zeit mit einem Budget von zwei Millionen Mark ausgestattet – noch nicht möglich. Jung wechselte zu Klopps ehemaligem Klub Rot-Weiß Frankfurt.

Sportlich erfolgreich, die Perspektive fehlte

Vierfachtorschütze Klopp

13. August 1991, Steigerwaldstadion, 4.700 Zuschauer – Klopps zweite Saison in Mainz war gerade erst vier Spieltage alt. Rot-Weiß Erfurt geht an diesem Tag gegen Mainz 05 mit 0:5 unter. Vier Tore erzielt dabei Jürgen Klopp, in der 36., 50., 69. und schlussendlich in der 89. Minute. Mainz-Trainer Robert Jung sagte daraufhin: »Von Jürgen Klopp habe ich mich eigentlich schon verabschiedet, der spielt nächste Saison in der Bundesliga.«

Wenige Tage später ist Klopp bei einem seiner ersten TVAuftritte im Interview auf SWR zu sehen. Klopp zum Thema Bundesliga: »Ob dem so ist, kann ich heute nicht sagen. Es wäre schön, es wäre mein Ziel. Ich werde darauf hinarbeiten. Ich muss kontinuierlich weiterarbeiten. Wenn das so weiterläuft, werden die Angebote automatisch kommen.« Und Angebote gab es damals auch: So wollte sich der HSV die Dienste von Jürgen Klopp sichern, doch Mainz ließ ihn nicht ziehen. Der HSV holte stattdessen Karsten Bäron. Rückblickend betrachtet sollte sich dieser »Nicht-Wechsel« als glückliche Fügung herausstellen.

Der perfekte Profi?

War Klopp also damals bereits auf dem Weg zum perfekten Profi? »Ob ich ein perfekter Profi bin, weiß ich nicht. Ich weiß, dass ich nicht jeden Tag um acht Uhr im Bett liege. Ich habe einen zweijährigen Sohn und eine zukünftige Frau, die arbeitet. Direkt nach dem Training fahre ich dann logischerweise nach Hause, ich habe aber trotzdem ein gutes Verhältnis zu meinen Mitspielern. Ich werde demnächst heiraten, wo ich die ganze Mannschaft schon eingeladen habe«. Und auch wenn Jürgen Klopp als Spieler nie den Aufstieg in die deutsche Bundesliga schaffen sollte: Der Weg zum perfekten Profi war längst eingeschlagen.