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Nr. 2647

 

Der Umbrische Gong

 

Jagd in Terrania City – ein Schatten kämpft gegen die ewige Dämmerung

 

Leo Lukas

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.

Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt. Fieberhaft versuchen die Verantwortlichen der galaktischen Völker herauszufinden, was geschehen ist. Dass derzeit auch Perry Rhodan mitsamt der BASIS auf bislang unbekannte Weise »entführt« worden ist, verkompliziert die Sachlage zusätzlich. Um die LFT nicht kopflos zu lassen, wurde eine neue provisorische Führung gewählt, die ihren Sitz auf dem Planeten Maharani hat.

Während Perry Rhodan und Alaska Saedelaere gegen die aus langem Schlaf erwachende Superintelligenz QIN SHI kämpfen müssen, befindet sich das Solsystem abgeschottet vom Rest des bekannten Universums in einer Anomalie und muss sich gegenüber drei fremden Völkern behaupten: Die Spenta hüllen Sol ein, die Fagesy besetzen Terra, und die Sayporaner entführen Kinder auf ihre Heimatwelt Gadomenäa, um sie zu »formatieren«. Als die Jugendlichen zurückkehren, bringen sie ein Geschenk mit. Dies ist DER UMBRISCHE GONG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Fydor Riordan – Sein Duell mit dem Schattenmann geht in die nächste Runde.

Toufec – Das Phantom von Terrania erweist sich als nicht unverwundbar.

Sharoun Beffegor und Undine Comerell – Die Jahrgangskolleginnen verbindet eine herzliche Antipathie.

Reginald Bull und Homer G. Adams – Die Zellaktivatorträger tragen Puzzlestücke zusammen.

Rückblende

Er nannte sich Emissär

4. November 1469 NGZ

 

Barisch riss die Maske vom Gesicht. »Wir wurden reingelegt«, zischte er. »Wir müssen weg!«

Er hat recht!, durchzuckte es Sharoun Beffegor, brennend heiß wie ein Stromschlag. Das ist eine Falle. Und nicht bloß für uns.

Der etwas knochige Mann, der ihr und Barisch gegenüberstand, Staatssekretär Urs von Strattkowitz, äußerte Zustimmung. »Ich verstehe nur nicht, warum ...«

Er stockte, legte die Hand an den Mund. Seine stahlblauen Augen weiteten sich in jähem Begreifen.

Dann stieß er ein einziges Wort hervor, einen Namen: »Riordan!«

Die Ratte!, dachte Sharoun. Wer sonst sollte diese Hinterlist eingefädelt haben als der neue TLD-Chef?

Wie zur Bestätigung durchbrachen Geräusche die Stille des nächtlichen Zoos. Das charakteristische Knattern fagesyscher Rüstgeleite, die sich rasch näherten!

Sharoun ergriff Barisch Ghada am Kragen, drehte ihn um 180 Grad und versetzte ihm einen Stoß. »Abmarsch, Rückzug. Renn!«

Keine Zeit, nachzuprüfen, ob er ihren Befehl befolgte oder ihn überhaupt gehört hatte. Sie kniete sich hin und zielte in die Richtung, aus der die Fagesy kamen.

Dunkle, fünfeckige Schatten erhoben sich über die Bäume und rasten auf sie zu. Sharoun feuerte. Nichts deutete darauf hin, dass sie Wirkungstreffer erzielte.

Wie auch, mit diesem Spielzeug von Strahler!

Strattkowitz stand steif und starr wie der sprichwörtliche Ölgötze. Ehe Sharoun ihm noch zurufen konnte, dass er in Deckung gehen sollte, krümmte sich sein Körper zusammen. Im Brustkorb klaffte ein Loch, breit genug, um hindurchzusehen.

Wahrscheinlich hatte er Sharoun, indem er ein größeres Ziel abgab, das Leben gerettet. Sie hechtete zur Seite, rollte sich über die Schulter ab, zweimal, dreimal, und landete in einem Abflussgraben.

Der Schlamm stank nach Tierexkrementen. Aber das war ihr momentan völlig egal.

»Letzte Durchsage«, hauchte sie ins Armband-Multikom. »Rette sich, wer kann! Falls möglich, treffen wir uns bei den P-zwo-Ultras. Und jetzt abschalten, bis auf Weiteres gilt strikte Funkstille!«

Sie hatte keine Ahnung, ob sie verstanden wurde. Sharoun konnte nur hoffen, dass ihre Mitstreiter den improvisierten Kode entschlüsselten – während den Translatoren der Fagesy verborgen blieb, dass das legendäre terranische Ortungsgerät UHF-P-2 im Flottenslang auch als Ultra-Giraffe bezeichnet wurde.

Falls Fydor Riordan bereits vor Ort war und den Funkspruch auffing, hatte sie soeben sich und ihr schmächtiges Häuflein von Gefährten ans Messer geliefert ...

Allerdings, versuchte sie sich zu beruhigen, würde es Riordan eher entsprechen, erst auf den Plan zu treten, wenn die Drecksarbeit erledigt war. Schließlich wollte er nicht mit Strattkowitz' Tod in Verbindung gebracht werden.

Ihre eigene Anordnung befolgend, desaktivierte Sharoun das Multikom. So.

Sie steckte in der Tinte.

 

*

 

Aus dem Nachthimmel regnete es Fagesy.

Sharoun hütete sich, einen Schuss abzugeben. Damit hätte sie ihren Standort verraten.

Stattdessen robbte sie im Abflussgraben weiter, durch die erbärmlich stinkende Gülle. Mit der linken Hand versuchte sie die dünne Thermofolie, die sie über sich ausgebreitet hatte, in Position zu halten. Solange ihr das gelang, würde nur höchstwertigste Infrarot-Ortung sie erfassen können.

Große Chancen gab sie sich und den übrigen Mitgliedern ihres Grüppchens nicht. Zu erdrückend war die Übermacht, zu lächerlich ihre eigene Ausstattung. Sie würden aufgerieben werden, gestellt und eliminiert, einer nach dem anderen, lange bevor sie den Treffpunkt erreichten.

Und selbst wenn sie sich unbeschadet beim Giraffen-Gehege wiedervereinigen könnten – wohin sollten sie sich wenden?

An ihren bisherigen Stützpunkt, die Wohnung der Ghandas, durften sie nicht zurückkehren. Barisch hatte seine Gesichtsmaske abgenommen, kurz bevor die Fagesy eingeschwebt waren. Zweifellos besaßen sie optische Aufzeichnungsgeräte.

Fydor Riordans TLD-Maschinerie würde keine drei Minuten brauchen, um Barisch Ghada zu identifizieren und seinen aktuellen Wohnort festzustellen. Dort wartete man schon auf sie, lange bevor Sharoun dort würde eintreffen können.

Es ist aus, dachte sie. Vorbei. Ende der Fahnenstange.

Blitze zuckten über sie hinweg. Instinktiv presste sie die Hände an die Ohren, gerade noch rechtzeitig. Trotzdem entglitt ihr ein Wimmern, als sie die Streuwirkung der Fagesy-Schallwaffen traf.

Gleichwohl ... direkt auf sie wurde nicht geschossen.

Auf wen dann?

 

*

 

Vorsichtig spähte Sharoun über den Rand des Grabens.

Es wimmelte von Fagesy. Einige waren gelandet und hatten das memostrukturelle Material ihrer Rüstgeleite zu annähernd kugelförmigen Panzern umgewandelt. Andere kreisten im Luftraum darüber.

Aber keines der Schlangensternwesen orientierte sich momentan in Sharouns Richtung. Sie hatten auch anderes zu tun, als Barisch Ghada, der sich offensichtlich abgesetzt hatte, zu verfolgen.

Oachono konnte Sharon gleichfalls nirgends entdecken. Der Behälter, in dem sie ihre Geisel transportiert hatten, war leer.

Die ganze Konzentration der Fagesy galt dem schemenhaften Etwas, das zwischen ihnen hin und her flitzte. In irrwitzigem Tempo wirbelte die dunkle, vage humanoid erscheinende Wolke ihre Formationen durcheinander und schaltete anscheinend mühelos, fast nebenbei, einen nach dem anderen aus.

Der Schatten!

Plötzlich sah Sharoun einen Hoffnungsschimmer, heil aus dieser Misere zu kommen. Der Schatten haut uns raus! Er deckt uns den Rückzug, wie schon am Silverbridge Hotel!

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, warum ihr unbekannter Schutzengel nun bereits zum zweiten Mal zu ihren Gunsten eingriff. Egal, darüber konnte sie später spekulieren. Zunächst hieß es, die Zeit, die er ihnen dankenswerterweise verschaffte, zu nutzen.

Auf allen vieren krabbelte Sharoun den Abflussgraben entlang bis zu einem Nebengebäude des Affenhauses. In dessen Sichtschutz wagte sie sich zu erheben.

Sämtliche Reserven mobilisierend, sprintete sie auf die dicht stehenden Bäume zu, die auf dieser Seite das Affenreservat begrenzten. Sie vermochte es kaum zu glauben, aber sie blieb unbehelligt.

Fürs Erste war die Flucht geglückt, wenn auch sonst noch nicht viel gewonnen war.

 

*

 

Sharouns Herz setzte aus, als von oben, aus einer der Baumkronen, etwas auf sie zugeflogen kam.

Sie riss den Strahler hoch und krümmte den Finger um den Abzug. Im letzten Moment erkannte sie, dass die unregelmäßig geformte Segelfläche viel kleiner als ein Rüstgeleit war. Und dass an der Vorderseite zwei faustgroße Stielaugen entsprangen.

»Snacco! Himmel, ums Haar hätte ich dich abgeknallt!«

Der Matten-Willy setzte am Boden auf und verformte sich in Sekundenschnelle. Er bildete zwei Beine aus, zwei Arme und einen Kopf, bis er Menschengestalt angenommen hatte.

Annähernd. Die Konturen blieben verschwommen, die Gesichtszüge undefiniert. Wie bei einem – wie hieß dieses aus Lehm erschaffene Fabelwesen der altterranischen Mythologie noch gleich?

Golem, genau.

Verrückt, zu welchen Assoziationen sich ihr von Adrenalin überschwemmtes Gehirn hinreißen ließ! Statt das Wesentliche im Fokus zu behalten ...

»Tut mir leid«, sagte Snacco.

»Schon okay, es ist ja nichts passiert. Los, komm, weiter!«

»Ich bin, wie du weißt, nicht der Schnellste ...«

Seine Pseudopodien hatten weder Knochen noch Muskeln. Im Prinzip bewegten sich Matten-Willys, indem sie sich verformten. Und das dauerte nun mal.

Sharoun beugte sich vor. »Kletter auf meinen Rücken!«

»Danke!«

Nachdem er an ihren Beinen emporgeflossen war, trabte sie weiter. Wenigstens wog Snacco nicht sonderlich viel, und sie musste keine Kraft aufwenden, um ihn festzuhalten. Er hing an ihr wie ein Cape aus warmem Filz, das sich mit Wasser vollgesogen hatte.

»Die Geiselübergabe hat nicht geklappt«, raunte der Matten-Willy in Sharouns Ohr. »Wir sind gescheitert, auf ganzer Linie. Was soll nun aus uns werden?«

»Das wüsste ich auch gern, mein Freund.«

 

*

 

Beim Haupthaus des Giraffen-Geheges wartete Barisch Ghada.

Er war nicht allein. Oachono befand sich bei ihm, der Fagesy, den sie im Rahmen der Aktion am Silverbridge Hotel gekidnappt hatten.

Oachono, ein feindlicher Soldat. Ihre Geisel, die sie gegen Sharouns Bruder Dweezil hatten austauschen wollen.

Stattdessen waren sie in eine Falle getappt. Staatssekretär Urs von Strattkowitz hatte beteuert, dass es nie im Bereich seiner Möglichkeiten gestanden hatte, auch nur einen Kontakt zu Dweezil Beffegor herzustellen.

Sie waren hereingelegt worden, Sharouns Grüppchen ebenso wie der Staatssekretär.

Und jetzt war er tot. Der Name desjenigen, der dieses Doppelspiel eingefädelt hatte, war das letzte Wort gewesen, das von Strattkowitz ausgesprochen hatte.

»Riordan!«

Sharoun fiel auf, dass Oachono keine Fesseln mehr trug. »Du hast ihn befreit«, sagte sie zu Barisch.

»Ja. Sonst wären wir nicht weit gekommen. Danach hat er mich aus der Schusslinie gezogen.«

»Wieso?« Sharoun wandte sich an den verstümmelten Fagesy. »Du hättest zu deinen Leuten zurückkehren können.«

Oachono produzierte Schnarr- und Klicklaute, die der Translator an Barischs Handgelenk mit geringer Verzögerung übersetzte: »Ich bin mir nicht mehr sicher, wohin ich gehöre. Und ich wollte nicht, dass Barisch Ghada Leid zugefügt wird. Er war gut zu mir.«

»Übrigens, du miefst entsetzlich«, sagte Barisch zu Sharoun.

»Was jetzt?«, fragte Snacco.

 

*

 

Sharoun Beffegors Gedanken rasten. Sie hatte nicht mehr viele Trümpfe im Ärmel; genau genommen nur noch einen einzigen. Und auch bei diesem war sie sich nicht sicher, ob er stechen würde.

Ehe sie dem Matten-Willy antworten konnte, entstand einige Meter über ihnen aus dem Nichts eine schwarze Wolke. Ein Schatten, der Schatten, schwebte herab.

Er nahm erst die Umrisse, dann die Gestalt eines Humanoiden an. Die Verschleierung löste sich auf. Wie schwerer Rauch sank sie zu Füßen des Mannes, der auf diese Weise enthüllt wurde.

»Hallo«, sagte er mit rauer Stimme und einem Akzent, den Sharoun nicht einordnen konnte. »Mein Name ist Toufec. Das schreibt man so.«

Er deutete auf das Schild, das er an einem Bändchen um den Hals trug, wie die Teilnehmer an manchen Kongressen, deren Budget nicht für Mini-Schriftholos ausreichte. »Ich muss gleich wieder zurück, mich mit den Fünfzackigen balgen, damit sie nicht ausschwärmen und eure Spur aufnehmen. Will euch nur kurz einen Rat erteilen.«

Der Mann wirkte irgendwie anachronistisch, aus der Zeit gefallen. Er war unzweifelhaft Terraner, etwas kleiner als der Durchschnitt, nur etwa einen Meter siebzig groß, aber von kompakter Statur.

Toufec mochte um die dreißig sein oder auch viel älter. Er trug eine Art Tunika, wie manche Arkoniden, mit weiten Ärmeln, um die Hüften gegürtet.

Das schmucklose Kleidungsstück reichte ihm bis zu den Waden. Die Füße steckten in Lederstiefeln, die gut eingelaufen aussahen, alt, aber sehr gepflegt – im Gegensatz zum struppigen Bart, der ebenso blaubraun schimmerte wie die markanten Augenbrauen.

Der nachlässig gebundene Turban hatte wohl schon viel Sonne abbekommen, so ausgebleicht war er. Ob die ursprüngliche Farbe Blau oder Grau gewesen war, ließ sich nicht mehr erkennen.

»Einen Rat«, sagte Sharoun. »Aha. Wir hören.«

 

*

 

»Das erste Mal«, sagte Toufec, »bin ich auf euch durch gewisse Gerüchte aufmerksam geworden.«

»Die wir selbst gestreut haben«, sagte Barisch. »Um die Fagesy anzulocken.«

»Pazuzu meint, dass man dieses Unternehmen hätte besser angehen können. Euer Plan strotzte vor Mängeln. Wie auch immer. Wenn dein Haus aus Glas ist, bewirf deinen Nachbarn nicht mit Steinen.«

»Hä?«, machte Snacco.

Toufec, der Schattenmann, ließ sich davon nicht beirren. »Heute habe ich nur durch Zufall gesehen, dass auffällig viele Fünfzackige unterwegs waren. Ich bin ihnen gefolgt, und es war gut.«

»Allerdings«, sagte Sharoun. »Vielen Dank für die Hilfe.«

»Wer viel zu geben hat, sollte gern geben. Wir kämpfen für dieselbe Sache. Dennoch, in Zukunft werde ich euch nicht länger beschützen können. Andere Aufgaben harren meiner.«

»Klingt einleuchtend.« Barisch wischte sich Laub aus den Haaren. »Und worin genau besteht nun dein Ratschlag?«

»Fortan dürft ihr nicht mehr darauf hoffen, dass ich euch zur Seite eile. Ihr müsst euch selbst helfen.«

»Kapiert«, sagte Sharoun. Es blieb also bei ihrer letzten, nicht gerade hohen Trumpfkarte. »Eine Frage noch. Handelst du auf eigene Faust, oder hast du eine Organisation hinter dir? Und falls dem so wäre, wer leitet sie? Attilar Leccore? Oder etwa Homer G. Adams?«

»Mit diesen Leuten habe ich nichts zu schaffen. Ich bin ein Emissär. Ich bereite eine Ankunft vor.«

»Eine Ankunft von wem?«

»Rhodan«, sagte Toufec. »Ich arbeite für Rhodan.«

Sharoun schnappte nach Luft. »Rhodan?«, wiederholte sie, um Fassung ringend.

Um Toufecs Stiefel entstand dunkler, wallender Rauch, der sich zu einem kreisrunden, flachen Gebilde verdichtete, zu einer Scheibe, die über und über mit Webmustern verziert war. Er setzte sich auf diesen archaisch anmutenden Teppich, die Beine überkreuzt, und flog davon.

Einfach so.

Schneller als der Wind.

»Hat ... hat er Rho-Rhodan gesagt?«, stammelte Snacco.

 

*

 

»Also gut.« Sharoun Beffegor straffte sich. »Wir sind ab sofort auf uns allein gestellt, das hat uns unser Schutzengel unmissverständlich verklickert.«

»Wir haben keinen Rückzugsort mehr«, sagte Barisch. »Meine Wohnung fällt aus, die hat der fiese Fydor garantiert schon auf dem Schirm.«

»Richtig. Dahin können wir nicht zurück«, sagte Sharoun. »Wir müssen uns eine neue Bleibe beschaffen.«

»Und zwar wie?«

»Wir gehen in die Tiefe. In den Untergrund. Die subplanetaren Ebenen von Terrania City reichen fünf und mehr Kilometer tief hinab. Ich würde mich schwer täuschen, wenn es hier im Zoo keinen Einstieg gäbe.«

»Wir verkriechen uns in die Katakomben.«

»Ja.«

»Und was gewinnen wir dadurch, dass wir abtauchen? In eine trügerische Sicherheit? Schön, wir entziehen uns vielleicht Riordans Zugriff und dem der Fagesy. Aber was fangen wir damit an – ich meine, was soll zum Beispiel mit Oachono geschehen?«

»Lasst uns zuerst einmal vom Erdboden verschwinden«, sagte Sharoun. »Dann, unten ...« Sie zögerte.

»Ja?«

»Ich werde versuchen, einen alten Kontakt zu aktivieren. Zugegeben, es handelt sich nicht unbedingt um eine Person, der ich bedingungslos vertraue. Aber in unserer Lage dürfen wir nicht wählerisch sein.«

»Ein Kontakt aus deiner TLD-Zeit? Wie Chakt-Vachtor, der Topsider?«

Sharoun nickte.

Es krampfte ihr die Brust zusammen, wenn sie daran dachte, dass ihr Mentor nicht mehr unter den Lebenden weilte. Dass er brutal abgeschlachtet worden war, sehr wahrscheinlich von Fydor Riordan persönlich.

»Damals waren wir kurz zu dritt im Bunde«, sagte sie flach. »Allerdings gab es persönliche Animositäten. Deshalb greife ich mit gelindem Widerwillen nach diesem Strohhalm.«

»Aber es ist unsere letzte Chance.«

»Unsere allerletzte«, sagte Sharoun Beffegor.

1.

Die guten Kräfte versammeln sich

17. November 1469 NGZ

 

In der Solaren Residenz fand eine Krisensitzung statt.

Auch Phaemonoe Eghoo hatte die Anweisung erhalten, daran teilzunehmen. Selbstverständlich befolgte sie die Einladung, wenngleich mit gemischten Gefühlen. Es hätte sie sehr gewundert, wenn ihr nicht mindestens eine Kopfwäsche bevorstünde.

Anders als bei früheren Besprechungen mit Marrghiz wirkte der Konferenzraum diesmal beinahe überfüllt. Fast alle heimgekehrten Neuformatierten waren anwesend, außerdem etliche Assistenten, darunter Fydor Riordan und Ve Kekolor.

Was bedeutete, dass Phaemonoe ihre Gedanken besser im Zaum hielt. Kekolor, die man die »Stille Ve« nannte, war Telepathin.

Ein Funkenkind ... Ves Psi-Talent rührte daher, dass ihr terranischer Vater als Globist fungiert hatte und in den Goldenen Funkenregen geraten war. Von der ferronischen Mutter hatte sie die blassblaue Haut geerbt.

Die Stille Ve war Mitte dreißig, nicht besonders groß und ziemlich breitschultrig. Für eine Halbferronin hatte sie sehr feingliedrige Arme und Hände. Schulterlanges kupferfarbenes Haar umrahmte ein rundes Gesicht ohne hervorstechende Merkmale, wenn man von den ebenfalls kupferfarbenen Glutaugen absah.

Ihr Blick ging Phaemonoe durch und durch. Aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, weil sie um Kekolors telepathische Begabung wusste.

Fest stand: Sie bekam jedes Mal eine Gänsehaut, wenn die Stille Ve zu ihr herübersah. Die blassblaue Frau war ihr überhaupt nicht geheuer.

 

*

 

Marrghiz begrüßte die Versammelten, wobei er Chossom, den Anführer der Fagesy, betont hervorhob, indem er ihn mit dessen offiziellem Titel als Hoher Marschgeber ansprach.

Offenbar wollte er ihn dadurch besänftigen. Sogar die frisch eingetroffenen Neuformatierten hatten bereits Gerüchte gehört, denen zufolge es um das Verhältnis der beiden nicht zum Besten stand.