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LEKTÜRESCHLÜSSEL
FÜR SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER

Friedrich Schiller

Don Karlos

Von Bertold Heizmann

Philipp Reclam jun. Stuttgart

Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe: Friedrich Schiller: Don Karlos. Infant von Spanien. Stuttgart: Reclam, 2001 [u. ö.] (Universal-Bibliothek. 38.)

Alle Rechte vorbehalten
© 2004, 2012 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2012
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene
Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
ISBN 978-3-15-960058-1
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015352-9

Inhalt

1. Hinführung zum Werk

2. Inhalt

3. Personen

4. Die Struktur des Werks

5. Wort- und Sacherläuterungen

6. Interpretation

7. Autor und Zeit

8. Rezeption

9. Checkliste

10. Lektüretipps/Filmempfehlungen

Anmerkungen

1. Hinführung zum Werk

Schiller gehört in deutschen Schulen zu den meistgelesenen Autoren, wovon nicht nur die Lehrpläne zeugen, sondern auch die Verkaufszahlen der für Schüler zugänglichen Lektüren. Dies ist keineswegs selbstverständlich. Unser Schillerbild hat sich, im Vergleich zu dem vergangener Zeiten – bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein –, gründlich gewandelt, wie der Historiker und Schiller-Herausgeber Otto Dann in einem Aufsehen erregenden Beitrag für das mehrbändige Werk Deutsche Erinnerungsorte (2000–02) dargelegt hat.1 Mehr als jeder andere galt Schiller den Deutschen bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts als nationaler Dichter. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte, wie Dann nachweist, eine Differenzierung in Bezug auf diese Nationalisierung. Einerseits wurde Schiller ›Volksgut‹ und seine Werke wurden in den Schulen Pflichtlektüre. Die Inbesitznahme »unseres« Schillers barg ohne Frage die Gefahr des national-erhöhten falschen Stolzes in sich, und die Nationalsozialisten haben sich hier besonders unrühmlich hervorgetan. Andererseits aber distanzierte sich die kritische Intelligenz von ihm und nahm eher für Goethe Partei.

Beide Positionen werden, so Otto Dann, dem Dichter nicht gerecht, und heute sind wir vielleicht in der Lage, Schiller angemessener zu beurteilen. Denn Schillers »Leben war geprägt von der ersten revolutionären Epoche der modernen Demokratiebewegung«, und stets habe er »die Humanität über die Nationalität« gestellt.2 So sind wir gut beraten, das Marbacher Schiller-Museum nicht mehr »Nationalmuseum« zu nennen, sondern »Deutsches Literaturarchiv«. Und wir sollten Schiller weiterhin als großen Humanisten und Kämpfer für die Freiheit des Individuums gegenüber absolutistischer Willkür, für die Menschenrechte und für die Konstituierung der bürgerlichen Nation sehen. Insofern schließt Otto Dann mit der Feststellung, das Theater sei weiterhin »der Ort, wo heute ein gesellschaftliches Schiller-Erlebnis möglich ist und öffentliche Reaktionen hervorruft«, und er fordert dazu auf, Schiller neben Shakespeare als »global player« in der europäischen Theaterkultur zu bezeichnen.3

In diesem Sinne sollte Schiller auch weiterhin in der Schule seinen Platz einnehmen. Und kaum ein anderes Stück ist so gut geeignet, die Synthese von jugendlichem Kampfesmut und idealistischer Humanitätsforderung zu verdeutlichen, wie der Don Karlos. An keinem seiner Stücke hat Schiller derart lange und intensiv gearbeitet: Zwischen dem ersten Entwurf und der Uraufführung liegen sechs Jahre (1782–87). Man hat den Don Karlos mit Recht als »Wende im dramatischen Schaffen Schillers« bezeichnet.4 Diese »Wende« ist in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Zum einen gebraucht Schiller hier zum ersten Mal das ›klassische‹ Versmaß, den fünfhebigen Jambus (auch als »Blankvers« bezeichnet), nachdem seine bisherigen Stücke und auch die Vorarbeiten zum Karlos in Prosa geschrieben waren, und er gelangt bereits zu einer bemerkenswerten Meisterschaft. Zum anderen stellt sein Karlos auch von den Personen und der Thematik her einen Übergang dar: Noch haben seine Personen (v. a. Karlos selbst und Posa) oftmals die Attitüde der Sturm-und-Drang-Helden, mit denen Schiller die Bühnen erobert hatte, und sprechen ihre Sprache, zuweilen weist aber ihre Abgeklärtheit auch schon in die spätere »Weimarer Klassik«. Indem sich Schiller zudem aus dem beschränkten Raum der deutschen Verhältnisse löst und sein Stück in einen wahrhaft welthistorischen Kontext stellt, bekommen sein Stück und dessen Intention einen universellen Anspruch. Mögen Zitate aus dem Don Karlos wie das berühmte »Geben Sie Gedankenfreiheit« heute noch so abgenutzt erscheinen, sie sind Zeugnisse des festen Glaubens Schillers an die Verwirklichung seiner Ideale. Gerade weil wir heute dieser Verwirklichung vielleicht näher gekommen sind als je zuvor, sollten wir sein Stück als einen wichtigen Beitrag zum Erfolg dieser Idee betrachten und uns vor Augen halten, unter welchen Bedingungen Schiller selbst seine Forderungen erhob und wie sich die Beurteilung dieser Forderungen im Laufe der Rezeptionsgeschichte verändert hat.

2. Inhalt

Das klassische Drama besteht aus fünf Akten (Aufzügen), die nach einer festgelegten Dramaturgie (s. Kapitel 4: Die Struktur des Werks) aufeinander folgen. Dieses Schemas bedient sich Schiller auch im Don Karlos. Die Anzahl der Szenen (Auftritte) ist nicht festgelegt. Der Erste Akt weist 9, der Zweite 15, der Dritte 10, der Vierte 24 und der Fünfte 11 Szenen auf.

Erster Akt

1. Im Gespräch mit Domingo, dem Beichtvater des Königs, wird die isolierte Stellung des Kronprinzen Karlos am Hof deutlich: Der Prinz hat von den Höflingen keine Unterstützung zu erwarten; und er weiß selbst, dass er im Auftrag seines Vaters von allen Seiten bespitzelt wird.

2. Umso erfreuter zeigt sich Karlos, als er überraschenderweise seinen Jugendfreund Posa wieder trifft, dem er auch bald das »Geheimnis [seines] Kummers« (88) offenbart: Er gesteht, seine (Stief-)Mutter Elisabeth zu lieben. Da er seinen Freund kurz davor an dessen früheres Gelübde erinnert hat, zögert Posa, obwohl er diese Nachricht zunächst mit Entsetzen aufnimmt, nicht lange und stellt ein Zusammentreffen Karlos’ mit seiner Stiefmutter in Aussicht, nachdem er Karlos vorher noch das Versprechen abgenommen hat, nichts zu unternehmen, ohne ihn vorher gefragt zu haben. Die Szene verdeutlicht überdies, dass Karlos immer schon darunter gelitten hat, von seinem Vater nicht angenommen und geliebt worden zu sein: Dieser ist ihm schon beim ersten Mal, als er ihn bewusst sah – mit sechs Jahren –, als »der Fürchterliche« (313) erschienen, den er zwar nicht hassen, aber auch nicht lieben könne, denn »eine knechtische Erziehung« habe schon in seinem »jungen Herzen / Der Liebe zarten Keim« zertreten (309 ff.).

3. Diese Szene stellt die Königin in den Mittelpunkt; sie fühlt sich offensichtlich nicht ganz wohl im Kreise der Hofdamen, deren Themen und Gespräche sie befremden. Zudem deutet sich bereits an, dass sich die Prinzessin Eboli als Rivalin um Karlos erweisen wird.

4. Posa, der hinzutritt, realisiert zügig seine Absicht, das Treffen zwischen der Königin und Karlos zu arrangieren, und zeigt dabei sein diplomatisches Geschick, indem er eine »rührende Geschichte« (545) erzählt, in der die Königin ihr eigenes Schicksal, das mit dem des Prinzen verknüpft ist, wiedererkennt. Dass sie selbst unter diesem Schicksal leiden könnte, wird von Posa feinfühlig unterstellt: »Große Seelen dulden still« (613).

5. Nicht ganz zufällig tritt Karlos hinzu. Er erklärt unverhohlen der Königin seine Liebe; diese befindet sich in einer Stimmung zwischen Furcht vor der Entdeckung durch ihre Damen und ihrer Zuneigung zu Karlos, dem sie gesteht, dass sie nur aus »Pflicht« (719) nicht aus den höfischen Konventionen ausbricht. Damit will Karlos sich aber nicht abfinden, er beruft sich auf seinen Willen und denkt sogar an einen »Umsturz der Gesetze« (728), um die Königin zu seiner Frau zu machen. Jetzt weist Elisabeth ihn in seine Schranken. Sie fordert ihn auf, seine Leidenschaft zu überwinden, um dadurch zu wahrer Tugend zu gelangen; er soll das Übermaß seiner Liebe nicht ihr, sondern Spanien zukommen lassen. Da Karlos spürt, dass diese Forderung auch für die Königin Verzicht bedeutet, stimmt er zu. In diese Situation hinein wird die Ankunft des Königs gemeldet; Elisabeth steckt Karlos noch einige Briefe zu, die sie aus den Niederlanden erhalten habe. Auch hier wird deutlich, dass sie in dem politischen Konflikt sich eher auf die Seite Karlos’ als auf die ihres Mannes stellen wird.

6. Schon bei seinem ersten Auftreten gibt der König sich als hart und unnachgiebig zu erkennen; aber auch er hat, bekennt er, eine »Stelle, wo ich sterblich bin« (867), nämlich sein Privatleben. Und in diesem Zusammenhang fällt ihm auch die Abwesenheit seines Sohnes unter den Granden auf: »Der Knabe / Don Karl fängt an mir fürchterlich zu werden« (873 f.); in der Beurteilung seines Sohnes verlässt sich der König ganz auf die Aussage des Herzogs Alba, der als dem König unverbrüchlich ergebener Höfling vorgestellt wird. Die Szene endet mit dem Beschluss, die »Irrenden« in den Niederlanden, die sich im Aufstand gegen die spanische Krone befinden, durch ein »schauerndes Exempel« zu »bekehren« (895 f.).

7./8. Im Gegensatz dazu erfahren wir von Karlos, dass dieser sich bei seinem Vater um das Gouvernement in Flandern bemühen will (obwohl er gehört hat, dass für dieses Amt Herzog Alba vorgesehen ist) und auch versuchen möchte, in der Gunst des Vaters sich »wiederherzustellen« (915).

9. In der Schlussszene erneuern Karlos und Posa ihre Jugendfreundschaft und besiegeln sie durch Verbrüderung. Karlos, der sehr wohl gemerkt hat, dass er eher der Nehmende und Posa eher der Gebende ist, fühlt sich den zukünftigen Geschehnissen gewachsen: »Ich fürchte nichts mehr – Arm in Arm mit dir, / So fodr’ ich mein Jahrhundert in die Schranken« (1014 f.).

Zweiter Akt

1./2. Karlos versucht von seinem Vater die Erlaubnis zu erhalten, ein Heer nach Flandern zu führen. Doch Philipp, der seinen Sohn für zu weich hält, lehnt ab, da er Alba die Aufgabe übertragen hat. Der Nachdruck, mit dem der Prinz seine Bitte wiederholt, veranlasst den König letztlich dazu, sein Misstrauen zu äußern: Er fürchtet die »Herrschbegierde« seines Sohnes, erst recht, wenn er ihm sein »bestes Kriegsheer« überließe (1192). Karlos’ letzter Versuch, an den Vater zu appellieren, scheitert mit der Bestätigung der Entscheidung durch den König.

3. Dennoch zeigt sich Philipp in der Folgeszene nicht unbeeindruckt; er wird sich bewusst, in der Beurteilung des Prinzen bislang immer nur auf die Verdächtigungen der Höflinge gehört zu haben, und er beschließt: »Künftighin / Steht Karlos meinem Throne näher« (1256 f.). Diese Absicht teilt er jedoch nur Alba, Karlos’ Rivalen, mit.

4. Ein Missverständnis treibt die Handlung voran. Karlos erhält durch einen Pagen einen Brief von der Hofdame Eboli, die in ihn verliebt ist; er vermutet aber als Absenderin die Königin und ist fassungslos vor Freude, von ihr geliebt zu werden. Andererseits ist er sich der Gefahren dieser Liebe bewusst. Die exaltierte Stimmung, in der er sich befindet, zeigt sich in den nächsten Szenen.

5./6. Karlos gönnt dem Herzog Alba – zu dessen Verwunderung – die Aufgabe, nach Flandern gehen zu dürfen, beleidigt ihn aber im nächsten Atemzug. Es kommt zu einem Gefecht, das von der Königin beendet wird. Allerdings macht des Gehabe des Prinzen den Herzog misstrauisch.

7./8. Inzwischen hat die Prinzessin Eboli durch den Pagen erfahren, dass der Prinz ihren Brief erhalten hat; auch sie glaubt zunächst, Karlos erwidere ihre Liebe. Das Missverständnis wird noch eine Weile in der Schwebe gehalten, klärt sich dann jedoch bald auf. Die Prinzessin Eboli fühlt sich gedemütigt. Karlos bringt einen Brief des Königs an die Eboli in seinen Besitz, aus dem dessen Untreue hervorgeht. Mit diesem Brief glaubt Karlos eine Waffe gegen seinen Vater in der Hand zu haben.

9. Andererseits sieht die enttäuschte Eboli in der Erkenntnis, dass zwischen dem Prinz und seiner Stiefmutter ein Liebesverhältnis besteht, eine Möglichkeit sich zu rächen, indem sie den König informiert.

10.–13.