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MEŠA SELIMOVIĆ · DER DERWISCH UND DER TOD

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MEŠA SELIMOVIĆ

DER DERWISCH

UND DER TOD

OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG

Aus dem Serbischen übersetzt von

© 1994 für die deutsche Ausgabe: Otto Müller Verlag, Salzburg-Wien
Titel und Verlag der Originalausgabe: Derviš i smrt, Svjetlost, Izdavačko Preduzeće, Sarajevo
Druck und Bindung: CPI Moravia Books GmbH. Korneuburg

Inhalt

Erster Teil

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Zweiter Teil

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Verzeichnis seltener Ausdrücke

Milo Dor

Johannes Weidenheim

ERSTER TEIL

 

1

Bismilâhir-rahmanir-rahim!

Ich rufe zum Zeugen die Tinte und die Feder und die Schrift, die aus der Feder fließt;

Ich rufe zum Zeugen die schwankenden Schatten des sinkenden Abends und die Nacht und alles, was sie lebendig macht;

Ich rufe zum Zeugen den Mond, wenn er schwillt, und die Morgenröte, wenn sie aufdämmert;

Ich rufe zum Zeugen den Jüngsten Tag und die Seele, die sich selbst anklagt;

Ich rufe zum Zeugen die Zeit, Anfang und Ende aller Dinge – dafür, daß jeder Mensch immer Verlust erleidet.   (Koran)

Ich beginne diese meine Geschichte, die keinen Zweck und Nutzen hat, weder für mich noch für andere, aus einem Bedürfnis, das stärker ist als Nutzen und Vernunft, aus dem Bedürfnis, daß meine Niederschrift, die aufgezeichnete Qual des Gesprächs mit mir selbst, bleibe und von mir berichte, mit der vagen Hoffnung, daß sich eine Lösung finde, sobald – wenn dies geschehen kann – die Summe gezogen, sobald die Spur der Tinte von mir auf dieses herausfordernd leere Papier gebracht sei. Noch weiß ich nicht, was hier geschrieben stehen wird. Doch in den Haken und Schleifen der Buchstaben wird etwas von dem bleiben, was in mir war, und es wird nicht mehr untergehen im brodelnden Nebel, als wäre es nie gewesen oder als wüßte ich nicht, was gewesen ist. So werde ich sehen können, wie ich geworden bin, dieses Wunder, das ich nicht kenne, und mir scheint, es ist ein Wunder, daß ich nicht immer das war, was ich jetzt bin. Ich bin mir bewußt, daß ich verworren schreibe, die Hand zittert mir, da mir das Rückschauen bevorsteht, da ich Gericht zu halten beginne und dabei alles selbst sein werde: Richter, Zeuge und Angeklagter. Alles will ich redlich sein, soweit ich das kann, soweit es überhaupt jemand kann, denn ich fange an zu bezweifeln, daß Aufrichtigkeit und Redlichkeit dasselbe seien; Aufrichtigkeit ist die Gewißheit, daß wir die Wahrheit sagen (wer aber kann dessen gewiß sein?), und für Redlichkeiten gibt es viele Möglichkeiten, und die vertragen sich nicht untereinander.

Mein Name ist Ahmed Nurudin; man gab mir ihn, und ich nahm ihn mit Stolz an; jetzt aber, nach der langen Reihe von Jahren, die mit mir verwachsen sind wie meine Haut, denke ich an ihn mit Verwunderung und zuweilen mit etwas Spott, denn Licht des Glaubens zu heißen, das ist eine Anmaßung, die ich nicht einmal gefühlt hatte, deren ich mich aber jetzt ein wenig schäme. Was bin ich für ein Licht? Womit bin ich erleuchtet? Durch Wissen? Durch höhere Lehre? Durch ein reines Herz? Durch den rechten Weg? Dadurch, daß ich nicht zweifelte? Alles ist fraglich geworden, und jetzt bin ich nur Ahmed, nicht mehr Scheich, nicht mehr Nurudin. Alles fällt von mir ab wie ein Kleid, wie ein Panzer, und es bleibt, was vor allem anderen da war: die nackte Haut, ein nackter Mensch.

Vierzig Jahre zähle ich, ein häßliches Alter – der Mensch ist noch jung genug, Wünsche zu haben, und zu alt, sie zu verwirklichen. Da legt sich in jedem die drängende Unruhe, damit er für die Zeit der Kraftlosigkeit, die ihm bevorsteht, stark werde durch Gewohnheit und erworbene Sicherheit. Ich aber tue jetzt erst das, was ich längst hätte tun sollen, damals, in der Vollblüte des Körpers, als all die zahllosen Wege gut waren, alle Irrtümer ebenso nützlich wie die Wahrheiten. Schade, daß ich nicht weitere zehn Jahre hinter mir habe, damit das Alter mich vor dem Aufbegehren bewahrte, oder daß ich nicht zehn Jahre jünger bin, damit es mir nichts ausmachte. Denn dreißig Jahre, das ist noch Jugend, so meine ich jetzt, da sie auf Nimmerwiederkehr zurückgeblieben ist – Jugend, die sich vor nichts fürchtet, auch nicht vor sich selbst.

Ein seltsames Wort ist gefallen: Aufbegehren. Und ich verhalte die Feder über dem Ebenmaß der Zeile, da, wo es steht, leichtfertig ausgesprochen und zum Zweifel Anlaß gebend. Das erstemal habe ich nun meine Qual so genannt, und niemals vorher hatte ich über sie nachgedacht, sie niemals mit diesem Namen benannt. Woher kommt mir das gefährliche Wort? Und ist es nur ein Wort? Ich habe mich gefragt, ob es nicht besser wäre, dieses Schreiben abzubrechen, damit nicht alles schwerer würde, als es schon ist. Denn wenn es auf unerklärlichen Wegen aus mir sogar das herausholt, was ich nicht sagen wollte, was nicht mein eigener Gedanke war oder doch mein mir selbst nicht recht bekannter Gedanke, der sich im Dunkel meines Innern verborgen hatte, nun aber eingefangen wird von einem aufgestörten Empfinden, das mir nicht mehr gehorcht – wenn das alles zutrifft, so ist das Schreiben ein erbarmungsloses Verhör, ein teuflisches Vorhaben, und es wäre vielleicht besser, die sorgfältig zugespitzte Rohrfeder zu zerbrechen, das Tintenfaß auf die Steinplatten vor der Tekieh auszugießen – möge der schwarze Fleck mich dann ermahnen, nie mehr den Zauber anzutasten, der böse Geister weckt. Aufbegehren! Ist es nur ein Wort, oder ist es ein Gedanke? Ist es ein Gedanke, so ist es mein Gedanke – oder meine Verirrung. Ist es eine Verirrung, dann Wehe über mich; ist es Wahrheit, noch mehr Wehe über mich!

Aber ich habe keinen anderen Weg, niemandem kann ich es sagen, außer mir und dem Papier. Darum fahre ich fort, unaufhaltsam Zeilen zu füllen, von rechts nach links, von Abgrund zu Abgrund des Randes, von Abgrund zu Abgrund der Gedanken, in langen Reihen, die als Zeugnis bleiben oder als Anklage. Wessen Anklage, großer Gott, der du mich der ärgsten menschlichen Qual anheimgegeben hast: mich mit mir selbst zu befassen? Wessen Klage, gegen wen? Gegen mich oder gegen andere? Aber es gibt keine Rettung mehr, dieses Schreiben ist etwas Unausweichliches, wie Leben oder Sterben. Es wird geschehen, was geschehen muß, und meine Schuld ist es, daß ich das bin, was ich bin, wenn das Schuld ist. Mir scheint, daß sich alles von Grund auf ändert, alles in mir, der Boden unter mir gerät ins Wanken, und die Welt schwankt mit mir, denn auch sie ist ohne Ordnung, wenn Unordnung in mir ist, und wiederum – dies, was geschieht, und das, was war, hat dieselbe Ursache: daß ich mich selbst achten will und muß. Ohne das hätte ich nicht die Kraft, als Mensch zu leben. Es klingt vielleicht lächerlich, aber ich bin Mensch gewesen mit den Dingen von gestern, und ich möchte Mensch sein mit denen von heute, den anderen, vielleicht entgegengesetzten; aber das verwirrt mich nicht, denn der Mensch ist Veränderung, und böse ist es, nicht dem Gewissen zu gehorchen, wenn es sich meldet.

Ich bin Scheich einer Tekieh des Mewlewi-Ordens, des reinsten und größten Ordens, und die Tekieh, in der ich lebe, liegt am Ausgang aus der Stadt, zwischen schwarzen und braunen Felswänden, die die Weite des Himmels verdecken und nur ganz oben einen schmalen Durchblick ins Blaue lassen, wie eine karge Gnade und das Erinnern an den endlos weiten Himmel der Kindheit. Ich liebe es nicht, das weit zurückgreifende Erinnern, es quält mich immer mehr – als verfehlte Möglichkeit, wenn ich auch nicht weiß, wozu. Ohne rechte Klarheit vergleiche ich die saftigen Wälder über dem Haus des Vaters, die Felder und Obstgärten um den See mit der felsigen Enge, in der wir gefangen sind, ich und die Tekieh, und es scheint mir, als gäbe es viel Ähnlichkeit zwischen der Beengung in mir und der um mich herum.

Die Tekieh ist schön und geräumig, an einem Flüßchen errichtet, das aus den Bergen kommt und hier durch die Felsen bricht; ein Garten gehört dazu und Rosenstöcke und wilder Wein über der Veranda, ein langer Vorraum, in dem die Stille weich ist wie Watte, noch leiser, weil das Flüßchen ihm zu Füßen murmelt. Das Haus war dem Orden von dem reichen Alijaga Dzanic vermacht worden, damit es, bei seinen Vorfahren Wohnstatt der Frauen, nunmehr den Derwischen zur Zusammenkunft und den Armen als Zufluchtsort diene, „denn sie sind Menschen gebrochenen Herzens“. Mit Gebeten und Weihrauch wuschen wir die Sünde aus dem Haus, und die Tekieh erwarb den Ruf eines heiligen Ortes, obgleich wir nicht ganz die Schatten der jungen Frauen bannen konnten. Manchmal schien es, als gingen sie durch die Gemächer und als nähme man ihren Duft wahr.

Jeder wußte – darum verheimliche ich es nicht, sonst wäre dieser Bericht eine bewußte Lüge (eine Lüge, von der man nicht weiß, die man unbewußt ausspricht, macht einen nicht schuldig) –: Die Tekieh, ihr Ruhm und ihre Heiligkeit, das war ich, ich war ihr Fundament und ihr Dach. Ohne mich wäre sie ein Haus mit fünf Räumen geblieben, ein Haus wie jedes andere, mit mir wurde sie eine Feste des Glaubens. Sie war gleichsam die Wehr der Stadt gegen bekannte und unbekannte Übel, ihr Schutz, denn nach der Tekieh kamen keine Häuser mehr. Die dichten hölzernen Fenstergitter und die starke Mauer rings um den Garten machten unsere Abgeschiedenheit fester und sicherer, das Tor aber stand stets offen, damit jeder eintrete, der Hilfe und Reinigung von Sünden brauchte, und wir empfingen die Menschen mit guten Worten, wenn sie kamen, obgleich es ihrer weniger waren als die Nöte, viel weniger waren als die Sünden. Ich bin nicht hochmütig wegen meines Dienstes, doch es war wirklich ein ganz und aufrichtig geleisteter Dienst am Glauben. Ich hielt es für eine Pflicht und ein Glück, mich selbst und andere vor Sünden zu bewahren. Auch mich, warum soll ich es verbergen? Sündhafte Gedanken sind wie der Wind – wer kann sie aufhalten? Ich glaube auch nicht, daß es ein großes Übel ist. Worin bestünde die Frömmigkeit, wenn es keine Versuchung gäbe, der man widersteht? Der Mensch ist nicht Gott, und seine Kraft liegt gerade darin, daß er gegen seine Natur kämpft, so dachte ich, und wenn da nichts zu bekämpfen ist, wo wäre dann sein Verdienst? Jetzt denke ich anders, doch darüber werde ich sprechen, wenn es an die Reihe kommt. Es bleibt noch Zeit für alles.

Auf meinem Knie liegt das Papier und wartet still darauf, meine Last aufzunehmen, ohne mich freilich von ihr zu befreien und ohne sie selbst zu fühlen; vor mir ist eine lange Nacht ohne Schlaf, noch manche lange Nacht, mit allem werde ich zurechtkommen, alles, was ich tun muß, werde ich schaffen: mich anklagen und mich verteidigen; der Eile bedarf es nicht, doch sehe ich, daß es Dinge gibt, über die ich jetzt schreiben kann und später vielleicht nie mehr. Wenn es die rechte Zeit ist, wenn der Wunsch sich regt, von anderen Dingen zu sprechen, kommen auch sie an die Reihe. Ich fühle sie angehäuft in den Speichern meines Gehirns, eines zieht das andere nach, denn sie hängen zusammen, kein Ding besteht für sich, und wiederum herrscht eine gewisse Ordnung im Gedränge, und immer springt, ich weiß nicht wie, eines unter den anderen hervor und strebt zum Licht, damit es sich zeige, damit es mir einen Schlag versetze oder mich tröste. Manchmal drängen sich die Dinge ungeduldig, als fürchteten sie, ungesagt zu bleiben. Langsam, für alles ist Zeit, ich habe sie mir selbst gegeben; und zum Gerichthalten gehören Gegenüberstellungen und Zeugenaussagen, man darf sie nicht übergehen, und am Ende werde ich das Urteil über mich selbst fällen können, denn nur um mich geht es, um keinen sonst, nur um mich. Die anderen Menschen sind mir plötzlich ein Geheimnis geworden, und ich bin es den anderen geworden, wir stehen einander gegenüber, blicken uns verwundert an, erkennen einander nicht, verstehen einander nicht mehr.

Zurück zu mir und zur Tekieh. Ich habe sie geliebt und liebe sie noch. Still ist sie, rein, vertraut, duftet nach Balsamkraut im Sommer, nach Wind und frischem, kaltem Schnee im Winter: ich liebe sie auch, weil sie meinetwegen bekannt geworden ist und weil sie meine Geheimnisse kennt, die ich keinem anvertraut, die ich vor mir selbst verborgen habe. Warm ist sie, voll Frieden, Tauben gurren auf dem Dach am frühen Morgen, Regen fällt trommelnd auf die Dachziegel; auch jetzt regnet es, beharrlich, lang, obgleich es Sommer ist, das Wasser sammelt sich in den hölzernen Rinnen und fließt ab in die Nacht, die sich unheildrohend auf die Erde gelegt hat; mich faßt ein Bangen, daß sie niemals weichen werde, und ich hoffe, daß die Sonne bald aufgeht; ich liebe die Tekieh, weil ich hier beschützt bin vom Frieden meiner beiden Zimmer, in denen ich allein sein kann, wenn ich von den Menschen ausruhe.

Das Flüßchen hat manches mit mir gemein, schäumend und scheu ist es zuweilen, öfters aber still, kaum zu vernehmen. Unrecht war mir’s, als sie es unterhalb der Tekieh stauten, es in einen Graben pferchten, damit es gefügig und nützlich sei, damit es ein Mühlrad treibe, und ich freute mich, als der Fluß anschwoll, den Damm zerstörte und wieder frei dahinfloß. Und dabei wußte ich, daß nur gezähmtes Wasser das Korn mahlt.

Jetzt aber melden sich die Tauben auf dem Boden mit leisem Gurren, der Regen strömt noch immer, seit Tagen schon, sie können nicht übers Vordach hinaus; sie kündigen den Tag an, der noch auf sich warten läßt. Die Hand, mit der ich die Feder halte, ist erstarrt. Die Kerze prasselt ein wenig und sprüht, sich gegen den Tod wehrend, kleine Funken, ich aber schaue auf die langen Reihen von Buchstaben, diese Zeichen für Gedanken, und ich weiß nicht: Habe ich sie getötet oder belebt?

2

Wollte Gott für jedes begangene Unrecht strafen,
so bliebe auf der Erde kein einziges lebendiges Wesen.

Alles begann vor zwei Monaten und drei Tagen – dies sagt, ich rechne die Zeit von jener Nacht zum Georgstag an, denn das ist meine Zeit, die einzige, die mich betrifft. Mein Bruder lag schon zehn Tage eingesperrt in der Festung.

Damals, vor dem Georgstag, ging ich in der Abenddämmerung durch die Straßen, voll Bitternis und Unruhe. Doch nach außen gab ich mich ruhig, daran gewöhnt man sich, mein Schritt verriet keine Aufregung, der Körper dachte nur an dieses Verbergen und ließ mir die Freiheit, im Dunkel des Nachdenkens, das keiner sieht, so zu sein, wie ich wollte. Am liebsten wäre ich aus der Stadt hinausgewandert, zu dieser stillen Stunde des sinkenden Abends, damit die Nacht mich allein fände, aber eine Aufgabe führte mich nach der anderen Seite, unter die Menschen. Ich vertrat den kranken Hafiz Muhamed; der alte Džanić, unser Wohltäter, hatte ihn rufen lassen. Ich wußte, er war seit Monaten krank, vielleicht lag er im Sterben und wollte deshalb den Derwisch sehen. Und ich wußte, sein Schwiegersohn war der Kadi Ajni Effendi, der den Befehl unterschrieben hatte, meinen Bruder einzusperren. Daher übernahm ich in einer unbestimmten Hoffnung gern diesen Weg.

Während sie mich durch den Hof, durch das Haus führten, verhielt ich mich nach meiner Gewohnheit, nichts zu sehen, was mich nicht betraf, denn so war ich mir selbst näher. In einem langen Vorraum allein gelassen, wartete ich darauf, daß die Nachricht von meinem Eintreffen an den gehörigen Ort gelange; ich lauschte in die Stille, die vollkommen war, als lebte niemand in diesem großen Gebäude, als bewegte sich niemand in den Gängen und den Zimmern. Im Schweigen des gedämpften Lebens, in der Gegenwart des Sterbenden, der hier noch irgendwo atmete, in der Lautlosigkeit der von weichen Matten geschluckten Schritte und der leisen, flüsternd gewechselten Worte knisterte kaum hörbar das alte Gebälk der Fenster und Decken. Während ich zusah, wie der Abend langsam mit seidigen Schatten das Haus umschloß und mit dem letzten Widerschein des Tageslichts auf den Scheiben zitterte, dachte ich an den alten Mann und an das, was ich ihm bei unserer letzten Begegnung sagen würde. Nicht nur einmal hatte ich mit Kranken gesprochen, nicht nur einmal hatte ich Sterbende zu dem großen Weg bereitet. Die Erfahrung hatte mich, sofern Erfahrung dafür nötig ist, überzeugt, daß jeder Furcht vor dem empfindet, was ihn erwartet, vor dem Unbekannten, das noch unentschlüsselt im ersterbenden Herzen pocht.

So sagte ich etwa tröstend:

Der Tod ist sicher und gewiß, das einzige, wovon wir wissen, daß es uns erreichen wird. Es gibt keine Ausnahme, keine Überraschung, alle Wege führen zu ihm, alles, was wir tun, ist Vorbereitung auf ihn, eine Vorbereitung, die unsere Stirn in den Staub stößt, uns ihm näher zwingt, immer nur näher, nie von ihm fort. Wenn er aber sicher und gewiß ist, warum wundern wir uns dann, wenn er kommt? Wenn dieses Leben nur ein kurzer Durchgang ist, der nur eine Stunde, einen Tag dauert, warum kämpfen wir dann, ihn um noch einen Tag, noch eine Stunde zu verlängern? Das irdische Leben ist trügerisch, die Ewigkeit ist besser.

So sagte ich:

Warum erbeben eure Herzen vor Angst, wenn sich in Todesqualen eure Glieder winden? Der Tod ist ein Umzug von einem Haus in ein anderes. Er ist kein Vergehen, sondern eine zweite Geburt. So wie die Eischale platzt, wenn sich das Küken voll entwickelt hat, so kommt die Zeit, da sich Seele und Körper trennen. Der Tod ist etwas Notwendiges in der Unausweichlichkeit des Hinübergehens in eine andere Welt, in der der Mensch erst seinen vollen Aufstieg erfährt.

So sagte ich:

Der Tod ist Untergang des Stoffes, nicht der Seele.

So sagte ich:

Der Tod ist eine Veränderung des Zustands. Die Seele beginnt allein zu leben. Solange sie an den Körper gebunden war, hatte sie sie mit der Hand gefühlt, mit dem Auge geschaut, mit dem Ohr gehört, aber das Wesen der Dinge hatte sie von selbst gewußt.

So sagte ich:

Am Tage meines Todes, wenn sie meinen Sarg tragen,
glaube nicht, daß ich Schmerz um diese Welt empfinden werde.

Weine nicht und sag nicht: Jammer, Jammer.

Wenn Milch verdirbt, ist es ein größerer Jammer.

Wenn du auch siehst, sie legen mich ins Grab, ich werde nicht vergehen.

Vergehen denn Sonne und Mond, wenn sie unter den Himmelsrand sich neigen?

Du meinst, es sei Tod, doch es ist Geburt.

Das Grab scheint dir ein Gefängnis, die Seele aber wird hier frei.

Welches Korn keimt nicht, wenn es in die Erde gelangt?

Warum also zweifelst du am Menschenkorn?

So sage ich:

Sei dankbar, Haus Davids. Und sprich: Gekommen ist die Wahrheit. Gekommen ist die Stunde. Denn jeder kreißt auf seiner Bahn bis zu der Frist, die ihm gesetzt ist. Gott schafft euch in den Leibern eurer Mütter, er schafft euch um, gibt euch neue Gestalt im dreifach undurchdringlichen Dunkel. Trauert nicht, freut euch auf das Paradies, das euch verheißen ist. O meine Knechte, keine Furcht gibt es heute für euch, ihr werdet nicht bekümmert sein. O Seele, sei getrost, kehr zufrieden heim zu deinem Herrn, denn er ist zufrieden mit dir. Geh ein in mein Volk, geh ein in mein Paradies.

So sprach ich unzählige Male.

Jetzt aber war ich nicht sicher, daß ich eben dies dem Alten sagen solle, der auf mich wartete. Nicht seinetwegen, sondern meinetwegen. Zum erstenmal – wie oft würde ich in diesen Tagen noch sagen: zum erstenmal? – sah mir der Tod nicht so einfach aus, wie ich geglaubt und wie ich andere glauben gemacht hatte. Es geschah mir, daß ich etwas Schreckliches träumte. Ich stehe auf leerer Fläche, über meinem toten Bruder, die mit einem blauen Tuch bedeckte Bahre steht mir langgestreckt zu Füßen, in weitem, fernem Kreis um mich herum – Menschen. Keinen sehe ich, keinen kenne ich, ich weiß nur, sie haben den Kreis um uns geschlossen und mich allein gelassen, in quälender Stille über dem Toten. Über dem Toten, dem ich nicht sagen kann: Warum erbebt dein Herz? Denn auch mein Herz bebt, mich schreckt das dumpfe Schweigen. Mich schmerzt das Geheimnis, dessen Sinn ich nicht sehe. Es hat einen Sinn, sage ich, um mich gegen den Schrecken zu wehren, aber ich kann und kann ihn nicht finden. Steh auf, sage ich, steh auf. Doch er liegt, verhüllt von Finsternis, im Dämmer des Vergehens, in grünlichem Dunkel, wie unter Wasser, ertrunken in unbekannten Räumen.

Wie sollte ich jetzt einem Sterbenden sagen: Geh fügsam auf den Wegen deines Herrn. Da mich doch ein Schauer packte ob dieser verborgenen Wege, von denen mein winziges Wissen keine Ahnung hatte.

Ich glaube an den Jüngsten Tag und an das Ewige Leben, aber ich habe angefangen, auch an das Schrecknis des Sterbens, an die Furcht vor der undurchdringlichen Schwärze zu glauben.

Nichts hatte ich in mir entschieden, als sie mich in eines der Zimmer führten, ein junges Mädchen ging vor mir her, ich folgte ihr mit gesenkten Lidern, damit ich ihr Gesicht nicht sähe, damit ich nicht abgelenkt würde. Ich werde dich belügen, Alter. Gott wird mir’s verzeihen, ich werde sagen, was du erwartest, nicht das, was ich verwirrt denke.

Hier war er nicht. Auch ohne den Blick zu heben, bemerkte ich, daß im Zimmer nicht jener drückende Krankengeruch lag, der sich, wenn einer lange bettlägrig ist, durch nichts mehr vertreiben läßt, nicht durch Säubern, nicht durch Lüften, nicht durch Räuchern.

Als ich aufblickte, den Mann suchend, der so lange krank war und nicht nach dem Tode roch, sah ich auf der Wandbank eine schöne Frau, die mehr, als es gut sein konnte, ans Leben denken ließ.

Es ist vielleicht seltsam, das zu sagen, doch es traf wirklich zu: Mir war unbehaglich zumute. Gründe konnte es genug geben. Ich war, allein mit mir, bedrückt von finsteren Gedanken, darauf vorbereitet gewesen, einen alten Mann, einen Sterbenden zu sehen, und fand mich nun vor seiner Tochter (ich hatte sie nie gesehen, aber ich wußte, sie war es!). Ich bin ungeschickt im Gespräch mit Frauen, erst recht mit Frauen ihrer Schönheit und ihrer Jahre. Um die dreißig, meinte ich. Junge Mädchen schmücken sich in Gedanken das Leben aus und glauben an Worte. Alte Frauen fürchten sich vor dem Tod und hören seufzend vom Paradies. Solche wie diese können genau abschätzen, was sie verlieren und bekommen, und sie haben immer ihre Beweggründe, die sonderbar sein können, aber selten naiv sind. Ihre reifen Augen sind frei, auch wenn sie zu Boden blicken; sie bleiben unangenehm offen, auch wenn die Wimpern sie verdecken. Das Unangenehmste aber: Uns ist bewußt, daß sie mehr wissen, als sie zeigen, und daß sie uns nach ihren eigenen, ungewöhnlichen Maßen messen, die wir schwerlich begreifen. Ihre Neugier, die nicht zu verhehlen ist, die hervorblickt, auch wenn sie verborgen werden soll, wird durch ihre Unantastbarkeit beschützt, sofern sie es nur wollen. Uns aber schützt vor ihnen nichts. Von ihrer Kraft überzeugt, die sie nicht nutzen, die sie wie einen Säbel in der Scheide lassen, wobei sie aber die Hand immer am Knauf haben, erblicken sie in uns einen möglichen Sklaven oder ein verachtetes Geschöpf, das ohne Grund auf seine nutzlose Kraft stolz ist. Diese wahnwitzige Selbstsicherheit ist so überzeugend, daß sie wirkt, auch wenn wir sie verachten. Es bleibt eine Furcht im Menschen – bei aller Gewißheit des Glaubens – vor einer unbekannten Möglichkeit, vor Hexerei, vor geheimem Teufelswerk.

Diese Frau hatte noch eine besondere Kraft, die nicht eigentlich die ihre war, sondern die des Schlages, zu dem sie gehörte. Ihre Haltung und ihre Bewegungen, sicher und gebieterisch (so wie sie mir einen Platz wies), schienen gemildert, besänftigt zu werden durch etwas, was ich nicht bestimmen konnte, durch lange Gewohnheit, durch den weichen Glanz der von Wimperntusche beschatteten Augen in der Öffnung des Schleiers, durch die Hand, die, gleich einem Schwanenhals gebogen, das eine Ende des feinen Gewebes hielt, durch einen seltsamen Reiz, der wie Hexerei von ihr ausging. Teufelstochter, dachte in mir der Bauer, sprach verwünschend in mir der Derwisch, beide verwundert.

Dämmerung stahl sich ins Zimmer, weiß schimmerten nur ihr Schleier und ihre Hand. Wir saßen einander gegenüber an den Seiten des Zimmers, zwischen uns die ungenügende Breite des Raumes und quälende Erwartung.

„Ich hatte Hafiz Muhamed rufen lassen“, sprach sie, beschützt vom Halbdunkel.

Sie war unzufrieden. Wenigstens schien es mir so.

„Er hat mich gebeten, statt seiner zu gehen. Er ist krank.“

„Gleichviel. Auch du bist ein Freund unseres Hauses.“

„Ja.“

Ich wollte mehr sagen, wollte feierlicher sprechen, etwa: Wäre ich’s nicht, so hätte ich kein gutes menschliches Wort verdient, wäre nicht der Aufmerksamkeit unseres Wohltäters würdig; unseren Herzen hat sich dieses Haus eingeprägt . . . und so weiter, etwas wie in einem Lied, aber es kam verstümmelt heraus.

Mägde brachten Kerzen und ein Tablett.

Ich wartete.

Die Kerzen brannten zwischen uns, links und rechts auf dem niedrigen runden Tisch. Sie kam mir näher vor und gefährlicher. Ich wußte nicht, was sie plante.

Ich hatte gemeint, man hätte mich ihres Vaters wegen gerufen, und ich wäre gekommen, auch wenn ich nicht auf ein Wunder gehofft, an einen glücklichen Zufall, an eine verborgene Möglichkeit, die Rettung meines Bruders zu versuchen, geglaubt hätte. Zwischen Gesprächen über Tod und Paradies hätte ich hier oder da das rechte Wort eingefügt, um Gnade für ihn zu erbitten; vielleicht hätte es geholfen, vielleicht hätte er etwas Gutes getan vor der großen Reise, von der wir nichts wissen, vielleicht ein frommes Werk zu seinem Andenken hinterlassen. Vielleicht. Denn vor dem Tode erinnern wir uns, daß uns zwei Engel auf den Schultern sitzen und unsere bösen und guten Taten aufschreiben, und es liegt uns daran, unsere Rechnung zu begleichen; schwerlich kann man sinnvoller sterben als mit einer edelmütigen Tat, die bei den anderen frisch und ungetrübt in Erinnerung bleibt. Und er könnte es tun. Für Ajni Effendi kam es gewiß mehr darauf an, seinen reichen Schwiegervater nicht zu verärgern, als einen armen Menschen gefangenzuhalten, wenn Alijaga entschiede, daß ihm diese so einfache Freisetzung, ohne Opfer und ohne quälende Mühe, eine Stufe hinauf ins Paradies bedeuten würde. Niemals hätte er leichter etwas verdient, und ich hatte nicht geglaubt, daß er mir’s abschlagen würde.

Über sie aber wußte ich nichts, weder, warum sie den Wunsch haben mochte, mit mir zu sprechen, noch, womit ich ihr hätte dienen können. Es gelang mir nicht, irgendeine Verbindung zwischen ihr und mir zu sehen.

Wir standen einander gegenüber wie zwei Krieger, die ihre Waffen hinterm Rücken verstecken, wie zwei Gegner, die ihre Absichten verbergen; wir würden uns offenbaren, wenn wir zum Angriff übergingen. Ich wartete noch, wollte sehen, was sie zu erobern, was sie zu gewinnen trachtete; die Hoffnung war in mir noch lebendig, aber nicht mehr so stark wie vorher, diese Frau war zu jung und zu schön, um an Engel zu denken, die unsere Taten aufzeichnen. Für sie gab es nur diese Welt.

Sie zauderte nicht lange, suchte nicht lange nach Worten, sie verhielt sich wirklich wie ein Krieger, der in die Schlacht rückt, ohne daß sein Schritt stockt, ohne daß er sich umblickt. Das lag in ihrem Schlag, aber es geschah auch meinetwegen. Wenn man sich sonst zurückhielt – vor mir tat man es nicht. Am Anfang folgte ich aufmerksam ihrer absichtlich leisen Stimme, die den Klang einer Zurna hatte, und ich lauschte ihrer Rede, die einer Perlenkette glich oder einer feinen Stickerei, mit Worten und Fügungen, so ganz anders als draußen auf der Straße, ein wenig veraltet, aber geschmückt, mit dem Duft dieser alten Gemächer und langen Überdauerns.

„Es fällt mir nicht leicht, es zu sagen, und ich würde nicht zu jedem davon sprechen. Aber du bist Derwisch, du hast gewiß mancherlei gesehen und gehört und hast den Menschen geholfen, so sehr du nur konntest. Und du weißt, daß in jeder Familie Dinge geschehen, die keinem lieb sind. Du kennst meinen Bruder Hasan?“

„Ja.“

„Von ihm möchte ich sprechen.“

So sagte sie gleich am Anfang alles Nötige: schmeichelte ein wenig, bekundete Vertrauen, berief sich auf meinen Stand, bereitete mich auf das vor, was sie sagen würde und was nicht schön war, wobei sie alle Familien einbezog, damit ich nicht vergäße, daß nicht nur sie, sondern auch viele andere mit schlimmen Dingen zu tun hätten; und obgleich das Übel so noch größer wird, ist die Schande doch geringer, denn sie ist etwas Allgemeines, und man kann ohne Anstoß von ihr sprechen.

Dieser nutzlos schönen Einleitung folgte die uns ausreichend bekannte Klage über das schwarze Schaf der Familie, über die großen Hoffnungen, die es so schändlich zunichte mache. Dieses verirrte Familienschaf nehme keinen Anstoß an seiner eigenen Schwärze, für die Angehörigen aber bedeute das Kummer und Unglück, Schande vor den Menschen und Bangen vor Gott. Dieses schöne Klagelied singt man uns zuweilen in aller Aufrichtigkeit, in der Hoffnung auf Hilfe, die wir versprechen, aber selten gewähren; doch meistens geht es nur darum, daß wir vor den Menschen Zeugen dafür seien, wie sie alles nur Mögliche getan, selbst die Diener Gottes bemüht hätten – nicht ihre Schuld also sei es, daß das Böse unausrottbar bleibe.

Diese Geschichte kannte ich auswendig, lange schon erzählte man sie uns, und meine Teilnahme schrumpfte sofort, als ich sie hörte, ich lauschte ihr mit geheuchelter Aufmerksamkeit, meine Gleichgültigkeit mit scheinbar wachem Gesichtsausdruck verdeckend. Ohne Grund wartete ich auf etwas Ungewöhnliches, etwas nicht Alltägliches, etwas Überraschendes. Nichts würde mich überraschen, sie würde genau das sagen, was an die Reihe käme, würde sich über den Bruder beklagen und mich bitten, daß ich mit ihm spreche, daß ich versuche, ihn zur Vernunft zu bringen. Ich würde mitfühlend diese dem Scheine nach so kummervolle Beichte abnehmen und würde versprechen, auf Gottes Hilfe bauend, alles zu tun, was in meiner geringen Macht stehe. Und alles würde beim alten bleiben, sie würde ruhig sein, weil sie ihre Pflicht erfüllt hatte und weil die Leute davon hören würden, ich würde mit Hasan sprechen und mir Mühe geben, mich nicht lächerlich zu machen, Hasan würde weiter so leben, wie es ihm gefiel, glücklich darüber, daß seine Familie deswegen vor Wut schäumte. Und keiner würde von alledem Schaden haben. Auch keinen Nutzen. Am wenigsten ich und mein eingesperrter Bruder. Denn sie sprach ohne rechte Notwendigkeit, ohne Aussicht auf Nutzen und Erfolg, mit einem lauen, für fremde Ohren bekundeten Gefühl gesellschaftlicher Verpflichtung. Und ich sollte das verbreiten. Doch das war einfach eine Sache, die sich gehörte, die man dem Ansehen der Familie schuldig war, eine Rechtfertigung für die, die damit nichts zu tun haben wollten, die Abgrenzung von dem Schuldigen, sein Ausschluß. Die Frau würde wenig gewinnen, nicht entfernt so viel, daß ich als Gegenleistung Gnade für meinen Bruder hätte verlangen können. Solche Familienabtrünnige, wie Hasan einer war, gab es jetzt immer mehr, sie schienen der häuslichen Ordnung und des Ansehens ihrer Väter überdrüssig zu sein, und Hasan war nur einer von vielen, das bedeutete auch keine besondere Schande, sondern war eine Erscheinung wie so manche andere, denen der menschliche Wille schwer gebieten kann.

Ich vertiefte mich nicht in ihre Geschichte, sie berührte mich nicht, ich kannte ihr Ende, sobald ich den Anfang vernommen hatte. Ich hatte kein Mitgefühl für ihren Kummer, denn er war unaufrichtig, zudem verstand sie Maß zu halten, sie wollte nicht übertreiben. Nur auf das Aussprechen kam es ihr an. In dieser Erfüllung einer Pflicht, an der das Herz nicht teilhatte, lag eine Achtlosigkeit, die man hinzunehmen hatte.

Da ich schon keinen Grund und keine Möglichkeit hatte, ihr aufmerksam zu lauschen, begann ich sie aufmerksam zu betrachten. Ich tat das mit interessierter Miene, sie mochte glauben, es geschehe ihrer Worte wegen, und so wahrten wir beide vollkommen die Form.

Ich hatte sie freilich schon zu Beginn unserer Begegnung angesehen, sie hatte mich überrascht mit der Schönheit, dem Ebenmaß des Gesichts, das durch das feine Gewebe blickte, und mit dem verhaltenen Glanz der großen Augen, die jähe Glut und tiefe Schatten in ihr offenbarten. Aber das war ein flüchtiger Blick gewesen, ein aufgeregter, unsicherer Blick, voll Erwartung dessen, was sie sagen würde, und er hatte mehr von mir als von ihr verraten. Als sie aber den Bann abgeworfen, als ich mich in der Sicherheit vorgeblichen Zuhörens verschanzt hatte, da reizte es mich, sie wahrhaftig mit den Augen, nicht bloß mit bangem Erwarten zu sehen.

Das war nicht die gewöhnliche Neugier, jene ungewöhnlichen Geschöpfe, die so ganz außerhalb unserer Welt stehen, näher zu betrachten – eine Neugier, die wir selten befriedigen oder die wir, aus begreiflichen Gründen, bei Begegnungen nicht einmal spüren. Unverhofft fand ich mich in der Lage, sie zu mustern, gleichsam aus dem Verborgenen, ohne das Verhalten im geringsten zu verändern, in ihren Augen der Derwisch bleibend, der ihren Willen und ihr Gebot achtet. Im stillen fühlte ich mich ein wenig überlegen, weil ich wußte, was sie dachte, und weil ich sie ungehindert betrachtete, während sie mich gleichsam nicht sah. Mich nicht sah und nichts von mir wußte. Das ist ein Vorzug, den sich der Mensch immer wünscht, der aber selten Wirklichkeit wird. Es ist sein alter Wunsch, unsichtbar zu bleiben. Dabei tat ich nichts Häßliches, ich sah sie ruhig und gesammelt an, und ich wußte, daß sich in mir kein einziger Gedanke regen würde, dessen ich mich später schämen müßte.

Zuerst fielen mir ihre Hände auf. Solange sie mit gezwungener, festgelegter Geste, die nicht viel Möglichkeiten bot, den Schleier hielt, waren die Hände abgesondert und ausdruckslos, sie machten sich kaum bemerkbar. Als die Frau aber den Schleier fallen ließ und die Hände ineinanderlegte, da wurden sie auf einmal lebendig, wurden eine selbständige Einheit. Sie rückten nicht unvermittelt ins Feld, bewegten sich ohne Hast, aber in ihrer verhaltenen Ruhe oder in dem langsamen Schweifen lag so viel Kraft und seltsame Bedeutung, daß sie unaufhörlich meine Aufmerksamkeit fesselten. Es sah aus, als wollten sie jeden Augenblick etwas Wichtiges, etwas Entscheidendes tun, und so schufen sie eine ständige, aufregende Spannung des Erwartens. Sie ruhten im Schoß, zusammengefügt, einander umfassend, als drückten sie einander in stiller Sehnsucht, oder als hüteten sie einander, daß sie nicht verlorengingen, daß sie nicht etwas Unvernünftiges täten, scheinbar unbeweglich, doch in ständigem, kaum wahrnehmbar feinem Auf und Ab, es war wie ein besorgtes Beben oder ein leichtes Zukken von überschüssiger Kraft. Dann, wie auf Verabredung, lösten sie sich gemessen voneinander, nur einen Augenblick schwebten sie, als suchten sie einander, danach fielen sie sanft, wie verliebte Vögel, auf das atlasbedeckte Knie, wieder umschlungen, unzertrennlich, glücklich in ihrem zusammengefügten Schweigen. So währte das lange, dann rührte sich die eine Hand, mit Fingern, die sich langsam und leidenschaftlich krampften, begann sie, über den Atlas, auf dem sie geruht hatte, zu streichen und über die Haut unter dem Atlas, während die andere auf ihr lag, angeschmiegt, still, das unhörbare Knistern des glatten Seidengewebes über dem runden marmornen Knie belauschend. Nur von Zeit zu Zeit lösten sie sich voneinander, und die eine ging selbständig vor, damit sie leichthin den Schmuck am Ende des Ohrs berühre, das schamhaft im schwarzen, rötlich schimmernden Haar versteckt war, oder sie hielt in der Luft inne, um auf ein Wort zu lauschen, zog sich dann zurück, ohne viel Interesse am Gespräch, der anderen entgegen, die schwieg, gekränkt über die kleine Unachtsamkeit.

Ich folgte ihnen, überrascht von der Ausdruckskraft ihres verselbständigten Lebens; sie waren wie zwei kleine Geschöpfe, die ihre eigene Lebensbahn, ihr Verlangen und ihre Liebe, ihre Eifersucht, ihr Sehnen, ihre Unkeuschheit haben; so war ich hingerissen und im nächsten Augenblick erschreckt von dem Gedanken an die Verschlossenheit und Sinnlosigkeit dieses kleinen Lebens, das jedem anderen glich; doch das war ein rascher und harmloser Gedanke, flüchtiger Anklang eines anderen Lebens in mir, das ich nicht wecken wollte.

Auch wegen ihrer Schönheit betrachtete ich die Hände. Sie nahmen ihren Ursprung dort, wo ein Armreif und die gestickte Kante des Seidenhemdes den Unterarm umfaßte, sanft gerundete und unbegreiflich zarte Gelenke verbanden durchsichtige Glieder. Am schönsten waren die Finger: lang, geschmeidig, mit heller Haut, zu ebenmäßigen langen Kegeln geformt, mit Schatten in den Beugen, wunderbar lebendig, wenn sie – wie Blütenblätter – sich langsam auftaten oder zu einem durchsichtigen Kelch zusammenfügten.

Wenn ich aber auch meine Aufmerksamkeit zuerst diesen beiden kleinen Geschöpfen, zwei fünffüßigen Tierchen, zwei Blüten, zuwandte, so galt doch mein Blick nicht nur ihnen, weder am Anfang, als ich hauptsächlich auf sie schaute, noch später, als ich die Frau wie ein unbekanntes Land zu entdecken begann. Alles an ihr zeigte Gleichmaß und Einklang: der Blick der leicht schwarz umrandeten Augen, zusammenfließend mit der Bewegung des Arms, den das durchsichtige Gewebe des Gewandes kaum verhüllte; die leichte Neigung des Kopfes; dann und wann ein Zittern des goldgefaßten Smaragds auf der Stirn und ein unbewußtes Zucken des Fußes, der in einem silbernen Pantöffelchen steckte; ein Gesicht ohne Unebenheiten, von einem sanften Licht übergössen, das aus dem Innern kam, aus dem Blut, das sich in warmen Schimmer verwandelte; ein feuchter Glanz auf den Zähnen hinter scheinbar trägen, vollen Lippen.

Sie schien nur Körper zu sein, alles andere war von ihm verdrängt. Sie weckte kein Verlangen in mir, das hätte ich mir nicht gestattet, ich hätte den Wunsch noch im Keim erstickt – aus Scham, durch den Gedanken an meine Jahre und meinen Stand, durch das Bewußtsein der Gefahr, der ich mich aussetzen würde, durch die Angst vor der Unruhe, die schwerer auf dem Menschen lasten kann als eine Krankheit, durch die Gewohnheit der Selbstbeherrschung. Aber ich konnte mir nicht verhehlen, daß ich sie mit Wohlgefallen betrachtete, mit dem tiefen und ruhigen Genuß, mit dem man auf einen still fließenden Fluß blickt oder auf den Himmel in der Abenddämmerung, auf den Mond um Mitternacht, auf einen blühenden Baum, auf den See meiner Kindheit am frühen Morgen. Ohne den Wunsch, daß man es habe, ohne die Möglichkeit, daß man es ganz erlebe, ohne die Kraft, es zu verlassen. Angenehm war es, zu beobachten, wie ihre lebendigen Hände einander fingen, sich im Spiel vergaßen, angenehm war es, sie sprechen zu hören, nein, sie brauchte gar nicht zu sprechen, es genügte, daß sie da war.

Dann aber kam mir zu Bewußtsein, daß auch dieses freudige Zuschauen gefährlich war, ich fühlte mich nicht mehr überlegen, auch nicht mehr wohl verborgen, etwas Ungewünschtes regte sich in mir. Das war keine Leidenschaft, sondern etwas vielleicht Schlimmeres: die Erinnerung. An die einzige Frau in meinem Leben. Ich weiß nicht, wie es geschah, daß ihr Bild sich aus dem herauslöste, womit die Jahre es verschüttet hatte; sie war nicht so schön gewesen wie die Frau vor mir, ihr auch nicht ähnlich. Warum lockte die eine die andere hervor? Auf einmal beschäftigte mich die ferne, die nicht da war, noch mehr; seit zwanzig Jahren bemühte ich mich, sie zu vergessen, und vergaß sie doch nicht, ich dachte an sie, sie trat mir ins Gedächtnis, wenn ich es nicht wollte, es nicht brauchte, bitter wie Wermut. Lange war sie nicht in mir gewesen, warum zeigte sie sich jetzt? Geschah es wegen dieser Frau mit dem Gesicht wie aus sündhaften Träumen, wegen des Bruders, damit ich ihn vergäße, oder sollte ich mir wegen all dessen, was geschehen war, Vorwürfe machen? Vorwürfe darüber, daß ich alle Möglichkeiten ausgelassen hatte und daß ich sie nicht mehr herbeiführen konnte.

Ich senkte den Blick. Nie darf der Mensch meinen, er sei sicher, auch nicht, das Vergangene sei gestorben. Warum aber regte es sich gerade jetzt, da ich es am wenigsten brauchte? Es kam doch nicht auf sie, die ferne, an; die Erinnerung an sie wechselte mit dem heimlichen Gedanken, daß alles hätte anders sein können, auch dies, was mich jetzt schmerzte. Geh fort, Schatten, nichts hätte anders sein können, und es hätte sich etwas anderes gefunden, was schmerzt. Es kann nicht anders sein, auch wenn es im menschlichen Leben anders zuginge.

Die meine Gedanken aufgestört hatte, brachte mich wieder zur Besinnung.

„Hörst du zu?“

„Ja.“

Ob sie meine Geistesabwesenheit bemerkt hatte?

„Ich höre zu. Sprich weiter.“

Ich hörte wirklich zu, es war sicherer. Ich lauschte und war überrascht, daß sie nicht ganz die gewöhnliche Geschichte erzählte, freilich auch keine ungewöhnliche, aber auch keine langweilige; und es lohnte sich zuzuhören, lohnte sich eher, als sie anzusehen. Meine Hoffnung hob plötzlich den Kopf.

Sie erzählte – das allerdings wußte ich schon – von dem seltsamen Schicksal ihres Bruders: wie er in Stambul Schulen besucht hatte und zu einer hohen Stellung gelangt war, die sowohl seinen Kenntnissen als auch dem Ansehen der Familie entsprach (das eine überschätzte, das andere unterschätzte sie ein wenig, denn seine Stellung war nicht so hoch, aber so glich sie Gewinn und Verlust aus). Alle seine Angehörigen waren stolz auf ihn, vor allem der Vater. Dann aber geschah etwas Unverhofftes, keiner konnte das erklären, keiner wußte den wahren Grund zu sagen, nicht einmal Hasan selbst: Er veränderte sich vollkommen. Nichts mehr von jenem prächtigen Jüngling – so als wäre er ihm nie begegnet, sagte sie. Und alle fragten sich entsetzt, wohin sein Wissen verschwunden sei, von dem selbst die Muderis anerkennend sprachen, wie denn so viele Jahre einfach ausgelöscht sein könnten, und wo das Böse seinen Anfang genommen habe. Er verließ den Staatsdienst, ohne sich vorher mit jemand besprochen zu haben, kam hierher, heiratete unter seinem Stand, begann sich mit einfachen Leuten zu befreunden, fing an zu trinken und den Besitz zu verschleudern, zechte und lärmte mit seinen Kumpanen in der Stadt, bei den Tanzmädchen (hier wurde ihre Stimme leiser, schwankte aber nicht) und an anderen Orten, die man nicht einmal erwähnen möchte. Und dann wurde er Viehaufkäufer (in ihrer Stimme lag Widerwillen, beinahe Entsetzen), er holte Vieh aus Serbien und trieb es weiter nach Dalmatien und Österreich, nicht auf eigene Rechnung, sondern für andere Händler – als deren Knecht. Er richtete sich zugrunde, sein Besitz schmolz dahin, die Hälfte seines mütterlichen Erbes verkaufte er, der Vater geriet ganz außer sich, Hasans wegen lag er jetzt auch krank darnieder, umsonst hatte er gebeten, umsonst gedroht, keiner konnte Hasan von jenem Weg abbringen. Und der Vater wollte nun nichts mehr von ihm wissen, nicht einmal Hasans Namen durfte man vor ihm aussprechen, so als gäbe es ihn nicht, so als wäre der Sohn gestorben. Sie weinte sich die Augen vor dem Vater aus, aber nichts half. Dann sagte sie das, was meine Aufmerksamkeit wachrief – die Zurna spielte ein Lied, das aufhorchen ließ. Der Vater hatte beschlossen, ihn zu enterben, in Gegenwart angesehener Leute ein Testament aufzusetzen und sich öffentlich von seinem Sohn loszusagen. Damit dies nun nicht geschehe, damit es kein noch schlimmeres Gerede gebe als jetzt, bat sie mich, wir möchten doch mit Hasan sprechen und erreichen, daß er von sich aus, freiwillig, auf das Erbe verzichte; dann würde ihn nicht der Fluch des Vaters treffen, und die Schande für die Familie wäre weniger groß. Von alledem, fügte sie hinzu, wisse ihr Ajni Effendi nichts, er wolle sich nicht in die Beziehungen zwischen Vater und Sohn einmischen, sie tue alles aus eigenem Antrieb, um das Unglück zu verringern, wir aber könnten ihr sehr helfen, ich und Hafiz Muhamed, denn Hasan besuchte, wie sie gehört hatte, oft unsere Tekieh, und das sei ihr lieb, denn so spreche er wenigstens dann und wann mit klugen und guten Menschen.

Ich war ihr dankbar dafür, daß sie sich vor mir so enthüllt hatte. Zwar bekundete sie damit, daß sie mich nicht sehr schätzte, denn sie tat sich keinen Zwang an, doch das war mir gleich, denn mir ging es um wichtigere Dinge.

Ich segnete im stillen Hafiz Muhameds zweifelhafte Krankheit, denn sie hatte mir eine Gelegenheit verschafft, an die ich nicht einmal hatte denken können. Selbst ihr Vater hätte auf dem Sterbebett keine besseren Gründe haben können, mir zu helfen. Es war mir klar, daß Ajni Effendi von alledem wußte, daß er vielleicht sogar die Worte ersonnen hatte, die seine Frau so reizvoll aussprach. Er mochte wohl wissen, daß es nicht leicht sei, ohne stichhaltige Gründe den einzigen Sohn zu enterben. Wäre er, wären sie sicher gewesen, so hätten sie sich wenig um das Ansehen der Familie gesorgt und uns nicht zu Hilfe gerufen. Gut denn, dachte ich, sah sie mit der Aufmerksamkeit an, die ich ihr am Anfang schuldig geblieben war, und gab mir Mühe, daß mein Gesichtsausdruck nicht gar zu heiter sei. Beide haben wir unsere Not, du und ich, mit den Brüdern. Du willst deinen verderben, ich will meinen retten. Bei uns beiden ist das der stärkste Wunsch, nur daß meiner anständig, deiner schmutzig ist. Aber mag es so sein, es geht mich nichts an. Ich weiß nichts von euch, aber es kommt mir vor, als sähe ich deutlich, welche Überlegenheit du über deinen blutlosen Kadi haben kannst, der deine Kraft und deinen Reichtum achtet, weil er weder das eine noch das andere hat. Eine einzige schmähliche Nacht des Kadis und eine einzige entschiedene Forderung von dir könnten das Schicksal meines Bruders verändern. So wenig setzen wir ein, und so viel gewinnen wir.

Beinahe hätte ich ihr offen gesagt: In Ordnung, wir haben keinen Anlaß mehr, unsere Absichten zu verbergen. Ich gebe dir Hasan, gib du mir meinen Bruder. Dir liegt nichts an deinem, ich würde für meinen noch viel mehr tun.

Natürlich sagte ich es nicht. Meine Offenheit hätte sie gekränkt – bei anderen liebt man das nicht.

So sagte ich, auf ihre Bitte eingehend, daß Hasan in der Tat bisweilen in die Tekieh komme, daß er Hafiz Muhameds Freund sei (was der Wahrheit entsprach), daß er mein Freund sei (was nicht der Wahrheit entsprach) und daß wir mit ihm sprechen würden, damit er das tue, was man von ihm verlangte, denn ihr schwesterlicher Kummer und ihre Sorge um das Ansehen der Familie habe mich gerührt. Schließlich hätten wir alle Schaden, wenn sie Schaden hätten, und wir müßten dafür sorgen, daß kein Makel auf das falle, was höchst wertvoll zwischen uns sei, wir müßten der Schadenfreude und dem Spott vorbeugen, die sich erheben, wenn den Angesehenen ein Unglück widerfährt. Zur Hilfe verpflichte mich auch die Dankbarkeit gegenüber dem Wohltäter der Tekieh (absichtlich erwähnte ich ihren Vater, da die Tochter es nicht tat). Und nicht nur ihre Absicht, sondern auch ihren Einfall hielte ich für gut, denn alles andere sei unsicher. Schwer sei es, ohne gewichtige Gründe den einzigen Sohn zu enterben.

„Gewichtige Gründe sind vorhanden.“

„Ich spreche von dem, was das Gericht sagen würde. Hasan handelt mit Vieh, das stimmt, aber das ist kein unehrenhaftes Geschäft. Er gibt Geld aus, aber das, was er verdient. Die Hälfte des Besitzes hat er seiner früheren Frau gegeben, nicht verkauft. Schwerlich gibt es überhaupt Gründe, schon gar keine gewichtigen.“

Ich fühlte mich sicher, sicherer als sie, in mir selbst hatte ich meine Stellung ganz verändert. Wir waren nicht mehr das, was wir anfangs gewesen waren: sie die überlegene Frau mit den schönen Augen, ich der bescheidene Derwisch, der ewige Bauer; nein, wir waren zwei Gleichgestellte, die sich über Geschäfte unterhielten. Hier war ich stärker als sie. Solange ich ihren Worten zustimmte, sah sie mich huldvoll an, war es für sie eine Sache, die sich von selbst verstand; als ich aber etwas sagte, was ihr nicht gefallen konnte, begann der Bogen ihrer Brauen sich zu runzeln, und ihr Blick verhärtete sich. Mein Widerstand schien ihr dumm und störrisch.

„Der Vater wird ihn auf jeden Fall enterben“, sprach sie drohend.

Es kümmerte mich wenig, ob der Vater ihn enterben würde oder nicht. Auch ihr Zorn beunruhigte mich kaum. Ich wollte nur ihre Sicherheit zerstören, um das zu erreichen, was mir am Herzen lag.

„Er kann ihn enterben“, erwiderte ich ruhig. „Aber der Vater ist alt und schon lange krank. Hasan kann das Testament anfechten und auf seine Aufhebung klagen; er wird beweisen, der Vater sei schwach und hilflos gewesen und habe seine Entscheidung nicht bei vollem Bewußtsein getroffen oder jemand habe ihn dazu überredet.“

„Wer könnte ihn überreden?“

„Ich spreche von der möglichen Klage. Ganz gleich, wer. Ich fürchte, das Urteil würde zu Hasans Gunsten ausfallen. Zumal man das Verfahren Ajni Effendis wegen nicht hier abwickeln würde. Und wir dürfen nicht vergessen, daß auch Hasan Verbindungen hat.“