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GIOVANNINO GUARESCHI

DON CAMILLO UND PEPPONE

Roman

Mit 38 Federzeichnung des Autors

OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG

COPYRIGHT 1950 BY OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG
Alle Rechte vorbehalten / Printed in Austria

MONDO PICCOLO
»DON CAMILLO«

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Übertragung aus dem Italienischen von

ALFONS DALMA

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46. Auflage 433.–438. Tausend

Schutzumschlag und Einband von Karl Weiser
Druck und Bindung: Wiener Verlag, Himberg bei Wien

eISBN 978-3-7013-5071-1

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HIER WIRD MIT DREI GESCHICHTEN DER SCHAUPLATZ DER HANDLUNG, DAS BESONDERE DER LANDSCHAFT UND IHRER MENSCHEN GESCHILDERT

In meinen jungen Jahren war ich Reporter bei einer Zeitung und trieb mich den ganzen Tag auf dem Fahrrad herum, um etwas Berichtenswertes zu finden.

Dann lernte ich ein Mädchen kennen und verbrachte nunmehr meine Tage mit den Überlegungen, wie sich dieses Mädchen wohl verhielte, wenn ich Kaiser von Mexiko wäre oder sterben würde? Und am Abend füllte ich meine Seiten, indem ich Ereignisse erfand, und diese Ereignisse gefielen den Leuten ganz gut, weil sie viel wahrscheinlicher waren als die wirklichen.

Mein Wortschatz dürfte aus etwa zweihundert Wörtern (auf eines mehr oder weniger kommt es nicht an) bestehen. Es sind dieselben, mit denen ich früher die Geschichte vom Alten, der von einem Radfahrer überfahren wurde, oder die Geschichte von der Bäuerin, die beim Kartoffelschälen ihre Fingerkappe lassen mußte, zu erzählen pflegte.

Keine Literatur also oder ähnliche Ware: ich bleibe in diesem Buch jener Zeitungsberichterstatter und beschränke mich darauf, Tagesereignisse zu erzählen. Es sind erfundene Dinge, und sie sind daher so wahrscheinlich, daß ich in einer Reihe von Fällen eine Geschichte geschrieben und dann nach einigen Monaten gesehen habe, wie sie in Wirklichkeit sich wiederholt. Es ist nichts Außerordentliches dabei; es ist einfach eine Sache der Überlegung: man betrachtet die Umstände, die Jahreszeit, die Mode und den psychologischen Augenblick, und man schließt daraus, daß beim gegebenen Stand der Dinge in einem bestimmten Milieu dieses oder jenes Ereignis sich zutragen könnte.

Diese Erzählungen leben also in einem bestimmten Klima und in einem bestimmten Milieu. Es ist das italienische politische Klima vom Dezember 1946 bis zum Dezember 1947. Im großen und ganzen die Geschichte eines Jahres Politik.

Das Milieu ist ein Stück der Poebene. Und da muß ich klarstellen, daß der Po für mich bei Piacenza beginnt.

Die Tatsache, daß es von Piacenza aufwärts noch immer derselbe Fluß ist, bedeutet gar nichts: auch die Via Emilia ist zwischen Piacenza und Mailand im Grunde genommen immer dieselbe Straße; und doch ist die wirkliche Via Emilia nur jene zwischen Piacenza und Rimini.

Man kann einen Fluß nicht mit einer Straße vergleichen, weil die Straßen der Geschichte und die Flüsse der Geographie angehören. Na und?

Die Geschichte wird nicht von den Menschen gemacht: die Menschen sind der Geschichte unterworfen, wie sie der Geographie unterworfen sind. Übrigens ist die Geschichte mit der Geographie funktionell verbunden.

Die Menschen versuchen, die Geographie zu verbessern, indem sie die Berge durchbohren und die Flüsse umlenken, und indem sie so tun, bilden sie sich ein, der Geschichte einen anderen Lauf zu geben, ändern aber schon gar nichts, weil eines schönen Tages alles zugrunde gehen wird. Und die Gewässer werden die Brücken verschlingen und die Dämme durchbrechen und die Gruben überschwemmen; die Häuser und die Paläste und die Hütten werden einstürzen, und das Gras wird aus den Ruinen wachsen, und alles wird wieder zu Erde. Und die Überlebenden werden mit Steinwürfen gegen die Tiere kämpfen müssen, und die Geschichte wird wieder beginnen.

Die übliche Geschichte.

Und dann, nach dreitausend Jahren, werden sie unter vierzig Meter Schlamm einen Wasserhahn und eine Fiat-Drehbank entdecken und sagen: »Schau dir das nur einmal an!«

Und sie werden sich schrecklich bemühen, dieselben Dummheiten der vergessenen Vorfahren zustande zu bringen. Weil die Menschen unglückliche Geschöpfe sind, zum Fortschritt verurteilt, und dieser Fortschritt sie unvermeidlich verleitet, den alten Gottvater durch funkelnagelneue chemische Formeln zu ersetzen. Und so wird zum Schluß dem alten Gottvater die ganze Sache lästig, er bewegt um ein Zehntelmillimeter das letzte Glied des kleinen Fingers seiner linken Hand, und die ganze Erde fliegt in die Luft.

Der Po beginnt also bei Piacenza und tut sehr gut daran, weil er der einzige achtenswerte Fluß ist, den es in Italien gibt: die Flüsse, die auf sich selbst etwas halten, entfalten sich in der Ebene, weil Wasser eine Sache ist, dazu geschaffen, waagrecht zu bleiben, und nur wenn es vollkommen waagrecht ist, bewahrt das Wasser seine natürliche Würde. Die Wasserfälle von Niagara sind eine Zirkussensation, so wie Menschen, die auf den Händen gehen.

Der Po beginnt bei Piacenza, und bei Piacenza beginnt auch die »Kleine Welt« meiner Erzählungen, und diese kleine Welt liegt auf jenem Stück Ebene, das sich zwischen dem Po und den Apenninen ausbreitet.

Diese »Kleine Welt« ist aber nicht mein eigenes Heimatdorf, sie steht nirgendwo fest. Der Ort der »Kleinen Welt« ist ein kleiner schwarzer Punkt, der sich zusammen mit seinen Pepponi und seinen Smilzi auf und ab entlang des Flusses auf diesem Stück Erde zwischen dem Po und den Apenninen bewegt. Das Klima bleibt aber dasselbe. Die Landschaft auch. Und in einer solchen Landschaft genügt es, auf der Straße stehenzubleiben und ein Siedlerhaus anzuschauen, das da halb verschwunden in Mais- und Hanffeldern liegt, und schon entsteht eine Geschichte.

Erste Geschichte

Ich wohnte in Boscaccio, in der Tiefebene, mit meinem Vater, meiner Mutter und meinen elf Brüdern. Ich, der Älteste, war kaum zwölf Jahre alt, Chico, der Jüngste, kaum zwei Jahre. Meine Mutter gab mir jeden Morgen ein Stück Brot, ein Säckchen mit Äpfeln oder süßen Kastanien, mein Vater stellte uns im Hof in Reih und Glied auf und ließ uns laut das Vaterunser beten, dann gingen wir mit Gott und kehrten bei Sonnenuntergang zurück.

Unsere Felder hatten kein Ende, und wir hätten den ganzen Tag laufen können, ohne sie zu verlassen. Mein Vater hätte kein Wort gesagt, auch wenn wir ihm ganze keimende Weizenfelder zertrampelt oder eine ganze Reihe von Weinstöcken zertreten hätten. Und trotzdem verließen wir immer wieder die eigenen Felder und trieben dann ziemlich viel Unfug. Auch Chico, der kaum zwei Jahre alt war und einen kleinen rosigen Mund und große Augen mit langen Wimpern und Stirnlocken wie ein Englein hatte, verschonte keine einzige Gans, die er auf Wurfweite erblickte.

Und dann, jeden Morgen, kaum daß wir weg waren, kamen immer wieder alte Weiber zum Elternhof mit Körben voll Gänsen, Hennen und Küken, und meine Mutter ersetzte jeden toten Kopf durch einen lebendigen.

Wir hatten tausend Hühner, die auf unseren Feldern stöberten; wenn wir aber eines in den Topf geben wollten, mußten wir es kaufen.

Meine Mutter schüttelte den Kopf und fuhr fort, tote Gänse durch lebendige zu ersetzen. Mein Vater runzelte die Stirne, zwirbelte sich seinen langen Schnurrbart hoch und fragte barsch die Weiber aus, um in Erfahrung zu bringen, welcher von den zwölfen den Streich gespielt hatte.

Wenn ihm hie und da eines sagte, es sei Chico, der Kleinste, gewesen, ließ sich der Vater die Geschichte dreimal oder viermal erzählen und fragte, wie er denn den Stein geworfen habe und ob der Stein groß gewesen sei und ob er die Gans beim ersten Wurf getroffen habe.

Diese Dinge habe ich erst viel später erfahren. Damals dachte man nicht daran. Ich erinnere mich, wie Chico einmal eine Gans verfolgte, die dumm mitten über eine Wiese spazierte, während ich mich mit den zehn anderen hinter einem Gesträuch versteckt hielt. Da erblickte ich in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Schritten meinen Vater, wie er im Schatten einer großen Eiche seine Pfeife rauchte.

Als Chico die Gans erlegt hatte, ging mein Vater ruhig, mit beiden Händen in den Taschen, davon, und ich und meine Brüder dankten dem lieben Gott.

»Hat nichts bemerkt«, sagte ich leise zu den andern. Ich konnte damals nicht begreifen, daß der Vater den ganzen Tag unsere Spur verfolgt hatte und sich wie ein Dieb versteckt hielt, nur um sehen zu können, wie Chico die Gänse tötete.

Ich verliere aber den Faden. Das kommt davon, daß man zu viele Erinnerungen hat. Ich muß euch sagen, daß Boscaccio eine Gemeinde ist, in der niemand zu sterben pflegte, was der außerordentlichen Luft, die man dort atmete, zuzuschreiben war.

Es schien also unmöglich, daß in Boscaccio ein zweijähriges Kind erkranken könnte.

Und doch erkrankte Chico ernsthaft. An einem Abend, als wir im Begriffe waren heimzukehren, streckte sich Chico plötzlich auf der Erde aus und fing an zu weinen. Dann hörte er auf zu weinen und schlief ein. Er wollte nicht aufwachen, und ich nahm ihn auf den Arm.

Chico glühte wie Feuer. Uns alle überfiel furchtbare Angst. Die Sonne ging unter, und der Himmel war schwarz und rot, die Schatten lang. Wir ließen Chico im Gras liegen und liefen brüllend und weinend davon, als ob uns etwas Schreckliches und Geheimnisvolles verfolgt hätte.

»Chico schläft und brennt! ... Chico hat Feuer im Kopf!« schluchzte ich, als ich vor meinem Vater stand.

Mein Vater, ich sehe es noch heute, holte sein Gewehr von der Wand, lud es, nahm es dann unter den Arm und folgte uns wortlos, während wir eng um ihn herum gingen und uns nicht mehr ängstigten, weil unser Vater imstande war, einen Hasen auf achtzig Meter Entfernung zu treffen.

Chico lag verlassen im dunklen Gras und schien in seinem langen hellen Kleid und mit seinen Stirnlocken ein Engelein des lieben Gottes zu sein, dem ein Flügelchen kaputtging und das dann in den Klee fiel.

In Boscaccio pflegte niemand zu sterben, und als die Leute erfuhren, daß es um Chico schlecht stehe, überfiel sie ein furchtbarer Schrecken. In den Häusern sprach man nur noch flüsternd. Durch das Land hinkte ein gefährlicher Fremder, und nachts wagte niemand ein Fenster aufzumachen, vor Angst, daß er im mondbeschienenen Hof sehen könnte, wie der Tod, in Schwarz gekleidet und mit einer Sense in der Hand, umhergeht.

Mein Vater ließ drei oder vier berühmte Ärzte mit der Kutsche holen. Und alle betasteten Chico und legten das Ohr an seinen Rücken, um dann meinen Vater anzusehen, ohne ein Wort zu sagen.

Chico schlief und fieberte noch immer, und sein Gesicht war weißer als das Bettuch geworden. Meine Mutter weinte mitten unter uns und wollte nicht mehr essen; mein Vater setzte sich überhaupt nicht mehr nieder und zwirbelte weiter seinen Schnurrbart, ohne irgendwas zu sprechen.

Am vierten Tag breiteten die letzten drei Ärzte, die zusammengekommen waren, die Arme aus uns sagten zu meinem Vater:

»Nur noch der liebe Gott kann Ihr Kind retten.«

Ich kann mich erinnern, es war ein Vormittag: mein Vater gab uns mit dem Kopf ein Zeichen, und wir folgten ihm in den Hof. Mit einem Pfiff versammelte er die Knechte und Mägde. Insgesamt werden es – Männer, Frauen und Kinder – an die fünfzig gewesen sein.

Mein Vater war groß, mager und stark, mit einem langen Schnurrbart, großem Hut, offener kurzer Jacke, engen Hosen und hohen Stiefeln. (In seiner Jugend war mein Vater in Amerika gewesen und kleidete sich daher amerikanisch.) Schrecklich war er, wenn er sich so breitspurig vor einen stellte. Mein Vater stellte sich also breitspurig vor alle seine Angehörigen und sagte:

»Nur der liebe Gott kann Chico retten. Auf die Knie: wir müssen den lieben Gott bitten, Chico zu retten.«

Alle knieten nieder und begannen laut zum lieben Gott zu beten. Die Frauen sprachen immer wieder etwas vor, und wir und die Männer antworteten mit Amen.

Mein Vater blieb mit verschränkten Armen stehen, unbeweglich wie ein Standbild, bis sieben Uhr abends, und alle beteten, weil sie Angst vor meinem Vater und weil sie Chico lieb hatten.

Um sieben Uhr abends, als sich die Sonne zum Horizont neigte, kam eine Frau, meinen Vater zu holen. Ich folgte ihm.

Die drei Ärzte saßen blaß um Chicos Bett:

»Es wird immer schlimmer«, sagte der älteste. »Er wird die Nacht nicht überleben.«

Mein Vater sprach kein Wort, ich spürte aber, wie er in seiner Hand die meine preßte. Wir gingen hinaus. Mein Vater ergriff das Gewehr, lud es scharf, hängte es um, nahm ein großes Bündel und überreichte es mir.

»Gehen wir«, sagte er.

Wir schritten über die Felder. Die Sonne hatte sich bereits hinter den entferntesten Hain versteckt. Wir schwangen uns über eine Gartenmauer und klopften an eine Türe.

Der Priester war allein zu Hause und aß gerade beim Lichte einer Öllampe. Mein Vater betrat das Zimmer, ohne den Hut abzunehmen.

»Hochwürden«, sagte mein Vater, »Chico ist krank, und nur der liebe Gott kann ihn retten. Heute haben sechzig Personen durch zwölf Stunden zum lieben Gott gebetet, Chico geht es aber schlechter und er wird die heutige Nacht nicht überleben.«

Der Priester schaute meinen Vater mit großen Augen an.

»Hochwürden«, fuhr mein Vater fort, »nur du kannst mit dem lieben Gott sprechen und ihm zu verstehen geben, wie die Dinge liegen. Gib ihm zu verstehen, daß ich, wenn Chico nicht wieder gesund wird, alles in die Luft sprenge. In diesem Bündel hier sind fünf Kilo Dynamit. Von der ganzen Kirche wird kein Stein auf dem andern bleiben. Gehen wir!«

Der Priester sagte kein Wort: er ging, gefolgt von meinem Vater, betrat die Kirche, kniete vor dem Altar nieder und faltete die Hände.

Mein Vater stand mitten in der Kirche, das Gewehr unter dem Arm, mit gespreizten Beinen, wie ein Fels. Auf dem Altar brannte eine einzige Kerze, alles andere lag im Dunkeln.

Gegen Mitternacht rief mich mein Vater:

»Geh und schau, wie es mit Chico steht, und komm gleich zurück.«

Ich flog über die Felder und kam nach Hause, das Herz klopfte mir im Halse. Dann kehrte ich um und lief noch schneller.

Mein Vater stand noch immer da, fest und breitspurig, mit dem Gewehr unter dem Arm, und der Priester betete ununterbrochen kniend auf der Altartreppe.

»Vater!« schrie ich außer Atem. »Chico geht es besser! Der Arzt sagt, daß er außer Gefahr ist! Ein Wunder! Alle lachen und freuen sich!«

Der Priester stand auf. Er schwitzte und sein Gesicht war aufgelöst.

»Geht in Ordnung«, sagte barsch mein Vater.

Und während der Priester mit offenem Munde dreinschaute, nahm mein Vater aus der Tasche einen Tausender und warf ihn in den Opferstock.

»Die mir erwiesenen Dienste bezahle ich«, sagte mein Vater. »Gute Nacht.«

Mein Vater prahlte niemals mit dieser Geschichte; es gibt aber heute noch in Boscaccio hie und da Verfluchte, die behaupten, daß damals auch Gott einmal Angst hatte.

Das ist die Tiefebene, die Bassa, ein Land, wo es Leute gibt, die ihre Kinder nicht taufen lassen und fluchen, nicht etwa um Gott zu verneinen, sondern um Gott zu trotzen. Es ist etwa vierzig Kilometer oder auch weniger von der Stadt entfernt; in dieser von den Dämmen zerschnittenen Ebene, wo man kaum über einen Zaun oder über eine Straßenbiegung hinaussieht, ist jedoch jeder Kilometer zehn Kilometer wert. Und die Stadt ist ein Ding von der anderen Welt.

Ich erinnere mich:

Zweite Geschichte

Manchmal sah man in Boscaccio auch Leute aus der Stadt: Mechaniker, Maurer. Sie gingen zum Fluß, um die Schrauben der Stahlbrücke zu prüfen, oder zum Entwässerungskanal, um die Wände der Schleusen zu betonieren.

Sie trugen einen Strohhut oder eine Stoffmütze schief über dem Ohr, ließen sich vor dem Gasthaus der Nita nieder und verlangten Bier und Beefsteak mit Spinat.

Boscaccio war ein Ort, wo die Leute zu Hause aßen und nur ins Gasthaus gingen zum Fluchen, zum Kegelspielen und um in Gesellschaft Wein zu trinken.

»Wein, Bohnensuppe mit Speck und Eier mit Zwiebel«, pflegte Nita, angelehnt an die Tür, zu antworten. Und dann begannen meistens diese Menschen ihre Strohhüte und Mützen nach hinten zu schieben und zu schreien, daß das und jenes an Nita schön sei, und mit großen Fäusten auf den Tisch zu schlagen und wie Gänse zu schnattern.

Diese Leute aus der Stadt verstanden nichts: wenn sie auf dem Lande herumgingen, führten sie sich wie Säue im Kornfeld auf: Krach und Skandal. Diese Leute aus der Stadt aßen zu Hause faschiertes Pferdefleisch, und in Boscaccio verlangten sie Bier, wo man dort höchstens Wein aus Näpfen hätte trinken können, und behandelten mit Überheblichkeit Menschen, die – wie mein Vater – dreihundertfünfzig Stück Vieh, zwölf Söhne und riesige Ländereien besaßen.

Das hat sich jetzt ziemlich geändert, weil auch auf dem Lande Leute sind, die die Mütze ganz schief tragen, faschiertes Pferdefleisch essen und den Mädchen im Gasthaus zurufen, daß das und jenes an ihnen schön sei: der Telegraph und die Eisenbahn haben auf diesem Gebiet viel geleistet. Damals war es aber anders, und wenn jene aus der Stadt nach Boscaccio kamen, gab es Leute, die beim Ausgehen überlegten, ob sie die Doppelflinte mit Schrot oder sogar mit einer Kugel laden sollten.

Boscaccio war ein solches gottgesegnetes Dorf.

Wir saßen einmal um den Holzstock der Tenne und schauten unserem Vater zu, wie er aus einem Pappelklotz eine Weizenschaufel anfertigte, als Chico dahergelaufen kam.

»Uh, uh«, sagte Chico, der zwei Jahre alt war und keine langen Reden halten konnte. Ich kann es nicht fassen, wie es mein Vater anstellte, immer zu verstehen, was Chico stotterte.

»Es ist ein Fremder oder ein Vieh«, sagte mein Vater, ließ sich sein Gewehr bringen und sich von Chico zur Wiese vor dem ersten Eschenbaum führen.

Wir fanden sechs Unglückselige aus der Stadt vor: sie hatten dreifüßige Gestelle und weiß-rote Stangen und maßen, ich weiß nicht was, indem sie den Klee zertraten.

»Was macht ihr da?« fragte mein Vater den nächsten, der einen von diesen weiß und rot gefärbten Stangen hielt.

»Ich mache meine Arbeit«, erklärte dieser Idiot, ohne sich umzuschauen, »und wenn auch Sie Ihre Arbeit machen, werden wir uns viel Gerede ersparen.«

»Schauen Sie, daß Sie weiterkommen!« schrien die anderen, die mitten im Klee um den Dreifuß herumstanden.

»Weg!« sagte mein Vater, indem er sein Doppelgewehr gegen die sechs städtischen Idioten richtete.

Und diese, als sie ihn so sahen, groß wie eine Pappel, ergriffen ihr Werkzeug und liefen wie Hasen davon.

Als wir abends um den Holzstock herumstanden und unserem Vater zuschauten, wie er mit den letzten Schlägen der Hacke seine Schaufel zurichtete, kamen die sechs von der Stadt in Begleitung zweier Wachleute, die aufzustöbern sie bis zum Bahnhof in Gazzola gegangen waren, zurück.

»Dieser da«, sagte einer von den sechs Erbärmlichen und zeigte auf meinen Vater.

Mein Vater fuhr fort zu basteln, er hob nicht einmal den Kopf, und der Wachtmeister sagte, daß er nicht verstehe, wie das passieren konnte.

»Es ist passiert, daß ich sechs Fremde gesehen habe, wie sie mir meinen Klee zugrunde richteten, und daß ich sie von meinem Grund weggejagt habe«, erklärte mein Vater.

Der Wachtmeister sagte, daß es sich um einen Ingenieur und seine Gehilfen handle, die gekommen seien, Messungen für die Strecke einer Dampftramway vorzunehmen.

»Sie hätten es sagen sollen. Wer mein Haus betritt, muß um Erlaubnis bitten«, erklärte mein Vater und betrachtete zufrieden seine Arbeit. »Und überhaupt, durch meine Felder darf keine Tramway ziehen!«

»Wenn es uns gefällt, wird die Tramway durchziehen«, lachte wütend der Ingenieur.

Mein Vater aber hatte bemerkt, daß die Schaufel an der Seite einen Buckel hatte, und war mit ganzer Aufmerksamkeit dabei, diesen auszuglätten.

Der Wachtmeister behauptete, mein Vater müsse den Ingenieur und seine Gehilfen auf seine Felder lassen.

»Es ist eine Regierungssache«, schloß er.

»Wenn sie mir ein Papier mit dem Regierungsstempel zeigen, werde ich sie lassen«, murmelte mein Vater. »Mein Recht kenne ich.«

Der Wachtmeister gab zu, daß mein Vater recht hätte und daß der Ingenieur ein gestempeltes Papier bringen müsse.

Der Ingenieur und die fünf Städtischen kamen am nächsten Tag wieder. Sie betraten den Hof, die Strohhüte auf den Hinterkopf und die Mützen übers Ohr geschoben.

»Da ist das Papier«, sagte der Ingenieur und legte meinem Vater ein Blatt vor.

Mein Vater nahm das Blatt und ging ins Haus. Wir folgten ihm. »Lies langsam«, befahl mein Vater, als wir in der Küche waren. Und ich las und las wieder.

»Geh und sage ihm, daß er gehen kann«, sagte schließlich finster mein Vater.

Als ich wieder ins Haus kam, folgte ich meinem Vater mit den anderen auf den Dachboden, wo wir uns um das runde Fenster stellten, das zu den Feldern hinschaute.

Die sechs Idioten gingen fröhlich und ein Liedchen summend den Steinweg bis zum Eschenbaum. Plötzlich sahen wir sie wütend gestikulieren. Einer tat, als ob er zu unserem Haus laufen wollte, die anderen aber hielten ihn auf.

Auch heute noch machen es die Leute aus der Stadt so: sie tun, als ob sie sich auf einen stürzen würden, die anderen halten sie aber immer zurück.

Sie blieben noch einige Zeit auf dem Steinweg und berieten, zogen dann die Schuhe, die Strümpfe aus und krempelten die Hosen auf. Endlich betraten sie hüpfend die Kleewiese.

Es war eine harte Arbeit von Mitternacht bis fünf Uhr früh gewesen: vier Tiefpflüge, von achtzig Ochsen gezogen, hatten die ganze Kleewiese aufgerissen. Dann mußte man Gräben vertiefen und andere öffnen, um die gepflügte Erde zu überschwemmen. Schließlich mußte man zehn Fuhren Jauche bringen und sie ins Wasser entleeren.

Mein Vater blieb bis Mittag mit uns am Dachbodenfenster und wir schauten zu, wie die Menschen aus der Stadt umhersprangen.

Jedesmal, wenn einer von den sechs stolperte und in den Schmutz fiel, trillerte Chico wie ein Vöglein, und meine Mutter, die heraufgestiegen war, um uns zu sagen, daß die Suppe fertig sei, zeigte sich sehr zufrieden.

»Schau ihn nur an: seit heute früh hat er wieder seine gute Farbe bekommen. Er hat geradezu Bedürfnis nach ein wenig Unterhaltung gehabt. Der liebe Gott sei bedankt, daß er dir heute nacht diesen Gedanken gab«, sagte meine Mutter.

Gegen Abend kamen die sechs aus der Stadt wieder, begleitet von Wachen und von einem in Schwarz gekleideten Herrn, der von Gott weiß woher aufgetaucht war.

»Die Herren behaupten, Sie hätten ein Feld überschwemmt, um sie in ihrer Arbeit zu behindern«, verkündete der schwarzgekleidete Mann, verärgert, daß mein Vater sitzen geblieben war und nicht einmal aufgeschaut hatte.

Mein Vater machte seinen Pfiff, und im Hof erschien sein Gesinde. Männer und Frauen und Kinder, so an die fünfzig.

»Sie sagen, ich hätte heute nacht die Wiese beim ersten Eschenbaum überschwemmt«, erklärte mein Vater.

»Es ist bereits fünfundzwanzig Tage her, daß das Feld unter Wasser ist«, behauptete ein Alter.

»Fünfundzwanzig Tage«, sagten die Männer, die Weiber und die Kinder.

„Sie werden es verwechselt haben mit dem Kleefeld beim zweiten Eschenbaum«, schloß ein Kuhhirte. »Man kann sich leicht irren, wenn man keine Erfahrung hat.«

Alle gingen von dannen und bissen sich in die Lippen vor Wut.

Am nächsten Morgen ließ mein Vater einspannen und fuhr in die Stadt, in der er drei Tage blieb. Sehr düster im Gesicht kam er zurück.

»Nichts zu machen, die Schienen müssen durch«, erklärte er meiner Mutter.

Es kamen andere Leute aus der Stadt und pflanzten kleine Holzpflöcke zwischen den nunmehr wieder trockenen Furchen. Die Eisenbahn sollte über das ganze Kleefeld führen, um dann wieder die Straße zu erreichen und sie bis zum Bahnhof von Gazzola nicht mehr zu verlassen.

Die Dampftramway sollte den Bahnhof von Gazzola mit der Stadt verbinden, und es wäre eigentlich ein schöner Vorteil für das Land gewesen; sie hätte aber durch die Güter meines Vaters ziehen müssen, und dies sollte sogar durch Überheblichkeit erreicht werden, und das war das Schlimmste daran. Hätten sie es höflich von meinem Vater gefordert, hätte er die Erde abgetreten, ohne einen Groschen dafür zu verlangen. Mein Vater war dem Fortschritt nicht abgeneigt. War nicht er der erste hierzulande, der ein modernes Doppelgewehr mit geschlossenen Hähnen gekauft hatte?

So aber, o du lieber Gott!

Entlang der Landstraße stapelten lange Menschenreihen Steine auf, legten Schwellen und befestigten auf ihnen Schrauben. Und so wie sich dann die Schienen verlängerten, machte die Lokomotive mit den Wagen für Baumaterial immer wieder einen Schritt vorwärts. Nachts schliefen die Leute in den gedeckten Karren am Schluß des Geleitzuges.

Nunmehr näherte sich die Eisenbahn dem Kleefeld, und an einem Morgen begannen die Leute, ein Stück Zaun abzutragen. Ich und mein Vater saßen unter dem ersten Eschenbaum: auch Gringo, ein Hund, den mein Vater wie unsereins liebte, war mit uns. Kaum hatten die Schaufeln den Zaun durchbrochen, sprang Gringo zur Straße, und als die Leute zwischen den Latten eine Öffnung machten, fanden sie ihn drohend vor sich, wie er ihnen die Zähne zeigte.

Einer von den Idioten machte einen Schritt vorwärts, und Gringo sprang ihm an den Hals.

Sie waren an die dreißig, mit Krampen und Schaufeln. Sie sahen uns nicht, weil wir hinter der Esche waren.

Der Ingenieur trat mit einem Stock hervor.

»Weg, du Vieh«, schrie er. Gringo riß ihn aber an der Wade, und er fiel brüllend zu Boden.

Die anderen griffen in Masse mit Krampen und Schaufelnan. Gringo ließ nicht nach. Er blutete, fuhr aber fort zu beißen, Waden und Hände zu zerreißen.

Mein Vater biß an seinem Schnurrbart. Er war blaß wie ein Toter und schwitzte. Hätte er gepfiffen, wäre Gringo sofort zurückgekehrt und am Leben geblieben. Mein Vater pfiff nicht: er fuhr fort zuzuschauen, blaß wie ein Toter, die Stirne in Schweiß gebadet, und drückte fest meine Hand, während ich schluchzte.

An den Stamm der Esche war das Doppelgewehr angelehnt und blieb so, angelehnt.

Gringo hatte keine Kraft mehr und kämpfte nur noch mit seiner kleinen Seele. Einer zerspaltete ihm den Kopf mit der Schaufelkante.

Ein anderer nagelte ihn mit einem Spaten am Boden fest. Gringo klagte noch eine Weile und streckte sich dann aus.

Da erhob sich mein Vater, nahm das Doppelgewehr unter den Arm und schritt langsam und finster zu den Leuten aus der Stadt.

Als sie ihn so vor sich erscheinen sahen, groß wie eine Pappel, mit dem hängenden Schnurrbart, breitem Hut, kurzer Jacke, engen Hosen und hohen Stiefeln, traten alle einen Schritt zurück und schauten ihn stumm an, die Stiele ihrer Werkzeuge fester umklammernd.

Mein Vater schritt bis zu Gringo, bückte sich, faßte ihn am Halsband und schleppte ihn wie einen Fetzen weg.

Wir bestatteten ihn am Fuße des Dammes, und als ich die Erde festgestampft hatte, wie sie früher war, nahm mein Vater den Hut ab.

Auch ich nahm den Hut ab.

Die Tramway kam nie nach Gazzola: es war Herbst, und der Fluß stieg an und rollte dahin, gelb von Schlamm; in einer Nacht durchbrach er den Damm, und das Wasser lief über die Felder und überschwemmte den ganzen niedrigen Teil des Gutes: das Kleefeld und die Straße wurden zu einem einzigen See.

Da stellten sie die Arbeiten ein, und um jede spätere Gefahr zu vermeiden, beendeten sie die Strecke bei Boscaccio, acht Kilometer von unserem Haus entfernt.

Und als sich der Fluß beruhigt hatte und wir mit den Leuten gingen, den Damm zu reparieren, drückte mir mein Vater fest die Hand.

Der Damm war gerade an der Stelle durchbrochen, wo wir Gringo begraben hatten. So viel vermag eines Hundes kleine Seele.

Ich sage euch, das ist das Wunder der Bassa.

Das ist die Welt der »Kleinen Welt«: lange und gerade Straßen, kleine, rot und gelb und ultramarinblau gestrichene Häuser, verloren mitten in den Weinstockreihen. An den Abenden im August erhebt sich langsam hinter dem Damm ein roter und riesenhafter Mond, der wie ein Ding aus einem anderen Jahrhundert ausschaut. Einer sitzt auf einem Kieshaufen, am Grabenrand, mit einem an die Telegraphenstange angelehnten Fahrrad. Er dreht eine Zigarette aus dem selbstgeschnittenen Tabak. Du gehst vorbei, und er bittet dich um Feuer. Ihr redet. Du sagst ihm, daß du zum Fest tanzen gehst, und jener schüttelt den Kopf. Du sagst ihm, daß es dort schöne Mädchen gibt, und er schüttelt wieder den Kopf.

Dritte Geschichte

Mädchen? Nichts von Mädchen! Wenn es darum geht, sich hie und da im Gasthaus eine Hetz zu machen, zu singen, bitte, bin ich immer dafür. Für nichts anderes aber: ich habe bereits mein Mädchen, das jeden Abend bei der dritten Telegraphenstange an der Straße von Fabbricone auf mich wartet.

Ich war vierzehn und kehrte auf dem Fahrrad heim, auf der Straße von Fabbricone. Ein Pflaumenbaum ließ einen Zweig über eine Mauer hängen, und einmal blieb ich stehen.

Ein Mädchen kam von den Feldern, mit einem Körbchen in der Hand, und ich rief es.

Sie mußte an die Neunzehn sein, weil sie viel größer war als ich und gut geformt.

»Du, mach mir die Leiter«, sagte ich zu ihr.

Das Mädchen legte das Körbchen ab, und ich stieg auf ihre Schultern. Der Ast war übervoll, und ich füllte mein Hemd mit gelben Pflaumen.

»Breite deine Schürze aus und teilen wir«, sagte ich zu dem Mädchen.

Das Mädchen antwortete, daß es nicht nötig sei.

»Magst du keine Pflaumen?« fragte ich.

»Schon, ich kann aber pflücken, soviel ich will«, erklärte sie. »Der Baum gehört mir, ich wohne hier.«

Ich war damals vierzehn Jahre alt und trug kurze Hosen. Aber ich war Hilfsarbeiter bei einem Maurer und fürchtete niemanden. Sie war viel größer als ich und geformt wie eine Frau.

»Du treibst Spaß mit mir«, rief ich und schaute sie böse an, »ich kann dir aber deine Fresse zerschlagen, du Hopfenstange.«

Sie hauchte nicht einmal.

Zwei Abende später begegnete ich ihr wieder auf der Straße.

»Servus, Hopfenstange!« rief ich und machte eine Grimasse. Jetzt könnte ich es nicht mehr, aber damals konnte ich es besser als der Vorarbeiter, der es doch in Neapel gelernt hatte.

Ich begegnete ihr noch mehrmals, sagte aber nichts; eines Abends verlor ich endlich die Geduld, sprang vom Fahrrad und versperrte ihr den Weg.

»Darf man wissen, warum du mich so anschaust?« fragte ich, indem ich mein Mützenschild ganz auf eine Seite schob.

Das Mädchen öffnete weit zwei wie Wasser klare Augen, wie ich sie sonst niemals sah.

»Ich schaue dich nicht an«, antwortete sie ängstlich.

Ich bestieg wieder mein Fahrrad. »Gib acht, Hopfenstange!« rief ich ihr zu. »Ich kenne keinen Spaß.«

Eine Woche später sah ich sie in der Ferne, wie sie vor mir an der Seite eines jungen Burschen ging, und große Wut überkam mich. Ich stellte mich auf die Pedale und fing an, wie ein Besessener zu treten. Zwei Meter hinter dem Jüngling stemmte ich mich auf und versetzte ihm im Vorbeifahren einen Stoß mit den Schultern, der ihn der Länge nach auf die Erde hinstreckte wie einen leeren Sack.

Ich hörte, wie er mich einen Hurensohn nannte, da stieg ich ab und lehnte mein Fahrrad an eine Telegraphenstange in der Nähe eines Kieshaufens. Ich sah, wie er auf mich zulief wie ein Besessener: es war ein Zwanzigjähriger und mit einer Faust hätte er mich erschlagen können. Ich war aber Hilfsarbeiter bei einem Maurer und fürchtete niemanden. Als es an der Zeit war, warf ich einen Stein, der ihn mitten ins Gesicht traf.

Mein Vater war ein hervorragender Mechaniker, und wenn er einmal einen Franzosen in der Hand hatte, konnte er das ganze Dorf in die Flucht jagen. Und trotzdem, wenn mein Vater sah, daß ich mich eines Steines bemächtigte, machte er kehrt und wartete, bis ich schlief, um sich meiner zu bemächtigen. Und er war mein Vater! Was will da dieser Grünschnabel von mir! Sein Gesicht blutete, und als ich wieder Lust hatte, sprang ich auf mein Fahrrad und fuhr davon.

Zwei Abende fuhr ich weit herum, aber am dritten Abend kehrte ich auf der Straße von Fabbricone zurück, und kaum erblickte ich das Mädchen, holte ich es ein und stieg auf amerikanisch ab, indem ich vom Sattel nach hinten sprang.

Der Anblick der Burschen von heute ist zum Lachen, wenn sie radfahren: Kotflügel, Glöckchen, Bremsen, elektrische Scheinwerfer, Wechselgänge und was weiß ich noch. Ich besaß ein »Frera«, das ganz verrostet war, aber um die sechzehn Stufen auf dem Hauptplatz hinunterzufahren, gab es kein besseres. Ich hielt die Lenkstange wie Gerbi und flog wie ein Blitz.

Ich stieg also ab und stand vor dem Mädchen. Meine Tasche hing am Griff, und ich holte einen Hammer heraus.

»Wenn ich dich noch einmal mit dem anderen sehe, spalte ich dir und ihm den Kopf«, sagte ich.

Das Mädchen schaute mich mit ihren verfluchten, wasserklaren Augen an. »Warum sagst du so was?« fragte sie leise.

Ich wußte es nicht, was war es mir auch schon wichtig?

»Weil ich will«, antwortete ich. »Von jetzt an mußt du entweder allein oder mit mir gehen.«

»Ich bin neunzehn und du höchstens vierzehn«, sagte das Mädchen. »Wenn du wenigstens achtzehn wärest, stünde es ganz anders. Ich bin schon eine Frau, und du bist ein Kind.«

»Du wartest, bis ich achtzehn bin«, schrie ich. »Und untersteh dich, dich mit jemandem anderen sehen zu lassen! Dann bist du erledigt!«

Ich war damals Hilfsarbeiter bei einem Maurer und fürchtete niemanden: wenn ich zufällig von Frauen reden hörte, lief ich davon. Ich kümmerte mich nicht mehr um die Frauen als um trockene Feigen. Diese da sollte aber mit den anderen keine Dummheiten machen.

Ich sah das Mädchen fast vier Jahre lang jeden Abend außer Sonntag. Sie war immer da, angelehnt an die dritte Telegraphenstange, auf der Straße von Fabbricone. Wenn es regnete, hatte sie brav ihren Schirm mit.

Ich blieb kein einziges Mal stehen.

»Grüß dich«, sagte ich im Vorbeifahren.

»Grüß dich«, antwortete sie.

An meinem achtzehnten Geburtstag stieg ich vom Rad ab.

»Bin achtzehn«, sagte ich ihr. »Jetzt kannst du mit mir gehen. Wenn du dich jetzt dumm aufführst, schlage ich dir den Schädel ein.«

Sie war damals schon dreiundzwanzig Jahre alt und eine vollendete Frau geworden. Sie hatte trotzdem noch immer ihre wasserhellen Augen und sprach immer leise, wie früher.

»Du bist achtzehn«, antwortete sie mir, »ich aber dreiundzwanzig. Die Burschen würden mich steinigen, wenn sie mich mit einem so jungen Kerl gehen sähen.«

Ich ließ das Fahrrad zu Boden fallen, ergriff einen flachen Stein und sagte zu ihr:

»Siehst du diesen Isolator dort, den ersten auf der dritten Stange?«

Sie bejahte mit dem Kopf.

Ich traf ihn in die Mitte, und es blieb nur der Eisenhaken übrig, nackt wie ein Wurm.

»Die Burschen«, rief ich, »sollen zuerst so arbeiten können, bevor sie dich zu steinigen wagen.«

»Ich sagte nur so«, machte das Mädchen klar. »Es geht nicht, daß eine Frau mit einem Minderjährigen geht. Wenn du wenigstens schon beim Militär gewesen wärest ...«

Ich drehte das Schild meiner Mütze ganz nach links:

»Mein liebes Mädchen, glaubst du, ich bin ein Dummkopf? Wenn ich das Militär hinter mir habe, bin ich einundzwanzig und du sechsundzwanzig. Und dann fängt die Geschichte von vorne an.«

»Nein«, antwortete das Mädchen, »achtzehn und dreiundzwanzig ist eine Sache, und einundzwanzig und sechsundzwanzig ist eine andere. Je älter, um so weniger zählt der Unterschied. Ob ein Mann einundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt ist, ist gleich.«

Die Überlegung schien mir richtig: ich war aber nicht der Typ, der sich an der Nase führen ließ.

»Gut, wir reden darüber, wenn ich vom Militär komme«, sagte ich und schwang mich auf den Sattel. »Paß aber auf: wenn ich dich dann nicht finde, komme ich dir auch unter das Bett deines Vaters nach, dir den Schädel einzuschlagen.«

Jeden Abend sah ich sie bei der dritten Telegraphenstange stehen und stieg nie ab. Ich sagte ihr guten Abend, und sie antwortete mir guten Abend. Als meine Einberufung gekommen war, rief ich ihr zu:

»Morgen rücke ich ein.«

»Auf Wiedersehen«, antwortete das Mädchen.

Es ist jetzt nicht die Zeit, von meinem ganzen Dienst beim Militär zu erzählen. Achtzehn Monate war ich beim Kommiß und blieb derselbe, der ich zu Hause war. Ich habe höchstens drei Monate in Reih und Glied gedient. Man kann ruhig sagen, daß ich jeden Abend entweder Kasernarrest hatte oder in der Zelle saß.

Kaum waren die achtzehn Monate vorbei, schickte man mich nach Hause.

Ich kam spät am Nachmittag heim, und ohne mich überhaupt in Zivil zu kleiden, sprang ich auf das Fahrrad und fuhr zur Straße nach Fabbricone.

Sollte mir jene wieder Geschichten machen, würde ich sie mit dem Fahrrad erschlagen.

Es begann langsam dunkel zu werden, und ich fuhr wie ein Blitz und dachte, wo ich sie, zum Teufel, finden werde. Ich mußte sie aber gar nicht suchen, ganz im Gegenteil: das Mädchen war da und wartete pünktlich auf mich unter der dritten Telegraphenstange.

Sie war genauso, wie ich sie verlassen hatte, und die Augen waren genau dieselben.

Ich stieg vor ihr ab.

»Ich habe es hinter mir«, sagte ich, indem ich ihr den Entlassungsschein zeigte. »Da ist die sitzende Italia, und das bedeutet uneingeschränkte Entlassung.«

»Sehr schön«, antwortete das Mädchen.

Ich war wie ein Gottverdammter gefahren, ich hatte eine trockene Kehle.

»Könnte ich nicht ein paar gelbe Pflaumen haben, wie damals?« fragte ich.

Das Mädchen seufzte:

»Es tut mir leid, der Baum ist aber abgebrannt.«

»Abgebrannt?« wunderte ich mich, »seit wann brennen denn die Pflaumenbäume ab?«

»Es war vor sechs Monaten«, antwortete das Mädchen. »Eines Nachts fing der Heustadel Feuer, und das Haus verbrannte und auch alle Bäume im Obstgarten, wie Zündhölzer. Alles ist verbrannt: nach zwei Stunden standen nur noch die Wände. Siehst du sie?«

Ich schaute hin und sah ein Stück schwarzer Mauer mit einem Fenster, das auf den roten Himmel hin geöffnet war.

»Und du?« fragte ich.

»Auch ich«, antwortete sie mit einem Seufzer, »auch ich, wie alles andere. Ein Häufchen Asche und weg war ich.«

Ich schaute das Mädchen an, das an der Telegraphenstange angelehnt stand; ich schaute sie starr an, und durch ihr Gesicht und ihren Körper hindurch sah ich die Holzadern der Stange und das Gras im Graben.

Ich richtete einen Finger auf ihre Stirn und berührte die Telegraphenstange.

»Hab ich dir weh getan?« fragte ich.

»Nein, du hast mir nicht weh getan.«

Wir blieben eine Weile schweigend, während der Himmel immer dunkler rot wurde.

»Und jetzt?« sagte ich endlich.

»Ich habe auf dich gewartet«, seufzte das Mädchen, »damit du siehst, daß es nicht meine Schuld war. Kann ich jetzt gehen?«

Ich war damals einundzwanzig und hätte die Waffe mit einem Fünfundsiebzigerkaliber präsentieren können, wenn es notwendig gewesen wäre. Wenn mich Mädchen sahen, richteten sie sich auf, als ob sie an einem General vorbeimarschierten, und schauten mich so lange an, bis ihnen die Augen weh taten.

»Und jetzt?« wiederholte das Mädchen leise. #187;Soll ich gehen?«

»Nein«, antwortete ich, »du mußt warten, bis ich auch den anderen Dienst ausgedient habe. So leicht wirst du mich nicht los, meine Schöne.«

»Es ist gut«, sagte das Mädchen. Und es schien mir, als ob sie lächelte.

Ich habe aber solche Dummheiten nicht gerne und bestieg sofort mein Fahrrad.

Es sind jetzt bald zwölf Jahre, daß wir uns jeden Abend sehen. Ich komme vorbei und steige nicht einmal ab:

»Grüß dich.«

»Grüß dich.«

Verstehen Sie? Wenn es darum geht, im Gasthaus einmal zu singen oder eine Hetz zu machen, bin ich immer dafür. Nichts anderes aber: ich habe bereits ein Mädchen, das jeden Abend bei der dritten Telegraphenstange auf mich wartet, auf der Straße von Fabbricone.

Der eine sagt jetzt: Brüderchen, warum erzählst du uns diese Geschichte?

So, antworte ich. Weil man begreifen muß, daß auf diesem Stück Erde zwischen Fluß und Berg Dinge geschehen können, die anderswo nicht geschehen. Dinge, die immer mit der Landschaft im Einklang sind. Und es weht dort eine besondere Luft, die den Lebenden und den Toten wohltut, und auch Hunde haben dort eine Seele. Dann versteht man Don Camillo, Peppone und alles andere besser. Und man wundere sich nicht, daß Christus spricht und daß einer dem anderen auf den Schädel schlagen kann in aller Anständigkeit, weil ohne Haß. Und daß sich zwei Feinde letzten Endes doch in den wesentlichen Dingen einigen.

Denn dort ist der breite ewige Atem des Flusses, der die Luft reinigt. Des stillen und majestätischen Flusses, über dessen Damm gegen Abend der Tod auf dem Fahrrad dahineilt. Oder geh du nachts auf dem Damm und bleib stehen und schaue in den kleinen Friedhof hinein, der da unten liegt. Wenn dann der Schatten eines Toten kommt und sich neben dir niederläßt, erschrickst du nicht und plauderst ruhig mit ihm.

So, das ist die Luft, die man auf diesem abgelegenen Stück Erde atmet. Man kann auch leicht verstehen, was dort die Politik verursachen kann.

Jetzt ist noch diese Sache da mit dem Christus vom Kruzifix, der in diesen Erzählungen oft spricht. Der Hauptpersonen sind nämlich drei: der Priester Don Camillo, der Kommunist Peppone und der gekreuzigte Christus.

Da muß man also erklären: Wenn sich die Priester wegen Don Camillo beleidigt fühlen, so können sie meinetwegen einen Leuchter auf meinem Schädel zertrümmern; wenn die Kommunisten wegen Peppone beleidigt sind, können sie auf meinem Rücken einen Knüppel entzweihauen; wenn sich aber jemand wegen der Reden Christi beleidigt fühlt, so kann man nichts machen. Wer in meinen Geschichten spricht, ist nicht Christus, sondern mein Christus, das heißt die Stimme meines Gewissens.

Meine persönliche Angelegenheit, meine Sache.

Und darum: jeder für sich und Gott für alle.

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DIE BEICHTE

Don Camillo war ein Mensch von jener Sorte, die Haare auf den Zähnen hat. So ist einmal in der Gegend eine schmutzige Sache passiert, alte Gutsbesitzer und Mägde waren darin verwickelt. Während der Messe hatte Don Camillo gerade eine im allgemeinen Ton gehaltene und völlig harmlose Predigt begonnen, als er plötzlich und ausgerechnet in der ersten Reihe der Gläubigen einen jener Unkeuschen erblickte. Da brannten ihm die Pferde durch, er unterbrach seine nette kleine Ansprache, warf dem Jesus vom Kruzifix auf dem Hauptaltar ein Tuch über den Kopf, so daß er nicht hören konnte, was folgen sollte, stemmte die beiden Fäuste in die Hüften und beendete die Rede auf seine Art. Und so donnernd war die Stimme, die sich dem Munde dieses Riesenmenschen entrang, und so grobe Dinge schmetterte er hinaus, daß die Kirchendecke bebte.

Als also die Zeit des Wahlkampfes kam, drückte Don Camillo sich natürlich mehrmals in dieser so klaren Art und Weise über die lokalen Vertreter der Linken aus, so daß eines schönen Abends, gerade noch zwischen Licht und Finsternis, während Don Camillo von einem Weg in den Pfarrhof zurückkehrte, ein Brocken Mensch, in einen Mantel gehüllt, hinter einem Zaun, wo er sich offensichtlich versteckt gehalten hatte, erschien und Don Camillo von hinten angriff. Er machte sich den Umstand zunutze, daß Don Camillo durch das Fahrrad behindert war, an dessen Lenkstange ein Korb mit siebzig frischen Eiern aufgehängt war, und versetzte ihm eine Tracht Prügel, worauf er, wie von der Erde verschlungen, verschwand.

Don Camillo sagte niemandem etwas von diesem Vorfall. Im Pfarrhaus angelangt, und nachdem er die Eier in Sicherheit gebracht hatte, ging er in die Kirche, um sich mit Christus zu beraten, so wie er immer in Augenblicken des Zweifelns zu tun pflegte.

»Was soll ich tun?« fragte Don Camillo.

»Schmiere dir den Rücken mit ein wenig öl ein und sei still«, antwortete ihm Christus vom Hochaltar. »Man muß vergeben, wenn man uns beleidigt. Das ist die Regel.«

»Gut«, warf Don Camillo ein. »Hier handelt es sich aber um Prügel, nicht um Beleidigung.«

»Was willst du damit sagen?« erwiderte leise Jesu. »Sind vielleicht die dem Körper zugefügten Beleidigungen schmerzhafter als jene, die dem Geiste zugefügt werden?«

»Einverstanden, Herr. Du mußt aber in Betracht ziehen, daß man – indem man einen Deiner Diener prügelt – Dich beleidigt. Mir geht es viel mehr um Dich als um mich.«

»War ich vielleicht nicht noch mehr ein Diener Gottes als du? Und habe ich nicht auch jenem verziehen, der mich gekreuzigt hat?«

»Mit Dir kann man nicht reden«, schloß Don Camillo. »Du hast immer recht. Dein Wille geschehe. Wir werden verzeihen. Erinnere Dich aber, daß Du die Verantwortung zu tragen haben wirst, wenn diese Verbrecher durch mein Schweigen ermutigt werden und mir eines schönen Tages meinen dummen Kürbiskopf einschlagen. Ich könnte Dir Stellen aus dem Alten Testament anführen ...«

»Don Camillo, mir kommst du mit dem Alten Testament! Bitte, ich übernehme die volle Verantwortung. Und übrigens, unter uns, ein wenig Prügel stehen dir gut, so wirst du lernen, in meinem Hause keine Politik zu treiben.«

Don Camillo hatte also verziehen. Eines blieb ihm aber im Halse stecken wie eine Fischgräte: die Neugierde, wer es nur gewesen sein könnte, der ihn geprügelt hatte.

Die Zeit verging und ein Abend kam, an dem Don Camillo noch zu später Stunde im Beichtstuhl saß und durch das Gitter das Gesicht des Häuptlings der extremen Linken erkannte.

Peppone im Beichtstuhl, das war ein Ereignis, bei dem einem der Mund offenstehen bleiben mußte. Don Camillo strahlte:

»Gott sei mit dir, lieber Bruder, mit dir mehr als mit irgend jemandem, weil du mehr als die anderen seinen Segen notwendig hast. Es muß schon lange her sein, daß du das letztemal gebeichtet hast.«

»Es war 1918«, antwortete Peppone.

»Stell dir nur alle die Sünden vor, die du in diesen dreißig Jahren mit all deinen heidnischen Gedanken im Kopf begangen hast!«

»Na ja, es sind schon so manche«, seufzte Peppone.

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel: vor zwei Monaten habe ich Sie geprügelt.«

»Ernste Sache«, antwortete Don Camillo. »Indem du einen Diener Gottes beleidigt hast, fügtest du Gott selbst eine Beleidigung zu.«

»Ich habe es bereut«, rief Peppone. »Außerdem habe ich Sie nicht als einen Diener Gottes, sondern als einen politischen Gegner geprügelt. Es war ein Moment der Schwäche.«

»Außer dieser und der Zugehörigkeit zu deiner teuflischen Partei hast du noch andere schwere Sünden zu beichten?«

Peppone schüttete den Sack aus.

Alles in allem war es nicht viel, und Don Camillo fertigte ihn mit zwanzig Vaterunsern und Ave-Marias ab. Als dann Peppone an der Kommunionbank kniete, um seine Buße abzubeten, fiel auch Don Camillo vor dem Kruzifix auf die Knie.

»Jesu«, sagte er, »verzeihe mir, aber ich haue ihm eine herunter.«

»Denke nicht einmal daran«, antwortete Jesus. »Ich habe ihm vergeben, du mußt ihm auch vergeben. Im Grunde genommen ist er ein braver Mensch.«

»Jesu, traue diesen Roten nicht. Sie sind furchtbar heimtükkisch. Schau ihn Dir gut an: hat er nicht ein Räubergesicht?«

»Ein Gesicht wie alle anderen. Don Camillo, in dein Herz hat sich Gift eingeschlichen!«

»Jesu, wenn ich Dir je gut und mit Hingabe gedient habe, dann bitte ich um diese eine Gnade: Laß es wenigstens zu, daß ihm dieser Leuchter auf den Nacken fällt. Was ist schon so ein Leuchter, mein Jesus?«

»Nein«, antwortete Jesus. »Deine Hände sind zum Segnen, nicht zum Schlagen da.«

Don Camillo seufzte.

Er verbeugte sich und verließ den Altar.

Er wandte sich dann noch einmal um, um sich zu bekreuzigen, und befand sich so gerade hinter Peppones Rücken, während dieser kniend ganz im Gebet versunken war.

»In Ordnung«, flüsterte Don Camillo, indem er die Hände faltete und zu Jesus hinaufschaute. »Die Hände sind zum Segnen da, nicht aber die Füße!«

»Auch das ist wahr«, sagte Jesus vom Hochaltar, »aber ich bitte dich, Don Camillo: nur einen!«

Der Fußtritt traf wie ein Blitz. Peppone steckte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, ein, stand dann auf und seufzte erleichtert:

»Zehn Minuten warte ich schon darauf«, sagte er. »Jetzt fühle ich mich viel besser.«

»Ich auch«, rief Don Camillo, und sein Herz war jetzt leicht und rein wie der heitere Himmel.

Jesus sagte nichts. Man sah Ihm aber an, daß auch Er zufrieden war.

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DIE TAUFE

Ein Mann und zwei Frauen traten plötzlich in die Kirche. Eine der beiden Frauen war die angetraute Gattin Peppones, des Führers der Roten.

Don Camillo, der hoch oben auf einer Leiter stand und die Aureole des heiligen Josef mit Sidol behandelte, drehte sich um und fragte, was sie von ihm wollten.

»Es ist was zum Taufen«, sagte der Mann. Und eine der Frauen zeigte ein Wäschebündel mit einem Neugeborenen darin.

»Von wem ist es?« fragte Don Camillo, die Leiter verlassend.

»Von mir«, antwortete Peppones Gattin.

»Und deinem Mann?« erkundigte sich Don Camillo.

»Natürlich! Von wem denn? Von Ihnen vielleicht?« antwortete trocken Peppones Gattin.

»Kein Grund zur Aufregung«, bemerkte Don Camillo, indem er seine Schritte zur Sakristei richtete. »Was weiß ich? Hat man denn nicht gesagt, daß in eurer Partei freie Liebe Mode ist?«

Am Hauptaltar vorbeigehend, beugte Don Camillo das rechte Knie und blickte aus einem Augenwinkel hinauf zum gekreuzigten Christus.

»O Herr, hast Du gehört? Hab ich's dieser Gottlosen gesagt?«

»Rede keinen Unsinn, Don Camillo!« antwortete Christus streng. »Wenn sie gottlos wären, würden sie ihre Kinder nicht zur Taufe herbringen. Hätte dir Peppones Gattin eine Ohrfeige gegeben, hättest du sie wohl verdient.«

»Hätte mir Peppones Gattin eine Ohrfeige gegeben, hätte ich sie alle drei am Kragen gepackt und ...«

»Und?« fragte Jesus streng.

»Nichts, nur so ...«, antwortete Don Camillo und entfernte sich eilig.

»Don Camillo, nimm dich in acht!« ermahnte ihn Jesus.

Don Camillo zog die Kirchengewänder an und stellte sich zum Taufbecken.

»Wie wollt ihr ihn nennen?« fragte Don Camillo Peppones Gattin.

»Lenin, Libero, Antonio«, erwiderte diese.