Der Tag der

toten Katze

 

 

14 unterhaltsame und skurrile Kurzgeschichten

rund um den Satz:

 

»Ich hasse es, wenn der Tag damit beginnt,

dass ich eine überfahrene Katze begraben muss.«

 

 

Geli Grimm (Hrsg.)

 

 

 

Leseratten Verlag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Tag der toten Katze

ISBN 978-3-945230-15-2

1. Auflage, Backnang 2016

 

Alle Rechte und Pflichten der jeweiligen Erzählung liegen beim Autor.

 

Cover: Fräulein JackyD

Satz und Layout: Tanja und Marc Hamacher

Lektorat: Tanja und Marc Hamacher

EBook: Marc Hamacher

Herausgeber: Geli Grimm

 

 

© 2016, Leseratten Verlag, Backnang

 

www.leserattenverlag.de

 

 

 

Vorwort

 

Was verbinden Menschen mit einer einzelnen Aussage? In welche Richtung entwickeln sich ihre Gedanken, wenn sie nur einen Satz zu hören bekommen? Und was passiert, wenn ein Autor freien Handlungsspielraum erhält, um diese Worte weiterzuspinnen?

Die meisten mir bekannten Anthologien basieren darauf, dass sie einem Genre zugeordnet sind. Unsere Kurzgeschichtensammlung jedoch setzt sich aus unterschiedlichen Themen zusammen. So finden sich in ihr Science-Fiction-Elemente ebenso wie humorvolle Erzählungen oder buchstäblich mörderische Beiträge.

Doch wie findet und eint man Menschen für ein solches Projekt? Und wie kam es überhaupt zustande? Auch hier unterscheidet sich unser Büchlein von anderen Anthologien, denen normalerweise eine Ausschreibung vorausgeht.

Am 28. April 2015 schenkte Cornelia Wriedt auf einer sozialen Internet-Plattform der Autorengruppe von Lea Korte einen Satz. Sie leitete ihn mit einem rührenden Kommentar ein:

 

»Das Leben hat einen komischen Humor. Da beginnt der Tag recht traurig und gleichzeitig fällt mir ein toller Satz ein, der der Anfang einer Geschichte werden könnte. Leider kann ich ihn nicht verwenden und ich möchte ihn daher verschenken.«

Und so kamen wir zu dem Satz, mit welchem eine jede Erzählung in dieser Anthologie beginnt:

 

»Ich hasse es, wenn der Tag damit beginnt,

dass ich eine überfahrene Katze begraben muss.«

 

Ich nahm Cornelias Geschenk an, ihren Satz verwenden zu dürfen, und brachte das Projekt »Der Tag der toten Katze« auf den Weg. Ohne vorherige Bedingungen festgeschrieben zu haben und ohne den Hauch einer Ahnung von der harten Realität des Schriftstellerbusiness rief ich interessierte Autoren auf, sich mit mir an einer Anthologie zu versuchen.

Dass es sich um eine verrückte Idee handelt, war mir schon bei Erstellung der Arbeitsgruppe bewusst. Wie verrückt sich die Umsetzung jedoch gestaltete, das hatte ich nicht geahnt. Denn es hat sich ein durchaus bunter Haufen zusammen gefunden, der unter einen Hut gebracht werden wollte. Von erfahrenen Autoren über Nachwuchsschriftstellern bis hin zu absoluten Neulingen.

Und so bunt gemischt wie die Autoren, so bunt gemischt sind die Kurzgeschichten. Denn die Auswahl der Erzählungen folgt keinem »roten Faden«. Eine Grundvoraussetzung dieses Projektes war, keinen Teilnehmer auf der Strecke lassen zu wollen.

Inzwischen weiß ich um die Verantwortung, die ein solches Versprechen mit sich bringt. Und ich bin extrem froh und äußerst dankbar, dass sich der Leseratten Verlag bereit erklärt hat, unser Experiment zu unterstützen.

 

 

 

Danksagung

 

Ein besonderes Dankeschön geht an dieser Stelle an alle Mitautoren. Wir haben uns selbst auf eine Art organisiert, die manch einer mit Sicherheit als ziemlich naiv betrachten mag. Und doch haben wir es geschafft und unsere Anthologie »Der Tag der toten Katze« in den Handel gebracht. Und das macht mich stolz auf uns. Ich danke euch, dass ihr euch mir anvertraut habt. Und ich danke Marc Hamacher vom Leseratten Verlag, dass er an uns glaubt.

Für mich stellt diese Anthologie eine Erstveröffentlichung dar. Daher möchte ich meine Danksagungen durch zwei Widmungen ergänzen.

Zum einen löse ich von Herzen gerne mein Versprechen ein, indem ich dieses Büchlein Cornelia Wriedt widme, der wir den für dieses Projekt nötigen Funken der Inspiration zu verdanken haben.

Zum anderen ist es mir ein besonderes Bedürfnis, dieses Buch meinen Eltern zum Geschenk zu machen.

 

Christa und Michael Grimm.

Ich habe euch eine Menge zu verdanken.

Dieses Buch ist für Euch!

 

 

Geli Grimm

– Herausgeberin –

 

 

 

Alexandra Baginsky

 

Seit sie denken kann, liebt Alexandra Baginsky (geboren 1975) Bücher und erfindet gerne romantische Geschichten für sich und andere. Lange Zeit war das nur ein Privatvergnügen für sie, bis sie sich 2013 ihren Jugendtraum erfüllte und ein Buch veröffentlichte. Unter dem Pseudonym Lexy Sky erschien »Schmetterlingsspiegel«.

Alexandra Baginsky lebt mit ihrem Mann in einem kleinen Ort in der schönen Pfalz, umgeben von der Großfamilie, in der sie aufgewachsen ist – und möchte es auch gar nicht anders haben.

 

 

Märchen ohne Happy End

 

Ich hasse es, wenn der Tag damit beginnt, dass ich eine überfahrene Katze begraben muss.

Eigentlich bin ich mit meinem Leben zufrieden, auch wenn ich wenig habe, meine Arbeit als Schmiedegeselle anstrengend und meine Unterkunft sehr bescheiden ist. Ihr könnt euch meine Überraschung vorstellen, als eines Tages ein schwarzer Kater auf meinen Amboss hüpfte, mich mit erschreckend intelligentem Blick musterte, sein Mäulchen aufmachte und zu mir sprach.

»Ich bin der Gestiefelte Kater.«

Tatsächlich, die schicken, roten Lederstiefelchen an seinen Pfoten waren mir noch gar nicht aufgefallen. Doch bevor ich mich ausgiebig darüber wundern konnte, fuhr der Kater fort.

»Und ich werde dir ein herrliches Leben verschaffen. Du wirst ein Prinz unter Prinzen sein und die schönsten Frauen werden dir zu Füßen liegen! Du glaubst mir nicht? Aber es ist wahr! Du musst mir dafür nur einen einzigen Gefallen tun, einen winzig kleinen. Kaum der Rede wert!«

Kennt ihr diesen Blick, wenn eine Katze euch anschaut und ihr wisst genau, sie hat etwas angestellt? Genau so blickte jener Kater mich an, und mir wurde ganz mulmig zumute, als ich mich fragte, was für ein Gefallen das wohl sein könnte. Auf der anderen Seite, fragen kostet nichts. Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

»Was willst du?«

Mit einem zufriedenen Schnurren sprang der Kater vom Amboss und bewegte sich elegant auf die Tür zu. Er warf mir über seine Schulter einen auffordernden Blick zu und stolzierte weiter. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Natürlich war ich nun neugierig. Dass Neugier oft der Katze Tod ist, weiß eigentlich jeder. Aber wie das eben so ist, ließ ich mich verführen.

 

Es dauerte nicht lange, bis wir zu einem dunklen Wald kamen. In diesem fanden wir einen steinernen Turm, über und über mit Dornenhecken bewachsen. Ich blieb stehen und besah mir das Ganze, während der Kater aufgeregt um die Hecke strich. Er gab immer wieder leise Klagelaute von sich, wenn er an einer der Dornen hängenblieb. Sein zuvor so glattes, seidiges Fell war bald zerzaust und er bot ein Bild des Jammers. Ist es da verwunderlich, dass ich ihm nicht mehr widerstehen konnte?

»Nun sag schon, was willst du von mir?«, wiederholte ich also meine Frage.

»Hilf mir, die Dornenranken auszureißen.«

»Na, wenn es weiter nichts ist.«

Frisch machte ich mich an die Arbeit und schon bald waren meine Hände über und über mit Kratzern bedeckt. Doch nun war eine Seite des Turms wieder freigelegt und man konnte die fugenlose Bauweise bewundern, als wäre das komplette Bauwerk aus einem Stein gehauen.

»Nun zufrieden?«, erkundigte ich mich außer Atem und mit hochrotem Gesicht. Der Kater legte den Kopf schief.

»Nicht ganz. Nun stell dich bitte dicht an die Wand und streck die Arme hoch.«

Verblüfft tat ich, wie mir geheißen wurde.

»Rapunzel, Rapunzel, lass deinen buschigen Schwanz herab!«, rief der Kater mit sanfter, verführerischer Stimme.

Aus dem Fenster hoch oben im Turm senkte sich ein puscheliger weißer Schwanz zu uns herab, bis fast zu meinen ausgestreckten Fingern.

Der Kater aber zögerte nicht lange, sondern sprang an mir hoch, ließ mich fein die spitzen Krallen spüren, als er mich als Klettergerüst missbrauchte. Meine Körpergröße war eben so ausreichend, dass er mit einem Satz den Katzenschwanz erreichen konnte. Kurz darauf war er im Turm verschwunden und man hörte eindeutig amouröse Geräusche, sodass kein Zweifel blieb, was die beiden Felidae dort oben wohl so trieben.

Da mir ja eine Belohnung versprochen worden war, blieb ich am Fuße des Turmes stehen und wartete. Stunde um Stunde, bis der liebeskranke Kater wieder am Schwanz seiner Angebeteten nach unten kraxelte und sich gnädig von mir auffangen ließ. Doch statt mir nun meinen Teil der Abmachung auszuhändigen, sollte ich ihm einen neuerlichen Gefallen tun.

»Ich habe Hunger. Komm mit, ich brauche deine Hilfe!«

Langsam fühlte ich mich ein wenig ausgenutzt. Doch auch mein Magen grummelte. So folgte ich dem Gestiefelten durch den dunklen Wald, bis wir zu einer sonnigen Lichtung kamen, ganz unerwartet in der eher düsteren, gefährlichen Atmosphäre ringsum. Dort stand ein wunderliches Haus, wie aus Lebkuchen gebacken und mit Zuckerzeug verziert, auf das der Kater sofort losstürmte. Mit einem Satz war er auf dem Dach und knabberte am Schornstein herum, der wohl ganz aus dunkler Schokolade gemacht war.

Nun weiß ja jeder, dass Katzen vom Verzehr von Schokolade sterben können und so rief ich erschrocken eine Warnung. Diese tat er sofort mit einem wütenden Fauchen und Katzbuckeln ab. Aus dem Inneren des Häuschens ertönte jedoch eine kratzige Altfrauenstimme.

»Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?«

»Der Wind, der Wind, das himmlische Kind!«, säuselte ich reflexartig zurück.

Doch natürlich konnte ich niemanden täuschen, und die Tür öffnete sich mit einem ominösen Knarren. Was mir daraus entgegentrat, konnte nichts anderes als eine Hexe sein. Vom zerknitterten Großmuttergewand über den spitzen, schwarzen Hut bis hin zur krummen Nase, mit der riesigen Warze darauf, entsprach sie in allen Punkten dem typischen Klischee.

»Lang hat sich kein Kindlein mehr verirrt zu mir!«, krächzte die Alte und ließ ihren Blick hungrig über meine vom Schmieden gestählte Figur gleiten. Mir wurde ganz anders und ich warf einen hilfesuchenden Blick hinauf aufs Dach. Dort presste sich der Kater flach gegen die Schindeln, um nur ja nicht gesehen zu werden. Mein Blick machte die Hexe jedoch auf ihn aufmerksam. Sie spähte nach oben, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich binnen Sekunden von wonniger Vorfreude zu Gift und Galle spritzendem Zorn.

»Du siebenmal verfluchter, vermaledeiter Kater! Dachtest wohl, du könntest dich hier sattfressen und mir mit deiner leckeren Ablenkung Sand in die Augen streuen!«, keifte sie los. »Aber da hast du dich geschnitten. Gefangen, gehangen und nicht mehr abgegangen! Mein warst du, mein bist du, mein wirst du sein!«

Ich weiß nicht, wieso ich mich einmischte. Vielleicht war es der Gedanke an meine Belohnung. Vielleicht aber auch die pure Panik, die mich handeln ließ. Sei es, wie es sei. Ich griff nach der Tür, riss sie aus den Angeln und zog sie der Fluchenden von hinten über den Kopf. Daraufhin sank sie besinnungslos in sich zusammen.

Der Kater jedoch sprang mit einem Satz vom Dach. Er rannte in den Wald, ich hinterdrein, in den Händen noch immer ein Stück der essbaren Tür. Zumindest hatte ich bei dem Abenteuer etwas gewonnen. Etwas, um meinen Hunger damit zu stillen.

 

Atemlos und noch immer panisch nach hinten schauend, kamen wir schließlich in der Sicherheit des Dorfes an. Ich verlangte nun energisch nach meinem Lohn, den ich mir ja wohl mehr als verdient hatte.

»Finde dich morgen vor Tagesanbruch im Weiher ein, dort wo der Frosch mit der güldenen Krone hüpft und springt und sehnsuchtsvoll nach seiner Prinzessin singt.«

Das ist kein hohles Gerede, diesen Frosch gibt es wirklich, auch wenn er schon seit Jahrzehnten dort sitzt und mit seiner goldenen Kugel spielt. Er erzählt auch gern jedem von der Prinzessin, auf die er wartet. Sie hatte damals die Kugel dort verloren und fest versprochen, wiederzukommen und ihn mit einem Kuss zu ihrem Prinzen zu machen. Doch sie war nie mehr aufgetaucht. Seither weiß ich, dass man Frauen nicht vertrauen kann.

»Deine Kleider lass hier. Bei Tagesanbruch wird sich eine Kutsche nähern. Darin sitzt unsere hochwohlgeborene Durchlaucht, der König. Ich werde mich ihm nähern und ihm von meinem armen Herrn erzählen, dem man die Kleider stahl, als er ein Bad im Weiher nahm. Dort wollte er sich von den Strapazen erholen, nachdem er den bösen Magier erschlagen hat.«

»Wird er so eine hanebüchene Geschichte denn glauben?«, zweifelte ich offen.

»Das lass nur meine Sorge sein!«, entgegnete der Kater entrüstet. »Werd ihn schon einwickeln! Er wird dich mit auf sein Schloss nehmen, einkleiden und als Dank für deine Heldentat reich belohnen. Vertrau mir!«

Mit dem Vertrauen hatte ich bei ihm so meine Probleme, aber am Ende ließ ich es darauf ankommen. Das Leben ist Nichts ohne Risiko und wann hat man eine solche Chance schon? Wenn es schief ging, würde ich mich eben vor dem König blamieren und ohne Kleider ins Dorf zurückgehen. Doch wenn der Plan funktionierte … Oh, ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!

Und genau das war der Grund, wieso ich im Morgengrauen zitternd und bibbernd im Weiher hockte. Verzweifelt hoffte ich, dass die Kutsche bald erscheinen möge.

Frühnebel lag über dem Tal und hüllte alles in einen sanften Schleier. Doch endlich wurde Hufgetrappel laut, die Stunde der Wahrheit war gekommen.

Mit einem triumphierenden Grinsen in meine Richtung sprang der Gestiefelte mitten auf die Straße und verneigte sich hochherrschaftlich vor dem heranbrausenden Gefährt …

Ich bin dann mal die Schaufel holen!

 

 

 

Christiane Bößel

 

Christiane Bößel ist 1975 in Augsburg geboren. Ursprünglich hat sie einen ganz soliden Beruf gelernt und als Krankenschwester gearbeitet, bevor sie Germanistik und Philosophie studierte.

Mit ihren Geschichten hat sie mehrmals den Augsburger »Poetry Slam« und einen Schreibwettbewerb gewonnen. Ihr erster Roman »Liebessprung«, der Auftakt zu einer Trilogie über Liz und Vincent, erschien im Dezember 2015 im Lente Verlag. Der zweite Teil »Herzenssprung« folgt im April 2016.

Weil das Leben nicht aus Schubladen besteht, sind auch ihre Geschichten ein Mix aus heiter und ernst, Liebe, Erotik, Fantasy und SF.

Sie lebt mit Mann, Sohn und Kater als Landei in Bayern. Wenn sie nicht schreibt, verschlingt sie Unmengen an digitalen und gedruckten Büchern. Neben Buchstaben liebt sie Nudelgerichte, ihren Garten und die Berge.

 

 

Mission Maunzi

 

Ich hasse es, wenn der Tag damit beginnt, dass ich eine überfahrene Katze begraben muss. Aber irgendjemand musste es tun. Also erbarmte ich mich.

Die Einheimischen schien es nicht zu stören, dass die Katze bereits seit einer Woche im Straßengraben lag. Ihr Bein war gebrochen, zumindest vermutete ich das, denn es ragte in einem nicht ergonomischen Winkel nach oben. Nicht einmal eine Katze hätte sich so freiwillig platziert. Und wir alle wissen, wie seltsam diese zuweilen daliegen.

Ob sie innere Verletzungen hatte, an denen sie gestorben war, konnte ich nicht diagnostizieren. Außer dem abstehenden Bein, mit dem sie einem Brathähnchen ähnelte, schien ihr Körper unversehrt. Soweit man diesen erbärmlichen Zustand so nennen konnte. Sie hatte es sich sicher auch nicht freiwillig in diesem Straßengraben bequem gemacht. Stattdessen war sie wahrscheinlich von einem rasenden Tuck-Tuck überfahren und dorthin geschleudert worden.

Neben der toten Katze stapelte sich Abfall, organischer und Plastik, Essensreste, Verpackungen, Flaschen, zerfetzte Autoreifen, ein einzelner Schuh, ein zerzauster Teddy ohne Ohren und ein Armstumpf, aus dem Füllwolle herausquoll. Ein Spatz badete in einer Colapfütze. Hoffentlich blieb er nicht kleben.

Eine Müllabfuhr existierte hier nicht. In der Mittagshitze stieg das Thermometer oftmals über 45 Grad. Dementsprechend stank es auch. Nach Tod, vergammeltem Essen, verschiedensten Körperaus- scheidungen und Staub.

Täglich kamen wir, auf dem Weg zum Strand, an der schwarz-weißen Katze vorbei. Am ersten Tag sah sie noch aus wie ein profaner Straßenstreuner. Struppig und abgemagert. Aber eben tot. Kurze Zeit später schon traten ihre Augen hervor, wie bei drei Tage altem Fisch. Unbehaglich wechselte ich die Straßenseite, da ich mir beobachtet vorkam.

Von Tag zu Tag blähte sich ihr Körper durch die Hitze und die Verwesungsgase immer weiter auf. Bis sie die Form und das Aussehen eines pelzigen Fußballs erreichte. Man hätte sie mit einem Fußtritt über die Straße rollen lassen können. Ich hatte Angst, dass sie jeden Moment explodieren und mir ihre Innereien um die Ohren fliegen würden. Die Vorstellung gefiel mir nicht besonders.

Nicht, weil ich seit Jahren vegetarisch lebte. Katzenfleisch hätte ich auch als Fleischesser abgelehnt. Sondern vor allem deswegen, weil es in unserem Hostel keine funktionierende Waschmaschine gab. Das Badezimmer bestand lediglich aus einer etwa ein Quadratmeter großen, gemauerten Wanne, in der man sich mit kaltem Wasser aus einer Regentonne übergießen musste. Das entsprach nicht meinen Hygienevorstellungen, wenn man sich von Katzenleichenteilen befreien muss.

Als ich ein Kind war, wohnten wir in einem Haus am Waldrand. Regelmäßig fand ich in unserem Garten tote Tiere. Eichhörnchen, die von einem Marder halb angenagt liegen gelassen worden waren. Vögelchen, die aus dem Nest gefallen und einsam verendet waren. Zerfetzte Mäusekadaver, vertrocknete Regenwürmer und einmal sogar den Schenkel eines Rehs.

Ich beerdigte sie alle auf dem Komposthaufen. In die lehmige Erde Löcher zu buddeln, war mir zu mühsam. Dazu sprach ich ein kurzes Gebet und steckte ein selbst gebasteltes Kreuz aus Stöckchen dazu. Erst viel später wurde mir bewusst, dass ich jahrelang Zucchini gegessen hatte, die auf Tierkadavern gewachsen waren.

 

In der Nacht wachte ich auf, von der stickigen Hitze, vom lauten Schreien der Geckos und dem Fauchen kämpfender Katzen. Maunzi, wie ich das flauschige Kugeltier inzwischen nannte, würde nie mehr kämpfen können, nie mehr fauchen, nie mehr Geckos jagen.

Aus einem spontanen Impuls heraus schälte ich mich aus dem Bett. Ich schüttelte die Kakerlaken aus meinen Schuhen, schlüpfte in Shirt und kurze Hose und schrieb eine kurze Nachricht für meine Zimmernachbarn. Maunzi verdiente ein ordentliches Begräbnis. Niemand, auch keine Katze, sollte tot und aufgebläht im Straßengraben liegen.

Ich stellte mir vor, dass mich nach meinem Tod jemand einfach so lange unbeachtet liegen ließ, bis sich mein Innerstes nach außen kehrte. Und damit meine ich nicht die Seele oder etwas ähnlich Esoterisches. Ja, ich wollte der Welt etwas Großes hinterlassen, aber garantiert keine stinkenden Darmfetzen und Hirnschnipsel an der Raufasertapete.

An meinem Ziel angekommen setzte ich mich auf den Bürgersteig.