Impressum

1. Auflage 2016

© Dryas Verlag

Herausgeber: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Der Roman erschien in Deutschland bereits 2013 im Tally-Ho! Verlag unter dem Titel „Das Geheimnis von Benwick Castle. Stableford in Schottland." Die vorliegende Ausgabe wurde komplett überarbeitet.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herstellung: Goldfinch Verlag, Frankfurt am Main

Lektorat: Kristina Frenzel, Berlin

Korrektorat: Birgit Rentz, Itzehoe

Umschlaggestaltung: © Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de), Julia Jonas unter Verwendung von Motiven von Thinkstock

Skizzen Buchende © Rob Reef

Satz: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

ISBN Print 978-3-940258-49-6, ISBN E-Book 978-3-940258-53-3

www.dryas.de


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Das Geheimnis von Benwick Castle

 

Ein Stableford-Krimi aus Schottland

von Rob Reef

 

Am Ende des Buches findet der interessierte Leser ein „Kleines Golf-Glossar“, „Adrian Benwicks Skizze“ sowie eine „Detailskizze von Brigadun“.

 

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Lesetipps

Der erste Fall: "Stableford"


 

Dryas Verlag, ISBN Print 978-3-940258-67-0, ISBN E-Book 978-3-940258-61-8

 

Schottland 1937: Sir Alasdair Benwick, Hausherr einer im Rannoch Moor gelegenen Burg, ist verschwunden. Er wollte seine Anwälte in Glasgow aufsuchen, doch auf dem Weg dorthin verliert sich seine Spur.
Da die Polizei keinen Anhaltspunkt für ein Verbrechen findet und folglich keine Ermittlungen aufnimmt, bittet Sir Alasdairs Bruder Adrian den Detektiv John Stableford um Hilfe. Dieser sagt zu und macht sich gemeinsam mit seiner Frau Harriet, Dr. Holmes und dessen neuester Eroberung Lady Penelope auf den Weg in die schottischen Highlands.






Verbrechen in Cornwall: "Die Tote von Higher Barton"


 

Goldfinch Verlag, ISBN Print 978-3-940258-14-4, ISBN E-Book 978-3-940258-12-0

 

Mabel Clarence ist sich sicher: Noch vor ein paar Minuten lag in der Bibliothek des Herrenhauses eine kostümierte tote Frau – erdrosselt mit einem Strick. Doch nun ist sie verschwunden, ohne jede Spur. Und wo keine Leiche, da keine Ermittlungen. Glauben schenkt der älteren Besucherin aus London nur ein kauziger Tierarzt. Also stellt Mabel in bester Miss-Marple-Manier eigene Nachforschungen an und versinkt immer tiefer im undurchsichtigen Sumpf der Vergangenheit – bis sie selbst in die Schusslinie des Mörders gerät …
Very British – ein spannender Krimi in düster-idyllischem Cornwall-Ambiente.






Mörder in Oxford: "Die Toten vom Madgdalen College"


 

Goldfinch Verlag, ISBN Print 978-3-940258-39-7, ISBN E-Book 978-3-940258-42-7

 

Bei einem Alumni-Dinner im Magdalen College der Universität Oxford bricht ein wichtiger Lokalpolitiker tot zusammen. Er wurde vergiftet, doch keiner der Gäste an seinem Tisch will etwas gesehen haben.
Und auch bei ihren weiteren Nachforschungen stoßen Inspector Heidi Green und ihr neuer Kollege Frederick Collins von der Thames Valley Police auf eisernes Schweigen. Nur eins steht fest: Ein paar der Ehemaligen hüten ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit. Bald gibt es eine zweite Leiche …
Ein Oxford-Krimi mit überraschenden Wendungen, der Einblicke in die Welt der altehrwürdigen Universitätsstadt Oxford gewährt.

 

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Wenn es für einen Mord überhaupt einen besseren Ort als ein englisches Landhaus gibt, dann ist es eine schottische Burg.
Todd Downing

 

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KLEINES GOLF-GLOSSAR

ABSCHLAG: Der Abschlag ist der Beginn jeder einzelnen Spielbahn.

ANNÄHERUNG: Den Schlag, mit dem der Spieler das Grün anspielt, nennt man Annäherung.

AUS: Beim Aus handelt es sich um die fest definierten Grenzen eines Golfplatzes. Ein ins Aus gespielter Ball zieht einen Strafschlag nach sich. Vom Ort des Fehlschlages muss ein neuer Ball ins Spiel gebracht werden.

BIRDIE: Ein Birdie ist ein mit einem Schlag unter Par gespieltes Loch (z. B. ein mit 2 Schlägen absolviertes Par-3-Loch).

BOGEY: Ein Bogey ist ein mit einem Schlag über Par gespieltes Loch (z. B. ein mit 4 Schlägen absolviertes Par-3-Loch).

BUNKER: Ein mit Sand gefülltes Hindernis, das in der Regel auf dem Fairway oder rund um das Grün anzutreffen ist.

CADDIE: Der klassische Caddie trägt die Golftasche des Spielers und kennt sich mit den Tücken und Längen des Platzes aus.

DOGLEG: Bezeichnung für ein Loch, dessen Spielbahn nach rechts oder links abknickt.

DOPPELBOGEY ist ein mit zwei Schlägen über Par gespieltes Loch (z. B. ein mit 5 Schlägen absolviertes Par-3-Loch).

DORMY: Führt eine Partei beim Lochspiel mit genau so viel gewonnenen Löchern, wie noch zu spielen sind, so liegt sie „dormy“. Die Gegenpartei muss von nun an alle Löcher gewinnen, um ein Stechen zu erzwingen.

DROPPEN heißt, einen Ball neu ins Spiel zu bringen, indem man ihn mit ausgestrecktem Arm aus Höhe der Schulter fallen lässt. Dies geschieht z. B., wenn der ursprünglich gespielte Ball in einem Wasserhindernis verloren gegangen ist.

EAGLE: ein mit zwei Schlägen unter Par gespieltes Loch.

EHRE: Der Spieler mit dem niedrigsten Handicap hat die Ehre des ersten Abschlags. An den darauf folgenden Löchern hat immer der Spieler die Ehre, der das letzte Loch mit den wenigsten Schlägen absolviert hat.

FAHNE Die Fahne markiert das Loch, damit der Spieler schon von Weitem erkennen kann, wo es sich auf dem Grün befindet.

FAIRWAY: Die kurz gemähte Spielbahn zwischen Abschlag und Grün. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Seefahrt und beschreibt dort eine von Felsen und Untiefen freie Fahrrinne. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts ersetzte er im Golfsport die bis dahin gebräuchliche Bezeichnung „fair green“.

FLIGHT ist die Bezeichnung für eine Gruppe von Spielern, die gemeinsam eine Runde Golf spielen. Bemerkenswerterweise ist dieser Begriff ausgerechnet in angelsächsischen Ländern kaum gebräuchlich.

FORE! ist der Warnruf der Golfer, wenn die Möglichkeit besteht, dass der geschlagene Ball Spieler (auf anderen Bahnen) treffen könnte. Wahrscheinlich stammt der Begriff aus dem Militär und meint „Achtung voraus!“ (Beware before!).

GREENKEEPER: Der Greenkeeper ist für die Pflege und Instandhaltung des Golfplatzes zuständig.

GRÜN: Auf dem Grün befindet sich das Loch. Es ist eine speziell präparierte Fläche, auf der der Ball in der Regel geputtet wird.

HANDICAP: Rechnerisch handelt es sich um die Anzahl der Schläge, die ein Golfer durchschnittlich über den Platzstandard (heute in der Regel 72) hinaus benötigt. Braucht er also beispielsweise im Schnitt 78 Schläge, beträgt sein Handicap „6“.

LINKS nennt man die klassischen Küsten-Golfplätze Großbritanniens.

LOCH: Das Loch ist das Ziel des Golfers auf jeder Golfbahn. Als Loch bezeichnet man auch die gesamte Spielbahn vom Tee bis zum Grün.

LOCHSPIEL: Beim Lochspiel spielen zwei Spieler oder Teams gegeneinander eine vereinbarte Anzahl Löcher. Ein Loch wird von der Partei gewonnen, welche den Ball mit weniger Schlägen einlocht. Bei gleicher Schlagzahl wird das Loch halbiert. Führt eine Partei mit mehr Löchern, als noch zu spielen sind, so gewinnt sie das Lochspiel.

PAR: Für jede Spielbahn ist ein sogenanntes Par definiert, das für die Anzahl von Schlägen steht, die ein sehr guter Golfer durchschnittlich benötigt, um den Ball vom Abschlag in das Loch zu spielen. Das Par ergibt sich aus der Länge der Spielbahn.

PUTT: Der Putt ist jener Schlag, der, meistens auf dem Grün, mit dem Putter ausgeführt wird. Der Ball fliegt nicht, sondern rollt.

PUTTER: Der zum Einlochen benutzte Schläger mit einer senkrechten Schlagfläche. Grundsätzlich darf zum Putten aber jeder Schläger verwendet werden.

PUTTING GREEN: Ein Übungsgrün mit mehreren Löchern, auf dem das Putten trainiert wird.

ROUGH: Das Rough wird in den Golfregeln nicht besonders definiert. Praktisch bezeichnet man alles, was außerhalb der Fairways oder Grüns liegt, als Rough, also jene Flächen, die nicht oder selten gemäht werden und naturbelassen bleiben.

RUNDE: Unter einer Runde Golf versteht man das Spielen aller Bahnen eines Golfplatzes.

SCHLÄGERNAMEN: Bis in die späten zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts hatten Golfschläger keine Nummern, sondern Namen. Die heute gebräuchliche Nummerierung der Schläger entstand erst Mitte der dreißiger Jahre durch die Massenproduktion und Vermarktung kompletter Schlägersätze. Ein Golfer zwischen 1870 und 1940 hatte sicherlich einige der folgenden Schläger in seiner Golftasche:

BRASSIE: Ein langes Fairway-Holz mit einer Messingplatte auf der Sohle des Schlägerkopfes, die die Schwunggeschwindigkeit erhöht und dem Holz gleichzeitig seinen Namen gab (Messing = engl. Brass).

SPOON: Der Spoon ist mit einem Holz 3 vergleichbar. Der Name entstand durch die Form des Schlägerkopfes, die an einen Löffel erinnert.

DRIVING CLEEK: Dieser Schläger wurde für lange Schläge vom Tee und auf dem Fairway benutzt. Er entspricht in etwa dem heutigen Eisen 1.

MASHIE: Ein Eisenschläger für hohe Schläge. Er wurde um 1880 eingeführt und entspricht einem heutigen Eisen 5.

LOFTER: Ein dem Eisen 8 vergleichbarer Schläger für Annäherungen.

NIBLICK: Ein Eisenschläger für schlechte Balllagen und Annäherungsschläge. Am ehesten vergleichbar mit einem heutigen Eisen 9 oder Pitching Wedge.

SAND IRON: Das Sandeisen ist der Vorgänger des 1928 erstmals patentierten Sand Wedges, das Gene Sarazen Anfang der dreißiger Jahre populär machte. Ein kurzes, schweres Eisen für Schläge aus Sandbunkern und anderen prekären Lagen.

SCORE: Der Score ist das erzielte Ergebnis bzw. die Anzahl der Schläge, die ein Golfer auf einer Runde benötigt hat.

SCOREKARTE: Hier sind alle wichtigen Angaben zu jedem Loch verzeichnet. Auf der Scorekarte trägt man die an den einzelnen Löchern erzielten Ergebnisse ein.

STABLEFORD: Eine 1931 zum ersten Mal dokumentierte Golf-Zählmethode, die auf den englischen Arzt Dr. Frank Stableford zurückgeht. Stableford war ein exzellenter Golfer, dem – wie vielen anderen Klubmitgliedern – die starken Winde auf seinem Heimatplatz Wallasey zu schaffen machten. Er begann mit den erzielten Scores zu experimentieren und erfand so ein Zählsystem, das sich den gnadenlosen Regeln des Zählspiels entzog und selbst die Ballaufnahme an einzelnen Löchern möglich machte, ohne dem Golfer den Spaß am Spiel und an seinem Score zu verderben. Beim Stableford sammelt der Spieler Punkte, die er nicht wieder verlieren kann. So erhält er z. B. für ein erzieltes Bogey einen Punkt, für ein Par zwei Punkte und für ein Birdie drei Punkte.

Die heute übliche Nettowertung nach Stableford, bei der der Golfer sogenannte Vorgabeschläge bekommt, die auf die zu spielenden Löcher verteilt werden, hat – wie die Errechnung des Handicaps nach Stableford – nichts mit der ursprünglichen Idee des Arztes zu tun.

STRAFSCHLAG: Beim Golfen gibt es diverse Spielsituationen, bei denen sich ein Spieler einen Strafschlag zu seinem Score hinzuzurechnen hat. Am häufigsten geschieht dies, wenn ein Ball ins Aus gespielt, für unspielbar erklärt oder nicht mehr wiedergefunden wird.

TEE: Dieser Begriff hat zwei Bedeutungen: Zum einen wird damit der Abschlag bezeichnet, zum anderen der kleine Holz- oder Plastikstift, mit dem der Spieler seinen Ball aufteet. Ursprünglich errichtete der Caddie einen kleinen Sandhaufen, auf den der Ball zum Abschlag aufgesetzt wurde.

THREESOME: Eine Lochspielvariante, bei der ein Einzelspieler gegen ein Team aus zwei Spielern antritt, wobei die Teamspieler ihren Ball abwechselnd schlagen.

TOPFBUNKER: Ein kleiner, tiefer und meist runder Bunker mit hohen Bunkerwänden wird Topfbunker genannt. Topfbunker sind die typischen Sandhindernisse auf britischen Links.

WASSER: Wasserhindernissen sagt man eine magische Anziehungskraft auf Bälle nach. Landet der Ball im Wasser, darf nach bestimmten Regeln und unter Hinzurechnung eines Strafschlages ein neuer Ball ins Spiel gebracht werden.

ZÄHLSPIEL: Beim Zählspiel spielen mehrere Spieler einzeln oder als Team gegeneinander eine festgesetzte Anzahl an Löchern. Gewonnen hat am Ende, wer in der Summe die wenigsten Schläge benötigt hat.

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Golf-Glossar

Bilder

Impressum

Lesetipps

 

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Detailskizze
Detailskizze von Brigadun



Adrian Benwicks Skizze
Adrian Benwicks Skizze

KAPITEL 1: Der Brief

 

Benwick Castle, Brigadun, Argyllshire

 

Sehr geehrter Herr,

ich wende mich an Sie, da sich sowohl die örtliche Polizei als auch Scotland Yard außerstande sehen, uns in unserer Not zu helfen. Mit großer Spannung habe ich Ihren Detektivroman „Tod auf dem Golfplatz“ gelesen, der, wie die Zeitungen berichteten, auf einer wahren Begebenheit beruht.1 Aus der von Ihnen gewählten Erzählperspektive und Ihrer Namensgleichheit mit dem dort auftretenden Detektiv Stanford Blake darf ich schließen, dass der Roman in gewisser Weise autobiografisch zu lesen ist. Ihr detektivischer Spürsinn und Ihre scharfsinnigen Beobachtungen erinnerten mich unweigerlich an die Fälle des berühmten Sherlock Holmes, und so fasste ich den Mut, Ihnen zu schreiben und Sie, Mr Blake, um Hilfe zu bitten.

Ihr Verleger Mr Montgomerie, mit dem ich kurzerhand Kontak aufgenommen hatte, um Ihre Adresse zu erfahren, bestärkte mich in meinem Anliegen, da er vorsichtig andeutete, dass Sie durchaus auf der Suche nach neuen Motiven und Anregungen für einen zweiten Roman sind. Lassen Sie sich an dieser Stelle versichern, dass unser schottisches Hochland viele ungelöste Rätsel und unheimliche Geschichten für Sie bereithält. Tatsächlich bewohne ich selbst ein Zimmer, in dem es einst gespukt haben soll – aber ich schweife ab.

Ich schilderte also Mr Montgomerie mein Vorhaben, Sie und ausdrücklich auch Ihre sympathischen Mitstreiter aus Ihrem ersten Abenteuer, Miss Pimms und Dr Haynes, nach Brigadun einzuladen. Da er Ihnen ja wohl auch schon einen Tapetenwechsel als natürliches Stimulans für Ihre schöpferische Tätigkeit als Schriftsteller empfohlen hatte, war er von meiner Idee mehr als begeistert. Er bat mich, meinen Brief zu Ihren Händen direkt an das Verlagshaus Montgomerie & Son zu senden, da ihm sehr daran gelegen zu sein scheint, Ihre Adresse geheim zu halten. In der Hoffnung, dass Sie dieser Brief erreicht, komme ich nun endlich zu dem Umstand, welcher mich dazu bewegt, Ihnen zu schreiben.

Vor fast einem Monat, am Morgen des 13. August, verließ mein geliebter Bruder, Sir Alasdair, unsere inmitten des Rannoch Moores gelegene Burg, um für zwei Tage in Glasgow seinen Geschäften nachzugehen. Es handelte sich dabei meines Wissens um Vermögensangelegenheiten, auf die ich an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingehen möchte. Nachdem wir gut eine Woche voller Sorge auf seine Rückkehr gewartet hatten, reiste ihm mein Neffe Lance Benwick hinterher. Er musste jedoch feststellen, dass mein Bruder weder das von ihm bevorzugte Hamsley Hotel bewohnte noch mit seiner Kanzlei, den Herren Gore, McMillan & Gore, in der Zwischenzeit Kontakt aufgenommen hatte.

Meine Schwägerin Lady Jennifer beteuert immer wieder, dass er sich von ihr am besagten Morgen in bester Laune und Gesundheit in der Halle von Benwick Castle verabschiedet hat. Und Mrs Ponsonby, die mit ihrem Mann und ihrer Tochter ein Cottage in der unmittelbaren Nähe der Burg in Brigadun bewohnt, sah ihn wohl kurz darauf mit seiner Reisetasche in der Hand in Richtung der Scheune gehen. Mit unserem Transportrad muss er dann zur Bahnstation nach Rannoch gefahren sein. Wir besitzen zwar auch ein Automobil, benutzen es für diesen Weg aber sehr selten, da er dem Ostufer des Loch Laidon nur mühsam abgerungen worden ist und man auf zwei Rädern einfach schneller vorankommt.

In Rannoch verliert sich die Spur meines Bruders. Der Schaffner des infrage kommenden Zuges war erst seit kurzer Zeit für diese Strecke eingeteilt, und da wir Brigadun nur selten verlassen, war ihm Sir Alasdair gänzlich unbekannt. Mein jüngerer Neffe Vin Benwick hat mit dem Schaffner gesprochen und immerhin erfahren, dass am besagten 13. August zwei Herren an der Bahnstation von Rannoch in den Zug eingestiegen sind. Beschreiben konnte der Schaffner sie nicht, jedoch erinnerte er sich, dass einer der Männer eine Golftasche bei sich trug. Dieser Mann muss mein Bruder gewesen sein, denn wir stellten gleich nach Vins Rückkehr fest, dass sich Sir Alasdairs Golftasche tatsächlich nicht an ihrem gewohnten Ort in der Scheune befand, ein Umstand, der uns zunächst jedoch nicht weiter verwunderte, da er sie oft mit auf Reisen nimmt.

Sie müssen wissen, dass mein Bruder ein ausgezeichneter Golfer und geradezu besessen von diesem Spiel ist. Er hat direkt an unserer Burg einen Platz anlegen lassen. Mehr als drei Löcher konnten dem Moor und den Felsen zwar nicht abgerungen werden – und zugegebenermaßen sind es eher drei Abschläge und drei Grüns, denn die Fairways hat sich das Heidekraut weitgehend zurückerobert. Aber es vergeht praktisch kein Tag hier in Brigadun, an dem mein Bruder nicht mit mir, seinen Söhnen oder Dr Goodyear, dem jüngsten Mitglied unserer Gemeinschaft, ein paar Löcher spielt. Ich nehme an, dass auch Sie sich eine Runde nicht entgehen lassen werden, falls Sie meiner Einladung folgen, denn sicherlich ist Ihr Spiel weitaus besser, als Sie es in Ihrem Roman auf so köstlich humoristische Weise beschrieben haben. Aber ich schweife schon wieder ab.

Es ist nun gerade die von uns festgestellte Abwesenheit der Golftasche, auf die sich die Meinung der Polizei stützt, dass Sir Alasdair, ohne uns davon in Kenntnis gesetzt zu haben, eine längere Reise geplant haben könnte. Sie glauben, dass er sich eine Art „Auszeit“ nimmt und in St. Andrews oder Cruden Bay seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Golfspiel, nachgeht.

Natürlich kennt die Polizei meinen Bruder nicht. Aber ich kenne ihn, Mr Blake, und ich weiß, dass er seinen Hof und seine Forschungen hier in Brigadun um nichts in der Welt über Wochen verlassen beziehungsweise vernachlässigen würde, ohne genaue Instruktionen zu hinterlassen, wie es mit den Grabungen am Osthang und der Observation des Loch Laidon in seiner Abwesenheit weitergehen soll.

Da es mir meine Gesundheit nicht erlaubt, Brigadun zu verlassen, bitte ich Sie inständig, das Angebot anzunehmen, für einige Tage mit Ihren Gefährten unsere Gäste zu sein, um von hier aus, wenn ich so sagen darf, „die Fährte aufzunehmen“. Ich bin mir fast sicher, dass Sie aus den Gesprächen mit mir und den anderen Bewohnern sowie aus den Unterlagen und Aufzeichnungen meines Bruders, die ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stellen würde, Anhaltspunkte für seinen Verbleib finden werden.

Mit der Hoffnung auf Ihr Kommen verbleibe ich

Ihr ergebener

Adrian Benwick


1. Nachzulesen in Rob Reef: „Stableford. Ein Golf-Krimi aus Cornwall“, Frankfurt am Main 2015.

KAPITEL 2: Mrs Stableford

Harriet saß an einem für vier Personen eingedeckten Tischchen zwischen Palmen und tropischen Blumenarrangements und betrachtete versonnen den schmalen Goldring mit dem umlaufenden Blattmuster an ihrem linken Ringfinger. Seit ein paar Tagen war sie nun Mrs John Stableford.

Nicht weit von ihr plätscherte leise ein barock verzierter Brunnen und ein Streichquartett spielte Johann Strauss’ „An der schönen blauen Donau“. Dass es sich bei diesem Ort nicht um ein extravagant gewähltes Flitterwochendomizil, sondern um den Palm Court des Ritz handelte, der für den Afternoon Tea genutzt wurde, war Harriet egal. Sie und John hatten sich gegen eine teure Reise entschieden und suchten stattdessen nach einem kleinen Cottage außerhalb von London. Dennoch verrieten die langen Gesprächspausen und die kaum angetasteten Sandwiches und Süßigkeiten auf den Tellern der Etagere eine erste eheliche Verstimmung.

„Und es macht dir wirklich nichts aus?“, fragte John vorsichtig zum wiederholten Male.

„Wirklich nicht“, antwortete Harriet kurz und ließ dann die letzten Tage in Gedanken Revue passieren.

Vor nicht einmal einer Woche waren sie nach Yorkshire gereist, wo sie ihr Vater, der Reverend Dr Samuel Taylor, Vikar von Upper Biggins, getraut hatte. Es war eine kleine Feier gewesen, und obwohl sich die Taylors gewundert hatten, dass John nur einen Gast – Percy – eingeladen hatte, waren sie mit „Harrys“ Wahl mehr als zufrieden gewesen: Der Literaturprofessor aus London war respektabel, zuvorkommend und charmant und Percy hatte ein Bonmot nach dem anderen geliefert, sodass selbst Harriets an Ernsthaftigkeit leidender Vater sein Lachen oft nicht mehr hinter den vorgeblichen Hustenattacken hatte verstecken können. Nur als Percy kurz nach der Trauung versucht hatte, sie in den nächstgelegenen Pub zu entführen, hatte die gute Stimmung für einen Moment zu kippen gedroht. Er hatte von diesem Brauch auf einer Reise nach Süddeutschland gehört und es für eine witzige Idee gehalten, auf diese Weise Johns deutsche Wurzeln mütterlicherseits zu würdigen. Die Empörung der Hochzeitsgesellschaft hatte jedoch deutlich gezeigt, dass Upper Biggins für derlei kosmopolitische Ideen noch nicht bereit war.

Percy war ein Schatz, aber seine unkonventionelle Art war einfach nicht jedermanns Sache. Der Gedanke daran brachte Harriet zurück in die Gegenwart. Seine Unpünktlichkeit war notorisch, heute jedoch übertrieb er es wirklich damit! Sie blickte auf und betrachtete John, der verstohlen nach seiner Armbanduhr schaute. Er war dreiundvierzig, schlank und mittelgroß. Seine braunen Augen wirkten lebendig und melancholisch zugleich. In seinem Mundwinkel steckte die kurze Bulldog-Pfeife, die er – wie ihr manchmal schien – nur zum Schlafen beiseitelegte, und über seine rechte Augenbraue lief eine Narbe, die ihm etwas Verwegenes gab, über deren Herkunft er jedoch beharrlich schwieg.

Tatsächlich wusste Harriet wenig über Johns Vergangenheit, aber sie musste sich eingestehen, dass sie diesen Umstand nicht unattraktiv fand. Er ließ ihn geheimnisvoll wirken. Unheimlich waren allerdings seine regelmäßig wiederkehrenden Albträume, in denen er Deutsch sprach. Sie verstand nur einzelne Worte, hatte sich jedoch zusammengereimt, dass es etwas mit dem Großen Krieg zu tun haben musste. Wenn sie ihn darauf ansprach, wich er ihr aus. Über seine Kriegserlebnisse war nichts aus ihm herauszubekommen.

„Du weißt, dass nur ein Wort nötig ist und ich rufe Mr Montgomerie an und sage unsere Reise in die Highlands ab“, versuchte sich John in diesem Moment an einer Variation desselben Themas und griff nach ihrer Hand.

„Ach, John!“, antwortete Harriet mit gespielter Entrüstung. „Wenn du wandern gehen willst, gehen wir wandern. Ob in Schottland, Tirol oder auf die Osterinsel, das ist mir egal. Wenn ich dir verzeihen kann, dass mein Alter Ego in deinem Roman ‚Maggie Pimms, genannt Socket‘ heißt, dann werde ich mit dir auch einen Wanderurlaub in den Highlands überstehen. Ich weiß, wie wichtig dir deine noch so junge Karriere als Detektivroman-Autor ist. Und wenn du glaubst, dass dir diese Reise vielleicht bei der Suche nach einem neuen Stoff für ein weiteres Abenteuer deines Meisterdetektivs helfen könnte, wird Socket nicht von seiner Seite weichen. Ich hoffe nur, dass Percys Bein keine Schwierigkeiten macht – von seiner Begleitung ganz zu schweigen.“

„Er war begeistert und versicherte mir, dass seine Kriegsverletzung beim Wandern kein Hindernis darstellt. Und vielleicht ist Hattie, wie er seine neueste Eroberung am Telefon nannte, nicht halb so arrogant, wie du glaubst.“

„Das will ich hoffen!“, sagte eine amüsierte Stimme hinter ihnen. „Denn meine Arroganz reicht für zwei. Wäre Lady Penelope Hatton nur halb so arrogant wie ich, würden wir uns wohl kaum so trefflich vertragen – meinst du nicht auch, Hattie?“

„Wer behauptet denn, dass wir uns vertragen?“, fragte die schlanke hochgewachsene Dame, die neben Percy stand, und lachte. „Sie müssen Socket sein! Percy hat mir schon so viel von Ihnen erzählt.“

KAPITEL 3: Mr Stanford Blake

Stableford spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Er blickte zu Harriet hinüber und stellte mit einer gewissen Genugtuung fest, dass auch ihr Gesicht fast das Rot der Blumenbouquets neben ihr angenommen hatte.

Wie schön sie ist, dachte er unvermittelt.

Die Farbe stand ihr ausgezeichnet – sie passte zu ihren graublauen Augen und den kupferfarbenen Locken, die sie seit ihrer Hochzeit mit einem kurzen Pagenschnitt zu bändigen versuchte. Die neue Frisur und das elegante Kostüm, das ihre zierliche Gestalt betonte, ließen sie ein wenig älter als neunundzwanzig wirken.

Während Stableford darüber nachdachte, ob dies Absicht war, fiel ihm auf, dass die beiden Neuankömmlinge noch immer standen. Er riss sich zusammen und bat sie, Platz zu nehmen. Sir Perceval Holmes, ein großer, hager wirkender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, setzte sich neben ihn, Lady Penelope, die Stableford auf Anfang vierzig schätzte, neben Harriet. Holmes hatte seiner Begleitung offenbar von Harriets früherer Arbeit als Künstlermodell erzählt, denn obwohl man den Erstkontakt kaum als glücklich bezeichnen konnte, verfielen die beiden Frauen praktisch sofort in ein angeregtes Gespräch über die reiche, psychologisch deutbare Symbolik in der modernen Malerei.

In einer kurzen Gesprächspause ergriff schließlich Holmes das Wort: „Also, mein lieber Stableford. Sie haben uns hierher eingeladen, um uns mehr von Ihrem Plan für eine gemeinsame Highland-Reise zu erzählen, die, wie ich aus Ihrem geheimnisvollen Anruf schließen darf, in Verbindung mit Ihrer neuen Tätigkeit als Detektivroman-Autor steht. Ich wiederum habe Hattie mitgebracht, da eine Reise mit einem frisch vermählten – und ich hoffe doch noch frisch verliebten – Paar für mich sehr einsam ausfallen könnte. Also bat ich sie darum, uns zu begleiten. Aus mir unerfindlichen Gründen hat sie zugesagt, obwohl doch jeder weiß, dass sich Psychiater und Psychoanalytiker bis ins Unterbewusste misstrauen.“

„Du bist schrecklich“, unterbrach ihn Lady Penelope. „Ich habe zugesagt, weil ich deine Freunde kennenlernen wollte. Ich hielt Sie beide nämlich anfänglich für Ausgeburten seiner Fantasie. Es ist mir aus eigener Erfahrung nahezu unverständlich, wie ein egozentrischer Zyniker wie Percy Kontakte knüpfen und halten kann. Sie müssen wissen, dass meine Konsultationsräume genau gegenüber seiner psychiatrischen Praxis in der Harley Street liegen. Über Wochen sah ich Percy am Fenster stehen. Tat ich es ihm gleich, wich er in die Tiefe seines Sprechzimmers zurück. Schließlich habe ich ihn vor seiner Praxis abgefangen und zum Lunch ins Kettner’s eingeladen – natürlich unter dem Vorwand eines Fachgesprächs. Dieses ‚Gespräch‘ führen wir nun schon seit fast einem Monat jeden Dienstag und Donnerstag und mittlerweile winkt er immerhin zurück, wenn ich ihn am Fenster entdecke.“

„Wuff“, bellte Holmes und verursachte damit einiges Aufsehen im Saal. „Pawlow hätte seine Freude an uns. Sie hat mich mit der Aussicht auf unsere gemeinsamen Mittagessen ganz klassisch konditioniert. Wenn sie all meine Reflexmuster entschlüsselt hat, bin ich geliefert.“

„Ist er nicht romantisch?“, flüsterte Lady Penelope mit einem Augenzwinkern in Richtung Harriet. „Psychoanalytisch betrachtet wäre sein Platz eher auf der Couch als im Sessel an deren Kopfende.“

„Mein Platz ist an deiner Seite, Hattie“, bemerkte Holmes fröhlich. „Die Wahl des Möbels überlasse ich dir. Aber wollen Sie uns nicht endlich von der geplanten Reise erzählen, bevor mich meine Begleitung weiter analysiert, mein lieber Stableford?“

„Nun“, begann Stableford zögernd, „da unsere Reise tatsächlich in gewisser Weise mit meinem ersten Roman in Verbindung steht, ist es zunächst vielleicht sinnvoll, Lady Penelope kurz über den Autor dieses Werkes, Stanford Blake, aufzuklären.“

„Ausgezeichnet!“, rief Holmes. „Damit hätten wir dann recht zügig alle Peinlichkeiten abgearbeitet. Schießen Sie los!“

„Wahrscheinlich hat Ihnen Dr. Holmes bereits von unserem gemeinsamen Wochenende in Cornwall erzählt, Lady Penelope. Der Fall sorgte damals ja für einiges Aufsehen.“

„Sie meinen die Morde in Peters Peter?“

„Ganz genau. Nun, Ende Oktober, kurz nach unserer Rückkehr nach London, sprach mich ein Verleger an – Mr Montgomerie vom Verlagshaus Montgomerie & Son. Er hatte von der ganzen Angelegenheit aus der Zeitung erfahren – die Blätter berichteten ja damals ausführlich über den Fall und unsere Rolle darin. Mr Montgomerie fragte mich also, ob ich Interesse hätte, meine Erlebnisse in Form eines Detektivromans niederzuschreiben. Tatsächlich hatte ich schon früher daran gedacht, einen solchen Roman zu verfassen, denn Sie müssen wissen, dass ich für dieses Genre eine gewisse Leidenschaft hege. Ich sagte also zu und nach nur vier Monaten war das Manuskript fertig. Mr Montgomerie zeigte sich begeistert, beharrte jedoch darauf, dass sich mein Name, John Stableford, nicht für einen Detektivroman-Autor eignet. Er stelle sich etwas Reißerisches vor, ‚einen Namen so kühl wie Stahl, mit dem Klang eines Pistolenschusses‘, sagte er, wenn ich mich richtig erinnere.“

Lady Penelope lachte.

„Ich hielt das zunächst auch für einen Scherz“, erklärte Stableford, „doch die Suche nach einem Nom de Plume wurde für Mr Montgomerie zu einer fixen Idee. Für ihn stand oder fiel der Erfolg des Buches mit dem richtigen Pseudonym des Autors. Etwa eine Woche vor der Drucklegung trafen wir uns am Abend, ich weiß nicht zum wievielten Male, in seinem Büro, und nach Stunden vergeblichen Suchens verließ ich ihn völlig entnervt mit der Aussage, dass er sich das Pseudonym aussuchen könne, sofern es aus den Buchstaben meines vollen Namens, John Wickham Stableford, gebildet würde. Am nächsten Morgen rief er mich an und erzählte mir stolz, dass er das Problem endlich gelöst hatte. Mittels eines Abzählverses aus seiner Kindheit hatte er sich zwischen seinen zwei Lieblingsschöpfungen entschieden: ‚Rodham Constable‘ hatte verloren, ‚Stanford Blake‘ gewonnen.“

„Da sind dem guten Mr Montgomerie aber ein paar Buchstaben abhandengekommen“, bemerkte Lady Penelope amüsiert.

„Richtig, aber er war so begeistert von seinem Pseudo-Anagramm, dass er mich fragte, ob nicht auch der bis dahin namenlose Gentleman-Detektiv im Roman diesen Namen führen dürfe. Ich willigte ein und das Buch ging in den Druck. So weit, so gut. Vor ein paar Tagen nun erhielt Mr Montgomerie einen Brief, in dem ein gewisser Adrian Benwick eben jenen Stanford Blake um Hilfe bittet. Da die Einladung explizit auch seine Gefährten aus dem ersten Abenteuer einschließt, habe ich dieses Treffen arrangiert.“

„Sie meinen, es gibt wirklich Leute, die zwischen Fiktion und Realität nicht unterscheiden können?“, fragte Lady Penelope ungläubig.

„Also wirklich, Hattie!“, sagte Holmes und lachte. „Mein berühmter Namensvetter Sherlock erhält täglich Post aus der ganzen Welt, und gerade du solltest dich doch berufsbedingt mit den Grauzonen des menschlichen Realitätsempfindens auskennen.“

Stableford hatte inzwischen den Brief aus der Innentasche seines Sakkos gezogen, entfaltete ihn und begann laut zu lesen. Als er geendet hatte, blickte er in die Runde.

„Fantastisch!“, brach es aus Holmes heraus. „Auf mich können Sie zählen, Stableford. Das Ganze klingt wie ein – zugegebenermaßen recht langer – Klappentext auf einem Ihrer so geliebten Detektivromane. Wir reisen nach Schottland und servieren Scotland Yard bei unserer Rückkehr ein Fait accompli! Ich befürchte nur, dass Sir Alasdair tatsächlich Cruden Bay unsicher macht und sich Lady Jennifer auf eine Golf spielende Rivalin einstellen muss.“

Lady Penelope war sichtlich skeptisch. „Kann das wahr sein?“, fragte sie halblaut, mehr zu sich selbst. „Das Ganze klingt doch eher wie ein Scherz. Lady Jennifer, Lance und Vin auf einer Burg?“

„Nicht wahr?“, fiel Harriet ein. „Als mir John den Brief zum ersten Mal vorlas, musste ich auch sofort an Camelot und die Legenden um König Artus denken: an seine Gemahlin Lady Guinevere und die Ritter Sir Lancelot und Sir Gawain. Natürlich sind diese Namen in ihren teils modernisierten Formen heute weit verbreitet, aber die Anhäufung wirkt doch übertrieben.“

„Und Sie sind sich wirklich sicher, dass es sich nicht um einen Scherz handelt?“, fragte nun auch Holmes.

„Sicher bin ich mir nicht“, antwortete Stableford, „allerdings hat Mr Montgomerie heute Morgen einen zweiten Brief mit einer Wegbeschreibung und einer Landkarte erhalten. Er ist nun ähnlich begeistert wie Sie, Holmes, und würde für die Zugtickets und alle anfallenden Kosten aufkommen. Natürlich wittert er die Chance auf einen zweiten Bestseller des tollkühnen Blake. Da ich wiederum auf der Suche nach einem neuen Stoff bin und darüber hinaus noch nie in den Highlands war, würde ich sein Angebot gerne annehmen. Was meinen Sie? Warum sollen wir Mr Benwick nicht bei der Suche nach seinem Bruder helfen und zudem auf einem Golfplatz ohne Fairways spielen? Und wenn es sich doch um einen Scherz handelt, erkunden wir einfach das Rannoch Moor und betrinken uns auf Mr Montgomeries Kosten.“

Holmes wirkte auf einmal nachdenklich. „Der tollkühne Blake … Benwick … Der tollkühne Benwick. Wo habe ich das schon mal gehört? Natürlich! Colonel Carruthers!“

„Meinen Sie den Witze-Erzähler aus Ihrem Golfclub?“, fragte Stableford überrascht.

„Genau den alten Knaben! Wenn er keine Golfwitze erzählt, schwelgt er in Erinnerungen an den Großen Krieg. Er wirkt wie eine lebendig gewordene Kopie des Clubältesten aus P. G. Wodehouses Golfgeschichten. Sie erinnern sich an den namenlosen Burschen, der vornehmlich junge Männer an der Bar abfängt, um ihnen Anekdoten aus der Vergangenheit zu erzählen? Carruthers erinnert mich sehr an ihn, allerdings sind seine Geschichten nicht halb so amüsant. Ich bin mir jedoch sicher, dass er schon einmal vom ‚tollkühnen Benwick‘ erzählt hat. Natürlich gebe ich stets eine wichtige Verabredung vor und suche das Weite, sobald er seine Heldengesänge anstimmt, aber wirklich entkommen kann man ihm nicht und der ‚tollkühne Benwick‘ gehört wahrscheinlich zu seinem Standardrepertoire. Was halten Sie davon, am Samstag eine Runde mit ihm zu spielen und herauszubekommen, ob sein ‚tollkühner Benwick‘ mit unserem vermissten Sir Alasdair verwandt oder vielleicht sogar identisch ist?“

„Abgemacht!“, antwortete Stableford begeistert. „Mir scheint fast, als müsste ich Ihre Rolle in Blakes zweitem Abenteuer ausbauen. Schade nur, dass ich Sie auf Anraten der Verlagsanwälte in ‚Dr Haynes‘ umtaufen musste.“

„Da hat er mehr Glück gehabt als ich“, warf Harriet grollend ein. „Seien Sie bei der Wahl Ihrer Getränke vorsichtig, Lady Penelope! John hat meine bei unserer ersten Verabredung zurück in London in meiner Romanfigur verewigt: Ich bestellte einen Pimm’s Cup Number 1 – und ‚Maggie Pimms‘ war geboren. Stellen Sie sich nur vor, ich hätte Lust auf eine Bloody Mary gehabt!“

„Ich denke, er hielt es für eine romantische Hommage an Ihr Rendezvous“, sagte Lady Penelope. „Lassen Sie uns doch zur Bar hinübergehen und auf unser kommendes Abenteuer anstoßen!“ Sie wandte sich an Holmes und lächelte. „Ich hätte dann übrigens gern einen Between the Sheets, Percy.“

In diesem Moment geschahen zwei Dinge, die Stableford noch nicht erlebt hatte: Holmes war sprachlos und – errötete. Lady Penelope hatte offenbar ein weiteres Reflexmuster ihres Freundes entschlüsselt.

KAPITEL 4: Colonel Carruthers

Stableford stand am Tee des dreizehnten Loches und blinzelte gegen die warme Septembersonne. Die Fairways des Hampstead Golf Club strahlten in einem satten Grün, und in den alten Buchen, die die Spielbahnen säumten, leuchteten die ersten goldenen Blätter. Trotz dieser glorreichen Herbstszenerie war seine Stimmung auf dem Tiefpunkt angelangt. Er hatte auf den ersten zwölf Löchern fünf Bälle verloren. Sein Caddie, ein junger Bursche mit roten Locken und Sommersprossen, hatte ihm auf die Frage, ob er einen generellen Tipp gegen seinen Slice habe, frech geantwortet, er würde sich an seiner Stelle einer anderen Freizeitbeschäftigung zuwenden. Colonel Carruthers dagegen, einem wohlgenährten, schnauzbärtigen Endfünfziger mit rosigen Wangen, mit dem Stableford an diesem Samstagnachmittag ein Team beim Threesome gegen Holmes bildete, gingen selbst vor diesem so wichtigen Abschlag die Golfwitze nicht aus.

„Jetzt wird es ernst, mein Junge“, rumpelte er gut gelaunt und entzündete umständlich seine große Meerschaumpfeife. „Sir Percy liegt dormy, also sechs auf, bei noch sechs ausstehenden Löchern. Wir müssen von nun an alle Löcher gewinnen, um ein Stechen erzwingen zu können. Versuchen Sie einfach, den Ball ins Spiel zu bringen, und vermeiden Sie das Rough auf der linken Seite!“

Stableford nickte und machte sich zum Abschlag bereit.

„Kennen Sie übrigens die Geschichte vom Stoffhändler aus Exeter?“, fragte Carruthers, während Stableford die Mitte des Fairways anvisierte. „Seine Frau wollte eines Tages von ihm wissen, warum er nicht mehr mit seinem guten Freund, dem alten Richter, Golf spiele. Darauf sagte er: ‚Würdest du mit einem Mann spielen, der ständig seine Bälle sucht, sich beim Score gerne zu seinen Gunsten verrechnet und bei jedem missglückten Schlag die obszönsten Schimpfworte benutzt?‘ ‚Sicher nicht, mein Guter‘, antwortete sie entsetzt. ‚Nun‘, erwiderte er, ‚genau das hat sich der Richter wohl auch gedacht.‘“ Carruthers bog sich vor Lachen und Stableford schlug seinen letzten Silver King ins Rough auf der linken Seite.

Da Holmes zuvor seinen White Colonel mittig auf das Fairway gespielt hatte, machten sich die drei Golfer gemeinsam auf die Suche. Carruthers fand schließlich Stablefords Ball, zückte seinen Niblick und schlug den Silver King im hohen Bogen fast tot an die Fahne des kurzen Par-4-Loches.

„Ein tollkühner Schlag“, bemerkte Holmes anerkennend und blinzelte Stableford zu.

„Tollkühn?“ Carruthers stutzte kurz. „Da fällt mir ein: Habe ich Ihnen schon mal vom tollkühnen Benwick erzählt?“

„Sicher nicht, mein lieber Colonel“, antwortete Holmes zufrieden, „aber heben Sie sich diese Geschichte doch für die Club-Bar auf. Ich denke, dass Sie mich gleich auf einen Drink einladen können, denn mein Gefühl sagt mir, dass wir heute nicht über die volle Distanz gehen werden.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging, fast unmerklich das linke Bein nachziehend, zu seinem Ball.

„Ein feiner Kerl“, sagte Carruthers leise zu Stableford. „Ein Granatsplitter hat ihm im Großen Krieg das Bein zerfetzt. Man sagt, er habe drei schwer verletzte Kameraden praktisch auf einem Bein in Sicherheit gebracht, bevor er selbst völlig erschöpft zusammenbrach. Erst Tage später soll man ihn auf dem Schlachtfeld gefunden haben. Sir Percy ist ein wahrer Kriegsheld, meinen Sie nicht?“

Stableford schwieg. Zum einen, weil er sich vorzustellen versuchte, wie Holmes seine Kameraden auf einem Bein in Sicherheit gebracht haben könnte, zum anderen, weil er die Antikriegspassagen aus Holmes’ Pamphlet „Pazifismus, jetzt!“ nur zu gut kannte. Es war gerade dieser übertriebene Heldenkult in Offizierskreisen, mit dem sein Freund dort mit beißender Ironie abgerechnet hatte. Konnte es sein, dass Carruthers nie davon gehört hatte?

Das Geräusch eines perfekt getroffenen Golfballs riss Stableford aus seinen Gedanken. Holmes’ White Colonel kam knapp vier Fuß vor dem Loch zum Liegen.