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Von Qualtinger bis Bernhard

Satire und Satiriker in Österreich seit 1945

 

 

SCHRIFTENREIHE LITERATUR DES
INSTITUTS FÜR ÖSTERREICHKUNDE

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Herausgegeben von Friedbert Aspetsberger
Band 5

Von Qualtinger bis Bernhard

Satire und Satiriker in Österreich seit 1945

Herausgegeben
von
Sigurd Paul Scheichl

STUDIENVerlag Innsbruck-Wien

 

 

www.studienverlag.at

Von Qualtinger bis Bernhard: Satire und Satiriker in Österreich seit 1945 / Sigurd Paul Scheichl (Hrsg.).- Innsbruck ; Wien : StudienVerlag, 1998 (Schriftenreihe Literatur des Instituts für Österreichkunde ; Bd. 5)

ISBN 978-3-7065-5845-7

Umschlaggestaltung: A & U unter Verwendung eines Ausschnitts von “Modo col quale ... ” von G. B. Piranesi

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Martin Adel: Medien des Kabaretts

Ulrike Längle: Satire bei österreichischen Liedermachern

Markus Paul: Das Stechen der Wespen und das Beißen in die Zitrone. Satire in der realistischen Zeitschrift „Wespennest“ und beim sprachkritischen Dichter Reinhard Priessnitz

Wolfgang Hackl: Piefke und Fremde. Tourismus als Thema der Satire in der österreichischen Gegenwartsliteratur

Sigurd Paul Scheichl: Qualtinger, Bronner, Merz – Kabarett in der Ära der Sozialpartnerschaft

Thomas Rothschild: Alois Brandstetter

Alfred Doppler: Die Komödie „Alte Meister“ von Thomas Bernhard als Literatursatire

Gerhard Fuchs: Wolfgang Bauer – Ein Satiriker?

Christina Repolust: Lustvolle Irritationen. Das Wechselspiel von Unterhaltung und Aufklärung in den Trivialromanparodien Christian Wallners

Christoph Janacs: „creative writing“ im (Deutsch-)Unterricht am Beispiel von Satire und Parodie

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Vorwort des Herausgebers

Auch wenn diese Einleitung etwas ausführlicher sein wird, als es in dieser Reihe üblich ist, kann sie doch nicht einmal den Ansatz zu einer Theorie der Satire bieten. Ich verweise dazu auf die wohl beste Abhandlung zum Thema, aus der ich mehrfach zitieren werde: Jürgen BRUMMACK: Zu Begriff und Theorie der Satire. Forschungsbericht, in: Deutsche Vierteljahresschrift 45 (1971), Sonderheft, S. 275–377. Im übrigen gehen auch die Beiträge des Bandes immer wieder auf grundsätzliche Fragen ein.

Wenigstens sei nachdrücklich daran erinnert, daß Satire nicht nur eine literarische Verfahrens-, sondern eher eine universal verbreitete Verhaltensweise ist – und eine recht archaische obendrein. Satire findet sich im Film wie in den grafischen Künsten – Österreichs bekanntester Satiriker ist derzeit mit Sicherheit DEIX –, nicht nur in der Karikatur; auch musikalische Satiren gibt es. Versprachlichte Satire tritt außerhalb der Literatur in allen möglichen Gebrauchsformen auf, auch in journalistischen, im Schlager, in Trivialdramen vom Typ des ‚Sketches‘ und in Formen des Kabaretts, die unter der literarischen Ebene bleiben.

Darüber hinaus ist Satire im Alltag häufig: die Schülerin, die ihren Lehrer imitiert und dadurch dem Gespött der Klasse preisgibt, ist eine Satirikerin. Ähnliches läßt sich über manche Auftritte von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sagen; das Schlagwort vom ‚Unterhaltungswert‘ einzelner Politiker weist in diese Richtung. Ein konkretes Beispiel für solche Alltagssatire: auf einer wissenschaftlichen Tagung fiel ein Teilnehmer durch übereifrige Wortmeldungen in jeder Diskussion auf; der letzte Diskussionsleiter der Veranstaltung, freilich ein hervorragender Kenner satirischer Literatur, reagierte auf dieses Verhalten satirisch: indem er nach dem Vortrag das Wort eben jenem Kollegen erteilte, ohne auch nur den Blick zu dessen Platz zu richten. (Übrigens hatte sich der Übereifrige tatsächlich zu Wort gemeldet ...).

Diese Rolle der Satire im Alltag – auch die traditionellen Maturazeitungen waren satirische Gehversuche –, läßt vermuten, daß die Beschäftigung mit dieser Verfahrensweise auch Selbstbeobachtung von Schülerinnen und Schülern einbeziehen und deren kreatives Potential aktivieren kann; schon von daher läßt sich trotz aller Destruktivität – deretwegen sie in der traditionellen deutschen Ästhetik zugunsten der „Verabsolutierung des versöhnenden Humors“ (BRUMMACK, 328) immer ein wenig am Rande stand – die Einbeziehung der Satire in den Unterricht empfehlen. Zudem ermöglicht die Häufigkeit satirischer Texte in den Medien – beispielsweise bei TRAMONTANA und Elfriede HAMMERL in „profil“ – immer wieder das Anknüpfen an ganz aktuelle Themen.

Was – literarische – Satire nun eigentlich sei, läßt sich schwer definieren. Ganz sicher ist sie keine Gattung; es handelt sich vielmehr um eine Schreibart, eigentlich um eine hinter dem Schreiben stehende Haltung, die in einem literarischen oder anderen Text dominant sein, aber auch nur am Rande, nur an einzelnen Stellen vorkommen kann.

Merkmale satirischen Schreibens sind bei allen Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte (BRUMMACK, 333):

–   der – im Text eher mehr als minder deutlich erkennbare – Angriff, der trotz aller Verallgemeinerbarkeit – allein durch diese sind Satiren über die Zeit ihres Anlasses hinaus lesbar – Wirklichkeitsbezug und Aktualität voraussetzt. Daß Satire immer Aggression ist, hat einen Theodor HAECKER, dessen frühe literarische Arbeiten unter dem Eindruck von Karl KRAUS deutlich satirisch-polemischen Charakter haben, dazu bewogen, nach seiner Wendung zum Katholizismus Satire und christliche Haltung für unvereinbar zu halten;

–   eine Norm, auf die sich der Satiriker beruft; diese Norm braucht nicht ein affirmatives Prinzip zu sein, sondern kann durchaus so etwas wie ein abwesendes Ideal sein, ja – und das ist in der Literatur des 20. Jahrhunderts zunehmend häufiger – das bloße Bewußtsein von der Unzumutbarkeit des Bestehenden. Der Vorwurf, Satire reiße nur nieder und vermöge, wenn sie nicht ein positives Ideal habe, nicht aufzubauen, trifft nicht: das Herausarbeiten des als negativ Empfundenen erfüllt bereits die Forderung nach einer Norm; es gibt auch so etwas wie eine Utopie ex negativo, eine Utopie der Abwesenheit des Schlechten. Hinzuweisen wäre auf die satirische Möglichkeit ‚immanenter Kritik‘, die bei aller Distanz zu einer bestimmten Norm einfach überprüft, ob ein Verhalten, das sich auf diese Norm beruft, ihr auch tatsächlich entspricht – etwa in der Kritik bürgerlicher Moralvorstellungen nicht selten;

–   und, das erscheint mir ganz wichtig, Indirektheit des Schreibens. Wenn ich jemanden als ‚Trottel‘ bezeichne, so ist das auch dann keine Satire, wenn ich (was allzu häufig der Fall ist) Recht habe. Wenn ich schreibe, daß eine – für die Leserinnen und Leser – manifeste Dummheit ‚Zeichen der überragenden Intelligenz‘ des betreffenden Trottels sei, dann habe ich durch Ironie meinen Angriff bis zu einem gewissen Grad ästhetisiert; man kann von ‚Satire‘ sprechen. Es wird also nicht nur angegriffen, sondern durch ästhetische Gestaltung bewältigt (BRUMMACK, 355). Obwohl die – schlecht definierte – Polemik ebenfalls mit Mitteln der Indirektheit arbeitet, ist wahrscheinlich doch im unterschiedlichen Ausmaß von Direktheit oder Indirektheit die Differenz zwischen Polemik und Satire zu suchen. Noch deutlicher ist die Besonderheit der Satire vielleicht zu fassen, wenn man sie mit der Predigt vergleicht, die die Norm und, mindestens nicht selten, auch die aggressive Intention mit der Satire gemeinsam hat und wie diese ‚bessern‘ will, aber eben direkt und nicht indirekt vorgeht.

Neben das – wichtige – moralische und neben das psychologische Element der Aggression hat also auch ein ästhetisches zu treten, damit man von ‚Satire‘ sprechen kann. Jürgen BRUMMACK (282) definiert so Satire schließlich als „ästhetisch sozialisierte Aggression“. Zwar hat sie immer einen Zweck, ist sie nie völlig autonom, richtet sich auch immer an ein zumeist genau definierbares Publikum, das sie bis zu einem gewissen Grad bessern will oder bessern zu können vorgibt; doch arbeitet sie mit den gleichen Verfahrensweisen wie sogenannte ästhetisch autonome Gebilde.

Wichtig ist gerade unter diesem ästhetischen Aspekt die Transformation des Anlasses in eine Art Fiktion, in der zum Beispiel reale Menschen sich plötzlich als literarische Figuren wiederfinden können. Diese Transformation ist eine Voraussetzung für die Verallgemeinerung des Angriffs, von der bereits die Rede gewesen ist. Zu dieser Fiktion gehört auch die Einführung eines satirischen Ich, das man nicht ohne weiteres mit dem Autor identifizieren darf; zwischen dem Menschen Karl KRAUS und dem Autor der „Fackel“ besteht ein großer Unterschied.

Satirische Texte sind einerseits aus ihrem Kontext heraus als solche zu erkennen; daneben gibt es aber eine Reihe von sprachlichen Merkmalen, von Stilelementen, die uns auch dann dazu zwingen, einen Text als satirisch zu verstehen, wenn wir den Kontext nicht genau kennen. Denn Satiriker und Satirikerinnen setzen in ihren indirekten Angriffen bevorzugt bestimmte sprachliche Verfahrensweisen ein. Gerade wegen der Verbreitung von Satire auch in der Alltagskultur und wegen ihrer ästhetischen Indirektheit ist es ein wünschenswertes Ziel, Schüler zum Erkennen dieser sprachlichen Merkmale zu erziehen und damit ihre Kommunikationsfähigkeit zu erweitern. (An der Universität habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß Studierende mit Ironie und Satire in Texten große Schwierigkeiten hatten.) Leider muß ich mich auf einige Andeutungen über diese sprachlichen Signale beschränken; in den Beiträgen des Bandes finden sich aber genügend Beispiele.

Kennzeichnend für satirische Texte, Satiresignale sind vor allem rhetorische Mittel mit zuspitzendem und kontrastierendem, mit witzigem‘ Effekt, Verstöße gegen Erwartungen, die durch sprachliche Regeln im allgemeinen, durch den Kontext und den Kotext im besonderen aufgebaut werden. Ein schönes Beispiel für einen solchen Bruch mit Kontextwissen, aus einem bundesdeutschen Kabarett, mit ebenfalls typischen Retardierungseffekten: „Wir alle kennen jene erschütternden Bilder: Kilometerlange Menschenschlagen stehen nach minderwertiger Nahrung an. Sie wissen ja sicher alle, was ich meine: Ich rede von McDonalds nach Schulschluß.“ Als solche Verstöße gegen Erwartetes sind auch alle Arten von ‚Pointen‘ anzusehen, die den Witz, aber auch eine so formbewußte Gattung wie das Epigramm geradezu definieren, die jedoch ebenso im Dialog eines Dramas vorkommen können. So die unerwartete Negation in der Replik eines Revolverjournalisten bei Karl KRAUS: „Ich arbeite an einem sehr wichtigen Artikel, der nicht erscheinen soll. Und zwar schon morgen.“ (Die Unüberwindlichen). Ein anderes Beispiel ist die Pointe eines GRILLPARZER’SCHEN Epigramms (1848):

Herr Alfred Becker und Friedrich Hebbel,
Sie tappen beid in ästhetischem Nebbel,
Gefällt euch das doppelte B aber nicht,
So denkt, es sei ein Nebel, der dicht.

Hierher gehören viele Formen bewußt eingesetzter Verstöße gegen sprachliche und stilistische Normen – die von GRILLPARZER mit der normwidrigen Orthografie geradezu thematisiert werden. Der Stilbruch ist ein wichtiges Signal für Satire, so in der Kontrastierung von Pathos und Umgangssprache, im Einbau eines Archaismus in einen modernen Kotext oder in der Verwendung eines im jeweiligen Kotext völlig unangemessenen Bildes. Ein Beispiel für den Sprung aus der Umgangs- in eine klischeehafte Hochsprache aus dem „Herrn Karl“: „Sogar g’heirat hab i – I man, im Leben eines jeden Mannes kommt der Zeitpunkt, wo er ein Zuhause braucht. Ein Heim. I hab mi kirchlich trauen lassen ...“ Ein durch seine unfunktionale Genauigkeit unangemessenes und daher auf eine satirische Absicht deutendes Bild ist in Christian WALLNERS Kriminalroman-Parodien die Beschreibung eines Tiroler Detektivs als „so zäh wie eine Zirbe oberhalb der Baumgrenze“.

Dem Stilbruch ist in mancher Hinsicht die Parodie verwandt, die entweder einen bekannten Stoff in einer diesem Stoff vollkommen inadäquaten Sprache behandelt (BLUMAUERS „Äneis travestiert“ aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert) und dadurch den Stoff oder/und die Sprache als fragwürdig hinstellt oder bekannte Sprachmuster auf einen ganz und gar inadäquaten Stoffbereich anwendet. Die Parodie ist ein Genre; doch gibt es in vielen Texten immer wieder parodistische Einzelzüge, die auf satirische Intentionen hindeuten, etwa Erich KÄSTNERS Vers “Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?” Auch die Übertragung eines Handlungsmusters aus einem sozialen Bereich oder einer Epoche in ein anderes Umfeld kann als parodistisch bezeichnet werden.

Wie fruchtbar die Parodie für ein besseres Verständnis von Literatur sein kann, beweist die „Einübung in die Literaturwissenschaft“ – Einübung, nicht Einführung – von Harald FRICKE und Rüdiger ZYMNER (Paderborn 1991; UTB 1616). Eben weil die Parodie genaue Kenntnis der stilistischen Merkmale des parodierten Textes verlangt, eignet sie sich besonders zur Einübung in den Umgang mit Literatur.

Ähnlich wie der Stilbruch funktioniert die Antiklimax. Übertreibende rhetorische Figuren wie die Hyperbel und die Klimax – und zumal die Häufung solcher Figuren – sind als potentielle Signale für Satire ebenso zu nennen wie ihr Gegenteil, das Understatement, und wie alle Formen des Wortspiels, die ein Zusammengehören von Unzusammengehörigem suggerieren oder eine Beziehung unterstreichen – wenn etwa ein ländlicher Fremdenverkehrsfunktionär bei QUALTINGER als „Wurzersepp“ in Erscheinung tritt, also der urige ländliche Typ des ‚Wurzelsepps‘ mit dem ‚Würzen‘ der Touristen in den Fremdenverkehrsorten in Verbindung gebracht wird. Das Oxymoron wird in satirischen Texten ebenso zu finden sein wie stärker ausgebaute Formen von Paradoxie.

In die Reihe der Signale für Ironie (als Verfahrensweise), Parodie und damit Satire würde ich den witzig falschen Gebrauch von Redewendungen einordnen, ein sehr häufiges Signal dieser Art – vermutlich weil er eine besonders festgefahrene Erwartung enttäuscht. Beispielsweise haben bei der Befreiung eines gefesselten Detektivs dessen Freunde „alle Hände beziehungsweise Messer voll zu tun“ (WALLNER) – zugleich ein Beispiel für die ähnlich funktionierende witzige Remotivierung von Metafern, wie, im selben Text, ein Kautschukband, das sich als ein brauchbares, „wenn auch dehnbares Indiz“ erweist. Ebenso passen hieher manifeste Verstöße gegen Regeln der Syntax oder der Textkohärenz, auch der Logik, für die die schon zitierte unerwartete Negation bei KRAUS ebenso ein Beispiel ist wie die Stelle aus Alois BRANDSTETTERS Kurztext „Ludwig Thoma“: „Das Jahr 1907 ist das Jahr der großen Pläne. Die Uraufführung findet im Münchener Residenz-Theater statt. Bei jeder Witterung geht Thoma hinaus ins Revier.“ Auch die rhetorische Figur des Zeugmas kann in diesem Zusammenhang genannt werden, mit einem Beispiel aus Jean PAUL: „Als Viktor zu Joachime kam, hatte sie Kopfschmerzen und Putzjungfern bei sich.“

Von größter Bedeutung ist die Ironie, die freilich selbst wieder schwer zu erkennen ist, denn „das allgemeine Signal der Ironie ist der Kontext“ (LAUSBERG). LAUSBERG definiert sie „als die Benutzung des parteiischen Vokabulars der Gegenpartei im festen Vertrauen darauf, daß das Publikum die Unglaubwürdigkeit dieses Vokabulars erkennt, wodurch dann die Glaubwürdigkeit der eigenen Partei um so mehr sichergestellt wird, so daß die ironischen Wörter im Enderfolg in einem Sinne verstanden werden, der ihrem eigentlichen Sinn entgegengesetzt ist.“

Mit einer besonderen Form von Ironie haben wir es in Texten wie dem „Untertan“ von Heinrich MANN oder, uns näherliegend, dem „Herrn Karl“ von QUALTINGER und MERZ zu tun, in denen eine Figur so ekelhafte Dinge sagt, daß wir zur Parteinahme gegen sie und ihre Positionen gezwungen sind. Während hier Ironie den ganzen Text bestimmt, kann sie in anderen Fällen nur in einzelnen Passagen zu bemerken sein; sie ist dann fast immer ein Signal für satirische Absichten an den Stellen, an denen sie eingesetzt wird.

Damit sind wir schließlich bei allen Formen von Imitation und Zitat, die – wenn wir sie nur als solche erkennen – zumeist satirische Funktion haben, beim Zitat zumindest dann, wenn es in einem ganz anderen Kontext steht. Das Zitieren im anderen Kontext – das dann oft als Stilbruch erscheint – ist die satirische Technik von Karl KRAUS; die satirische Imitation beispielsweise von Politikern findet sich vom Kabarett bis zum Stammtisch so gut wie überall.

Eine Literaturtagung zum Thema ‚Satire‘ erschien nicht nur deshalb angezeigt, weil diese Verfahrensweise für die Literatur des 20. Jahrhunderts in besonderem Maße konstitutiv ist – worauf hinzuweisen besonders Helmut ARNTZEN nicht müde wird nicht nur deshalb, weil das Achten auf satirische Züge eines Textes eine besondere Schulung des Lesens fordert und damit auch didaktisch interessant ist, sondern selbstverständlich auch deshalb, weil die Literatur Österreichs eine besonders reiche, freilich nicht ungern verdrängte und insbesondere in früheren Lesebüchern kaum je präsente Tradition satirischen Schreibens hat. Wenn wir auf das 19. Jahrhundert zurückblicken, ist die politische Lyrik des Vormärz (Anastasius GRÜN, GRILLPARZER) ein wesentlicher Beitrag zur Geschichte der Satire. NESTROY brauche ich nicht ausdrücklich zu erwähnen; hingegen wird oft übersehen, daß GRILLPARZER in seiner nicht-erzählenden Prosa wie in seiner (zumeist erst nach seinem Tod veröffentlichten) epigrammatischen Lyrik ein bedeutender Satiriker gewesen ist. Spuren davon finden sich auch in seinen Dramen, ohnehin in „Weh dem der lügt“, aber wohl doch auch in der „Jüdin von Toledo“, zumal in der Replik der Esther an die Mörder Rachels. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet sich witzige Satire im Wiener Feuilleton, besonders bei Daniel SPITZER. Es lohnt sich auch, SCHNITZLERS „Reigen“ wie den „Leutnant Gustl“ unter dem Aspekt der Satire zu lesen. Karl KRAUS ist sicher der Höhepunkt der Satire in Österreich, vielleicht überhaupt in der deutschen Literatur.

Belege für Satire in der Literatur Österreichs der Gegenwart finden sich in diesem Band in großer Zahl, obwohl sich die Liste der behandelten Autorinnen und Autoren noch um einige erweitern ließe: ich erwähne nur die Integration des Sprachexperiments in sehr gesellschaftsbezogene satirische Strategien bei dem Südtiroler Autor Matthias SCHÖNWEGER, die witzigen Kurztexte von Antonio FIAN und Margit HAHNS unheimliche Geschichten, die – auch – Satiren auf das Genre der Liebesgeschichte sind. Interessant ist ferner das Gewicht der zu den „brauchbaren Texten“ gehörenden Satire in politisch engagierten Zeitschriften und Kalendern, auch in eigenen (oft kurzlebigen) satirischen Zeitschriften. Hier ist noch viel zu finden und wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Die in diesem Band veröffentlichten Referate versuchen einerseits, auf mediale Bedingungen satirischer Texte (etwa in der Verbindung mit dem Kabarett sowie mit Rundfunk, Fernsehen und Schallplatte) und auf unkonventionelle, von der Literaturwissenschaft oft vernachlässigte, gleichwohl aber populäre Materialien aufmerksam zu machen – so auf satirische Elemente bei Liedermachern (von denen sonst schwer zugängliche Texte abgedruckt werden) –; andererseits an konkreten Beispielen – Helmut QUALTINGER, Thomas BERNHARD, Alois BRANDSTETTER, Christian WALLNER – Tendenzen satirischen Schreibens in Österreich seit den fünfziger Jahren aufzuzeigen. In den Referaten wie in den Diskussionen tauchte dabei immer wieder die Frage auf, wie unversöhnlich ein Text sein muß, um als satirisch angesehen zu werden. In anderer Weise wird die Frage nach Grenzen der Satire auch von Markus Paul gestellt: darüber, ob ‚experimentelle‘ Texte als eine Art Globalsatire auf den Umgang mit Sprache verstanden werden können, muß weiter diskutiert werden. Daß literarische Arbeiten, die zunächst ausgeprägte satirische Züge aufzuweisen scheinen, letztlich doch besser in andere Zusammenhänge eingeordnet werden, machte beispielhaft der Vortrag von Gerhard Fuchs über Wolfgang BAUER bewußt. Wolfgang Hackl zeigt die großen Unterschiede in der Wirkung von satirischen Texten, die das Objekt ihrer satirischen Aggression gemeinsam haben. Die Sonderstellung des Referats von Christoph Janacs mit seinen konkret didaktischen Überlegungen braucht nicht ausdrücklich unterstrichen zu werden.

Ein auf der Tagung gehaltener Vortrag über Satirikerinnen fehlt leider in diesem Band, nicht durch die Schuld des Herausgebers. Das ist bedauerlich, da die weibliche Satire – so ist Elfriede JELINEK unbedingt unter diesem Gesichtspunkt zu würdigen – in der gegenwärtigen Literatur Österreichs großes Gewicht hat; leider ließ sich keine andere Mitarbeiterin für dieses Thema gewinnen. Der auf einem an anderem Ort gehaltenen Vortrag beruhende Beitrag des Herausgebers über QUALTINGER kann diese Lücke nicht schließen.

Daß die im Herbst 1991 auf einer Literaturtagung des Instituts für Österreichkunde in St. Pölten gehaltenen Vorträge so lange unpubliziert geblieben sind, hängt mit organisatorischen Schwierigkeiten dieses Instituts zusammen. Da eine Übersicht über satirische Verfahrensweisen in Gegenwartsliteratur aus Österreich nach wie vor fehlt, scheint die Veröffentlichung der, wo nötig, zumindest bibliografisch aktualisierten Referate auch heute noch sinnvoll. Eine Übersicht über neue satirische Literatur aus Österreich gibt auch dieser Band selbstverständlich nicht, aber er analysiert exemplarisch wichtige österreichische Beispiele für diese Verfahrensweise und schafft so wenigstens eine Voraussetzung für eine Synthese.

Abschließend bleibt mir noch zu danken. Die Zusammenarbeit mit Prof. Möcker und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Institut für Österreichkunde war bei der Organisation der Tagung sehr angenehm. Die Lesung Christian Wallners wird allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Tagung so wie mir in bester Erinnerung bleiben. Friedbert Aspetsberger hat als Herausgeber der Buchreihe die Möglichkeit geschaffen, daß diese Aufsätze nun doch erscheinen. Ulrike Bragagna-Haberfellner hat die Druckvorlage hergestellt. Da es allzu oft als Selbstverständlichkeit hingenommen wird, sei auch ausdrücklich gesagt, daß ohne die Infrastruktur eines Universitätsinstituts ein solches Buch nicht entstehen könnte. Danken muß ich schließlich dem Verlag, den Subventionsgebern und insbesondere den Referentinnen und Referenten für ihre Beiträge.

Zuletzt sei die Hoffnung ausgesprochen, daß der Unterhaltungswert, den Satire immer hat, durch die germanistische Analyse nicht völlig verdeckt werden möge. Es wird ja nicht nur analysiert, sondern auch zitiert ...

Martin Adel

Medien des Kabaretts

Je länger ich über den Titel „Medien des Kabaretts“ nachgedacht habe, desto ungreifbarer ist er mir erschienen, denn beide Begriffe machen sich dünn, wenn man sie auf ihre exakte Bedeutung hin abklopfen oder gar festnageln möchte. Meint man sie gefaßt zu haben, so geht es einem wie dem Hasen mit dem Igel; sie sind „flüchtig“. Sie nehmen nicht reißaus, nein, dahinter stehen nicht berechnende Feigheit oder der Gedanke, daß man sich dem drohenden Zugriff vernünftigerweise durch Flucht entzieht, sondern die Flüchtigkeit ist ihr Wesen; das der Medien wie das des Kabaretts. Ob diese These die beiden Flüchtigen doch noch ins Netz treibt, werden wir sehen.

Ich lüfte ein wenig den Vorhang dieser kryptischen, märchenhaften Andeutungen. Wenn wir ‚Medium‘ nicht bloß als relativ jungen Begriff für die gedruckten, technischen oder elektronischen Hilfsmittel der Kommunikation begreifen, sondern allgemein als Transportmittel, als Übermittler in unserem Wunsch nach sozialem Ausdruck, dann fallen wir zunächst auf unsere ureigensten Mittel zurück: auf Mimik, auf die nicht nur etymologisch verwandte Pantomime und natürlich auf das Sprechen; auf unsere unmittelbaren Medien der Kommunikation. Es gibt keine Kommunikation ohne Medien und keine Medien ohne Kommunikation. Und Kabarett ist seinem Wesen nach in erster Linie Kommunikation und nicht Produktion oder Kontemplation. Selbstverständlich ist der Umkehrschluß nicht erlaubt, und nicht jedes Geplauder in der U-Bahn (beispielsweise; ich benütze sie beinahe täglich mehrmals) Kabarett. Obwohl, manchmal denke ich: das wäre Kabarett-reif gewesen. – Sitzt ein junger, leicht angetrunkener Mann unweit von mir. Er rülpst. Sein Nachbar und offenkundig Spezi darauf: „Geh erzöhl a‘ bißl mehr von dahaam!“ Situationskomik, Witz, Schlagfertigkeit; aus der Unmittelbarkeit der erhellende Satz, der die sehr wahrscheinliche Angewidertheit der Umstehenden gerade noch umdreht. In ergötzliches Lachen, vielleicht sogar in ein sozialtherapeutisches Lachen.

Anlaß und spontane Reaktion, die Szene selber ist flüchtig, aber die Wirkung hält an. Immerhin hat sich dieser Vorfall tatsächlich zugetragen, vor rund 20 Jahren in einer Straßenbahn der Linie 67 in der Nähe des Südtirolerplatzes in Wien. Kabarett kann diese ‚Echtheit‘ nicht erreichen, nur nachspielen, aber mit durchaus vergleichbarer Wirkung.

Schon vor einigen Monaten machte ich mir eine erste Notiz zum Thema. Leider weiß ich nur noch ungefähr, was ich am Weg vom Funkhaus zur U-Bahn auf einen benützten Briefumschlag gekritzelt habe, denn auch er hat sich verflüchtigt. Aber der Grundgedanke ist mir noch erinnerlich.

Das Kabarett ist ein Spiel mit der Improvisation und mit dem Publikum. Und ich hatte vor, vorgetäuscht-spielerisch improvisierend zu beginnen so wie Lukas RESETARITS, wenn er wie ehedem als Kartenabreißer – für seinen abhanden gekommenen, ‚flüchtigen‘ Chef einspringt: die einstudierte Improvisation. Auch seine Spickzettel waren ebenso doppelbödig, denn am Beginn der Spielzeit eines neuen Programms beherrschte er seinen Text meistens tatsächlich noch nicht zur Gänze. Das nennt man: aus der Not eine Tugend machen. Aber es ist mehr: Aus der Notwendigkeit wurde auf der Bühne ein Spiel mit der Notwendigkeit: Er bediente sich der Notwendigkeit als Teil des Spiels und des Spiels als Teil der Notwendigkeit. Das sind keine Wortklaubereien; das Wesentliche dabei war, daß das Mittel und das, was er spielte, eine Fusion eingingen, die in beide Richtungen aktiv war: eben als Spiel und als Notwendigkeit. Das Medium und das Kabarett fielen in eins. Ist das nun ein Einzelfall oder ein Fallbeispiel für einen Regelsatz? Die Sache ist verzwickt, denn was ist nun der Aussage (oder dem Inhalt) zuzuschlagen, was der Vermittlung (oder der Form)? Es spricht zwar vieles für den Regelsatz „Kabarett ist Medium“, aber zugleich landen wir mitten in der endlosen Form-Inhalt-Debatte, die zumeist bei der Diskussion über die Unsterblichkeit der Maikäfer endet. Wissenschaftliche Glaubensbekenntnisse sind nun einmal schwerlich mit Gewinn zu diskutieren. Also zurück zu ‚Kabarett‘ und ‚Medium‘, und versuchen wir das getrennt festzunageln, was vereint sich in die Allgemeinheit verflüchtigt hat.

Der Witz aus der Schräglage

Zuerst ‚Kabarett‘. Ich will Sie nicht mit Definitionsversuchen quälen, aber trotzdem: ‚Kabarett‘: Ist das Satire? Ist es Witz? Oder, um den armen GRABBE zum ungezählten Mal zu bemühen, gleich Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, „all rolled into one“? Wie dem auch sei, ich glaube, Kabarett ist so etwas wie eine künstliche Schräglage, aus der Altbekanntes, das man vielleicht bis zum Überdruß kennt oder bereits achtlos übersieht, nicht wieder als vages déjà-vu, sondern wieder hell und überdeutlich präsent wird. Es ist kein Spiel mit Unbekannten. Es hat – soweit mir bekannt ist – nichts grundsätzlich Neues zu bieten außer eben eine erneuerte, geschärfte Sicht. Innovation ist nicht eigentlich sein Gegenstand, sondern zeigt sich in dessen Präsentation: in der karikierenden Überzeichnung (Objektbezogen) oder in der extremen Interpretation (Subjekt-bezogen). Aber man muß wohl dazusagen: Die Realität war dem Kabarett immer schon voraus, auch wenn erst dem politischen Kabarett der Gegenwart das so richtig zum Dilemma geworden ist.

Doch das führt uns weg. Sehen wir uns lieber die Schräglage aus größerer Nähe an. Im wesentlichen ist sie nichts anderes als eine Überraschung und eine Verzerrung. – Nicht immer hat dabei die Absicht bestanden, durch die Verzerrung der Realität deren eigentliche Verzerrung (Mißstände zum Beispiel oder Vorurteile) aufzuzeigen oder gar wieder zurechtzuzerren. Das ist nicht einmal in der klassischen Satire der Fall und auch nicht im Altwiener Volksstück. Selbst der geniale Sprachwitz NESTROYS treibt seine Blüten häufig auf dem Terrain des Klischees. Am schärfsten scheint der Unterschied von luzider, geistreicher Einsicht und dem affirmativen Lachreiz beim Witz zu sein; bei seinem Funken oder seiner Pointe. Das Lachen setzt sich nämlich – scheinbar oder anscheinend – hinweg, erweist sich als stärker und siegreich über Thema, Person oder Objekt. Das kann ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ sein: Das Lachen verbündet sich mit berechtigter Kritik und mit Niedertracht, es kann kathartisch therapeutische Wirkung hervorrufen, Widerstandskraft aufrichten oder aber den status quo bestätigen.

Das Kabarett nun hat als Lachanstalt vielleicht insofern ein gewisses Alibi, als die von mir so genannte Schräglage als solche schon etwas quasi Subversives enthält, sich gegen das Etablierte wendet. Kabarett ist so etwas wie ein Minderheitenprogramm oder auch pikaresker Blick von unten, tendenziell. Es neigt jedenfalls eher zu Kritik als zu Affirmation. So möchte man attestieren. Es bleibt allerdings der nicht unbegründete Zweifel, ob es denn gänzlich unverschuldet ist, wenn das Publikum nur der Erheiterung wegen kommt. Das soll es ja geben. Und die Frage schließt sich an: Lacht das Publikum, weil die Pointe so brilliant-komisch gebracht war oder weil sie darüber hinaus argumentativ besticht. Ich hätte beinahe gesagt ‚überzeugt‘. Aber zum einen: Kabarett hat auch etwas von ‚Agitprop‘ im kleinen Rahmen. Sind also die ins Kabarett Eilenden nicht schon vorauseilend von der Richtigkeit der zu erwartenden Kritik überzeugt? Zum anderen: Kritik kann auch so seicht sein, daß sie gar nicht ernsthaft als solche verstanden wird, zum Geblödel verkommt. Drittens und letztens denke ich zum Beispiel an jene Wiener oder Berliner, die vor 1938 bzw. 1933 Fritz GRÜNBAUM mit Lachen begleitet haben, um danach nichts daran zu finden, daß er wie viele vielbeklatschte jüdische Kabarettstars der Zwischenkriegszeit ins KZ kam und nie wieder heraus.

Wir kommen damit wieder in eine heikle und ausufernde literaturtheoretische Diskussion über triviale und Gesinnungsliteratur, über ‚E‘ und ‚U‘. Und die Rezeptionsästhetik klopft bereits an der Tür.

Überraschung als Erwartungshaltung

Wie auch immer. Kabarett ist nicht nur Lachanstalt und hat mit dem Witz zu tun, sondern auch mit Werbung. Das Kabarett wirbt nicht nur um Gleichgesinnte, es bedient sich auch – und, wie ich vermute, schon wesentlich länger als die Marketing-Branche – sprachlicher Mittel, wie wir sie auch von Plakatwänden kennen: „Cosy fan tutte“ oder „Glasnost – Glas Most“. Da wie dort wird mit Sprachspiel und mit dem Überraschungseffekt gearbeitet. Beides gehört selbstverständlich zur Erwartungshaltung des Publikums. Man wartet auf die Überraschung; sie ist inszeniert wie die oben genannte Improvisation oder wie das Erschrecken in der Geisterbahn. Nur, das gute Kabarett weiß sich darüber hinaus im Recht, andere geben sich mit dem Lachen oder dem Nervenkitzel zufrieden. (Soweit auch eine knappe, persönliche Antwort auf die Gesinnungsdiskussion.)

Publikum Unmittelbarkeit Aktualität

Implizit scheint damit bewiesen: Kabarett braucht Publikum. Es lebt von der Interaktion, von der inszenierten, aber letztlich doch unkontrollierten, unkontrollierbaren Reaktion der Zuhörer auf die Darbietung. Diese Verteilung der Rollen hat es im Theater bis ins 18. Jahrhundert hinein gegeben, auf der Volksbühne können wir es auch heute noch erleben; ‚live‘, Leben, Flüchtigkeit. Und mit dem Atmosphärischen sind wir zugleich zur medialen Bestimmung des Mediums ‚Kabarett‘ zurückgekehrt.

Die Atmosphäre des Kabaretts ist dicht, nicht nur vom meist dicht gedrängten Publikum und vom Rauch. Dazu kommt die Erwartung, der Kitzel, daß die Lunte brennt und daß die Essenz der Zeitatmosphäre den Zündstoff abgibt. Aktualität! Die Aktualität heizt ein. Ohne Aktualität geht im Kabarett nichts und geht niemand ins Kabarett. Aber, es ist gleichgültig, in welchem Gewand, in welcher Verkleidung sie daher kommt; das gehört zur Überraschung. Sie sehen, um konkret auf das Thema „Medien des Kabaretts“ eingehen zu können, brauchen wir auch konkrete Beispiele.

Beispiel 1: Heinrich EISENBACH und das Budapester Orpheum Theater; aufgenommen vermutlich im Jahr 1913. Daher die schauerliche Qualität.

Tonbeispiel:

BUDAPESTER „Im Hotel Garni“ (Preiser: PR 9846)1

Eigentlich ist einem bei Anhörung dieses Sketches eher zum Weinen als zum Lachen zu Mute. Aber gehen wir nicht von der heutigen Wirkung aus. Die „Budapester“ werden als erstes österreichisches, oder besser gesagt wienerisches Kabarett gehandelt. Daß es um diese Zeit sonstwo in österreichischen Landen kein Kabarett gab, ist nicht dem Zufall zuzuschreiben. Kabarett gedeiht nur im großstädtischen Milieu, denn nur dort gibt es unpersönlich Atmosphärisches und bürgerliche Öffentlichkeit, nur dort gibt es Anonymität, Klischees und Typen – und das Gefühl, als einzelne Person dem allen gegenüber machtlos ausgeliefert zu sein. Im scheinbaren Gegensatz dazu: In der Direktheit und Unmittelbarkeit des Kabarettetablissements liegt immer auch etwas von Intimität, die uns kurzfristig und emotional von der Anonymität befreit. Eine Ventilfunktion. Erfolgreiches Kabarett bezieht das Publikum ein und beschwört in der einen oder anderen Form Gemeinsamkeit; anders das heutige Theater, die Oper oder gar das Kino, das die Zuschauer – im Gegenteil – vereinzelt. Im Kabarett dagegen wird eben die städtische Vereinzelung kurzfristig aufgehoben, auch im hegelianischen Sinn.

Zurück zu den Budapestern, und bemühen wir einen Zeitgenossen.

Nun, man wird doch da sehen – heißt es in den Stücken jener Budapester Orpheumgesellschaft, die nicht nur in den Leistungen der Herren Eisenbach und Rott das einzige reelle Theatervergnügen bietet, das Wien nach Girardi heute zu bieten hat, sondern die auch als das einzige künstlerische Abbild einer Kulturformation, welches heute auf einem Podium gezeigt wird, mit allem Unflat alles überbietet, was die Theater- oder Taschenspielerei der Berger und Reinhardt imstande ist.2

Soweit Karl KRAUS, der die „Budapester“ gern im Burgtheater gesehen hätte. Man könnte „getrost auch den Schund hinnehmen“3, denn die hinreißenden Leistungen des Budapester Ensembles würden einen mehr als schadlos halten; insbesondere Heinrich EISENBACH, ein „Possenreißer, der zum Erhabenen nicht einmal einen Schritt braucht“.4 Quod erat demonstrandum: Die „Budapester“ waren keine bloß harm- und geschmacklosen Schmierenkomödianten, wie es heute den Anschein haben könnte. Ihr Medium war die Posse, die volksverbundene Satire von unten. Was heute harmlos scheint, war zu seiner Zeit zumeist unmißverständlich kritisch. Nehmen wir Ferdinand RAIMUNDS so harmlos scheinendes Feenmärchen „Die gefesselte Phantasie“ als Zeuge. Was war dieses Stück anderes als Kritik an der neoabsolutistischen Zensur? Nach den Feenmärchen kamen die Zauberpossen, und dann die Possen ohne Zauber, die Possen des industriellen, großstädtischen Zeitalters. Das ist als Geschichte der Zuspitzung zu lesen.

Und noch ein Punkt zur Verteidigung der „Budapester“: Wenn wir heute Schwierigkeiten mit der Form und Bedenken gegen den Inhalt dieser Sketches oder Einakter haben, dann vielleicht auch, weil zwischen damals und unserer Zeit der Holocaust liegt, weil die Judenwitze kaum noch anders denn als Zeichen eines widerwärtigen Rassismus zu verstehen sind und nicht mehr als Beweise jüdischer Selbstkritik. Wer waren die Adressaten der „Budapester“? Sie spielten im 2. Bezirk und auf der Mariahilferstraße. Das Publikum war großteils jüdisch oder zumindest jüdischer Herkunft; ebenso die Theatertruppe. Das einzige nichtjüdische Mitglied des Ensembles war, soweit ich weiß, Hans MOSER, der bei den „Budapestern“ seine Karriere begonnen hat.

Ebenfalls da hat ein anderer Berühmter zu spielen und zu singen begonnen: Armin BERG. Ich kann mich noch erinnern: In den frühen fünfziger Jahren habe ich ihn bei meiner Großmutter im Radio gehört, wie er mit langweilig witziger, monoton süffisanter Stimme die Absurditäten des Alltags besang. Zum Beispiel den „Überzieher“ oder den „Ziegelstein“. Hier das Chanson oder couplethafte Lied „Wenn ein Fräulein ...“. Der Text ist von Louis TAUFSTEIN, der schon für die „Budapester“ eine Reihe von Texten geliefert hatte. Die Aufnahme ist aus dem Jahr 1929, und in das Jahr 1929 fiel der dramatische Auftakt der Weltwirtschaftskrise.

Hörbeispiel

ARMIN BERG (Preiser: PR 9965)

Nach den Possen und Zoten reißenden „Budapestern“ das Lied-Couplet, ebenfalls mit langer Tradition. Aber auch in diesem Fall hat das Ländlich-Vorstädtische dem Großstädtischen Platz gemacht. Vordergründiges Fraternisieren und hinterhältiges (oder) verschmitztes Spiel mit dem Publikum: diese Mischung bringt einen neuen subtileren Ton ins Kabarett. Es ist nicht Entfremdung, die mitklingt, sondern wir spüren Brüchigkeit und merken bei näherem Hinhören, daß dieser Eindruck von der ironischen Bewußtheit Armin BERGS ausgeht und von seinem Vergnügen, auf diesem brüchigen Boden seine Sprach-Pirouetten zu drehen. Am Ende des vorgespielten Lieds läßt er für einen Moment die Maske des Komplizen fallen, und wir sehen einen faunischen, kosmopolitischen Grinser.

Ich versuche nun neben chronologischen und medialen Gesichtspunkten auch noch eine dramaturgische Steigerung, die mit dem folgenden Beispiel ihren Höhepunkt erreicht. Ein früher Superlativ des Kabaretts: die Conference von und mit Fritz GRÜNBAUM.

Hörbeispiel:

FRITZ GRÜNBAUM (Preiser: PR 9999)

GRÜNBAUM war vermutlich der erstaunlichste Kabarettist Österreichs der Zwischenkriegszeit, zugleich vermutlich der Inbegriff des Conferenciers. Anton KUH hat dieses Metier des ‚personifizierten roten Fadens‘ durch das Kabarettprogramm5 so beschrieben: „Er muß so zwanglos und aufgeknöpft sein, daß seine Erscheinung wie ein menschgewordener Toilettefehler wirkt.“ Und ein wenig weiter: die teilnahmslose, verschlafene bis grüblerische Witzigkeit kreditiere dem Conferencier Überlegenheit. „Doch lasse man sich dadurch nicht über die Traurigkeit des Metiers täuschen, dessen Ausüber die Pflicht haben, dem Publikum mittels einer vielzitierten respektlosen Aufforderung eben jene Gunsterweisung zu bezeugen, die darin enthalten ist.“6

GRÜNBAUM könnte KUH zum Modell gedient haben. Doch, so wie Fritz GRÜNBAUM der zu seiner Zeit selbst häufig parodierte Inbegriff des Conferenciers war, so ist der Conferencier quasi der Inbegriff von Kabarett. Und ohne Zweifel gehört es zu den großen Verdiensten GRÜNBAUMS, das interaktive Spiel des konferierenden Entertainers, das mediale Herzstück des Kabaretts, nicht nur intuitiv begriffen, sondern es auch im Kabarett thematisiert zu haben. Wie z. B. in dem berühmt gewordenen Gedicht „Das Cabaret ist mein Ruin!“

Dem Hörer vielleicht ist mein Vortrag ergötzlich,
Ich aber, ich langweil‘ dabei mich entsetzlich!
[...]
Sie lachen freilich bei meinem Witz!
Ich bin doch aber selbst der Blitz.
[...]
Den Witz, den ich doch selbst gemacht,
Muß ich noch bringen jede Nacht!
Das Publikum wechselt, die Wochen verstreichen,
Doch ich und mein Witz, wir bleiben die Gleichen!7

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