Friedrich Hölderlin

Das Werden im Vergehen

Manuskript in Sprache und Schreibweise modernisiert

Impressum

Covergestaltung: andersseitig.de

Digitalisierung: Gunter Pirntke


2016 andersseitig.de

ISBN: 9783961180578


andersseitig Verlag

Dresden


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Das Werden im Vergehen

 

Das untergehende Vaterland, Natur und Menschen, insofern sie in einer besondern Wechselwirkung stehen, eine besondere ideal gewordene Welt, und Verbindung der Dinge ausmachen, und sich insofern auflösen, damit aus ihr und aus dem überbleibenden Geschlechte und den überbleibenden Kräften der Natur, die das andere, reale Prinzip sind, eine neue Welt, eine neue, aber auch besondere Wechselwirkung, sich bilde, so wie jener Untergang aus einer reinen, aber besondern Welt hervorging. Denn die Welt aller Welten, das Alles in Allen, welches immer ist, stellt sich nur in aller Zeit – oder im Untergange oder im Moment, oder genetischer im Werden des Moments und Anfang von Zeit und Welt dar, und dieser Untergang und Anfang ist wie die Sprache Ausdruck Zeichen Darstellung eines lebendigen, aber besondern Ganzen, welches eben wieder in seinen Wirkungen dazu wird, und zwar so, daß in ihm, sowie in der Sprache, von einer Seite weniger oder nichts lebendig Bestehendes, von der anderen Seite alles zu liegen scheint. Im lebendig Bestehenden herrscht eine Beziehungsart, und Stoffart vor; wiewohl alle übrigen darin zu ahnden sind, im übergehenden ist die Möglichkeit aller Beziehungen vorherrschend, doch die besondere ist daraus abzunehmen, zu schöpfen, so dass durch sie Unendlichkeit die endliche Wirkung hervorgeht.

 

Dieser Untergang oder Übergang des Vaterlandes (in diesem Sinne) fühlt sich in den Gliedern der bestehenden Welt so, dass in eben dem Momente und Grade, worin sich das Bestehende auflöst, auch das Neueintretende, Jugendliche, Mögliche sich fühlt. Denn wie könnte die Auflösung empfunden werden ohne Vereinigung, wenn also das Bestehende in seiner Auflösung empfunden werden soll und empfunden wird, so muß dabei das Unerschöpfte und Unerschöpfliche, der Beziehungen und Kräfte, und jene, die Auflösung, mehr durch diese empfunden werden, als umgekehrt, denn aus Nichts wird nichts, und dies gradweise genommen heißt so viel, als dass dasjenige, welches zur Negation gehet, und insofern es aus der Wirklichkeit gehet, und noch nicht ein Mögliches ist, nicht wirken könne.

 

Aber das Mögliche, welches in die Wirklichkeit tritt, indem die Wirklichkeit sich auflöst, dies wirkt, und es bewirkt sowohl die Empfindung der Auflösung als die Erinnerung des Aufgelösten.

Deswegen das durchaus originelle jeder echttragischen Sprache, das immerwährendschöpfrische.. das Entstehen des Individuellen aus Unendlichem, und das Entstehen des Endlichunendlichen oder Individuellewigen aus beeden, das Begreifen, Beleben nicht des unbegreifbar, unselig gewordenen, sondern des unbegreifbaren, des Unseligen der Auflösung, und des Streites des Todes selbst, durch das Harmonische, Begreifliche Lebendige. Es drückt sich hierin nicht der erste rohe in seiner Tiefe dem Leidenden und Betrachtenden noch zu unbekannte Schmerz der Auflösung aus; in diesem ist das Neuentstehende, Idealische, unbestimmt, mehr ein Gegenstand der Furcht, da hingegen die Auflösung an sich, ein Bestehendes selber wirklicher scheint und Reales oder das sich Auflösende im Zustande zwischen Sein und Nichtsein im Notwendigen begriffen ist.

Das neue Leben ist jetzt wirklich, das sich auflösen sollte, und aufgelöst hat, möglich (ideal alt), die Auflösung notwendig und trägt ihren eigentümlichen Charakter zwischen Sein und Nichtsein. Im Zustande zwischen Sein und Nichtsein wird aber überall das Mögliche real, und das Wirkliche ideal, und dies ist in der freien Kunstnachahmung ein furchtbarer, aber göttlicher Traum. Die Auflösung also als Notwendige, auf dem Gesichtpunkte der idealischen Erinnerung, wird als solche idealisches Objekt des neuentwickelten Lebens, ein Rückblick auf den Weg, der zurückgelegt werden musste, vom Anfang der Auflösung bis dahin, wo aus dem neuen Leben eine Erinnerung des Aufgelösten, und daraus, als Erklärung und Vereinigung der Lücke und des Kontrasts, der zwischen dem Neuen und dem Vergangenen stattfindet, die Erinnerung der Auflösung erfolgen kann. Diese idealische Auflösung ist furchtlos. Anfangs- und Endpunkt ist schon gesetzt, gefunden, gesichert, deswegen ist diese Auflösung auch sicherer, unaufhaltsamer, kühner, und sie stellt sie hiermit, als das was sie eigentlich ist, als einen reproduktiven Akt, dar, wodurch das Leben alle seine Punkte durchlauft, und um die ganze Summe zu gewinnen, auf keinem verweilt, auf jedem sich auflöst, um in dem nächsten sich herzustellen; nur dass in dem Grade die Auflösung idealer wird, in welchem sie sich von ihrem Anfangspunkte entfernt, hingegen in eben dem Grade die Herstellung realer, bis endlich aus der Summe dieser in einem Moment unendlich durchlaufenen Empfindungen des Vergehens und Entstehens, ein ganzes Lebensgefühl, und hieraus das einzig ausgeschlossene, das anfänglich aufgelöste in der Erinnerung (durch die Notwendigkeit eines Objekts im vollendetsten Zustande) hervorgeht, und nachdem diese Erinnerung des Aufgelösten, Individuellen mit dem unendlichen Lebensgefühl durch die Erinnerung der Auflösung vereiniget und die Lücke zwischen denselben ausgefüllt ist, so gehet aus dieser Vereinigung und Vergleichung des Vergangenen Einzelnen, und des Unendlichen gegenwärtigen, der eigentlich neue Zustand, der nächste Schritt, der dem Vergangenen folgen soll, hervor.

 

Also in der Erinnerung der Auflösung wird diese, weil ihre beeden Enden fest stehen, ganz der sichere unaufhaltsame kühne Akt, der sie eigentlich ist.

 

Aber diese idealische Auflösung unterscheidet sich auch dadurch von der wirklichen, auch wieder, weil sie aus dem Unendlichgegenwärtigen zum Endlichvergangenen geht, dass 1) auf jedem Punkte derselben Auflösung und Herstellung, 2) ein Punkt in seiner Auflösung und Herstellung mit jedem andern, 3) jeder Punkt in seiner Auflösung und Herstellung mit dem Totalgefühl der Auflösung und Herstellung unendlich verflochtner ist, und alles sich in Schmerz und Freude, in Streit und Frieden, in Bewegung und Ruhe, und Gestalt und Ungestalt unendlicher durchdringt, berühret, und angeht und so ein himmlisches Feuer statt irdischem wirkt.

 

fähigen