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1.

Donegal Daniel O’Flynns helle Stimme war scharf und erregt. Wie ein Trompetensignal gellte sie von dem hohen Felsen hinunter und schreckte die Männer auf.

„Fünf Karavellen!“

Die Soldaten, die an Land schanzten, ließen ihre Spaten sinken. Die Männer auf der „Isabella von Kastilien“ brachen ihre Decksarbeiten ab.

Sie alle starrten zu dem Jungen auf dem hohen Felsen hoch. Dan O’Flynns ausgestreckter rechter Arm wies nach Süden. Der Abendwind zerrte an seinen Haaren und zupfte an seiner Segeltuchjacke.

„Spanische Karavellen! Sie halten auf die Bucht zu!“

Einer der Soldaten schüttelte den Kopf.

„Spanische! Diese Laus da oben spinnt doch. Wie soll man denn spanische Karavellen von portugiesischen oder englischen unterscheiden, he?“

Ein anderer spuckte auf die Erde. Er warf einen trüben Blick auf die Galeone, die etwa dreißig Yards querab von dem Felsen ankerte.

„Wenn’s die spanischen Schneckenfresser sind“, sagte er mißmutig, „können wir die Suppe auslöffeln, und die da drüben können jederzeit ihren Schwanz einziehen und türmen. Soll ich dir mal was sagen?“

„Na?“

„Wir werden noch alle in die Hölle fahren auf dieser verdammten irischen Insel.“

Der andere riß die Augen auf.

„In die Hölle? Wieso das denn?“

„Ich hab so ’n Gefühl ...“ Er brach ab und stieß hastig den Spaten in die Erde.

Ein Riese näherte sich, blieb vor ihnen stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Ist hier Pause oder was?“

Die Soldaten schanzten weiter. Erdreich wurde ausgehoben und ein Laufgraben gezogen. Ein paar der Soldaten fällten in dem angrenzenden Wald Bäume und schleppten die Stämme heran.

Der Riese wandte sich wieder um und blickte zu der Galeone hinüber. Dort legte ein Beiboot ab und wurde von zwei Männern – einem riesigen Neger und einem breitschultrigen Mann – ans Ufer gepullt. Ein dritter Mann saß auf der Achterducht. Als das Boot auf dem Sand auslief, sprang er leichtfüßig an Land und kletterte gewandt wie eine Katze zu dem Jungen auf dem Felsen hoch. Der Riese blickte ihm mit zusammengekniffenen Augen nach.

Der Neger und der andere Mann zogen das Beiboot weiter aufs Land und warteten.

„Profos!“ rief eine nörgelnde Stimme.

Der Riese drehte sich um und ging zu dem Zelt, das unter einem Felsüberhang aufgebaut war.

Wieder ertönte die nörgelnde Stimme. „Wo bleiben Sie denn, Profos?“

Der Profos schlug die Zeltplane am Eingang beiseite und betrat das Zelt.

„Sir?“

Auf dem Feldbett neben dem Klapptisch saß ein fadblonder Mann mit blaßblauen Augen, fleischigen Wangen und einem massiven gespaltenen Kinn – Captain Isaac Henry Burton, Offizier in der Armee Ihrer königlichen Majestät von England.

„Ich möchte baden“, sagte der Captain.

Der Profos blinzelte. Er hatte ein brutales Gesicht und eine niedrige Stirn. Er schob den massigen Kopf etwas vor.

„Baden?“

„Ja, baden. Die Leute sollen Wasser bringen, Süßwasser natürlich. Ist die Segeltuchwanne schon ausgepackt?“

Du hast Sorgen, dachte der Profos. Laut sagte er: „Nein, noch nicht. Die Leute schanzen, Sir. Mit Verlaub, Sir, Verzeihung, wo sollen wir denn Süßwasser herkriegen?“

„Die Leute sollen eine Quelle suchen. Hier wird doch irgendwo eine Quelle sein, nicht wahr?“

Der Profos räusperte sich.

„Jawohl, Sir, Quelle suchen. Ich werde sofort zehn Leute dazu abstellen.“

„Tun Sie das, Profos.“

Der Profos war schon draußen, als ihn die nörgelnde Stimme wieder zurückrief.

„Noch etwas, Profos. Ich hörte da eben etwas von spanischen Karavellen. Warum wird mir das nicht gemeldet?“

Der Profos grinste verkniffen.

„Ich wollte Sie nicht belästigen, Sir. Dieser Bengel von der ‚Isabella‘ hat angeblich Karavellen gesichtet. Wenn Sie mich fragen – der Lümmel will sich nur aufspielen. Genau wie sein Kapitän. Der ist eben zu ihm hochgeklettert.“

„Aha.“ Der Captain langte in eine kleine Reisetruhe neben dem Feldbett, holte eine Flasche und ein Glas heraus, öffnete die Flasche und schenkte das Glas voll. Whisky, wie der Profos feststellte. Er sah, wie die rechte Hand des Captains etwas zitterte.

„Und wenn es spanische Karavellen sind?“ fragte der Captain. Seine fadblauen Augen flackerten ein wenig.

„Dann müßten es tatsächlich die Transportschiffe sein, die unsere Agenten gemeldet haben“, erwiderte der Profos.

„Ah ja, sehr gut.“ Der Captain trank hastig, verschluckte sich und hustete, während sein Gesicht puterrot wurde.

Der Profos rührte sich nicht von der Stelle.

Die Arme des Captains fuhren in die Höhe. Seine fadblauen Augen quollen hervor. Röchelnd kämpfte er um Atem.

„Krieg – krieg keine Luft!“

Erstick doch, du krummer Hund, dachte der Profos.

„Hil-Hilfe!“

Der Profos trat zwei Schritte vor und hämmerte dem Captain die Rechte mehrmals ins Kreuz. Der Captain ächzte, schluckte, schnappte nach Luft, hustete, spuckte, röchelte. Seine Arme sanken wieder nach unten – wie abgekämpft. Sein Atem ging stoßweise.

„Ah. Da-danke, Profos. Es geht schon – ein bißchen verschluckt – wird schon wieder – äh, danke, ich brauche Sie nicht mehr. Was ich noch sagen wollte ...“ Er hustete spuckend. „Diese – äh – Karavellen, ich möchte Meldung haben, wenn Sie etwas Genaueres wissen.“

„Jawohl, Sir.“

Der Profos verließ das Zelt.

Isaac Henry Burton starrte vor sich hin und kaute auf seiner Unterlippe. Dann schenkte er sich wieder ein.

Philip Hasard Killigrew stand neben dem Jungen auf dem Felsen, der an die fünfzig Yards hoch an der Einfahrt zur Bucht aus dem Wasser ragte. Hinter ihnen lag die „Isabella“ vor Anker. Vor ihnen breitete sich die Dungarvanbai aus. Sie erstreckte sich weit nach Westen. Links von ihnen – im Osten – schimmerte die Weite des Süd-Kanals, die Verbindung zwischen der Irischen See und dem Atlantik.

Und dort, vom Süden her, näherten sich fünf Karavellen. Sie segelten vor dem Wind und in Kiellinie. Trotz der beginnenden Abenddämmerung waren sie klar zu erkennen. Sie lagen über Steuerbordbug. Ihre dreieckigen Lateinsegel an den riesigen, schrägstehenden Rahen waren weit ausgebaumt, um den achterlichen Wind voll zu nutzen.

„Spanische“, sagte Dan O’Flynn überzeugt. „Wir fahren diese elend langen Rahen doch schon gar nicht mehr.“ Es klang fast etwas verächtlich, wie er es sagte.

Hasard warf ihm einen kurzen Blick zu.

„Leider“, sagte er knapp.

„Wieso leider?“

„Weil sie schneller als Galeonen und Karacken sind, besser und höher am Wind segeln und mit ihrem flachen Tiefgang noch dort fahren können, wo wir längst aufbrummen. Außerdem sind sie flink und wendig. Für ihre Waffen- und Munitionstransporte hierher nach Irland hätten sich die Spanier keine besseren Schiffe aussuchen können.“

Das Bürschchen schniefte.

„Wenn wir die vor unsere Kanonen kriegen, bleibt keine Planke auf der anderen.“

„Wenn“, sagte Hasard nur und beobachtete die fünf Karavellen.

Die erste luvte etwas an. Ihre Segel wurden dichter geholt. Ihr Bug schwenkte nach Backbord und zeigte jetzt genau auf die Mitte der Einfahrt in die Dungarvanbai. Mit raumem Wind glitt sie näher.

In ihrem Kielwasser schob sich nun auch die zweite Karavelle höher an den Wind, dann die nächste, bis alle auf demselben Kurs wie das Führerschiff lagen.

Hasard drehte sich um und blickte in die versteckte Nebenbucht hinunter, die von Kapitän Francis Drake als Treffpunkt für die drei englischen Galeonen bestimmt worden war. Die „Marygold“ mit Kapitän Drake und die „Santa Cruz“ mit Kapitän Thomas waren noch nicht eingelaufen. Der Teufel mochte wissen, wo sie steckten.

Er, Hasard, hatte die „Isabella“ in der letzten Nacht in die Bucht gesteuert. Am Morgen waren die fünfzig Soldaten mit Captain Burton ausgeschifft worden. Hasard runzelte die Stirn. Den war er erst mal los. Aber daß er mit ihm noch einmal Ärger kriegen würde, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Burton war von Bord gegangen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen oder einen Ton zu sagen.

Dort unter der Felsnase war sein Zelt aufgeschlagen worden, und er hatte sich den ganzen Tag nicht mehr blicken lassen. Um die Truppe hatte sich der Profos gekümmert – auf seine Art. Sein üblicher Verkehrston bestand darin, die Soldaten anzubrüllen. Sie erledigten ihre Schanzarbeiten mit der stoischen Ruhe alter Krieger, die wußten, daß sie beschäftigt werden sollten und ihr befestigtes Lager vielleicht schon morgen wieder geräumt werden würde. Ob der Profos sie anbrüllte oder nicht – ein Bein rissen sie sich bestimmt nicht aus.

Das war vielleicht ein Haufen.

Unwillkürlich wanderte Hasards Blick wieder zur „Isabella“. Seine Männer standen ruhig und abwartend auf ihren Gefechtsstationen, wie er es befohlen hatte, bevor er von Bord gegangen war. Er rechnete nicht damit, daß die Karavellen in diese Bucht einlaufen würden, aber sicher war sicher.

„Sie laufen in die Dungarvanbai ein“, sagte Dan O’Flynn.

Hasard wandte sich wieder um. Es war noch dunkler geworden. Aber die Sicht reichte aus, um zu erkennen, daß die Führerkaravelle noch weiter angeluvt hatte und jetzt mit halbem Wind in die Bucht steuerte. Die vier anderen Karavellen folgten wie dressierte Hunde.

Der Seewolf, wie Hasards Kriegsname lautete, nickte grimmig. Im Verband fahren, das konnten diese Burschen. Sie hatten etwas aufgeschlossen, hielten aber untadeligen Abstand untereinander. Achtern beim Führerschiff brannte ein Hecklicht.

Das erste Schiff lief etwa vierzig Yards Abstand an ihrem Beobachtungsstand vorbei.

„Sie liegt ziemlich tief – wie die anderen Karavellen“, sagte Dan O’Flynn, der unheimlich scharfe Augen hatte. „Die sind bis zum Kragen vollgeladen. Selbst an Oberdeck stehen noch Fässer. Wetten, daß da bestimmt keine eingepökelten Heringe drin sind?“

„Mit dir wette ich nicht“, sagte Hasard und grinste.

Das Bürschchen grinste zurück.

„Schade. Ich hätte glatt um ’ne ganze Speckseite gewettet.“

„Psst!“ Hasard lauschte zu der zweiten Karavelle hinüber und hielt die gewölbte rechte Hand hinter das Ohr. „Horch mal!“

Der Wind trug klar und deutlich spanische Laute zu ihnen herüber – Segelkommandos.

„Sie sind es“, sagte Hasard leise und zufrieden. „Die Füchse gehen in die Falle. Wenn die ‚Marygold‘ und die ‚Santa Cruz‘ hier wären, brauchten wir nachher nur die Bucht abzuriegeln.“

„Sie sind aber nicht hier“, erklärte das Bürschchen und fügte schulmeisterlich hinzu: „Mit dem Wörtchen ‚wenn‘ hat das so seine Bewandtnis, nicht wahr?“

„Sehr gut“, sagte Hasard. „Donegal Daniel O’Flynn hat seine Lektion gelernt.“

Und dann zuckte Hasard zusammen und fuhr herum. Ein Lichtschein leuchtete zu ihnen herauf. Neben dem Zelt Burtons flackerte eine Fackel.

„Dieser Idiot!“ stieß Hasard hervor. „Spring runter, Dan. Die Fackel soll sofort gelöscht werden!“

Dan flitzte nach unten. Minuten später hörte Hasard einen erregten Wortwechsel. Burton war aus dem Zelt getreten und brüllte Dan O’Flynn an, der die Fackel einfach ergriffen und im hohen Bogen ins Wasser geworfen hatte.

„Ruhe da unten!“ rief Hasard scharf.

Er blickte schnell zu den Karavellen hinüber. Die letzte zog gerade vorbei. Ob sie etwas gesehen oder gehört hatten? Aber dort tat sich nichts an Bord. In majestätischer Ruhe glitt die Karavelle weiter in die Bucht.

Aber da!

Bei der Führerkaravelle blitzten am Bug dreimal hintereinander je vier Lichtblinke auf. Hasard kniff die Augen zusammen. Kurz darauf wurden die Lichtblinke vom Land her im gleichen Rhythmus beantwortet.

Hasard peilte zu der Stelle hinüber. Er hatte den Verlauf der Dungarvanbai genau im Kopf. Die Bai verlief von Osten nach Westen und hatte nicht ganz die Form eines Trichters, der sich zur See hin öffnete. Am Ende der Bai im Westen lag Dungarvan. Rechts von dem Ort – nach Norden zu – erstreckte sich das Mündungsgebiet des Colligan.

Jene Stelle dort drüben, wo die spanischen Lichtblinke von Land her beantwortet worden waren, markierte indessen ein Kap, um das herum die Bai nach Süden schwenkte und noch einmal eine jetzt schmalere Bucht bildete, welche die Form eines Stiefels hatte. Die Stiefelspitze lag unten im Süden und zeigte nach Westen. Noch weiter südlich der Stiefelsohle lagen die Drum Hills, wo sich laut der Agentenmeldung die irischen Waffen- und Munitionsverstecke befinden sollten.

Hasard beobachtete scharf.

Der Wortwechsel unten beim Zelt des Captains wurde immer erregter.

„O verdammt“, murmelte Hasard, „haltet doch bloß eure Schnauzen.“

Undeutlich konnte Hasard erkennen, wie die erste Karavelle um das Kap segelte und verschwand. Jetzt mußte sie den Stiefel hochkreuzen. Vermutlich lag die Landestelle bei der Stiefelspitze. Hasard wartete noch ein paar Minuten, und als er sah, daß auch die zweite Karavelle das Kap rundete und nach Süden steuerte, wandte er sich ab und eilte mit langen Sätzen den Felshang hinunter.

„Laß mich los, du Hornochse!“ schrie Dan O’Flynn und knallte dem Profos die rechte Stiefelspitze vors Schienbein.

„Au!“ Der Profos brüllte auf, ließ aber nicht los. „Warte, du verdammte Laus, dich schlag ich zu Mus!“

Er hielt Dan vorn am Kragen der Segeltuchjacke fest und holte mit seiner Pranke aus. Burton stand daneben und kicherte wie ein Eunuch. Ein paar Soldaten hatten sich genähert und glotzten blöde.

„Lassen Sie den Jungen los, Profos!“ sagte Hasard scharf. Er hatte die zweiläufige sächsische Pistole in der Faust und spannte beide Hähne.

Bei ihrem Knacken ließ der Profos Dan los und wirbelte herum. Sein brutales Gesicht war wutverzerrt.

„Dan, komm her“, sagte Hasard ruhig.

„Er muß eine Prügelstrafe kriegen!“ schrie Burton aufgebracht. „Er hat mich, einen Offizier Ihrer Majestät, und den Profos tätlich angegriffen und beleidigt. Er hat eine Fackel, die den Eingang meines Zeltes beleuchten soll, unbefugt ins Wasser geworfen. Ich verlange, daß dieser Bengel sofort bestraft und gezüchtigt wird. Profos, tun Sie Ihre Pflicht!“

Der Profos rührte sich nicht.

Burton stampfte mit dem Fuß auf. Seine quengelnde Stimme überschlug sich. „Sofort, auf der Stelle!“

„Hören Sie doch auf, Burton“, sagte Hasard kalt. „Dan O’Flynn hat auf meine Anordnung hin die Fackel gelöscht. Ich habe mich zwar nicht mit der Strategie und Taktik des Landkrieges beschäftigt, aber mir sagt mein Verstand, daß man es nach einer Landung an einer feindlichen Küste eigentlich vermeiden soll, den eigenen Standort mittels Fackellicht bekanntzugeben. Im übrigen sind – als Sie die Fackel entzünden ließen – gerade fünf spanische Karavellen an dieser Bucht vorbeigelaufen.“

Burton stierte wie ein Kalb.

„Was – spanische?“

„Spanische“, sagte Hasard. „Karavellen, tief geladen. Sie sind nach Westen in die Bucht gelaufen, haben – falls Sie den Verlauf der Bucht im Kopf haben – nach Süden gedreht und werden vermutlich dicht unter Land in der Stiefelspitze ankern.“

Jetzt zog Burton arrogant die Brauen hoch.

„Sie reden immer von spanischen Karavellen. Woher wollen Sie wissen, daß es spanische sind?“

„Weil an Bord dieser Karavellen die spanische Sprache gesprochen worden ist. Die Segelkommandos waren spanisch – und nicht holländisch oder französisch oder englisch.“

„Äh“, sagte Burton.

Dan O’Flynn marschierte indessen rasch zu Hasard und stellte sich neben ihn.

Für Burton war das Bürschchen ein willkommenes Objekt, von seiner eigenen Unsicherheit abzulenken.

„Packt ihn!“ schrie er und stach seinen Zeigefinger auf Dan O’Flynn.

Hinter Hasard tauchten der riesige Batuti und Smoky auf. Batuti spielte mit einem Belegnagel. Smoky hatte ein Messer gezogen und prüfte mit dem linken Daumen die Schärfe der Klinge. Sie bauten sich rechts und links von Hasard und Dan O’Flynn auf.

In Hasards Gesicht stand ein eisiges Lächeln. Der große, breitschultrige Mann hielt immer noch die sächsische Pistole in der Faust. Sie war auf niemanden gerichtet. Seine eisblauen Augen waren dunkle Flecken – niemand sah, wen sie gerade fixierten.

Der Profos trat einen Schritt zurück. Die Soldaten standen völlig bewegungslos. Sie würden den Teufel tun, den Befehl Burtons auszuführen. Nur vier Männer standen ihnen gegenüber – einer fast noch ein Kind, aber sie hatten inzwischen begriffen, daß jeder Mann dieser „Isabella“-Crew so hart wie Granit und so wild wie ein hungriger Wolf war.

Und ihr Leitwolf – dieser schwarzhaarige, blauäugige Bastard – war mehr als alles das. Der war schlimmer als Tod und Teufel. Der war über einem Kanonenrohr gezeugt worden und hatte Pulver und Blei gefressen, als andere noch an der Mütterbrust genuckelt hatten und unter schützende Röcke gekrochen waren.

Genau das war es, und die Soldaten hatten einen untrüglichen Instinkt für Starke und Schwache, für Tapfere und Feiglinge.

Burtons Stimme hatte den Ton eines Junggockels, der noch unschlüssig ist, ob er den Hahn herausfordern soll. Noch einmal schrie er: „Packt ihn!“

Die Soldaten standen wie Salzsäulen.

Ein Soldat namens Jake Tinkler, ein harter, schwarzhaariger und grauäugiger Bursche, der mit „Black“ John Morris bereits in den Niederlanden gegen die Spanier gekämpft hatte, murmelte so etwas, das wie „zum Kotzen“ klang, drehte sich um und schlenderte zu dem Schanzgraben zurück. Er stieß den Spaten in die Erde und warf den Sand irgendwohin. Es war ja gleichgültig.

Dieser Tinkler war seit elf Jahren Soldat. Als er siebzehn gewesen war, hatte ihn die Armee aufgenommen. Ein Kanten Brot, Marketenderschnaps und dann und wann etwas Sold waren Paradiesgaben für einen Londoner Themsejungen, der nicht wußte, wer sein Vater war und dessen Mutter ihn mit Not und Dreck und Rüben großgezogen hatte.

Er war hart und ein Kämpfer.

Zwei, drei Soldaten äugten zu ihm hinüber und wandten sich ebenfalls ab. Die nächsten folgten, und so zerbröckelte der Ring um Hasard und seine drei Männer wie morsches, abbruchreifes Mauerwerk, dem die tragenden Steine entzogen werden.

Das war glattweg soviel wie Gehorsamsverweigerung.

Das Gesicht des Profos’ versteinerte, aber er blieb stumm wie ein Fisch. Die Augen des Captains zuckten hin und her – zu dem Soldaten Tinkler, zum Profos, zu Hasard. Sein Mund zitterte, und dann tat er etwas Unsinniges. Er rannte hinter Tinkler her, packte ihn an der Schulter und riß ihn herum.

„Sie – Sie ...“, schrie er und wußte nicht weiter.

„Sir?“ fragte Tinkler ruhig. Er drehte etwas den Kopf und blickte auf die Hand des Captains, die seine Schulter umkrallte. Sein Blick war ziemlich verächtlich. Er besagte soviel wie: Wenn du deine Pfoten nicht wegnimmst, schlag ich dir was in die Fresse.

Der Captain ließ die Schulter los, als habe er sich die Finger verbrannt. Er wich mehrere Schritte zurück. Seine Lippen zitterten. Er wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Ton heraus.

Tinkler drehte ihm den Rücken zu und schippte weiter, gelangweilt, so, als ginge ihn das alles gar nichts an.

Hasards Stimme klang kühl und unpersönlich: „Das wär’s dann wohl.“

Er steckte die Pistole in den Gürtel, wandte sich um und winkte seinen Männern zu, ihm zu folgen.

„Halt!“ schrie Captain Burton. „Was – was ist mit den spanischen Karavellen?“

Hasard blieb stehen und drehte sich wieder um.

„Nichts“, sagte er. „Was soll mit ihnen sein? Vermutlich laufen sie einen Landeplatz unten in der Stiefelspitze an und werden entladen.“

Burton reckte sich.

„Sie müssen sofort angegriffen und vernichtet werden.“

Hasard musterte den Captain kalt.

„Wer sagt das?“

„Ich. Solange Captain Norris und Kapitän Drake hier nicht eingetroffen sind, führe ich das Kommando.“

„Ach du lieber Gott“, murmelte der Soldat Tinkler.

Burton überhörte es. Eben noch hatte ihm seine Truppe den Gehorsam verweigert oder sich zumindest stur gestellt, und jetzt nahm der Captain Feldherrenpose ein. Er zog seinen Degen und räusperte sich.