Mami 1841 – Fabian hat einen treuen Freund

Mami –1841–

Fabian hat einen treuen Freund

Roman von Horn Eva-Maria

Daniela zischte entrüstet durch die Zähne. Zum ersten Mal hatte sie um diese Uhrzeit das Radio eingeschaltet. Es war ja auch das erste Mal, daß sie um diese Zeit keinen Unterricht hatte.

»Vor der Ehe hätte Ralf mir am liebsten alle Steine aus dem Weg geräumt«, erzählte die Frauenstimme. »Aber wir waren noch nicht ein Jahr verheiratet, da zeigte er sein wahres Gesicht.«

Daniela lauschte hingerissen. Da zeigte es sich mal wieder, daß sie mit ihrer Meinung richtig lag. Nur nicht heiraten, Freundschaft war gut, aber es durfte keine Fessel werden. Außerdem war ein Mann im Leben einer emanzipierten Frau durchaus zu entbehren.

»Er zählte mir das Geld bis auf den Pfennig ab, ich mußte genau Buch führen. In der Küche wußte er alles besser, aber schlimm war es, wenn er betrunken nach Hause kam.«

Nun wäre es natürlich besser gewesen, wenn Daniela in ihrem behaglichen Zuhause gewesen wäre und interessiert der Lebensgeschichte der fremden Frau gelauscht hätte. So aber saß sie hinter dem Lenkrad ihres kleinen Autos.

Da war es kein Wunder, daß sie nicht mitbekommen hatte, daß der chromblitzende Wagen vor ihr blinkte und dann abrupt bremste.

Das Krachen brachte Daniela in die Wirklichkeit zurück. Automatisch stellte sie das Radio aus und sah entsetzt auf den Wagen, dem sie auf die Stoßstange gerückt war. Im gleichen Augenblick sprang die Tür auf, ein Mann stürzte heraus.

Mit wenigen Schritten war er neben ihr, seine Augen sprühten vor Wut.

»Typisch Frau«, schimpfte er. »Zuerst bummeln Sie über die Straße, sind ein wahres Verkehrshindernis. Und jetzt wissen Sie nicht einmal, wo Ihre Bremse ist. Sie sollten Ihr Auto mit einem Kinderwagen vertauschen.«

Er war ein gutaussehender Mann, mochte knapp die 30 Jahre überschritten haben. Aber das bemerkte Daniela nicht. Noch hatte sie die Klagen der fremden Frau im Ohr, der letzte Satz von ihr war gewesen: »Die Männer sind alle so, meiner Freundin geht es nicht besser als mir…«

Daniela besaß ein hitziges Temperament.

»Würden Sie bitte anders mit mir sprechen«, fuhr sie ihn wütend an. »Ich nenne Sie ja auch nicht Flegel, obwohl ich allen Grund dazu hätte. Selbstverständlich komme ich für den Schaden auf.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich. Helfen Sie mir lieber, Ihre Stoßstange von meiner zu lösen, Ihr Miniauto hat meinen Wagen kaum verrückt. Das heißt, bleiben Sie lieber sitzen, vermutlich richten Sie nur neues Unheil an. Weiber…«, zischte er verächtlich.

Daniela kochte vor Wut. Natürlich hatte er recht, sie war von dem Vortrag so fasziniert gewesen, daß sie sehr langsam gefahren war. Dieser Kerl war an ihr vorbeigezischt und hatte sie wütend gemustert.

Flegel.

Sie stieg aus, aber er hatte die beiden Autos schon entwirrt. Ihre Stoßstange sah erbärmlich aus.

Und da sagte dieser Flegel doch tatsächlich: »Der kleine Schaden macht Ihr Auto nicht häßlicher. Eine Beule mehr oder weniger an Ihrem Wagen fällt gar nicht auf.«

Er pustete das Haar aus seiner Stirn, die Wut verschwand aus seinem Gesicht, es wurde um vieles menschlicher.

»Könnten Sie Ihren Freund nicht bitten, Ihnen ein anderes Fahrzeug zu kaufen? In diesem Schlitten sind Sie eine Gefahr für die Menschheit.«

Es war schrecklich, aber Daniela, die sonst gewiß nicht auf den Mund gefallen war, fiel keine Antwort ein. Später, als sie weiterfuhr, kaute sie noch immer an ihrer Wut. Und da tanzten natürlich die besten Antworten durch ihren Kopf, nur war es leider zu spät.

Daniela teilte die Wohnung mit ihrer Freundin Vera. Vera stellte den Computer ab, als Daniela ins Zimmer stürzte. Vera stöhnte: »Was hat dich denn so aus der Fassung gebracht?« Nachsichtig musterte sie ihre hübsche Freundin. »Laß nur nicht deine Wut an mir oder der Wohnung aus, Danni. Ich kenn’ das nämlich. Wenn du dich über deine Schüler geärgert hast, dann stürzt du dich in einen Putzrausch.«

»Dazu habe ich überhaupt keine Lust. Alle Männer soll der Teufel holen.«

Daniela warf ihre Tasche auf den Sessel, der als einziger noch nicht mit Papieren belastet war. »Ja, Vera, ich platze vor Wut. Ich hoffe nur, ich begegne dem Kerl noch irgendwann, dann wird er von mir eine Abfuhr bekommen, eine Abfuhr, sage ich dir, an der er noch lange zu knacken hat.«

Vera seufzte innerlich. »Erzähl’ schon. Aber viel Zeit habe ich nicht. Ich muß diese Doktorarbeit heute abend abliefern.«

»Wir beide sind wirklich geplagte Lebewesen«, stellte Danni fest. Sie nahm ein Plätzchen aus der Dose. Wenn Vera arbeitete, stand sie wohl gefüllt griffbereit neben ihrem Schreibtisch. Krachend biß sie hinein und verzog angewidert das Gesicht.

»Die schmecken ja scheußlich.« Sie legte das Plätzchen auf die Glasplatte des Tisches. Hier müßte unbedingt mal geputzt werden, fuhr es Danni durch den Kopf. Es sieht ja aus, als hätten die Vandalen in diesem Zimmer gehaust. Überall liegt etwas herum. Wenn Besuch käme, könnten wir ihm nicht einmal einen Platz anbieten.

»Das sind Diätplätzchen«, erklärte Vera geduldig und drehte sich auf ihrem Stuhl. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf ihre Arbeit. »Sie sind ohne Fett und ohne Zucker. Du weißt, daß ich am besten arbeiten kann, wenn ich etwas zwischen den Zähnen habe. Ich habe es nicht so gut wie du. Du kannst futtern, was immer du willst, und nimmst nicht zu.«

»Vera, ich platze vor Wut. Am liebsten würde ich etwas gegen die Wand knallen oder anfangen, Fenster zu putzen, dabei reagiere ich mich am besten ab. Du brauchst gar nicht so entnervt zu gucken, unsere Fenster haben es wirklich nötig. Vera, ich bin einer Feudalkutsche auf die Stoßstange gefahren. Du hättest nur hören sollen, wie der Kerl sich benahm. Weißt du, was er mir geraten hat? Ich sollte mein Auto mit einem Kinderwagen vertauschen.«

Vera hörte sich geduldig Danielas Ausbruch an, nickte verständnisvoll, schüttelte entrüstet den Kopf, genau die Geste, die angebracht war, dabei war sie mit ihren Gedanken schon längst wieder bei ihrer Arbeit.

»Danni«, sagte sie, als sie endlich dazwischen kam, »ich weiß ja, daß du dich abreagieren mußt. Könntest du nicht in die Küche gehen und uns etwas kochen? Ich habe nicht gefrühstückt, ich habe nicht zu Mittag gegessen, ich habe mich bis jetzt nur von diesen gräßlichen Keksen ernährt.«

Daniela klappte den hübschen Mund zu. Voll Mitleid rief sie: »Du Arme. Wenn ich nicht hier bin, führst du wirklich ein jammervolles Dasein. Vera, ich gebe dir den guten Rat, heirate nie. Dein Mann wird dir nämlich spätestens dann den Hals umdrehen, wenn du ihm selbstgekochtes Essen vorsetzt. Du weißt ja nicht einmal, daß man Kartoffeln in Wasser kocht und Eier durch kochen hart werden. Ich erinnere mich noch schaudernd daran, als du einmal Reis gekocht hast. Der kam mir schon im Hausflur entgegen.«

Vera war nicht im geringsten beleidigt, sie lachte sogar. »Jetzt übertreibst du aber. Keine Angst, Danni, wenn ich heirate, dann nur einen Hausmann. Ich verdiene die Brötchen, er versorgt den Haushalt.«

»Aber die Kinder kriegen mußt du selbst, das kann er nicht für dich erledigen. Laß lieber die Finger davon, Vera. Du, ich habe eine Sendung gehört. Eine Sendung, da gehen dir die Augen über.«

»Davon erzähle mir lieber heute abend«, wehrte Vera entschieden ab und drehte den Stuhl ihrem Computer zu. »Danni, ich lechze nach einer köstlichen Mahlzeit, egal, wieviel Kalorien man zählen sollte. Ich zähle nicht. Wir haben noch massenhaft Haushaltsgeld, du brauchst also nicht sparen.«

Daniela warf das Haar zurück, sie trug es bis zur Schulter hinunter. Die kastanienfarbenen Locken machten wenig Arbeit, auch darum beneidete Vera sie.

»Da weiß ich schon, was ich koch.« Danni leckte sich die Lippen. »Da wird es eine Vorspeise geben, eine Hauptspeise und natürlich einen süßen Abschluß. Du hat recht, den Kerl streiche ich aus meinem Kopf, dem werde ich sowieso nicht wieder begegnen. Ich konzentriere mich lieber auf nahrhafte Dinge. Außerdem muß ich heute abend auch noch arbeiten. Mit vollem Bauch kann ich hervorragend denken. Immer haben Sprichwörter nämlich nicht recht.«

»Mit vollem Bauch studiert sich schlecht«, riefen beide wie aus einem Mund, und beide lachten. Danni winkte fröhlich mit der Hand und wanderte in die Küche. Sie war so klein, daß nur eine Person, die so schlank war wie Danni, darin Platz hatte.

Vera schnaufte erleichtert. Für die nächste Stunde war Danni beschäftigt, und in einer Stunde war sie hoffentlich mit ihrer Arbeit fertig.

Anfangs klapperte Danni unnötig laut mit den Töpfen, das war so ihre Art, wenn sie wütend war. Aber immer ruhiger wurde es, jetzt sang Danni sogar. Und liebliche Düfte durchzogen die kleine Wohnung.

*

Fabian Brandt fuhr mit dem Löffel durch sein Müsli, er legte Straßen an, fischte die Rosinen heraus, nur in den Mund wanderte nicht ein Löffel.

Zum Glück sah sein Vater davon nichts. Der hielt die Zeitung vor die Nase, manchmal verschwand die Tasse mit dem Kaffee dahinter und wurde wieder klirrend auf die Untertasse zurückgestellt.

Fabian seufzte. »Papa…«

»Hm«, kam die undeutliche Antwort. Holger Brandt kaute gerade an seinem Brötchen.

»Papa, Mama ist doch tot, nicht wahr?«

Langsam senkte sich die Zeitung. Holger sah auf seinen Sohn, der ihm an dem hübsch gedeckten Tisch gegenübersaß. Mit einem Schlag war Holger der Appetit vergangen.

»Ja, Fabian. Aber das weißt du doch.«

Fabian fuhr mit dem Löffel energisch durch den Müslibrei, er hütete sich, seinen Vater anzusehen. Der brauchte gar nicht zu sehen, daß er Tränen in den Augen hatte. Für einen Jungen hatte Fabian so lange Wimpern, daß ihn jede Frau darum beneiden konnte.

»Klar, weiß ich ja. Ich meine nur, wir brauchten eine neue Mutter. Ich meine, ich brauche eine Mutter, deine Mutter ist sie dann natürlich nicht«, klärte er seinen Vater auf. »Meinst du, wir sollten mal in die Zeitung setzen, daß ich eine Mutter brauche? Meine Freundin Claudia hat gesagt, das macht man so. Man setzt das einfach in die Zeitung: Mutter gesucht! Claudia sagt, dann melden sich haufenweise Frauen, die gern Mutter bei mir werden wollen. Aber Claudia sagt, daß du die dann heiraten mußt.«

Holger ließ endgültig die Zeitung sinken. Der Druck auf seinem Magen verstärkte sich, richtig krank fühlte er sich in diesem Augenblick.

»Aber Fabian. Wir beide haben es doch schön zusammen.« Holger spürte selbst, daß seine Antwort viel zu lahm klang. »Wir haben endlich eine tolle Haushälterin gefunden. Wenn du aus der Schule kommst, wartet sie schon auf dich. Unser Haus ist prima in Ordnung, sie kocht toll…«

»Aber sie ist keine Mutter«, fuhr Fabian ihm energisch ins Wort. »Ich meine, und das sagt Claudia auch, ein Kind braucht eine Mutter.«

»Deine Claudia scheint ja eine richtige Expertin zu sein.« Spott war an Fabian verschwendet, dafür hatte er noch kein Ohr. Die Antwort seines Vaters nahm er gar nicht wahr, er war viel zu sehr mit seiner Idee beschäftigt.

»Wir könnten natürlich auch in die Zeitung setzen, daß ich eine Oma suche. Die brauchtest du dann nicht zu heiraten, sagt Claudia. Aber Omas sind meistens alt. Und wenn ich sie gerade liebgewonnen habe, dann stirbt sie. Nee, Claudia hat recht, eine Mutter ist besser. Aber Omas schimpfen natürlich nicht so viel, Mütter meckern oft…«

»Sagt Claudia«, vollendete sein Vater den Satz für ihn. »Wo wohnt denn deine Freundin Claudia? Ich hab’ sie noch nie zu sehen bekommen.«

»Du bist ja auch nie zu Hause, Papa. Mensch, finde ich das gemein.« Fabian war voll Entrüstung. »Nicht mal ’ne Oma hab’ ich. Claudia hat eine Mutter und zwei Omas. Aber eine abgeben will sie mir auch nicht. Sie sagt, sie braucht beide, beide sind prima. Und wenn ihre Mutter ihr auf den Geist geht, dann besucht sie einfach eine Oma. Und stell dir mal vor, dann kriegt sie Geld oder Süßigkeiten von ihnen.«

Holger faltete endgültig die Zeitung zusammen.

»Ich muß jetzt gehen, mein Sohn. Wir können uns aber heute abend über das Thema unterhalten, wenn ich auch glaube, daß darüber nichts zu sagen ist. Wir bekommen im übrigen heute abend Besuch«, setzte er versöhnlich hinzu. »Ich habe Frederike aber gesagt, daß sie dir nicht ständig etwas mitbringen muß. Sie verwöhnt dich viel zu sehr.«

Fabian riß entsetzt die Augen auf.

»Die kann ich nicht ausstehen«, stieß er hervor. Er stopfte sogar beide Finger in die Ohren. »Die hat so einen schönen Namen, aber wenn sie lacht, dann denkt man, ein Pferd ist im Zimmer. So wiehert die. Und die eine, die mit den roten Locken und den kurzen Röcken, die meckert wie eine Ziege, wenn sie lachte. Papa, du hast wirklich komische Freundinnen. Nur gut, daß du die nicht heiraten willst. Wenn die bei mir Mutter würden, ich würde durchdrehen.«

Holgers Gesicht war vor Ärger rot geworden.

»Wenn man bei dir nicht aus der Haut fahren will, braucht man die Geduld eines Heiligen«, fuhr er seinen Sohn an. Fabian schob gekränkt die Unterlippe vor.

»Wirklich, Papa, manchmal kann man es dir aber wirklich nicht recht machen. Mal sagst du, du kannst alles ertragen, wenn ich nur nicht lüge, dann sagst du, ich könnte alles sagen. Und wenn ich die Wahrheit sage, dann drehst du durch.«