CADE CHANDRA

BAND 2

 

 

 

© Copyright Erben Hanns Kneifel

© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen

 

www.verlag-peter-hopf.de

 

 

© Cover: Thomas Knip

 

ISBN ePub 978-3-86305-211-9

 

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Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

 

Hanns Kneifel

 

CADE CHANDRA

JÄGER DES MONDSILBERS

 

 

1 – Jäger des Mondsilbers

 

Wellen aus eisiger Kälte und brennender Hitze fuhren durch Cades Körper. Dicke Schweißtropfen bedeckten jede Handbreit seiner lodernden Haut. Ein Traum fesselte seinen Verstand, in dem alle Bilder in lautlos-rasender Schnelligkeit vorbeizogen und ihn in tödliche Angst stürzten. Er zitterte im Fieber: Der riesige Mond begann zu glühen, strahlte rot und schließlich schneeig weiß, und einzelne Brocken lösten sich und stürzten in das kochende Meer. Das Zischen ungeheuerlicher Dampfwolken marterte die Ohren, dazwischen erschollen die kollektiven Schreie von drei Millionen verzweifelter Sterbender. Röchelnd und keuchend fuhr Cade Chandra auf. Die Hängematte schaukelte, das Boot riss an den Festmacherleinen.

Cade, der Jäger, holte gurgelnd Luft und richtete die tränenden Augen auf das winzige Wachlicht. Das Moskitonetz war an der Außenseite schwarz von Insekten. In der unbewegten Luft stank das Brackwasser des Flusses noch durchdringender als am späten Abend. Das rechte Handgelenk schmerzte wie rasend.

»Verfluchte Orchideenmücken.« Cade stöhnte und zwang sich, überlegt und planmäßig zu handeln. Er dachte an die Anfälle, die ihn auf Khalakwolt heimgesucht hatten, und befahl sich, ruhig und kalt zu bleiben. Das Brennen an der Pulsader wurde unerträglich, die Haut juckte wie rasend. Er löste den Knoten, ließ die Hängematte zum Bootsboden heruntersinken und rollte sich aus dem Knotensystem. Der nächste Griff galt dem kleinen Scheinwerfer. Als das Licht in breitem Kegel ins Bootsinnere fiel, übertönte das Sirren, Summen und Rascheln der Insekten Cades hilfloses Keuchen. Er klappte die wasserdichte Hülle des Survivalkits auf, lud eine Doppeldosis Top-Afebrin in die Kammer und setzte die Pressluftpistole an der Halsschlagader an. Dreimal rutschte das Gerät im triefenden Schweiß ab, dann zischte die Injektion in seinen Kreislauf.

Er hielt das Handgelenk ins Licht und fluchte; Über dem Einstich hatte sich eine große, feuerrote Geschwulst gebildet, die im Rhythmus des Herzschlags pulsierte. Cade drückte eine Tube Salbe darüber aus. Schlagartig vereiste die Beule eine halbe Minute lang. Eine Binde legte sich dreimal um das Handgelenk.

»Ein schöner Anfang.« In Cades Alptraum schwammen sauriergroße Wale im kochenden Meer, preschten Yachten, die aus allen Geschützen feuerten, durch aufgewühlte Wogen, und in Todesnot sprangen Triton, Tethys und die übrigen Delfine hoch in die wasserdampfgesättigte Luft.

Cade griff nach einem Würfel aus dünnem Kunststoff, schob den Saughalm durch das Ventil und trank gierig. Das Wasser, nicht kühler als der Fluss, schmeckte salzig und süß zugleich und löschte den Durst.

»Wenigstens weiß ich diesmal, wer ich bin, wo ich bin und was ich zu tun habe.«

An Schlaf war nicht mehr zu denken. Noch drei Stunden bis zur Morgendämmerung über dem Äquator von 2001 Islands. Cade zuckte mit den Schultern, spürte wieder den Schmerz im Handgelenk und schob die Stöpsel des Songman in die Ohren. Langsam besserte sich seine Laune, während er Singh Boncards Ode Martern der Vestalin hörte, »in memoriam Claudio Monteverdi«.

 

Beim ersten Licht, das sich zwischen den gewaltigen Doppelmauern aus Bäumen, Lianen, Bambusschilf und farbenprächtigen Schmarotzerpflanzen hereinstahl, löste Cade die Leinen und trieb das Boot mit Paddelschlägen in die Strömung. Träge, fast schwarz lief das Wasser im Susukida-Delta dem Meer zu. In der Stille gellte der Doppelschrei eines Austernkranichs; Zeichen unmittelbarer Gefahr. Cade sah sich um, aber er konnte weder im Gebüsch am Ufer noch im Wasser voraus etwas sehen. Lianenbehängte Äste streckten sich dem Wasser entgegen. Kobaltblaue Blätter ritzten fadendünne Rillen in den bewegungslosen schwarzen Spiegel. Cade wedelte mit der Synopsis Fliegen von seinem Gesicht weg; er kannte jedes Wort des Auftrages, den ihm Commander Vance Horatio DuRoy erteilt hatte. Nicht erteilt: er hatte ihn geradezu inbrünstig darum gebeten.

 

AUS: Marcander, Khalil-Mandjaossi & Capitána Sharçais: G.R.A.L., Gal. Ratgeber, Atlas und Lexikon aller bewohnten (...) Welten und deren Muttergestirne. Verlag DIE GALAXIS, Terra/My Tsaigonis-Delta Eridanis:

 

»Die Sonne BIG OKYO (Levrod 4506, GO-Typ) besitzt 3 Planeten. Nur 2001 Islands ist bewohnbar; eine Wasserwelt von erstaunlicher Oberflächenstruktur. Der Mond dieser Welt wird (ACHTUNG: UNGESICHERTE DATEN!) Doanlikher genannt und glänzt durch besonders niedrige Albedo. Der siderische Monat betrug zum Zeitpunkt der Beobachtung 39 Tage 11 Minuten 29 Sekunden. Taumelnde Eigenrotation; für starke Gezeitenunterschiede verantwortlich. Die Länge des Jahres auf 2001 Islands = 351 Tage = 9 Mondwechsel.

Wie es die Planetarier fertigbrachten, die richtige Zahl 2001 zu ermitteln, ist unbekannt. Der Planetenname stammt von ihnen. Ca. 3 Mio Bewohner. Die größte Insel (siehe planetare Karte, in Anlage) ist Bandonao mit 32 000 Quadratkilometern, die kleinste Darothee, ein ödes Riff von 0,2 Quadratkilometern. Offensichtlich sind sämtliche Inseln die Randgebiete von Kratern unterschiedlicher Größe, da verschieden große Kreisformen ineinander übergehen und sich untereinander schneiden; Reste untergegangener Landmassen.

Fauna und Flora wurden ergänzt durch planetoide/terranische/eridanische Spezimen wie: Kleinrinder, Ziegen, Schafe, Hirschkäfer, Libellen, Eleonorenfalken etc. (Siehe Anlage II/A: 4 Stück Wale, 41 Stück Delfine). Die Monate heißen: Acurimac, Bagamayo, Caazapi, Dasuya, Egridar, Fafa, Gingoog, Horgeisa, Idar-Ige.«

 

Unter den Text hatte Vance DuRoy in seiner steilen Schrift vermerkt:

 

General Chandra wird am 39. Caazapi im Susukida-River auf gleichnamiger Insel ausgeschleust.

 

Cade lächelte gequält, zerriss die Folie in winzige Schnipsel und streute sie gelangweilt in das Kielwasser des Bootes, das in der Flussmitte trieb. In der feuchten Luft hingen Libellen mit Flügeln aus schwirrenden Farbwirbeln und Edelsteinkörpern unter handtellergroßen Blüten. Die schwache Strömung kippte bronzefarbenes und hellgrünes Schilf nach links. Stinkende, wunderschöne Seelilien drängten sich an der Flanke des Bootes vorbei. Vor dem Bug sprangen große Frösche mit getigerten Körpern meterweit nach rechts, dem Ufer und kantigen Schlangenschädeln entgegen, die zwischen aufgedunsenen Kadavern auftauchten.

»Da ist etwas.« Cade starrte geradeaus und tastete nach dem Fernglas. Der Wasserlauf verbreiterte sich. Ins geheimnisvolle Halbdunkel zuckten zitronengelbe Lichtbalken. »Etwa schon die kichernden Wellenspringer?«

Unmöglich, dachte er. Die Delfine lebten im Meer. Erst weit vor dem Delta gab es reines Meerwasser. Ab und zu korrigierte Cade, bequem zurückgelehnt, Lage und Richtung des Bootes, in dessen Bug drei Viertel seiner Ausrüstung wasserdicht verstaut war. Er selbst, hoffte er, glich bis auf seine auffallend grünen Augen einem Eingeborenen von 2001 Islands.

Cade kratzte sich hinter dem Ohr. Unter den Fingerkuppen spürte er den implantierten Empfänger. Die winzige Narbe juckte so lästig wie schon seit Tagen nicht mehr. Cade sog scharf die Luft ein. Das Zischen verscheuchte ein kolibriähnliches Wesen, das durchs Sonnenlicht schwirrte und mit nadelscharf gekrümmtem Schnabel nach seinen Augen zielte.

»Du störst«, sagte er grinsend. »Oder bist du ein fliegendes Auge ...?«

... der schauerlichen Sieben? ergänzte er schweigend. Alles war denkbar, auch die Überlegung, dass sie schon von dem Riesenwal, von seiner Mission und anderen bedrohlichen Seltsamkeiten wussten. Das Boot driftete jetzt schneller ins grelle Licht der Sonne Gran Okyo, dem Gestirn dieser zauberhaften Welt. Etliche halbe Stunden, nachdem die ersten Korallenblöcke, umwuchert und aufgebrochen von moosgeschwellten Wurzeln, aus dem Schlickboden des Deltas aufragten, zeichnete sich an Steuerbord wie ein riesiger Schiffsbug ein Fels ab. Etwa zwei Ormil weit war der Korallenfelsen entfernt.

»Ich ahne, dass die Leute vom Imperium bescheidene Zuverlässigkeit zeigten«, murmelte Cade, suchte den strahlenden Himmel ab, richtete den Feldstecher auf den höchsten Punkt und musterte die Uferkulisse. Er entdeckte schließlich auf dem Fels eine Gestalt, die in seine Richtung winkte. Er winkte zurück.

»Anscheinend hat's funktioniert.«

Cade genoss bewusst die letzte Stunde des Alleinseins. Das Boot, eine tropfenförmige Doppelschale aus Kunststoff, wie das Holz des Ti-Sangobaumes gemasert, steuerte auf einen Punkt unterhalb des Felsens zu. Cade hob die Hand. Der schlanke, braungebrannte Mann grüßte ebenfalls. Schneeweiße Wolkenballen trieben durch das tiefe Blau. Über dem Wartenden, der ein Seilbündel aufhob und mit gewaltigem Schwung ins Leere schleuderte, kreisten wachsam fünf Austernkraniche. Das Seil rollte in bizarren Schleifen in die Luft auf, das Ende schlug ins Wasser.

»Vorbei, Jäger, die Ruhe und die Selbstgespräche.« Cade seufzte. »Du kommst wieder unter Menschen – mitten hinein in bizarre Probleme.«

Fast drei Tage lang, vom Fuß des Inselgebirges bis zum Delta des Susukida, war er in der Lage gewesen, jeden Aspekt der ineinander verwobenen Probleme zu durchdenken. Einen Ausweg konnte er sich noch immer nicht vorstellen. Er starrte durch die Linsen. Der Mann über ihm steckte einige Finger zwischen die Lippen und pfiff gellend. Er deutete nach unten. Cade signalisierte »Verstanden!«

Kurz vor der Stelle, an der das Seil im Wasser kräuselnde Wirbel erzeugte, schaltete Cade den Motor ein und wendete das Boot. Als es gegen die Strömung stand, packte er das Seil.

Rasend schnell rutschte der Mann in die Tiefe; er umklammerte mit der Rechten die Bremslaufrolle, in der Linken hielt er einen Seesack. Er landete auf dem Bugdeck, federte in den Knien und riss dreimal scharf am Seil.

»Willkommen auf Zweitausendeins Inseln, Jäger der Erinnerungen.«

Sie wechselten einen langen, harten Händedruck, während die Leine auf ihre Schultern und ins Wasser prasselte.

»Danke, Storzia.« Cade verstaute den prallen Sack, während Gardist Grur das Seil in eine Kausch legte und unter dem Vordeck verstaute. Das Boot drehte. »Ihr seid mit der gesamten Ausrüstung planmäßig und unbeobachtet ausgeschleust worden?«

»So wie du. Alle sind begeistert. Ich, die blonde Zakhari, dein nicht mehr ganz so dicker Jadar Kastor und Käpten Horze lo Venosta mit seiner Crew liebenswerter Halsabschneider. Jeder wartet auf Jäger Chandra.«

»Und ich warte auf Amourea Gonavard.«

Storzia Grur, fast so groß gewachsen wie Cade, mit einem Hauch erstem Grau im kurzen braunen Haar, hockte sich Cade gegenüber und kramte im Seesack. Er zog eine hellbraune, würfelförmige Nuss hervor und drehte den Stöpsel aus dem Loch.

»Hier. Naqnaq nach Art der Inseln.«

Cade und er musterten einander. Auch der Gefährte einer aberwitzigen Mission auf Khalakwolt war eineinhalb Jahre älter geworden und hatte vieles gelernt. Er trug weiche Hochsandalen aus Fischhaut, einen doppelt handbreiten Gürtel und einen Lendenschurz aus weiß gebleichtem Wildleder. Cade nahm einen tiefen Schluck; es schmeckte nach hochprozentiger Kokosmilch, Sahne und Kakao.

»Wie lange seid ihr da?«

»Elf Tage. Zakhari und ich haben uns eingerichtet. Jadar betreibt sein Restaurant. Die Vorgaben sind erfüllt.«

Cade nahm einen zweiten Schluck, knurrte etwas und sagte zufrieden: »Meine Schulung. Alle Probleme erkannt?«

»Nur der lebensnotwendige Teil. Als ältester Student der Poter-Skuardi-Universität und Commander DuRoys Vorzugsschüler habe ich den mittelalterlichen Dunst der Erkenntnisse durchstoßen. Ich und Zakhari, wir haben verdammt viel gelernt. Bei Kraim!«

Cade grinste verhalten, löste eine Sperre, und aus dem Kiel des Bootes kippte ein großes Schwert nach vorn. »Mein Haus – bereit?«

»Über unserem Haus, hoch über einem herrlichen Strand, im Dorf Thut, nahe dem Haus des Caziqen Aissa mit seinen sieben Frauen. Taucher und Fischer freuen sich schon; Großlunge Aissa am meisten. Schönes Haus, Cade. Wann kommt Amourea?«

Cade hob die Schultern, setzte die Sonnenbrille auf und fing an, den Teleskopmast auszuziehen.

»Sie kommt, wenn sie alle Informationen über die Verbrecher und möglichst viele über den Planeten gefunden hat.«

»Verstehe. Nach Steuerbord, Cade.«

»Ja. Wie lange segeln wir?«

»Hält der Wind aus dem nördlichen Quadranten an, haben wir zwei Tage und Nächte Zeit, alles zu besprechen. Übrigens: geradeaus, rund zweihundert Ormil, liegt die Insel der Sieben.«

»Damit sie uns für harmlose Fischer halten, spendierte das Imperium die Verkleidung. Amou und Tsamourgeli El Sayr wühlen sich durch alte Speicherbänke und versuchen herauszufinden, warum Zweitausend Islands erst so spät wiederentdeckt wurde. Und dabei kommt jedes Gramm Cryansed seit einem Vierteljahrhundert von hier. Wenn Amou hat, was wir brauchen, kommt sie mit der CAPSIZAL. Das kann dauern, Storzia.«

Er verschloss die kantige Nuss und half, die telekopische Rah auszuziehen und das Segel anzuschlagen. Die Ebbe sog das Brackwasser aus dem Delta, die Geschwindigkeit des acht Meter langen Bootes nahm zu, während die Männer das Segel aufzogen und die Schot belegten. Cade und Storzia legten sichelförmige Schmuckstücke an; Brustschmuck und breite Armbänder aus Muscheln, Schuppen und Steinperlen. Wind fuhr in das Segel. Das Boot legte nach Steuerbord über und nahm Fahrt auf.

»Legen wir vor Thut irgendwo an?«

»Nein.« Storzia öffnete den Seesack. »Alles, was wir brauchen, habe ich hier.«

»Gut. Wie geht es Jadar?«

»Er baut am anderen Ende ›unserer‹ Insel seine Hafenschänke aus.«

Cade kicherte, lehnte sich zurück und verlor jede Heiterkeit. »Wir haben ein fabelhaftes Abenteuer überlebt, Storzia. Du versuchst auf Ghada Kag die Zivilisation zu sichern, ich bringe Ordnung in die Welt von Beta Eridanis, von Morach-Center aus. Was den Cryansed-Komplex betrifft, bin ich ahnungsloser als damals. Ich verlasse mich auf dich; du hast inzwischen mehr erfahren und wirst mir in guter Ruhe erzählen, was du weißt.«

»Wir haben vierundzwanzig Stunden. Zeit, Cade.«

Das Boot war weit in die breite Zunge dunklen Flusswassers im Meer hinausgetragen worden. Jetzt fuhr es, unweit der Küste, nach Süd. Kurz nach Mittag war es unerträglich heiß, und nur der Wind brachte ein wenig Erleichterung. Cade steuerte, Storzia packte eine Mahlzeit aus. Dabei leierte er in archaischem Singsang einige Sätze, fiel wieder in normale Sprechweise zurück und berichtete.

»Die sieben Frauen und Männer, die seit knapp fünfundzwanzig Jahren die Planetarier um geradezu stellare Geldsummen betrügen, sind Verbrecher. Einige sind dazu noch krank. Gewalttätig sind sie alle. Sie überfallen Fischerdörfer und Fischerboote, rauben Sklaven, und wenn sich die Insulaner wehren, feuern sie mit den Lasern ihrer schnellen Yacht auf die Hütten. Dadurch sichern sie sich die Ruhe der Furcht. Das geht seit ihrem Auftauchen so.«

Cade hörte schweigend zu. Storzia wickelte handgroße Teigrollen aus. »Vor langer Zeit, nachdem sich die Menschheit vom Stammplaneten, der Erde, in alle Richtungen des Alls zerstreut hatte, gab es einen gewaltig schauerlichen Krieg zwischen den Sternen. Richtig?«

»Richtig. Riecht gut.« Cade biss in eine Rolle aus ölgebackenem Teig, der mit irgendetwas gefüllt war. »Fisch? Weiter.«

»Fisch, Eier, Fleisch, Tang und Gewürz. Krieg gab's, Erdlinge gegen Erdabkömmlinge und gegen andere Feinde. Viele Schiffe, voller Material und Kolonisten, flüchteten von den umkämpften Welten. Einige strandeten auf Khalakwolt, andere hier, wieder andere auf noch unbekannten Planeten.«

»Stimmt. Hast du Bier dabei?«

»Reichlich. Aus Schiffsbesatzungen wurden Siedler, die ihre neue Heimat erobern mussten. Schiffe wurden zu Angelhaken, Pflugscharen und Getreidemühlen geschmiedet. Mitunter finden sich Überreste hochwertiger Technik an der Seite primitiver Werkzeuge. Aus ersten Siedlern wurden schließlich Millionen Planetarier. Hier sind es rund drei Millionen.« Er holte zwischen nassen Tüchern ein paar Bierdosen hervor und stellte sie vor sein Knie. »Das Imperium einigte, recht und schlecht, die bekannten Planeten. Als Folge der Kriege herrscht stellare Unordnung. Keiner weiß wirklich Bescheid; siehe Khalakwolt und Zweitausend Eilande.«

»Ich hätt's nicht besser gekonnt, Storzia.«

Auf glattem Wasser, in gewaltig schwingender Dünung fuhren sie einer der nächsten Inseln des Negron-Archipels entgegen. Am höchsten Punkt der Welle zog sich Storzia am Mast hoch und sicherte nach allen Seiten.

»Leer«, sagte er. »Ich fürchte die Späheinrichtungen der TALE O'DARKNESS. Niemand zu sehen.«

»Leer wie mein Kopf, das Meer. Jedenfalls was unser weiteres Vorgehen betrifft.«

Diesmal musterte Storzia, lange schweigend, seinen Lehrer, sein Vorbild. Er sah die vielen silbernen Härchen in Cades gestutztem Haar. Die Büroarbeit der Administration schienen dem Jäger mehr zugesetzt zu haben als der strapaziöse Aufenthalt am Hof des Chaotikers Skuardi. Noch während Cade überlegte, wonach Storzia suchte, überfiel die Männer wieder das Gefühl, sich mitten in drohenden Gefahren zu bewegen.

»Nur langsam setzt sich Ordnung durch. Commander DuRoy und andere sorgen dafür.« Storzia war offensichtlich mit dem Ergebnis seiner Musterung zufrieden. »Wir verdanken ihm die Rettung vor den Meteoriten des Spica-Fomalhâut-Schwarms. Er fand auch mühsam heraus, dass es hier ebenso bedrohlich steht wie auf der Welt ohne Erinnerungen.«

»Du hättest Historiker werden sollen«, sagte Cade mit unüberhörbarem Ernst. »Gleich wirst du mir etwas über das verdammte Cryansed-Desaster erzählt haben.«

»Sofort. Das schier unbezahlbar teure Meermineral ist nur ein Teilaspekt.«

Cade aß weiter. Die Teile einer Katastrophe, die sich immer deutlicher abzuzeichnen begann, wirbelten wie Gischttropfen durcheinander. »Dass dieser Planet Ursprungsort des Minerals ist, entdeckte man erst, als die Wale ausgesetzt werden sollten. Sklavenhaltung, Bereicherung, Sadismus und andere bizarre Dinge, Versuche der Ausrottung unersetzlicher Lebewesen, die lethale Drohung einer seltsamen Sage, die Überlebenschancen von drei Millionen Menschen – das sind andere Teile. Wir werden Ordnung schaffen; das Imperium hilft uns mit seiner Logistik.«

Storzia senkte den Kopf und öffnete die Bierdose. Der Verschluss zischte protestierend. Cade summte ein paar Takte eines ausgesucht obszönen Liedes und sagte: »Cryansed. Teurer als Sternmaterie. Seltener als Geistesblitze. Unentbehrlich als Schutz für jeden qualifizierten Computer.«

»Deine Erinnerungen hat man dir jedenfalls nicht gestohlen. Und mich«, Storzia lachte grimmig, »hat man mit vielerlei Weisheiten ausgerüstet. Also, Jäger, was können wir tun7«

»Mir hat man einen neuen Empfänger, etliche Sprachkenntnisse und viele Namen eingepflanzt. Ich sage dir, was wir tun werden.« Cades Zeigefinger deutete zwischen Storzias braune Augen. Mit jener Schärfe, die Storzia begeistert wiedererkannte, sagte der Jäger: »Diesmal reiten wir nicht. Wir segeln, schwimmen und tauchen. Unser Überlebenspotential ist riesig. Wir denken lange nach, handeln, greifen an und ducken uns, wenn Kugeln oder anderes Tötungszeug schwirren, sehen alles und zeigen dieser schönen Welt, wie wir schnell Ordnung schaffen.«

Storzia lächelte kühl und atmete langsam aus.

»Jawohl, mein General.«

Er duckte sich. Die leere Bierdose flog über seinen Kopf hinweg in die Wellen.

»Habt ihr etwas von den Walen gesehen oder gehört?«

»Nur die Begleitung. Horze sah einmal einen Wal auftauchen.«

»Und die Delfine?«

»Warten auf ihre Meister. Wie war es im Regierungspalast?«

Cade winkte ab. »Hier wird's spannender. Konntest du etwas über die Mondsilberlegende herausfinden?«

»Eine ganze Menge, und da es ein t'puoi ist, nichts Greifbares. Etwa: Das Ende ist nahe – aber nicht für alle. Die Legende ist Bestandteil eines Kollektivwissens.«

»Können wir die Insel der Sieben betreten?«

»Nicht auf herkömmliche Weise. Wäre unser sicherer Tod.«

»Also wird es unser erster Versuch sein.«

»Höchstwahrscheinlich.« Storzia machte beschwichtigende Gesten und öffnete die nächste Bierdose. »Schlaf erst einmal aus, mustere die Ausrüstung und sprich mit den Insulanern.«

»Bei Ahouri!« Cades Bewunderung war echt. »Was hat die Schulung in den stählernen Kavernen der Flottenschiffe bei dir alles angerichtet, Freund Storzia. Du gebrauchst Worte wie Zeus seine Blitze. Höchst bemerkenswert!«

Storzia dehnte in übertriebenem Stolz seine Brust. Der maritime Schmuck klirrte und rasselte. »Schließlich war Professor El Sayr eine meiner Ausbilderinnen.« Er grinste. »Was Zakhari herzhaft missfiel.«

»Anerkennenswert. Wenn du weiterhin so schnell schießt und gut triffst, nehme ich das Übermaß deiner Bildung in Kauf.«

Plötzlich musste Cade gähnen.

»Wenn ich dich an die Pinne lasse – ertränkst du uns?«

»Bei Kraim.« Storzia zeigte mit drei Fingern, was Cade tun könne. »Ich wache über unsere unwürdigen Leben wie ein Albatros über seine Eier.«

»So soll es sein.«

Cade öffnete die dritte Bierdose und versuchte, in der Enge zwischen Duchten und Ausrüstung eine Stelle zu finden, an der er leidlich bequem schlafen konnte. Er schaffte es nicht mehr, die Dose zu leeren. Schon vorher überfielen ihn Müdigkeit und wirre Träume.

 

Cade, der die Sternbilder dieser Welt noch nicht kannte, sah auf die Uhr: Mitternacht vorbei. Stöhnend richtete er sich auf, pelzig-rostigen Geschmack im Mund. Der Wind hatte aufgefrischt. Das Boot ritt auf den Wellen und jagte mit prallem Segel südwestwärts. Lautlos verglühten große Meteore zwischen kristallklar leuchtenden Sternen. Storzia schob eine Dose über die breite Ducht.

»Danke. Ich hab von Cryansed geträumt. Glaub's oder glaub's nicht.«

»Ich erwartete, dass die Yacht längsseits kommt und die Verbrecher uns töten«, sagte Storzia. »Indessen: Stille, warmer Wind, auch keine neugierigen Delfine.«

»Ruhe vor dem Sturm.«

Die Insel, an der sie vorbeigesegelt waren, zeigte auch am südwestlichen Ende nicht das kleinste Licht. Cryansed. Cade memorierte, was ihm erklärt worden war: Crystal, Sand, Sediment ergaben als Kunstwort: Cryansed. Die Formel lautete:

 

CD + n-wertiges Wolfram + drei/vierwertiges Dysprosium + X

(oszillierender Faktor).

 

Dreiundzwanzigmal teurer als Platin. Wolfram schmolz bei 3410 Grad C.; mit Säure, die aus den Vulkanen einer anderen Welt tropfte, konnte das Mineral aufgeschlossen und wie Gold hauchdünn gewalzt oder geschlagen werden. Ein Computer eingeschlossen in Stahl- oder Aluminiumblech, auf der eine Cryansedschicht einige Mikron dünn aufgebracht worden war, blieb inert gegenüber nahezu jeder Art Strahlung, Wellen oder Partikel. Nur auf 2001 Islands fand man CD+n-Wn+Dy 3/4+X. In Muscheln, auf versteinertem Seetang, an Felsen oder Korallenblöcken; die Eingeborenen tauchten nach den unberechenbaren Funden. Jeder Fund war ein Zufall. Fischer und Taucher, die das silbergrau oszillierende Mineral fanden, konnten es bei den Leuten von der Kondavaala-Insel gegen Dinge des täglichen Bedarfs eintauschen. Plastikbehälter, Angelhaken, Kunststofftauwerk, Solarzellenherde, Lampen, Windgeneratoren und Kühlaggregate für den Fischfang. Vom wirklichen Wert erhielten sie bestenfalls Prozente. Die Konten der Verruchten waren in der langen Zeit in abstruse Höhen gewachsen.

Cade glaubte, im Bier bitteren Geschmack zu spüren, öffnete die Augen und stieß einen furchtbaren Fluch aus. »Erschwerend kommt hinzu, dass wir die Sieben nicht einfach überfallen können. Das feine Netzwerk ihrer Verkaufsorganisation bräche zusammen.«

Storzia hob die Hand.

»Jäger Cade!«, sagte er beschwörend. »Warte, bis die CAPSIZAL mit Prinzessin Gonavard kommt. Ganz bestimmt hat sie die Informationen, die uns noch fehlen.«

»Wahrscheinlich bin ich zu ungeduldig.« Cade wechselte seinen Platz und massierte die Unterschenkel. »Immer geradeaus? Zweihundertzehn Grad? Schlaf dich aus, mein Freund.«

»Zweihundertzehn oder –zwanzig. Wären wir ein Raumschiff, hätten sie uns schon geortet. Waffen?«

Cade packte die Pinne, warf einen Blick auf den bläulich leuchtenden Kompass und sagte:

»Mehr als genug für stundenlange Gefechte. Du machst das Frühstück, klar?«

»Unter anderem lernte ich bei Horze das harte Seemannsleben.«

Storzia faltete und schichtete Decken, kratzte sich hingebungsvoll an mehreren Stellen und stülpte eine Art Hut über sein Gesicht. Er schnarchte grauenvoll und verhinderte, dass Cade wieder einschlief. Das Boot surfte zwischen schwingenden Wellen, die ab und zu weißsilberne Schaumkronen trugen, dem unsichtbaren Ziel entgegen. Drei Stunden vor Sonnenaufgang schob sich der einzige Mond über den Horizont. Eine riesenhafte Scheibe zuerst, die, als sich die Hälfte füllte, fast achtzig Grad des Horizonts einnahm. Schwarzgrau, voller silberfarbener Linien und Kreise, eine Ansammlung von Kratern und Maria, mit einem winzigen, grellen Fleck am linken Rand. Wie eine Drohung hing Doanlikher über dem Planeten, ein Gigant mit geringer Albedo und großer Wirkung auf die Gezeiten. Cade entsann sich des bizarr-märchenhaften Spiels der Khalakwoltmonde und fühlte, wie sich die Härchen seiner Unterarme aufstellten. Man könnte abergläubisch werden, dachte er, und natürlich war dieses Gestirn der Quell für bizarre Mondsilberlegenden.

Er hielt das Boot auf Kurs, zählte Sterne und prägte sich Konstellationen ein, betrachtete die Schatten innerhalb gigantischer Krater, fühlte, wie der Mond auf ihn wirkte. Anders erging es auch den Insulanern nicht. Auch sie erschauerten unter Visionen unbekannter Gefahren, denen sie ausgeliefert blieben. Die Scheibe wuchs, wurde zur Kugel, wanderte und verdeckte die strahlenden Sterne, und war, als die nächste Insel, Baladaou, am Horizont auftauchte, wieder verschwunden. Cade setzte den Feldstecher ab und sagte:

»Wunderschön, Storzia.« Das Boot rauschte, zischte und krachte schaukelnd durch eine Brandungswelle, die mühelos mit den Brechern der Venosta auf Khalakwolt konkurrieren konnte. »Aber – was hilft uns Schönheit, wenn die Mission uns umbringt?«

»Man stirbt heiter lächelnd.«

Storzia nahm das Segel aus dem Wind und winkte zum Uferhang. Durch eine große Lagune glitt das Boot auf einen Strand aus mehligfeinem, platinfarbenem Sand zu. Zwischen den Fischerbooten standen etwa drei Dutzend Insulaner und winkten.

»Fatalismus war Teil deiner Schulung?«

»Kennst du DuRoys Lehrmethoden nicht, Cade?«

»Flüchtig. Offensichtlich ein begabter Stoiker.«

Im Westen sank die Sonne zwischen Vorhängen, Schleiern und Ballungen farbenprächtiger Wolkenbänke. Das Boot wurde von der letzten Welle auf den knirschenden Sand geschoben. Cade und Storzia luden rechts und links des Dollbords ihre Taschen, Kisten und Ballen aus. Ein braunhäutiger, breitschultriger Mann mit schneeweißen Tätowierungen auf der haarlosen Brust stapfte durch den Sand.

»Jäger, Schwimmer und Taucher Cade Chandra!«, rief er dröhnend. Er strahlte hinterhältige Jovialität aus; Cade mochte ihn augenblicklich. »Willkommen auf Baladaou. Ich bin Caziqe Aissa.«

Storzia packe Cade am Arm und deutete aufs Meer.

»Da. Deine neuen Freunde.« Etwa zwei Dutzend riesiger Fischleiber sprangen und schwammen vor der Brandung durch die Wellen. Große Delfine; keine Produkte der Evolution dieser Welt. Keine Fische, sondern Meeressäuger. Cade sah sich überrascht um und schüttelte Aissas Hand.

»Eines nach dem anderen. Wir werden beim Abendessen alles besprechen, Großlunge Aissa.«

Der Häuptling sprach mit unglaubwürdig tief dröhnendem Bass.

»Alles ist bereit. Unsere Freunde von den Sternen haben sich eingerichtet. Was geschieht mit eurem Boot?«

»Lagert es hoch und trocken.« Storzia strauchelte in der auslaufenden Brandung, als sich ihm Zakhari an den Hals warf. »Gemach, Schönste. Wir treffen uns gleich in Cades Haus.«

Zwanzig Insulaner, offensichtlich gut vorbereitet, begleiteten Cade, Storzia und dessen Freundin zu einem Haus, das auf dicken Baumstämmen und einer Platte aus Bohlen und Airgel etwa zwanzig Meter über dem Strand und, neben einem Korallenfelsen, im Schatten mächtiger Zwitterzitronenbäume zu schweben schien. Cade zog eine Tür aus Glas, Schattenjalousie und Bambus zur Seite und trat in einen großen, herrlich kühlen Raum.

»Wer, beim tief tauchenden Wal, ist dafür verantwortlich?« Cade starrte Storzia und Aissa an. Storzia deutete auf den Häuptling, der schwarzhaarige Mann kratzte sich unter der Achsel und dem klirrenden Muschelschmuck.

Er kicherte und klatschte in die Hände.

»Die beiden und ich. Grüße von Amourea«, sagte Zakhari. »Sie ließ verlauten, wir würden böse Brandung erleben, wenn du unzufrieden bist, Jägertaucher.«

Cade rang sich zu einem breiten Lächeln durch. »Ihr seid eine Bande liebenswerter Schurken. Danke! Das Haus stammt aus Träumen, die ich hatte, ehe ich euch kannte.«

Zakhari schob den Häuptling zur hölzernen Treppenplattform. Gepäckstücke stapelten sich. Stufen wendelten in kühner Halbspirale hinunter zum Dorfplatz. Zakhari holte Gläser und Flaschen aus einem bambusverkleideten, uralten Kühlschrank, mischte kitschfarbene Flüssigkeiten mit viel zerstoßenem Eis. Cade stützte sich auf einen Arbeitstisch, sieben mal drei Schritt groß, und betrachtete Karten, Aufnahmen aus dem Orbit, ein Dutzend Isobarenkurven, Ausschnittvergrößerungen und andere, meist stereoskopische Bilder an einer Pinnwand. Am meisten faszinierte ihn die Mercatorprojektion der Planetaren Karten, die fast die gesamte Längswand bedeckte.

»Sehr gut.«

Quer durch den blauen Ozean zog sich die Äquatorlinie. Den oberen und unteren Rand nahmen elliptische Ausschnitte der Polkappen ein. Entlang, südlich und nördlich des Äquators zeichneten sich kleine und große Kreise ab; riesige, einander schneidende Reste versunkener Landmassen, Inseln verschiedener Größe, Reste riesiger Wallkrater, von Korallenlagunen umgeben – chaotische Ringformen, die nur bei langem Betrachten zu erkennen gaben, dass eine lange planetologische Entwicklung diese Formen hervorgebracht hatte. Strömungen, Winde, Monsune und Passate wurden von Inselgebirgen und riesigen Felsriffen abgelenkt und fügten dem Ganzen weitere chaotische Linien hinzu. Es schien höllisch schwer zu sein, zwischen den 2001 Inseln zu segeln. Nur Menschen, die in diesen Winden und Strömungen aufgewachsen waren, fanden sich zurecht; jäh stieg Cades Achtung vor Aissa und seinen Leuten. Gedankenlos nahm er ein Glas aus Zakharis Fingern, musterte sie zerstreut – ihre blonde Haarflut war zu riesigem Flechtwerk aufgetürmt – und sehnte sich nach Amoureas strahlendblauen Augen. Er zeigte auf die Tafel aus Kork und die vielen Nadeln mit Bambusgriffen.

»Danke euch allen«, sagte er leise. »Ich wusste schon, dass wir Selbstmörder sind. Eine Handvoll Leute gegen sieben Monstrositäten. Wie damals, nach Poters Befehl. Und ihr seid glücklich, wie?«

Zakhari, vollbusig und schön, sagte in einem Ton, der Cade frösteln ließ: »O großer Jäger Cade Chandra, alle hier wissen, dass du dein Leben einsetzt, um auch diese Welt zu retten. Nimm endlich Platz und trink! Und sei sicher, dass dir jeder und alle helfen werden. Nicht wahr, Caziqe?«

»So wurde es beschlossen!«

Mit dunkler, krächzender Stimme fügte Storzia hinzu:

»Hoffentlich siehst du, dass alle auf dich warten, dich verehren und lieben.«

Cade ließ sich verschämt in einen knarrenden Riesensessel aus Bambusgeflecht sinken. Schließlich hob er den Kopf und sagte: »Geht in Ordnung, Gardist. Zeigen wir es ihnen.«

Storzia kniff erleichtert seine Freundin in den Oberarm.

»Der fremde Jäger will uns damit sagen, dass er die Feinheiten unseres Empfanges richtig schätzt. In einigen Monden haben wir das Kandavaala-Desaster gelöst.«

Cades Blick wanderte über Waffen, Geräte, Ausrüstung und technische Bausteine. Sie waren auf dem riesigen Tisch ausgebreitet. »Wahrscheinlich. Solange ich nichts Fassbares in den Fingern habe, bin ich unsicher. Ich rede und handle mit gewohntem Nachdruck, wenn Amou endlich hier ist.«

Zakharis Zehen glitten an Storzias Schienbein hinauf.

Storzia nickte im Takt.

»Du wirst warten müssen. Bis dahin sind wir bei dir, listenreicher Jäger.«

Cade warf ihr einen resignierten Blick zu. »Du hast recht, Zakhari.«

Während Cade wartete und zufrieden registrierte, dass ihm keine Erinnerungen fehlten, versuchte er, die Einzelheiten des Vorhabens so tief wie möglich zu durchdenken. Je länger er unkoordiniert zusammengetragene Informationen studierte, desto deutlicher zeigten fahlfarbige Mosaiksteinchen ein Bild voller Willkür, Gewalttätigkeit und Verbrechen auf der Oberfläche einer herrlichen Welt. Eine Liste, gespickt mit Holofotos, wanderte über den Bildschirm des kleinen Computers.

 

Scir Osmander 56

Scar Osmander 58, Bruder Scirs

Bloss Arthemalle 43

Assa Pitallisu 46

Birthelma Vandrey 69

Pazuul Shagorsen 96

Aricca Zorraddu 46

 

»Drei Frauen, vier Männer. Sieben Schurken.«

Mehr Informationen gab es noch nicht. Vor fünfundzwanzig Jahren waren diese Leute hier gelandet, hatten zu ihrem Raumschiff eine Yacht zur Insel gebracht und das Monopol für Cryansed an sich gerissen. Wahrscheinlich waren sie zufällig auf das Mineral gestoßen. Mittlerweile gab es im Reigen der Imperiumsplaneten wenige Individuen, die über größere Habensaldos verfügten.

Shagorsen raubte junge Frauen und benutzte sie zu makabren Spielen; die Gebrüder Osmander errichteten einen Wall aus Radar-, Fernortungs- und Verteidigungseinrichtungen um ihre Paläste; Assa Pitallisu baute um, besorgte die Inneneinrichtung, stattete die Yacht aus; Bloss Arthemalle jagte alles, was sich in den Wellen zeigte – es würde nicht mehr lange dauern, bis er auf die letzten Wale stieß und die Meeressäuger tötete. Cade saß vor der Megalupe und studierte Bilder von Verbrechern, Inseln und Lagunen; hatte eine kosmische Katastrophe auch 2001 Islands gezeichnet?

Er hob den Kopf und blickte über das schlafende Fischerdorf in die Rundung des Mondes. Der grelle Fleck am Rand des Gestirns war heute, vier Nächte nach der Ankunft im Dorf Thut, heller und schärfer geworden. Bevor die CAPSIZAL nicht hier war, hatte er keine Möglichkeit, Kurs, Umlaufgeschwindigkeit und Achsenbewegung des Mondes berechnen zu können. Storzia verlängerte die Bänder des Delfin-Kommunikationsgerätes und sagte: »Geduld, Jäger.«

»Wann kommen endlich die Delfine? Ich lerne schon den halben Tag die Technik dieses Gerätes zu begreifen. Warum erfahre ich nichts von den Fischern?« Cade streckte sich in seinem Sessel aus.

»T'puoy. Ich erfahre mehr. Sie verehren dich schweigend, Cade.« Storzia sortierte Schwimmflossen, Anzugteile, Pressluftflaschen und Zubehör auf dem weißen Sandboden des Wohnraums aus, zählte, verglich und testete, grinste Cade an und sagte: »Morgen Mittag, bei Flut, sagt Aissa, kommen die Delfine.«

Cade antwortete mit einem gemurmelten Fluch und wandte sich wieder den Informationen zu. Je mehr er nachdachte, desto vielschichtiger wurde das Problem von 2001 Islands.

 

 

2 – Cade und der Delfin Triton

 

»Man scheut sich vor den Folgen des konsequenten Vorgehens. Natürlich könnte das Imperium einen Zerstörer einsetzen, Bodenkommandos ausschleusen und die sieben Hundesöhne und -töchter gefangen nehmen oder erschießen. Der Cryansed-Vorrat wäre blitzschnell beschlagnahmt. Nichts leichter als das.«

Cade sah zu, wie Zakhari bedächtig ein fingerdickes Holzstück in Späne zerteilte.

»Commander DuRoy hat mich überzeugt. Die Flotte, also das Imperium, besonders unsere Zulieferer, brauchen stetigen Nachschub des Minerals. Stockt er, bekommt die Industrie ernsthafte Schwierigkeiten. Das Imperium wird die Sieben durch besonders ausgebildete Fachleute ersetzen. Wenn der nächste Transport nicht über die alten Kanäle weiterverkauft wird, hat das Imperium Probleme, gegen die unsere Mission eine Lächerlichkeit ist. Die Bevölkerung von Iten Cyone steht, sozusagen, geschlossen hinter ihren letzten vier Walen. Wenn den Meeressäugern etwas passiert, lynchen sie uns, Storzia.«

»Verständlich, ihre Sorgen.«

Zakhari wartete, bis die Späne brannten, blies die Flammen aus und ließ das Holz weiterschwelen. Sie schob die Stäbchen in ein weiß glasiertes, löcherverziertes Tonkrügelchen und wartete, bis sich dünner Rauch ausbreitete.

»Stechmücken? Skorpione?«

Cade schob den farbenprächtigen Wandschirm vor den großen Schlafplatz und lehnte sich gegen die Mauer aus Balken und Korallenblöcken, von der Bad und Küche gegen den Wohnraum abgegrenzt wurden.

»Du wirst dich wundern, Jäger.« Auch Storzias Freundin trug Kleidung und Schmuck der Insulaner. »Unsere Freunde verbrennen mit einer bestimmten Holzart jeweils eine Stimmung. Ich habe Übelholz angezündet. Im Wohlrauch vergeht unsere schlechte Laune.«

Cade setzte sich stirnrunzelnd in den nunmehr wohlig knarrenden Sessel aus Flechtwerk. »Das soll etwa tatsächlich unsere Laune beeinflussen können?«

»Es wirkt, Cade«, bestätigte Storzia. »Wenn sie in sich gehen wollen, verbrennen sie ein anderes Holz. Gegen Schmerzen haben sie eine feuchte Rinde und so weiter.«

»Gute Laune und noch bessere Einfalle brauchen wir dringend.« Cade nahm den Brustschmuck ab und musterte die aufgereihten Empfänger, Funkgeräte und Monitoren auf der Tischplatte. »Ich dusche und komme dann mit euch zu Aissas Gastmahl.«

»Zwei Tanks im Uferhang werden ständig von Solarstrompumpen gefüllt. Im Bad hast du nötigenfalls auch warmes Seewasser.«

»Und frische Handtücher. Ihr habt wirklich alles perfekt vorbereitet.«