Hans P. Krings, Professor für Angewandte Linguistik an der Universität Bremen, studierte Romanische Philologie, Sozialwissenschaften, Pädagogik und Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum und legte das Erste Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern Französisch und Italienisch ab. Er lehrte an den Universitäten Hildesheim, Bochum, Paris-Nanterre und Bremen, wo er zuletzt sieben Jahre lang Wissenschaftlicher Direktor des Fremdsprachenzentrums der Hochschulen im Land Bremen (FZHB) war. Er unterrichtete viele Jahre Französisch, Italienisch sowie Deutsch als Fremdsprache in verschiedenen Ländern und an verschiedenen Einrichtungen (Universitäten, Volkshochschulen, private Sprachschulen). Er hat zahlreiche Bücher und Fachartikel publiziert und ist auch Autor des Internetportals Der Bremer Schreibcoach (www.bremer-schreibcoach.uni-bremen.de).
HANS P. KRINGS
Fremdsprachenlernen mit System
Das große Handbuch der besten Strategien für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. eISBN (PDF): 978-3-87548-791-6 eISBN (ePub/mobi): 978-3-87548-811-1
wenn Sie dieses Buch in der Hand halten, dann gehören Sie wahrscheinlich zu der großen Zahl von Menschen, die beabsichtigen, eine neue Fremdsprache zu lernen oder vorhandene Fremdsprachenkenntnisse aufzufrischen und zu erweitern. Oder Sie haben bereits damit begonnen.
Dafür kann es viele Gründe geben: Sie machen gern Urlaub im Ausland. Sie möchten Menschen aus anderen Ländern kennenlernen oder bereits bestehende Kontakte vertiefen. Sie wollen Ihre beruflichen Einstellungs- oder Aufstiegschancen verbessern. Sie möchten ein Praktikum, ein Studiensemester oder gar ein ganzes Studium im Ausland absolvieren. Sie möchten ein Fremdsprachenstudium aufnehmen oder einen Sprachenberuf ergreifen. Sie müssen Fremdsprachenkenntnisse in einer Prüfung nachweisen. Sie arbeiten im Export, im Flugverkehr, in der Tourismusbranche, in einer internationalen Organisation oder in einem international tätigen Unternehmen. Sie haben viele Kontakte mit Kunden, Geschäfts-, Projekt- oder Kooperationspartnern, Kollegen und Kolleginnen, die kein Deutsch sprechen. Sie sind oft auf internationalen Messen und Ausstellungen im Einsatz. Sie müssen viele fremdsprachige Fachtexte lesen oder selbst welche schreiben. Sie haben mit Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen aus Migrations- oder Flüchtlingsfamilien zu tun. Sie haben einen Partner mit einer anderen Muttersprache, wollen mit seiner Familie kommunizieren und gemeinsame Kinder zweisprachig erziehen. Sie wollen mit Menschen im Ausland in einer Fremdsprache mailen, simsen, chatten, skypen. Sie wollen mit dem Sprachtraining Ihre grauen Zellen fit halten, und dies bis ins hohe Alter. Vielleicht haben Sie einfach nur Spaß an neuen Herausforderungen und interessieren sich auch ohne äußeren Anlass für fremde Sprachen und Kulturen.
Doch was immer Sie motiviert, sich mit Fremdsprachen zu beschäftigen, Sie sind in guter Gesellschaft. Allein in Deutschland machen sich jedes Jahr Millionen Menschen auf, um Fremdsprachen zu lernen. Sie wenden oft viel Zeit und Energie auf. Die meisten träumen insgeheim von einem großen Ziel: sich in der Fremdsprache mühelos verständigen zu können. Doch nur wenige kommen an diesem Traumziel tatsächlich an. Viele bleiben unterwegs irgendwo stecken. Warum eigentlich? Liegt es nur an ihrem mangelnden Durchhaltevermögen?
Ein Grund ist zweifellos, dass Sprachen ziemlich komplexe Lerngegenstände sind. Um eine Sprache perfekt zu beherrschen, muss man nicht nur nach hunderten von Regeln tausende Wörter grammatisch zu richtigen Äußerungen kombinieren können, sondern auch noch für eine potenziell unendliche Menge von Situationen wissen, welche dieser Kombinationen jeweils die angemessene ist. Die Mühelos- und Turbotempo-Versprechungen mancher Lehrwerke, Sprachschulen, Kursanbieter oder Internetseiten sind schon deshalb unrealistisch, wenn nicht gar unseriös. Lernabbrüche wegen nicht erfüllter Erwartungen sind eine typische Folge falscher Versprechungen.
Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum so viele Fremdsprachenlerner hinter ihren zweifellos vorhandenen Möglichkeiten zurückbleiben: Sie haben nicht die richtigen Strategien. Eine falsche Strategie ist besonders häufig zu beobachten: die Verantwortung für den Lernerfolg an einen Lehrer oder eine Lehrerin abzugeben. Das ist bequem, aber ineffizient. Lernprozesse kann man nicht delegieren. Lernen kann immer nur in unserem eigenen Kopf stattfinden. Nach individuellen Bedürfnissen und nach eigenen Regeln. Dieses Buch plädiert dafür, das Steuer des Lernens selbst in die Hand zu nehmen. Es lädt Sie ein, den intelligenten, selbstbestimmten Lerner in Ihnen zu entdecken. Den Lerner, für den Kursunterricht immer nur eine Option unter anderen ist. Den Lerner, der das Wissen und die pädagogische Kompetenz von Lehrern nutzt, dabei aber immer sein eigener Lernmanager bleibt.
Zu diesem Ziel stellt Ihnen das Buch einen umfassenden Werkzeugkasten erprobter, fundierter Strategien zur Verfügung. Und dies für alle Teilkompetenzen (Lesen, Hören, Sprechen, Schreiben) und für alle Lernniveaus (Anfänger, Fortgeschrittene, Profis). Für alle Lernertypen und für alle Lernmotivationen (Studium, Beruf, Reise, Kontakte). Für alle, die Prüfungen ablegen oder Zertifikate erwerben möchten. Für das Lernen im Inland und im Ausland. Für das Lernen in Kursen, Gruppen, Tandems und für das reine Selbststudium.
Das umfassende Ziel erklärt auch den Umfang des Buchs, der Sie auf den ersten Blick vielleicht ein wenig abschreckt. Aber natürlich müssen Sie dieses Buch nicht erst als Ganzes lesen, bevor Sie die darin enthaltenen Ratschläge anwenden können. Es ist so geschrieben, dass es sich auch zum Lesen in Etappen, zum Nachschlagen und zum Quereinsteigen eignet. Sprechende Überschriften machen es Ihnen leicht, schnell die Ratschläge zu finden, die Sie gerade für Ihr aktuelles Lernen brauchen. Ich empfehle ausdrücklich eine Nach-und-nach-Lektüre, kombiniert mit dem Ausprobieren der vorgestellten Strategien. Doch wie auch immer Sie die Lektüre anlegen, sie ist eine Investition in den Erfolg Ihres Fremdsprachenlernens, für jetzt und für die Zukunft.
Das Buch ist das Ergebnis meines eigenen langjährigen Lernens, Lehrens und Forschens rund um das Thema Fremdsprachen. Auch meine Tätigkeit als Direktor des Fremdsprachenzentrums der Hochschulen im Land Bremen (FZHB) hat ihre Spuren hinterlassen. Es war mir ein Anliegen, die gesammelten Erfahrungen weiterzugeben an alle, die die Leidenschaft für Fremdsprachen mit mir teilen.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Freude bei der Lektüre, viele nützliche Einsichten und umfassenden Erfolg beim Anwenden der Strategien, die Ihnen dieses Buch in großer Zahl präsentiert.
Ihr Hans P. Krings
TEIL I
Good to know – Zur Einleitung und zur Einstimmung
1 Zur Einleitung – Was Sie von diesem Buch erwarten dürfen und wie Sie es benutzen können
Im Zeitalter der Internationalisierung und Globalisierung in fast allen Lebensbereichen benötigen immer mehr Menschen Fremdsprachenkenntnisse. Wer nicht das Glück hatte, bilingual aufzuwachsen, macht dabei in der praktischen Anwendung seiner Fremdsprachenkenntnisse oft die Erfahrung, dass seine Schulkenntnisse nicht ausreichen. Zu lückenhaft der Wortschatz, zu unsicher die Grammatik, zu stockend das Sprechen, zu fehlerhaft das Schreiben oder einfach nur: zu viel wieder vergessen. Andere wiederum benötigen Fremdsprachen, die an deutschen Schulen nicht oder nur sehr selten angeboten werden. Auf sprachliche Kontakte mit Schweden, Polen oder Portugiesen in deren Muttersprache hat uns die Schule nicht vorbereitet, von so wichtigen Sprachen wie Arabisch, Türkisch, Japanisch oder Chinesisch ganz zu schweigen.
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass in Deutschland jedes Jahr mehrere Millionen Menschen beschließen, vorhandene Sprachenkenntnisse aufzufrischen und auszubauen oder neue Sprachen zu lernen, an Volkshochschulen, Universitäten, privaten Sprachschulen oder anderen Einrichtungen. Für viele von ihnen ist dabei die Entscheidung, Fremdsprachen zu lernen, identisch mit der Entscheidung, einen Sprachkurs zu belegen. Es ist sozusagen ein Reflex. Warum eigentlich?
Eine naheliegende Erklärung ist, dass wir es aus der Schule so gewohnt sind: Sprachen bekommt man durch Unterricht »beigebracht« wie so ziemlich alles andere auch in der Schule. Ein zweiter Grund ist die Praxis der meisten Lehrer: Sie vermitteln durch ihre Art zu lehren oft bewusst oder unbewusst die Botschaft, dass es ohne Lehrer gar nicht geht. Das gilt oft in der Erwachsenenbildung noch genauso wie in der Schule. Zwar erwarten auch die Dozenten von Erwachsenen Engagement, vor allem in der Form von »Mitarbeit« und »Hausaufgaben«, aber die meisten von ihnen lassen doch die Fäden im Unterricht eindeutig bei sich zusammenlaufen. Sie determinieren mehr oder weniger den gesamten Unterrichtsablauf und entscheiden selbst, was für die Lerner gut ist. Die meisten Lehrer handeln auch heute noch nach dem Prinzip des »aufgeklärten Absolutismus«: Ich weiß, was für euch gut ist, also tut, was ich euch sage.
Ein dritter Grund, und vielleicht ist dies sogar der entscheidende, besteht in der Versuchung für den Lerner, durch das Belegen von Unterricht die Verantwortung für das Gelingen des Lernprozesses zumindest zu einem guten Teil abzugeben, und zwar an einen, der weiß, wie es geht, den Lehrer eben. Und damit liegt dann auch der nächste Schluss bereits in der Luft, nämlich die Erwartung, dass Unterricht, der doppelt so viel kostet, doppelt so gute Ergebnisse bringt oder – je nach Präferenz – nur halb so viel Mühe macht, ein Schluss, von dem so manch kommerzieller Anbieter lebt. Auf jeden Fall erwartet fast jeder, der an einem bestimmten Kurs teilnimmt, dass er das gewünschte Ziel damit erreicht, einfach nur deshalb, weil er am Kurs teilnimmt. Etwas pointiert gesagt: Lehrer und Lerner erliegen gemeinsam einer Art kunstvoll inszenierten Selbstbetrugs. Dieser Selbstbetrug lässt sich dabei auf die einfache, aber grundfalsche Formel zurückführen »gelehrt = gelernt«.
Wenn die internationale wissenschaftliche Forschung zum Lehren und Lernen von Fremdsprachen in den letzten Jahrzehnten ein Ergebnis klar herausgearbeitet hat, dann ist es dieses: Lernen ist kein Prozess, der spiegelsymmetrisch zum Lehren verläuft. Wenn Sie eine Stunde lang Spanischunterricht genommen haben, heißt das noch lange nicht, dass Sie wirklich eine Stunde lang Spanisch gelernt haben. Und das, was Sie gelernt haben, ist in keiner Weise das direkte Abbild dessen, was der Lehrer Sie lehren wollte. Lerner sind keine Gefäße, die mit fremdsprachlichem Können »gefüllt« werden und in denen es dann »drin« ist. Sprachenlernen ist im Kern ein aktiver Aneignungsprozess durch einen selbsttätigen Lerner, kein passiver Belehrt-werden-Prozess durch einen noch so engagierten und qualifizierten Lehrer. Lernen kann zwar meist durch äußere Umstände und durch eine gute »Lernorganisation« erleichtert und gefördert werden. Aber zustande kommt es immer nur in unserem eigenen Kopf nach den individuellen Regeln, die sich aus unseren individuellen Lernvoraussetzungen und Lernweisen ergeben.
Dieser Charakter des Lernens ist auch der Grund, warum die Delegation an einen Lehrer nicht vergleichbar ist mit der Delegation anderer Dienstleistungen. Wer also z. B. argumentiert, dass man im Alltag ja auch andere Aufgaben an Fachleute delegiert und ihnen die Verantwortung für die professionelle Durchführung dieser Aufgaben überträgt, der verkennt den entscheidenden Unterschied: Der Monteur kann für Sie die Heizung reparieren, der Steuerberater für Sie die Steuererklärung machen und die Rechtsanwältin für Sie den Prozess führen. Aber der Fremdsprachenlehrer kann nun einmal nicht für Sie die Fremdsprache lernen. Alles was beim Fremdsprachenlernen zu tun ist, muss letztlich in Ihrem Kopf stattfinden.
Vieles spricht dafür, dass der klassische Fremdsprachenunterricht in Großgruppen, wie er für die meisten Einrichtungen typisch ist, für diesen aktiven Aneignungsprozess keine optimalen Bedingungen bietet. Wer sich in einen Sprachkurs setzt, verbringt, ohne es zu wollen, oft mehr Zeit damit, dem Lehrer beim Lehren oder den anderen Teilnehmern beim Lernen zuzusehen, als selbst zu lernen.
Vor dem Hintergrund dieser Grundeinsicht, die ich noch näher begründen werde (s. Abschnitt 2|9 »Dabeisein ist nicht alles – Warum Sie die Möglichkeiten von Fremdsprachenunterricht kritisch einschätzen sollten«), ist das Ziel dieses Buches zu sehen: Ich möchte Sie einladen, den aktiven, selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Lerner in Ihnen zu entdecken. Die zentrale Botschaft des Buches lautet: Werden Sie Ihr eigener Lernmanager! Damit Sie dieses Ziel erreichen können, stelle ich Ihnen in diesem Buch das nötige Wissen für das optimale Management Ihrer fremdsprachlichen Lernprozesse zur Verfügung. Dabei geht es keineswegs darum, alles nur noch im Selbststudium zu machen. Fremdsprachenunterricht zu besuchen bleibt durchaus eine Option. Aber nicht als unreflektierter Reflex, wie oben beschrieben, sondern nur als Teil eines umfassenderen Lernkonzepts, zu dem auch andere Lernformate gehören. Vor allem aber geht es darum, Sie mit einem breiten Inventar von Strategien zum Erreichen Ihrer selbst gesetzten Lernziele unter Berücksichtigung Ihrer persönlichen Lernstile zu versorgen.
Ein wichtiger Leitgedanke dabei ist die Effizienz. Zeit ist heute ein knappes Gut. Nur für die wenigsten ist Fremdsprachenlernen reiner Zeitvertreib. Alle anderen müssen sich die Zeit zum Lernen nehmen, oft genug auf Kosten von Freizeit und Erholung. Ich gehe deshalb von einem Lerner aus, der schnell Erfolge sehen möchte und der Umwege nicht unbedingt als bereichernd empfindet.
Um dieses Ziel zu erreichen, fordert das Buch Sie aber auch auf, eigene Lerngewohnheiten in Frage zu stellen. Denn eine Erfahrung mache ich immer wieder: Fast alle, die eine Fremdsprache lernen, wenden bewusst oder unbewusst bestimmte Lernstrategien an; aber sie tun es oft, ohne sich ernsthaft zu fragen, ob es die richtigen für sie sind. Die einen belegen einen teuren Sprachkurs in einer Privatschule oder erwarten Wunder von einem zweiwöchigen Sprachkurs im Ausland. Die anderen pauken endlos lange Vokabellisten oder lernen Grammatikregeln auswendig. Und wiederum andere setzen ganz auf reine Anwendung im Gespräch und wundern sich später, wenn sie eine Zertifikatsprüfung nicht bestehen. Dieses Buch stellt demgegenüber so manche beliebte Lernstrategie in Frage und schlägt effizientere Alternativen vor.
Dennoch verspricht es aber weder einen Nürnberger Trichter noch die einzig wahre Methode. Es stellt Ihnen vielmehr einen umfassenden Werkzeugkoffer zur Verfügung, aus dem Sie diejenigen Strategien auswählen können, die Sie brauchen und die zu Ihnen passen.
Dabei machen wir uns einen entscheidenden Umstand unserer Zeit zunutze: Fremdsprachenlernen war, rein technisch gesehen, noch nie so einfach wie heute. Elektronische Sprachkurse bieten umfassende multimediale Lernumgebungen, die Text, Grafik, Ton und Film integrieren. Interaktive Lernsoftware erkennt und analysiert unsere Fehler, gibt individualisiertes Feedback und verwaltet zielstrebig beherrschte und nicht beherrschte Vokabeln. Elektronische Wörterbücher liefern in Bruchteilen von Sekunden die gewünschten Übersetzungen, teilweise sogar als Pop-up-Funktion direkt durch einen Klick auf das unbekannte Wort, und fügen beim Schreiben die Übersetzung durch einen weiteren Klick in den eigenen Text ein. DVDs bieten fast regelmäßig auch die fremdsprachigen Originalversionen aller internationalen Filme. Das Internet bietet praktisch unbegrenzten (und meist kostenlosen) Zugang zu fremdsprachigen Texten, fremdsprachigem Radio und Fernsehen, und dies selbst in seltenen Fremdsprachen, stellt mit seinen Podcast- und Videodatenbanken unbegrenztes Hörverstehensmaterial zur Verfügung und hält auf zahlreichen spezialisierten Portalen eine kaum noch zu überblickende Fülle an kostenlosem fremdsprachlichen Lernmaterial bereit. Außerdem eröffnet es neue Formen des kooperativen Lernens, das Raum- und Zeitgrenzen fast beliebig überschreitet. Wir können über E-Mail, Skype oder Videokonferenz mit anderen Lernern und auch Muttersprachlern in Kontakt treten und dabei unsere Fremdsprache mit Menschen trainieren, die sich am anderen Ende der Welt befinden. Selbst für Unterricht müssen wir heute das Haus nicht mehr unbedingt verlassen, der Lehrer kann im Rahmen eines Online-Sprachkurses direkt auf unseren Bildschirm kommen, mit uns sprechen und uns unterrichten, individuell oder auch in einem »virtuellen Klassenraum« zusammen mit anderen. Und all das können wir dank Smartphone auch an praktisch jedem beliebigen Ort tun und dabei noch auf eine große Bibliothek von Sprachlern-Apps zurückgreifen.
Natürlich ist es auch hier wie in anderen Bereichen des Lebens: Je mehr Optionen wir haben, desto schwieriger wird es, das Richtige zu tun. Es gilt deshalb zu wissen, wie wir von den Möglichkeiten, die uns die moderne Technik bietet, sinnvollen Gebrauch machen können, ohne dabei im Dickicht der schönen neuen Multimedia-Welt unser Ziel, das effiziente Lernen einer Fremdsprache, aus den Augen zu verlieren.
Dieser Ratgeber wendet sich an alle, die ihr Fremdsprachenlernen effizient und nachhaltig gestalten wollen. Er tut dies in allgemeinverständlicher Form, setzt also keine speziellen Vorkenntnisse voraus, verzichtet so weit wie möglich auf Fachterminologie und hält den Text der besseren Lesbarkeit zuliebe frei von Quellen- und Literaturangaben (bis auf einige begründete Ausnahmen). Die Empfehlungen, die ich in diesem Buch gebe, beruhen dennoch zu großen Teilen auf Erkenntnissen aus der Sprachlernforschung, der Fremdsprachendidaktik, der Linguistik und der Lernpsychologie. In diesen Disziplinen ist in den letzten Jahrzehnten dank einer großen Zahl empirischer Studien ein beachtliches Wissen über die Natur fremdsprachlicher Lernprozesse entstanden. Es bildet die Basis für meine Empfehlungen. Es sind an vielen Stellen aber auch meine persönlichen Erfahrungen aus rund vier Jahrzehnten als Fremdsprachenlehrer eingeflossen, der die Sprachen Italienisch, Französisch und Deutsch als Fremdsprache an Privatschulen, Volkshochschulen und Universitäten in verschiedenen Ländern unterrichtet hat. Und natürlich habe ich auch meine Erfahrungen als Fremdsprachenlerner eingebracht. Ich empfehle in diesem Buch keine Strategie, die ich nicht selbst schon einmal ausprobiert hätte.
Die Ratschläge, die Sie hier finden, sind zum ganz überwiegenden Teil nicht spezifisch für einzelne Fremdsprachen, sondern auf das Lernen aller Fremdsprachen anwendbar. Wo immer möglich, habe ich versucht, die Ratschläge durch konkrete Beispiele zu veranschaulichen. Diese stammen überwiegend aus den vier in Deutschland am häufigsten gelernten (lebenden) Fremdsprachen Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch. Wir unternehmen aber auch Ausflüge in andere Fremdsprachen. Da dieses Buch in Deutsch geschrieben ist, hatte ich beim Schreiben vor allem Leserinnen und Leser mit Deutsch als Muttersprache vor Augen. Das Deutsche dient hier deshalb vor allem zur Erklärung oder Veranschaulichung von Zusammenhängen, die man am besten am Beispiel der eigenen Muttersprache versteht. Trotzdem können die Ratschläge dieses Buchs natürlich auch auf den Erwerb des Deutschen als Fremdsprache angewandt werden.
Das Buch wendet sich zwar primär an die Lerner selbst, dürfte aber auch dann für Sie von Interesse sein, wenn Sie Fremdsprachen lehren. Zum einen, weil Sie darin Ratschläge finden, die Sie so an Ihre Lerner weitergeben können. Und zum anderen, weil jeder Lehrer gut beraten ist, sich auch immer wieder einmal in die Lernerperspektive zu begeben, sei es um seine eigenen Sprachkenntnisse als fortgeschrittener Lerner zu verbessern, oder aber auch, um sich durch das Lernen einer neuen Sprache noch einmal die typische Anfängerperspektive zu vergegenwärtigen. Auch alle, die mit Aufgaben in der Sprachlernberatung betraut sind, finden in diesem Buch viel Material für diese Beratungstätigkeit.