image

image

Hubert Flattinger

wurde während eines Schneesturms in den Bergen Tirols geboren. Seine Kindheit und Jugend waren geprägt von oftmaligen Übersiedlungen, Abenteuern in der Natur und Erlebnissen, die ihn als Kind von Wirtshausleuten stark beeinflussten.

Heute lebt Hubert Flattinger in einem beschaulichen Nest in Niederösterreich, beobachtet Vögel und Menschen, schreibt Geschichten und malt Bilder.

Unter www.flattinger-online.com ist der Autor auch im Internet zu finden.

Von Hubert Flattinger bei ARAVAIPA:

Baboon

HUBERT FLATTINGER

Sommersprossen

auf dem

Asphalt

Roman

image

AutorenEdition Flattinger

ISBN 978-3-03864-205-3

Alle Urheberrechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe in jeder Form, einschließlich einer Verwertung in elektronischen Medien, der reprografischen Vervielfältigung, einer digitalen Verbreitung und der Aufnahme in Datenbanken, ausdrücklich vorbehalten.

Lektorat: Merle Rüdisser

Umschlaggestaltung: Agentur flin, unter Verwendung einer Illustration von Bert Silberstein, Foto: Patricia Vagners

Copyright © 2016 by ARAVAIPA–Verlag,
Egg bei Zürich, Freudenstadt, Tucson
7 6 5 4 3 2 1

ARAVAIPA im Internet: www.aravaipa.ch

Zu diesem Buch gibt es Unterrichtsmaterial

als Download auf www.aravaipa.ch

Diese Erzählung ist meinen Freunden Frajo und Hermann gewidmet, die ich oft auf ihren Konzert-Reisen begleiten durfte und die mir in unvergesslichen Stunden tausendundeine Geschichte erzählten.

Weiters möchte ich mich bei Brigitte, Patricia, Merle, Ines und Werner bedanken. Ohne euch stünde der Karren wahrscheinlich noch immer irgendwo am Wegesrand.

H.F.

1. Die fehlende Saite

2. Schönes Regenwetter

3. Das gewisse Etwas

4. Eine Hyäne ist kein Hund

5. Verschlüsselte Botschaften

6. Here comes the Sun

7. Die eine und die andere Geschichte

8. Staying alive

9. Countryschnulzen und Tränen

10. Sommersprossen auf dem Asphalt

11. Dicke Luft

12. Ein Huhn hat Glück

13. With a little Help from my Friends

14. Daryl muss mit aufs Foto

1. Die fehlende Saite

„Keine Chance, Daryl. So funktioniert die Sache nicht.“ Robin ließ die Schultern hängen und stellte die Gitarre zur Seite. Ihn fröstelte.

„Du gibst einfach auf?“, hörte er seinen Freund sagen. „Bloß weil eine Saite fehlt?“

„Es ist nicht irgendeine Saite, Daryl. Es ist die G-Saite. Ohne sie klingt alles nur nach Schrott.“

„Komm mir nicht mit irgendwelchen Ausreden, Mann. Was ist mit dem Rest?“

Robin zog eine Augenbraue hoch. „Welcher Rest? Was meinst du?“

„Ich meine, es sind schließlich noch andere Saiten an der Gitarre, Robin! Müsste genügen, um etwas frischen Wind in deine Bude zu zaubern. – Scheiß auf das G! Rock’n’Roll!“

Robin verzog die Lippen zu einem müden Lächeln. Sein Kumpel ging ihm allmählich auf die Nerven. „Was willst du, Daryl? Immerhin habe ich es versucht. Zum ersten Mal seit …“ Robin stockte. Ihm war, als würde eine Tür aufgehen, wenn er weitersprach. Damals war es die Tür zum Klassenzimmer gewesen. Frau Körner, seine Musiklehrerin, hatte sie aufgestoßen. War mit kreidebleichem Gesicht unter dem Türrahmen stehengeblieben. Durchsuchte mit gehetztem Blick den Raum, bis sie Robin entdeckte. Sie wollte ihn beim Namen rufen, aber stattdessen kam ihr nur ein merkwürdiger Seufzer über die Lippen. Sie hätte ohnedies nichts sagen müssen. In dem Moment, als Robin sie sah, ahnte er, dass von nun an nichts mehr so sein würde wie früher. Er spürte, wie ihm von innen etwas tief ins Herz schnitt, und in der gleichen Sekunde riss die Saite an seiner Gitarre.

Aber dann, als er mit der Körner den dunklen Flur entlang zum Zimmer des Direktors ging, sagte sie es doch. Leise, zögernd: „Robin, es ist etwas Schlimmes geschehen. Deine Eltern …“

„Was ist mit ihnen?“

„Dein Großvater und deine Schwester werden es dir sagen. Sie sind im Zimmer des Direktors.“

„Grova und Ronda sind hier?“

Es schnürte Robin noch immer die Kehle zu, wenn er an jenen Tag dachte, als er erfuhr, dass seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.

Mehr als sechs Monate waren seither vergangen und die eine Saite hing nach wie vor lose am Gitarrenkopf. Die Körner hatte es ihm nie übel genommen, dass er seit jenem Tag für den Gitarrenunterricht kein Interesse mehr zeigte. Sie forderte ihn nicht einmal auf, eine neue Saite an der Gitarre aufzuziehen. Sie ließ ihn in Ruhe und schenkte ihm – vor ein paar Tagen erst – sogar die Note für das Sommerzeugnis.

Robin warf in Gedanken die Tür zum Klassenzimmer zu. Er sah zu Daryl auf und sagte: „Rock’n’Roll ist ohnehin nicht mein Ding. Soll ich dir was verraten? Das ist etwas für steinalte Daddys, Daryl. Für Fantasyhelden. Für Zombiejäger und Typen, wie mein Vater einer war!“

„Ach was, Klugscheißer! Was für’n Sound schwebt dir denn vor? Punk, Metal oder Dark Wave? Vielleicht ein bisschen Hip – ein wenig Hop, oder gar Psychobilly?“ Selbst wenn Daryl witzig sein wollte, klang das immer, als wäre ihm gerade etwas über die Leber gelaufen. „Na, was ist?“

Blues wäre Robin eingefallen, aber er ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Fuhr sich erst mal durchs Haar, rieb sich mit einem Finger die Nasenspitze, bis er so weit war, seine Gedanken vor Daryl auszubreiten.

„Also nimm’s mir nicht übel, aber ich denke, ich sollte endlich damit aufhören, mich mit dir zu unterhalten. Das ist doch vollkommen krank. Irgendwann muss Schluss sein. So wie mit der Gitarre. Es hat keinen Sinn, die alten Songs darauf zu spielen. Oder siehst du hier im Zimmer vielleicht irgendwo ein Lagerfeuer brennen? Wir schreiben das Zeitalter der Zentralheizung. Und das hat was für sich. Ich werde jetzt meine Klamotten darauf ausbreiten und mich für den Rest der Nacht ins Bett verziehen. Was hältst du von der Idee?“

„Klingt nach Niederlage“, hörte er Daryl knurren.

„Dann hast du es ja endlich begriffen“, sagte Robin, stand auf und zog die Jogginghose aus.

Er stellte sich in der Unterhose vor den Spiegel. Suchte an sich nach Muskeln, wie Daryl sie besaß, während er ihm beiläufig erklärte: „Weißt du, das Leben ist voller Niederlagen, Daryl. Niederlage hier, Niederlage dort. Da genügt schon ein Blick in den Spiegel. Jetzt mal realistisch betrachtet! Oder sieh dir mein Bett an: Schon seit einer halben Ewigkeit spießt mir der Lattenrost nachts seine gebrochenen Rippen in die Seiten. Aber beklage ich mich deswegen? Nein, niemals! Ich lebe mit den Niederlagen. Kommt her, Niederlagen, bei mir habt ihr nichts zu befürchten. Ich nehm euch mit unter die Decke. Dann reiben wir die Füße aneinander und kuscheln uns zusammen in den Schlaf. Machst du bitte das Licht aus, wenn du gehst, Daryl?“

Diesmal antwortete Daryl nicht. Wie sollte er auch? In Wahrheit hatte der Pappkerl noch nie ein Wort von sich gegeben. Robin lieh der lebensgroßen Figur aus The Walking Dead öfter seine Stimme, wenn ihm die Stille zu still vorkam. Früher hatte es Spaß gemacht, mit Daryl zu plaudern, aber in letzter Zeit fehlte diesen Gesprächen der Pfeffer, fand Robin. Und eigentlich hätte er sich lieber mit Maggie als mit dem arroganten Armbrustträger auf ein Schwätzchen eingelassen.

„Was ist nun?“, fragte Robin und reckte sein Kinn über die Bettdecke. „Entweder du machst das Licht aus, oder du fliegst raus!“

Daryl stand wie angefroren neben dem Heizkörper. An manchen Stellen wellte sich der Aufdruck auf dem Karton. Robin federte sich von der Matratze hoch, trippelte ans andere Ende des Zimmers, drückte den Lichtschalter, machte drei Sätze und warf sich wieder unter die Decke.

„Ich bin eindeutig zu alt für solche Späße!“, ermahnte er sich. „Ab morgen wird kein Wort mehr mit irgendwelchen Papphelden gesprochen! Bin doch nicht verrückt. Was meinst du, Daryl? Bin ich vielleicht verrückt?“

Robin fiel nichts ein, was er Daryl darauf antworten lassen könnte.

Allmählich breitete sich Schweigen im Zimmer aus. Eine Zeitlang versuchte Robin an Maggie zu denken. Versuchte sich ihr Gesicht, dann ihren Körper vorzustellen, aber es ging nicht. Maggies heiße Kurven ließen sich heute nicht greifen und blieben verschwommen. In den Streng-geheim-Zonen rührte sich nichts. Es war zu lange her, dass er Maggie in The Walking Dead Beachtung geschenkt hatte. Irgendwann war sein Interesse an der Serie verpufft. Dabei drehten sie noch immer neue Staffeln. Vermutlich bis in alle Ewigkeit. Im Geiste sah Robin sich als alten Mann – beinahe selbst schon zu einem Zombie verkommen – vor dem Fernseher sitzen. Der schleichende Tod. Die vollkommene Niederlage.

Robin schob das Bild beiseite und ließ stattdessen wieder die Körner in sein Gedächtnis. Er sah sie jetzt wieder vor sich. Wie sie ihn am letzten Freitag angelächelt und ihm schöne Ferien gewünscht hatte. Für ihr Alter – um die vierzig mochte sie sicher schon sein – sah sie eigentlich ganz gut aus. Als Robin ihr zum ersten Mal begegnet war, hatte ihn vor allem ihr großer Busen beeindruckt. Und es brauchte eine gewisse Zeit, bis er ihrem Wesen auch Kopf, Arme, Beine und den ganzen Rest zugestand. Vor allem aber mochte Robin ihre Stimme. Wenn die Körner ihren Mund aufmachte, klang das, als wäre sie selbst ein Musikinstrument. Immer gut gestimmt und auf eine Art vornehm wie die Töne einer Harfe.

Die Körner. – Eine fröhliche Frau, deren Lachen sogar in den Pausen aus dem Lehrerzimmer bis in den Gang hinaus schallte. Eine Frau, die so leicht nichts aus der Ruhe brachte, es sei denn … Robin erinnerte sich, wie sie an jenem schrecklichen Tag, als er vom Tod seiner Eltern erfuhr, seine Hand gehalten hatte. Eiskalt fühlten sich ihre Finger an und trotzdem hatte er sie nicht loslassen wollen. Im Zimmer des Direktors stand die Zeit still. Ronda hatte ihren Arm um Grova gelegt, der wie ein Schlosshund vor sich hinheulte, während der Direktor stumm zum Fenster hinausblickte. Ein Unfall. So etwas hört man jeden Tag im Radio. Doch diesmal schlug die Bombe im eigenen Haus ein. Robin konnte sich nicht vorstellen, dass er seine Eltern nie mehr wiedersehen würde. Es ging einfach nicht. Und die Körner? Irgendwann müsste er ihre Hand loslassen. Auch das hatte er sich an jenem Tag nicht vorstellen wollen.

Aber es gab auch noch eine andere Körner. Eine Frau, von deren Leben außerhalb der Schule kaum jemand etwas wusste. Verließ sie das Schulgebäude, verschwand damit auch das Lächeln in ihrem Gesicht. Ernst, beinahe traurig wirkte dann die Person, die unter den im Sommerwind wiegenden Ästen der Kastanien duckte, als würde es in den nächsten Minuten zu regnen beginnen. Fast schien es Robin, als würde sich die Körner außerhalb der Schule vollkommen in Luft auflösen. Dabei wohnte sie gleich nebenan. In unmittelbarer Nachbarschaft zu der Avanti-Tankstelle und dem dazugehörigen flachen Anbau, wo Robin wohnte. Vom Fenster seines Zimmers aus konnte er auf den Dschungel ihres mit Maschendraht umzäunten Gartens blicken. Das pure Dickicht. Selbst in den Wintertagen ließ sich das alte Steinhäuschen, in dem sie wohnte, durch die dicht ineinander verschlungenen Äste der Büsche und Bäume kaum erspähen. Bloß die grauen Rauchschwaden, die vom Kamin des Häuschens zum Himmel hochstiegen, verrieten, dass hier jemand zu Hause war.

Und dann war da noch Hyäne, Körners Hund. Eine Missgeburt aus einem Gruselroman, der einem mit seinem ständigen Gekläffe den letzten Nerv rauben konnte. Robin wusste nicht, wie der Hund wirklich hieß. Auf der Avanti-Tankstelle hatten sie sich jedenfalls darauf geeinigt, den hässlichen Köter Hyäne zu nennen. Als Robin noch klein war, hatte er einmal durch das Gitter des Maschendrahts beobachtet, wie Hyäne einen Klumpen in kleine Stücke zerriss, mit gespreizten Beinen über etwas stand, das Robin auf den ersten Blick für ein kleines Kind hielt. Wie ein Irrer hatte Robin aufgeschrien. Hyäne scherte das wenig. Warf den hässlichen Kopf ins wild gesträubte Nackenhaar und knurrte. Erst jetzt sah Robin, dass es sich bei dem Kind um eine Plastikpuppe handelte. Trotzdem. Seitdem war der Ofen aus; für solch ein Tier war kein gutes Wort zu finden. Und was immer auch die Körner an dem räudigen Klettenfell finden mochte, für Robin war seit diesem Erlebnis die Sache erledigt. Hyäne konnte ihn mal.

Und eben. Die private Körner war eine andere als die in der Schule. In der Schule war sie für alle da. Öffnete sie die Gusseisentür zu dem efeuverhangenen Versteck, in dem sie lebte, bekam man so gut wie gar nichts von ihr mit.

Die Körner bekam weder Besuche, noch geschah sonst etwas, das verraten hätte, was sie in den Stunden, in denen sie mit sich allein war, anstellte. Keine Gartenfeste. Kein Kling, kein Klang. Bloß das nie enden wollende Gebell von Hyäne drang durch das dichte Gestrüpp ihres Reichs bis zur Tankstelle herüber.

Wenigstens in den Nächten war es still. Manchmal sogar unheimlich still. Dann musste Robin sich zusammenreißen, um sich nicht einzubilden, dass Daryl sich plötzlich wirklich von der Stelle rührte. Sich vor dem Fenster duckte. Mit der Armbrust etwas ins Visier nahm, das sich von draußen aus der Dunkelheit an sie heranschleichen wollte.

„Kinderquatsch!“, entschied Robin für heute und drehte sich zur Wand.

Halb schon im Traum meinte er den Klang seiner Gitarre zu hören. Hatte irgendwer, irgendwas ihre Saiten berührt?

Nein. Das Geklimper kam draußen vom Flur. Eigentlich ein vertrautes Geräusch. So hörte es sich immer an, wenn Grova nachts über den Flur schlich, sich eine weitere Flasche Bier aus der Kiste krallte, um damit seinen Kummer zu betäuben.

2. Schönes Regenwetter

Robin rieb sich mit einer Hand die Augen, während er mit der anderen nach dem Handy auf dem Nachttisch tastete. Halb neun, verriet das Display.

Schwerer Regen hämmerte auf das Blechdach und ließ den Anbau mit seinen Wänden wie eine Musikanlage vibrieren. Durchs geöffnete Fenster blies ein feuchter Wind ins Zimmer, blähte die Gardinen auf und ließ ein paar lose Blätter vom Schreibtisch direkt vor Robins nackte Füße schweben. Lovesong for stand auf einem der Zettel. Es hätte ein Anfang sein sollen, vielleicht der Titel eines neuen Songs. Aber nach dem Wort for hatten sich seine Finger verkrampft und ihm war nichts weiter eingefallen.

Und dann eben die Gitarre. Über die vergangenen Monate war sie Robin so fremd geworden, als gehörte sie jemand anderem. Daryl hatte bloß blöde gegrinst. Und irgendwie stimmte es ja auch. Wem hätte Robin schon einen Lovesong widmen können? Den Untoten etwa? Oder den Nachtgespenstern, die bis zur Morgendämmerung am Hausgang mit Bierflaschen klimperten?

Er betrachtete seine Zehen auf dem Teppich. Überlegte, ob es Zehen waren, die vielleicht irgendeinem Mädchen auf der Welt gefallen könnten. Er verwarf den Gedanken und schwang sich aus dem Bett, warf die Fensterläden zu und unterzog sich einer schnellen Katzenwäsche. Er putzte sich die Zähne und zerstrubbelte sich das Haar zu einer Frisur, die ihm halbwegs gefiel. Dann schloss er die Tür zum Badezimmer, huschte über den Flur zur Garderobe, um sich seine Converse-Jacke vom Haken zu angeln. Das alles auf Zehenspitzen, denn auf eine Begegnung mit Grova konnte er in diesen frühen Morgenstunden leicht verzichten. In letzter Zeit tat es schon weh, dem alten Mann bloß gegenüberstehen zu müssen. Wie Grova sich seit dem Tod der Eltern verändert hatte. Jeden Tag mit trüben Augen vor sich hinstierte, als wäre ihm alles egal.

Robin schien es, als hätte sein Großvater vollkommen die Orientierung verloren. Ziellos steuerte der Alte in den Tag und überließ es in erster Linie Ronda, den Avanti-Laden in Schuss zu halten.

Wenn Grova sich in den Abendstunden vom Geflimmere des Sportkanals loseiste, dann bloß, weil ihm das Bier ausgegangen war. Kisten mit Leergut stapelten sich im Hausgang bis zur Decke hoch und umrahmten den Eingang zu seiner finsteren Kammer.

Robin horchte an der Tür. Der Fernseher lief.

Er stülpte sich den Kragen hoch und trat ins Freie. Obwohl dick geschwollene Wolkenbäuche tief über den umliegenden Dächern hingen, blendete ihn das Tageslicht. Der Regen selbst machte ihm nichts aus. Ganz im Gegenteil! Die Welt brauchte solche Duschen. Speziell seine Welt. Wenn es regnete, hieß das tief einatmen. Manchmal verwöhnte einen der Regen sogar mit einer Brise, die nach frischer Meeresluft roch.

Avanti im Regen. Das ging gerade noch, ließ sich aushalten. An heißen Tagen war das schwieriger. Da vernebelte einem der beißende Benzinmief gleich an der Haustür derart die Sinne, dass Robin oft meinte, mit der Nase gegen die rechte Gerade eines Schwergewichtlers gelaufen zu sein. Der Gestank des Benzins war hartnäckig, nistete sich in jede Faser der Kleidung, ging hindurch bis auf die nackte Haut. Flucht aussichtslos. Ein gemeiner Hauch von Benzin blieb immer an einem haften, da konnte man sich die Haut schrubben, so sehr man wollte. Bloß wenn es regnete, am besten gleich ein paar Tage und Nächte hintereinander, konnte man frei atmen, ohne dass einem dabei der Avanti-Mief durch die Nasenhöhlen ins Hirn kroch.

Regen also. Ein besseres Wetter hätte sich Robin zum Beginn der Sommerferien nicht wünschen können. Er blinzelte zum Himmel auf und lächelte. Lovesong for las er in den Wolken und fügte in Schreibschrift die Worte a Rainy Day hinzu. Lovesong for a Rainy Day also. Der neue Song – der neue Tag – begann vielversprechend. Lovesong for a Rainy Day. Vielleicht schon in ein paar wenigen Monaten in den Hitparaden. Hoffentlich gab es den Titel noch nicht. Robin zog sein Handy aus der Tasche, tippte sich ins Netz, um herauszufinden, in welchen Songs das Wort Rain bereits vorkam. Und wumm! Das Ergebnis war niederschmetternd. Die Liste schien endlos. Die berühmtesten Songwriter hatten sich schon dieses Themas angenommen. Die Beatles hatten sogar einen Song verfasst, der schlicht mit dem einen Wort auskam: Rain. Dann gab es da noch: Have you ever seen the Rain? von CCR, Buckets of Rain von Bob Dylan, Tears and Rain von James Blunt, In the early Morning Rain von Gordon Lightfoot und … Mist! Irgendein Typ hatte sogar ein ganzes Album Lovesongs for a Rainy Day getauft! Der Songtitel selbst kam zwar auf dem Album nicht vor, aber trotzdem war für Robin die Sache damit erledigt. Er würde sich etwas anderes einfallen lassen. Lovesong for …? Nun, vielleicht irgendwann in diesem Sommer? Er würde schon noch herausfinden, wem er diesen Song widmen konnte. Denn eines spürte er genau, es musste endlich wieder einen Anfang geben!