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ISBN 978-3-7065-5857-0

Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder

Satz: Studienverlag/Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

Umschlag: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau/Tirol

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Veronika Helfert/Jessica Richter/Brigitte Semanek/Alexia Bumbaris/Karolina Sigmund (Hg.)

Frauen- und Geschlechtergeschichte un/diszipliniert?

Aktuelle Beiträge aus der jungen Forschung

Studien zur Frauen- und Geschlechtergeschichte Band 11

herausgegeben von Gabriella Hauch

Veröffentlichungen des Instituts für Frauen- und Geschlechterforschung, Johannes Kepler Universität Linz

Veronika Helfert, Jessica Richter, Brigitte Semanek, Alexia Bumbaris und Karolina Sigmund

Bestandsaufnahmen und Herausforderungen

Blicke auf die gegenwärtige Frauen- und Geschlechtergeschichte

„Wir, die viele Geschichten haben …“ betitelte Gabriella Hauch im Jahr 2003 einen Artikel zur Entstehung der historischen Frauen- und Geschlechterforschung.1 Damit machte sie nicht nur auf Geschichte/n von Frauen aufmerksam, die in den Fokus von HistorikerInnen gerückt waren, sondern auch und vor allem auf die vielfältigen und immer wieder ge- und unterbrochenen Traditionen von feministischer Geschichtswissenschaft und Frauen- und Geschlechterforschung2 überhaupt. Diese korrespondierte seit den frühen 1970er-Jahren mit Frauenbewegungen und war häufig Impulsgeberin für fachliche Neuerungen und Innovationen innerhalb der Geschichtswissenschaft – nicht zuletzt, weil ForscherInnen mitunter „respektlos [waren] gegenüber dominanten Lesarten“3 von historischen Verhältnissen und ihren Überresten sowie Tradierungen, wie es die Historikerin Andrea Griesebner betonte. Gudrun-Axeli Knapp postulierte unlängst sogar: „Tradierung ohne Traditionsbruch ist im Feminismus äußerst selten.“4

Um die damals bestehenden Machtverhältnisse an den Instituten und Forschungseinrichtungen in Frage zu stellen und – „von den Rändern her“5 – zu verändern, war Beharrlichkeit nötig.6 Heute kann auf die universitäre Frauen- und Geschlechtergeschichte im deutschsprachigen Raum bezogen vielfach von einer erfolgreichen Institutionalisierung gesprochen werden: An vielen Universitäten gibt es Professuren, Forschungseinrichtungen, Studiengänge oder Lehr-Schwerpunkte samt Überblicksliteratur mit eigenem Kanon. Dabei ist eine Tendenz bemerkbar: So konnten in den letzten zwanzig Jahren zwar Gender Studies an Universitäten als eigene Studiengänge und auch als Querschnittsmaterie etabliert sowie mehr oder weniger weitreichende Frauenförderungsmaßnahmen im Wissenschafts­betrieb implementiert werden. Gleichzeitig mit diesen Maßnahmen wurden aber auch wichtige Zentren kritischer, feministischer Forschung geschlossen beziehungsweise war und ist die Finanzierung von vielen feministischen Projekten innerhalb und außerhalb der Universitäten ungewiss. So wurde im Jahr 2010 etwa das international renommierte interdisziplinäre Studienprogramm der Gender Studies „Gesellschaftliche Transformationen und Geschlechterverhältnisse“ an der Philosophischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover abgeschafft – als sogenannte Querschnittskategorie sollte ‚Geschlecht‘ fortan eben in anderen Lehrveranstaltungen ‚mitbehandelt‘ werden; eine eingehende, themenübergreifende und -verbindende Auseinandersetzung mit Fragen der Geschlechterforschung im Studium wurde so aber deutlich erschwert.7 Dies fügt sich ein in einen antifeministischen rollback, der vor allem medial, aber auch wissenschaftspolitisch in den letzten Jahren deutlicher spürbar geworden ist, wie Christa Hämmerle erst kürzlich am Beispiel der auch im akademischen Feld aktiven neuen „Männerrechtsbewegung“ feststellte.8

Der Zusammenhang von historischer Frauen- und Geschlechterforschung mit einem kritischen Zugang zur Vergangenheit speist(e) sich aus einer Analyse gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse, die Herrschafts- und Machtverhältnisse und geschlechterdiskriminierende Praxen in Frage stellte. Jedoch ist der Ort, von dem aus im universitären Rahmen Kritik geübt wird, vielfach noch immer prekär. Beispielsweise ist die Universität Wien, an der ab den 1980er-Jahren kontinuierlich für eine diesbezügliche Implementierung gekämpft wurde, zwar dank Sammlungen, Forschungsnetzwerken und Lehre ein guter Standort für feministische Geschichtsforschung.9 Aber die Situation vieler Nachwuchswissenschaftler­Innen inklusive all jener, die dem sogenannten universitären ‚Mittelbau‘ zugerechnet werden, ist geprägt durch fehlende finanzielle Absicherung, Individualisierung im Forschungsprozess und Konkurrenz um die wenigen Ressourcen. Von einer solchen auf vielfältige Weise abhängigen Position ist es mitunter schwierig, unbequeme und gewagte Fragen zu stellen und in der Forschung Wege abseits des wissenschaftlichen Mainstreams zu beschreiten. Dies stand nicht zuletzt auch am Beginn dieses Sammelbandes: Aus der Analyse des eigenen Standortes heraus gründeten wir 2010 eine Initiative von frauen- und geschlechterhistorisch arbeitenden DissertantInnen, den Verein „fernetzt“,10 und organisierten in diesem Rahmen unter anderem die Tagung „Un/diszipliniert? Methoden, Theorien und Positionen der Frauen- und Geschlechtergeschichte“, die nach vorangegangenem Call for Papers vom 27. bis 29. Februar 2012 an der Universität Wien stattfand. Die TagungsteilnehmerInnen aus acht europäischen Ländern hatten ähnliche Erfahrungen gemacht wie wir. Entsprechend sollten sowohl die Tagung als auch der vorliegende Sammelband ein Diskussionsforum für unsere Ansätze, Fragen und konkreten Forschungsprobleme im Rahmen der Erarbeitung von thematisch sehr unterschiedlichen Dissertationen im Feld der Frauen- und Geschlechtergeschichte bieten.11

Anknüpfen, verknüpfen

In den 1970er- und 1980er-Jahren konnte – zumindest scheint es retrospektiv so – auch aufgrund der stärkeren Interaktionen zwischen Frauenbewegungen und -forschungen von so etwas wie einem Bemühen um ein gemeinsames Projekt der Frauengeschichte gesprochen werden.12 Heute sind, wie bereits erwähnt, feministische Forschungen im Rahmen universitärer Wissenschaft auch institutionalisiert und diszipliniert. Gudrun-Axeli Knapp formulierte dies so:

Als Wissenschaft kann feministische Theorie nicht so agieren, als sei sie Politik; wissenschaftliche Anerkennung verschaffen ihr allenfalls, zumindest nach dem Selbstbild der scientific community, wissenschaftsimmanente Profilierungen sowie Distanz zu Politik und normativer Kritik.13

Hinzu kam eine Vervielfältigung der Forschungsrichtungen von Frauengeschichte über Geschlechtergeschichte hin zu den Queer Studies.14 All dies waren aber nicht zuletzt auch Effekte der Erfolge feministischer Wissenschaft.15 Besonders die inner- und außeruniversitäre Zusammenarbeit mit anderen politischen Bewegungen16 und wissenschaftlichen Ansätzen ließen eine Geschichtsschreibung aus Frauenperspektive in den Hintergrund treten. Wissenschaftler­Innen stehen also gegenwärtig vor der Herausforderung, an alle diese Entwicklungen anknüpfen zu können und trotzdem ihren Forschungsgegenständen wie auch ihrer Disziplin gegenüber kritisch zu bleiben.

Inner- wie interdisziplinäre Vernetzung von AkteurInnen wie von Wissensbeständen ist demnach – so scheint es uns – Grundbedingung für eine gemeinsame Debatte um weiterentwickelte oder neue Forschungspositionen in der Frauen- und Geschlechtergeschichte, an der sich die AutorInnen dieses Bandes beteiligen möchten. Denn die oftmals über die zahlreichen Disziplinen verstreute community ist letztlich mit gemeinsamen Frage- und Problemstellungen konfrontiert: den historisch gewachsenen, gesellschaftlich bedingten und in alltäglichen wie institutionellen Praxen immer wieder hergestellten Diskriminierungen und Ungleichheiten. Diskriminierungserfahrungen sind also keine persönliche, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit, ebenso wie die spezifischen Problemstellungen der Frauen- und Geschlechtergeschichte und der sie betreibenden ForscherInnen. Dies ist eine der Erkenntnisse aus mehr als fünf Jahren Vereinstätigkeit von „fernetzt“ – ein Schluss allerdings, der nicht neu ist, aber im akademischen Arbeitsalltag zu oft ins Hintertreffen gerät. Das gilt besonders für ForscherInnen am Anfang ihrer akademischen Laufbahn: Sie sollen ‚exzellent‘ sein und Höchstleistungen erbringen, sind dabei aber stets auf sich selbst zurückgeworfen und individualisieren strukturelle Probleme, Ungleichheiten und Härten.17 Selbst die engagiertesten DissertationsbetreuerInnen und MentorInnen können die im akademischen Universum sich stetig reproduzierenden Ausschlussmechanismen nicht ausreichend abfedern.

Das rege Interesse an der Tagung „Un/diszipliniert?“ belegte den Bedarf von NachwuchswissenschaftlerInnen an Austausch und das Bewusstsein über fachliche Gemeinsamkeiten und geteilte Probleme. Gerade am Standort Wien hat sich im Feld der (historischen) Frauen- und Geschlechterforschung bzw. der Gender Studies in letzter Zeit aber einiges getan – ob als Grass-Roots-Initiative von DissertantInnen wie bei „fernetzt“ oder mit der Neuschaffung des inner­universitären Forschungsverbundes „Gender and Agency“ an der Universität Wien.18 Damit wurde (bei allen Brüchen und Neuausrichtungen) auch an eine Entwicklung von Schwerpunkten angeknüpft, die in den 1980er- und 1990er-Jahren geschaffen worden waren (wie die von Edith Saurer gegründete Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte der Universität Wien oder die von ihr mitbegründete „L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft“).19

Die Kategorie Geschlecht ist in der Forschung trotz ihrer zentralen Bedeutung für die Konstitution von Gesellschaften, die Strukturierung von Institutionen und für Relationen zwischen vergeschlechtlichten AkteurInnen sowie für Beziehungen und Alltagserfahrungen oft übergangen worden.20 Aufbauend auf (aber nicht stehenbleibend bei) feministischen Einwänden gegen derlei blinde Flecke verlangt es der kritische Anspruch von Frauen- und Geschlechtergeschichte, die eigenen Theorien und Methoden immer wieder offenzulegen und in Frage zu stellen. Entsprechend unterziehen feministische Forscherinnen wissenschaftlich produziertes Wissen bereits seit nunmehr vier Jahrzehnten (wieder)21 einer systematischen Kritik, klopfen sie auf ihren Wertgehalt für das Verständnis einer bestimmten Gesellschaft und ihrer Praktiken in einem jeweils spezifischen Kontext hin ab. Bereits wissenschaftlich Erschlossenes wurde so re-analysiert, um Frauen, die durch Wissenschaft unsichtbar gemacht wurden, sichtbar zu machen.22 Historisch arbeitende Frauen- und Geschlechterforschung kann dafür auf ein in den letzten vierzig Jahren er­arbeitetes breites theo­retisches Wissen und damit zusammenhängende methodische Ansätze zurückgreifen. Immer wieder zentral sind dabei Fragen nach der Bedeutung und der Ausgestaltung der Geschlechterdifferenz.23 Besonders wichtig geworden sind nach der Ausweitung der Frauen- auf die Geschlechtergeschichte in den letzten zwanzig Jahren24 Forschungen zu Männlichkeit/en,25 Queer-Theory26 und Sexualität/en,27 der Geschichte der Emotionen28 oder die im Anschluss an Dekonstruktivismus und linguistic turn geführten Diskussionen um das Verhältnis von Diskurs und Erfahrung.29 Einen hohen Stellenwert erhielten zudem Arbeiten zur Verschränkung von Ungleichheitskategorien, die oft – aber nicht nur – unter dem Begriff der Intersektionalität gefasst werden können,30 ebenso wie feministische Perspektiven auf Verflechtungsgeschichte und transnationale Geschichtsschreibung.31 Forschungen, die Geschlecht unabhängig von anderen Struktur- und Differenzkategorien analysieren oder die transnationale Wechselwirkungen, Beziehungen, Einflüsse und Abhängigkeiten unberücksichtigt lassen, sehen sich heute vielfach scharfer Kritik gegenüber.

Un/disziplinieren

Im oben beschriebenen Kontext stand auch die im Februar 2012 abgehaltene Tagung. Sie basierte auf der Feststellung, dass es an den Universitäten für viele DissertantInnen wenig Raum gibt, um forschungspraktische Probleme und Fragestellungen ausführlich besprechen zu können. Welcher Methoden bedienen wir uns und wie lässt sich die besondere Herausforderung interdisziplinär orientierter feministischer Geschichtswissenschaft lösen? In welche theoretische Tradition stellen wir uns bzw. stellen wir uns gerade nicht? Welche Kritik kommt in unserer Forschung zum Ausdruck (oder auch nicht) und was ist der Mehrwert geschlechter- und frauengeschichtlicher Ansätze für das Verständnis (historischer) Gesellschaften, dem diese Kritik entspringt?

Als ForscherInnen am Anfang einer wissenschaftlichen Laufbahn steigen wir in ein universitäres System und eine Disziplin ein, die nicht nur eine eigene Geschichte hat, sondern sich auch im Wandel befindet. Während sich feministische Geschichtswissenschaft, wie eingangs ausgeführt, im Zusammenhang mit den Kämpfen der Neuen Frauenbewegung im akademischen Feld positionieren und durchaus auch etablieren konnte, hat sich deren politische Dimension gewandelt. Denn obwohl Gender Mainstreaming und Gleichstellungspolitiken an den meisten Universitäten eingerichtet wurden, ist die Persistenz der Geschlechterungerechtigkeit augenfällig. Dies gilt es, (neu) zu analysieren und als Rahmen unseres spezifischen akademischen Umfeldes zu begreifen. Historische Forschung erscheint uns dafür ebenso zwingend notwendig zu sein, wie ein Verständnis des gegenwärtigen Geschlechterverhältnisses und der darauf bezogenen Diskurse und Mechanismen zu entwickeln. Nur so lässt sich kritisch reflektieren, welches unser „Sehepunkt“ auf die Geschichte ist, und so können wir auch Leerstellen und Fehlschlüssen in unserem Denken und Forschen auf die Spur kommen.32 Diese Fragen diskutierten wir mit Teilnehmer­Innen aus unterschiedlichen europäischen Forschungskontexten und -traditionen, um unsere jeweilige akademische Herkunft und Ausrichtung zu reflektieren. Darüber hinaus brachte Anna-Lin Karl,33 Humboldt-Universität zu Berlin, eine Metaperspektive in die Konferenz ein: Sie organisierte für ihr Dissertationsprojekt „Politische Abstinenz? Selbstverständnis und Strukturen der Gender Studies heute“ Fokusgruppen, um mit den anwesenden ForscherInnen über ihre Motivationen und politischen Selbstverortungen zu sprechen.

Positionierungen als ForscherIn sind in anderen Bereichen ebenso notwendig: Nicht zuletzt war die thematische Zuspitzung der Tagung auf Forschungsansätze bzw. methodische und theoretische Zugänge auch dem in den Geschichtswissenschaften von mancher Seite postulierten Defizit an Theorien34 geschuldet (wobei sich gerade die Frauen- und Geschlechtergeschichte als theoretisch reflektiert erweist) sowie der oft beklagten mangelnden Vermittlung von Methoden in der universitären Ausbildung, einem Methodendefizit. Ob eine damit eventuell zusammenhängende Theoriebedürftigkeit wirklich besteht – oder vielleicht gar in der Frauen- und Geschlechtergeschichte eben nicht, und ob dieser die gewünschte Abhilfe geschaffen werden kann – eine solche Diskussion würde einen eigenen Band füllen. Wenn auch die Frage nach der verwendeten Methode manche HistorikerInnen immer noch ins Schwitzen bringen mag, zeigte doch die Tagung, dass die Frauen- und Geschlechtergeschichte aus einem breiten Spektrum des heute etablierten Methoden­pluralismus35 schöpft. Im vorliegenden Sammelband lassen sich einige der aktuell diskutierten methodischen und theoretischen Ansätze finden, die gleichzeitig auch interdisziplinäre Dialoge ermöglichen und Forschungen durch transdisziplinäre Herangehensweisen erst durchführbar machen. Gleichzeitig wurde deutlich, dass sich die Methode als das ‚Wie‘ der Forschung nicht vom ‚Warum‘ und ‚Wozu‘ der Theorie trennen lässt.

Als kritische Disziplin reflektierte Frauen- und Geschlechtergeschichte von Beginn an Gründe und Herangehensweisen ihres wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses. So hat gerade sie für die Geschichtswissenschaften in dieser Hinsicht in den letzten dreißig Jahren viel beigetragen, wenn sie beispielsweise theoretische Debatten aus dem englischsprachigen oder französischen Wissenschaftsraum einführte.36 Aufgrund ihres genuinen Erkenntnisinteresses war sie geradezu gezwungen, neue Quellen und andere Leseweisen zu erschließen, was der methodischen Weiterentwicklung der Geschichtswissenschaften dienlich war. Dies konnte sie vor allem deshalb, weil sie sich nicht als eigene Forschungsdisziplin abschottet(e), sondern transdisziplinär und in Auseinandersetzung mit anderen Forschungstraditionen und Bereichen der Geschichtswissenschaft betrieben wurde, wird und werden muss. So war sie maßgeblich beteiligt am Transfer von Wissensbeständen zwischen den Geschichtswissenschaften und ihren Nachbardisziplinen37 – auch wenn man freilich nicht konstatieren kann, dass feministische Theorien und Erkenntnisse der Frauen- und Geschlechtergeschichte breiten Anklang in der allgemeinen Geschichte gefunden hätten.38 Denn feministische Forschung – gerade auch die historische – verlangt geradezu nach Interdisziplinarität und Internationalität. Das spiegelt sich auch im vorliegenden Sammelband und in den Arbeitsschwerpunkten der BeiträgerInnen wider.

Positionen beziehen

Die nun im Band versammelten Beiträge sind chronologisch geordnet. Dennoch lassen sie sich auch anhand einzelner theoretischer und methodischer Ansätze bündeln, die sie jeweils unterschiedlich akzentuieren, wodurch die vorhin angesprochene Methodenpluralität der gegenwärtigen frauen- und geschlechterhistorischen Forschung illustriert wird.

Den Beginn macht der Aufsatz von Irene Somà (Bologna), „Gender Studies und Geschichtswissenschaften in den Untersuchungen zu Frauen in der klassischen Antike. Der Beitrag der Epigraphik“. Als Althistorikerin unterzieht sie die römische Epigraphik einer lange fälligen frauengeschichtlichen Revision. So stellt sie essentialisierenden Geschlechterkonstruktionen, die durch die Wissenschaft selbst in die Geschichtsschreibung eingebracht wurden, neue Erkenntnisse über Geschlechterverhältnis und Macht von Frauen in der klassischen Antike gegenüber. Ihr Beitrag ermöglicht dadurch, die römische Kaiserzeit kultur- wie sozialgeschichtlich wesentlich differenzierter zu betrachten.

In ihrem Beitrag „Entangled history als Perspektive auf Frauenbewegungen“ stellen Elife Biçer-Deveci und Edith Siegenthaler (Bern) aktuelle Debatten um die Weiterentwicklung von Theorien transnationaler Geschichtsschreibung unter dem Stichwort entangled history vor. Diese Perspektive erlaubt eine stärkere Akzentuierung der AkteurInnen nicht nur in als peripher angesehenen Gebieten und macht ihre Handlungsräume sowie Strategien der Einflussnahme analysierbar. Konkretisiert auf zwei Fallbeispiele aus den Dissertationsprojekten der Autorinnen werden die Perspektiven deutlich, die dieser Ansatz in die Frauen- und Geschlechtergeschichte bringt: Er geht auch der Frage nach jenen Herausforderungen nach, die sich daraus für die historische Rekonstruktion der transnationalen Frauenbewegungen ergeben.

Heike Mauer (Luxemburg) gibt in ihrem Aufsatz unter dem Titel „Intersektionalität operationalisieren! Theoretische und methodische Überlegungen für die Analyse des Prostitutionsdiskurses in Luxemburg um 1900“ einen systematischen Überblick über Positionen der Intersektionalitätsforschung. Dabei gelangt sie zu einer tragfähigen theoretisch fundierten Ausgangslage für eine Analyse von mehrfachen Ausschlussmechanismen von unter Prostitutionsverdacht stehenden Frauen. Anhand von fremdenpolizeilichen Dossiers demonstriert sie ihre methodische Herangehensweise.

Bei zwei Beiträgen steht unter dem Stichwort „Selbstzeugnisse“ das zu untersuchende Material im Fokus. Die Aufsätze von Meritxell Simon-Martin und Maria Derenda zeigen die Vielfalt der theoretischen und methodischen Zugänge zu Textgruppen, mit denen sich unterschiedliche Fragestellungen der Frauen- und Geschlechtergeschichte untersuchen lassen. Meritxell Simon-Martin (Winchester) stellt in ihrem Beitrag zu „Barbara Bodichon’s Epistolary Bildung. Education, Feminism and Agency in Letters“ eine englische Aktivistin der frühen bürgerlichen Frauenbewegung vor. Mit dem Begriff der ,Bildung‘ entwickelt sie eine Analysekategorie, mit deren Hilfe die Briefe Bodichons neu gelesen werden können. Sie erlaubt einen differenzierteren Blick auf deren Einstellungen und Aktivitäten.

Einen anderen Zugang wählt Maria Derenda (Hamburg) in dem Aufsatz „Leben schreiben – Beruf schreiben. Historische Selbstzeugnisforschung als Zugang zur Berufsgeschichte von bildenden Künstlerinnen um 1900 am Beispiel von Elena Luksch-Makowskaja“. Darin führt sie vor, wie ein gezielter Blick auf verschiedene Ebenen der Autobiographie der Malerin Elena Luksch-Makowskaja (1878‒1964) die Bedeutung der Kategorie Geschlecht bei deren Selbst-/Konstruktion als Künstlerin hervortreten lässt. Anhand dieser exemplarischen autobiographischen Darstellung demonstriert die Verfasserin, wie Selbstzeugnisforschung eine Berufsgeschichte von KünstlerInnen erweitern kann, die bisher vor allem werkzentriert und an einem männlichen Kanon orientiert war.

Diskursanalytische Verfahren verbinden wiederum drei weitere Beiträge mit neuen Fragestellungen. Karolina Sigmund, Tim Rütten und Michaela Maria Hintermayr zeigen, wie mit diesem mittlerweile schon ‚klassischen‘, gleichzeitig aber unterschiedlich ausformulierten Ansatz medizin- und sozialhistorische Gegenstände auf neue Weise gelesen und frauen- und geschlechterhistorische Perspektiven herausgearbeitet werden können.

Tim Rütten (Köln/Wien) führt in seinem Beitrag „Wahnsinn aus Heimweh im langen 19. Jahrhundert. Dienstmägde zwischen Normalisierung, Disziplinierung und Delinquenz“ mit Hilfe der Diskursanalyse vor, wie das physio-psychologische Konstrukt Heimweh einen Zugriff auf weibliche Körper und weibliches Verhalten ab 1800 ermöglichte. Dabei werden einerseits die diskursiven Grenzen der Nostalgie seit 1688 ausgelotet und andererseits wird die Neukonfiguration eines um 1900 ausschließlich weiblichen Heimwehs beleuchtet. Neben Disziplinierungseffekten werden Möglichkeiten der Abweichung qua Anormalität, Unangepasstheit und Verweigerung betrachtet.

Mit der Konstruktion von Männlichkeit(en) im Militär der Habsburgermonarchie und ihrer wissenschaftshistorischen Einbettung befasst sich Karolina Sigmund (Wien). Dabei greift sie in ihrem Beitrag „,Ein abnorm veranlagtes Individuum‘. Zur Konstruktion von ,Männlichkeiten‘ in militärpsychiatrischen Gutachten um 1900“ die Frage auf, wie sich solche Gutachten gegen den Strich lesen lassen, sodass ihre impliziten Männlichkeitskonstrukte sicht- und analysierbar werden.

Ebenfalls neue frauen- und geschlechterhistorische Perspektiven auf die Wissenschaftsgeschichte erschließt Michaela Maria Hintermayr (Wien) in ihrem Beitrag „,… während die Männer an den härteren Kampf um’s Leben schon gewohnt sind.‘ Der pathologisch-gerichtsmedizinische Aspekt des geschlechtsspezifischen Suiziddiskurses im frühen 20. Jahrhundert in Österreich“. Anhand eines Quellenkorpus aus der pathologisch-anatomischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts analysiert der Beitrag insbesondere diejenigen Erklärungsmodelle von suizidalen Handlungen, die sich auf weibliche und männliche Körper zurückführen lassen.

Mit ihrem Beitrag „From ,daughters of the Republic‘ to contentious citizens.Kemalist women’s activism in historical perspective“ nähert sich Selin Çağatay (Budapest) ihrem Gegenstand von einer theoretisch-politikwissenschaftlichen Perspektive aus an. Ihr gelingt es ebenfalls, einen langen Bogen zu schlagen: von der Entstehung der kemalistischen Frauenbewegung bis hin zu aktuellen Debatten unter feministischen Aktivistinnen in der Türkei. Dabei steht das Konzept der citizenship im Mittelpunkt. Als analytische Kategorie eröffnet dieses neue Blickwinkel auf Handlungsoptionen innerhalb von modernen (National-)Staaten.

Die in diesem Band versammelten Aufsätze machen verschiedene Vorgehensweisen in frauen- und geschlechterhistorischen Arbeiten sichtbar. Die AutorInnen geben damit Einblick in ihren historischen Forschungsprozess, der zwischen theo­retischen und methodischen Überlegungen, Wissen über den Kontext und nicht zuletzt den spezifischen Herausforderungen der jeweiligen Quellenlage oszilliert. Damit zeigen die Aufsätze zweierlei sehr deutlich: erstens, dass historisches Forschen verlangt, „immer wieder erfinderisch [zu] sein im Finden und in der Anwendung von methodischen Zugängen“;39 zweitens, dass diese Ansätze auch zur Debatte zu stellen und damit einer Reflexion zu unterziehen sind.

Die präsentierten Forschungsarbeiten spiegeln einige Schwerpunkte der oben angesprochenen aktuellen Forschungsperspektiven innerhalb der historischen Frauen- und Geschlechterforschung wider: Arbeiten zur kritischen Reflexion von Männlichkeit/en (Karolina Sigmund), zu den Formierungen der vergeschlechtlichten Körper durch den Staat und seine reglementierenden Institutionen (Heike Mauer, Michaela Maria Hintermayr, Karolina Sigmund), zu Frauenbewegungen in ihren historischen Kontexten (Selin Çağatay, Elife Biçer-Deveci und Edith Siegenthaler, Meritxell Simon-Martin) und schließlich zur Notwendigkeit, bekannte Quellen „gegen den Strich“ zu lesen (Irene Somà, Michaela Maria Hintermayr, Meritxell Simon-Martin), die es stets aufs Neue zu betonen gilt.

Weitergehen

Ziel der Tagung und der für diesen Sammelband weiterentwickelten Tagungsbeiträge war und ist es also, einen Beitrag zur Debatte um den selbstreflexiven Anspruch der Frauen- und Geschlechtergeschichte zu leisten, indem forschungspraktische Zugänge zur Diskussion gestellt werden. Denn der Zusammenhang zwischen eigenen (Forschungs-)Positionen, Theorien und Methoden ist selten einfach zu formulieren. Auf Tagungen, die einzelnen Subdisziplinen bzw. Themen gewidmet sind, lassen sich spezifische Fragestellungen der Frauen- und Geschlechterforschung oft nicht ausführlich diskutieren, was für die Positionierung als junge/r WissenschaftlerIn umso mehr gilt.

Dabei war für uns der Kontakt mit institutionell etablierten WissenschaftlerInnen besonders fruchtbar, um ‚alte‘ und ‚neue‘ Fragen der Frauen- und Geschlechtergeschichte in ihren gesellschaftlichen Entstehungskontexten begreifen, einordnen und möglicherweise auch reformulieren zu können. Unsere eigenen Analysen müssen in ihrer Geschichtlichkeit verstanden werden. Denn feministische Forschung hat einen Zeitkern, der immer wieder herausfordert. Ebenso relevant war die Kommunikation über disziplinäre Grenzen hinweg. Gleichfalls stand im Zentrum des gemeinsamen Arbeitens, den nationalgeschichtlich gebundenen master narratives zu widerstehen und transnational zu diskutieren, um im Vergleich mit unterschiedlichen Kontexten die der Forschung zugrunde liegenden Hypothesen schärfen und ihre Ergebnisse in einen raumübergreifenden Kontext setzen zu können. Als eine der Herausforderungen erschien es demnach, neben den übergreifenden Diskussionen die in den einzelnen Ländern oder Wissenschaftskulturen vorrangig geführten Debatten nicht außer Acht zu lassen.

Unabhängig von den weit gefächerten Diskussionen im Rahmen der Tagung ist der vorliegende Sammelband auf die Darstellung und Diskussion von Forschungsansätzen und Analyseergebnissen laufender oder jüngst abgeschlossener Dissertationen zugespitzt. Denn als JungwissenschafterInnen sind wir gefordert, mit den eigenen Arbeiten sichtbar zu werden und zu bleiben und uns auf diese Weise im akademischen Betrieb einen Platz zu erkämpfen. Dieser Sichtbarkeit und Positionierung sollte letztlich auch der Sammelband dienen. Entsprechend spiegelt sich in den Beiträgen der inhaltliche Teil der Tagung; den Bogen der gemeinsam geführten Debatten haben wir versucht, in dieser Einleitung wiederzugeben.

In den Beiträgen dieses Bandes wird also nicht nur ein Überblick über die Reichhaltigkeit interdisziplinärer, historisch ausgerichteter Frauen- und Geschlechterforschung in mehreren europäischen Ländern gegeben. Etablierte wie auch innovative methodische und theoretische Zugänge in der Frauen- und Geschlechtergeschichte werden anhand von Beispielen aus der Forschungspraxis vorgestellt und kritisch auf ihre Anwendbarkeit überprüft. Damit ist der Sammelband durch seinen starken Fokus auf Berichte aus den Werkstätten von DissertantInnen in Verbindung mit der anwendungsorientierten Darstellung von Theorien als Studienbuch in der Lehre ebenso geeignet wie für einen Austausch unter ForscherInnen.

Trotz einer großen Bandbreite in den Arbeitsgebieten der BeiträgerInnen ist aber klar: Die Schwerpunkte des Sammelbandes bilden die aktuellen Forschungsdebatten nur zum Teil ab. Dafür zeigen die Lücken deutlich: Der Bedarf, Vernetzungen über die thematischen und disziplinären Grenzen hinaus zu betreiben, ist hoch. Es ist kein leichtes Unterfangen, dafür umso mehr ein lohnendes. Nicht zuletzt ist Geschichtswissenschaft notwendig für die Kontextualisierung heutiger gesellschaftlicher Verhältnisse. Der Blick auf diese wiederum schärft den forschenden Blick in die Vergangenheit, wie die AutorInnen dieses Bandes beweisen. Ihnen sei für ihr Engagement ebenso gedankt wie der Keynote-Speakerin Barbara Duden und allen Vortragenden der Tagung. Ebenfalls danken möchten wir Gabriella Hauch für die Aufnahme in diese Reihe und Christa Hämmerle für ihre Unterstützung unseres Projekts, außerdem Veronika Duma, Matthias Vigl, Marion Wittfeld und allen KollegInnen, die uns mit ihrem Feedback weitergeholfen haben, sowie Nina Gruber, Sarah Blum und dem ganzen Team des Studienverlags für die umsichtige Betreuung unseres Bandes.

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Regina Wecker, Vom Nutzen und Nachteil der Frauen- und Geschlechtergeschichte für die Gender-Theorie. Oder: warum Geschichte wichtig ist, in: L’Homme. Z. F. G., 18, 2 (2007), 27–52.

Sebastian Winter, Wer? Wie? Wann? Die Geschichte der Gender Studies Hannover, in: Susanne Boehm u. Friederike Kämpfe Hg., Anecken und Weiterdenken. Aktuelle Beiträge zur Geschlechterforschung, Hamburg 2013, 13–34.

Nira Yuval-Davis, Intersectionality and feminist politics, in: European Journal of Women’s Studies, 13, 3 (2006), 193–209.

Irene Somà

Gender Studies und Geschichtswissenschaften in den Untersuchungen zu Frauen in der klassischen Antike. Der Beitrag der Epigraphik

Altertumswissenschaften waren bis zu den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts „reine Männersache“:40 Die wichtigsten Gelehrten, die sich damit beschäftigten, waren Männer, und sie interessierten sich grundsätzlich für politisch-­institutionelle oder militärische Themen, in denen Frauen kaum einen Platz fanden.41 Diese wurden lediglich in Studien über das ‚Privatleben‘ (beziehungsweise in juristisch ausgerichteten Forschungen über Familie und Ehe) thematisiert; eine solche Tendenz zeigt sich deutlich in den monumentalen Werken des 19. Jahrhunderts,42 wobei es die damalige deutsche Forschung war, die die Kerngedanken im Raum der Altertumswissenschaften formulierte. Die Wirkmacht dieser großen Tradition blieb lange ungebrochen und auch die AutorInnen der neuesten Studien setzten sich zuerst mit Nachschlagewerken wie der 1837 von August Friedrich Pauly gegründeten „Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft“ (RE)43 auseinander.

Mein Beitrag will zunächst einen zusammenfassenden Überblick über die ­Herangehensweisen und die Ergebnisse der wichtigsten Publikationen in Bezug auf Frauen in der klassischen Antike geben, ohne jedoch den Anspruch zu erheben, die Bibliographie zu einem so breiten Thema vollständig abzubilden. Der Abriss fokussiert, in chronologischer Anordnung, auf die Veränderungen der aufeinanderfolgenden Perspektiven und die Methoden der Forschungsarbeiten, mit dem Ziel, die jeweils vorherrschende wissenschaftliche Richtung herauszuarbeiten. Der zweite Teil des Aufsatzes konzentriert sich dann auf die wichtige Rolle der epigraphischen Quellen, die in den Studien über antike Frauen immer öfter als grundlegend betrachtet werden. Nach einer kurzen Ausführung zur Vielfalt der aus den Inschriften zu gewinnenden Informationen werden einige spezifische Beispiele von epigraphischen Quellen über die römischen Kaiserfrauen präsentiert, die ich für meine Dissertation „Die Augustae im städtischen Alltag zwischen dem 1. und 2. Jahrhundert n. Chr.“ zusammengestellt habe.44 Diese basiert auf den griechischen und lateinischen epigraphischen Quellen über die Kaiserfrauen von Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.) bis zur Severerzeit (193–235 n. Chr.).45

Der Fokus auf die epigraphischen Zeugnisse entsprach dem Ziel, das oft stereotypisierte Porträt dieser Frauenfiguren, das die literarischen oder numismatischen Quellen zeichnen, zu ergänzen oder sogar zu verändern. Im Mittelpunkt der Fragestellung standen die Absichten, mit denen die StifterInnen ein beschriftetes Denkmal einer Frau des Kaiserhauses widmeten: Es wurden in den Inschriften Indizien für eine besondere Beziehung zwischen Kaiserfrauen und UntertanInnen gesucht. Dabei wurde vor allem auf den Kontext und den Grund der Weihungen Augenmerk gelegt, falls diese rekonstruierbar waren. Leider haben sich auch die meisten epigraphischen Dokumente über die Augustae sowohl in der Formulierung als auch im Inhalt als standardisiert ergeben; manche prägnanten Inschriftentypen widerspiegeln jedoch die hervorragende Rolle und die Popularität einiger Kaiserfrauen im öffentlichen, manchmal auch im privaten Raum. Dank dieser Belege werden das Leben und Wirken von Frauen der wissenschaftlichen Forschung unter einem neuen Licht zugänglich und überhaupt erst sichtbar. Daher verstehen sich solche epigraphisch fokussierten Auseinandersetzungen als ein notwendiger Schritt, um die Grundlagenforschung im Bereich der althistorischen Frauen- und Geschlechter­forschung voranzutreiben.

Frauen als Forschungsobjekte in den Altertumswissenschaften: ein Überblick

Grundlegend für eine kritische Reflexion über die Stellung der Frauen innerhalb der Alten Geschichte war das Werk „Das Mutterrecht“ des Juristen und Historikers Johann Jakob Bachofen, 1861 in Stuttgart publiziert. Obwohl die Theorie des ursprünglichen Matriarchats überholt ist, muss ihm der Verdienst zuerkannt werden, zum ersten Mal über Macht und Herrschaft in Bezug auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern gearbeitet zu haben. Aus seinem reichhaltigen Werk konnten die nachkommenden Denker die verschiedensten Anhaltspunkte für ihre eigenen Vorstellungen finden: Die marxistische Historiographie setzte den Akzent auf das Matriarchat als alternatives Modell in Bezug auf die bürgerliche Familie, während politisch rechts orientierte Kritiker den endgültigen Sieg der Männerherrschaft unterstrichen.46

Nur einzelne und exzeptionelle Frauenfiguren des Mythos, der Literatur oder der Geschichte genossen eine dauerhafte Beachtung in Kunst und Literatur und wurden schon früh eigens untersucht. Den betreffenden AutorInnen fiel es jedoch schwer, sich von stereotypen Porträts sowie von einer anekdotenhaften Darstellungsweise zu befreien.47 Das Thema ‚große Frauen‘ ist noch heute bei einem breiten Publikum beliebt: Auch freie SchriftstellerInnen setzen sich mit den Biographien der Kaiser­frauen auseinander, wie beispielsweise Jasper Burns48 mit seinem Werk „Great Women of Imperial Rome: Mothers and Wives of the Caesars“.49

Erst in den 1960ern und 70ern rückte das Interesse in den Vordergrund, auch die antiken Frauen der ‚niederen‘ Gesellschaftsschichten zu erforschen und ihren Alltag zu rekonstruieren. Diese Anliegen wurden einerseits von der ‚methodischen Revolution‘ motiviert, welche die Annales-Schule50 seit den 1930er-Jahren in die Geschichtswissenschaft eingeführt hatte, mit ihrem Fokus auf Umwelt, soziale Kontexte und Mentalitäten. Die Forschungen wurden durch eine enge Zusammenarbeit mit Nachbardisziplinen wie der Soziologie und der Anthropologie durchgeführt und deren Ergebnis war eine Abwendung von Ereignisgeschichte, von Politik-, Di­plomatie- und Militärgeschichte.

Andererseits stand eine grundlegende Wende in der Perspektive der althistorischen Studien über Frauen mit dem Feminismus der 1960er- und 70er-Jahre im Zusammenhang. Aus diesem Anliegen heraus entstand das Pionierwerk von Sarah B. Pomeroy, „Goddesses, Whores, Wives, and Slaves: Women in Classical Antiquity“,51 während die französische Studientradition mit der Lehre von Louis Gernet fortgeschritten ist. Zwei Jahre nach seinem Tod widmete ihm sein Schüler Jean-Pierre Vernant in Paris das „Centre Louis-Gernet“, das seit 1964 bis heute eines der wichtigsten Institute für Altertumskunde ist.

Von ForscherInnen, die sich Frauen in der Antike zum Gegenstand gemacht hatten, wurden aber schon seit Langem die Gefahren einer feministisch geprägten Analyse betont: Altertum kann nicht mit modernen Ansprüchen und Deutungsmethoden studiert werden,52 ohne die Konsequenz zu ziehen, dass Frauen nur Außenseiterinnen oder aber immerhin unterdrückte Mitläuferinnen in den antiken Gesellschaften waren.53 Die ‚Emanzipation‘, die ein beliebter Begriff der damaligen Historiographie war,54 wurde in der Tat im Altertum nie erreicht. Wie Michelle Perrot feststellte, wurde die Geschichte der antiken Frauen hauptsächlich auf eine „historie […] du malheur féminin“ reduziert.55

Die Fehler einer modernistischen Deutung der Antike waren grundsätzlich zwei: das verführerische Postulat einer Kontinuität der Situation von Frauen von der Antike bis heute und ein Werturteil als integraler Bestandteil der Frauenforschung, die je nach persönlicher Ansicht des/der jeweiligen HistorikerIn sogar zu widersprüchlichen Schlussfolgerungen führen konnten. Der in der griechischen Mythologie beschriebene Selbstmord der Alkestis zugunsten ihres Mannes wurde zum Beispiel sehr unterschiedlich beurteilt: als Beweis ihrer Treue und als ethisches Modell, als Ausdruck der Liebesehe oder, im Gegenteil, einfach als Ausdruck von weiblicher Einfalt.56

Die Perspektivenverschiebung von Frauengeschichte zur Geschlechtergeschichte in den 1980er-Jahren brachte unter anderem ein gewisses Gleichgewicht zwischen Frauen und Männern sowohl als Studienobjekte als auch als agierende Subjekte der Geschichte hervor; außerdem wurden deren gesellschaftliche Rollen und relative Positionierungen differenzierter beleuchtet. So wurde ein besseres Bild der antiken Gesellschaften erreicht und die Dynamik von sozialen Verhältnissen (darunter auch von den Beziehungen zwischen Männern und Frauen) geklärt. Dadurch ergab sich deutlich, dass die im Fach der Alten Geschichte ‚traditionelle‘ Gleichsetzung von Frauen und ‚Privatem‘ beziehungsweise Männern und ‚Politischem‘ nicht ausreichte, um die komplexe Situation der Frauen im Altertum zu erklären.57

Die Debatte war aber nicht abgeschlossen und führte in den letzten Jahrzehnten zu zwei verschiedenen Untersuchungsmethoden in Bezug auf das klassische Altertum: die eine, poststrukturalistisch orientiert, konzentriert sich auf die Prozesse, durch die eine kulturelle Definition der Geschlechter entsteht; die andere, welche im deutschsprachigen Raum besonders beliebt ist, wendet sich der Rekonstruktion von historischen Realitäten durch eine philologisch-historische Analyse der Quellen zu.58

In beiden Fällen muss eine Dominanz von literarischen Zeugnissen als Forschungsbasis festgestellt werden, welche mehr oder weniger durch Bemerkungen über ikonographische Quellen ergänzt wurden. Das hat meines Erachtens zwei Gründe: Einerseits ist es einfacher, in den antiken literarischen Werken die Mechanismen der gender construction und eventuell auch wiederkehrende Schemen und Topoi zu erkennen und nachzuzeichnen. Andererseits speist sich die Dominanz literarischer Quellen59 im weiteren Sinne auch durch Rechtstexte: Sie enthalten Auskünfte über die Stellung der antiken Frauen in den jeweiligen Gesellschaften, auf deren Deutung sich auch die althistorische Forschung des 19. Jahrhunderts stützte.60

Erst in der allerletzten Zeit nimmt die Zahl der Forschungsarbeiten über Frauen in der Antike zu, welche auf anderen als den oben genannten Quellentypen basieren, besonders auf epigraphischen61 und numismatischen Belegen – abgesehen von dokumentarischen Papyri für Ägypten und einigen wenigen anderen Gebieten.62 Papyri eröffnen eine einzigartige Möglichkeit, einen Blick in das private und wirtschaftliche Leben der Bevölkerung zu werfen;63 Münzen hingegen bilden die Lieblingsquellen für eine Erforschung der offiziellen Propaganda. Diese zeigten häufig die ‚Tugenden der Matronen‘ in Form von Darstellungen weiblicher Verwandter oder der Frau des regierenden Königs oder Kaisers, die mit positiven Eigenschaften wie etwa Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht wurden.64

Durch Studien der oben genannten Quellengattungen entstanden die neuesten Arbeiten über antike Frauen:65 Sie stützen sich auf punktuelle Analysen der antiken historischen und literarischen Texte und erforschen nebenbei auch Inschriften, Münzen, Papyri, Bilder etc., um eine möglichst exakte und allgemeingültige Wiedergabe der betreffenden Personen oder Epoche zu gewinnen.66 Auf ähnlichen (methodischen und theoretischen) Prämissen basiert die Entwicklung von prosopographischen Kenntnissen über römische Frauen. Zudem wurden in letzter Zeit wichtige Tagungen über Frauen in der Antike organisiert, wodurch zahlreiche Fachpublikationen entstanden, insbesondere um den weiblichen Einfluss im öffentlichen Raum zu diskutieren.67 WissenschaftlerInnen aus diesem Feld schreiben aber gelegentlich auch populäre Publikationen, die als Einführung in das Thema dienen und es für eine breitere interessierte Leser­Innenschaft erschließen.68

Der Beitrag der Epigraphik zur Darstellung von Frauen aus der römischen Zeit

Im Folgenden werde ich mich auf die epigraphischen Quellen konzentrieren, welche jene antiker Schriftsteller für weibliche Lebensrealitäten ergänzen, die Frauen nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Sogar im Fall berühmter Persönlichkeiten wie der Kaiserfrauen können die Inschriften eine neue Perspektive eröffnen.

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