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Die Angst vergeht, der Zauber bleibt

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Anna-Elisabeth Neumeyer (Rufname: Annalisa), Diplom-Sozialpädagogin, Therapeutin für Klinische Hypnose (M. E. G.), approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, ausgebildet in Pantomime und Schauspieltraining. Urheberin des Therapeutischen Zauberns®. Seit vielen Jahren ist sie selbständig in eigener Praxis für klinische Hypnose (M. E. G.) und dem Institut für Therapeutisches Zaubern®, an dem sie zertifizierte Zaubertherapeuten ausbildet.

Sie ist Referentin an verschiedenen Zahnärztekammern an psychotherapeutischen Instituten, an Ausbildungs-Instituten für Klinische Hypnose (M. E. G). und bei internationalen psychotherapeutischen und zahnärztlichen Kongressen. Von der Zeitschrift Für Sie ist sie 2004 unter die 50 tollsten Frauen des Jahres in der Kategorie „Innovative“ gewählt worden.

www.Therapeutisches-Zaubern.de

Veröffentlichungen

Mit Feengeist und Zauberpuste – Zauberhaftes Arbeiten in Pädagogik und Therapie. Lambertus-Verlag, Freiburg 4. Aufl. 2009.

Wie Zaubern Kindern hilft. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 4. Aufl. 2009.

Einführung in das therapeutische Zaubern. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2013.

– In Zusammenarbeit mit Sabine Lück: Wundertüte für die Seele. Glücksspiele Verlag, Wendeburg 2015.

Anna-Elisabeth Neumeyer

Die Angst vergeht, der Zauber bleibt

Therapeutisches Zaubern® in Arztpraxen und Krankenhäusern

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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© 2016

Lektorat: Cornelia Funke, Mainz, und Franziska Brugger, Frankfurt a. M.

Inhalt

Geleitwort: Eckart von Hirschhausen

Vorwort

Rezept für ein verzaubertes Leben

1Die heilsame Wirkung von Zauberei, Hypnose und Magie

1.1Ungewaschene Pullover und andere Glücksbringer

1.2Zaubern macht Unmögliches möglich

1.3Zaubern als Kontaktmedium oder ein verzauberter Patient ist ein entspannter Patient

1.4Zaubern lässt die Angst verschwinden

1.5Zaubern unterbricht Muster

1.6Belastende Dinge werden wie von Zauberhand verwandelt

2Elemente des Therapeutischen Zauberns

2.1Einführung

2.2Hypnotherapie: Die Kraft der Imagination

2.3Zauberhafte Stimmung: Sprache und Atmosphäre

3Bezaubernde Praxis

3.1Zauberhafte Erstkontakte

3.2Die Zauberpraxis

3.3Magisches Zusammenspiel

3.4Die zauberhafte Behandlung

3.5Kooperation mit Eltern

4Zauberrituale

4.1Einführung

4.2Blutzunahme statt Blutabnahme

4.3Abschiedsrituale für Organe und anderes

4.4In der Zahnarztpraxis

4.5Im Krankenhaus

4.6In der Reha

4.7In der Trauerbegleitung

5Die Zauberkunststücke – praktische Anleitungen

5.1Das Wunder mit den Dominosteinen

5.2Von nun an geht’s voran!

5.3Der Ring der guten Wünsche

5.4Ein cooles Team

5.5Kraftzauber oder „Das stärkste Kind der Welt“

5.6Kartenkunststück mit acht Zauberkarten

5.7Die Feenrakete

5.8Getrennt und doch zusammen

5.9Präoperative Übertragung eines Glückssymbols durch Zaubersaft

5.10Zaubersalbe

5.11Blütenzauber

5.12Nase ausrenken

5.13Die weinende Zahnbürste

5.14Der Zaubergeist bringt ein Geschenk

6Tipps aus der Praxis

6.1Goldene Regeln der Zauberkunst

6.2Was tun, wenn die Behandelnden selbst in eine Problemtrance geraten?

6.3Zauberpannen verwandeln

6.4Magische Zauberrequisiten

6.5Aus meiner Zauberpost

7Danksagung

8Literatur

Weiterführende Literatur und Medien

9Stichwortverzeichnis

Wie alle Knaben liebte und beneidete ich manche Berufe … Weitaus am liebsten aber wäre ich Zauberer geworden. Dies war die tiefste, innigst gefühlte Richtung meiner Triebe, eine gewisse Unzufriedenheit mit dem, was man die „Wirklichkeit“ nannte und was mir zuzeiten lediglich wie eine alberne Vereinbarung der Erwachsenen erschien; eine gewisse bald ängstliche, bald spöttische Ablehnung dieser Wirklichkeit war mir früh geläufig, und der brennende Wunsch, sie zu verzaubern, zu verwandeln, zu steigern.

Aus: Worte des Zauberers (Hermann Hesse)

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Geleitwort: Eckart von Hirschhausen

Das Leben ist eine Wunderkerze.

Die Wissenschaft hat die Magie aus der Medizin vertrieben. Aber nicht aus uns Menschen.

Dazu eine kleine Geschichte.

Wenn ich als Kind hingefallen bin, tröstete mich meine Mutter. Sie nahm mich in den Arm, pustete auf die Stelle und sprach dazu die magischen Worte: „Schau mal, Eckart, da fliegt das Aua durchs Fenster!“ Ich habe das Aua fliegen sehen. Sogar durch geschlossene Fenster. Das war mir egal. Hauptsache, es hat gewirkt. Mein ganzes Medizinstudium habe ich darauf gewartet, dass mir mal so ein gelehrter Professor erklärt, warum „Aua“ fliegen kann. Denn ich wusste ja seit meinem vierten Lebensjahr, dass es geht. Diese Phänomene kommen aber in der langen und teuren Ausbildung mit keiner Silbe vor. Und je länger ich darüber nachdenke, desto beschränkter finde ich das. Ich bin heilfroh über alles, was es heute an Wissen und Möglichkeiten gibt, von der verträglichen Schmerztablette bis zur Palliativmedizin. Aber manchmal braucht es nur jemanden, der dich in den Arm nimmt und pustet!

Und selbst wenn ich als erwachsener Mensch irgendwann so aufgeklärt, so abgeklärt, so zynisch geworden bin, dass ich an die Flugfähigkeit von Schmerz nicht mehr glauben kann oder mag … Kurz überlegt: Es wäre dem Kind gegenüber immer noch eine unterlassene Hilfeleistung, aus Klugscheißerei nicht zu pusten!

Annalisa ist im wahrsten Sinne des Wortes eine moderne Zauberin – und das meine ich voller Respekt vor ihrer Pionierleistung, den heilsamen Zauber für die Psychotherapie und die ärztliche Praxis wieder zu entdecken und neues Leben einzuhauchen. Wir lernten uns kennen und schätzen über die Zauberei und die Hypnotherapie, auf den Kongressen und zuletzt bei meiner „HUMOR HILFT HEILEN“-Akademie. Da brachte Annalisa das therapeutische Zaubern den Clowns bei, die im Auftrag meiner Stiftung Kinder im Krankenhaus besuchen und „verzaubern“ mit Musik, Kunststücken und Humor. Und der schlichten Tatsache, dass da jemand ist, der Zeit hat, Quatsch zu machen in einem Umfeld, wo alle am Limit sind. Clowns und Zauberer am Krankenbett? Ein Fremdkörper? Nein – für ein Kind ist es völlig normal, in Fantasiewelten zu leben, was in einem Krankenhaus deutlich erschwert ist. So gesehen stellt ein Clown Normalität her! Ich habe erlebt, wie wirksam die scheinbar kleinen Effekte sind, die in diesem Buch beschrieben sind: „Das stärkste Kind der Welt“ lässt tatsächlich Kinder über sich hinauswachsen. Die Haargummis, die zwischen den Fingern hüpfen und sich verketten, sind wunderbar geeignet, auch bettlägerigen Kindern etwas in die Hand zu geben, mit dem sie spielen und üben können. Und womit sie dann auch andere Kinder und Erwachsene verblüffen können. Meine absolute Lieblingsidee von Annalisa ist aber der „Lebenssaft“ der aus der Blut-Entnahme eine Blut-Zunahme macht! So einfach und so klug, dass man sich wundert, warum da vorher noch niemand darauf gekommen ist. Und sich fragt, warum es nicht schon längst überall praktiziert wird. Aber Sie, liebe Lesenden, werden das ja ändern! Oder sollte ich sagen: „Du schaffst das! Ich glaub an dich! Du hast die Kraft, die Welt ein bisschen besser zu machen!“

Und wie könnten Sie jetzt spüren, dass ich das gar nicht ironisch meine? Humor und Zauberei ernst zu nehmen, klingt erst einmal paradox. Humor und Zauberei haben viel gemeinsam. Das Staunen ist der Anfang aller Philosophie. Das Kunststück, was ein gutes Kunststück bewirkt: Wir verstehen die Welt nicht mehr. Für einen Moment. Und damit verstehen wir gleichzeitig sehr viel über die Welt. Dass wir uns täuschen lassen können. Dass unser Verstand offenbar nicht immer die beste Sicht auf die Dinge hat. Und dass ein anderer Blick möglich und hilfreich sein kann. Es ist der Verlust der Kontrolle über unsere Weltsicht, die eine Neuorientierung ermöglicht. So wie ein Witz dem Verstand auch den Teppich unter den Füßen wegzieht und wir gerade diesen freien Fall lernen können zu genießen und in ein befreiendes Lachen zu überführen. Das Zwerchfell galt den Griechen als der Sitz der Seele. Das Hirn dagegen schien in der Antike lediglich ein Apparat, um das Blut zu kühlen. Wie wir heute wissen, haben sie bei einigem recht behalten.

Je länger ich mich mit der Psychologie von Gesundheit und Krankheit, Krise und Heilung beschäftige, desto klarer wird mir: Wir brauchen mehr positiv Verrückte! Schaut euch an, wohin uns die Vernünftigen gebracht haben. Wenn wir die moderne Psychotherapieforschung und das heutige Wissen über die durchschlagenden Effekte von Placebos verbinden mit dem alten Wissen von der Kraft der Rituale und Geschichten, entsteht etwas bewährtes Neues! Die moderne Wissenschaft hat noch kein Mittel erschaffen können, das so beruhigend ist wie der Klang einiger herzlicher Worte. Gleichzeitig hat sie noch kein Mittel erschaffen, das die Vergiftung durch beleidigende Worte aufheben könnte. Und deshalb sollten alle in den Gesundheitsberufen viel mehr erfahren über die Kraft ihrer Persönlichkeit, ihrer Worte und ihrer Haltung. Und ein paar gute Witze, Metaphern und Tricks sollten alle auch drauf haben!

Gute Ideen sind dafür da, dass man sie teilt. In meinem Bühnenprogramm „Wunderheiler“ freue ich mich den ganzen Abend schon auf den Schluss, wo ich mich mit dem ganzen Live-Publikum ans Lagerfeuer setze und von einer wundersamen Begegnungen in meiner Ausbildung erzähle.

Vor über 20 Jahren war ich Kandidat bei Jürgen von der Lippe in der Sendung „Geld oder Liebe“. Zu der Zeit arbeitete ich noch an der Uniklinik in der Kinder-Neurologie. Und ich sagte in die laufende Kamera, ich möchte Medizin und Humor verbinden, ich hatte aber noch keine konkreten Ideen. Und daraufhin hat mich ein bayerischer Radiosender mit meiner Zaubershow in Kinderkrankenhäusern eingeladen. Und bei einer dieser Aufführungen passierte es: Es war in der Kinderpsychiatrie in München, da holte ich alle zusammen in der Turnhalle. Die Kinder und Jugendlichen mussten mitmachen und pusten und zählen und tun. Und sie lachten! Nach der Show kam ein Arzt auf mich zu und sagte: „Ich muss ihnen was erzählen, was ich beobachtet habe. In der ersten Reihe der Junge, der ist hier seit Wochen, weil er mit keinem Menschen spricht. Der ist verstummt.“ Mutismus heißt diese seelische Störung. Obwohl neurologisch alles intakt ist, hören Kinder aus innerer Not auf zu kommunizieren. Und der Arzt sagte: „Ich hab den Jungen beobachtet. Er hat in ihrer Show seine Störung vergessen!“ Er hat mit allen anderen gelacht, gepustet, Quatsch gemacht und kommuniziert. Für einen Moment war ich selber sprachlos. Was war da passiert? Mir ist völlig klar: Ich hab den nicht geheilt, sondern die Gruppe. Das Miteinander war wirksam. Das Ansteckende von positiven Gefühlen, von Kunst, von Verzauberung. Wo zwei oder drei versammelt sind, passiert mehr als im Eins-zu-Eins-Kontakt. Man kann aber dafür sorgen, dass ein günstiger Rahmen entsteht, in dem diese Momente möglich sind. Deswegen ist es immer etwas anderes, live dabei zu sein, als ein Buch zu lesen oder auf dem Sofa Fernsehen zu gucken. Und deshalb empfehle ich Ihnen auch: Lassen Sie sich von diesem Buch inspirieren und lassen Sie mit seiner Hilfe Auas aus dem Fenster fliegen! Aber machen Sie auch Seminare, üben Sie mit anderen, vernetzen Sie sich und verzaubern Sie erst sich – und dann die Welt! Glauben Sie wieder an Wunder – weil Sie selber eins sind! Jesus konnte Wasser in Wein verwandeln. Aber Sie sind in der Lage, über Nacht aus dem ganzen Wein wieder Wasser zu machen!

Vielleicht ist das ganze Leben wie eine Wunderkerze. Es brennt ab, unwiderruflich, so oder so. Wundern müssen Sie sich selber. Also wundern Sie sich. Und andere.

Eckart von Hirschhausen,
Sommer 2016

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Eckart von Hirschhausen gründete 2008 die Stiftung HUMOR HILFT HEILEN. Diese hat sich zur Aufgabe gemacht, die Stimmung in Krankenhäusern froher zu machen – und das mit Projekten und Aktivitäten bundesweit. Durch den Kauf diese Buches unterstützen Sie HUMOR HILFT HEILEN.

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Vorwort

Am Anfang meiner Berufstätigkeit leitete ich die „Lernstube Büchenbach“ vom Jugendamt der Stadt Erlangen, in die Kinder aus Notunterkünften nach der Schule zum Essen und zur Betreuung kamen. Fast alle Kinder hatten sehr pflegebedürftige Zähne und kaum je eine Zahnbürste benutzt, vor dem Zahnarzt hatten viele eine panische Angst. Da mir neben meiner pädagogischen Arbeit auch die gesundheitliche Vorsorge ein Anliegen war, stellte ich mir die Frage, wie ich den Kindern die Angst nehmen und sie zum Zahnarztbesuch motivieren könnte.

Zunächst besorgten wir gemeinsam schöne, bunte Zahnputzbecher und Zahnbürsten. Wir machten „Experimente“ mit der roten Flüssigkeit, die nach dem Mundspülen die Plaquestellen anzeigt (die Kinder liefen dann zwei, drei Tage mit roten Zähnen herum). Dann versprach ich den Kindern eine Belohnung für einen Zahnarztbesuch.

Ich suchte Zahnärzte, die bereit waren, sich auf unsere Kinder einzulassen. Erst der dritte angefragte Zahnarzt erklärte sich bereit, den Kindern beim ersten Termin „nur“ in den Mund zu schauen. Dies war für mich eine wichtige Voraussetzung. Die Kinder sollten die Möglichkeit haben, einen Zahnarzt und seine Praxis zunächst angstfrei und ohne Behandlung kennenzulernen. So konnten die Kinder Schritt für Schritt Vertrauen zur Zahnarztpraxis aufbauen; der wichtigste Schritt zum Beginn ihrer Zahnbehandlung war gemacht. Nach zwei Jahren hatten alle Kinder gut versorgte Zähne. Viele Jahre später traf ich bei einem Jubiläum der Lernstube ein Mädchen aus meiner alten Gruppe. Freudig erzählte mir die junge Frau, dass inzwischen sogar ihre Mutter ein gutes Gebiss und richtig schöne Zähne habe.

In der ärztlichen Praxis hat sich – verglichen mit vergangenen Zeiten – sehr viel verändert. Die Zahnärzte und Zahnärztinnen schaffen ganz gezielt eine angenehme und entspannte Atmosphäre. Manche haben sich inzwischen ausschließlich auf die Behandlung von Kindern spezialisiert. Sie tun alles, um ihren kleinen Patienten die Behandlung so leicht wie möglich zu machen, auch in vielen anderen medizinischen Bereichen, insbesondere der Pädiatrie. Ihr Engagement zeigt sich auch deutlich an der großen Nachfrage an einschlägigen Fortbildungsangeboten der Zahnärztekammern und bei medizinischen Kongressen.

Dieses Buch entstand einerseits auf die Bitte vieler Seminarteilnehmerinnen aus dem medizinischen Bereich hin („Schreiben Sie doch das alles mal für uns auf!“), zum anderen aus meinem Wunsch, die positive Wirkung meiner Arbeit einem noch größeren Kreis von Fachleuten zugänglich zu machen. Ich stelle in diesem Buch Zaubertricks mit einfachen Trickhandlungen vor, die ich mit jeweils eigenen Präsentationsformen und Geschichten zu ansprechenden Zauberkunststücken ausgestaltet habe. Ihre Wirkung beruht vor allem auf Zauberworten, hypnotherapeutischen Bildern und Formulierungen, die dazu beitragen, Menschen in schwierigen Behandlungssituationen gezielt zu stärken. Dadurch erleben sowohl der Patient/die Patientin wie auch der Behandler/die Behandlerin Entlastung.

Gerade in großen Einrichtungen des Gesundheitswesens wie in Krankenhäusern gibt es einen immensen Bedarf an innovativen und praktischen Methoden, um Ängste vor operativen und anderen medizinischen Eingriffen abzubauen und die Behandlung für alle Beteiligten zu erleichtern. Therapeutisches Zaubern1 kann hier viel bewirken und vermag ganz nebenbei auf eine leichte und zauberhafte Weise eine neue Atmosphäre in den Klinikalltag zu bringen. Also: Lassen Sie sich verwandeln!

Als Frau, Therapeutin und Autorin ist mir an einer geschlechtergerechten Sprache gelegen. Um nicht ständig zwei Formen verwenden zu müssen und damit das Lesen zu erschweren, wechsle ich in diesem Buch zwischen der weiblichen und der männlichen Form. In jedem Fall seien beide gleichermaßen angesprochen, Frauen wie Männer sind herzlich eingeladen, sich vom Zauberfunken anstecken zu lassen. Denn mit dem Zaubergeist im Hause arbeitet es sich einfach angenehmer und leichter. Da die Kapitel auch einzeln oder in anderer Reihenfolge gelesen werden können, lassen sich einige Wiederholungen in den Kapiteln nicht vermeiden – bitte sehen Sie diese als willkommene Auffrischung des Gelesenen.

Bevor es nun losgeht, liegt es mir am Herzen, mich bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern meiner Seminare, bei Ärzten, Therapeutinnen und Mitarbeiterinnen zu bedanken: für ihre Rückmeldungen und die Kreativität, mit der sie das Gelernte umgesetzt haben. Ich freue mich sehr, dass ich einzelne Ideen und Aspekte mit in dieses Buch einfließen lassen darf. Alle angeführten Praxisbeispiele sind in Namen und sonstigen Merkmalen verändert, um ein Wiedererkennen zu verhindern. Weitere Erfahrungsberichte über die Wirkung des Zaubergeistes in der medizinischen Praxis sind stets herzlich willkommen. Schreiben Sie mir einfach: neumeyer@therapeutisches-zaubern.de.

1 Der Begriff „Therapeutisches Zaubern®“ sowie alle hier veröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt bzw. markenrechtlich beim Deutschen Marken- und Patentamt (Registernr. 305241540) angemeldet.

Rezept für ein verzaubertes Leben

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1Die heilsame Wirkung von Zauberei, Hypnose und Magie

Die Geschichte der Zauberei lässt sich bis in die Steinzeit zurückverfolgen. So findet sich unter den 18 000 Jahre alten Malereien der berühmten Höhle von Lascaux in Südfrankreich die Abbildung einer Figur, die von der Wissenschaft übereinstimmend als Zauberer interpretiert wird. In anderen Bilderhöhlen, die gegen Ende der letzten Eiszeit entstanden, finden sich ebenfalls zahlreiche Hinweise auf magische Rituale und Praktiken.

Zauberer waren – und sind bei vielen indigenen Völkern auch heute noch – die Wissenden, die den Menschen, dem einfachen Volk wie den Herrschenden, die unverständlichen Geschehnisse der Welt deuten konnten. Zauberer sollten also die Welt erklären. Zugleich sollten sie auch Bedürfnisse und Wünsche erfüllen, vor allem Wünsche, die nicht mit materiellen Mitteln zu erlangen waren. Zauberinnen und Zauberer verfügten in der Regel über ein umfangreiches Heilwissen; Heilung und Magie gehörten oft nahezu untrennbar zusammen. Suchte man Heilung, wandte man sich deshalb ganz selbstverständlich an den Zauberer, ebenso vor wichtigen Entscheidungen. Ihr umfangreiches Wissen und besonders ihr vermeintliches Vermögen, hinter die Dinge zu blicken, machten sie zu gefragten Ratgebern.

Talismane, magische Glücksbringer, haben in allen Kulturen eine lange Tradition, man denke nur an den Reliquienkult des Christentums. Auch heute noch benutzen wir ganz selbstverständlich Talismane. Viele Menschen statten zum Beispiel ihr Auto mit einem „Schutzzauber“ aus: Vor Kurzem brachte mich eine Seminarteilnehmerin mit dem Auto zum Flughafen. Sie stufte sich als Realistin ein, magisches Denken sei ihr und ihrem Mann fremd. Von der Ablage ihres Wagens blickten mich zwei Kuscheltierchen an. „Diese zwei Bärchen haben wir von meinen Schwiegereltern bekommen, sie sollen auf uns aufpassen! Wir haben nun das dritte Auto, und sie wandern immer mit, so viel zur Allgegenwärtigkeit der Magie!“, meinte sie dann lachend.

1.1Ungewaschene Pullover und andere Glücksbringer

Wir kennen auch Hufeisen an den Türen, Schokoladenglückskäfer und Marzipanglücksschweinchen, Glücksklee und magische Verhaltensregeln, wie diejenige, sich nicht über Kreuz die Hand zu geben. Viele Hotels haben die Zimmernummer 13 ausgelassen – und welcher Patient liegt gerne auf Zimmer 13? Ein Glückskleeblatt zu finden macht Freude, weil ein vierblättriges Kleeblatt selten ist. Die Freude über den Fund hat eine positive Auswirkung. Das ist etwas ganz Besonderes, das bringt mir Glück.

Geliebte Gegenstände, die Bärchen im Auto, der Glücksstein in der Tasche, beruhigen und erfreuen und helfen damit, neue Situationen anzugehen, schon deshalb sind sie eine Art Glücksbringer. Denken Sie an die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2010, als der Bundestrainer Joachim Löw seinen blauen Pulli nach dem sensationell gewonnenen Spiel gegen England – natürlich ungewaschen – auch beim Spiel gegen Argentinien tragen musste! Oder an die Kandidaten in Quizshows, die mit den Kuscheltieren ihrer Kinder antreten. Magische Rituale sind also eine Form von Autosuggestion, zauberhafte Beruhigungsformeln und Sicherheitsanker. Sie können in schwierigen Situationen helfen, Ängste zu überwinden, Mut zu fassen und neue Hoffnung zu finden.

Erleichternde Rituale sind in vielen medizinischen Situationen hilfreich:

– Bei der Vorbereitung auf Operationen: Hier können Eltern einbezogen werden, indem sie beispielsweise die Infusionsflasche halten und die Tropfen zählen. Das beruhigt die kleinen Patienten und lässt sie die Anteilnahme der Eltern spüren; die Eltern wiederum sind froh, etwas für ihr Kind tun zu können – auch der Behandler wird entlastet.

– Bei Kinderärztinnen während der Untersuchungen des Kindes: Ein Arzt spricht zum Beispiel an, wie das Essen vom Mund in den Magen und die Energie dann aus dem Blut zum Herzen kommt. Diese vollzogene Edukation ermöglicht es dem Behandler, spielerisch mit dem Patienten in einen Körperkontakt zu kommen, den der Patient gut zulassen kann.

– In der Narkosesituation: Die Aufforderungen „Zählen Sie mal bis zehn!“, „Sagen Sie ‚Gute Nacht‘!“ oder „Sagen Sie ein Gedicht auf!“ lenken den Fokus des Patienten von seiner Angst weg und führt unmittelbar zu einer Entspannung der Situation und vermittelt dem Patienten, gleichermaßen an der Kommunikation im OP-Raum beteiligt zu sein.

– In der zahnärztlichen Praxis: Der Einsatz von Handpuppen bei der Kariesprophylaxe hilft, Verkrampfungen und Ängste zu lösen. Eine kommunikative Brücke, die der Patient annehmen kann, löst Ängste und Spannungen aus der Behandlungssituation.

– Beim Krankenhausaufenthalt: Ein getragenes T-Shirt von Mutter, Vater oder einer anderen geliebten Person bei sich zu haben, kann eine ausgesprochen beruhigende und besänftigende Wirkung haben.

Gemeinsam ist den Ritualen, dass sie ablenken und beruhigen. Sie lenken die Beteiligten auf positiv verlaufende Erfahrungen und Sicherheiten und geben Sicherheit und Struktur.

Auch Zaubern ist Ablenkung – in einer etwas anderen Ausprägung: Zaubern lenkt hin zu einem Wunder. Es zeigt etwas, was eigentlich nicht möglich ist. Schwierige Situationen werden verwandelt, positive Visionen entstehen, Kontakt und Vertrauen werden geweckt und neu wahrgenommen.

Wie kann das im alltäglichen Umgang mit großen und kleinen Patientinnen, in Krankenhäusern, Arzt- und Zahnarztpraxen gelingen? Sehen Sie selbst und lernen Sie mit diesem ganz praktischen Handbuch für Ärztinnen und Mitarbeiterinnen, wie Sie ängstliche und verzweifelte Patienten mit Zauberworten und Zauberkunststücken in die Entspannung und in eine andere Welt führen können. Lassen Sie den Zaubergeist in Ihre tägliche Praxis einkehren, er wird Ihnen viel Freude bereiten und neue Möglichkeiten für alle am Zauber Beteiligten eröffnen.

1.2Zaubern macht Unmögliches möglich

Beim Zaubern wird Unmögliches möglich, es geschehen Wunder. Zaubern ist etwas ganz Besonderes und Faszinierendes. Ich möchte Ihnen dazu von einer Erfahrung berichten, die eine Mitarbeiterin der Wiener CliniClowns mit dem Einsatz des Zauberkunststückes „Das stärkste Kind der Welt“ machte (die detaillierte Anleitung zum Kunststück finden Sie im Abschnitt 5.5)2:

Fallbeispiel: Kraftzauber

„September 2006. Zwei CliniClowns betreten ein Krankenzimmer. Darin liegt ein etwa vierjähriger Bub. Die Clowns machen einen Riesenspaß mit ihm, spielen mit ihm, lachen mit ihm. Er überwindet allmählich seine anfängliche Scheu. Er ist mehr und mehr beglückt, schenkt ihnen mehr und mehr sein Vertrauen.

Ein paar Minuten vergehen.

Einer der Clowns sagt: ‚Hei, du! Warte mal! Ich glaube, du bist das stärkste Kind der Welt!‘ Der Clown macht ein tolles Kunststück mit ihm (‚Das stärkste Kind der Welt‘). Der Bub sieht dabei, wie er stärker und stärker wird. Und nicht nur das! Plötzlich sieht er es nicht nur, er spürt es auch. Er spürt es in Armen und Beinen, er spürt es am ganzen Körper! Noch nie hat er sich so stark gefühlt. So stark, dass sogar die großen, erwachsenen Clowns sich vor ihm fürchten! Er ist begeistert! Er fühlt, er ist wirklich das stärkste Kind der Welt!

Und dann schenken ihm die Clowns auch noch ein Luftballonschwert! Er schnappt sein Schwert, und jetzt verfolgt das stärkste Kind der Welt den größeren Clown durch das ganze Zimmer. Er läuft keuchend hinter ihm her, hinaus auf den Gang und durch die ganze Station. Er lacht, er quietscht. Er schwingt sein Schwert und spürt seine Macht und Kraft.

Ärzte und Krankenschwestern kommen aus dem Sozialraum gestürzt und reißen die Augen auf. Minuten später werden sie den CliniClowns sagen: ‚Wir untersuchen den Kleinen seit vier Tagen. Wir finden nichts! Keinen Anhaltspunkt! Wisst Ihr, warum er ins Spital kam? Er konnte nicht gehen!‘“

Es hört sich unglaublich an, was ist da passiert? Natürlich besaß dieser Junge die Fähigkeit zu gehen, immer. Er musste, warum auch immer, für sich so etwas wie einen Glaubenssatz aufgebaut haben: „Ich kann das nicht! Ich kann das nicht.“ Diese Blockade hatte sich ausgeweitet (so wie manche Menschen nach einem Sturz das Fahrradfahren „verlernen“) und bestimmte nun sein Handeln. Der Kraftzauber hat ihn so fasziniert und abgelenkt, dass er in einer ganz anderen Welt war: Er „vergaß“ seine Schwierigkeiten und folgte wie im Bann als stärkstes Kind der Welt lachend dem CliniClown.

In meiner Arbeit als Kinder- und Jugendlichentherapeutin habe ich immer wieder Kinder und Jugendliche erlebt, die so sehr in ihren Problemen gefangen waren, dass sie vollkommen blockiert wirkten. Es erschien ihnen unmöglich, aus ihren Problemspiralen jemals wieder herauszukommen. Daraus entwickelte sich die Idee, man müsste die Kinder und Jugendlichen einfach verwandeln: von Problemkindern in Zauberkinder.

1.3Zaubern als Kontaktmedium oder ein verzauberter Patient ist ein entspannter Patient

Therapeutisches Zaubern setzt vielfältige positive Veränderungen in Einrichtungen und schwierigen Situationen, bei Fachleuten und Patienten in Gang. So werden das „Angstkind“ in ein „Zauberkind“ und die „Angsteltern“ in „Zaubereltern“ verwandelt. In einer „Zauberpraxis“ oder bei einer „Zauberbehandlung“ ist alles anders. Denn Zaubern kann unglaublich viel.

Gerade Vorschulkinder kommen möglicherweise zum ersten Mal zur Ärztin, ins Krankenhaus oder zum Zahnarzt – und die Angst kommt mit: „Klaut mir die Ärztin mein Blut?“3 In einer Fernsehdokumentation4 über Ängste, in der ich auftrat, sagt ein kleines Mädchen: „Die schlagen mir den Zahn raus!“ Selbst bei der Frisörin stellt sich einem Kind die Frage: „Was macht die da mit mir? Geht mit dem Abschneiden der Haare ein Stück von mir selbst verloren?“ Kinder – und auch so manche Erwachsene – haben häufig große Angst und lassen sich von noch so guten Worten, sachlichen Informationen und vernünftigen Argumenten oft wenig beeindrucken.